Virtuelle Ethik - Dirk Schumacher - E-Book

Virtuelle Ethik E-Book

Dirk Schumacher

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Beschreibung

Dieses Essay ist eine wissenschaftliche, interdisziplinäre Arbeit, in der das Einzigartige der Informationstechnik in der gesellschaftlichen Kommunikation untersucht wird. Ziel ist ein Modell, mit dem Konflikte, wie sie durch den Kernkraftwerksausfall in Fukushima oder durch die Whistleblower Skandale entstehen, analysiert und diskutiert werden können. Diese Konflikte stellen neue Anforderungen an den gesellschaftlichen Umgang mit der Informationstechnik und fordern eine andere Sichtweise auf menschliche Kommunikation. Auf der Basis neurophysiologischer, systemtheoretischer und kommunikationstheoretischer Grundlagen bietet das Modell Lösungsansätze an, die zur Konfliktreduzierung eingesetzt werden können. Aktuelle Beispiele werden dazu analysiert und in Diskussion gestellt. "Virtuelle Ethik" heißt eine verantwortungsvolle und ethischen Diskussion unter Menschen, über das entmenschlichte, funktionale, das Virtuelle in der Technik zu beginnen.

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Dirk Schumacher

Virtuelle Ethik

Ein Essay über den Umgang mit informationstechnischen Konflikten auf unserem Planeten

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Einleitung

2. Der Einzelne erwacht. „Ich denke, also bin ich.“

3. Was bedeutet menschliches Erwachen in der Zivilisation?

3.1 Die Theorie des symbolischen Kapitals

4. Der Mensch in der Gesellschaft

4.1 Autopoiesis

5. Organisation und Menschlichkeit

6. Virtuelles Leben in der organisierten Gesellschaft

6.1 Virtualität und Technik

6.2 Virtualität und Herrschaft

6.3 Virtualität und Rationalität

7. Ethik

7.1 Formen der Ethik

8. Konflikte

8.1 Der Umgang mit Konflikten: Ein Modell

8.1.1 Konfliktdiagnose

8.1.2 Kommunikationsdiskurs

8.1.3 Eskalationsdiskurs

8.1.4 Virtueller Diskurs

8.2 Beispiel I

8.2.1 Die Struktur des Modells der Virtuellen Ethik

8.2.2 Die Struktur des Modells der Virtuellen Ethik in der Informationsgesellschaft

8.3 Beispiel II

8.4 Beispiel III

9. Schlussbetrachtungen

Literatur

Danksagungen

Impressum neobooks

1. Einleitung

Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee veröffentlichten vor über 2 Jahren einen Text, der nur als eBook in Deutschland zu beziehen war. In „Race Against the Machine“(1)vertraten sie die These, dass die neue Informationstechnik, die die modernen technischen Prozesse beeinflusst, so viel Neuerungen bringt, dass sie den Menschen in einen Wettlauf mit der Technik zwingt. Sie erklärten dies an Hand einiger Beispiele, z.B. den Wegfall von Arbeitsplätzen durch selbstfahrende Lastwaren. Sie meinten, dass uns eine schwere Zeit bevor steht, in er wir uns gegen die Technik bewähren müssen. Als ich die Thesen zum ersten Mal las, war ich wie elektrisiert. Ist es wirklich so, dass die Technik, vor allem die Informationstechnologie, uns gegenübersteht, ja sogar über uns steht und uns deshalb Angst einjagen sollte? Die These von beiden war, dass die Fortschritte der Informationstechnologie nicht nur unsere Arbeitsplätze kosten werden, sondern darüber hinaus letztendlich der gesamten Wirtschaft der USA, damit meinen sie natürlich auch den Rest der Welt, Schaden zufügen. Das bedeutet, das wirtschaftliche Wachstum wird beeinträchtigt und auch die, die sich noch als Gewinner der neuen Technologien wähnen, werden auf Dauer die Nachteile zu spüren bekommen. Sie zeigten darin auf, wo die Nachteile bekämpft werden können. Sie sehen sie dort, wo sie offen sichtbar sind. Wo die Informationstechnologie durch ihren technischen Fortschritt Menschen benachteiligt und sie verunsichert, muss mehr in ihre Bildung investiert werden. Beide rücken den Menschen in den Mittelpunkt ihres Textes und stellen ihn der Technik gegenüber. Der unternehmerische Geist und der individuelle Erfindungsreichtum soll gefördert werden, damit die Technik nicht den Menschen in die Knie zwingt. Die Aufgabe des Staates ist es, die technische und logistische Infrastruktur so zu verbessern, dass die durch die Bildung geförderte Kreativität Gestaltungsraum bekommt. Gesetze und Steuern müssen den neuen technologischen Anforderungen angepasst werden und bestimmen auch den Freiraum des Einzelnen. Brynjolfsson und McAfee ersetzten den gefährlichen Gegensatz von Mensch und Technik durch eine Win-Win Situation. Der Mensch erhält Freiheit, Arbeit, technologischen Vorsprung und eine bessere Welt. Die Technik gewinnt, weil sie vom Menschen vorangetrieben wird und nicht verteufelt. Im Grunde geht es bei diesem gemeinsamen Rennen, so ihre Interpretation, darum, nicht gegeneinander zu laufen, sondern miteinander. Der Abstand zwischen Mensch und Technik darf nicht zu groß werden.

Die Schrift hat mir sehr viele Kopfschmerzen bereitet, denn einerseits hat sie einen wichtigen Kern, unsere Abhängigkeit von Technik getroffen. Und andererseits werde ich das Gefühl nicht los, dass die darin angegebenen Ratschläge und Analysen nur in eine bestimmte Richtung argumentieren. Sie verstehen Technik als eine Sache, die uns gegenüber steht und wie wir als Einzelpersonen uns verantwortlich den Herausforderungen durch sie stellen können. Mein Eindruck ist, dass sich in der Tiefe dessen, was wir in unserem Verhältnis mit der Informationstechnik nicht verstehen, weitaus mehr befindet, als das was uns aus den Interpretationen aus diesem eBook anschaut.

Das nachfolgende Essay ist meine Antwort auf die aufgerissenen Fragestellungen. Da ich kein Wissenschaftler bin und beruflich keine Zeit habe, mich diesen Fragen ausgiebig zu widmen, kann ich nicht in jedem Fall eine ausgiebige Analyse zum Ausdruck bringen. Doch ich werde mir Mühe geben, die Begrifflichkeiten klar dazulegen und gut zu begründen. Ich habe keine formelle Institution, wie z.B. eine Universität, die mir den Rücken stärkt, mir aber auch meine Unabhängigkeit nimmt. Ich werde Lebenserfahrung und Beschaulichkeit einbringen und jederzeit meine Äußerungen an ihrer pragmatischen Seite messen. Gleichzeitig habe ich größtenteils auf Zitate verzichtet um Urheberschutzfragen zu umgehen. Trotzdem wird ein großer Teil Theorie zu meinen Ausführungen gehören. Vor allem die Urtexte von Bourdieu und Luhmann habe eine sehr eigene Eloquenz und ich lege es jedem Leser nahe, der tiefer darin Einblick sucht, sich einzulesen. Es lohnt sich in jedem Fall durch die Tiefe der Gedanken und Bilder. Mir ist bewusst, dass Lebenserfahrung kulturelle Eingebundenheit, Einstellung, Charakter und eingenommene Rolle bedeutet. Ich halte es für ehrlicher meine Meinung direkt zu äußern, als dass ich einen stringenten logischen Zusammenhang abbilde, der den Leser zwingt auf diese Logik einzugehen. Und ihn auch zwingt, über die darin eingekapselte Verweigerung meines persönlichen Urteils zu schweigen, - weil es nicht in den argumentativen Rahmen des fachlichen Diskurses passt. Ich bin der Überzeugung, dass wenn ich weiß, dass es neben dem sachlichen auch einen persönlichen Rahmen gibt, so darf ich auch darüber reden. Doch dazu später, wir sind schon richtig in der Diskussion dessen, was technische Argumentation bedeutet und wo Individualität darin zu finden ist. Noch einen Schritt weiter und wir müssen die Frage stellen, was Technik und Sprache überhaupt ist. Und was Freiheit und Subjektivität damit zu tun haben...

Es liegt jetzt fast 2 Jahre zurück, dass ich den Text von Brynjolfsson und McAfee gelesen habe. Mittlerweile gibt es ein weiteres Buch(1), wo sie ihre Thesen erhärten und versuchen den gesellschaftlichen Weg der modernen Technik mit den Möglichkeiten der Menschen zu verbinden. Es wird weiterhin die Frage gestellt, was die Technik mit uns macht und welche Möglichkeiten sie uns gibt. Ich frage mich, kann man die Folgen der Technik, mit ihrer Risikobereitschaft und den Datenschutzproblemen so wirklich auf den Grund gehen, indem man sich ihre technischen Möglichkeiten ansieht und den Menschen darin sucht? Es ist doch in beidem, in den gesellschaftlichen Möglichkeiten, wie den Problemen Informationstechnik enthalten. Die Frage ist, wie hängt die Zukunft des Arbeitsmarktes und die Whistleblowerskandale zusammen. Da ich aus dem informationstechnischen Bereich komme und dort einen guten Überblick habe, waren meine Ambitionen zuerst die Fragen die Brynjolfsson und McAfee aufgeworfen haben, technisch zu beantworten. So zum Beispiel, wie kann Bildung gefördert werden, dass die Menschen verstehen, was die Technik ihnen bieten kann? Wie müsste eine Schulstunde aussehen, das meine Kinder verstehen, wie Computer aufgebaut sind, und wie sie deren Vorteile benutzen und Nachteile vermeiden können? Welche Möglichkeiten bestehen darin soziale Netzwerke zu nutzen oder gar, wie kann ich so ein Netzwerk für mich aufbauen und später beruflich verwenden? Wie sieht meine Zukunft aus, wenn ich das, was ich lerne verwende und wie kann ich anderen damit helfen? Wie kann ich mit Computertechnik kreativ sein, Spaß haben und gleichzeitig gutes Geld verdienen? Was müsste ein Politiker tun, um die Informationstechnik zu fördern und um wieder neue Arbeitsplätze zu schaffen? Wie sieht das WEB 3.0 aus? Wer programmiert das nächste soziale Netzwerk, das 1 Milliarde Mitglieder haben wird und denjenigen, der es erschafft, damit unübersichtlich reich machten wird?

Ist es wirklich so, dass wir uns nur auf die neue Technik einstellen müssten und wir verstehen alles? Wir müssen die Technik nur richtig verstehen heißt es. Doch warum handeln Menschen so mit der Technik zusammen? Es ergibt sich aus den Fragen keine richtige Antwort und ich bewege mich im Kreis. Ich versuche technische Probleme mit technischen Fragestellungen zu beantworten. Aber dem Dahinterliegenden der Technik komme ich nicht näher. Solange ich die Informationstechnik aus ihrer eigenen Warte heraus anschaue, werde ich nur Fragen stellen können, die technisch zu lösen sind. Aber ich kann weder eine Antwort darauf bieten, was Technik tiefer überhaupt bedeutet und warum sie uns gegenüber steht. Ja sogar, was dieses Gegenüber überhaupt bedeutet, darauf habe ich keine Antwort. Ich werde die technischen Fragen verlassen müssen und mich mehr dem Menschen zuwenden. Denn eigentlich geht es bei der Technik nicht um die Technik als Selbstzweck, sondern um uns, um die Menschen. Technik alleine bewegt sich weder, noch entwickelt sie sich weiter, noch wäre sie überhaupt ohne uns da. Wir bedienen die Technik und füllen sie mit Leben. Das gilt es zu ergründen.

Es stellt sich daraus die Frage, was Technik ist und wie sie mit uns Menschen zusammenarbeitet? Und wo die Konflikte liegen und wie sie entstehen? Betrachte ich die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik sehe ich nicht nur Anwendungen, Spaß und Gadgets. Sondern genau besehen sind dort auch jede Menge Konflikte. Ein Handy, dass in meiner Hand liegt und mit dem ich einen lustigen Beitrag eines Freundes über Facebook empfangen habe – hat vielleicht bei dem letzten Modellupdate Tausende von Arbeitsplätzen gekostet, weil die Fabrikationsanlagen in ein anderes Land verschoben wurden. Dort arbeiten Menschen und bauen mein Handy zusammen, unter Arbeits- und Lebensbedingungen, die in meinem eigenen Land sofort zu Fabrikschließungen, Arbeitnehmerklagen, journalistischen Nachforschungen, Armutsstatistiken, politischen Auseinandersetzungen und Amtsenthebungen führen würden. Ein Teil der Metalle wird aus Ländern exportiert, wo Krieg herrscht und die kriegführenden Parteien Nutzen davon haben, das ich Spaß mit meinem Handy habe. Kinder arbeiten an den Rohstoffen unter Arbeitsbedingungen, die wir uns in unserer westlichen Welt kaum vorstellen können oder sehen wollen. Pro Computer fällt in den Dritte Welt Ländern soviel Müll an, dass aus unserer Gesundheitsverantwortung her, wir die Computer dort eigentlich gar nicht bauen lassen dürften.

Die Informationstechnologie hat zwei Seiten. Die globale Verbindung über das Internet und die globale Verbindung über die Produktions- und Vertriebsnetzwerke, die Rohstofftransporte und Märkte. Das was wir als moderne Technik bezeichnen, funktioniert nur über weltweite Verbindungen und definiert sich geradezu daraus. Wirtschaftliche Verbindungen, Konflikte, Krieg und Informationsaustausch liegen sehr nahe in ihren Auswirkungen beieinander.

Doch nicht nur die Produktion und der Vertrieb von Informationstechnologie schafft Konflikte. Technische Großprojekte sind wirtschaftlich und technisch kaum noch einschätzbar, wenn sie in Verbindung mit Informationstechnologie stehen.

Es geht darum, wie lassen sich die Konflikte lösen und beheben? Wo genau liegen sie? Die Informationstechnologie baut bei komplexen technischen Anlagen ein Sicherheitsgefühl auf, das sie in Wirklichkeit kaum halten kann. Die Sicherheitseinschätzung eines Kernkraftwerks kann nicht auf der Sicherheit von Computertechnik gründen. Sondern es sind immer Menschen, die in der Verantwortung stehen. Mit Hilfe der Technik ist es möglich Risiken aufzuteilen, zu verschleiern oder der Technik die Verantwortung aufzubürden. Schon im kleinen, wenn wir dem Computer gegenüber, wie einem Menschen gegenüber, persönlich werden und ihn beschimpfen – oder im Großen, wenn es um die Frage geht, war es menschliches Versagen oder technisches Versagen was zum Unglück in Fukushima führte? Geschichtlich gesehen sind wir zu jeder Zeit mit Handwerkszeug oder Technik Risiken eingegangen. Doch wem muss ich die Verantwortung zurechnen bei einem Großprojekt, was vielleicht im Fehlerfall Tausende von Leben kosten kann? Wo aber auch Tausende mitgearbeitet haben und niemand dabei ist, der noch alle Funktionen überblicken kann. Hier wird Risiko durch die Größe von technischen Projekten nur noch politisch verwaltbar, weil niemand mehr das allein fachlich verantworten kann.

Überall sind die Konflikte der Technik sichtbar und ihre Risiken offensichtlich. Jeder, der sich umschaut findet sehr leicht Konflikte, die sich aus der Technik heraus entwickelt haben. Überall geht es um Individuen, technische Prozesse und paradoxe Situationen. In meinen Umfeld, wenn ich mich frage, warum das papierlose Büro mehr Papier produziert? In meinem weiteren Bereich, wenn ich mir die Frage stelle, ob Elektroautos wirklich energiesparend und umweltschonend sind? Oder ob uns das zwingt höhere Risiken beim Kernkraftwerksbau einzugehen? Und letztendlich Global, wenn mir über den NSA Skandal bewusst wird, wie fragil die Sicherheit im Netz ist und wie schnell nationalistische Reaktionen einer fernen Großmacht plötzlich vor meiner Haustür – oder sogar in meinem Haus – stattfinden.

Wenn wir die Konflikte die ganze Zeit vor uns haben, so ist die Frage die sich stellt, wie wird damit umgegangen? Ein Beispiel: Der deutsche Innenmister Friedrich sagte nach seinem Besuch der USA zur der NSA Sicherheitsaffäre, dass Sicherheit höchstes Grundrecht in Deutschland ist. Höher wie alle anderen Grundrechte. Diese Aussage vermischt zwei Bedeutungen von Sicherheit ganz bewusst aus strategischen Gründen. Einfach um den Unterschied unsichtbar zu machen. Dabei ist er evident. Die Sicherheit, die ein Staat braucht um autonom handeln zu können, wird gleichgesetzt mit der Sicherheit, die ich als Individuum brauche, um frei zu sein. Beides gehört nicht zusammen, sondern bedingt sich gegenseitig. Nur das eine ist ein individuelles Grundrecht. Das Sicherheitsbedürfnis eines Staates ist nur eine Folge des Sicherheitsbedürfnisses seiner Mitglieder und keine Begründung für deren Einschränkung. Individuelle Sicherheit bedeutet auch Freiheit. Staatliche Sicherheit dient nur der Sicherung individueller Sicherheit in der Zukunft. Für den Einzelnen ist es immer eine Einschränkung. Wer beide Punkte vermischt, teilt seine eigene Persönlichkeit auch auf 2 Weisen auf. Einerseits möchte er die eigene persönliche Freiheit der Meinungsäußerung geltend machen und andererseits ist es in der Aussage klar, dass die Einschränkung der persönlichen Freiheit anderer legitim ist. Eine typische, suggestiv wirkende rhetorische Redewendung und ein paradoxer Satz ganz im Sinne von Watzlawick. Vom Anspruch her, fällt mir das schwer noch mit Demokratie zu verbinden. Es dient wahrscheinlich eher der eigenen politischen Karriere.

Gerade eben, im vorherigen Absatz, habe ich auch einige Urteile abgegeben, um etwas sehr wichtiges als Beispiel aufzuzeigen, nämlich, dass eine Diskussion über die Verbindung von Mensch und Technik nicht technisch – fachlich entschieden werden kann. Denn Urteile lassen sich nicht technisch entscheiden! Sie sind immer zutiefst menschlich. Die Diskussion muss menschlich entschieden werden, über geschichtliche und soziale Hintergründe. Technische Urteile beziehen immer Fach, Funktion und Wert bezogene Ansichten mit ein. In der Diskussion der Beziehung von Mensch und Technik geht um Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanweisungen in ihrem Konflikt. Um das: „Was soll ich tun?“ Um die Frage: „ Wie beeinflusst mich Technik und wie kann ich trotzdem damit umgehen, auch wenn es um globale Prozesse geht?“

Doch was bedeutet das für unsere Urteile über die Technik? Und wie können wir daraus unser Handeln ableiten? Wenn wir über Handlungen urteilen und das, was wir tun sollen, bezieht die Diskussion ethische Gesichtspunkte mit ein. Die Frage nach dem Umgang mit Technik wird plötzlich zu einer Frage auf der Ebene der Ethik. Wenn ich die Frage nach der Technik nicht auf technische Weise beantworten möchte, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellen, sind die Aussagen, die daraus entstehen ethische Aussagen. Die Frage nach der Technik und ihrem Umgang ist letztendlich eine ethische Frage, weil die Frage nach dem Umgang mit der Technik in die Frage mündet, wie werden wir selber mit uns umgehen. Ethik bedeutet, wir müssen uns Gedanken über unsere Handlungen machen und deren Zusammenhang mit Technik.

Die Erkenntnis, dass wir persönlich urteilen müssen, ist sehr wichtig. Es stellt sich auch die Frage, worüber wir urteilen? Wir urteilen über unseres technisches Denken. Aber was ist das genau?

In jeder von den folgenden Fragen tauchen die Ursprünge technischer Denkweisen auf: „Wie kann ich etwas am besten erreichen?“, „Wie funktioniert das?“, „Was kann ich von mir erwarten um das noch besser zu verstehen?“, „Ich sehe ein Problem vor mir, also muss ich wie handeln?“. Es geht um Funktionalität, Kausalität und Subjektivität. Die Frage nach dem Umgang mit Technik muss wissen, was diese Fragen bedeuten, sie muss aber auch den Menschen sehen, denn letztendlich ist Technik ohne Menschen unmöglich. Auch wenn es so erscheint, als wenn viele menschliche Tätigkeiten schon von Maschinen erledigt werden können, ja sogar ein Teil der Denk- und Sinnesfähigkeiten erlangt haben. Forscher erwarten den selbstdenkenden Computer in wenigen Jahren. Doch wir müssen uns bewusst werden, was das bedeutet! Je moderner die Technik ist, je mehr Menschen in einem technischen Verbund zusammen arbeiten, um diese Technik zu ermöglichen, desto unübersichtlicher wird es für den einzelnen!

Zur Größe und Unübersehbarkeit technischer Produkte möchte ich ein Beispiel geben. Um ein Rad an einen Wagen zu montieren, reichen vielleicht ein paar Tausend Menschen aus. Nicht nur der Schmied, Wagenlenker, Reiter und Holzfäller ist damit gemeint. Sondern es gehören dazu noch mehrere Siedlungen, die diese Technik weitergeben können, über Generationen weiterentwickeln. Es gehören Menschen dazu, die sich Gedanken über runde Gegenstände und deren Funktion machen können. Es gehören Menschen dazu, die andere dazu anleiten können, so etwas zu entwickeln, zu bauen, zu pflegen und zu kaufen und tauschen. Es gehören Menschen dazu, die die Notwendigkeit von etwas besserem verstehen und es gehört eine technische Infrastruktur dazu, die es ermöglicht Neuerungen in bestehende Arbeitsabläufe zu integrieren und Techniken, die es erlauben, überhaupt so etwas zu bauen. Und es gehört eine soziale, politische und gesellschaftliche Struktur dazu, die es ermöglicht Arbeitsabläufe rund um die Entstehung, der Verbreitung und Verbesserung des Rades, stabil auf Dauer zu etablieren. Und das nur zu so etwas einfachem wie ein Wagenrad. Ich weiß nicht, ob es vielleicht zu gering gegriffen ist, mit ein paar Tausend Menschen. Vielleicht braucht es mehr dazu.

Denken wir weiter, denken wir an Schusswaffen, mehrstöckige Häuser, Antibiotika, Autos, Flugzeuge und letztendlich Computer. So wird klar, dass zum Bau eines einzigen intelligenten Gehirns wahrscheinlich Millionen und sogar Milliarden von Menschen notwendig sind. Es geht hier um die notwendige Infrastruktur, die benötigt wird, um so etwas zu bauen. Nicht um den einzelnen Forscher, der vielleicht der noch nicht ganz funktionierenden Rechenlogik, aufgrund seiner Erfahrung und seiner Eingebung, einen neuen Algorithmus hinzugefügt hat. So dass der letzte Schritt zur Intelligenz im Programm gewagt werden konnte. Wobei dieser Forscher wahrscheinlich auf hunderte Menschen in seiner Umgebung Zugriff hat und mit ihnen Erfahrungen und Erkenntnisse diskutieren kann. Und auf den Schultern von ganzen Generationen von Forschern steht.

Hier wird klar, das moderne Technik nicht mehr national begrenzt werden kann. Heutige Technik ist immer global und ohne Begrenzung, weil sie in ihrer Dimension die Basis der Wirtschaft und Wissenschaft von Millionen oder Milliarden Menschen auf der Erde benötigt. Kein einzelnes Land, auch keine Großmacht, könnte sich so von alleine auf den Stand der heutigen Technik entwickeln, wie es heute Bestand hat.

Wie komme ich auf den Begriff virtuelle Ethik? Es geht mir im Begriff der Virtuellen Ethik darum eine Änderung unserer Sicht auf Technik herbeizuführen. Es geht um die Frage, was bedeutet für uns Technik und wie funktioniert der Umgang mit ihr? Es geht darum, wie uns Technik verändert und was sie aus uns macht. Und wo der Unterschied ist in unserem Umgang mit der neueren Informationstechnik.

Das möchte ich mit dem Konfliktbegriff näher erklären. Wo Konflikte auftreten, taucht mit der modernen Technik eine neue Sichtweise auf. Ob in erhöhter Risikobereitschaft, wo Kompromisse durch Diskussion nicht mehr verhandelbar sind oder in angstvollen Sicherheitsbedenken, ja in Kriegen, wo es um die „gerechte“ Versorgung mit Gütern und Werten geht. Da technische Artefakte eine globale Infrastruktur benötigen, ist diese natürlich auch in ihrer Benutzung sichtbar. Kein orthodoxes, islamische, buddhistisches oder christliches Land kann sich soweit von der Benutzung technischer Artikel emanzipieren, dass demjenigen, der die Technik benutzt, nicht ein klein wenig dieser Sichtweise offenbart wird, die benötigt wurde, um diesen technischen Artikel zu erschaffen. Kurzum es ist überall! Es ist sozusagen mit eingebaut. Den Umgang damit nennt man normalerweise Know-How und ist beim Begreifen von Technik unabdingbar. Ob es um Motoren geht, um Antriebe, um Radar, um ein Handy oder um das Verstehen wirtschaftlicher Prozesse, überall wird mit dem technischen Artikel Kultur transportiert und in Personen integriert. Gerade das ist ja das schöne an der modernen Technik. Ein Automotor kann auch am Rande der Welt in einem kleinen Dorf repariert werden, wenn die Funktionalität begriffen wird. Gleichzeitig ist in dem Motor aber noch die Handhabung von Werkzeugen, von Stahlbearbeitung, die Lagerung von Brennstoffen, die Erlangung von Mobilität usw. erkennbar. Wer nichts von Motoren versteht, sich aber in die Funktionalität eines Motors eindenkt und versucht dieses Ineinandergreifen von Einzelfunktionen zu begreifen, wird danach ein anderer Mensch sein. Er hat die Funktion begriffen. Und ein Teil von der Kultur, die dahinter liegt. Es wird ihm nahe liegen, Dinge nun auch eher so sehen zu können, wie sie als Funktion von etwas begriffen werden können. Plötzlich wird, für den, der den Motor begriffen hat, die Situation auf dem Markt beim Handeln, eine Diskussion über Religion oder die Diskussion darüber, wie das Essen zu bereiten ist – von einer anderen Seite angeschaut. Die Betrachtung technischer Artikel ändert die Menschen. Technik ist nicht nur innovativ, sondern auch eine Intervention. Kein Wunder, wenn die Globalisierung so schnell fortschreitet. Jeder technische Artikel, der gebraucht wird, transportiert auch noch Kultur. Ein Motor ist nicht nur ein in sich bewegender Metallblock, der Benzin verbraucht und kreisförmige Bewegungsenergie abgibt. Nein, sondern er ist auch Ausdruck der Kultur, die ihn gebaut hat. Gemeinschaften, wie die Amish People oder Hutterer haben das Abgrenzen von Technik als Abgrenzung von Kulturen schon lange begriffen und es praktiziert. Viel schneller und noch offensichtlicher passiert die Übertragung von Kultur beim Umgang mit Computern, Telefonen oder im Internet. Derjenige, der Technik nützt, hat wenig Einfluss darauf, zu bestimmen, welche Einflüsse von Kultur er bei sich zulassen möchte oder nicht. Der einzige Ausweg ist die Nichtbenutzung von Technik. Bei einem Motor wird es vielleicht nicht so schnell klar, aber im Internet ist es offen sichtbar, dass die Einflüsse, denen ich ausgeliefert bin, nicht mehr einer Person zugerechnet werden können. Den Motor habe ich vielleicht von jemand gekauft. Ich kann ihn spüren und riechen, er hat Charakter in seinen Geräuschen, wenn er läuft. Und der Motor braucht Zuspruch. Er hat auch etwas persönliches an sich. Aber eine Software, auch wenn ich auf sie angewiesen bin und wenn ich die Dame von der Hotline kenne, bleibt unpersönlicher. Ich kann sie nicht greifen und sehe nur ihre Auswirkungen. Im Computer passiert etwas, ich habe etwas gelernt und gesehen, ich bewege mich darin, aber es ist unpersönlich und drückt sich nur als Funktion gegenüber meiner Welt und meiner Person aus. Ich bewege mich plötzlich in einer Welt, die nicht meiner wirklichen Lebenswelt entspricht. Frankensteins Monster wird noch wie eine Maschine aus ehemals lebendigen „Alt“teilen gebaut. Der Maschinenmensch Maria aus Metropolis hat schon mehr Seele, sie wird aus einer Maschine und dem Kontrapunkt der in der Unterwelt zu funktionierenden Arbeitern gebaut. Sie ist Mensch, Frau und Maschine. In „Der Matrix“ wird die Abhängigkeit von der in der Technik versteckten Kultur so weit offen gelegt, dass zwischen Realität und Maschinenwelt nur noch die Entscheidung zwischen zwei farbigen Pillen den Unterschied macht. Ich denke die Leser oder Zuschauer haben sehr genau den Sinn dieser Bilder verstanden, denn sie sind es ja, die den unsichtbaren Einfluss der Technik jeden Tag spüren. Und nicht umsonst sind die darin enthaltenen Szenen blutig. Sie finden Entsprechung bei den Erfahrungen der Menschen mit der Technik. Die Technik greift in unser Leben ein. Für das Individuum wird Technik als brutal empfunden, als gewalttätiger Akt, der es im Innern verändert. Und das durch eine unpersönlichen Maschine, in einer Welt, die man nur lückenhaft versteht.

Das ist das Unheimliche der Technik, nicht dass sie funktioniert, sondern dass sie uns zwingt über das Nichtfunktionieren hinweg zu sehen. Wir müssen den Widerspruch in der Technik verstehen lernen, der zu den Konflikten führt und unsere Sichtweise darauf ändern. Die Ethik des Informationszeitalters ist virtuell, weil es immer schwieriger wird, den Menschen zu finden, der mir den technische Eindruck vermittelt hat. Das Funktionale wird zum Unpersönlichen in der Technik. Und in einer Ethik, der es darum geht, gemeinsam unter Menschen Handlungen zu begründen, wird es schwierig überhaupt einen Partner für die Unterhaltung zu finden. Deswegen wird die Technik als ein Gegenüber empfunden. Der Mensch kann nicht mit der Technik reden, obwohl er doch eigentlich die Technik begründet hat. So wird die Technik auch als etwas Fremdes, Anderes empfunden. Etwas mit dem man in ein Wettrennen treten muss. Die Aufgabe einer virtuellen Ethik ist es eine Diskussionsgrundlage zu finden, die es ermöglicht Handlungsleitlinien zu eröffnen, ohne die Technik zu verteufeln oder Technik als etwas anderes, nicht menschliches zu sehen. Ist die Technik doch menschliches Kulturgut und in jedem Fall in eine Ethik zu integrieren. Das Verstehen einer virtuellen Ethik gelingt nur, wenn wir verstehen können, wie Technik auf dem Menschlichen aufbaut. Und wie die Technik den Menschen beeinflusst und formt.

Das neue in der Technik ist das Virtuelle. Was ist das? Das Virtuelle wird in einfachen Techniken kaum sichtbar, nur in Medien, die offensichtlich Kultur übertragen und gleichzeitig auch Artefakte der Technik sind. Dort ist es zuerst spürbar. Aber in der Computertechnik, die sehr schnell, bildhaft und akustisch uns gegenüber reagieren kann, ist es offensichtlich. Wir fühlen uns dem Virtuellen lustvoll ausgeliefert, weil es eine visuelle und akustische Demonstration von Macht und Schönheit ist. Aus diesem Grund heraus ist virtuelle Ethik auch eine Ethik des Informationszeitalters und ihre Hauptaufgabe sehe ich darin Konflikte, die durch die Informationstechnologie begründet werden, transparent zu machen und dort Handlungsoptionen aufzuzeigen. Diese Sichtweise vertrete ich auch, weil ich glaube, dass der jetzige Stand der Informationstechnologie nur ein ganz geringer Anfang ist, von dem, was in der Zukunft unsere Kulturen global noch verändern wird. Es geht um die Frage, wie sollen wir in der Zukunft miteinander und mit der Technik umgehen?

Die Diskussion über den Zusammenhang von Mensch und Technik findet nicht nur in ethischen Dingen statt, sondern bezieht immer den Aspekt des kulturellen Einflusses, von Dörfern, Völkern, Nationen und heute der globalen Welt mit ein. Der Diskurs darüber kann nur ein Diskurs über die Ethik des Virtuellen sein. Dem Diskurs geht es um die Handlungen von Menschen untereinander im machtvollen Handlungsverbund mit Maschinen auf globale Weise. Sinn und Begründung moralischen Handelns sind nicht mehr möglich, ohne auf die Sprache der Technik zurückzugreifen. Technik als Kulturform begründet unser modernes Handeln und verbirgt sich in jeder Erklärung. Darum spreche ich von moderner Ethik als virtueller Ethik. Nicht moralische Regeln, Selbsterkenntnis oder logische Handlungszwecke begründen unser Tun, sondern die Verbundenheit des individuellen, verletzbaren und bewusst denkenden Menschen mit einer globalen alles vernetzenden Kultur des funktionalen Denkens. Virtuelle Ethik funktioniert nur über den globalen Diskurs.

Mein Versuch in diesem Essay ist das Aufzeigen der verschiedenen Ebenen auf denen Handlungen stattfinden und Konflikte entstehen können. Es geht darum Verständnis zu fördern, an welchen Stellen Sinn entsteht und wo Handlungen moralisch begründet werden können. Was bedeutet Moral heute noch für uns? Auf den ersten Blick erscheint unsere Welt als kulturell immer mehr ausdifferenzierend und nicht mehr in logischen Zusammenhang zu stehen. Die moderne technische Welt hat so viele Aspekte, dass es unmöglich erscheint, in einer Moral nur davon einen Teil zu integrieren. Einzelbestrebungen gibt es genügend, moralische Grundsätze zu begründen. Doch wer die sprunghaften technischen Fortschritte und die unüberschaubare Globalisierung anschaut, hat starke Zweifel ob Einzelbegründungen noch möglich oder gar erlaubt sind. Es sind zu viele. Sie begründen eher die Zweifel an einem einheitlichen Moralbegriff. Es steht die Frage im Raum, ob sich nicht jeder einer privaten Moral bemächtigen sollte. Einen individuellen Sinn, über Konsum und sinnliche Wahrnehmung, der den moralischen Bestrebungen anderer aus dem Weg geht. Mit einem Wort: postmoderne persönliche Ethik, die in einer Konsumgesellschaft natürlich gerne gesehen ist. Heißt es doch, lustvoll sich selbst zu geben – und nur noch zu konsumieren. Das ist unsere moderne Moral der Industriegesellschaft.

Ist die Ethik darin aber wirklich persönlich? Oder steht sie doch in einem globalen vernetzten Zusammenhang und entsteht aus vielen Einzelmeinungen? Die Kultur der Technik ist ein globaler Zusammenhang. Und einer Ethik, die sich mit der Technik beschäftigt, muss es zugesagt werden können, dass sie globale Urteile abgeben darf. Es geht darum einen Konsens oder einen logischen Zusammenhang über alle Meinungen zu finden. Aus diesem Grunde heraus stelle ich mir jetzt aus Selbstkritik einige Fragen am Anfang.:

Was erwarte ich persönlich von der Antwort nach einer Ethik und ist das vor allen anderen zu verantworten?

Kann die Antwort aus einem kulturellen Zusammenhang gerissen werden und gleichsam als Ersatzstück in eine fremde Kultur hineinversetzt werden, ohne ihren Sinn zu verlieren?

Bleibt die Antwort auch global gültig?

Ist virtuelle Ethik global pragmatisch einsetzbar?

Ich bin sehr gespannt, wie diese Antworten ausfallen werden.

Meiner Meinung nach ist Ethik heute nur möglich, wenn verstanden wird, was Technik bedeutet. Wie Technik in der Kultur eingebettet ist, wie das Individuum zu bewussten Entscheidungen kommt und was es bedeutet, wenn die Technik als globales Phänomen Einzel, Gruppen, organisatorische und nationale gesellschaftliche Entscheidungen prägt und beeinflusst. In Virtueller Ethik müssen wir uns davon verabschieden, Ethik aufgrund von moralischen Entscheidungen einzelner zu denken. Mag es Helden, Staatsführer oder weise Männer sein. Alle sind verdächtig. Wir müssen uns daran gewöhnen global zu denken und uns von uns selbst zu emanzipieren, vom Einzelnen. Ohne gleich unser Heil in Gott, Logik, Schmerz, Schönheit oder Glück zu suchen. Auch das ist verdächtig. Es geht um den Bestand dessen, was ist. Wir Menschen in einer funktional denkenden technischen durchwirkten globalen Welt, abgehoben vom einzelnen Bewusstsein.

Es ist nicht einfach, ein Urteil zu begründen, wenn der Mensch sich im virtuellen der technischen Welt auflöst. Hier beginnt die Schwierigkeit erst, denn wie kann ich an dieser Stelle überhaupt noch meine Meinung begründen? Und worin löse ich mich auf? Diese Frage gilt es zu beantworten. Virtuell bedeutet, dass ich mich mit meiner Meinung auflöse und mit der Technik verbinde. Wo soll sich darin noch ein begründbares Urteil bilden können? Das Essay ist die Antwort darauf.

2. Der Einzelne erwacht. „Ich denke, also bin ich.“

Folgend möchte ich einige Konzepte vorstellen, die es ermöglichen der Frage nachzugehen, was den Einzelnen ausmacht, was sein Bewusstsein oder seine Persönlichkeit eigentlich ist. Ich werde auf die Konzepte eingehen, die meiner Meinung nach, Stand heute, besonders in der Diskussion stehen und Einfluss nehmen. Kurz gesagt, was modern ist. Das darf nicht diejenigen kränken, die ich vergessen habe.

Kenneth J. Gergen schreibt in seinem Buch „Konstruierte Wirklichkeiten“ (2) bezüglich Descartes Schrift Discours de la Méthode, das Cogito ergo sum bedeutet, dass der Mensch sich aus dem Denkvorgang heraus gebildet hat. Demnach, dass das Denken in den Vordergrund geschoben würde, ist Autorität auf den Willen des Einzelnen nicht mehr zurückführbar. Für Gergen ist hier der Ansatz der Französischen Revolution und damit natürlich des modernen Denkens. Das Denken ersetzt den Willen des Einzelnen. Gergen, Begründer des sozialen Konstruktionismus und Vertreter einer konstruktivistischen Vorstellung von Kultur, geht in seiner Argumentation sehr vorsichtig vor. Er ist sich der Tragweite seiner Konzepte sicherlich bewusst, führt die Folgerungen aus seinen Ideen aber nicht konsequent weiter aus. Er schildert, was seiner Meinung nach möglich wäre und welche Auswirkungen es hat. Aber seine eigene Argumentation und seine Person integriert er darin nicht. Er bleibt als Erzähler außerhalb seiner geschilderten Welt, auch wenn er sich z.B. im Gespräch mit seinem Sohn versucht hinein zu bewegen. Seine Aussage ist, das jedwede Äußerung, jedes Gefühl und jede kulturelle Leistung durch soziale Verbünde konstruiert ist. Es ist eine Idee, aber wie sie stattfindet, darüber lässt er sich nicht aus. Und die Konsequenzen daraus werden uns sehr vorsichtig und diplomatisch offen gelegt.

Schauen wir doch mal nach, was das genau bedeuten würde. Wenn jedes Gefühl, auch der Schmerz sozial konstruiert ist. Wo bleibt da die Begründung einer Ethik? Denn sie müsste sich ja selbst begründen, sie wäre auch sozial konstruiert. Das Ganze fühlt sich an, wie Maschinen, die sich selbst bauen und so auch zu ihren Gefühlen kommen. Das er einen moderaten und warmen Ton einschlägt in seinem Buch und immer wieder ethische Konstrukte aufbaut – aus seinem Herzen her durch intellektuelle Worte begründet, lässt letztendlich nur Verunsicherung zurück. Ich denke, das Buch ist nur für starke Charaktere geeignet, die die Destruktion darin erkennen, aber wie Gergen eine gewisse Distanz dazu einhalten und es nicht auf sich wirken lasse. Die Erkenntnis prallt sozusagen an seiner eigenen kulturellen Verwurzelung ab.

Gehen wir doch einen Schritt weiter und fragen uns, wohin das führt? Wenn das Denken in den Vordergrund geschoben wird und die Autorität des Einzelnen zurückdrängt, stellt sich die Frage, worin besteht das Denken und was ist dagegen der Wille des Einzelnen? Wenn das Denken eine soziale Konstruktion ist, ist auch das denkende Sein, das Bewusstsein vom Wert des eigenen Ich's eine soziale Konstruktion. Der Wille des Einzelnen, der die Autorität will und nun zurückgedrängt wird, war schon immer eine soziale Konstruktion. Nie hat ein Herrscher allein eine Schlacht gewonnen oder ein Land besiegt. Es waren die Untertanen, die die Arbeit machen, die sich Vorteile (oder weniger Nachteile) versprechen, wenn sie der Autorität dienen. Das ist nichts anderes als eine gemeinsame soziale Vorstellung, die zum Handeln nötigt. Kurzum, eine soziale Konstruktion hat die andere ersetzt. Der Satz, „ich bin ich selbst und kein Untertan mehr“ hat eine revolutionäre Kraft in Gang gesetzt, die ganze Kontinente veränderte. Aber es ist nicht das Abschütteln einer Autorität gewesen, sondern die Konstruktion einer anderen Autorität. Das „Ich“ ist eine soziale Konstruktion von Autorität. Max Weber spricht davon, dass moderne Arbeitsweisen erst damit ermöglicht wurden. Die Verlagerung der Autorität ins Innere des Menschen gehen mit der Funktionalisierung von Arbeitern, Technik, Produktion und Bewusstsein Hand in Hand. Marx nennt das Arbeit, was bei Hegel noch im Geiste vor sich geht. Wir wissen das. Doch was ist das explosive am sozialen Konstruktionismus? Es ist das furchtbare im Konstruieren. Als wenn das funktionelle, das maschinenhafte, das technische Denken im sozialen tätig wäre. Der menschliche Umgang wäre wie in einem Uhrwerk und wir erschaffen daraus die Welt. Wir schauen genau hin und definieren gemeinsam, was wir sehen. Je genauer, desto zutreffender wäre es und am Ende hätten wir so etwas wie Whitehead's Prozess und Struktur. Wenn nicht Wittgenstein uns nicht vorher die Leiter wegstößt. (3) Die Vorstellung einer sozialen Konstruktion der menschlichen Kultur setzt gerade das Denken voraus, was durch die Technik erst erschaffen wurde. Das bedeutet, wir sind beim funktionalen Betrachten von sozialen Konstrukten auf einem Auge blind und schaffen einen Widerspruch zwischen eigenem Willen und der Willenlosigkeit innerhalb der Konstruktion.

Doch auch wenn ich mich hier ein wenig lustig mache, der Weltgeist Hegels, der sich in Arbeit umwandelt und nachher sich selber konstruiert, hat einen Kern der uns berührt. Den Kern dessen, was Geschichte bedeutet und wie wir ihn erleben. Nicht als etwas Einzelnes von uns, sondern als etwas, was wir mit anderen Menschen zusammen tragen. Das Geschichte, die scheinbar nur aus Auseinandersetzungen besteht und nicht aus glücklichen ruhigen Momenten, genauso ist wie die Flutmarken in den Häfen. Hier steht auch nicht, wann das Meer ruhig war, sondern jeder Strich zeigt uns, wann dort Menschen Angst hatten und ihr Leben gelassen habe. Das Leben zeitigt nicht bis zum Tode. Das ist Egoismus. Sondern die Zeit besteht aus Wendemarken, die aufzeigen, wo soziale Konstrukte sich verändert haben.

Wenn der Einzelne ein soziales Konstrukt mit seinem Bewusstsein ist, dann muss ich mir die Frage stellen, was erlebe ich dann die ganze Zeit? Und habe ich ein Recht darauf „Ich“ zu sagen? Ist da noch etwas, was mich als Einzelner ausmacht? Versuchen wir uns ein wenig von den Konstrukten zu lösen, auch wenn die Idee, die dahinter liegt einiges an Attraktivität hat. Sie erklärt, wie Menschen zusammen etwas erschaffen, ohne das Gott es gewollt hätte oder ein König befohlen. Im Konstruktionismus fehlt der Inhalt de Kultur, wie wir ihn ganz praktisch erleben.

„Für alles Weitere stelle ich mich also auf den Standpunkt, dass die Aggressionsneigung eine ursprüngliche, selbständige Triebanlage des Mensch ist, und komme darauf zurück, dass die Kultur ihr stärkstes Hindernis in ihr findet. Irgendeinmal im Laufe dieser Untersuchung hat sich uns die Einsicht aufgedrängt, die Kultur sei ein besonderer Prozess, der über die Menschheit abläuft , und wir stehen noch immer unter dem Banne dieser Idee. Wir fügen hinzu, sie sei ein Prozess im Dienste des Eros, der vereinzelte menschliche Individuen, später Familien, dann Stämme, Völker, Nationen zu einer großen Einheit, der Menschheit zusammenfassen wolle. Warum das geschehen müsse, wissen wir nicht; das sei eben das Werk des Eros. Dieser Menschenmengen sollen libidinös aneinander gebunden werden; die Notwendigkeit allein, die Vorurteile der Arbeitsgemeinschaft werden sie nicht zusammenhalten. Diesem Programm der Kultur widersetzt sich aber der natürliche Aggressionstriebe der Menschen, die Feinseligkeit eines gegen alle und aller gegen einen. Dieser Aggressionstrieb ist der Abkömmling und Hauptvertreter des Todestriebes, den wir neben dem Eros gefunden haben, der sich mit ihm in die Weltherrschaft teilt. Und nun, meine ich, ist uns der Sinn der Kulturentwicklung nicht mehr dunkel. Sie muss uns den Kampf zwischen Eros und Tod, Lebenstrieb und Destruktionstrieb zeigen, wie er sich an der Menschenart vollzieht.(wahrscheinlich mit der näheren Bestimmung: wie er sich von einem gewissen, noch zu erratenden Ereignis an gestalten musste.) Dieser Kampf ist der wesentliche Inhalt des Lebens überhaupt, und darum ist die Kulturentwicklung kurzweg zu bezeichnen als der Lebenskampf der Menschenart. Und diesen Streit der Giganten wollen unsere Kinderfrauen beschwichtigen mit dem "Ejapopeia vom Himmel". (Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Ende Kapitel VI, 773ff. Kindle Edition)

Eros und Todestrieb führen zu Narzissmus, Objektliebe, Zerstörung und Aggression. Die kulturelle Unterdrückung der Aggressionsneigungen der Menschen führt zum Über-Ich, zum Kampf von Über-Ich und Ich im Gewissen des Menschen. Mensch und Kultur werden von Freud in Konstruktionen zusammengeführt. Auch in der Kultur entwickelt sich ein Über-Ich und Ich mit Gewissen, das versucht die menschlichen Regungen zu beeinflussen, die Moral zu bilden. Für Freud ist Kultur eine Einschränkung der Triebe des Einzelnen. Im Kampf dieser Triebe entwickelt sich die Kultur. Der Einzelne ist nur ein Teil dieser Entwicklung. Was er spürt ist seine Aggression, Liebe, das was als Kampf sich in ihm ausmacht. Auch in sich ist für den Einzelnen nicht alles sichtbar. In Gewissen und Schuldgefühlen kämpfen Dinge miteinander, die der Mensch nicht überblickt. Im Grunde ist der Einzelne der Kultur und seinen Trieben ausgeliefert. Er kann funktionieren oder nicht. Er kann verdrängen, wie die Kultur etwas verdrängen kann. Und beide können neurotisch werden. Und beide können behandelt werden.

Auch hier ist der Zusammenhang zwischen Kultur und Individuum funktional gedacht. Mensch und Kultur können funktionieren – oder nicht. Im Gegensatz zu Gergen ist Freud auf der Bewusstseinsebene differenzierter. Was bei Gergen diffus verborgen ist, die Entstehung des Bewusstseins, welches in der Kultur konstruierendes Element ist, enthält bei Freud symbolische Elemente, die in Beziehung stehen. Das Ich steht zwischen Es und Über-Ich und versucht auf deren Forderungen einzugehen. Libido, Verbote, Werte und Bedürfnisse wirken auf es ein.

Ich, Es und Über-Ich sind Versuche der Bestimmungen einer nicht ganz verstandenen Funktion im Menschen. Und es scheint, dass sie ähnlich wie in der Quantenphysik Symbole für etwas sind, wo wir sehen, dass was passiert. Aber im Grunde wissen wir nicht, was sich da im Inneren wirklich befindet. Wir nähern uns der Lösung durch Symbole mit passenden Assoziationen an. Ich, Es und Über-Ich sind ähnliche Bezeichnungen wie Spin, Farbladung und Masse. Es sind statistische Aufkleber auf etwas, wo wir nicht mehr hinschauen können. Und genauso wie bei den Quantenzuständen, wenn wir sie beobachten, ändert sich etwas bei den Menschen, wenn wir mit ihnen reden. Das ist das Gesetz von Beobachtung und Wechselwirkung. Genauso in der Physik wie im sozialen Raum. Wir beobachten ein einzelnes Individuum, wie ein einzelnes Teilchen und stellen uns vor, dass wir, wie bei einer Billardkugel nur etwas anstoßen müssen und das Teilchen strebt in eine Richtung. Der Mensch verhält sich für uns kausal. Das ist das funktionale Denken, das uns die Technik erst möglich gemacht. Und das bestimmt auch unser Denken in Sozialtechniken. Mit Regeln wie Kausalität, Linearität und mathematischen Beziehungen. Doch, wenn man genauer hinschaut, gibt es weder das einzelne Teilchen noch das menschliche Individuum alleine. Das ist nur eine symbolische Vorstellung um die Singularität handhabbar zu machen. Die Vorstellung dessen, was wir uns denken und dem was sich um uns herum abspielt, sind nicht dasselbe. Sie zeigen nur, das eine Wirkung von mir erklärbar zu einer Reaktion von Außen führt. Die Erklärung bezieht sich auf das funktionale Denkmodell, nicht auf die Wirklichkeit. Gibt es wirklich ein Ich irgendwo in einem Menschen? Oder ist es etwas, was im Sprechen eines einzelnen Bewusstseins in der Gemeinschaft erst stattfindet und gleich wieder verfällt? Das was wir sehen ist ein Denkmodell, was sich andere in der Geschichte angeeignet haben. Was sich in der Wissenschaft, wie den Therapiemodellen der Psychologie einen Platz genommen hat. Was in den Köpfen derjenigen, die behandelt, wie erforscht werden, festgesetzt hat. In der Therapie einigt der Kranke sich mit dem Arzt in einem Diskurs darauf, was es sich mit dem Ich des Patienten auf sich hat. Das funktioniert, weil in dem Modell der Psychotherapie, über das Arzt – Patienten Verhältnis in den gehaltenen Stunden, Interventionen in den Patienten integriert werden. Das Modell wird zu einem gemeinsamen Modell von Arzt und Patient. Die Krankheit wird sozusagen konstruiert und kann damit repariert werden. Nur in dem der Patient das zulässt und in sich Funktionen erkennt, kann er auf diese eingehen und sie verändern. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Psychotechnik. Atomteilchen sind leider nicht in der Lage Denkmodelle zu integrieren. Bei Experimenten mit diesen sind wir daher darauf angewiesen durch Versuch und Irrtum deren Funktionsweise zu verstehen. Und der Welle – Teilchen Dualismus zeigt nichts anderes, als die Unmöglichkeit des funktionellen technischen Denkens sich von der Kausalität zu lösen. Es müssen funktionelle Ersatzprogramme gedacht werden, um doch zu einer zutreffenden Beschreibung zu kommen. Da berühren wir, wie in der menschlichen Psyche, die Grenzbereiche des logischen Denkens. Es wird immer schwieriger die Grenzen zu überschreiten, weil unser funktional, logisches Denken, das die Menschheit geschichtlich entwickelt hat, strukturelle Einschränkungen hat.