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<p><strong>Mikronährstoffe sicher und gezielt einsetzen<br></strong></p><p>Dieses Buch liefert Ihnen kurz und prägnant die wichtigsten Kenntnisse zur gezielten Anwendung von Mikronährstoffen in Klinik und Praxis. Es bietet eine anschauliche Darstellung des wechselnden Bedarfs an Mikronährstoffen im Krankheitsfall und im jeweiligen Lebensabschnitt und behandelt gezielt Risiko- und Patientengruppen.</p><p><strong>Neu in der 3. Auflage:</strong>&nbsp;</p><ul><li>aktualisierte Empfehlungen</li><li>Erweiterung des Kapitels zur Onkologie</li><li>neue Kapitel zu den Themen Infektionskrankheiten/Covid-19, Nahrungsergänzungsmittel/Evolution und Hirnentwicklung und der Bedeutung von Mikronährstoffen für die Evolution des Menschen</li></ul><p>Ideal für die Vorbereitung auf den Klinikeinstieg und als Nachschlagewerk während der klinischen Tätigkeit: Dieses Werk liefert kompakte Informationen und aktuelle Erkenntnisse für den gezielten Einsatz von Mikronährstoffen - ein unverzichtbarer Begleiter.</p><p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.</p>
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Seitenzahl: 1213
Hans Konrad Biesalski
3., aktualisierte und erweiterte Auflage
44 Abbildungen
Was gibt es Neues, könnte man fragen, wenn bereits nach kurzer Zeit eine dritte Auflage erforderlich wird? Neues bei Mikronährstoffen, bei denen Viele immer noch davon ausgehen, dass man eigentlich alles weiß und wirklich Neues nicht zu erwarten ist. Bei einzelnen Mikronährstoffen mag das zutreffen, weil an diesen nicht wirklich geforscht wird. Bei vielen anderen aber offensichtlich nicht. Metaanalysen von Anwendungsbeobachtungen oder Folgen von Unterversorgungen kommen immer wieder zu widersprüchlichen Ergebnissen. Dies liegt auch daran, dass oft übersehen wird, dass Blutwerte häufig überbewertet werden und dass diese Werte letztlich nur ein Ernährungsmuster spiegeln, ohne, dass berücksichtigt wird, dass individuelle Besonderheiten und Krankheiten diese Werte beeinflussen können. Hinzu kommt, dass Unternehmen, die Mikronährstoffe vermarkten, neue wissenschaftliche Aussagen, auch wenn sie nur unzureichend geprüft sind, gerne werbewirksam für ihre Präparate einsetzen. Der ex cathedra Aussage, Vitamine brauchen wir nicht, wir müssen uns nur gesund ernähren, stehen Probleme der Versorgung entgegen, die sich durch den Lebenszyklus (Alter, Schwangerschaft) oder durch Besonderheiten im Stoffwechsel ergeben (z.B. Zöliakie, Mukoviszidose, Dysbiose). Eine wichtige Rolle spielen Zustände, bei denen der Bedarf erhöht ist, wie Schwangerschaft, Stillzeit, chronische oder akute Krankheiten oder aktuell: COVID. Bei der Corona Pandemie wurden einer Vielzahl von Mikronährstoffen wahre Wunder nachgesagt. In den wenigsten Fällen hat sich dies bestätigen lassen. Die neue Auflage hat diesen Aspekt aufgegriffen und vor allem, die Folgen für Kinder in Ernährungsarmut zusammengestellt. Mit zunehmender seriöser Forschung an Vitaminen, Spurenelementen und Mineralen ergeben sich teilweise neue Erkenntnisse, die bisher nicht bekannt waren und Einfluss auf die Interpretation von Mangelerkrankungen und therapeutische Anwendungen haben. Das betrifft die Versorgung in der Schwangerschaft und frühen Kindheit, bei der nicht nur der Stellenwert einer ausreichenden Versorgung immer deutlicher wird, sondern auch die Ursachen/Folgen einer unzureichenden Aufnahme von Mikronährstoffen in diesem Zeitraum. Letzteres ist vor allem bei veganer Ernährung und bei Kindern, die in Armut leben, ein bedeutender Aspekt für die physische, wie kognitive Entwicklung. Neue Erkenntnisse ergeben sich auch, wenn es um die Bedeutung der Mikronährstoffe im Alter geht. Hier ist es nicht nur das Immunsystem, sondern auch die Alzheimer-Demenz, bei der sich die Bedeutung der Mikronährstoffe zunehmend zeigt. Neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen neurologischen Krankheitsbildern (Multiple Sklerose u.a.) bzw. Diversitäten (Autismus Spektrum) werden erörtert. Die dritte Auflage versucht, wie bereits die vorangegangenen, wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse für den Leser in brauchbare Handlungsanweisungen umzusetzen und von Vermutungen oder assoziativen Schlussfolgerungen abzugrenzen. Die besondere Gliederung erlaubt es dem Leser Indikatoren der Versorgung zu erfassen und rasch Empfehlungen zu finden bzw. sich Grundlagenwissen anzueignen. Am Ende bleibt dann doch Manches immer noch im Unklaren und sollte dem Leser verdeutlichen, dass wir Vieles, was Mikronährstoffe können, noch immer nicht genau wissen, aber eben, wie die dritte Auflage zeigt, immer ein bisschen mehr.
Frühjahr 2024Prof. Dr. med. Hans Konrad Biesalski
Das Buch richtet sich an Ärzte in Klinik und Praxis sowie Ernährungsfachkräfte in diesen Bereichen. Warum ein solches Buch? Über Vitamine, Minerale und Spurenelemente gibt es eine ganze Reihe von Monografien und Lehrbücher (Ernährungsmedizin, Ernährungswissenschaften), in denen hinreichend Informationen zu finden sind. Biochemie, Quellen und Mangelerscheinungen werden umfangreich abgehandelt. Was aber fehlt, sind klare Handlungsanweisungen im Umgang mit Mikronährstoffen: Wer braucht sie wirklich, wer hat ein Risiko für ein Defizit, wie lässt sich das nachweisen, bei welchen Krankheiten besteht ein erhöhter Bedarf, und vor allem: wie soll ein Defizit behandelt werden? Erst wenn der Mangel klinisch sichtbar wird oder bereits früher? Wer bringt bereits eine unzureichende Versorgung mit und bei wem kann sich diese infolge der Primärtherapie entwickeln? Wen und wozu supplementieren, wenn kein Mangel sichtbar ist, und wann besteht das Risiko einer Überversorgung?
Alle diese Fragen stellen sich dem in der Praxis und Klinik tätigen Arzt oder Ernährungsfachmann immer wieder. Antworten wird er in den Standardwerken, wenn überhaupt, nur am Rande finden. Auch die Leitlinien geben nur bedingt Informationen, da hier weniger die Frage eines Defizits angesprochen wird als vielmehr mögliche Indikationen zur Behandlung mit Mikronährstoffen. Hinzu kommt, dass es Studien, die einen positiven Effekt einer Defizit-Kompensation belegen könnten, nicht gibt.
Es besteht weitgehend Einigkeit, dass eine inadäquate Versorgung mit einem oder mehreren Mikronährstoffen besonders im Krankheitsfall nicht günstig ist, es gibt aber in vielen Fällen keine Erfahrung über Ursachen, Folgen und Behandlung einer solchen inadäquaten Versorgung. Wie zeigt sich ein subklinisches Defizit, von welchen Mikronährstoffen wird bei welchen Krankheitszuständen mehr gebraucht? Auch diese Lücke will das Buch so weit möglich schließen, um dem Therapeuten Möglichkeiten zum Verständnis und gezielten Einsatz von Mikronährstoffen zu geben.
Jedes Vitamin und einige Minerale und Spurenelemente sind separat dargestellt, um eine rasche Orientierung zu ermöglichen. Bei Mineralen und Spurenelementen wurden nur die für den klinischen Alltag wichtigsten dargestellt. Die Zusammenstellung von Risikogruppen bzw. Risikoprofilen (Alter, Ernährungsformen, Lebensumstände) sollen dem behandelnden Arzt Hinweise geben, bei welchen Patienten mit einer Unterversorgung gerechnet werden kann, um in diesen Fällen die Mikronährstoffversorgung zu überprüfen bzw. den Patienten gezielt beraten zu können.
Die Darstellung von verschiedenen Krankheitsbildern mit besonderem Bezug zur Mikronährstoffversorgung soll es erlauben, den Patienten mit speziellen Mikronährstoffen in ausreichender Menge zu versorgen. Mangelernährung, die üblicherweise über das Gewicht definiert wird, ist in Deutschland bei Patienten, die in die Klinik aufgenommen werden, nicht selten, ist aber immer auch mit einer eingeschränkten Mikronährstoffversorgung verbunden. Dies kann für die Betroffenen, wenn die Versorgung nicht verbessert wird, Konsequenzen haben. Dies gilt ganz besonders auch für den kritisch kranken Patienten, bei dem sich Defizite rasch entwickeln können und Einfluss auf Therapie und Verlauf haben können.
An dieser Stelle möchte ich den Kollegen danken, die verschiedene Kapitel aus der Sicht ihres Faches kritisch gelesen und kommentiert haben: Prof. Christine von Arnim (Ulm), Prof. Ulrike Zech (Heidelberg), Petra Steinbeck (Stuttgart), Dr. Christine Lambert (Stuttgart), Prof. Florian Lang (Tübingen), Prof. Arwed Weimann (Leipzig), Prof. Georg Kreymann (Hamburg), Prof. Wilfried Druml (Wien), Prof. Wilfried Kügel (Stuttgart), Prof. Mathias Pirlich (Berlin), Prof. Hartmut Bertz (Freiburg).
Hohenheim, Frühjahr 2016Prof. Dr. med. Hans Konrad Biesalski
Titelei
Vorwort zur 3. Auflage
Vorwort zur 1. Auflage
Teil I Vorbemerkungen
1 Allgemeines
1.1 Mikronährstoffe – Definition
1.2 Bedarf und Empfehlung
1.3 Was ist ein Mangel und wie erkennt man diesen?
1.4 Verborgener Hunger
2 Mikronährstoffe – was wir wissen, was wir nicht wissen, was wir wissen sollten
2.1 Einführung
2.2 Vitamine – was wissen wir über sie?
2.2.1 Vitamin D
2.2.2 Vitamin B12 – die tödliche Anämie
2.2.3 Vitamin A
2.2.4 Fazit
2.3 Vitamine – was wissen wir (noch) nicht?
2.3.1 Antioxidanzien
2.3.2 Fazit – das wissen wir nicht
2.4 Das sollten wir wissen
2.4.1 Schwangerschaft
2.4.2 1000-Tage-Fenster
2.4.3 Fazit
3 Ernährung und Evolution
3.1 Einführung
3.2 Nischen und Nischenkonstruktionen
3.3 Nutritive Nischenbildung für Mikronährstoffe
3.3.1 Provitamin A
3.3.2 Vitamin-D-Synthese in der Haut als Selektionsvorteil
3.3.3 Vitamin-C-Synthese
Teil II Vitamine und Minerale
4 Fettlösliche Vitamine
4.1 Vitamin A
4.1.1 Nomenklatur
4.1.2 Funktion
4.1.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
4.1.4 Risikogruppen
4.1.5 Interaktionen
4.1.6 Analytik
4.1.7 Mangel/Unterversorgung
4.1.8 Gesundheit und Prävention
4.1.9 Therapie
4.1.10 Toxikologie
4.2 Provitamin A
4.2.1 Nomenklatur
4.2.2 Funktion
4.2.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
4.2.4 Analytik
4.2.5 Mangel/Unterversorgung
4.2.6 Gesundheit und Prävention
4.2.7 Therapie
4.2.8 Toxikologie
4.3 Vitamin D
4.3.1 Nomenklatur
4.3.2 Funktion
4.3.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
4.3.4 Risikogruppen
4.3.5 Interaktionen
4.3.6 Analytik
4.3.7 Mangel/Unterversorgung
4.3.8 Gesundheit und Prävention
4.3.9 Therapie
4.3.10 Toxikologie
4.4 Vitamin E
4.4.1 Nomenklatur
4.4.2 Funktion
4.4.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
4.4.4 Risikogruppen
4.4.5 Interaktionen
4.4.6 Analytik
4.4.7 Mangel/Unterversorgung
4.4.8 Gesundheit und Prävention
4.4.9 Therapie
4.4.10 Toxikologie
4.5 Vitamin K
4.5.1 Nomenklatur
4.5.2 Funktion
4.5.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
4.5.4 Risikogruppen
4.5.5 Interaktionen
4.5.6 Analytik
4.5.7 Mangel/Unterversorgung
4.5.8 Gesundheit und Prävention
4.5.9 Therapie
4.5.10 Toxikologie
5 Wasserlösliche Vitamine
5.1 Vitamin C
5.1.1 Nomenklatur
5.1.2 Funktion
5.1.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.1.4 Risikogruppen
5.1.5 Interaktionen
5.1.6 Analytik
5.1.7 Mangel/Unterversorgung
5.1.8 Gesundheit und Prävention
5.1.9 Therapie
5.1.10 Toxikologie
5.2 B-Vitamine – Interaktionen
5.3 Vitamin B1 (Thiamin)
5.3.1 Nomenklatur
5.3.2 Funktion
5.3.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.3.4 Risikogruppen
5.3.5 Interaktionen
5.3.6 Analytik
5.3.7 Mangel/Unterversorgung
5.3.8 Gesundheit und Prävention
5.3.9 Therapie
5.3.10 Toxikologie
5.4 Vitamin B2 (Riboflavin)
5.4.1 Nomenklatur
5.4.2 Funktion
5.4.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.4.4 Risikogruppen
5.4.5 Interaktionen
5.4.6 Analytik
5.4.7 Mangel/Unterversorgung
5.4.8 Gesundheit und Prävention
5.4.9 Therapie
5.4.10 Toxikologie
5.5 Vitamin B3 (Niacin)
5.5.1 Nomenklatur
5.5.2 Funktion
5.5.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.5.4 Risikogruppen
5.5.5 Interaktionen
5.5.6 Analytik
5.5.7 Mangel/Unterversorgung
5.5.8 Gesundheit und Prävention
5.5.9 Therapie
5.5.10 Toxikologie
5.6 Biotin
5.6.1 Nomenklatur
5.6.2 Funktion
5.6.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.6.4 Risikogruppen
5.6.5 Interaktionen
5.6.6 Analytik
5.6.7 Mangel/Unterversorgung
5.6.8 Gesundheit und Prävention
5.6.9 Therapie
5.6.10 Toxikologie
5.7 Vitamin B6
5.7.1 Nomenklatur
5.7.2 Funktion
5.7.3 Nährstoffquellen
5.7.4 Risikogruppen
5.7.5 Interaktionen
5.7.6 Analytik
5.7.7 Mangel/Unterversorgung
5.7.8 Gesundheit und Prävention
5.7.9 Therapie
5.8 Folsäure
5.8.1 Nomenklatur
5.8.2 Funktion
5.8.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.8.4 Risikogruppen
5.8.5 Interaktionen
5.8.6 Analytik
5.8.7 Mangel/Unterversorgung
5.8.8 Gesundheit und Prävention
5.8.9 Therapie
5.8.10 Toxikologie
5.9 Vitamin B12
5.9.1 Nomenklatur
5.9.2 Funktion
5.9.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.9.4 Risikogruppen
5.9.5 Interaktionen
5.9.6 Analytik
5.9.7 Mangel/Unterversorgung
5.9.8 Gesundheit und Prävention
5.9.9 Therapie
5.9.10 Toxikologie
5.10 Gemeinsamkeiten von Vitamin B12 und Folsäure
5.10.1 Typische Laborwerte bei Vitamin-B12- oder Folsäuredefizit
5.10.2 Differenzialdiagnostische Abgrenzung anderer Formen megaloblastärer Anämien
5.10.3 Gesundheit und Prävention
5.11 Pantothensäure
5.11.1 Nomenklatur
5.11.2 Funktion
5.11.3 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
5.11.4 Risikogruppen
5.11.5 Interaktionen
5.11.6 Analytik
5.11.7 Mangel/Unterversorgung
5.11.8 Gesundheit und Prävention
5.11.9 Therapie
5.11.10 Toxikologie
6 Minerale und Spurenelemente
6.1 Bor
6.1.1 Funktion
6.1.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.1.3 Risikogruppen
6.1.4 Interaktionen
6.1.5 Analytik
6.1.6 Mangel/Unterversorgung
6.1.7 Gesundheit und Prävention
6.1.8 Therapie
6.1.9 Toxikologie
6.2 Chrom
6.2.1 Funktion
6.2.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.2.3 Risikogruppen
6.2.4 Interaktionen
6.2.5 Analytik
6.2.6 Mangel/Unterversorgung
6.2.7 Gesundheit und Prävention
6.2.8 Therapie
6.2.9 Toxikologie
6.3 Eisen
6.3.1 Funktion
6.3.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.3.3 Interaktionen
6.3.4 Analytik
6.3.5 Mangel/Unterversorgung
6.3.6 Gesundheit und Prävention
6.3.7 Therapie
6.3.8 Toxikologie
6.3.9 Anämie
6.4 Fluor
6.4.1 Funktion
6.4.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.4.3 Risikogruppen
6.4.4 Interaktionen
6.4.5 Analytik
6.4.6 Mangel/Unterversorgung
6.4.7 Gesundheit und Prävention
6.4.8 Therapie
6.4.9 Toxikologie
6.5 Jod
6.5.1 Funktion
6.5.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.5.3 Risikogruppen
6.5.4 Interaktionen
6.5.5 Analytik
6.5.6 Mangel/Unterversorgung
6.5.7 Therapie
6.5.8 Toxikologie
6.6 Kalium
6.6.1 Funktion
6.6.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.6.3 Analytik
6.6.4 Interaktionen
6.6.5 Mangel/Überschuss
6.6.6 Gesundheit und Prävention
6.7 Kalzium
6.7.1 Funktion
6.7.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.7.3 Risikogruppen
6.7.4 Interaktionen
6.7.5 Analytik
6.7.6 Mangel/Unterversorgung
6.7.7 Gesundheit und Prävention
6.7.8 Toxikologie
6.8 Kupfer
6.8.1 Funktion
6.8.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.8.3 Risikogruppen
6.8.4 Interaktionen
6.8.5 Analytik
6.8.6 Mangel/Unterversorgung
6.8.7 Gesundheit und Prävention
6.8.8 Therapie
6.8.9 Toxikologie
6.9 Magnesium
6.9.1 Funktion
6.9.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.9.3 Risikogruppen
6.9.4 Interaktionen
6.9.5 Analytik
6.9.6 Mangel/Unterversorgung
6.9.7 Gesundheit und Prävention
6.9.8 Therapie
6.9.9 Toxikologie
6.10 Mangan
6.10.1 Funktion
6.10.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.10.3 Risikogruppen
6.10.4 Interaktionen
6.10.5 Analytik
6.10.6 Mangel/Unterversorgung
6.10.7 Gesundheit und Prävention
6.10.8 Therapie
6.10.9 Toxikologie
6.11 Molybdän
6.11.1 Funktion
6.11.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.11.3 Risikogruppen
6.11.4 Interaktionen
6.11.5 Analytik
6.11.6 Mangel/Unterversorgung
6.11.7 Gesundheit und Prävention
6.11.8 Therapie
6.11.9 Toxikologie
6.12 Natrium
6.12.1 Funktion
6.12.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.12.3 Analytik
6.12.4 Mangel und Überschuss
6.12.5 Gesundheit und Prävention
6.12.6 Toxikologie
6.13 Nickel
6.13.1 Funktion
6.13.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.13.3 Analytik
6.13.4 Mangel/Unterversorgung
6.13.5 Gesundheit und Prävention
6.13.6 Therapie
6.13.7 Toxikologie
6.14 Phosphor
6.14.1 Funktion
6.14.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.14.3 Interaktionen
6.14.4 Mangel/Unterversorgung
6.14.5 Gesundheit und Prävention
6.14.6 Toxikologie
6.15 Selen
6.15.1 Funktion
6.15.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.15.3 Risikogruppen
6.15.4 Interaktionen
6.15.5 Analytik
6.15.6 Mangel/Unterversorgung
6.15.7 Gesundheit und Prävention
6.15.8 Therapie
6.15.9 Toxikologie
6.16 Silizium
6.16.1 Funktion
6.16.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.16.3 Analytik
6.16.4 Mangel/Unterversorgung
6.16.5 Gesundheit und Prävention
6.16.6 Therapie
6.16.7 Toxikologie
6.17 Vanadium
6.17.1 Funktion
6.17.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.17.3 Risikogruppen
6.17.4 Interaktionen
6.17.5 Mangel/Unterversorgung
6.17.6 Therapie
6.17.7 Toxikologie
6.18 Zink
6.18.1 Funktion
6.18.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.18.3 Risikogruppen
6.18.4 Interaktionen
6.18.5 Analytik
6.18.6 Mangel/Unterversorgung
6.18.7 Gesundheit und Prävention
6.18.8 Therapie
6.18.9 Toxikologie
6.19 Arsen
6.19.1 Funktion
6.19.2 Nährstoffquellen und Stoffwechsel
6.19.3 Risikogruppen
6.19.4 Analytik
6.19.5 Mangel/Unterversorgung
6.19.6 Toxikologie
6.20 Toxische Schwermetalle in der Ernährung
6.20.1 Mögliche Risiken von glutenfreier Ernährung
7 Infektionskrankheiten (inkl. COVID-19)
7.1 Einführung
7.2 Immunsystem
7.3 Wirkung von Vitamin A und D im Immunsystem
7.3.1 Bedeutung der Vitamine A und D in der Abwehr von Infektionskeimen
7.3.2 Folgen eines Vitamin-A- und -D-Mangels
7.4 Infektionen mit SARS-CoV-2
7.4.1 Vorgang und Folgen der Invasion
7.4.2 Wie reagiert der Organismus auf die SARS-CoV-2 Infektion?
7.4.3 SARS-CoV-2 bei Kindern
7.5 Risiko von Co-Infektionen bei Vitamin-A- und -D-Mangel
8 Mikrobiota und Mikronährstoffe
8.1 Wasserlösliche Vitamine
8.1.1 Thiamin
8.1.2 Vitamin B2
8.1.3 Vitamin B6
8.1.4 Folsäure
8.1.5 Vitamin B12
8.1.6 Einfluss auf das Immunsystem
8.1.7 Entzündliche Darmerkrankungen
8.1.8 Krebserkrankungen
8.1.9 Epigenetische Effekte wasserlöslicher Vitamine
8.2 Fettlösliche Vitamine
8.2.1 Vitamin K2
8.2.2 Vitamin A und Vitamin D
8.3 Eisen
8.4 Mangelernährung
Teil III Risikoprofile und besondere Indikationen
9 Risikoprofile im Allgemeinen
9.1 Vorbemerkungen
9.2 Risikogruppen für eine unzureichende Vitaminzufuhr
9.2.1 Was heißt „adäquat“?
10 Sozialstatus
10.1 Geringes Einkommen als Risikoprofil
10.1.1 Armut und Ernährung
11 Besondere Ernährungsformen
11.1 Ernährung als Ursache von Mikronährstoffdefiziten
11.2 Ernährungsformen und Diäten
11.2.1 Vegetarische Ernährungsformen
11.2.2 Ernährung zur Reduktion des Körpergewichts
11.2.3 Low-Carb-Diäten (LCD)
11.2.4 Glutenfreie Ernährung
12 Lebenszyklus
12.1 Schwangerschaft
12.1.1 Kritische Mikronährstoffe
12.1.2 Besondere Risikogruppen
12.1.3 Folgen einer Mangelernährung für die pränatale Entwicklung
12.1.4 Langfristige postnatale Folgen einer Mangelernährung
12.1.5 Rationale für Multivitamin/Mineral-Supplemente in der Schwangerschaft
12.2 Stillzeit
12.2.1 Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr
12.2.2 Zusammensetzung der Muttermilch
12.2.3 Supplemente
12.3 Versorgungslücken im 1000-Tage-Fenster
12.3.1 Körperliche Entwicklung
12.3.2 Mikronährstoffe und Hirnentwicklung
12.3.3 Kognitive Entwicklung
12.4 Kleinkinder
12.5 Jugendliche
12.6 Senioren
12.6.1 Epidemiologie des Vitamin- und Mineralstoffmangels im Alter
12.6.2 Folgen der Mangelernährung im Alter
12.6.3 Therapeutisches Vorgehen – Grenzen und Möglichkeiten
12.6.4 Ernährungsarmut
Teil IV Besondere klinische Fragestellungen
13 Einführung
13.1 Vorbemerkungen
13.2 Tumorbedingte Ursachen
14 Onkologie
14.1 Vorbemerkungen
14.2 Unter-/Mangelernährung bei Krebserkrankungen
14.3 Kompensation von Defiziten
14.4 Anämie bei Krebspatienten
14.4.1 Anämiebehandlung
14.5 Knochengesundheit
14.5.1 Prävention und Therapie des Knochenverlusts bei Krebspatienten
14.6 Vitamine bzw. Mikronährstoffe in der adjuvanten Therapie bei Tumorpatienten
14.6.1 Vitamin A
14.6.2 Vitamin D
14.6.3 Vitamin C
14.6.4 Multivitamine
14.6.5 Vitamine bei Krebspatienten – Rationale und Risiken
15 Gastroenterologie
15.1 Malassimilation von Mikronährstoffen
15.1.1 Allgemeine Therapie
15.2 Abetalipoproteinämie
15.3 Zystische Fibrose (CF)
15.3.1 Empfehlungen bei zystischer Fibrose
15.4 Kurzdarmsyndrom
15.4.1 Therapie bei starken Verlusten
15.5 Zöliakie
15.6 Entzündungsgeschehen und Mikronährstoffe
15.7 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED)
15.7.1 Ursachen der Mangelernährung
15.7.2 Therapie
15.7.3 Leitlinien der DGEM 2013
15.7.4 Leitlinien der DGVS zu ulzerativer Kolitis (aktualisierte Leitlinien 2023)
15.7.5 Therapieempfehlungen (DGVS-Leitlinie)
16 Adipositas-Chirurgie (bariatrische Chirurgie)
16.1 Vorbemerkungen
16.2 Vitamindefizite bei Übergewichtigen
16.2.1 Ursachen
16.3 Am häufigsten betroffene Vitamine
16.4 Folgen des chirurgischen Eingriffs
16.4.1 Operationsformen
16.4.2 Wesentliche Ursache für vermeidbare Mikronährstoffdefizite
16.4.3 Postoperative Prävalenz von Vitamindefiziten
16.4.4 Eisen
16.5 Supplementierung von Mikronährstoffen
16.5.1 Leitlinien der DAG
16.5.2 Vorgehensweise
16.6 Vermeidbare Folgeerkrankungen
16.6.1 Wernicke-Enzephalopathie (WE)
16.6.2 Micronutrient Responsive Cerebral Dysfunction (MRCD)
16.7 Empfehlungen der Fachgesellschaften
16.7.1 Vitamine und Mineralsupplemente nach Magenballon
16.7.2 Vitamine und Mineralsupplemente nach Magenband
16.7.3 Vitamine und Mineralsupplemente nach Schlauchmagen (GB), Magen-Bypass (RYGB) und biliopankreatischer Diversion (BPD-DS)
16.8 Schwangerschaft nach bariatrischer Chirurgie
16.8.1 Mögliche Defizite
16.8.2 Empfehlungen
16.9 Stillzeit
16.10 Therapie
17 Alkoholkrankheit
17.1 Vorbemerkungen
17.2 Wernicke-Korsakow-Syndrom (WKS)
17.3 Alkoholische Pellagra
17.3.1 Mechanismen der alkoholischen Pellagra
17.3.2 Ursachen
17.4 Alkoholische Pellagra-Enzephalopathie (APE)
17.4.1 Risikofaktoren
17.4.2 Klinik
17.4.3 Differenzialdiagnose
17.4.4 Therapie
17.5 Fetales Alkoholsyndrom (FAS)
18 Neurologische Erkrankungen
18.1 Alzheimer-Demenz
18.1.1 Bedeutung der Mikronährstoffe
18.1.2 Mikronährstoffstatus von Alzheimer-Patienten
18.1.3 Einfluss einer Substituierung
18.1.4 Kombinationen mit n-3-Fettsäuren
18.2 Morbus Parkinson
18.3 Multiple Sklerose (MS)
18.3.1 Vitamin D
18.3.2 Vitamin A
18.3.3 Biotin
18.3.4 Metalle
18.4 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
18.4.1 Therapie
18.5 Friedreich-Ataxie
19 Nierenerkrankungen
19.1 Einfluss der Erkrankung
19.2 Versorgungszustand
19.2.1 Wasserlösliche Vitamine
19.2.2 Fettlösliche Vitamine
19.2.3 Minerale und Spurenelemente
19.3 Chronische Nierenerkrankung und Mineral-Knochen-Störung (CKD-MBD)
19.3.1 Phosphor
19.3.2 Vitamin D
20 Künstliche Ernährung
20.1 Enterale Ernährung
20.2 Parenterale Ernährung
20.2.1 Vorbemerkung
20.2.2 Risikogruppen
20.2.3 Indikation und Therapie
20.3 Faktoren, die die Versorgung mit Mikronährstoffen bei kritisch Kranken beeinträchtigen
20.3.1 Verfügbare Formulierungen
20.3.2 Refeeding-Syndrom
20.4 Einzelanwendungen und Indikationen
20.5 Kritisch Kranke und Mikronährstoffe
20.5.1 Thiamin
20.5.2 Vitamin D
20.5.3 Vitamin C
20.5.4 Kombinationen
Teil V Anhang
21 Mikronährstoff-Wechselwirkungen
22 Umrechnung von Mikronährstoffeinheiten
22.1 Vitamin A
22.2 Vitamin D
22.3 Vitamin E
22.4 Vitamin K
22.5 Folsäure
22.6 Pantothensäure
22.7 Biotin
22.8 Vitamin B1
22.9 Vitamin B2
22.10 Vitamin B3
22.11 Vitamin B6
22.12 Vitamin B12
22.13 Vitamin C
23 Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr
23.1 Vitamine
23.1.1 Vitamin A
23.1.2 Vitamin D
23.1.3 Vitamin E
23.1.4 Vitamin K
23.1.5 Vitamin B1
23.1.6 Vitamin B2
23.1.7 Vitamin B3
23.1.8 Vitamin B6
23.1.9 Folsäure
23.1.10 Pantothensäure
23.1.11 Biotin
23.1.12 Vitamin B12
23.1.13 Vitamin C
23.2 Minerale
23.2.1 Chrom
23.2.2 Eisen
23.2.3 Fluorid
23.2.4 Kalium
23.2.5 Kalzium
23.2.6 Kupfer
23.2.7 Magnesium
23.2.8 Mangan
23.2.9 Molybdän
23.2.10 Selen
23.2.11 Jod
23.2.12 Zink
24 Literatur
25 Abkürzungen
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum/Access Code
1 Allgemeines
2 Mikronährstoffe – was wir wissen, was wir nicht wissen, was wir wissen sollten
3 Ernährung und Evolution
Vitamine, Minerale und Spurenelemente werden als Mikronährstoffe – genauer: essenzielle Mikronährstoffe – zusammengefasst. Im Gegensatz zu den Makronährstoffen (Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate [KH]), die auch als energieliefernde Nährstoffe bezeichnet werden, sind Mikronährstoffe nicht energieliefernd. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind sie essenziell, d.h., sie müssen regelmäßig mit der Ernährung zugeführt werden.
Wie viel braucht nun ein Mensch von einem einzelnen Mikronährstoff? Hierzu gibt es seit etwas mehr als 60 Jahren die sog. Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr, die heute als Referenzwerte bezeichnet werden. ▶ Abb. 1.1 stellt die unterschiedlichen Eckpunkte dar, welche die Versorgung mit Mikronährstoffen beschreiben. Hierbei gibt es verschiedene Punkte, durch die die Versorgung des Menschen scheinbar festgelegt ist. Allerdings wurden all diese Punkte nicht für den einzelnen, sondern für eine gesunde Population gemacht. Der EAR-Wert (EAR: Estimated Average Requirement) darf so verstanden werden, dass 50% der Population ausreichend und 50% nicht ausreichend versorgt sind. Dies bedeutet nicht, dass die unzureichend Versorgten Zeichen eines Mangels entwickeln, sondern lediglich durch die Zufuhr des Nährstoffs mit der Ernährung unter dem Mittelwert (EAR) dieser gesunden Gesamtpopulation liegen. Da von einer symmetrischen Normalverteilung ausgegangen wird, heißt dies auch, dass bei Gruppen, bei denen eine solche Symmetrie nicht vorliegt, der EAR-Wert falsch-positiv oder falsch-negativ sein kann. Entscheidend ist, dass es sich immer um gesunde Populationen handelt. Eine Aussage darüber, ob diese Normalverteilung auch für Menschen mit chronischen Krankheiten gilt, kann nicht getroffen werden. Der EAR-Wert ist also zunächst einmal nicht mehr als ein Schätzwert, der je nach Herkunft der Population unterschiedlich sein kann, da gerade traditionelle Ernährungsformen und damit deren Mikronährstoffdichte sehr unterschiedlich sein können. Dennoch werden diese Werte international genutzt, ohne dass dieser Tatsache wirklich Rechnung getragen würde.
Ermittlung des RDA-Werts für einen bestimmten Nährstoff.
Abb. 1.1 Hierzu wird die Aufnahme des Nährstoffs in einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe ohne Mangelsymptome ermittelt (EAR: Estimated Average Requirement). Während unterhalb des RDA-Werts (RDA: Recommended Dietary Allowances) das Risiko einer Unterversorgung kontinuierlich ansteigt, befindet sich oberhalb dieser Empfehlung ein (je nach Nährstoff) sehr breiter „sicherer Bereich“. Das Risiko eines Überschusses steigt für die meisten Nährstoffe erst bei einem Vielfachen des RDA-Werts an. Tolerable Upper Intake Level (UL): Dazu wird die höchste sichere Dosis (NOAEL: No Observed Effect Level) oder die niedrigste sichere Dosis (LOAEL: Lowest Observed Adverse Effect Level) gesucht. Dieser Wert wird um einen Unsicherheitsfaktor UF verkleinert.
(Quelle: Biesalski H, Grimm P, Nowitzki-Grimm S. Grundlagen. In: Biesalski H, Grimm P, Nowitzki-Grimm S, Hrsg. Taschenatlas Ernährung. 8. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015)
Aus dem EAR-Wert wird der Referenzwert (DRI: Dietary Reference Intake) abgeleitet, indem 2 Standardabweichungen der Normalverteilung diesem Wert hinzugefügt werden. Damit reduziert sich der Anteil der unzureichend Versorgten auf 2,5%. Grundsätzlich darf davon ausgegangen werden, dass eine Unterschreitung der Referenzwerte beim Gesunden keine ernsthaften Konsequenzen haben muss. Dies ist alles eine Frage der Dauer der Unterschreitung und des Ausmaßes. Kommt es jedoch zu Erkrankungen oder weitergehenden Störungen der Nahrungsaufnahme, so kann diese Unterschreitung Konsequenzen haben.
Nun ist eine Analyse der Vitaminversorgung, ganz gleich in welcher Form, von Ausnahmen abgesehen, im Alltag wenig geeignet, da sie sehr zeitaufwendig und immer wieder auch stark abweichend von der tatsächlich mitgeteilten Versorgung ist (Over-Under-Reporting). Zweifellos gibt es Patienten, bei denen eine solche Analyse sinnvoll ist, besonders dann, wenn es um die Empfehlung und das Monitoring von Diäten geht oder aber um sehr spezielle Fragestellungen, die den zeitlichen Aufwand rechtfertigen. In der klinischen Routine jedoch – gerade, wenn es um die Empfehlung eines Vitaminpräparats geht – ist die Orientierung an Risikoprofilen bzw. -gruppen, die mit einer unzureichenden Versorgung einzelner oder mehrerer Vitamine verbunden sind, der schnellere Weg. Gerade bei diesen Gruppen lohnt sich eine nähere Analyse der Ernährung. Auf Risikogruppen und -profile wird in den Einzeldarstellungen eingegangen.
Den Mangel eines Mikronährstoffs erkennt man in vielen Fällen erst am klassischen klinischen Bild. Genau darin liegt aber auch das Problem, wenn es um die Anwendung einzelner Mikronährstoffe zur Therapie eines sichtbaren oder nur vermuteten Defizits geht.
In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde die Wirkung vieler Mikronährstoffe entdeckt und durch die Möglichkeit der synthetischen Herstellung konnten dann bis dahin weit verbreitete und oft unheilbare Erkrankungen erfolgreich therapiert werden. Wahre Geißeln der Menschheit, wie etwa Skorbut, perniziöse Anämie oder Rachitis, konnten geheilt werden. Dies und die Beobachtung, dass bestimmte Ernährungsformen das Auftreten solcher klinischer Mangelsymptome verhinderten, hat dazu beigetragen, dass die Anwendung eines oder mehrerer Vitamine nur dann empfohlen wurde, wenn klassische klinische Zeichen eines Mangels beobachtet wurden.
Wenn es um die Wirkungsweise von Mikronährstoffen geht, müssen wir uns von der Vorstellung lösen, dass wir diese erst dann substituieren müssen, wenn typische klinische Zeichen eines Mangels auftreten.
Merke
Der klinisch sichtbare Mangel ist der Endpunkt einer Entwicklung, an dessen Beginn eher unspezifische und schwer fassbare Symptome stehen, die oft nicht mit einem Mikronährstoffdefizit in Verbindung gebracht werden. Aus diesen Gründen werden solche Zustände auch als verborgener Hunger bezeichnet.
Wenn wir Hunger haben, dann verlangt unser Organismus – oder genauer unser Gehirn – nach Energie. Dabei ist es völlig gleichgültig, in welcher Form die Energie geliefert wird; wenn das Gehirn zufrieden ist, stellt sich Sättigung ein und in den meisten Fällen beenden wir die Mahlzeit. Nicht so bei Mikronährstoffen: Es gibt ganz offensichtlich keinen spezifischen Hunger für einen oder mehrere Mikronährstoffe – zumindest ist uns ein solcher nicht bekannt.
So kann es vorkommen, dass wir zwar satt, aber dennoch mit Mikronährstoffen nicht ausreichend versorgt sind, ohne dass wir dadurch gleich einen Mangel entwickeln müssten. Diesen Zustand bezeichnet man als verborgenen Hunger. Problematisch ist dies vor allem in Ländern mit geringem Einkommen; aber durchaus auch in reichen Ländern wie dem unsrigen kann dieser Zustand vorkommen. Der verborgene Hunger entzieht sich sehr lange einer gezielten Diagnose und hat dennoch Krankheitswert. Es gibt eine Vielzahl von Symptomen, die zunächst nicht mit der Unterversorgung eines einzelnen Vitamins in Verbindung gebracht werden und erst bei genauem Hinsehen erkannt werden. Dies wird im Detail in den Einzeldarstellungen aufgegriffen.
▶ Abb. 2.2 versucht das Problem des verborgenen Hungers zu verdeutlichen. Ist der Bedarf durch die Zufuhr der Mikronährstoffe mit der Ernährung ausreichend gedeckt, sollten damit alle Körper- und Stoffwechselfunktionen, die einen oder mehrere dieser Mikronährstoffe benötigen, so versorgt sein, dass es nicht zu Engpässen kommt.
Sinkt die Zufuhr, kommt man in einen Bereich, der dem geschätzten mittleren Bedarf (EAR) entspricht ( ▶ Abb. 2.2). Um diesen Bereich herum liegt der verborgene Hunger, da er sich nicht durch spezielle Symptome oder Krankheitszeichen zu erkennen gibt. Verringert sich die Zufuhr weiter, so treten zunehmend die typischen klinischen Symptome der Mangelerkrankung auf. Die Tatsache, dass sich der verborgene Hunger unspezifisch äußert, führt immer wieder dazu, dass ein Defizit sich weiterentwickeln kann und letztlich dann zur klassischen Mangelerkrankung führt. Immerhin – so die Daten der WHO – betrifft der verborgene Hunger bei Eisen 2 Milliarden Menschen, bei Jod bzw. Zink jeweils eine Milliarde. Während es in den Ländern mit geringem Einkommen vorwiegend Kinder und Frauen sind, die in Armut leben, kommen in den Industrienationen noch weitere Risikogruppen hinzu, wie alte Menschen oder solche, die selbst gewählte, teilweise sehr einseitige Ernährungsformen praktizieren (Kap. ▶ 11 und Kap. ▶ 12.6). Dabei wird übersehen, dass eine unzureichende Versorgung mit einzelnen Mikronährstoffen je nach Entwicklungsstand und Alter zu unterschiedlichen, in vielen Fällen bleibenden Beeinträchtigungen führen kann. Beispielsweise kann eine Unterversorgung mit Jod oder Eisen in den ersten Lebensjahren eines Kindes zu Entwicklungsstörungen des Gehirns führen, die nicht gravierend sein müssen, aber eben verhindern, dass das Potenzial dieses Kindes vollständig ausgeschöpft werden kann. Sowohl der moderate Jod- als auch Eisenmangel kann sich der Diagnose entziehen, wenn nicht sehr gezielt danach gesucht wird.
Der Mangel an Vitamin A äußert sich zunächst durch Nachtblindheit, gefolgt von einer langsamen entzündlichen und metaplastischen Veränderung der Kornea, die letztlich jährlich zur Erblindung von 5–10 Millionen Kindern führt. Lange vor diesen Veränderungen kommt es zur Entwicklung einer Anämie, die allerdings auf Eisen nicht anspricht. Ursache ist, dass die Unterversorgung mit Vitamin A die Verteilung von Eisen in die Gewebe behindert – und hier ganz besonders in die Zellen, in denen sich die Erythrozyten entwickeln. Vitamin A wird benötigt, um das Transportprotein für Eisen in die Zellen, das Hepcidin, zu bilden. Fehlt es, sinken die Spiegel dieses Proteins und damit der Eisengehalt der Zellen – ein klassisches Beispiel für die Verborgenheit dieser Unterversorgung.
Ein anderes Beispiel für den verborgenen Hunger ist der offene Rücken des Kindes infolge einer unzureichenden Folsäureversorgung in der Schwangerschaft. Es hat 20 Jahre gedauert, bis diejenigen Wissenschaftler, die immer wieder auf diese Beziehung hinwiesen, ernst genommen und entsprechende Maßnahmen eingeleitet wurden. In Deutschland und anderen Ländern wird jungen Frauen mit Kinderwunsch die Supplementierung mit Folsäure empfohlen, in anderen Ländern wie USA und Kanada wird das Mehl mit Folsäure angereichert. Es gibt nahezu für jeden Mikronährstoff Hinweise auf die Folgen einer Unterversorgung jenseits eines klassischen Mangels.
In Deutschland und in allen anderen Industrienationen sind ausreichend Lebensmittel vorhanden, um eine adäquate Versorgung mit Mikronährstoffen problemlos sicherzustellen. Wenn es dennoch zu Engpässen kommt, so kann dies an Krankheiten, Unwissenheit, Gleichgültigkeit oder an einem erhöhten Bedarf und anderen Einflussgrößen liegen. Ein besonderes Risiko für eine unzureichende Versorgung mit Mikronährstoffen haben Menschen, die in Ernährungsarmut leben. Dazu gehören vor allem Kinder aus armen Familien und verarmte Senioren. Mit der Qualität (also der Mikronährstoffdichte) eines Lebensmittels steigt der Preis und damit sinkt die Möglichkeit der Betroffenen auf eine ausgewogene und qualitativ ausreichende Ernährung trotz des großen Angebotes. Auf diesen Aspekt wird gesondert eingegangen. Verborgener Hunger muss nicht sein, wenn man einen Blick für den Umgang der Menschen mit ihrer Ernährung entwickelt und auf diese Weise frühzeitig intervenieren kann.
Auf die möglichen Folgen einer Überdosierung durch Nahrungsergänzungsmittel wird in den Einzeldarstellungen eingegangen. Durch Ernährung ist zwar eine Unterversorgung, nicht jedoch eine Überversorgung denkbar, wenn von extrem einseitiger Ernährung einmal abgesehen wird. Das ein täglicher Genuss von einem Liter Karottensaft zur Sicherung der β-Carotin-Zufuhr oder ein Pfund Sauerkraut zur Deckung des Vitamin-C-Bedarfs nicht gesund ist, muss nicht weiter erörtert werden. Es ist auch hier die ausgewogene Mischkost, die auf Dauer die Versorgung mit allen essenziellen Mikronährstoffen sichert.
Die Beobachtung, dass es da etwas in den Lebensmitteln gibt, das oft auftretende Krankheiten heilen konnte, gibt es seit Tausenden von Jahren. Allerdings wusste man nicht genau, worum es sich eigentlich handelt – eine einzelne Substanz oder das Zusammenspiel von Natur und Nahrung einschließlich mystischer Elemente? Also begann man nach den geheimnisvollen Faktoren zu suchen. Das folgende Kapitel soll sich auf Vitamine beschränken und an einigen Beispielen zeigen, dass der Glaube an Vitamine und der Umgang mit diesen Mikronährstoffen oft in die Irre führen und dass das, was wir wissen, die Spitze des gerne zitierten Eisbergs darstellt. Was wir nicht wissen, liegt dann unter der Wasseroberfläche und entzieht sich scheinbar unserer Erkenntnis.
Wenn wir das Wissen über Mikronährstoffe zurückverfolgen, so wurde die Entdeckung der Ursachen vieler weitverbreiteter Erkrankungen als Defizit meist aus Tierexperimenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeleitet. Parallel dazu liefen Versuche, die infrage kommenden Mikronährstoffe synthetisch herzustellen oder aber aus verschiedenen pflanzlichen und tierischen Quellen zu extrahieren. Bis in die Mitte der 1950er-Jahre waren dann alle Mikronährstoffe – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in synthetischer Form bzw. als Tabletten verfügbar. Damit schien das Zeitalter der Vitamine und anderer Mikronährstoffe im Wesentlichen beendet und weiterer Forschungsbedarf wurde als nicht dringlich erachtet. Mit der Weiterentwicklung der analytischen Chemie sowie der Zell- und Molekularbiologie öffneten sich neue Forschungsgebiete, die zu einer Renaissance der Vitamine in den späten 1980er-Jahren führte. Eine Renaissance, die sich für einzelne Vitamine als Welle durch die Medien ausbreitete, um dann – als sich die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllten – wieder rasch abzuebben. Zu Beginn dieses Jahrhunderts galt der Satz: „Wir brauchen keine Vitamine, wir haben genügend Obst und Gemüse.“ Oder man zitiert das Ergebnis der Nationalen Verzehrstudie:
„In Deutschland gibt es keinen Mangel.“
(Max Rubner-Institut, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Hrsg. Nationale Verzehrstudie II. Karlsruhe: MRI; 2008)
Beide Aussagen sind nur bedingt richtig, da einerseits Obst und Gemüse kaum ausreichen, um den Vitaminbedarf zu decken, und andererseits fehlende klinische Zeichen eines Mangels nicht in jedem Fall eine ausreichende Versorgung signalisieren.
Was wissen wir also über Vitamine, was wissen wir nicht und was sollten wir wissen?
An einigen wenigen Beispielen soll dies im Folgenden erörtert werden, um deutlich zu machen, dass gerade die Vitaminforschung die Chance bietet, bisher Unbekanntes bzw. empirisch Vermutetes sichtbar zu machen und so Vitamine und andere Mikronährstoffe für die Prävention ebenso wie für Behandlung von Erkrankungen einzusetzen.
Das grundlegende Wissen um die Existenz von Vitaminen und deren Bezug zu typischen Krankheitsbildern, d.h. Mangelerscheinungen, beruht im Wesentlichen auf empirischer Beobachtung und zunächst weit weniger auf gezielter Forschung. Am Beispiel des Vitamin D lässt sich dies besonders gut belegen, da die Mangelerkrankung Rachitis seit mehreren 100 Jahren beschrieben wird.
Der Kinderarzt Dr. Gottfried Ritter von Rittershain beschreibt in seinem 1863 erschienenen Buch die Pathologie und Therapie der Rachitis die Ursachen dieser bei Kindern damals sehr häufigen Erkrankung wie folgt: Die an Rachitis Erkrankten sind mit mehr als 31% unter den übrigen kranken Kindern vertreten. Von anderen äußeren Ursachen wurden am häufigsten und selbst schon von den frühesten Beobachtern der Krankheit die klimatischen und Ortsverhältnisse nebst dem Mangel atembarer Luft mit Recht als die Hauptbeförderer einer größeren Verbreitung der Rachitis bezeichnet. Schon die ersten Schriftsteller über Rachitis wie Glisson (1650) haben beschrieben ▶ [546], dass die Krankheit in nördlichen Regionen häufiger als in südlichen auftritt, in feuchten Gegenden mehr als im Trockenen. Auch, so schreibt Glisson, hat die Art der Wohnung (Neubauten) viel zu ihrer Entstehung beitragen. Was aber genau die Ursache war, blieb damals im Dunklen.
Damit ist aber alles bereits beschrieben, was wir heute über die Entstehung der Rachitis wissen: fehlendes Sonnenlicht durch Aufenthalt in geschlossenen Räumen oder aber bei unzureichender Sonnenbestrahlung der Haut, wie sie bei starker Bewölkung, geschlossener Kleidung bzw. in den späten Herbst- und Wintermonaten gegeben ist. Vitamin D wird in der Haut unter der Einwirkung von UV-Licht und Wärme aus einer Cholesterinverbindung gebildet. Vitamin D wird zusammen mit Kalzium für einen gesunden Knochenaufbau benötigt. Fehlt die Sonne, so führt dies zu Vitamin-D-Mangel und besonders bei Kleinkindern, deren Skelett noch rasch wächst, zu Verformungen der Knochen.
Die Folge ist das typische Bild der Rachitis. Die Kinder sind kleinwüchsig, die Knochen der Beine sind verkürzt und verbogen und auch die Wirbelsäule zeigt Veränderungen bis hin zu schwerer Buckelbildung. Die Muskulatur ist schwach (Froschbauch) und die Kinder erkranken häufig an schweren Infekten. Nun hatten diese Kinder ein weiteres Problem: Sie erkrankten auch häufig an Tuberkulose. Die Kombination Tuberkulose und Rachitis war bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts immer noch die wesentliche Todesursache bei Kindern.
In London, das eigentlich als Geburtsort der Rachitis und deren Bezeichnung „Englische Krankheit“ gilt, war Rachitis unter Kindern nicht nur sehr weit verbreitet, sondern auch Tuberkulose. Man geht heute davon aus, dass 50% der britischen Bevölkerung an Tuberkulose erkrankt waren, die Mehrzahl der Betroffenen waren Kinder.
Die Kombination Rachitis und Tuberkulose wird in einer Figur von Charles Dickens, dem Tiny Tim, der in der berühmten Weihnachtsgeschichte „A Christmas Carol“ auftaucht, eindrucksvoll beschrieben: Er ist schmächtig kleinwüchsig, hat Krücken und eiserne Schienen an den Beinen.
Charles Dickens hat seine Figuren nach lebenden Vorbildern beschrieben und oft hatten sie sichtbare Krankheitszeichen. Tiny Tims Lebensraum um 1820 waren die dunklen, engen Straßen Londons, durchzogen von Rauchschwaden der Kohleöfen durch die wachsende Industrialisierung und selten der Sonne ausgesetzt.
Eiserne Schienen an den Beinen und dem Brustkorb waren keine Seltenheit. Damals hat es um Tiny Tim eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, die nah an der Lösung des Problems waren. So beschreibt Dickens bereits die Verwendung von Lebertran als Mittel gegen Krankheiten wie Rachitis als eine erfolgreiche Therapie. Allerdings wurde Lebertran um 1880 nur bei jungen Löwen mit Rachitis im Londoner Zoo erfolgreich eingesetzt.
In einem umfangreichen Autopsiebericht von Kindern, die 1909 in Dresden verstorben waren, es liegt auf demselben Längengrad wie London, finden sich bei 92–98% der Kinder zwischen 4 und 18 Monaten Zeichen einer mehr oder weniger ausgeprägten Rachitis. Auch zu diesem Zeitpunkt war die eigentliche Ursache unbekannt, obwohl empirische Forschung und Beobachtung erste Hinweise auf die Bedeutung des Sonnenlichts gaben. Doch wurde auch beobachtet, dass Sonnenlicht bei Rachitis die weitere Entwicklung von Knochenveränderungen stoppte und zugleich einen günstigen Einfluss auf die Tuberkulose hatte ( ▶ Abb. 2.1). Für mich viel später eine spannende Geschichte, da mein Großvater, der eine große orthopädische Klinik in Berlin, das Oskar-Helene-Heim, gegründet hatte, genau diesen Effekt 1915 erstmals beschrieb:
„Ist keine natürliche Sonne vorhanden, so sucht man sie durch künstliche Höhensonne (Quecksilberquarzlampe) zu ersetzen. Man kann schon jetzt sagen, daß unsere Erfolge in der Freiluft- und Sonnenbehandlung der Tuberkulose und englischen Krankheit nicht hinter den Erfolgen im Hochgebirge (Leysin, St. Moritz) zurückstehen werden.“
(Stiftung Oskar-Helene-Heim, 1915)
1928 wurde dann der Zusammenhang zwischen Sonne und Rachitis entdeckt, die Vitamin-D-Synthese in der Haut. Die Folge war die Einführung einer Rachitisprophylaxe bei Kleinkindern mit Vitamin-D-Tabletten oder auch der unbeliebte Lebertran, der ja bereits 50 Jahre vorher erfolgreich bei den Löwenjungen des Londoner Zoos eingesetzt worden war. Die Kindersterblichkeit nahm deutlich ab, das Bild rachitischer Kinder verschwand aus den Straßen und auch die Zahl der an Tuberkulose erkrankten Kinder verringerte sich zunehmend. Aber erst 1994 wurde der Grund für die positive Wirkung des Sonnenlichts auf die Heilung der Tuberkulose bekannt. Vitamin D ist für die Bildung eines körpereigenen Antituberkulose-Stoffs in der Lunge verantwortlich. Ein lange übersehener Effekt, da man sicher war, dass Vitamin D eben nur für die Knochen gebraucht wird! Und dies ist nur ein Effekt, der scheinbar neu ist. Die Bedeutung von Vitamin D für die unterschiedliche Serotoninsynthese in Darm und Gehirn oder das Zusammenspiel zwischen Vitamin D, Vitamin A und Mikrobiota sind nur 2 Aspekte, die gerade intensiv untersucht werden, uns aber zeigen, wie wenig wir eigentlich über Vitamine wissen (Kap. ▶ 4.3).
Auf dem Weg zum UV-Lichtbad, ca. 1920.
Abb. 2.1
(Quelle: Stiftung Oskar-Helene-Heim)
1849 beschrieb Thomas Addison eine Krankheit, bei der im Vordergrund eine Anämiemit besonders großen Blutzellen steht, bei der gleichzeitig aber auch verschiedene neurologische Störungen, eine Veränderung des Geschmacks- und Geruchssinnes wie auch des Tastsinnes beobachtet werden. Zugleich – so der Bericht – finden sich ein unsicherer Gang bis hin zur Somnolenz und diverse psychische Störungen. Diese Form der Anämie wurde nicht umsonst als perniziös, also bösartig, bezeichnet; sie führte in den meisten Fällen zum Tod. Die Erkrankung trat besonders bei älteren Menschen häufiger auf.
Die einzige Rettung schien die vom Tübinger Arzt Gänslein vorgeschlagene Therapie zu sein: Ein Pfund rohe Leber jede Woche. Es ist nachvollziehbar, dass nicht jeder diese sog Gänslein-Therapie lange durchhielt.
Experimentelle Untersuchungen in den 1920er-Jahren bei Hunden ergaben, dass besonders rohe Leber geeignet war, den Prozess der perniziösen Anämie nicht nur aufzuhalten, sondern die bereits eingetretenen Störungen auch wieder zu beheben. Amerikanische Wissenschaftler (Whipple, Minot, Murphy) erhielten für die Beschreibung einer Leberdiät zur Behandlung der Anämie 1934 den Nobelpreis für Medizin. Die Auszeichnung ist verständlich, wenn man sich klarmacht, dass mit dieser Leberdiät eine zu langem Siechtum und letztlich zum Tode führende Erkrankung vollständig geheilt werden konnte. Die Ursache war ein Mangel an Vitamin B12. Erst 1948 wurde Vitamin B12 dann synthetisiert und konnte so zur Behandlung der Anämie eingesetzt werden. Für die Beschreibung und Synthese des Vitamin B12 gab es 1964 erneut einen Nobelpreis.
Der große medizinische Papyrus (1500 v. Chr.) – nach seinem Erwerber, dem Leipziger Ägyptologie-Professor Georg Ebers (1837–1898) benannt – wurde von jenem auf seiner zweiten Forschungsreise im Jahre 1873 in Theben für eine Summe von 350 Englischen Pfund (entsprechend ca. 40 Monatsgehältern von Prof. Ebers) von einem einheimischen Antikenhändler erworben.
„Ein anderes [Heilmittel] für die SArw-Krankheit in beiden Augen: Leber des Rindes, die gebraten und ausgepreßt ist, geben daran (= an das Auge). Eine erfolgreiche Methode.“
(Papyrus, 1500 v. Chr., Eb 351 [57,11–57,12])
Bei der SArw-Krankheit handelte es sich um eine Erkrankung, die das Auge langsam zerstörte – in genau der Weise, wie dies Jahrhunderte später als Folge des Vitamin-A-Mangels als Xerophthalmie beschrieben wird.
Nachtblindheit, ein gestörtes Sehen bei Dämmerung, ist ein sehr frühes Zeichen einer unzureichenden Versorgung mit Vitamin A.
Die weitere Entwicklung des Mangels führt dann zur Zerstörung des vorderen Augenabschnitts, zur Xerophthalmie und damit zur Erblindung.
Diese Erblindung kann durch Vitamin A in Form von Tabletten, aber auch zu Beginn der Entwicklung durch Vitamin-A-haltige Augentropfen behandelt werden. Das war das Geheimnis der ägyptischen Therapie, die das in den Leberextrakten enthaltene Vitamin A auf die Augen tropfte. Nach den Daten der WHO (World Health Organization) sind weltweit 200 Mio. Kinder von einem mehr oder weniger starken Vitamin-A-Mangel betroffen. Bis zu 1 Mio. Kinder erblinden jährlich.
Die Ursache der hohen Sterblichkeit von Kindern mit unzureichender Vitamin-A-Versorgung – in den meisten Fällen aufgrund von Atemwegsinfekten – lässt sich dadurch erklären, dass ein Vitamin-A-Mangel Veränderungen am Respirationsepithel verursacht (Plattenepithelmetaplasie), die die Funktion einschränken und Infektionen begünstigen ▶ [158].
Zur hohen Sterblichkeit trägt auch eine Eisenmangelanämie (IDA) bei, die sich sehr früh entwickelt, aber auf eine Eisenbehandlung nicht anspricht. Erst vor Kurzem wurde deutlich, warum: Vitamin A reguliert u.a. die Bildung des Hepcidins, welches die Aufnahme von Eisen in Zellen und Gewebe steuert ▶ [300]. Wird Hepcidin nicht gebildet, steht trotz ausreichender Versorgung zu wenig Eisen für die Blutbildung zur Verfügung, es kommt zur Anämie. Bei all diesen Entwicklungen sind aber klinische Zeichen eines Vitamin-A-Mangels nicht zu erkennen – ein Zustand, den man auch als „verborgenen Hunger“ bezeichnet und der nicht nur für Vitamin A gilt.
Eigentlich schien in den späten 1950er-Jahren hinsichtlich der Bedeutung von Vitaminen alles geklärt. Jedem Vitamin war eine Krankheit zugeordnet und es schien auch klar zu sein, wie viel der Mensch davon braucht, damit solche Krankheiten nicht auftreten. Dieser Gedanke hat sich im Wesentlichen bis heute gehalten. Vitamine sind nur dann erforderlich, wenn ein Mangel mit seinen typischen Zeichen sichtbar wird. Genau darin aber liegt das Problem: Wie äußert sich der Mangel oder die unzureichende Versorgung, bevor das klinische Bild des Mangels sichtbar wird? Dies wird in den folgenden Kapiteln beschrieben.
Im Zuge der Renaissance der Vitamine hat es eine Reihe von epidemiologischen Studien mit spannenden Ergebnissen gegeben, von denen hier nur einige vorgestellt werden:
Menschen mit viel Vitamin E im Blut erleiden seltener einen Herzinfarkt.
Viel Vitamin C im Blut schützt vor Krebs und Diabetes.
Viel β-Carotin im Blut schützt vor Lungenkrebs.
Antioxidanzien – zu denen Vitamin E, C und β-Carotin zählen – schützen vor fast allem.
Wie kam es zu dieser sog. Antioxidanzien-Welle?
Ausgangspunkt waren 2 wesentliche Entwicklungen: Die Weiterentwicklung der analytischen Chemie ermöglichte es, mittels sog. Hochdruckflüssigkeitschromatografie geringste Mengen von Stoffen im Blut des Menschen nachzuweisen. Gleichzeitig war es gelungen, größere Mengen an β-Carotin synthetisch herzustellen.
Ich fasse die Ergebnisse der verschiedenen Studien und damit auch die Gedankengänge einer Reihe von Wissenschaftlern kurz zusammen:
Menschen mit hohen Blutwerten an β-Carotin erkranken seltener an Lungenkrebs, selbst wenn sie rauchen – so mehrere Studien aus den USA. Wie erklärt sich das?
Hohe Blutwerte ein β-Carotin schützen die Zellen vor den schädlichen freien Radikalen. Warum gerade Lungenkrebs? Ein krebsauslösender Faktor in der Lunge wird durch freie Radikale aktiviert und bei Rauchern beobachtet man niedrige β-Carotin-Blutspiegel.
Fazit: Viel β-Carotin schützt die Lunge vor den schädlichen Wirkungen des Rauchens!
Daraus zog man nun eine ganz simple Schlussfolgerung: Erhalten Raucher nur ausreichend β-Carotin, werden sie nicht an Lungenkrebs erkranken.
Die ATBC-Studie war geboren ▶ [618]. Seit mehr als 20 Jahren wurden stark rauchende Männer im Alter von 50–64 Jahren rekrutiert. Die Hälfte von ihnen erhielt 50 mg Vitamin E und 20 mg β-Carotin über einen Zeitraum von 5–8 Jahren, während die andere Hälfte ein Scheinmedikament einnahm. Das Ergebnis war ernüchternd und die Gesichter analog zur Studiendauer ziemlich lang: In der mit β-Carotin behandelten Gruppe gab es deutlich mehr Fälle von Lungenkrebs (18%) als in der Gruppe mit Scheinmedikament. Die Aufregung war groß und die unterschiedlichsten Erklärungen wurden herangezogen, warum das nicht eingetreten war, was man so sicher erwartet hatte. Schnell wurden Abbauprodukte des β-Carotin verdächtigt, die in Zellkulturen karzinogen wirkten, was sich aber in Tierexperimenten dann nicht bestätigen ließ.
Aber damit noch nicht genug: Die CARET-Studie▶ [1070], die in den USA an mehr als 18000 Männern mit hohem Lungenkrebsrisiko den krebsverhindernden Effekt von hoher β-Carotin-Zufuhr (30 mg) zeigen wollte, war durch die Aufsichtsbehörde vor dem geplanten Ende abgebrochen worden. In der behandelten Gruppe lag die Lungenkrebsrate je nach Auswertung 17–28% höher als in der Gruppe mit Scheinmedikament.
Bis heute hält sich die Aussage, dass viel Vitamin A (wird oft fälschlicherweise statt β-Carotin genannt) Lungenkrebs verursacht. Eine wichtige, später publizierte Studie wurde jedoch übersehen. Hier wurde gezeigt, dass Teilnehmer der ATBC-Studie, die zu Beginn einen hohen Blutwert aufwiesen, unabhängig davon, ob sie zur Placebo- oder Verumgruppe gehörten, seltener an Lungenkrebs erkrankten ▶ [657]. Das bedeutet, dass eine Ernährung, die reich an β-Carotin-haltigen Lebensmitteln ist (viele Obst- und Gemüsesorten), eine Schutzwirkung nicht nur vor Lungenkrebs, sondern auch vor kardiovaskulären und anderen nicht übertragbaren Erkrankungen hat. Eigentlich naheliegend und man hätte viel Geld sparen können.
Zunächst lässt sich feststellen, dass der Ansatz „viel hilft viel“ offensichtlich nicht ganz richtig war. Betrachtet man die tägliche Zufuhr an β-Carotin durch die Ernährung in Deutschland, so betrug die eingesetzte Menge das 10- bis 15-Fache dessen, was wir pro Tag verzehren. Damit waren die Toxikologen auf dem Plan! Sie kamen rasch zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich Abbauprodukte des β-Carotins Zellschäden verursachen, die so die Entwicklung von Krebs begünstigen könnten. Viele andere Erklärungen – „es war der Alkohol, es war die Zahl der Zigaretten, es war etwas im synthetischen Präparat“ usw. – wurden ausgetauscht.
Die entscheidende Frage wurde allerdings nicht gestellt: Warum trat die Wirkung nicht ein, die man sich auf Basis der Ergebnisse der Beobachtungsstudien erhofft hatte? Woher hatten die Menschen, die durch β-Carotin scheinbar vor Lungenkrebs geschützt wurden, ihre hohen β-Carotin-Blutwerte? Aufgrund ihrer Ernährung! Und eben dies wurde durch die weitere Auswertung bestätigt: Raucher, die zu Beginn der Studie hohe β-Carotin-Blutwerte aufwiesen, waren geschützt – trotz der Supplemente!
Die Botschaft lautet also: Wer sich so ernährt, dass er hohe Blutwerte an β-Carotin hat – also mit Gemüse und manchen Obstsorten –, der lebt gesünder! Obst und Gemüse enthalten aber sehr viel mehr gesunde Bestandteile als nur β-Carotin. Wird eine solche Ernährung auf nur eine Substanz reduziert, dann übergeht man alle anderen Teile dieser Ernährung.
Weshalb nun hohe β-Carotinblutwerte einen Schutz darstellen, wissen wir allerdings immer noch nicht genau!
Vitamin E ist ein geheimnisvolles Vitamin. Der Mangel ist eher unspezifisch und kann sich in unspezifischen neurologischen Symptomen ebenso äußern wie in kurzen Krampfanfällen. Bei Hühnern heißt dies Crazy Chick Disease – die armen Tiere versuchen sich dann auf den Kopf zu stellen oder führen ähnlich seltsame Verrenkungen aus. Beim Menschen wird dies allerdings nicht beobachtet.
In den 1970er-Jahren wurde in der berühmten Basel-Studie Erstaunliches festgestellt:
Menschen mit hohem Cholesterin waren vor Herzinfarkt geschützt, wenn sie gleichzeitig einen hohen Vitamin-E-Gehalt im Blut hatten ▶ [536]. Die Vitamin-E-Welle konnte anrollen! Je höher das Vitamin E im Blut, desto weniger Gefäßverkalkung. Man hatte endlich die Vitamin-E-Mangelkrankheit gefunden, nach der man so lange gesucht hatte – den kausalen Zusammenhang zwischen Vitamin-E-Unterversorgung und klinischem Bild.
Sofort machten sich die Wissenschaftler ans Werk und förderten Folgendes zu Tage: Vitamin E schützt die LDL-Partikel (LDL: Low Density Lipoprotein), die das Cholesterin transportieren, also das sog. „böse“ Cholesterin, davor, durch freie Radikale oxidiert zu werden ▶ [461]. Neben den körpereigenen Abwehrmechanismen gibt es gegen freie Radikale (Harnsäure, Glutathion u.a.) einige, die wir durch Ernährung aufnehmen – dazu gehören vor allem die Vitamine E, C und, wie bereits erwähnt, das Provitamin A. Haben wir zu wenig davon, so die Lehrmeinung, entsteht oxidativer Stress – und das hat Folgen! Kaum eine Krankheit, die damit nicht in Beziehung gebracht wurde.
Die antioxidative Wirkung des Vitamin E zusammen mit der Idee, dass freie Radikale für die Gefäßverkalkung verantwortlich sind, war so bestechend, dass man sofort große Studien initiierte, die bei Menschen mit Gefäßverkalkung prüfen sollten, ob sich durch hohe Dosierung (10- bis 100-Faches der Empfehlungen) an Vitamin E – viel hilft viel – die Weiterentwicklung der Krankheit und letztlich der Herzinfarkt vermeiden lässt. Weltweite Aufbruchstimmung und ebensolche Ernüchterung: Nur mäßige Resultate und teilweise Nebenwirkungen, die eher als lebensverkürzend betrachtet werden können.
Weshalb Menschen mit hohen Vitamin-E-Mengen im Blut vor Arteriosklerose geschützt sind – wir wissen es nicht, vielmehr spekulieren wir aufgrund von interessanten Laborbefunden, dass Vitamin E die frühen Zeichen einer Arteriosklerose, die Bildung von Schaumzellen, verhindern kann. Ein Grund könnten die anderen gesunden Verbindungen in den Vitamin-E-haltigen Lebensmitteln (Pflanzenöl, besonders Weizenkeimöl und Nüsse) sein. Und damit wäre das Vorhandensein von Vitamin E lediglich ein Hinweis darauf, dass viel von diesen Lebensmitteln verzehrt wird, und genau das kann den Schutz vor Arteriosklerose weit besser erklären.
An der Vitamin-C-Welle lässt sich eine andere Erkenntnis festmachen. Diese Welle setzt in den 1970er-Jahren ein und ihre Kernaussage hält sich bis heute: Vitamin C hilft gegen Erkältung. In verschiedenen Studien in Großbritannien an Schulkindern wollte man herausfinden, ob durch die Gabe von Vitamin C die Fehlzeiten der Kinder durch Infekte verringert werden können ▶ [1493]. Das Ergebnis war eher ernüchternd: Im Vergleich zu einem Scheinmedikament erbrachte Vitamin C keine Vorteile, wenn es um die Fehlzeiten in der Schule ging. Die Wissenschaftler haben dann geprüft, inwieweit in Schulen, in denen Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen lernten, andere Ergebnisse auftraten. Und in der Tat zeigte sich, dass hier – im Gegensatz zu den anderen Schulen – häufiger Kinder mit einer unzureichenden Vitamin-C-Versorgung zu finden waren. Fazit: Wenn die Versorgung nicht stimmt, dann kann eine Kompensation durch ein Supplement zu einem Effekt führen. Oder anders ausgedrückt: Ein Vitamin in einer physiologischen Dosierung kann eigentlich nicht mehr als einen Mangel beheben.
Diese und ähnliche Studien zeigen aber etwas sehr Wichtiges: Bereits bevor der Mangel – in diesem Fall Skorbut – sichtbar wird, scheint eine schlechte Versorgung mit dem Vitamin Folgen für die Gesundheit zu haben, die durch Gabe des Vitamins behoben werden können. Die Frage ist also nicht, wie Vitamin C Erkältungskrankheiten verhindert, sondern warum scheinbar eine Unterversorgung bestand, die die Infektionsbereitschaft begünstigte.
Seit wenigen Jahren türmt sich eine Vitamin-D-Welle auf. Diese zeigt in ihrem Ursprung Ähnlichkeiten mit allen anderen Wellen: Die Möglichkeit, den Blutspiegel zu messen und gleichzeitig einen Bezug zu Krankheiten herzustellen, die nicht dem klassischen Vitamin-D-Mangel entsprechen. Dies hat zu einer Vielzahl von Studien geführt, die niedrige Vitamin-D-Werte mit dem Auftreten unterschiedlichster Erkrankungen in Verbindung gebracht haben. Fazit: Es gibt fast keine Erkrankung, die nicht in irgendeiner Form auf eine unzureichende Vitamin-D-Versorgung zurückgeführt wird. Wie so oft, sind dies nur Assoziationen, deren potenzielle Kausalität durch gezielte klinische Studien überprüft werden muss. Bis sich hier, wie auch bei den anderen Vitaminen, die Spreu vom Weizen getrennt hat, werden noch einige Jahre vergehen. Näheres siehe auch Kap. ▶ 4.3.
In der immer wieder in den Medien geführten Diskussion um das fettlösliche Vitamin D, wird wie bei anderen Vitaminen behauptet, alle fettlöslichen Vitamine werden gespeichert. Streng genommen gilt dies nur für Vitamin A, welches in einem kontrollierten Speicher (Leber) auch bei vollständigem Ausfall der Zufuhr für bis zu 12 Monate (je nach Füllung auch länger) die Versorgung sichert. Die Aussage, dass das in den Sommermonaten gebildete Vitamin D im Fettgewebe gespeichert wird und so für den Winter zur Verfügung steht, ist ein frommer Wunsch. Die Speicherung und kurzfristige Freisetzung wurde nur für Langzeitanwendungen (bis 5 Jahre) von 20000 IE/Woche gezeigt ▶ [930].
Die genannten Beispiele zeigen, dass wir sehr wenig wissen. Wenn β-Carotin oder Vitamin E vorbeugend gegen Krebs oder Arteriosklerose wirken, was bedeutet das? Ist bereits eine niedrige Aufnahme mit Risiken verbunden? Gibt es spezielle Risikogruppen mit einem erhöhten Bedarf? Welche Bedeutung haben diese Vitamine wirklich bei den frühen Veränderungen, die zu Krebs oder Arteriosklerose führen? Zu welchem Zeitpunkt hat das Fehlen eines Vitamins Schäden zu Folge? Es gibt hier eine Vielzahl weiterer Fragen und manche Ungereimtheiten.
Es mag sein, dass Menschen, die viel β-Carotin mit der Nahrung aufnehmen, einen gewissen Schutz vor Lungenkrebs haben. Wann das eine Rolle spielt und wie das Rauchen hier hineinpasst, wissen wir nicht – müssen wir ja vielleicht auch nicht, denn es ist klar, dass Nichtrauchen das Lungenkrebsrisiko sicherlich mehr verringert als der tägliche Karottenverzehr.
Grundsätzlich wissen wir noch viel zu wenig, welche Bedeutung Mikronährstoffe für die Entwicklung von Krankheiten haben, deren klinische Symptomatik in vielen Fällen erst Jahre später auffällig wird. Untersuchungen, die solche Zusammenhänge klären könnten, sind nur mit sehr hohem Aufwand durchführbar – und zusätzlich spielen noch Lebensstil, Genetik und Epigenetik eine beträchtliche Rolle.
Solange wir noch nicht einmal genau wissen, welchen Bedarf an Mikronährstoffen wir haben und wie sich dieser Bedarf in Wachstumsphasen, bei verschiedenen Lebensstilen oder Krankheit ändert, lässt sich kaum angeben, was der Einzelne benötigt. Wir müssen uns auf Empfehlungen verlassen, deren wissenschaftliche Basis teilweise mehr als 50 Jahre zurückliegt und an gesunden Erwachsenen entwickelt wurde, deren damalige Ernährung mit der heutigen kaum mehr vergleichbar ist.
Hier könnte ein eigenes Buch verfasst werden. Nachdem die Vitaminforschung zu Beginn der 1970er-Jahre abgeschlossen schien und sich die Wirkungen scheinbar über die klinischen Zeichen eines schweren Defizits ausreichend erklären ließen, war das wissenschaftliche Interesse eher ein Randgebiet. Vitamin A galt lange als Phosphatgruppenüberträger und Vitamin D als reines Kontrollvitamin des Kalziumstoffwechsels. Erst im Laufe der 1980er-Jahre kam es dann mit der Entwicklung neuer Methoden in Analytik und Zellbiologie zu einer Reihe neuer Erkenntnisse, die dann nach und nach zeigten, dass Vitamine weitaus mehr sind als Co-Enzyme oder Co-Faktoren im Stoffwechsel. Für diese Entwicklung einige wenige Beispiele:
Am erstaunlichsten ist vielleicht die Entdeckung, dass Vitamin A und D keine Vitamine im eigentlichen Sinne sind, sondern Hormone. Sie wirken wie Steroidhormone direkt auf unsere Gene und steuern so meist gemeinsam das Ablesen und die Bildung von mehr als 500 unterschiedlichen Proteinen in der Zelle und es kommen immer mehr dazu. Dazu gehören Proteine, die das Wachstum oder die Spezialisierung von Zellen steuern, oder solche, die Organfunktionen garantieren, wie z.B. die Insulinausschüttung oder die Wirkung der Flimmerhaare der Lunge. Ganz besonders wichtig sind beide Vitamine für das Immunsystem, da diese die unterschiedlichen Reifungsstadien der Immunzellen und damit deren Funktion steuern ▶ [990]. In den meisten Fällen wirken beide Vitamine gemeinsam. Wird das eine nicht ausreichend zugeführt, kann das andere unter Umständen nicht richtig wirken. So wird auch die Bedeutung der beiden Vitamine für die Bildung von Neurotransmittern und Hormonen (z.B. Dopamin, Serotinin) im zentralen Nervensystem (ZNS) erörtert. In der Zwischenzeit finden sich immer mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen, die die Bedeutung des Vitamin D in Schwangerschaft und frühkindlicher Entwicklung beschreiben. Besonders Erkrankungen, die zu den Autismusspektrum-Erkrankungen gezählt werden, zeigen einen direkten Bezug zur Vitamin-D-Versorgung der Mutter ▶ [887]. Veränderungen der Dopamin-, Serotonin- und Melatoninsynthese im Pinealorgan sollen dabei eine wichtige Rolle spielen. Das Vorkommen beider Vitamine im Pinealorgan wurde bereits vor mehr als 30 Jahren nachgewiesen ▶ [152], ▶ [1354]. Die Regulation zirkadianer Rythmen sowie der Bildung von Hormonen wie Serotonin und Dopamin hängen eng damit zusammen. Die Rolle der Vitamine ist dabei erst im Ansatz verstanden.
Vitamin-K-Mangel äußert sich in einer erhöhten Blutungsneigung, da Vitamin K verschiedene Faktoren aktiviert, die für die Gerinnung wichtig sind. Das ist seit Langem bekannt und Gerinnungsstörung ist das klinische Bild des Vitamin-K-Mangels. Aber Vitamin K kann noch viel mehr und das wurde lange übersehen. Es wirkt z.B. in einer speziellen Form als Vitamin K2 als Antigefäßverkalkungsvitamin, indem es spezielle Enzyme aktiviert, die die Anlagerung von Kalziumkomplexen in den Gefäßen verhindern. Dieses Vitamin K2 kommt in speziell fermentierten Sojabohnen vor, wie sie bevorzugt in Japan verzehrt werden. Vielleicht werden die Japaner deshalb so alt; wir wissen es nicht. Ebenso spielt es eine nicht unwichtige Rolle bei der Entwicklung der Osteoporose, wo dieses Vitamin den Knochenaufbau unterstützt und den Abbau hemmt.
Damit bin ich bei dem wohl wichtigsten Kriterium, wenn es um die Beurteilung einer ausreichenden Vitaminversorgung geht: Wie viel braucht der Mensch, damit sein Bedarf gedeckt ist und genug Vitamine für die Sicherstellung all dieser Wirkungen vorhanden sind? Und diese Frage lässt sich eigentlich ganz einfach beantworten: Wir wissen es nicht.
Reden wir vom Bedarf, so beruht dieser im Wesentlichen auf einem Schätzwert, der an einer gesunden Population von Erwachsenen und deren Ernährungsweise vor teilweise mehr als 50 Jahren als Mittelwert für jedes Vitamin ermittelt wurde. Bis heute spricht man vom mittleren geschätzten Bedarf (EAR) (Kap. ▶ 1).
Nun hat das Ganze einen Haken. Der Wert sagt weder etwas über den individuellen Bedarf aus noch darüber, was bei Krankheit oder bestimmten Lebenssituationen benötigt wird. Die Empfehlung gilt demnach nur für gesunde Erwachsene und streng genommen unter der Annahme, dass alle Menschen einer Altersgruppe einen gleichen Stoffwechsel haben.
Verborgener Hunger.
Abb. 2.2
(Quelle: Biesalski HK, Bischoff SC, Pirlich M, Puchstein C, Weimann A, Hrsg. Ernährungsmedizin. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2017)
▶ Abb. 2.2 zeigt die Zusammenhänge zwischen dem Auftreten klassischer Mangelkrankheiten bzw. eindeutiger biochemischer Marker (Bedarfsdeckung gegen 0%) und dem Bereich des verborgenen Hungers, der sich oft nicht durch klassische biochemische oder klinische Marker zu erkennen gibt.
Bis der Mangel sichtbar wird, vergeht je nach Vitamin unterschiedlich viel Zeit – eine Zeitspanne, in der die unzureichende Versorgung Folgen haben kann, die sich unserem Blick entzieht, da wir auf die Mangelzeichen fixiert sind.
Hinzu kommt, dass uns Laborwerte nur in den seltensten Fällen weiterbringen, da die Vitaminblutspiegel in den meisten Fällen konstant gehalten werden, auch wenn die Reserven bereits knapp sind. Nur Vitamin A und B12 können wirklich gespeichert werden. Die Halbwertszeit der anderen Vitamine – also die Zeit, in der die Hälfte verbraucht ist – liegt zwischen 14 Tagen für einige B-Vitamine und 10 Wochen für Vitamin C. Letztlich hängt die Versorgung auch davon ab, wie viel individuell verbraucht wird – und das kann je nach Lebenssituation und Gesundheitszustand sehr unterschiedlich sein. Im Zustand des gesteigerten Stoffwechsels, z.B. bei starken Verbrennungen, starken Schmerzen, chronischen Entzündungen, schweren Atemwegserkrankungen oder Krebs, kann der Verbrauch deutlich steigen.
Es wäre von Vorteil, wenn wir den Bedarf gerade für solche Lebenssituationen kennen würden, in denen eindeutig mehr benötigt wird oder in denen die Versorgung kritisch werden kann – so etwa für die Zeit der Schwangerschaft und der frühkindlichen Entwicklung.
Die besondere Problematik wird deutlich, wenn man sich die Geschichte des Vitamins Folsäure ansieht:
Bis noch zu Beginn dieses Jahrhunderts galt für Schwangere die Empfehlung, täglich etwa 50% mehr Folsäure über die Ernährung aufzunehmen. Der irische Wissenschaftler John Scott wies seit 1995 immer wieder darauf hin, dass eine Beziehung besteht zwischen einem Neuralrohrdefekt (NTD) und der Aufnahme von Folsäure in der Schwangerschaft ▶ [1270]. Erst nach gut 10 Jahren folgte man seinen Ausführungen und erkannte, dass er Recht hatte.
Das Neuralrohr schließt sich bereits zwischen dem 21. und 28. Schwangerschaftstag, also sehr früh – oft schon, bevor die Schwangerschaft festgestellt wird.
Im Jahre 1996 hat die Food and Drug Administration (FDA) die Anreicherung von Getreide beschlossen. Bis zum 01.01.1998 mussten alle Getreideprodukte mit 140 µg Folsäure pro 100 g angereichert werden. Die Folgen waren eindrucksvoll, die Zahl der Neuralrohrdefekte ging um 20% zurück. In China wurden Supplemente mit 400 µg Folsäure verteilt und es kam zu einem Rückgang von 40–80% ▶ [260].
In Deutschland liegt die Inzidenz bei 1,0 (wie in Südchina), d.h., dass jährlich 500–800 Lebendgeburten einen NTD erleiden. Auch das Risiko eines Aborts, einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte und eines angeborenen Herzfehlers lässt sich durch Folsäure senken. Aber nicht etwa, weil Folsäure eine geheimnisvolle Wirkung hat, sondern weil der Bedarf der Schwangeren mit den bis dahin geltenden Empfehlungen nicht gedeckt war (Details siehe Kap. ▶ 12.1 und Kap. ▶ 5.8).
Die ersten 2 Lebensjahre eines Kindes sind entscheidend für seine Entwicklung. In dieser Zeit, beginnend mit der Konzeption und bis zum 2. Lebensjahr – dem sog. 1000-Tage-Fenster –, werden wichtige Weichen für das Leben des Kindes gestellt. Was hier versäumt wird, lässt sich später nur schwer aufholen (Details siehe Kap. ▶ 12.3).
Eine unzureichende Versorgung mit Vitaminen, wie etwa Vitamin A, aber auch mit Mineralen, besonders mit Zink, Eisen und Jod, findet sich vor allem in armen Ländern. Die Folgen sind deutlich sichtbar: Die Kinder sind für ihr Alter zu klein und holen dies später nicht mehr auf – ein Zustand, den man „Stunting“ nennt. Stunting bedeutet aber nicht nur, dass die Kinder zu klein sind, sie sind auch körperlich schwächer und haben mehr oder weniger starke kognitive Entwicklungsstörungen.
Nicht umsonst machen große Organisationen wie die WHO immer wieder darauf aufmerksam. Geschätzt sind etwa 190 Mio. Kinder betroffen.