Volk, entscheide! - Sebastian Frankenberger - E-Book

Volk, entscheide! E-Book

Sebastian Frankenberger

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Beschreibung

Was motiviert diesen jungen Politiker, der sich nach einem erfolgreichen Volksbegehren mit Morddrohungen konfrontiert sieht? Es sind eine christlich-religiös geprägte Grundhaltung und die Gewissheit, dass mehr Demokratie ein friedliches Miteinander gewährleistet. Damit erreicht und begeistert er die Menschen.

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Sebastian Frankenberger

Volk, entscheide!

Visionen eines christlichen Polit-Rebells

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen. Copyright © 2011 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlag: fuchs_design, München

Umschlagmotiv: Liselotte Weich, München

Textnachweis: Die Bibeltexte wurden der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift entnommen © Katholische Bibelanstalt, Stuttgart

ISBN 978-3-641-06962-9V002

www.koesel.de

Vorwort

von Heiner Geißler

Unsere Republik verändert sich. Überall werden Entscheidungen von Verwaltungen, Regierungen, Parlamenten, Stadt- und Gemeinderäten in Frage gestellt. Ein Protest jagt den anderen. Noch nie ist das im Grundgesetz geschützte Demonstrationsrecht so intensiv wahrgenommen worden wie in der heutigen Zeit. Es gibt regelrechte Bürgeraufstände, auch wieder Sitzblockaden und Widerstand gegen die Polizei, die wiederum Recht und Ordnung durchsetzen muss, manchmal auch exzessiv mit Gummiknüppeln und Wasserwerfern. Aber der in manchen Kommentaren meist abfällig geäußerte Satz: »Die Leute gehen nicht mehr wählen, sondern auf die Straße«, kehrt sich ins Gegenteil um, wenn die Menschen die Chance haben, sich direkt an Entscheidungen zu beteiligen und mitzubestimmen. Das beweist die starke Zunahme der Bürgerbegehren. Seit wenigen Jahren gibt es im Schnitt 350 Bürgerentscheide pro Jahr mit steigender Tendenz seit 1990. Zwischen 1946 und 1989 gab es 28 Verfahren im Rahmen von Volksbegehren auf der Landesebene. Seit 1990 ist die Zahl dramatisch gewachsen auf 240 im Jahre 2010. Die Leute wollen offenbar ihre Angelegenheiten selber in die Hand nehmen und sind auch bereit, demokratisch gefasste Beschlüsse der Parlamente wieder zu ändern – wie zum Beispiel bei der Schulreform in Hamburg oder dem Bahnhof in Stuttgart. Das Paradebeispiel aber ist der Volksentscheid über das Rauchverbot in Bayern. Landesregierung und die Mehrheit des Bayerischen Landtages wollten ein Gesetz über das Rauchverbot erlassen; aber es war ein löcheriges Gesetz mit einem zwar grundsätzlichen Verbot, aber mit einer Fülle von Ausnahmen und ohne scharfe Kontrollen. Da erschien ein junger Mann auf der politischen Bühne, Sebastian Frankenberger, und begeisterte die Menschen mit Visionen für eine bessere Welt. Der »christliche Polit-Rebell« will keine Kompromisse und eine radikale Entscheidung, ein totales Rauchverbot. Er wird tätlich angegriffen, im Bierzelt ausgebuht und auch von den Behörden allerlei Schikanen ausgesetzt. Dieses Buch schildert unter anderem, wie Sebastian Frankenberger sich mit dem von ihm initiierten Bürgerbegehren gegen das sogenannte Establishment von Politik und Wirtschaft durchsetzte. Das Bürgerbegehren fand in Bayern eine klare Mehrheit. Sebastian Frankenberger hat mit seiner gesundheitspolitischen Idee und der Macht seiner Sprache die Lebensbedingungen der Menschen verändert und wahrscheinlich auch verbessert. Er ist zum Vorbild geworden in einer politisch resignierenden Generation für die in der Politik so seltenen Tugenden wie Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit. Das Buch zeichnet überzeugend nach, dass auch junge Menschen mit der richtigen Sprache und einer überzeugenden Idee Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen können. Unsere Demokratie hat in der Zukunft nur eine Chance, wenn die Arbeit unserer Parlamente ergänzt wird durch aktive unmittelbare Bürgerbeteiligung und junge Menschen wie Sebastian Frankenberger den Mut haben, die Politik aktiv mitzugestalten.

Nach dem Volksentscheid

Tagebuch einer Auszeit

Liebe Leserinnen und Leser,

sicher erwarten Sie vom Autor Sebastian Frankenberger ein politisches Buch mit deutlichen Forderungen zum Thema »direkte Demokratie«. Ich werde in der Öffentlichkeit, gerade in den Medien, als Initiator des Nichtraucherschutzgesetzes in Bayern wahrgenommen und als Politiker hauptsächlich mit diesem Thema in Verbindung gebracht. Um für mehr Bürgerbeteiligung zu werben, halte ich überall in Deutschland viele Vorträge.

In diesem Buch geht es jedoch auch um etwas anderes.

Nach dem für mich sehr ereignisreichen Jahr 2010 mit gewonnenem Volksentscheid zum Nichtraucherschutz und vielen Interviewterminen gönnte ich mir Ende letzten Jahres eine Auszeit als Eremit im Turmzimmer des Linzer Doms. Diese sieben Tage von Weihnachten bis Silvester sind die Grundlage für das Buch geworden. Es ist also eine sehr persönliche Beschreibung, wie es mir als Einsiedler in einer Kirche ergangen ist. Der Rahmen des mehr oder weniger ritualisierten Tagesablaufs eines nahezu mönchischen Lebens hat mir viele Rückblicke und Reflexionen über das letzte Jahr mit seinen vielen politischen und medienträchtigen Ereignissen um das Volksbegehren ermöglicht. Es verhalf mir auch zu Vorausschau und Visionen, was meine Politik, was Kirche und Gesellschaft betrifft. Dies in meine persönliche Geschichte einzubinden und damit gut verständlich zu machen, ist mir bei meiner Arbeit im Umgang mit den Menschen wichtig.

Lassen Sie sich also berichten, wie es mir als »Mönch« ergangen ist, sehen Sie dieses klösterliche Leben mit mir als neue Erfahrung, tauchen Sie immer tiefer in diese Welt ein und lernen Sie mich dabei kennen. Und glauben Sie mir, in dieser Woche hat sich so einiges ereignet, was ich selbst im Vorfeld nicht vermutet hätte.

Sebastian Frankenberger

Heiliger Abend

Woher ich komme

Am 24. Dezember um 7 Uhr morgens bete ich mit zwei Freunden, Johannes und Lukas, in der Kirche meiner Heimatgemeinde St. Josef-Auerbach eine Laudes, das Morgengebet. Wir beten schon seit Jahren in der Adventzeit jeden Sonntag früh zu dritt bei Kerzenschein die Laudes und frühstücken danach gemeinsam. Das gehört für mich zu Weihnachten.

Dieses Jahr bin ich aber nicht richtig entspannt, denn ich habe die Auszeit im Linzer Dom vor mir und muss vorher noch alle E-Mails beantworten, mir den Schlüssel für den Dom in Linz abholen und zwei Christmetten mitgestalten.

Mittags fahre ich also schnell nach Linz. Es regnet und ist trist. In Linz scheint jedoch ein wenig die Sonne. Ich freue mich, Dommeister Clemens Pichler wiederzusehen. Er ist ein Mensch mit vielen Visionen und ich hoffe, mit ihm noch so manches Projekt auf den Weg bringen zu können.

Johannes, der Eremit, der die Woche vor mir in der Türmerstube verbrachte, freut sich, dass ich zur Schlüsselübergabe gekommen bin, obwohl ich wieder zurück nach Passau muss und dann erst spät nachts einziehen werde. So ist es für ihn ein schöner Abschluss seiner Auszeitwoche. Nach der gemeinsamen Andacht findet die Schlüsselübergabe traditionell beim Mittagessen im Kolping-Hotel statt. Aber das Hotel hat über die Feiertage geschlossen. So begeben wir uns (die Kolpingshausleiter, die Köchin für die Eremiten, der Dommeister, die spirituelle Begleiterin meines Vorgänger-Eremiten Johannes sowie seine Lebensgefährtin) auf »Herbergssuche«, aber erst in der vierten Gaststätte werden wir aufgenommen. Johannes leidet unter der Konfrontation mit den vorweihnachtlichen Menschenmassen nach der Woche Stille.

Wie werde ich mich wohl nach einer Woche ohne Kontakt zur Außenwelt fühlen? Abgeschieden in 66 Metern Höhe in einer kleinen Stube?

Die Schlüsselübergabe folgt einem festgelegten Ritual. Der Eremit, der die Auszeit beendet, darf drei Sätze sagen, die spirituelle Begleiterin zwei und ich, als Kommender, einen. Johannes erzählt, wie sich seine Erwartungen an die Eremitenzeit gar nicht erfüllten und er gelernt habe, keine Erwartungen zu haben, wie er viel langsamer geworden ist, viel bewusster und wie er dem Eremitensein weiter nachspüren will.

Ich habe ein sehr bewegendes Jahr hinter mir und ich wünsche mir, in dieser Woche Auszeit einfach zurückschauen zu können auf alles, was geschehen ist. Aber ich wünsche mir auch, mein Vorhaben, die Gleichnisse Jesu genauer anzuschauen, umzusetzen: zum einen, weil ich ein Musical-Libretto dazu schreiben möchte, zum anderen, weil ich mir dadurch Anregungen und Inspirationen für mein politisches Handeln erhoffe. Nachdem ich den Schlüssel, das Eremiten-Notfallhandy und Geschirrtücher überreicht bekommen habe, verabschieden wir uns.

Die Rückfahrt durchs Donautal ist genauso seltsam wie die Hinfahrt. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Ständig schwirrt mir meine To-do-Liste im Kopf herum. Ich muss noch dringend einen Antrag an den Bundesvorstand der ÖDP schicken, damit ich als Bundesvorsitzender eine Aufwandsentschädigung bekomme. Denn momentan arbeite ich zwar mehr als Vollzeit, bekomme aber nichts dafür. Auf Dauer kann das nicht gut gehen. Mitten in diese Hektik in meinem Kopf kommt mir die Erinnerung an den Heiligen Abend 2009. Es war ein Tag mit herrlichem Wetter. Ich kam von einer meiner Linzer Stadtführungen und war genervt, dass ich mit schrecklich nach Rauch stinkenden Kleidern im Auto sitzen musste, obwohl es schon eine Stunde her war, dass ich mit der Gruppe im Lokal gewesen war. Es wurde geraucht. In Österreich gibt es ja noch keinen wirklichen Nichtraucherschutz. Aber in Bayern wurde gerade darüber diskutiert, das Rauchverbot, das am 1. Januar 2008 von der CSU- Staatsregierung eingeführt worden war, am 1. August 2009 zurückzunehmen. Es war Mitte April und ich hatte kein Verständnis dafür, dass wir jetzt in Bayern in allen Gaststätten wieder zugequalmt werden sollten. Wenn das Verbot in den Speisegaststätten lange Zeit funktioniert hat und wenn man dann in Österreich wieder dem Rauch ausgesetzt ist, dann fragt man sich: Warum, liebe Politiker in Bayern, müsst ihr dieses hervorragend funktionierende Gesetz zurücknehmen?

Weil in der ÖDP gerade ein neuer Landesvorstand gewählt war, der frisch und dynamisch wirkte, dachte ich mir: Vielleicht solltest du in der nächsten Woche, in der konstituierenden Sitzung am 18. April, einfach einmal die Frage stellen, ob wir nicht zu diesem Thema ein Volksbegehren machen könnten. Damit wirklich einmal das Volk entscheidet. Denn ich war nicht der Einzige, den es stört, wenn er im Rauch sitzen muss. Es funktionierte doch nahezu überall auf der Welt, dass nicht geraucht wird. Diese Idee, die Anfrage wegen eines Volksbegehrens, war genau genommen der Anlass für die Auszeit, die ich heute Abend beginne.

In Passau angekommen, schreibe ich noch schnell einige E-Mails und poste auf Facebook, dass ich mich eine Woche in die Eremitage zurückziehen werde. Leider schaffe ich es nicht mehr, meinen Rucksack zu packen, um nach dem Kindergottesdienst und der Christmette ganz entspannt nach Linz fahren zu können.

Auf der Fahrt von der Altstadt in Passau, wo ich direkt neben dem Scharfrichterhaus wohne, in meine Heimatpfarrei St. Josef-Auerbach, in der ich seit meinem 9. Lebensjahr ministriere, telefoniere ich mit dem Chefredakteur der Am Sonntag wegen eines Berichts über meine Eremitenwoche.

Christmette

In der Sakristei werde ich von den kleinen Ministranten willkommen geheißen: »Servus, Fränki.« Die Stimmung in dieser Gemeinschaft ist einfach wunderbar und tut mir nach dem Stress unendlich gut. Als verantwortlicher Ministrant versuche ich, den kleinen und dann auch den großen Sängern die Nervosität zu nehmen, und rede ihnen gut zu. Beim Sanktus fällt mir auf, dass die Kleinsten noch nicht vorn bei der Krippe stehen. Unser Pfarrer winkt sie heran. So können sie sich das Christuskind in der Krippe mit Josef und Maria anschauen.

Die Kommunion reicht mir mit einem: »Schön, dass’ da sind, Sebastian« ein inzwischen alter Mann, der mir schon als 9-jährigem Ministranten die Kommunion jeden Sonntag früh gegeben hat. Er lächelt und ich fühle mich zu Hause wie der kleine Bub damals.

Das Weihnachtsfest ist für mich jedes Jahr die Zeit der größten Besinnung, des Innehaltens, des Zu-mir-Kommens, aber auch das Fest des gemeinsamen Miteinanders, wenn keine Feindschaft mehr zu spüren ist, wenn wir Menschen auf der ganzen Erde uns endlich einmal als Einheit sehen – an diesem Fest der Liebe.

Am Ende des Gottesdiensts stehen die Ministranten an den Ausgängen und wünschen den Messbesuchern frohe Weihnachten. Ich habe das eingeführt, weil ich es schön finde, wenn zumindest an Weihnachten und Ostern diese frohe, festliche Stimmung mit einem Händedruck den Gottesdienstbesuchern vermittelt und in ihren Alltag mitgegeben wird. Außerdem hören die Ministranten und die Sänger auf diese Weise viel Lob: »Gut habt’s das gemacht, schön, dass ihr da seid.«

Seitdem ich Stadtrat bin, wird mir unterstellt, dass ich nur wegen der Wählerstimmen ministriere. Es geht mir aber um die Menschen, es geht mir darum, ihnen etwas zu vermitteln, den Mitwirkenden eine Gemeinschaft zu bieten, ein Zusammengehörigkeitsgefühl und das Gefühl, dass sie aktiv an etwas teilnehmen können. Ich selbst komme mir vor wie in einer großen Familie, in der ich mithelfe, damit sich alle gut aufgehoben fühlen.

Später bei meinen Eltern gibt es wie jedes Jahr Schweinswürstel mit Sauerkraut, Punsch dazu und Glühwein und Semmeln. Ich unterhalte mich in der Küche mit meiner Mutter über den Gottesdienst, denn sie selbst hatte heuer keine Zeit hinzugehen. Ich schwärme ihr von der Gemeinschaft vor. Beim Essen fragt mich mein Vater nach meinen politischen Plänen und was mich meiner Meinung nach in der Eremitage erwartet.

Nachdem ich noch schnell meine E-Mails gecheckt habe, fahre ich gemeinsam mit meiner Mutter zur Christmette. Während der Messe, kurz nachdem ich die erste Lesung vorgetragen habe, bemerken wir Ministranten, dass wir den falschen Ablaufplan haben, nämlich den vom Vorjahr. Ich laufe während des nächsten Gesangs in die Sakristei und kopiere im Pfarrbüro schnell den aktuellen Ablaufplan. Ich bin rechtzeitig zurück und gebe meiner Mutter, die die nächste Lesung lesen darf, und dem Pfarrer den richtigen Plan.

Alles läuft danach reibungslos und es ist eine würdevolle Christmette. Wir Ministranten in Auerbach sind bei den Gottesdiensten richtig gefordert und müssen und können uns einbringen und mitbestimmen. Der Pfarrer fragt mich jedes Jahr, ob ich wieder ministrieren möchte, weil er weiß, dass dann alles gut geht und die Stimmung besinnlich sein wird.

Was ich in diesem Jahr wieder durchsetzen konnte, ist, dass es außer den Kerzen am Christbaum kein elektrisches Licht in der Kirche gibt. Es gehört zum Weihnachtsfest, dass zu Beginn der Messfeier alles dunkel ist und dann nur die Krippe mit Kerzen erleuchtet wird und die Christbaumkerzen entzündet werden als Ausdruck dafür, dass Christus geboren ist und Licht in die Welt gebracht hat.

Nach der Christmette fahre ich meine Mutter heim. Dann geht’s ab in meine Wohnung. Die letzten E-Mails geschrieben, noch mal kurz bei Facebook vorbeigeschaut und auf meinen Post. Tatsächlich gibt es schon Kommentare zu meinem Vorhaben, eine Woche als Eremit zu leben. Es freut mich, dass viele positive Meldungen darunter sind. Jemand schreibt, dass es doch gut wäre, wenn sich mehr Politiker einmal zurückziehen würden. Natürlich plane ich diese Eremitentage hauptsächlich für mich, aber ein bisschen freut es mich trotzdem, wenn solch ein Posting aufgeht und Denkprozesse und Diskussionen anstößt, wie Politiker denn eigentlich sein sollten, oder auch, wie man mit dem Glauben umgeht.

Donautalfahrt

Und kurz nach ein Uhr ist es dann so weit: Ich sitze im Auto und fahre nach Linz. Hinter der österreichischen Grenze überlege ich, welche Musik ich hören möchte. Weihnachtslieder? Es ist schließlich Heiliger Abend. Aber nach zwei bis drei Liedern möchte ich einfach meine ›Musik im Donautal‹ hören.

Ich fahre im Jahr fünfzig bis hundert Mal durchs Donautal und höre oft, gerade wenn ich nachts unterwegs bin, gregorianische Gesänge vom Hilliard Ensemble und zart-klangvolle Saxophonmusik von Jan Gabarek. Man fühlt sich dann, als wäre man ein Pilger, der im Mittelalter mit Pferden oder Karren unterwegs ist, der langsam den Fluss entlanggeht und an verschiedenen Klöstern vorbeikommt und hört, wie die Mönche ihre Gesänge üben.

Als ich unterhalb der Burg Vichtenstein vorbeifahre, träume ich: Es wäre toll, in so einer Burg zu wohnen. Ich weiß natürlich, was es bedeutet, eine Burg zu bewohnen und zu erhalten. So wie ich jetzt in meiner Wohnung über den Dächern von Passaus Altstadt lebe, ist es doch besser! Das Kloster Engelhartszell ist wunderbar hell angestrahlt. Es ist eine traumhaft schöne Nacht. Bisher ist mir kein einziges Auto begegnet.

Auf der Burg Rannariedl auf der gegenüberliegenden Flussseite schimmert durch ein einziges Fenster Licht. Ich begrüße die Burg mit zwei Fingern, wie ich es immer mache, wenn ich vorbeifahre. Vor ein paar Jahren entdeckte ich hinter den von Efeu überwucherten Mauern einen kleinen aufgelassenen Friedhof. Es war im Frühjahr, teilweise waren die Gräber noch mit Schnee bedeckt. An anderen Stellen hatten sich bereits Krokusse und Schneeglöckchen durch den hart gefrorenen Boden gekämpft. Der Friedhof ist größtenteils verfallen, schon lange gibt es kein neues Grab mehr, aber es stehen doch Kerzen auf einigen Gräbern. Auf manchen der halb umgefallenen und zerbrochenen Grabsteinen sind Fotos mit den Namen und Berufen der Verstorbenen zu erkennen. Der Gedanke schießt mir durch den Kopf, dass ich im letzten Jahr diesen Friedhof gar nicht besucht habe, und ich nehme mir vor, das in diesem Frühjahr nachzuholen.

Es beginnt langsam zu schneien. In der Schlögener Schlinge bemerke ich, dass ich sehr müde bin, nehme aber trotzdem nicht die kürzere Strecke, sondern fahre den kleinen Wasserwirtschaftsweg unten an der Donau entlang. Man braucht zwar eine halbe Stunde länger, ist aber mitten in der Natur, dort, wo kein Haus mehr steht, wo es nur tiefe Schluchten gibt, begleitet von der breiten, langsam und majestätisch fließenden Donau. An den Hängen stehen naturgeschützte Bäume. Die Schöpfung ist wunderbar. Wenn ich hier fahre, genieße ich diesen Anblick und spüre großen Respekt vor dieser Schönheit.

Doch heute ist die Schlögener Schlinge irgendwie anders. Es ist stockfinster. Ich sehe fast nichts, nur die Lichter meines Autos erhellen den kleinen Wasserwirtschaftsweg. Auf der rechten Seite geht es steil hinauf, teilweise ragen die Felsen in die kleine Straße hinein, sodass ich heftige Kurven fahren muss. Auf der linken Seite geht es, meist ohne Geländer, sofort in die Donau hinab. Mir wird langsam immer schauriger zumute, denn der Weg ist nicht geräumt und ich habe doch Angst, dass ich stecken bleibe. So fahre ich ganz langsam und taste mich immer weiter in die Schlögener Schlinge hinein. Zum Glück liegt der Schnee nicht hoch, es sind nur fünf bis zehn Zentimeter. Meine Reifen ächzen und knarzen, es ist rutschig und ich muss ziemlich aufpassen, dass ich genau in der Fahrspur bleibe.

Zwei Schwäne tauchen plötzlich als weiße Lichtreflexionspunkte auf der schwarzen Donau auf. Hoffentlich habe ich sie nicht aufgeschreckt. Die Schneeflocken werden immer dichter und spiegeln sich im hellen Strahl der Scheinwerfer. Ab und zu verirrt sich eine kleine Flocke und bleibt auf der Windschutzscheibe für längere Zeit liegen. Die Strecke wird immer tiefer verschneit. Trotzdem fürchte ich mich nicht. Die Vertrautheit der Strecke und die wohlwollenden Klänge des Hilliard-Ensembles geben mir das Gefühl, gut behütet zu sein. Und schon tauchen drüben am anderen Ufer die Häuser der Jausenstation Obermühl auf. Auf einmal fällt mein Scheinwerferlicht auf eine Fähre. Sie liegt aber nicht auf dem Wasser, sondern das Schiff steht auf einem Metallgestell und ragt bizarr über die dunkelschwarze Donau. Ich kann die Schiffsschraube erkennen, um die herum in der Luft die fallenden Schneeflöckchen wirbeln und in meinem Scheinwerferlicht einen Tanz aufführen – ein Augenblick, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Ich freue mich und wie immer, wenn ich glücklich bin und einen solchen Moment tief in mich aufsauge, wird mir warm ums Herz und ich spüre mein innerstes Feuer. Da kommt mir eine frühere Tradition in meiner Gemeinde in den Sinn, wie alle ehemaligen Ministranten, die bei der Christmette ministrierten, und alle aktiven Ministranten immer nach der Mette noch im Pfarrheim gemütlich zusammengesessen und bei Punsch und Stollen über dies und jenes geredet haben. Leider wurde dieser Brauch nach kurzer Zeit beendet; ein damaliger Oberministrant, mittlerweile Kaplan, wollte ihn nicht. Aber weil heute Weihnachten ist, möchte ich mich nicht wieder aufregen. Ich selbst versuche den Brauch, dass Ehemalige an Weihnachten wieder ministrieren, neu einzuführen und so langsam kommen auch immer mehr. Doch meine Generation fehlt. Viele haben inzwischen Familie und wohnen weit weg. Wenn eine Gemeinschaft einmal zerbrochen ist, ist es schwierig, sie neu aufleben zu lassen. Deshalb gilt es, Gemeinschaften zu pflegen.

Ich spüre plötzlich, dass ich doch ziemlich erschöpft bin, und muss aufpassen, dass ich nicht in den Sekundenschlaf falle. Zum Glück hatte ich trotz vieler nächtlicher Fahrten noch nie einen Sekundenschlaf. Jetzt versuche ich es mit den üblichen Tricks: das Fenster öffnen und laut singen. Es sind zwar nur noch etwa zehn Minuten nach Linz zu fahren, aber ich pausiere doch lieber in der nächsten Busbucht. So etwas habe ich in diesem Jahr schon häufiger gemacht. Mindestens zwanzigmal habe ich auf Parkplätzen und Autobahnraststätten übernachten müssen. Ich stelle mir den Wecker auf drei Uhr, damit ich im ausgekühlten Auto nicht erfriere. Außerdem möchte ich unbedingt in der Nacht noch in die Turmstube einziehen. Ich schließe die Augen, aber meine Gedanken kreisen die ganze Zeit um Weihnachten und dass ich doch in dieser Nacht nicht einfach hier neben der Straße übernachten kann. Darum reiße ich mich noch einmal zusammen und fahre weiter. Zum Glück erreiche ich bald Linz. Nach dem Römerberg geht es links in die Herrenstraße Richtung Dom, wo genau vor dem Turm noch ein Parkplatz frei ist. Ich will nur noch ins Bett.

Einzug ins Eremitenzimmer

Sicherheitshalber nehme ich meine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und auch mein Handy, das ich eigentlich im Auto lassen wollte. Aber die Batterie des Notfallhandys, das ich mittags vom Vorgänger-Eremiten Johannes erhalten habe, ist leer, und wer weiß, ob ich es nicht doch brauche, wenn ich irgendwo ausrutsche oder stecken bleibe. Meinen übervollen und schweren Wanderrucksack auf den Rücken geschnallt, gehe ich zum Sakristeieingang. Ich schließe auf, mache Licht und schließe gleich wieder zu. Wo ist die Code-Tafel, um die nächste Tür zu entsichern? Ich will schließlich keinen Alarm auslösen!

Als ich sie endlich gefunden habe, stehe ich ratlos davor und denke über die Kombination nach. Im Mai hatte ich sie das letzte Mal gebraucht, weil ich damals den Generalschlüssel des Linzer Domes hatte, um auch nachts die Lichtinstallation im Dom aufbauen zu können, und heute beim Mittagessen habe ich noch groß getönt, dass ich wisse, wie der Code funktioniert, und man mir das nicht erklären müsse. Ich probiere diverse Codes aus. Da ich ein Geräusch an der Tür, die ich aufsperren möchte, höre, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie entriegelt ist. Als ich aber den Schlüssel in das Schloss stecken will und es nur ganz leicht mit der Schlüsselspitze berühre, geht der Alarm los. Ich renne zurück zur Codetafel und drücke verschiedene Tasten. Aber der Alarm geht nicht aus. Die Tür kann ich auch nicht aufsperren. Anscheinend ist sie noch nicht entriegelt. Ich drücke wieder an der Codetafel herum. Ah – endlich die richtige Kombination. Die Tür geht auf.

Ich befinde mich im Vorraum der Sakristei, die Tür zur Sakristei jedoch ist versperrt. Da höre ich drinnen auch schon das Telefon klingeln. Der Kontrollanruf vom Sicherheitsdienst. Wo ist nur die Codetafel für die Sakristei? Der Code von draußen funktioniert hier nicht. Auch der Schlüssel sperrt nicht. Ach, ist mir das jetzt peinlich! Ich ärgere mich richtig. Warum habe ich heute beim Mittagessen nicht noch einmal nachgefragt und musste so großspurig sein? Na, wenigstens bin ich jetzt wieder richtig wach. Was tun? Falls der Wachdienst auf dem Notfallhandy anruft, nützt es nichts, es hat ja keinen Strom. Zum Glück habe ich mein privates Handy dabei. Soll ich Clemens, den Dommeister, anrufen? Oder warte ich lieber noch ein wenig? Es klingelt noch einmal in der Sakristei, aber ich komme ja nicht hinein!

Ich halte mich ganz ruhig. Jedes Geräusch von außen scheint mir den Wachdienst anzukündigen. Doch nachdem er nach gefühlten zehn Minuten noch immer nicht auftaucht und der Alarm noch weiterbimmelt, gehe ich zur Tür Richtung Hauptschiff. Sie ist zum Glück ohne Code gesichert, ich sperre sie auf und hinter mir gleich wieder zu. Jetzt stehe ich mitten im Dom. Stille. Durch die großen Fenster, die bei Sonnenschein wunderbar herrlich in allen Farben erstrahlen, fällt nur ein wenig dumpfes Licht. Es ist düster, das Licht leicht bläulich in manchen Ecken und Winkeln, manche sind auch richtig schwarz. Da – das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos. Ich bleibe stehen. Aber es tut sich nichts, nur der Alarm in der Sakristei heult leise.

Je weiter ich mich im Dom Richtung Turm von der Sakristei wegbewege, desto leiser wird das Heulen. Langsam komme ich wieder zu mir. Ich bleibe kurz im Langhaus stehen. Endlich bin ich wieder in meinem Dom! Für einen kurzen Moment vergesse ich die ganze Aufregung um den Alarm und bin einfach nur da.

Wie komme ich aber jetzt in den Turm hinauf? Warum habe ich danach nicht auch gefragt? Rechts war doch der Aufzug? Aber den nehme ich lieber nicht. Wie hat der Vorgänger-Eremit gesagt? Als Eremit benutzt man keinen Aufzug! Außerdem bin ich hier schon zweimal stecken geblieben. Also suche ich auf der linken Seite die Tür. Zum Glück gibt es nur eine. Mein Schlüssel sperrt und ich beginne die enge Wendeltreppe hinaufzusteigen. Mit meinem großen Rucksack stoße ich immer wieder an die Stufen über mir an. Dann kommt ein Gitter mit der Aufschrift »Alarmgesichert!«. Aber ich muss doch weiter! Weit und breit keine Codetafel zu sehen. Ich will nicht noch einen Alarm auslösen. Aber jetzt ist mir schon ziemlich alles egal. Ich will einfach nur noch in die Eremitenstube. Das Gitter lässt sich zusammenschieben – kein Alarm ertönt. Ich erreiche nach einigen weiteren Stufen den unteren Glockenturm, in den ich hineinsteigen muss. Hier pfeift der Wind eiskalt. Es ist ziemlich gespenstisch. Überall an den Wänden gibt es schauderhafte Schattenwürfe der Stahlkonstruktionen. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Die gotischen Fensteröffnungen unterstreichen diese bizarren nächtlichen Eindrücke.

Die Taschenlampe und den Schlüssel fest fassend, finde ich den Aufgang zur nächsten Ebene. Beim Einstieg muss ich mich wieder ducken, um nicht mit meinem Rucksack anzustoßen. So steige ich die Wendeltreppe mit mehreren Windungen zum zweiten Glockenstuhl hinauf. Auch hier geht es über Metalltreppen, die aber nicht – wie bisher – durch einen steinernen Turm mit wenigen Fenstern führen, durch den ich mich irgendwie geschützt gefühlt habe, sondern im Freien, direkt an den Glocken vorbei nach oben. Der Wind pfeift mir um die Ohren und die Zahnräder geben knarrende Geräusche von sich.

Langsam werde ich müde und hoffe, dass ich bald oben bin. Merkwürdigerweise habe ich trotz dieses bizarren Aufstiegs keine Angst mehr. Ich leuchte mit meiner Taschenlampe nach oben und gleich wieder hinunter. Einfach weiter! Nach der Wendeltreppe kommen mehrere Schrägen mit Stufen. Ja, will denn das nie enden! Noch einmal eine Wendeltreppe und endlich eine Tür ins Freie. Links daneben eine Metalltür. Na, endlich! Mein Schlüssel sperrt die Tür auf und ein Licht geht an. Die nächste Tür ist aus Holz mit einem Fenster und – ich bin in meiner Eremitenstube. Ruhe umfängt mich.

Ich schalte das Licht an und schließe hinter mir zu. Nach einer kurzen Inspektion des Zimmers beziehe ich mein Bett und möchte einfach nur noch schlafen. Es ist aber viel zu heiß. Ich lüfte und stelle die Heizung ab. Eingekuschelt in meine Decke lese ich die Anleitung für Eremiten, die ich mittags bekommen habe. Hätte ich mir diese Information doch schon vorher durchgelesen! Hier ist nämlich genau beschrieben, wie man nachts die Sakristeitür mit welchem Code aufsperren kann. Im Schreiben ist auch genau erklärt, was zu tun ist, wenn der Alarm losgeht; dass man sich an den Wachdienst wenden sollte. Ach ja, das Notfallhandy. Ich suche nach dem Ladegerät und stecke es ein. Ich lösche das Licht und will schlafen. Da schalte ich es doch noch einmal ein und rufe den Wachdienst an. Nach einer kurzen Wartezeit meldet sich eine Dame: »Hallo, ich bin der Eremit im Linzer Dom. Ich habe aus Versehen den Alarm ausgelöst.« Die Dame fragt nach dem Notfall-Codewort. Wieder hätte ich heute Mittag nachfragen sollen. Im Mai wusste ich es noch, aber ich verwechsle es immer. Aber die Dame sagt: »Ach, ich seh gerade, der Wachdienst hat schon beim Dom vorbeigeschaut. Es ist alles in Ordnung.«

Beruhigt lege ich auf. Ich schalte mein Handy aus. Vier Uhr dreißig. Ein ganz schön langer Heiliger Abend!

Erster Weihnachtsfeiertag

Meine Kraftquellen

Ich habe unruhig geschlafen, mein Hals tut weh und mir war in der Nacht sehr heiß. Nach dem Stress war klar, dass ich krank werden würde. Gegen zehn Uhr wache ich das erste Mal richtig auf. Ich habe nicht vor, die nächsten Tage in dieser Stube mit dickem Kopf zu verbringen, und nehme deshalb Tabletten ein und koche mir einen Tee. Zum Glück habe ich auch meine blaue, flauschige Wärmflasche eingepackt. Die kleine Eremitenstube nehme ich durch meine verschwommenen Augen noch gar nicht richtig wahr. Ich lege mich gleich wieder hin.