Vom Fluch entzweit (Die Magie-Reihe 2) - Christina M. Fischer - E-Book
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Vom Fluch entzweit (Die Magie-Reihe 2) E-Book

Christina M. Fischer

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Beschreibung

**Die Reise in die Welt der Phönixe beginnt** Nach den katastrophalen Ereignissen um die entflohene Phönixkönigin ist die junge Magiestudentin Mel nun heilfroh, dass ihre weitere Ausbildung zur Hexe nahezu ereignislos verläuft. Doch der Traum vom eigenen Geschäft rückt in weite Ferne, als ihr ehemaliger Hexenmeister Ash Bradak plötzlich spurlos verschwindet. Ihre Suche nach dem Mann, der sie regelmäßig in den Wahnsinn treibt und den sie trotzdem über alles liebt, führt sie unweigerlich in die Alte Welt. Ein Ort, der von uralter gefährlicher Magie durchdrungen ist und dem man, einmal betreten, nur schwer entkommen kann – ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt… //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der knisternd-fesselnden »Magie-Reihe«: -- Durch Magie erwacht (Die Magie-Reihe 1) -- Vom Fluch entzweit (Die Magie-Reihe 2) -- Im Zauber vereint (Die Magie-Reihe 3) -- Alle Bände der knisternd-fesselnden »Magie-Reihe« in einer E-Box (Die Magie-Reihe)// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Christina M. Fischer

Vom Fluch entzweit (Die Magie-Reihe 2)

**Die Reise in die Welt der Phönixe beginnt** Nach den katastrophalen Ereignissen um die entflohene Phönixkönigin ist die junge Magiestudentin Mel nun heilfroh, dass ihre weitere Ausbildung zur Hexe nahezu ereignislos verläuft. Doch der Traum vom eigenen Geschäft rückt in weite Ferne, als ihr ehemaliger Hexenmeister Ash Bradak plötzlich spurlos verschwindet. Ihre Suche nach dem Mann, der sie regelmäßig in den Wahnsinn treibt und den sie trotzdem über alles liebt, führt sie unweigerlich in die Alte Welt. Ein Ort, der von uralter gefährlicher Magie durchdrungen ist und dem man, einmal betreten, nur schwer entkommen kann – ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt …

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Vita

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© privat

Christina M. Fischer, Jahrgang 1979, lebt mit ihrer Familie im schönen Main Spessart. Sobald sie lesen konnte, verschlang sie ein Märchenbuch nach dem anderen, später wechselte ihre Leidenschaft zu Fantasy. Mit vierzehn Jahren begann sie mit dem Schreiben eigener Geschichten. Ihre bevorzugten Genres sind Urban Fantasy, Dark Fantasy und Romance Fantasy.

1. KAPITEL

Mel

Kennt ihr diesen Moment? Wenn man hilflos dasteht, weiß, dass man reagieren sollte, und gleichzeitig hofft, der Boden möge sich auftun und einen verschlingen?

Auch ich hatte solche Momente, aber niemals zuvor waren sie so heftig gewesen.

»Nackt?«

In meinem Wohnzimmer war es totenstill, daher zuckte ich regelrecht zusammen. Ash hatte gesprochen. Er saß in meinem Sessel, hatte die langen Beine ausgestreckt und warf mir einen Blick zu, der mich wünschen ließ an jedem anderen Ort der Welt zu sein … nur nicht hier.

Ich wäre seinem Raubtierblick am liebsten ausgewichen, aber das würde er mich später bereuen lassen.

Der andere Mann in meinem Wohnzimmer hatte das Sofa in Beschlag genommen. Seine Arme ruhten auf der Rückenlehne, ein Bein hatte er lässig über das andere geschlagen. Mit den schwarzen Haaren und den grauen Augen war er Ashs dunkler Gegenpart. Was die Größe betraf, überragte er sogar meinen Freund um einige Zentimeter.

Ich hatte das nicht geplant, wirklich nicht. So verrückt war ich dann doch nicht. Heute war einfach dieser furchtbare Zustand eingekehrt, den man Zufall nannte, was in meinem Fall zu einer Katastrophe zu werden drohte.

»Du hast Mel also nackt gesehen?«, präzisierte Ash, damit es auch keinen Zweifel gab.

Mir war völlig schleierhaft, wie die beiden sich nach nur einigen Worten duzen konnten.

Mein Gast grinste breit. Er hatte ein Gesicht, dem die Frauen scharenweise verfallen könnten. Das schräge Lächeln um die sinnlichen Lippen versprach heiße Stunden und das Aufblitzen der hellen Augen, die von einem dichten, dunklen Wimpernkranz umrandet waren, brach Herzen am laufenden Band.

Ich stand hilflos zwischen ihnen und wusste nicht, wem ich zuerst meine Aufmerksamkeit schenken sollte. »Äh …«

»Aber natürlich«, antwortete mein Gast.

In diesem Moment begegnete ich Ashs Blick. Er sagte es nicht laut, aber ich hatte so was von verkackt.

»Und wie anschmiegsam sie ist. Andauernd schlang sie die Arme um meinen Hals und wollte von mir getragen werden. ›Noch einmal‹, sagte sie, und das immer wieder.«

Brutus, schienen Ashs Augen mir entgegenzuschleudern. Mir brannten die Wangen, weil wir uns erst gestern geliebt hatten und er mich auf diese Weise getragen hatte.

»Ist es nicht süß, dass sie nicht alleine einschlafen kann?«, fuhr mein Gast fort. Ich hatte von diesem Abend längst genug, aber die beiden Männer in meinem Wohnzimmer hatten nicht vor mich gehen zu lassen.

»Ja, Mel ist wirklich sehr anhänglich«, pflichtete Ash ihm bei.

Äußerlich war er vollkommen ruhig, innerlich brachen wahrscheinlich an die Tausend Vulkane bei ihm aus.

»Und dieses Muttermal auf ihrem Po. Ich habe es geliebt.«

Großer Gott! Mach, dass diese Katastrophe endet.

Ich heftete meinen Blick auf die Zimmertür meiner neuen Mitbewohnerin. Vergeblich. Fiora war für den Fall ausgegangen, dass Ash über Nacht bleiben wollte. Dieses Zusammentreffen fing an nicht mehr so zufällig zu wirken, wie ich gedacht hatte, je länger ich den beiden zuhörte.

»Ja, das Muttermal«, raunte Ash. Es fehlte nur noch, dass er knurrte.

»Und wie sensibel sie an den Fußsohlen ist …«

Okay, jetzt legte er es darauf an. »Moment mal …«

»Das ist mir neu. Ich werde es später testen müssen.«

Die Drohung saß. Ich straffte die Schultern und warf dem dunkelhaarigen Mann einen zornigen Blick zu. »Es reicht jetzt.«

»Liebes, ich habe mit keinem einzigen Wort gelogen, oder?«

Es fehlte nicht viel und ich würde meine Geduld verlieren. »Nein, das hast du nicht.«

»Hat er nicht?« Der dunkle Ton in Ashs Stimme verriet mir, dass es ihm lieber gewesen wäre, er hätte gelogen. In seinem Kopf setzte er wahrscheinlich die ganzen Informationen zusammen … Alle falsch herum.

»Es stimmt. Er hat mich nackt gesehen und mich auf Händen getragen. Wir haben sogar zusammen in der Badewanne gesessen.«

Mit jedem meiner Worte wurde Ashs Miene grimmiger.

»Ach ja«, fuhr ich fort, »die Windeln hat er mir übrigens auch gewechselt.«

Das brachte meinen Freund aus dem Konzept und wäre ich nicht die Leidtragende in ihrem kleinen Spiel, ich hätte ihn ausgelacht. Stattdessen richtete ich meinen Blick auf den riesigen Mann auf meiner Couch. »Dad, du hast es gewusst!«

Ich genoss beinahe das aufblitzende Begreifen in Ashs Gesicht. Er musste geglaubt haben einen meiner Verflossenen vor sich zu haben. Stattdessen machte er heute überraschend Bekanntschaft mit meinem Vater.

Ben Roomy grinste mich breit an. Er und meine Mom waren sehr jung gewesen, als sie mich bekommen hatten. Er war dreiundvierzig Jahre alt, sah aber aus, als wäre er Ende zwanzig. Während meiner Schulzeit hatte ich mindestens fünf Freundinnen gehabt, die mir anvertraut hatten sich in meinen Vater verliebt zu haben. Hierbei musste ich ihm zugutehalten, dass er das nie provoziert hatte, aber er hatte diese lockere, spitzbübische Art an sich, durch die man jede Scheu verlor. Für die Jungs war er der jung gebliebene Kumpel, für die Mädchen auf ewig unerreichbar gewesen, denn er liebte meine Mutter abgöttisch.

Trotz seines sonnigen Gemütes hatte er aber eine dunkle Ader und die bekamen diejenigen zu spüren, in die ich mich verliebte.

Laut meiner Mutter war es pure Eifersucht. »Du bist sein einziges Kind«, pflegte sie immer zu sagen. »Ein Mann wird schon einiges ertragen müssen, wenn er dich aus seinen Armen rauben will.« Es klang total übertrieben, aber so war mein Dad. Aus diesem Grund hatte ich das erste Treffen zwischen ihm und Ash sorgfältig planen wollen. Doch er war mir zuvorgekommen.

»Wie zum Kuckuck hast du von Ash erfahren?«

»Mein Herz, ein Vater spürt immer, wenn seine Tochter geraubt wird«, antwortete er theatralisch. Fehlten nur noch die Tränen in seinen grauen Augen.

»Fiora«, vermutete ich nachdenklich. Meine Mitbewohnerin war vielleicht ans Telefon gegangen und hatte sich verplappert.

»Ich kann einfach nicht fassen, dass du uns auflauerst …«

»Sei nicht dramatisch«, unterbrach er mich ruhig. »Ich wollte nur deinen neuen Freund … kennenlernen.«

Kennenlernen … Meinem letzten Freund hatte er die Schulter ausgerenkt. Ich wusste bis heute nicht, ob es Zufall oder Absicht gewesen war.

»Fein«, sagte ich, die Arme vor der Brust verschränkend. »Dad, das ist Ash Bradak, mein Freund. Ash, das ist mein Vater, Ben Roomy. So, jetzt hast du ihn kennengelernt.«

Ash war aufgestanden und zu mir gekommen. Mein Vater saß immer noch so nonchalant da wie zuvor und hatte seine gute Laune nicht verloren. Er war beeindruckend, das war er immer, aber ich hoffte, dass Ash sich nicht von ihm einschüchtern ließ.

»Sehr erfreut«, antwortete Ash und legte sogar einen Arm um meine Hüfte. In diesem Moment fing das Augenlid meines Vaters an zu zucken.

Ich rechnete es Ash hoch an, dass er das voller Selbstbewusstsein ignorierte und mich sogar näher an sich heranzog.

»In Ordnung, das ist nah genug«, brummte mein Vater und machte Anstalten, sich zu erheben.

»Dad, weiß Mama, dass du hier bist?«

Mein Vater konnte lügen, ohne eine Miene zu verziehen, aber wenn meine Mutter im Spiel war, verriet er sich.

»Deine Mutter genießt im Moment eine Aromatherapie, da dachte ich mir: Schau doch mal bei Mel vorbei.«

Da! Der Kerl log wie gedruckt.

»So? Wie ich Mama kenne, ist sie immer erreichbar.« Ich lächelte meinen Vater breit an, während ich nach meinem Handy griff.

»Ah, Liebes, stör sie am besten nicht.« Mein Dad war nur noch zwei Schritte von mir entfernt. Ich wich zur Küche aus. »Ach was, Mama freut sich immer, wenn ich anrufe.«

Jetzt konnte ich förmlich die Panik in seinen Augen sehen. Meine Mutter war mit ihren ein Meter fünfundsechzig im Vergleich zu meinem Vater winzig, aber sie hatte ihn gut unter Kontrolle.

Ich tippte ihre Nummer ein und hielt inne, als mein Dad eine Hand auf meine Schulter legte.

»Wie können wir die Sache hinbiegen?«, fragte er mich, während seine Augen eines sagten: Ruf sie bloß nicht an!

»Für den Anfang wirst du Ash nichts zuleide tun.«

Mein Freund hob eine Braue, ließ mich jedoch die Sache regeln.

»Mein Schatz, das mit deinem letzten Freund war ein unglückliches Versehen.«

Von wegen Versehen. »Du hast Justin gesagt, dass nur ein Mann für mich infrage käme, der einen Fallschirmsprung wagen würde.«

Mein Vater grinste. »Ah ja, das war ein Anblick, den ich nie vergessen werde.«

»Und mit meinem Freund davor bist du zelten gewesen. Ich weiß bis heute nicht, warum er die ganze Zeit etwas von Bären geschluchzt hat.«

»Nun, Bären sind ein Teil unserer Natur«, wandte mein Vater ein.

»Nicht dort, wo ihr gezeltet habt. Da gab es noch nicht einmal Moskitos!«

»Unser Leben ist unberechenbar, Liebes.«

»Genau. Aber ich kenne etwas, das berechenbar ist, und zwar, wie Mama darauf reagieren wird, dass du hier bist, anstatt am Haus zu werkeln.«

Mein Vater war in meiner Teenagerzeit eine richtige Klette gewesen. Nur meiner Mutter hatte ich es zu verdanken, dass ich ab und an auf einige Partys hatte gehen können.

»Liebes, das ist unfair.«

Und das vom Meister der Unfairness.

»Du gehst gerne zelten?«

Wie eine Person drehten wir uns zu Ash um, der die Frage gestellt hatte. Mein Dad gewann seine Fassung wieder zurück und grinste sogar. Ich hatte versucht Ash vor einem vermeintlichen Ausflug zu bewahren und nun tappte er von selbst in die Falle. »Ash?«

Sein Finger glitt streichelnd über meine Seite, wie um mich zu beruhigen, und in dem Moment, als ich zu ihm aufsah, verschwand meine Nervosität. Ash war nicht wie meine Exfreunde, er würde sich nicht von meinem Vater vergraulen lassen.

»Zelten, Fallschirmspringen, auf schnellen Maschinen durch die Nacht jagen«, antwortete ich grimmig.

Daraufhin lachte er leise. »Ich glaube, jetzt verstehe ich deine Abneigung gegen meine Harley etwas besser«, verriet er mir.

»Harley? Eine Harley-Davidson?«

Argwöhnisch wandte ich mich meinem Dad zu. In seinen Augen glomm nun etwas anderes auf: eine Leidenschaft, die ihn mit Ash verband.

Die hatte er versucht, so früh es ging, auf mich zu übertragen. Zwar hatte er mich immer ausreichend gesichert und wenn er mit mir auf dem Motorrad gesessen hatte, war er nicht schnell gefahren, aber ich hatte jedes Mal eine Heidenangst davor gehabt, die mein Dad natürlich nicht verstehen konnte. Für ihn war es das Größte, mit dem Motorrad eine freie Straße zu befahren.

»Was für ein Modell?«

Das war der Moment, in dem ich mich ausklinkte. Ihr Gespräch über das und jenes Modell, die Pferdestärken und die gesunden Geräusche, die Motorräder von sich gaben, interessierte mich sowieso nicht. Ich meinte, konnten Fahrzeuge überhaupt gesunde Geräusche fabrizieren?

Ich setzte mich in den Sessel und sah ihnen zu. Nach einer Stunde hatten sie den Whiskey geköpft, den ich für besondere Feierlichkeiten im Haus hatte.

Ich rief meine Mutter an. Whiskey und jemand, der die gleiche Leidenschaft für Motorräder teilte, waren Dinge, denen mein Vater nicht widerstehen konnte.

Nach einer weiteren Stunde hatte er einen Arm um Ashs Schulter geschlungen und plante seinen nächsten Roadtrip mit ihm. Mein Freund hielt sich gut. Natürlich versuchte er sich mit meinem Vater anzufreunden und von meinen drei Liebschaften, die ich in meinem jungen Leben gehabt hatte, hielt er sich am besten, aber ich fühlte mich etwas vernachlässigt, daher war ich erleichtert, als es an der Tür klingelte.

Mein Dad war so in das Gespräch vertieft, dass er das Klingeln nicht mitbekommen hatte.

Ich öffnete die Tür und lächelte beim Anblick meiner Mutter. Jean Roomy trug Jeans und eine Lederjacke. Ihre Haare hatte sie vor einem halben Jahr rot gefärbt und neuerdings trug sie eine freche Pixiefrisur.

Sehr oft hatte ich mir gewünscht, wie sie zu sein, klein und zierlich, aber ich kam komplett nach meinem Dad.

»Hey, Mom.« Ich nahm sie in den Arm und überragte sie dabei um gut einen Kopf.

»Hallo, Schatz.« Obwohl sie viel kleiner war als ich, fühlte ich mich immer geborgen, wenn sie bei mir war.

»Wo ist er?«

Mit dem Kopf deutete ich Richtung Wohnzimmer. Mehr brauchte sie nicht. Nach einem knappen Lächeln ging sie in meine Wohnung und auf den Raum zu, in dem die beiden Männer saßen.

»Benjamin Jonathan Roomy.«

»Schatz«, hörte ich meinen Vater überrascht ausrufen.

»Du wolltest dich endlich um unsere Garage kümmern und jetzt finde ich dich hier? Betrunken?«

»Betrunken? Aber Schatz …«

Ich kam hinter ihr in das Zimmer.

»Liebes.« Er sah mich an, als hätte ich ihn verkauft. Das hatte er sich alles selbst zuzuschreiben.

»Ben, wir gehen.«

»Aber Jean, ich wollte nur Mels Freund kennenlernen«, meinte er und schob Ash vor, der neben ihm vor der Couch stand. Meine Mutter maß ihn mit einem Blick und streckte ihm dann lächelnd die Hand entgegen. »Die Umstände tun mir leid. Ich bin Jean Roomy.«

»Sehr erfreut. Ash Bradak.«

»Mels Hexenmeister?«, fragte sie überrascht. In unseren Telefonaten hatte ich mich sehr oft mit meiner Mutter über mein Studium unterhalten. Unter anderem war auch sein Name gefallen. Damals hatte ich ihn natürlich nicht persönlich gekannt.

»Nun, nachdem ich mit Mel zusammengekommen bin, wurde sie jemand anderem zugeteilt.«

Meine Mutter warf mir einen jener sagenumwobenen Blicke zu, die Angst und Schrecken bei meinem Dad und mir verbreiteten. Ich hatte ihr nichts von meinem kleinen Trip in die alte Welt erzählt. Wie brachte man seinen überbesorgten Eltern schon bei, dass man sich mit einem Gott verbunden hatte?

»So? Sie muss vergessen haben das zu erwähnen.«

»Genau«, sprang mein Vater sofort darauf an. »Ich wollte einfach nur sehen, ob es ihr gut geht. Sie hat uns noch nicht einmal erzählt, dass sie einen Freund hat.«

Wer wurde jetzt dramatisch? »Ich wollte euch mit Ash bekannt machen, es schien nur nie der passende Moment gekommen zu sein.«

»Mel hatte sicher ihre Gründe«, meinte meine Mutter ruhig, aber ich machte mich schon auf ein stundenlanges Telefonat mit ihr gefasst.

»Wer sagt uns, dass Ash ihr nicht das Herz bricht?«

»Das macht er nicht, sonst breche ich ihm das Genick.«

Ich hätte mir am liebsten ein Kissen aufs Gesicht gedrückt und geschrien, stattdessen warf ich Ash einen nervösen Seitenblick zu. Meine Eltern waren wie ein Wirbelsturm, der immer wieder durch mein Leben fegte. Ich liebte sie aus tiefstem Herzen, aber sie waren anstrengend.

Ash hielt dem Blick meiner Mutter stand und verbeugte sich leicht. »Mrs Roomy, ich hoffe Ihren Ansprüchen gerecht zu werden und Sie zwei nie zu enttäuschen.«

Er musste das Richtige gesagt haben, denn meine Mutter lächelte ihn an. »Wir werden sehen. Mr Bradak, ich hoffe, dieses offizielle Treffen findet bald statt. Mein Schatz, wir telefonieren.«

Sie nahm mich kurz in den Arm, bevor sie meinen Vater aus dem Raum bugsierte.

Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, fingen meine Beine an zu zittern.

»Uff«, machte ich und lehnte mich gegen das Sofa.

Ich hatte Angst, Ashs Blick zu begegnen, aber er lächelte mich an. »Deine Eltern sind … interessant.«

»Interessant? Wohl eher kurios. Als Kind hat mein Vater mir erzählt, dass er Superkräfte besitzt, und ich habe ihm geglaubt. Er hat all mein kaputtes Spielzeug repariert, welche Fünfjährige würde da nicht an Superkräfte glauben? Im Nachhinein habe ich erfahren, dass mit seiner Superkraft Uhu, der Sekundenkleber, gemeint war.«

Ashs Brust bebte, als er anfing lauthals zu lachen. »Dein Dad ist cool!«

»Unter anderem. Vor allem sind meine Eltern neugierig, übertrieben besorgt und könnten der CIA Konkurrenz machen, aber sie lieben mich und ich sie.«

Ash kam auf mich zu, stemmte die Hände auf der Sofalehne ab und hatte mich somit mit seinem Körper gefangen. »Sie sind großartig, obwohl ich zugeben muss, dass deine Mom angsteinflößend ist.«

Das war sie wirklich. Jean Roomy ließ sich nie kleinkriegen, egal wie groß und mächtig ihr Gegenspieler war.

»In meinem ganzen Leben war ich dreimal richtig verliebt. Zwei Männer davon hat mein Vater vergrault, ich wollte dich nicht …«

Weiter kam ich nicht, denn Ash senkte den Kopf und küsste mich. Es war ein sanfter Kuss, dazu gedacht, mich zu beruhigen. »Dachtest du, ich würde mich vertreiben lassen?«

Ich schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte mich an ihn. »Entschuldige bitte.«

Ash schüttelte entschieden den Kopf. »Nicht sofort.«

»Was hast du vor?«, fragte ich ihn überrascht, als er mich aufhob und in mein Zimmer trug.

»Es gibt da einige Sachen, die ich dringend ausprobieren muss«, wisperte er mir ins Ohr, bevor er mich küsste, dieses Mal hungriger.

Die nächste Stunde mit Ash ließ mich atemlos zurück. Er liebte mich so intensiv, dass ich danach vollkommen erschöpft war. Die Vorstellung eines Exfreundes in meiner Wohnung hatte ihn alles andere als kaltgelassen.

Nun glitt ich mit den Fingern über das Muster auf seinem rechten Arm. Ash war eingeschlafen, aber ich lag hellwach da. Ich erinnerte mich an unseren Anfang, an den Moment, in dem wir uns verliebt hatten, und lächelte. Meine Eltern hatten unrecht. Nach außen hin wirkte Ash unnahbar, aber er sorgte sich um jene, die er liebte. Und er liebte mich. Mit jeder Berührung und jedem Blick ließ er mich das spüren. Manchmal war seine Liebe zart wie eine Blütenknospe und dann so feurig heiß, dass sie mich zu versengen drohte. Auf jeden Fall erreichte sie nur, dass ich mehr wollte. Ich sehnte mich nach seiner Liebe und auch wenn wir bei Weitem noch nicht so weit waren wie andere Paare, wollte ich meinen Lebensweg an seiner Seite gehen.

»Mel«, flüsterte er meinen Namen, als hätte er diesen Gedanken gehört.

Ich setzte mich auf und schaute auf ihn hinab.

Ash schlief immer noch, aber auf seiner Stirn bildeten sich feine Schweißperlen.

»Mel, bleib hier«, murmelte er weiter.

Ich glitt mit den Fingern über seine Brust. »Ash, ich bin bei dir.«

Im nächsten Moment wurde ich gepackt und herumgewirbelt.

Überrascht schaute ich zu ihm auf. Er hielt mich mit seinem ganzen Körper fest und begegnete verstört meinem Blick, als würde er sich noch in einem Traum befinden.

»Was ist los?«, fragte ich, die Hand an seine Wange legend. »Hast du schlecht geträumt?«

Er zog die Brauen zusammen. »Keine Ahnung … Ich habe es vergessen.«

Weil ich mich um ihn sorgte, hob ich den Kopf und küsste ihn sanft. »Schlaf weiter. Ich bin bei dir«, versprach ich, worauf er sich wieder neben mich gleiten ließ und mich eng an sich zog.

2. KAPITEL

Menos

Der lang gezogene Ruf des Nachtvogels war bis ins Innere des herrschaftlichen Anwesens zu hören.

Sie befand sich in einem kleinen Hof, vielmehr einem Kunstgarten, den man nur angelegt hatte, um die Augen zu erfreuen. Kein Fremder hatte das Recht, hier zu verweilen, und dennoch wanderte sie durch diesen Garten, als würde sie darüber bestimmen.

Menos stand im Torbogen und empfand ein unerklärbares Gefühl des Unbehagens. In seinem langen Leben hatte er viele schreckliche Erlebnisse durchgestanden, gegen die Biestbezwinger gefochten und sogar sein Können an den Hexen bewiesen. Immer hatte er sich zuversichtlich gefühlt und daran geglaubt, eine Chance zum Sieg zu bekommen.

Wenn er aber diese Frau betrachtete, bildete sich auf seinem ganzen Körper Gänsehaut.

Sie war genauso groß wie ein Elf und trotz ihrer muskulösen Erscheinung wies sie eine Weiblichkeit auf, die sich nicht verleugnen ließ. Ihre Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen und den blauen Augen erinnerten ihn an ein Raubtier. Der Mund aber war voll und sinnlich, selbst wenn er Worte sprach, die einen das Fürchten lehren konnten.

Bei ihrer ersten Begegnung hatte er vorgehabt sie zu töten, jetzt war er gezwungen ihr zu dienen. Mit nur einem Blick hatte sie seine Schwäche erkannt und ihn handlungsunfähig gemacht.

»Ich höre dich atmen.«

Menos blieb für weitere zwei Sekunden verborgen, in denen er versuchte jegliche Emotionen aus seinem Gesicht zu bannen, dann trat er in das Mondlicht. Sie wandte ihm das Profil zu. Das braune Haar hatte sie zu einem festen Zopf geflochten, der sie niemals beim Kampf behindern würde. Ihre Rüstung war stabil genug, um einen Schwerthieb problemlos überstehen zu können, und doch bewegte sie sich, als würde sie nichts wiegen. Fremdartiges Metall, das nicht aus seiner Welt stammte.

»Wieso die Geheimniskrämerei?«

»Verzeih, das war keine Absicht.« Er ging nun ganz in den Garten.

Die Elfen huldigten der Natur und in Kunstgärten wie diesen sprachen sie ihre Gebete. Er hätte sie am liebsten mit allem, was er hatte, von hier vertrieben.

Nachdem Arran verschwunden war, hatte er die Erde verlassen, um nach ihm zu suchen, und sie gefunden. Mittlerweile wünschte er sich ihr nie begegnet zu sein.

»Komm zu uns.«

Ihm stockte kurz der Atem, dann ging er zu ihr und konnte die andere Frau sehen, die auf einer Liege lag. Die Elfe war jung und von außergewöhnlicher Schönheit. Sein Herz drohte stehen zu bleiben, so groß war seine Sorge um sie.

»Arinea ist eingeschlafen.«

Sein ungewollter Gast setzte sich zu der Elfe und glitt mit dem Finger über die zarte Haut seiner Tochter.

Menos fing an zu zittern. Er unterdrückte den Wunsch voranzustürmen und Arinea in Sicherheit zu bringen. Sie war das einzig Gute, das ihm von seiner Frau geblieben war, die in den Hexenkriegen ihr Leben gelassen hatte.

»Sie ist immer so müde.«

Arinea war schön wie die Sonne, aber sie war von einer zu zerbrechlichen Natur und wurde leicht krank.

»Sie sollte in ihrem Bett liegen, Herrin.«

»Oh, keine Sorge, da wird sie hinkommen.«

Die große Frau stand auf und kam auf ihn zu. Auf ihrem Rücken trug sie ein Schwert, das sie aber nur selten zum Kämpfen benutzte. In ihren Armschienen befand sich eine Technologie, die sie ihnen allen überlegen machte. Alleine an ihren Namen zu denken, erfüllte ihn mit Angst.

»Ytharia, wie kann ich dir heute Abend dienen?«

Er hatte ihr ein Gemach im Südflügel gegeben und doch kam sie immer wieder hierher, denn Arinea genoss ihre Gesellschaft.

Menos konnte sie nicht von seiner Tochter fernhalten und ihr auch nicht erzählen, warum Ytharia so gefährlich war.

»Du bist schon viel zu lange in dieser Welt. Solltest du nicht allmählich zurückgehen und deine Rolle als Konsul weiterspielen?«

Er zuckte zusammen, als sie die Hand ausstreckte und seine Wange berührte. Sie konnte immer sagen, was in den Personen um sie herum vorging.

»Meine Rolle ist aufgeflogen«, gestand er leise und zwang sich dazu, ihrem Blick standzuhalten. Plötzlich hatte er das Gefühl, einer Schlange in die Augen zu starren.

»Wie das?«

»Ein Schatten des Elfenrates hat herausgefunden, dass ich für Arran gearbeitet habe.«

Er krümmte sich vor Scham, weil er seinen Herrn und Freund verriet, aber hier ging es um die Sicherheit seiner Tochter.

»Haben sie von dir verlangt deinen Dienst zu quittieren?«

Zur Antwort schüttelte er den Kopf. Er war gegangen und das aus einem guten Grund. In seiner Position als Konsul war er zu machtvoll gewesen. Obwohl er nicht viel von den Hexen hielt, so profitierte die alte Welt von dem Bündnis mit der Erde. Die Ressourcen der Menschen jedoch könnten Ytharia ihrem Ziel nur noch näher bringen. Als sich die Gelegenheit geboten hatte, hatte er aufgegeben. Was er ihr sagte, war keine Lüge und doch wusste sie auch über die Hintergründe Bescheid, denn sie legte ihre Hand um seinen Hals und drückte zu.

»Es lief noch nicht einmal eine Untersuchung gegen dich. In dieser machtvollen Stellung hättest du mir etwas genutzt.«

Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Er war froh seine Stellung aufgegeben zu haben, doch je mehr Zeit er mit Ytharia verbrachte, umso schrecklicher wurde sie in seinen Augen.

»Ich konnte nichts tun, ich …«

»Lüg mich nicht an!«

Die Wucht, mit der sie ihn nach hinten stieß, schleuderte ihn fünf Meter zurück gegen die Hauswand. Ein irdener Blumentopf fiel von einem Regal und ging zu Bruch.

Arinea zuckte zusammen und wurde in dem Moment wach, als er wieder auf die Beine kam.

»Vater, was ist passiert?«

Er musste Ytharia nicht ansehen, um zu wissen, wann Schweigen angebracht war.

»Dein Vater ist unglücklich gestolpert.«

Als wäre sie eine andere Person, das Gesicht gutmütig und sanft, setzte Ytharia sich neben seine Tochter und strich ihr über das helle Haar. Obwohl er am liebsten zu ihr geeilt wäre, wusste er, dass er sie niemals aufhalten könnte. Sein Herr, Arran, war mächtig, aber noch nicht einmal er würde dieser Frau ein Ende bereiten können.

»Hast du dir wehgetan?«

»Mir geht es gut«, log er seine Tochter an. »Bleib nicht zu lange wach«, riet er, bevor er die beiden verließ.

Der einzige Grund, der ihn weitergehen ließ, bestand daraus, dass Ytharia seiner Tochter kein Haar krümmen würde. Noch nicht, denn selbst wenn er kein Konsul mehr war, so war er ihr auf andere Weise von Nutzen. Und während er sein Volk und seine Freunde betrog, hoffte er einen Weg zu finden, sie unschädlich zu machen.

***

Ytharia

Die Stille der alten Welt, wie sie die Elfen nannten, war für ihre Ohren kaum zu ertragen. Sie war an ein ständiges Summen gewöhnt, an eine Stromquelle, den Gebrauch von Maschinen. An Stimmen und Menschen, die immerzu darauf aus waren, jedem ihrer Wünsche zu gehorchen.

Sie war an die ständige Gegenwart von Sklaven gewöhnt, daran, dass man sie an- und auszog, sie badete und auf ein Wort von ihr von einer Klippe sprang und starb.

Hier war sie eine Unbekannte und doch hatte sie sich dafür entschieden, die Bequemlichkeiten ihrer Welt zurückzulassen, und war hierhergekommen.

Weil sie die Stille nicht ertragen konnte, aktivierte sie ihren Ohrring, der ihr unter anderem auch als Kommunikationsmittel diente. Sofort erschien ein hochmodernes Visier über ihren Augen. Sie konnte farbenfrohe Bilder sehen, begleitet von melodischen Tönen.

Musik war etwas, das ihre Mutter über alles geschätzt hatte. Sie hatte immer gesagt, wenn es ein Wunder auf der Welt und im ganzen Kosmos gebe, dann liege es in der Musik. Nicht in der Geburt ihrer vier Töchter, sondern in der Musik.

Selbst jetzt ließ der Gedanke an die kleine Frau sie verbittert werden. Atharia Yosun war eine weltberühmte Sängerin gewesen, bis sie einem mächtigen Mann ins Auge gefallen war. Ab da hatte noch nicht einmal ihre Berühmtheit sie davor bewahren können, seine Gemahlin zu werden. Wenngleich sie nun eine Königin von Milliarden war, so hatte die Vermählung sie auch zur Sklavin gemacht.

»Ytharia?«

Sie schaltete das Visier aus und wandte sich von dem Fenster ab. Menos’ Tochter, ihr Pfand, lag unschuldig in ihrem Bett. Ytharia hatte in ihrem Leben viele Geliebte unterschiedlichen Geschlechtes gehabt, aber Menos’ Tochter war eine Besonderheit. Sie war an der Elfe nicht im romantischen Sinn interessiert, sondern weil Arinea sie mit ihrer hellen Erscheinung an ihre Mutter erinnerte. Sie fand es faszinierend, Unschuld in diesem Gesicht zu sehen oder Scheu. Gefühle, die ihre Mutter ihren Kindern gegenüber niemals gezeigt hatte. Und das war auch gut so, denn nach nicht einmal hundert Jahren hatten ihre Kinder sich gegenseitig fast ausgerottet. Nur sie, Ytharia, war noch hier, obwohl ihrer Mutter jede andere Tochter lieber gewesen wäre.

»Ytharia?«

Die Elfe tastete auf der leeren Bettseite nach ihr und setzte sich dann verschlafen auf.

»Ich bin hier«, antwortete sie und schaute wieder aus dem Fenster.

Arinea bewohnte ein Gemach im höchsten Stockwerk des Anwesens, fast einem Turm gleich, der sich trotzig in den Himmel erhob.

Von hier aus hatte man einen wundervollen Blick auf die Stadt Theratai, die im Gegensatz zu der Hauptstadt Ilantha eine der größten Städte der Elfen war. Sie war umgeben von einem gewaltigen Wall, um magische Kreaturen besser abwehren zu können. In ihrer kurzen Zeit bei den Elfen hatte Ytharia in Erfahrung gebracht, dass die meisten Städte über einen Schutzwall verfügten, und das aus einem guten Grund. Die magischen Kreaturen griffen in regelmäßigen Abständen an.

Arinea kam zu ihr und lehnte sich an sie. »Du bist schon wieder wach.«

»Ich kann nicht schlafen.« In ihrer Welt wäre eine andere Person längst dafür getötet worden, so vertraulich mit ihr zu sprechen. Sie selbst hätte es nicht anders gewollt. Hier … war sie eine Welt weit weg.

Manchmal, wenn sie die Augen schloss, konnte sie sogar eine Weile lang glauben, dass ihre Welt und ihr Volk nicht mehr waren als eine Illusion, und doch hielt diese Vorstellung nie lange an, bevor die Wut zu ihr zurückkehrte. Eine Wut, die siedend heiß in ihr gärte und dennoch nie zur Oberfläche drang. Die Wut darüber, verraten worden zu sein.

»Ytharia?« Die Elfe glitt mit den Fingern zu ihrer Hand, die sich zur Faust geballt hatte. »Hast du Streit mit Vater? Du kannst mit mir reden. Wir sind Freundinnen.«

Freunde? Die Dornen der Freundschaft hatte sie nie vergessen können. Sie stachen tief und zerfetzten Arterien, wenn man versuchte sie aus dem Fleisch zu ziehen.

»Freundinnen«, flüsterte sie, bevor sie ein Lächeln aufsetzte, das so echt war wie die Liebe Atharia Yosuns zu ihren Kindern. »Ja, das sind wir.«

Solange Menos sich an die Abmachung hielt, waren sie Freundinnen. Doch wenn er Anzeichen zeigte, sie zu verraten, würde diese Freundschaft genauso enden wie die Leben ihrer Schwestern, die sie beendet hatte.

»Soll ich dir wieder eine Geschichte erzählen?«

Arinea strahlte. Sie liebte die Sonne, sie liebte die Nähe zu anderen und sie liebte Geschichten. Ytharia hätte niemals geglaubt je wieder Geschichten zu erzählen. Früher hatte sie Worte zu wunderbaren Träumen gesponnen, um eine geliebte Person glücklich zu machen, jetzt waren sie Mittel zum Zweck. Sie hatte viele Methoden, um zu erreichen, was sie wollte, von Verführung bis hin zu roher Gewalt. Sie war der Puppenspieler und ließ ihre Marionetten nach ihrer Laune tanzen.

»Kennst du die Geschichte der Sternenprinzessin?«

Arineas Augen leuchteten auf, als sie den Kopf schüttelte. Kurz darauf fing Ytharia an zu erzählen und wob List und Tücke zu Worten, die ein Herz umgarnen konnten.

3. KAPITEL

Ash

Seine festen Schuppen rieben über uralten Stein. Er genoss die grobe Berührung, denn sie vermittelte ihm das Gefühl, am Leben zu sein.

Um ihn herum war Erde, allgegenwärtig und doch erzitterte er nicht vor Angst, denn sie war ihm vertraut. Im Laufe von Äonen hatte er Furchen in den Stein geschliffen und ein gigantisches Höhlensystem erschaffen, durch das er sich fortwährend vorwärtsbewegte.

Er war einzigartig und doch mit allem eins, spürte die Hufe von Pferdeherden auf grünem Gras und das Schlagen der Drachenschwingen in den Lüften dieser Welt.

Die Dunkelheit war sein Zuhause und doch konnte er sich an Tage erinnern, als er nicht mit der Erde verbunden gewesen war, sondern den Himmel für sich beansprucht hatte. Als er noch über Flügel verfügte, die ihn überallhin trugen, wohin er wollte.

Seine Nüstern bewegten sich, nahmen einen anderen Geruch auf. Er konnte diese fremde Person genauso intensiv fühlen wie die Welt, in der er gefangen war. Und doch hatte er sich selbst in die Zelle gesperrt und den Schlüssel weggeworfen, den jemand zu seiner Überraschung gefunden hatte.

Ein Licht tauchte in dem Gang vor ihm auf und er bewegte sich langsamer. Am Ende des Tunnels schien ein Spiegel zu existieren, aber je näher er kam, umso weniger ergab das, was er vor sich sah, einen Sinn. Sein Körper war gewaltig, aber in dem Spiegel blickte ihm jemand anderes entgegen. Ein Mann, der ihm nicht unbekannt war … Die Tragödie, der Fluch … Sein …

***

Entsetzt sprang Ash aus dem Bett. Sein T-Shirt war schweißnass und das Herz donnerte ihm gegen die Brust, als er sich eine Hand darüberlegte.

Mel, die immer noch im Bett lag, bewegte sich unruhig.

»Ash?«, fragte sie murmelnd.

Er ging zu ihr und strich mit zitternden Fingern über ihre Wange. »Alles in Ordnung. Schlaf weiter.«

Nichts war in Ordnung, aber das war ein Geheimnis, das er alleine ergründen musste. Sie in Sorge zu stürzen, war nicht seine Absicht.

Er fuhr sich über die nasse Stirn und verzog das Gesicht, weil es ihn dringend nach einer Dusche verlangte. In Mels Schrank hatte sie Platz für ihn geschaffen. Dort holte er sich Wechselkleidung und verließ das Schlafzimmer.

Ihre Wohnung lag still und verlassen da. Er hatte Fiora heute gar nicht zu Gesicht bekommen. Mels Mitbewohnerin kam und ging, wie ihr der Sinn stand, daher konnte er nicht sagen, ob sie schon zu Hause oder immer noch auf der Piste war.

Nach der Dusche schlüpfte Ash in Boxershorts, bequeme Trainingshosen sowie ein frisches T-Shirt, bevor er vor den Spiegel trat. Im ersten Moment prallte er zurück, denn nicht sein rotes Haar fiel ihm ums Gesicht, sondern weiße Strähnen. Ash schluckte hart, konnte nicht glauben, was er sah. Das war eine Halluzination, das musste eine sein.

Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte, um den Dunst von der Oberfläche des Spiegels zu wischen. Als er dieses Mal hineinsah, blickte ihm seine vertraute Erscheinung mit den roten Haaren entgegen.

Er schloss die Augen und holte tief Luft. Was war mit ihm los? So konnte es nicht weitergehen. Er musste den Grund für diese Träume herausfinden, aber er hatte die dumpfe Vermutung, dass die Antwort in der alten Welt lag.

Nachdem er sich einigermaßen erholt hatte, ging er in die Küche, um etwas zu trinken. Auf dem Weg dorthin wurde der Schlüssel in die Tür gesteckt und Fiora trat ein.

Mels Mitbewohnerin war quietschbunt. Anders konnte er ihre knallige Erscheinung nicht benennen. Mit der neongrünen Jacke und den orangefarbenen Schuhen hob sie sich aus der Masse hervor. Das schwarze Kleid jedoch passte zu allem. Sie hatte eine ähnliche hellbraune Hautfarbe wie seine Mutter und rostrotes Haar. Ihre bernsteinfarbenen Augen blieben für einen Moment verdutzt auf ihm liegen, bevor sie ihn freundlich anlächelte. »Hey, Ash.«

»Wow, dieses Mal bist du wirklich spät dran.«

»Früh«, korrigierte sie. »Ich hab im Hardem etwas ausgeholfen.«

Obwohl sie einem anderen Job nachging, übernahm sie hin und wieder ein oder zwei Schichten in Mereas Club. Meistens ging sie aber hin, um zu feiern, in diesem Sinne ließ Fiora nichts anbrennen.

»Und warum bist du so früh auf den Beinen?«, fragte sie, die Jacke an den Haken hängend.

»Ich wollte mir was zu trinken einschenken. Möchtest du auch was?«

»Wasser, bitte«, antwortete sie, während sie sich die Schuhe von den Füßen streifte.

Er nickte ihr zu und ging in die Küche, wo er sich und ihr Wasser in zwei Gläser eingoss. Zu Beginn war er erleichtert gewesen zu erfahren, dass Mels neue Mitbewohnerin eine Frau war. Im Grunde wäre jeder akzeptabel gewesen bis auf dieses ausgekochte Schlitzohr, das immer wieder versuchte ihm seine Frau zu stehlen. Perran. Unwillkürlich stieß er ein Brummen aus. Er wusste, dass Mel Verehrer hatte, aber nur dieser eine ging ihm unter die Haut, denn seine kleine Hexe liebte Perran. Sie liebte ihn als Freund, aber der Mistkerl gab sich damit nicht zufrieden. Er würde alles versuchen, um Mel zu verführen.

Ash setzte sich an den Tisch und blickte auf, erwartete Fiora zu sehen, aber in der Tür stand Mel, die sich verschlafen die Augen rieb.

»Du warst nicht im Bett«, wisperte sie, bevor sie zu ihm kam und sich auf seinen Schoß setzte. In Momenten wie diesen fehlte nicht viel, um ihn die Kontrolle verlieren zu lassen. Ganz davon abgesehen, dass sie nicht begriff, wie bezaubernd sie mit den zerzausten Locken aussah. Ihre Lippen bewegten sich an seinem Hals.

»Hm, du riechst gut«, flüsterte sie, sich noch enger an ihn schmiegend. Ash legte eine Hand an ihren Hinterkopf und presste seine Lippen auf ihren Scheitel.

»Es ist so schön, von dir gehalten zu werden. Du bist warm und duftest so gut.«

Er versuchte ruhig zu bleiben, als sie wieder an seinem Hals schnupperte. Das Duschgel hatte er sich gekauft, weil er gemerkt hatte, dass sie den Geruch mochte. Damals hatte er jedoch nicht erwartet, dass es seine Standhaftigkeit derart auf die Probe stellen würde.

»Pft.«

In der Tür zur Küche stand Fiora. Sie hatte ihr Kleid gegen Leggins und ein weites Shirt in Neonpink getauscht und verkniff sich nicht gerade erfolgreich ein Lachen.

»Trink dein Wasser«, murmelte Ash kopfschüttelnd.

»Dir ist bewusst, dass sie gerade auf deinem Schoß eingeschlafen ist?«, fragte Fiora amüsiert und nahm ihm gegenüber Platz.

Mels Mitbewohnerin war unkompliziert und manchmal viel zu sorglos, aber ihm war aufgefallen, dass Fiora ernst wurde, wenn es um ihre Freundschaft zu Mel ging.

Die beiden verstanden sich super und konnten stundenlang in Gesprächen versinken, die für ihn keinen Sinn ergaben. Wenn sie sich über diese oder jene Serie unterhielten, stand er hilflos daneben und war froh, wenn er ein Konzept von den zehn verstand, die sie gerade diskutierten.

»Perran hat nach ihr gefragt. Er will nächste Woche vorbeikommen.«

Am liebsten wäre er die ganze Zeit über bei Mel, wenn der Elf zu Besuch kam, aber er wollte sie nicht einengen und vertraute ihr. Dem Elf hingegen traute er nicht über den Weg.

»Wirst du auch da sein?«

»Soll ich für dich die Anstandsdame spielen?«

Er konnte ihr nichts vormachen und lächelte sie stattdessen reumütig an. Sie schüttelte grinsend den Kopf und griff sich in ihre Mähne.

Weil ihr Haar sehr kraus war, bemerkte er Jheeba erst jetzt auf ihrer Schulter. Der kleine Kerl hatte Fiora sofort ins Herz geschlossen, was ihm auch verraten hatte, dass die junge Frau in Ordnung war. Jheeba würde einen schlechten Menschen gleich durchschauen.

Nachdem sie ihr Wasser ausgetrunken hatte, wünschte sie ihm eine gute Nacht und ging mit Jheeba in ihr Zimmer.

Der Morokon war außergewöhnlich verständnisvoll. Er verhielt sich manchmal wie ein Kind und klammerte, aber er war sehr darauf bedacht, Mel und ihm genügend Freiraum zu geben. Daher schlief er oft bei Fiora, die nur zu gerne auf das kleine Wesen aufpasste.

Ash schlang die Arme um seine freche Hexe und stand auf. Sie war sehr groß, aber leicht genug, damit er sie problemlos in ihr Schlafzimmer tragen konnte.

Behutsam legte er sie auf das Bett. Das Licht aus dem Flur traf ihr Gesicht, aber sie schlief wieder tief und fest.

Am liebsten hätte er sie geweckt. Es war einfach nicht fair, dass sie es immer und immer wieder schaffte, ihn aus dem Konzept zu bringen.

Sein Finger glitt zu ihrem Kinn. Er musste lächeln, als sie auf niedliche Weise den Mund verzog.

Morgen, das versprach er sich, würde er sich gebührend dafür revanchieren, dass sie einfach so auf seinem Schoß eingeschlafen war.

Er schaltete das Licht im Flur aus und legte sich neben sie. An Schlaf war nicht zu denken, nicht nach diesem furchtbaren Traum, daher nutzte er die Zeit, um ihre vom Mondlicht beschienene Gestalt gebührend zu betrachten.

4. KAPITEL

Datho

Ungezähmte Luft fegte über den Platz und drückte die Grashalme nieder. Die Drachin hatte sich das Tal zwischen den Frostgipfeln als Hort ausgesucht. Von der Sonne beschienen, schillerten ihre Schuppen bläulich, als sie majestätisch in der Luft kreiste und zum Sinkflug ansetzte. Unweit von ihrem Landeplatz erhoben sich die Köpfe ihrer vier Jungen.

Das musste ihr ganzer Wurf sein und zeugte von der Verbissenheit der Drachin, ihren Nachwuchs, so gut es ging, zu versorgen. Im Normalfall überlebte immer nur ein Junges. Das hier mit anzusehen, kam einem Wunder gleich.

Datho blickte fasziniert durch sein Fernglas. Zwischen ihren Kiefern trug die Drachin ein Reh, das sie erlegt hatte.

Er folgte ihrem Landeanflug und beobachtete, wie die Jungen einen Happen nach dem anderen aus dem erlegten Tier bissen, dann schwenkte er das Fernglas zu dem abgelegenen See, an dem die magischen Wesen ihren Durst stillten.

Natürliche Substanzen verliehen dem Wasser eine unwirkliche, aber wunderschöne hellblaue Färbung. Heute hatte er jedoch etwas Ungewohntes an sich.

Weil er von hier nicht gut genug sehen konnte, zog er sich rückwärts kriechend zurück, bis er aus dem Blickfeld der Drachin verschwunden war.

Ein Waldstück grenzte an ihren Hort und gab ihm die Möglichkeit, sich ungesehen zwischen den Bäumen zur Seite zu bewegen.

Ab der Hälfte des Weges hörte er Schritte, die ihm folgten. Datho drehte sich um. Zwei Krieger kamen in sein Sichtfeld und obwohl sie zivile Kleidung trugen, verrieten ihre wachsamen Gesichter ihre Zunft.

Die beiden Männer glichen sich wie ein Ei dem anderen. Der älteste der Zwillinge, Khiu, trug sein Haar in einem strammen Zopf, damit es ihm nicht die Sicht versperrte. Sein Bogen war gut gepflegt und die Pfeile trafen immer ins Schwarze. Sein Bruder Rhui wusste mit der Klinge umzugehen, aber er beherrschte auch die Flüche perfekt.

Weil Drachen über ein fantastisches Gehör verfügten, bedeutete er den beiden still zu sein. Am liebsten hätte er sie zurückgeschickt, aber sie befolgten nur ihre Befehle. Selbst wenn es ihm nicht gefiel, so befand er sich auf Anordnung des Rates hier und war durch diese gebunden.

Der Wind, der durch die Berge nach unten zog, war eisig kalt, was ihm das Element der Drachin verriet. Nur Eisdrachen siedelten sich freiwillig in Gebieten mit niedrigen Temperaturen an. Ihr Eisatem konnte jede Bedrohung für sich und ihre Jungen bannen. Weil er keine Lust hatte, zum Eisblock zu gefrieren, setzte er seine Schritte mit Bedacht. Seine Begleiter bewegten sich ohnehin lautlos.

Nach einem Fußmarsch von fünfzehn Minuten hatte er die Richtung gewechselt und sein Ziel erreicht. Das Wasser des Sees glitzerte in der Sonne, aber er ließ sich nicht täuschen.

Datho legte das Fernglas beiseite und griff nach seinen Notizen, die er seit Jahren in einem Buch mit grünem Einband niederschrieb. Das Buch hatte seine geliebte Frau ihm geschenkt. Mit den Fingern glitt er zärtlich über das kunstvoll gefärbte Leder. Sie war eine Meisterin der Jagd gewesen, stark und wunderschön. Niemand hatte begriffen, warum sie gerade seinen Heiratsantrag angenommen hatte.

Nera, flüsterte sein Mund lautlos. Selbst heute, so viele Jahre nach ihrem Tod, hatte er sich keine andere Frau geholt, sondern ging einer anderen Leidenschaft nach: der Erforschung der schwarzen Tränen.

Nera hatte den Elfen mit ihrem Schwertarm gedient und er wollte mit seinem Wissensdrang und seinem Verstand ebenfalls dazu beitragen, die Elfen zu unterstützen. Kein anderer wusste besser über die Flüssigkeit Bescheid, die seine Welt mehr und mehr vergiftete. Aus diesem Grund hatte der Rat ihn beauftragt den Verfall so genau wie möglich vorherzusagen.

Von seiner erhöhten Position aus konnte er in den See blicken. Am Grund breitete sich Schwärze aus. Wie eine Spinne, die behäbig auf ihrem Platz blieb und darauf wartete, dass das Opfer in die Falle tappte.

Die magischen Tiere hatten die Bedrohung noch nicht entdeckt.

Nachdem er sich einige Daten notiert hatte, verstaute er das Buch wieder in seinem Beutel. Die Brüder beobachteten ihn und die Umgebung mit wachsamen Augen und doch sahen sie es nicht kommen, als er wild gestikulierend und schreiend den Schutz der Bäume verließ und auf das Tal zurannte.

Die Drachin, die ihre Jungen beim Fressen beobachtet hatte, brüllte überrascht auf und stellte sich schützend vor ihr Nest. Ihr Hals dehnte sich aus und nur Sekunden später spie sie ihm ihren Eisatem entgegen.

Datho wich dem bläulichen Strahl aus und rannte weiterhin auf den See und ihren Hort zu.

Khiu und Rhui stießen Verwünschungen aus und zogen ihre Waffen. Als die Drachin die neue Bedrohung sah, entschied sie sich für eine andere Strategie. Sie umschlang ihre Jungen mit ihrem großen Maul und erhob sich in die Lüfte.

Nachdem er seinen Plan in die Tat umgesetzt hatte, blieb Datho stehen und sah dem magischen Wesen hinterher, wie es sich mit sicheren Flügelschlägen von dem Hort und der lauernden Gefahr Richtung Süden entfernte.

»Meister Datho, was habt Ihr Euch dabei gedacht?«

»So ist es einfacher, das Phänomen zu untersuchen«, erklärte er Khiu lächelnd. Außerdem hätte er es nicht ertragen, mit ansehen zu müssen, wie das Muttertier von dem verschmutzten Wasser trank und sich veränderte.

Seine Beschützer warfen sich einen kurzen Blick zu, dann folgten sie ihm stumm, die Waffen gezogen und immer ein Auge auf die Drachin habend.

Datho befürchtete nicht, dass das magische Tier zurückkehrte. Die Drachin war stark genug, um ihn zu töten, aber sie würde dabei das Leben ihrer Jungen riskieren. Aus diesem Grund hatte sie sich für die Flucht entschieden.

»Entspannt euch«, riet er den jungen Männern. »So schnell wird sie nicht wiederkommen.«

»Entspannen? Der Hauptmann verlangt absolute Wachsamkeit«, sagte Rhui. »Wie konntet Ihr Euch zu diesem Unsinn hinreißen lassen? Noch nicht einmal Khiu hätte das magische Wesen mit einem Pfeilschuss töten können und für einen meiner Flüche standet Ihr zu nah an meinem Ziel.«

»Der Hauptmann ist nicht hier«, entgegnete Datho, während er eine Glasphiole aus seinem Reisebeutel nahm. »Und es ist doch alles gut gegangen.«

Von seinem Platz aus konnte er in die Tiefen des Sees spähen, der von einer unterirdischen Quelle gespeist wurde, und trat näher heran.

»Meister Datho, seid vorsichtig«, warnte Khiu ihn.

»Befürchtest du, dass ich mich anstecke?«

Der Elf sagte nichts, aber das musste er auch nicht. In der heutigen Zeit wusste jeder Bewohner der alten Welt von der Bedrohung. Und jeder fürchtete sie.

Datho warf den Brüdern ein beruhigendes Lächeln zu, bevor er sich über das Wasser bückte und die Phiole füllte. Der kleine Griff ermöglichte ihm dies, ohne es zu einer Berührung kommen zu lassen. Die Reste der Flüssigkeit fing er mit einem Stofftuch ein, bevor er dieses in den See warf, um die Gefahr eines Hautkontaktes mit der Flüssigkeit zu unterbinden.

Als er den Behälter im Licht hielt, zeigte sich keinerlei Verunreinigung im Wasser.

Verblüfft und ungläubig ließ er den Arm sinken.

»Wir sollten zurückgehen«, sagte Khiu, der mit seinem Bruder in der Nähe des Sees gewartet hatte.

»Ja, das sollten wir«, stimmte Datho ernst zu.

Seine Wachen beäugten ihn misstrauisch, waren aber offenbar viel zu erleichtert, um nach dem Warum zu fragen.

Datho nahm die Zeichnung einer Landkarte und einen Stift aus seinem Beutel und verstaute die Phiole im Inneren, nachdem er sie mit aller Vorsicht verschlossen hatte. Danach markierte er die Stelle auf der Karte, an der sie sich befanden.

Für einen Moment verharrte er regungslos, bevor er alles einpackte und sich den Reisebeutel umhängte.

»Wie lange brauchen wir bis zur Truppe?«

»Zwei Wegstunden. Die Sonne wird bei unserer Ankunft am Zenit stehen«, antwortete Rhui, während er mit der Hand zu der Siedlung deutete, die sich deutlich oberhalb des Tals befand.

»Klettern«, seufzte Datho. »Ich war nie gut im Klettern.«

***

Gegen Mittag erreichten sie die uralte Bergfestung. Datho hielt sich die Seite. In dieser Höhe zu atmen schmerzte. Die Brüder hatten die Kletterpartie weitaus besser ertragen, aber sie waren jung und fit. Er konnte problemlos über Stunden wandern, doch diese Höhe machte ihm zu schaffen.

Vor einer Stunde hatten sie eine Höhle betreten, von der aus ein Tunnel zum Bergpfad führte. Dieser Pfad hatte ihm am meisten abverlangt. Die Luft war viel zu dünn und die Aussicht zu gewaltig und atemberaubend gewesen. Nur ein falsch gesetzter Schritt hätte ihn ins Verderben gerissen.

Er liebte die Ebenen, Räume, die nach Pergament und Tinte rochen, aber niemand wusste so viel über die Krankheit wie er. Aus diesem Grund kletterte er als Archivar auf Berge und überwand Höhlen aus dunklem Stein.

»Sie sind ungeduldig«, murmelte Khiu und tatsächlich, noch ehe sie durch das große Tor traten, kam ihnen eine Person entgegen.

»Hauptmann«, begrüßte Khiu seinen Vorgesetzten respektvoll.

»Ihr seid spät dran«, stieß der hochgewachsene Mann aus, hielt den Blick jedoch auf Datho gerichtet.

Dieser lächelte den Krieger an. »Seid gegrüßt, Hauptmann Keren.«

»Kommt mir nicht damit«, fuhr der Krieger ihn an. »Was sollte dieses Benehmen? Ihr rennt aus der Deckung auf eine Drachin zu, deren frisch geschlüpfte Jungen noch neben ihr sind?«

»Ah, Ihr müsst uns mit dem Fernglas beobachtet haben«, vermutete er. Von hier oben konnte man das ganze Tal überblicken.

»Und ihr? Wie konntet ihr ihn das tun lassen?«

Die Brüder blickten betreten zu Boden und fanden scheinbar keine Worte, um den Zorn ihres Hauptmannes zu mildern.

»Hauptmann Keren, alles, was ich tat, war gut durchdacht. Zu keiner Sekunde befand ich mich in Gefahr.«

»Der Eisatem hat Euch um ein paar Zentimeter verfehlt. Ein paar Zentimeter!«, fuhr der Krieger ihn an. »Mir wäre fast das Herz stehen geblieben.«

Mit den Brüdern hätte er versucht zu scherzen, aber dieser Mann hier war anders. »Habt Ihr einen Stuhl für mich? Ich bin nicht mehr der Jüngste.«

»Ihr seid sogar jünger als ich, also lasst den Blödsinn.«

Datho lächelte. »Dann bin ich bei Weitem nicht so fit wie Ihr. Wenn ich mich nicht bald hinsetzen kann, breche ich zusammen.«

»Ihr übertreibt maßlos«, brummte der Hauptmann, führte ihn aber durch das Tor.

Im Inneren der Festung sah er mehrere Krieger auf den Wehrmauern patrouillieren. Sie war nicht groß genug, um eine Kompanie zu beherbergen, und diente vielmehr als Vorposten. Früher hatten die Biestbezwinger von hier aus das Schlüpfen der Drachen überwacht. Unterhalb der Festung gab es mehrere Höhleneingänge, mögliche Horte für Drachen. Seit dem Verschwinden der Biestbezwinger hatte die Festung leer gestanden, bis der kleine Trupp Elfen sie wieder in Besitz genommen hatte.

Datho folgte dem Krieger ins Innere, wo ein warmes und behagliches Feuer ihn empfing. Der uralte Drachendung brannte immer noch gut. Es roch nicht besonders angenehm, aber die Hitze machte alles wieder wett.

Er ging zum Kamin und hielt die Hände über die Flammen. »Habt Ihr etwas zu trinken?«, fragte Datho erschöpft.

»Wasser«, erwiderte der Hauptmann kühl und ließ ihm einen Krug zur Erfrischung bringen.

Er verzog das Gesicht. Die geschmacklose Flüssigkeit mundete ihm nicht, aber die Krieger kannten Entbehrungen. Als Beauftragter des Rates hatte er viele Privilegien genossen, die er nun zu vermissen begann. In seiner jetzigen Situation durfte er nicht wählerisch sein.

»Danke«, sagte er daher und nahm einen großen Schluck.

Nachdem er sich aufgewärmt hatte, ging er zu dem ausladenden Tisch und breitete die Landkarte aus.

»Meine Männer wollen endlich zu ihren Familien zurück«, begann Keren. »Sagt mir bitte, dass Ihr habt, wofür wir hierhergekommen sind.«

Er lächelte den Hauptmann beruhigend an. »Nun, wir sind seit einem halben Jahr unterwegs, aber in dieser Zeit haben wir viel erreicht.«

»Zwei meiner Männer sind Väter geworden und haben ihre Kinder noch nicht einmal gesehen. Datho, habt Ihr, wonach wir suchen?«

Er blieb einen Moment lang stumm, schließlich nickte er. »Ja, ich habe die Beweise.«

Der Hauptmann atmete erleichtert auf. »Endlich. Wir sind schon viel zu lange von zu Hause fort.«

»Aber um mir endgültig sicher zu sein, müssen wir nach Dhuray.«

Der Elf erstarrte. »Wie bitte?«

»Ihr habt mich verstanden.«

»Dhuray liegt tief im betroffenen Gebiet. Die Bestien dort sind infiziert und riesengroß. Wollt Ihr uns töten?«

Er wusste, worum er bat, aber er hatte seine Gründe. Ohne zu zögern, griff er in seinen Reisebeutel und brachte die gefüllte Phiole zutage. »Dieses Wasser hier habe ich vorhin dem See entnommen.«

Der Hauptmann unterdrückte sichtlich seine Wut und warf einen Blick auf die Flüssigkeit. »Es ist klar.«

Datho nickte. »Die Drachin hat mit Sicherheit davon getrunken, sich aber nicht verändert. Am Grund des Sees sind noch Reste des Fluches, aber er greift nicht auf das ganze Wasser über. Wann immer ich eine Probe genommen habe, war das Wasser verunreinigt, aber dieses hier ist klar. Die schwarzen Tränen ziehen sich zurück.«

Diese Ankündigung verschlug allen kurz die Sprache. Keren stützte sich auf dem Tisch ab und schüttelte den Kopf. »Das ist schwer zu glauben.«

»Und aus diesem Grund muss ich überprüfen, inwieweit die Plage sich zurückgezogen hat. Der Rat kann nicht vor Ort sein. Je mehr Beweise ich ihm bringe, umso glaubwürdiger wird es sein.«

»Seit Hunderten von Jahren verschlingt dieser Fluch immer mehr von unserem Land, beschert uns Hungersnöte, verwandelt unsere Tiere in Monster und jetzt hört alles auf? Einfach so?«

»Wir wissen beide, dass das nicht einfach so geschieht. Die Krankheit kam aus einem ganz bestimmten Grund über uns.«