Vom Glück, in Dresden aufzuwachsen - Erich Kästner - E-Book

Vom Glück, in Dresden aufzuwachsen E-Book

Kästner Erich

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Beschreibung

Erich Kästner verbrachte seine Kindheit in Dresden und bewahrte die Erinnerungen an diese Stadt stets in seinem Herzen. Dieser Band versammelt Gedichte und Texte des Autors, die Dresden aus seinem Blickwinkel zeigen und dabei ein wunderbar plastisches Bild der Stadt zum Anfang des 20. Jahrhunderts zeichnen. »Dresden war eine wunderbare Stadt, voller Kunst und Geschichte und trotzdem kein von sechshundertfünfzigtausend Dresdnern zufällig bewohntes Museum.«

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Seitenzahl: 58

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Erich Kästner

Vom Glück, in Dresden aufzuwachsen

Erich Kästner und seine Stadt

Märchen-Hauptstadt

Der erste Abend wieder zu Haus!

Die alte liebe Brücke krümmt sich über der alten lieben Elbe wie ein amouröser Kater. Die vielen blinzelnden Laternen wandern über die Brücke wie Lampions zum Kinderfest. Der dunkelblau gefütterte Nachthimmel ist lustig mit Konfetti bestreut; das sind die Sterne. Und drunten im Fluss zittern bunte Lichtstreifen wie Papierschlangen, die man zum Karneval durch ein gelles Gelächter hindurchwirft …

Vom Belvedere herüber weht ganz dünn und leise ein Wiener Walzer … Die noch unbelaubten Linden und Platanen droben auf der Brühlschen Terrasse wiegen dazu ein wenig ihre Wipfel. Als ob sie eigentlich gar nicht wollten …

Dann poltert und klingelt eine lichtfunkelnde Straßenbahn vorüber. Der Herr Brückenzolleinnehmer wartet pflichtgeduldig auf die ehrsam daherrollenden Droschken. Und ein Gymnasiast zieht vor einem kleinen Bürgermädchen seine Mütze. Dabei wird er rot wie seine lateinische Klassenarbeit nach der Korrektur …

Das Opernhaus ist festlich erleuchtet: »Boris Godunow« wird gespielt! Das große Tagesgespräch … Es ist Pause. Die Abendkleider und die Smokings lehnen in den mächtigen Fenstern des Foyers, plaudern und blicken mit etwas befremdeten Augen auf das abendliche Treiben herunter.

Über allem ragt die Silhouette der Türme: Als habe sie der liebe Gott in einer guten Stunde mit inniger Sorgfalt aus dem dunklen Nichts herausgeschnitten … so wunderschön … Die Frauenkirche sieht aus wie ein riesiger Kaffeewärmer … Die Hofkirche greift in die Sterne wie ein luftiges Minarett … Und zwischen den beiden hängt die Rathausuhr wie ein Vollmond mit Zifferblatt …

 

Das alte liebe Dresden! Es ist vorbei mit Königsparaden und Hoflieferanten … Sogar die rühmlichen Straßenkehrer scheinen ausgewandert zu sein … Aber noch ist es die alte vornehme Stadt …

Aus einem der ersten Artikel des 24-jährigen Kästner für die »Neue Leipziger Zeitung« (27. März 1923).

Dresden war eine wunderbare Stadt

Dresden war eine wunderbare Stadt, voller Kunst und Geschichte und trotzdem kein von sechshundertfünfzigtausend Dresdnern zufällig bewohntes Museum. Die Vergangenheit und die Gegenwart lebten miteinander im Einklang. Eigentlich müsste es heißen: im Zweiklang. Und mit der Landschaft zusammen, mit der Elbe, den Brücken, den Hügelhängen, den Wäldern und mit den Gebirgen am Horizont, ergab sich sogar ein Dreiklang. Geschichte, Kunst und Natur schwebten über Stadt und Tal, vom Meißner Dom bis zum Großsedlitzer Schlosspark, wie ein von seiner eignen Harmonie bezauberter Akkord.

Als ich ein kleiner Junge war und mein Vater, an einem hellen Sommerabend, mit mir zum Waldschlösschen spazierte, weil es dort ein Kasperletheater gab, das ich innig liebte, machte er plötzlich halt und sagte: »Hier stand früher ein Gasthaus. Das hatte einen seltsamen Namen. Es hieß ›Zur stillen Musik‹!« Ich blickte ihn verwundert an. »Zur stillen Musik«? Das war wirklich und wahrhaftig ein seltsamer Name! Er klang so merkwürdig und so heiter verwunschen, dass ich ihn nicht mehr vergessen konnte. Ich dachte damals: »Entweder macht man in einem Gasthaus Musik, oder es ist still. Aber eine stille Musik, die gibt es nicht.«

Wenn ich später an der gleichen Stelle stehen blieb und auf die Stadt hinabschaute, zum Wielisch und zur Babisnauer Pappel hinüber und elbaufwärts bis zur Festung Königstein, dann verstand ich, von Jahr zu Jahr, den Gastwirt, der ja längst tot und dessen Gasthaus längst verschwunden war, immer besser. Ein Philosoph, das wusste ich damals schon, hatte die Architektur, die Dome und Paläste, »gefrorene Musik« genannt. Dieser sächsische Philosoph war eigentlich ein Dichter. Und ein Gastwirt hatte, auf den silbernen Fluss und das goldene Dresden blickend, sein Gasthaus »Zur stillen Musik« getauft. Nun, auch mein sächsischer Gastwirt war wohl eigentlich ein Dichter gewesen.

Wenn es zutreffen sollte, dass ich nicht nur weiß, was schlimm und hässlich, sondern auch, was schön ist, so verdanke ich diese Gabe dem Glück, in Dresden aufgewachsen zu sein. Ich musste, was schön sei, nicht erst aus Büchern lernen. Nicht in der Schule und nicht auf der Universität. Ich durfte die Schönheit einatmen wie Försterkinder die Waldluft. Die katholische Hofkirche, Georg Bährs Frauenkirche, der Zwinger, das Pillnitzer Schloss, das Japanische Palais, der Jüdenhof und das Dinglingerhaus, die Rampische Straße mit ihren Barockfassaden, die Renaissance-Erker in der Schlossstraße, das Coselpalais, das Palais im Großen Garten mit den kleinen Kavaliershäusern und gar, von der Loschwitzhöhe aus, der Blick auf die Silhouette der Stadt mit ihren edlen, ehrwürdigen Türmen – doch es hat ja keinen Sinn, die Schönheit wie das Einmaleins herunterzubeten!

Mit Worten kann man nicht einmal einen Stuhl so genau beschreiben, dass ihn der Tischlermeister Kunze in seiner Werkstatt nachbauen könnte! Wie viel weniger das Schloss Moritzburg mit seinen vier Rundtürmen, die sich im Wasser spiegeln! Oder die Vase des Italieners Corradini am Palaisteich, schrägüber vom Café Pollender! Oder das Kronentor im Zwinger! Ich sehe schon: Ich werde den Herrn Illustrator bitten müssen, für dieses Kapitel eine Reihe Zeichnungen zu machen. Damit ihr, bei deren Anblick, wenigstens ein wenig ahnt und spürt, wie schön meine Heimatstadt gewesen ist!

Vielleicht frage ich ihn sogar, ob er Zeit hat, eines der Kavaliershäuschen zu zeichnen, die das Palais im Großen Garten flankierten! »In einem davon«, dachte ich als junger Mann, »würdest du fürs Leben gerne wohnen! Womöglich wirst du eines Tages berühmt, und dann kommt der Bürgermeister, mit seiner goldenen Kette um den Hals, und schenkt es dir im Namen der Stadt.« Da wäre ich dann also mit meiner Bibliothek eingezogen. Morgens hätte ich im Palaiscafé gefrühstückt und die Schwäne gefüttert. Anschließend wäre ich durch die alten Alleen, den blühenden Rhododendronhain und rund um den Carolasee spaziert. Mittags hätte sich der Kavalier zwei Spiegeleier gebraten und anschließend, bei offenem Fenster, ein Schläfchen geleistet. Später wäre ich, nur eben um die Ecke, in den Zoo gegangen. Oder in die Große Blumenausstellung. Oder ins Hygienemuseum. Oder zum Pferderennen nach Reick. Und nachts hätte ich, wieder bei offenem Fenster, herrlich geschlafen. Als einziger Mensch in dem großen, alten Park. Ich hätte von August dem Starken geträumt, von Aurora von Königsmarck und der ebenso schönen wie unglücklichen Gräfin Cosel.

Wann ich dann wohl gearbeitet hätte, wollt ihr wissen? Wie kann man nur so neugierig sein! Das hätten doch die Heinzelmännchen besorgt! Die Nachkommen der königlich polnischen, kursächsischen Hofzwerge! Sehr kleine, sehr tüchtige Leute! Sie hätten, nach knappen Angaben von mir, auf winzigen Schreibmaschinen meine Gedichte und Romane geschrieben, und ich wäre inzwischen auf dem Apfelschimmel Almansor, meinem Lieblingspferd, über die breiten dunkelbraunen Reitwege galoppiert. Bis zur »Pikardie«. Dort hätten ich und Almansor Kaffee getrunken und Streuselkuchen verzehrt! Doch Hofzwerge, die Gedichte schreiben, und Pferde, die Kuchen fressen, gehören nicht hierher.