Vom Tod zum Leben - Kurt Kardinal Koch - E-Book

Vom Tod zum Leben E-Book

Kurt Kardinal Koch

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Beschreibung

»Mitten im Leben sind wir mit dem Tod umfangen.« Das ist die harte Wahrheit des menschlichen Lebens. Dass es aber bei dieser trostlosen Wahrheit nicht für immer sein Bewenden haben muss, darin besteht die frohe und tröstliche Verheißung des christlichen Glaubens, den wir insbesondere an Ostern feiern.  Die Meditationen von Kurt Kardinal Koch bieten eine geistige Begleitung auf dem Weg von der österlichen Bußzeit hin zum Osterfest und zur folgenden Festzeit. Sie erschließen das wichtigste Fest der Christen, bieten einen geistlichen Führer und ermöglichen ein intensives Mitgehen vom Kreuz zum Licht, um in den österlichen Jubel einstimmen und die Freude des Glaubens genießen zu können.

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Seitenzahl: 186

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Kurt Kardinal Koch

Vom Tod zum Leben

Ein Wegbegleiter durch die Fasten- und Osterzeit

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlaggestaltung: Verlag HerderUmschlagmotiv: © Pisit Heng / unsplash.comSatz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad WünnenbergISBN Print 978-3-451-39543-7ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82974-1ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-82975-8

Inhalt

Einleitung

Ouvertüre der Fastenzeit im Zeichen von Buße und Tod: Der Anspruch des Aschermittwochs

Gnadenzeit der Vierzig Tage: Vom Sinn der Österlichen Bußzeit

Christ sein in der Wüste der Versuchungen: Die Dramatik der Österlichen Bußzeit

Der Palmsonntag als Wegkreuzung im Schicksal Jesu und im Leben des Christen

Sakramentale Apotheke des Hohepriestertums Jesu Christi in der Feier der Chrisam-Messe

Tod-Ernst des Letzten Abendmahls Jesu: Der tiefe Anspruch des Gründonnerstags

„Seht das Holz des Kreuzes“: Zumutung und Trost des Karfreitags

Tag der Grabesruhe und Ouvertüre der Erlösung: Die dunkle und helle Seite des Karsamstags

Licht der Hoffnung, Wasser des Glaubens und Blut der Liebe: Drei Interpreten des Geheimnisses der Heiligen Osternacht

Der österlichen Zukunft Gottes trauen: Die Frohe Botschaft des Ostersonntags

Begegnungen mit dem Auferstandenen auch heute: Besinnung in der Osteroktav

Österlicher Ernstfall des christlichen Gottesglaubens: Die Botschaft der fünfzigtägigen Osterzeit

Abschied mit eindeutigem Ziel und deshalb in Freude: Der Trost des Festes von Christi Himmelfahrt

In der Geistesgegenwart Gottes leben: Pfingsten als Erfüllung von Ostern

Anmerkungen

Einleitung

„Mitten im Leben sind wir mit dem Tod umfangen.“ Dieser sehr kurze, aber inhaltsschwere Satz aus einem der großen Choräle der Christenheit formuliert eine unbestreitbare Lebenserfahrung von uns Menschen. Der Satz bringt die harte Wahrheit und die nackte Realität des menschlichen Lebens zum Ausdruck. Im Getriebe des alltäglichen Lebens vergessen wir sie allerdings gerne und verdrängen sie leicht. Der französische Denker Blaise Pascal hat bereits in seiner Zeit sensibel beobachtet, dass die Menschen, weil sie gegen den Tod kein Heilmittel finden konnten und dennoch glücklich sein wollten, darauf verfallen seien, nicht mehr an den Tod zu denken; und er hat diese Beobachtung mit der Einsicht begründet: „Der Tod, wenn man nicht an ihn denkt, ist leichter zu ertragen als der Gedanke an den Tod, wenn man gar nicht in Gefahr ist.“1

Dass wir unausweichlich mitten im Leben mit dem Tod umfangen sind, ist die harte Wahrheit des menschlichen Lebens. Dass es aber bei dieser trostlosen Wahrheit nicht für immer sein Bewenden haben muss, darin besteht die frohe und tröstliche Verheißung des christlichen Glaubens. Er hat die Kraft, uns Menschen eine noch ganz andere Wahrheit zuzusprechen. Er hat den Mut und das Recht, die unbestreitbare Wahrheit des alten Chorals, dass wir mitten im Leben mit dem Tod umfangen sind, umzukehren und gleichsam auf den Kopf zu stellen, indem er uns die viel größere Verheißung zuspricht, dass wir mitten im Tod mit dem Leben umfangen sind, mit dem befreienden und ewigen Leben Gottes selbst.

In dieser viel größeren Wahrheit liegt das Geheimnis des tröstlichen Wechsels mit der Wahrheit unseres menschlichen Lebens beschlossen, wie er sich an und durch Jesus Christus an Ostern ereignet hat. Die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Liturgie „Sacrosanctum concilium“ hat dieses Geheimnis genauer als „Pascha-Mysterium“ bezeichnet, das die Kernmitte des christlichen Glaubens und den Mittelpunkt der den Glauben feiernden Liturgie der Kirche darstellt. Denn das „Werk der Erlösung der Menschen und der vollendeten Verherrlichung Gottes, dessen Vorspiel die göttlichen Machterweise am Volk des Alten Bundes waren“, hat Jesus Christus erfüllt, „besonders durch das Pascha-Mysterium: sein seliges Leiden, seine Auferstehung von den Toten und seine glorreiche Himmelfahrt“. Denn „in diesem Mysterium ‚hat er durch sein Sterben unseren Tod vernichtet und durch sein Auferstehen das Leben neugeschaffen‘“2.

Mit Ostern steht und fällt der christliche Glaube. Ostern ist deshalb das größte von allen christlichen Festen. Dies zeigt sich bereits daran, dass Ostern das einzige Fest im Kirchenjahr ist, das eine Festzeit von fünfzig Tagen einleitet und mit Pfingsten, das das griechische Wort für „fünfzig“ ist, vollendet wird. Die Wichtigkeit dieses Festes kann auch daran abgelesen werden, dass Ostern wiederum das einzige Fest ist, dem vierzig Tage der Vorbereitung und Zurüstung vorausgehen, die mit dem Aschermittwoch beginnen und den Namen „Österliche Bußzeit“ tragen. Denn in die österliche Freude über den Sieg des Lebens über den Tod, wie er in der Auferstehung Jesu Christi sichtbar und wirksam geworden ist, kann man nur einstimmen, wenn man zuvor mit Jesus die Versuchungen in der Wüste erfahren, mit Jesus den Weg nach Jerusalem mitgegangen, am Ölberg in der Nacht vor seinem Leiden mit ihm gewacht und inständig gebetet, in tiefer Traurigkeit in der Nähe seines Kreuzes am Karfreitag gestanden und das tiefe Schweigen am Karsamstag ertragen hat.

Die Österliche Bußzeit ist so ein Weg „per crucem ad lucem“, durch das Kreuz zum Licht. Sie erinnert zugleich daran, dass der christliche Glaube überhaupt ein Weg ist, weil wir Christen an Jesus Christus glauben, der sich selbst als „Weg“ offenbart hat, genauer als „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Ursprünglich wurde deshalb die christliche Religion als „Weg“ und die Christen, die Christus als „Weg“ nachfolgen, wurden als „Anhänger des Weges“ (Apg 9,2) bezeichnet. Dieser Weg führt auf Ostern hin, das Fest des ewigen Lebens, das im Kern darin bestehen wird, dass wir Gott erkennen, wie der Johanneische Christus dies uns nahebringt: „Dies ist das ewige Leben: dich, den einzigen und wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3). Worin anders könnte denn das ewige Leben bestehen wenn nicht darin, Gott in seinem dreifaltigen Leben zu erkennen, in seiner Gegenwart ewig zu leben und dieses unerschöpfliche Geheimnis lobpreisend zu bestaunen? Je mehr wir uns dieses Ziel vor Augen halten, desto mehr werden wir bereits im jetzigen Leben das ewige Leben vorweg erfahren, indem wir Gott erkennen und in seiner Gegenwart unser Leben gestalten.

Zu diesem Weg will uns die Österliche Bußzeit ermutigen und auf diesem Weg vom Tod zum Leben stärken. Die im vorliegenden Buch enthaltenen Meditationen wollen deshalb eine geistliche Begleitung auf diesem Weg durch die Österliche Bußzeit sein, um ehrlich und glaubwürdig in den österlichen Jubel einstimmen und die auf ihn folgende Festzeit in der Freude des Glaubens genießen zu können.

Rom, im Sommer 2022 Kurt Kardinal Koch

Ouvertüre der Fastenzeit im Zeichen von Buße und Tod: Der Anspruch des Aschermittwochs

Bei einer Oper werden in der Ouvertüre bereits alle Motive angetönt, die anschließend in ihr breit entfaltet werden. Der Aschermittwoch bildet gleichsam die Ouvertüre für jene besondere Zeit, die mit diesem Tag beginnt und bis Ostern dauern wird. Das entscheidende Motiv in dieser Ouvertüre wird in der Liturgie der Kirche sichtbar gemacht mit dem Zeichen der Asche und zum Ausdruck gebracht mit dem biblischen Wort, das bei der Austeilung der Asche gesprochen wird: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium“.

Die Asche als Zeichen der Buße und der Umkehr

Die Verwendung der Asche im religiösen Kontext ist in der Heiligen Schrift bezeugt und begegnet bereits im Alten Testament. Als Ijob zur Einsicht gelangt war, dass er Gott gegenüber nicht mit besonderem Verstand gesprochen hat, sagte er zum Herrn: „Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche“ (Ijob 42,6). Oder als Mordechai von der Entscheidung des Perserkönigs, die Juden sollten ausgerottet werden, erfahren hat, „zerriss er seine Kleider, hüllte sich in Sack und Asche, ging in die Stadt und erhob ein lautes Klagegeschrei“ (Est 4,1). Das Wort „Sack und Asche“ wird auch im Neuen Testament überliefert, beispielsweise bei der Ankündigung des Gerichts über die galiläischen Städte, denen Jesus vorgeworfen hat, dass sie sich nicht bekehrt haben, wiewohl er in ihnen die meisten Wunder gewirkt hat: „Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wenn einst in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind – man hätte dort in Sack und Asche Buße getan“ (Mt 11,21).

Auf diesem biblischen Hintergrund versteht es sich, dass die Asche auch in der Alten Kirche im Zusammenhang der öffentlichen Buße eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Jeder Christ, der Vergebung von seinen Sünden empfangen wollte, musste zunächst zum öffentlichen Sünder werden. Nachdem er vor dem Bischof oder einem Priester seine Sünden gebeichtet hatte, wurde ihm eine entsprechende Bußleistung auferlegt, die in Fasten und im Tragen einer Trauerkleidung bestand. Vor allem für diejenigen Christen, die besonders schwere Sünden, zu denen Glaubensabfall, Mord und Ehebruch gezählt wurden, begangen haben, hatte mit dem Aschermittwoch die öffentliche Buße begonnen, wobei die Büßer ein Bußgewand anzogen und mit der Asche bestreut wurden. Anschließend erfolgte – gleichsam in Analogie zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies – die Austreibung der Sünder aus der Kirche, bis sie nach der Bußzeit in einer öffentlichen Feier wieder in die Kirche aufgenommen wurden, die zumeist am Gründonnerstag stattfand.

Als um die Jahrtausendwende die Institution der öffentlichen Buße von der so genannten privaten Form des Bußsakramentes abgelöst worden war, wurde der Ritus der Austeilung der Asche beibehalten, aber auf alle Gläubigen ausgeweitet. Nun wurde an alle Christen die Einladung ausgesprochen, an dem aus der Tradition bekannten Bußritus teilzunehmen und sich die Asche auf den Kopf auflegen zu lassen. Denn sich mit Asche bestreuen zu lassen, ist ein klares Bekenntnis, dass der Christ weiß, dass er ein Sünder ist, und zugleich Ausdruck der Selbstverpflichtung, während der mit dem Aschermittwoch begonnenen Fastenzeit Buße für seine Sünden zu tun.

Die Asche ist ein sprechendes Zeichen des Sündenbekenntnisses und der Bußbereitschaft und damit der Trauer über den begangenen Sündenfall. Von daher versteht es sich vollends, dass im Mittelpunkt der Österlichen Bußzeit die Zumutung Jesu Christi steht, die in dem Wort enthalten ist, das beim Auflegen der Asche dem einzelnen Christen persönlich zugesprochen wird: „Bekehre Dich und glaube an das Evangelium!“ Dabei handelt es sich zweifellos um eine große Zumutung. Denn wir wissen aus eigener Erfahrung, dass solche Umkehr uns keineswegs leicht fällt. Der alttestamentliche Prophet Jeremia neigte sogar zur Annahme, der Mensch sei zur Umkehr gar nicht fähig, und er verdeutlichte seine Annahme mit dem ausdrucksstarken Bild: „Ändert wohl ein Neger seine Hautfarbe oder ein Leopard seine Flecken? Dann könntet auch ihr euch noch bessern, die ihr ans Böse gewöhnt seid“ (Jer 12,23).

Umkehr Gottes und Bekehrung des Menschen

Damit diese erzbiblische Forderung nach Umkehr für den Christen nicht zu einer Überforderung wird, die lähmt, ist der Christ gut beraten, genauer auf das Wort Jesu zu hören, das beim Auflegen der Asche gesprochen wird und das mit dem Vorzeichen seiner Freudenbotschaft vom Kommen des Reiches Gottes gehört werden will: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 4,17). Entscheidend ist hier das kleine Wörtlein „denn“. Jesus verlangt nicht die Umkehr von uns Menschen, damit das Himmelreich nahekommen wird. Jesus sagt vielmehr das Nahekommen des Himmelreiches an und zieht daraus die Konsequenz, dass wir Menschen umkehren sollen. In der Botschaft Jesu ist die Zusage der Nähe des Himmelreiches das Fundament und die Ermöglichung der menschlichen Umkehr. Diese Freudenbotschaft erwartet vom Christen dann aber seine positive Stellungnahme, die nur in der Umkehr zu Gott bestehen kann.

Diese grundlegende Prioritätenordnung ist bereits im Alten Testament angelegt und zeigt sich besonders deutlich in der Lesung aus dem Buch des Propheten Joel, die in der Liturgie des Aschermittwochs vorgesehen ist und in der Gott durch den Propheten redet und die harte Zumutung ausspricht: „Kehret um zu mir von ganzem Herzen … Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum Herrn, eurem Gott“ (Joel 2,12–13a). Dann jedoch dreht der Prophet die Sinnrichtung um, und zwar dahingehend, dass es ihn, Gott, da er „gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte“ ist, reut, „dass er das Unheil verhängt hat. Vielleicht kehrt er um, und es reut ihn, und er lässt Segen zurück“ (Joel 2,13b–14). Damit ist das Hohelied der grenzenlosen Liebe Gottes angesprochen, dass der notwendigen Umkehr des Menschen zu Gott die freiwillige und großzügige Bereitschaft Gottes zu seiner Umkehr zu uns Menschen zugrunde liegt und voran geht.

Diesen großartigen Gedanken hat vor allem der alttestamentliche Prophet Hosea entfaltet, wenn er Gott sprechen lässt: „Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel? Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken und Efraim nicht noch einmal vernichten. Denn Gott bin ich, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte“ (Hos 11,8–9). Gemäß diesem Prophetenwort besteht Gottes Umkehr darin, dass er sich beinahe selbstbeschwörend daran erinnert, dass er doch nicht ein Mensch, sondern Gott ist. Er besteht deshalb nicht auf Vergeltung, wie wir Menschen es oft genug tun. Er steht vielmehr in Liebe zu seinem Volk und schenkt ihm so einen neuen Anfang.

Dieses großartige Hohelied der liebenden Umkehr Gottes zu uns Menschen erfährt im Neuen Testament nochmals eine wesentliche Vertiefung, und zwar vor allem beim Geschehen am Kreuz, das Papst Benedikt XVI. ebenfalls als Umkehr Gottes gedeutet und in ihm die Liebe Gottes „in ihrer radikalsten Form“ wahrgenommen hat: „In seinem Tod am Kreuz vollzieht sich jene Wende Gottes gegen sich selbst, indem er sich verschenkt, um den Menschen wieder aufzuheben und zu retten.“3 Denn am Kreuz ist vollends sichtbar, dass die von uns Menschen geforderte Umkehr nicht die Bedingung ist, um das Heil erlangen zu können. Unsere Umkehr ist vielmehr die Konsequenz des uns von Gott im Voraus angebotenen Heils. Unsere Umkehr ist die logische und konsequente Antwort auf die Umkehr Gottes zu uns Menschen.

Versöhnung als Initiative Gottes und als Verpflichtung des Christen

Die Verkündigung dieser Prioritätenordnung ist ein besonderes Anliegen des heiligen Paulus, der es in seinem zweiten Brief an die Korinther in dem Spitzensatz verdichtet: „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete“ (2Kor 5,19). Mit dieser Aussage legt Paulus uns ans Herz, dass Gott die Initiative zur Versöhnung ergreift und dass es nicht die Aufgabe des Menschen ist und nicht sein kann, sich mit Gott zu versöhnen. So müssten wir es zwar mit rein menschlichen Augen erwarten, da wir Menschen gesündigt haben und nicht Gott. Die Heilige Schrift verkündet uns aber, dass nicht wir Menschen zu Gott gehen und ihm eine ausgleichende Gabe bringen könnten, um uns mit ihm zu versöhnen, sondern dass Gott auf uns Menschen zugeht, um uns seine Versöhnung zu schenken. Versöhnung ist die unableitbare Initiative, die Gott ergreift, und ein Geschenk, das er allen Menschen und dem ganzen Kosmos macht.

In dieser Botschaft begegnen wir dem Unerhörten des christlichen Glaubens und gleichsam der radikalen Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte hineingebracht hat: Gott wartet nicht, bis wir Menschen kommen und uns versöhnen. Aller Erfahrung nach müsste Gott da lange warten. Doch Gott geht uns Menschen entgegen und versöhnt uns – wie es der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn tut, indem er mit ihm, der nach der Erfahrung des Elends mit zerknirschtem Herzen wieder nach Hause findet, keineswegs abrechnet und auch nicht Genugtuung einfordert, sondern ihm entgegenläuft und ihn mit einem Fest in sein Vaterhaus wieder aufnimmt.

Diese wunderbare Botschaft wird von Paulus nochmals zugespitzt, wenn er sie mit einer weiteren Aussage vertieft: „Er (sc. Gott) hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit würden“ (2Kor 5,21). Das Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus, das Paulus uns vor Augen führt, ist keine billige Angelegenheit, sondern harte Arbeit. Sie ist konsequente Feindesliebe, wie sie in letzter Konsequenz am Kreuz Jesu offenbar geworden ist. Gemäß der menschlichen und allzu menschlichen Logik hätte die Grausamkeit des Kreuzestodes Jesu Rache bis zum Letzten bedeuten müssen, damit die Welt wieder in Ordnung wäre. Gott aber hat am Kreuz Jesu Christi aller Rache und Vergeltung ein klares Ende entgegengesetzt. Das Kreuz Jesu ist sein großer Versöhnungstag, der universale Yom Kippur. Denn am Kreuz hat Gott auf die menschliche und menschheitliche Steigerung des Bösen gerade nicht mit Vergeltungsmechanismen reagiert, sondern mit der Steigerung seiner unendlichen Liebe, die auch die Bereitschaft einschließt, Leiden auf sich zu nehmen. Darin besteht der innerste Kern der Versöhnung, die nicht einfach ein sentimentales Gefühl ist, sondern Einsatz des eigenen Lebens verlangt.

Mit gleichem Ernst, wie Paulus die Initiative Gottes zur Versöhnung betont, macht er auch auf die glaubenslogische Konsequenz aufmerksam, die sich aus dem Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus für uns Christen von selbst ergibt: „Wir sind Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt: Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen“ (2Kor 5,20). Wenn wir Christen das Geschenk der Versöhnung empfangen und uns von Gott versöhnen lassen, dann sind wir auch berufen und verpflichtet, Gottes Versöhnung zu verkünden, für die Versöhnung zu arbeiten und als Botschafter der Versöhnung zu wirken, und zwar in der Art und Weise, in der Gott Versöhnung vollzieht:

Mit der Initiative zur Versöhnung, die Gott ergreift, wird uns Christen erstens die Einsicht zugemutet, dass Versöhnung auch unter uns Menschen nur dort möglich ist, wo jemand den ersten Schritt wagt, und zwar im Kreislauf der gegenseitigen Aufrüstung, wie er in den zwischenmenschlichen Beziehungen immer wieder zu beobachten ist: Da rüstet die eine Seite nach in der Annahme, die andere Seite habe vorgerüstet; und der Kreislauf der Aufrüstung hört nicht auf, bis einer den Mut hat, anzufangen aufzuhören. Versöhnung beginnt bei Gott und zwischen uns Christen immer mit dem ersten Schritt des einen und setzt sich damit fort, dass auch der andere eingeladen wird, sich auf denselben Weg zu begeben. Und wie bei Gott Versöhnung aus Liebe geboren ist und er in erster Linie Versöhnung nicht von uns fordert, sondern sie uns schenkt, so setzt Versöhnung in uns Christen, denen sie zugemutet wird, einen inneren Weg voraus, nämlich Heilung von Verletzung und Teilnahme am Schmerz der Heilung. Versöhnung ist immer Frucht der Umkehr, der Wandlung des eigenen Herzens und des neuen Denkens; und diejenige Kraft, die solches vermag, ist die Liebe.

In diesem Sinne sind wir Christen berufen, Botschafter der Versöhnung zu sein und die Menschen zu bitten, und zwar mit der Autorität Christi selbst, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Diesen Botschafterdienst der Versöhnung können wir aber nur in glaubwürdiger Weise wahrnehmen, wenn wir uns selbst von Gott versöhnen lassen und als Versöhnte leben. Denn Versöhnung ist in erster Linie nicht eine Forderung an uns Menschen, die uns erfahrungsgemäß schnell überfordert, sondern eine Konsequenz des Glaubens, die befreit. Wenn wir im Licht dieser frohen Botschaft die Österliche Bußzeit leben, dann ist die uns zugemutete Umkehr zu Gott nicht einfach eine mühsame Bußleistung, sondern die frohe Antwort auf jene Versöhnung, die Gott uns schenkt: aus Gnade und damit gratis. Dieses Geschenk dürfen wir uns in der Österlichen Bußzeit wieder neu gefallen lassen und daraus leben.

Zeichen des Todes – Zeichen des Lebens

Im Bedenken der Austeilung der Asche als Zeichen von Buße und Versöhnung wird auch verständlich, dass sich mit diesem Zeichen auch der Gedanke der Vergänglichkeit des irdischen Lebens verbinden konnte, wie er wohl erstmals bei Isidor von Sevilla im 7. Jahrhundert bezeugt ist4 und wie er zum Ausdruck gebracht wird mit der aus der mittelalterlichen Liturgie stammenden Formel bei der Austeilung der Asche: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.“ Mit diesen Worten werden wir zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte zurückgeführt, als nach dem Sündenfall Gott zu Adam gesprochen hat: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück“ (Gen 3,19). Damit werden wir an unsere Verletzlichkeit, Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit und somit an den uns allen bevorstehenden Tod erinnert, der die letzte Konsequenz der menschlichen conditio humana ist. Denn Staub und Asche sind Zeichen des Sterbens und des Todes.

Das Zeichen der Asche gemahnt uns unmissverständlich daran, dass wir Menschen Staub sind und wieder zum Staub zurückkehren werden. Es ist heilsam, am Beginn der Österlichen Bußzeit daran erinnert zu werden, zumal in einer Zeit wie der heutigen, in der wir Menschen den Tod aus unserem Leben zu verdrängen pflegen, damit aber keineswegs dem Leben dienen. Denn wenn der Tod als nicht mehr zum Leben selbst gehörend betrachtet wird, gefährden wir nicht nur die Würde des Sterbens, sondern auch die Würde des Lebens. Die heutigen Diskussionen und Bestrebungen um die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid führen uns vor Augen, was mit uns Menschen geschieht, wenn wir nur noch gesund sterben wollen.

Der Aschermittwoch fordert uns heraus, uns dem eigenen Tod zu stellen. Diese Zumutung ist aber nur deshalb heilsam, weil der Aschermittwoch uns noch eine andere und verheißungsvollere Botschaft bereithält. In der Liturgie dieses Tages wird die Asche nicht nur als Zeichen des Todes, sondern auch und vor allem als Zeichen des Lebens gefeiert. Denn die Liturgie verkündet uns, dass selbst der menschliche Staub für Gott kostbar ist, weil Gott uns Menschen geschaffen und zum ewigen Leben bestimmt hat. Wie Jesus mit uns Menschen das Geschick der Verletzlichkeit und Sterblichkeit teilen wollte und am Kreuz seinen gewaltsamen Tod in einen Akt der Liebe verwandelt hat, der zum Weg hin zur Auferstehung geworden ist, so ist auch uns in der österlichen Taufe verheißen, dass wir zwar wieder zum Staub zurückkehren, dass Gott aber diesen Staub in das ewige Leben hinein verwandeln wird.

Im Blick auf das ewige Leben wird schließlich sichtbar, wie eng die beiden Spendeformeln bei der Austeilung der Asche zusammenhängen, nämlich der Ruf zu Buße und Umkehr und die Zumutung, sich auf die Vergänglichkeit des irdischen Lebens zu besinnen. Denn die Erinnerung an unser Staub-Sein führt uns zur Buße auch und gerade im Blick auf unseren Tod und das uns bevorstehende Gericht Gottes. Wenn wir auf diesem Weg der Buße unseren Blick aber auf Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen richten, können wir in frischer Weise erfahren, wie sehr Gott die Welt liebt und wie unendlich kostbar wir Menschen für Gott sind. Davon legt die Asche Zeugnis ab, die uns am Beginn der Österlichen Bußzeit auf den Kopf gestreut wird. Denn sie verheißt uns, dass wir Menschen zwar Staub sind und wieder zu Staub werden, dass aber selbst dieser Staub bei Gott aufgehoben ist und in das ewige Leben hinein verwandelt werden wird.