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Wie begleitet die katholische Kirche das »Lutherjahr« und das »Reformationsjubiläum« 2017? Mit bewusster Hinwendung oder in kühler Distanz? Lässt sich die historische Spaltung, die im Gefolge der Reformation entstanden ist, überwinden? Gelingt es »uns Christen«, in alt-neuer Weise »wir« zu sagen? Uns die Hände zu reichen anstatt weiter im Selbstbehauptungsmodus »selbstbewusst« die Faust zu ballen? Wird das Jahr 2017 vielleicht sogar zum Ausgangspunkt neuer Sehnsucht nach Ökumene? Im Gespräch mit dem Theologen Robert Biel bezieht der in diesen Fragen federführende römische Kurienkardinal prononciert Stellung. Ein neuer »Thesenanschlag« – ökumenisch und ganz ohne Hammer.
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Seitenzahl: 96
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KURT KARDINAL KOCH
Ökumenische Perspektivenfür heute und morgen
Herausgegeben vonRobert Biel
Vorwort des Herausgebers
Der holprige Weg der Ökumene
Lähmungserscheinungen – und wie sie zu überwinden sind
Missverstandene Erklärung
Geduld und Ungeduld
Über das Unverzichtbare in der Ökumene
Grenzen, Möglichkeiten, Ziele
Gebet anstatt Fassaden
Facetten der heutigen Ökumene
Wie viel Ökumene gibt es in der Ökumene?
Säkularisierung als Druckkessel für mehr Ökumene?
Ökumene am runden Tisch
Ökumene im Zeitalter der großen Migrationsprozesse
Flüchtlinge in Europa – Ökumene auf der Flucht?
Ökumene der Bedrohten?
Ökumenischer Dialog am Scheideweg der Bioethik
Ökumene des Blutes
Protestanten – bevorzugte Dialogpartner?
»Und« statt »Entweder-oder«
Eucharistische Gastfreundschaft oder ökumenischer Bärendienst?
Maria, (un)geliebte Mutter der Kirche(n)
Ist Ökumene mit Apologetik vereinbar?
Reformationsgedenken – Stolperstein oder Chance?
Das Erbe Martin Luthers
Versöhnung mit der innerlich unversöhnten Orthodoxie
Begegnungen mit Bartholomäus
»Jahrtausendtreffen«: Papst Franziskus trifft den Patriarchen Kyrill
Pan- oder rumpforthodoxe Synode?
Austausch der Gaben
Ökumenischer Trinkspruch
Zur Erfolglosigkeit verurteilt?
Zukunft der Ökumene und Ökumene der Zukunft
Zur Person
Ein halbes Jahrtausend ist vergangen seit jenen Hammerschlägen Martin Luthers, die der Legende nach nicht nur die Kirchentüre im thüringischen Ort Wittenberg haben erzittern lassen, sondern wenig später das gesamte christliche Abendland. 500 Jahre danach stehen wir noch immer vor den Scherben einer Kirchenspaltung, die der Mönch Martin Luther so nie beabsichtigt hat. Was er wollte, war Reformation: Neubesinnung auf das Evangelium und den Kern des christlichen Glaubens; Korrektur kirchlicher Praktiken, die er vor seinem theologischen Gewissen als fehlerhaft erachtete.
500 Jahre Christentumsgeschichte, die uns zu denken geben; ein historischer Moment, den wir nicht ungenutzt verstreichen lassen sollten. Darin liegt meine Motivation, diesen kleinen Band herauszugeben. Wie die Thesen Luthers wollen auch die Thesen dieses Buches keineswegs beruhigen, sondern etwas in Bewegung bringen.
Von anderen aktuellen ökumenischen Publikationen unterscheidet sich dieses Buch darin, dass es aus Gesprächen zweier Personen entstanden ist, die in Sachen Ökumene gewissermaßen zwei verschiedene Welten vertreten: ein Schweizer, der den Dialog mit anderen Kirchen aus langjähriger eigener Erfahrung kennt, und ein Pole, der der Ökumene zum ersten Mal im Fremdwörterbuch begegnet ist. Ein Kardinal aus der Schweiz, der Ökumene »im Blut« hat, und ein Theologe aus Polen, der in einer homogen katholischen Gesellschaft (mit über 90 % katholisch Getauften) aufgewachsen ist.
Man braucht nicht lange, um zu merken, dass die Einheit der Christen für Kardinal Koch nicht nur Berufszweck, sondern sein Herzensanliegen ist, das er mit Leidenschaft zu verwirklichen sucht. Die verständliche Art und Weise, wie er die verwickelten ökumenischen Angelegenheiten erläutert, trägt dazu bei, dass sie nicht nur klar werden, sondern interessant und spannend zu lesen sind. So kann man in diesem Buch sozusagen die Klänge einer »Symphonie der Einheit« entdecken, an der Kardinal Koch seit einigen Jahren im Dienste der Ökumene geduldig schreibt. Die Leidenschaft, die ihn dabei begleitet, lässt auch ökumenisch »unmusikalische« Christen mitsummen – in der unbeirrbaren Hoffnung, dass die Melodie der Einheit schöner und eindringlicher klingen möge als alle Hammerschläge …
Januar 2017
Robert Biel
Herr Kardinal, man sagt über Sie, dass Sie Ihren derzeitigen Job als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen sehr mögen. Sie zeigen sich dankbar, der Kirche in einem so wichtigen Anliegen wie der Ökumene dienen zu können. Doch wenn Sie auf die erste Periode Ihrer Amtszeit blicken, beschleicht Sie da nicht manchmal doch das Gefühl, an eine Sisyphusarbeit geraten zu sein?
Ich würde in diesem Zusammenhang nicht von Sisyphusarbeit sprechen. Ich benutze einen anderen Vergleich. Ich vergleiche die ökumenische Bewegung gern mit einer Reise im Flugzeug. Der Start auf der Piste wirkt ungeheuer rasant – bis man in der Luft ist. Aber wenn man in der Luft dann auf 10.000 Meter Höhe ist, hat man den Eindruck, es bewegt sich eigentlich nichts mehr. Und trotzdem leben alle Passagiere in der klaren Hoffnung, dass das Flugzeug landen wird.
Der rasante Start auf der Piste war in der Katholischen Kirche das Zweite Vatikanische Konzil. Das Konzil hat dem ökumenischen Dialog jene Schubkraft verliehen, ohne die wir heute nicht dort wären, wo wir sind.
Kirchliche Uhren ticken oft anders als säkulare. Für die kirchlichen Verhältnisse sind Sie in Ihrer Stellung und Verantwortung noch immer relativ jung. Den Steuerknüppel der »Ökumene Airlines« haben Sie zu einem Zeitpunkt in die Hand genommen, zu dem Piloten in der Regel bereits pensioniert werden. Nach inzwischen sechs Jahren Dienst daher meine Frage an Sie: Herr Kapitän, wo befinden wir uns momentan?
Ich denke, ich bin nicht der Pilot. Pilot ist ein anderer. Wir stehen sozusagen als »Begleitpersonal« in seinem Dienst. Momentan bewegt sich das Flugzeug in der Luft, wobei alle gewiss sein dürfen, dass es eines Tages sicher landen wird, und zwar deshalb, weil der eigentliche Pilot der Ökumene der Heilige Geist ist. Er hat diese Reise gewollt und wird diese Reise auch in die Zukunft führen. Für mich ist daher nicht entscheidend, was ich während meiner begrenzten Amtszeit noch alles erlebe. Ich bin tief überzeugt, dass ich die Einheit der Kirche erleben werde – ich weiß nur noch nicht, ob auf Erden oder vom Jenseits her. Hier hilft mir immer die wunderbare Gestalt des Moses. Er hat das Volk durch die Wüste ins Gelobte Land geführt. Er selbst aber hat das Gelobte Land nur von ferne sehen und es nicht betreten können. Dennoch ist er nie auf die absurde Idee gekommen, die Reise aufzugeben, weil er persönlich dieses Land nicht mehr erreichen würde, sondern war dennoch bereit, Menschen auf dem Weg dorthin zu begleiten. Deshalb kann niemand in der Ökumene mehr sein als Moses. Trotz aller Mühen ist Ökumene in Wahrheit gerade keine Sisyphusarbeit, sondern ein Mosesdienst. Es ist eine christliche Grundhaltung, das Volk durch die Wüste zu führen, auch wenn man selbst das Gelobte Land im Verlauf der eigenen Lebenszeit nicht mit erreicht.
Ich habe meinen Dienst für die Ökumene aufgenommen im klaren Bewusstsein, dass nicht ich der »Ökumeneminister« der Katholischen Kirche bin, sondern dass der eigentliche Ökumeneminister der Heilige Geist ist. Die Einheit können wir nicht machen. Wir können auch nicht über das Datum und die Art und Weise verfügen. Die Einheit ist ein Geschenk, und wir müssen für dieses Geschenk offen sein.
Wir müssen auch ganz klar sagen: Wir haben das Ziel noch nicht erreicht: Das Ziel der sichtbaren Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in den Ämtern. Die große Schwierigkeit besteht heute darin, dass wir uns in vielen Fragen einig geworden sind, aber keine gemeinsame Vorstellung haben, was eigentlich das Ziel der Ökumene sein soll.
Die katholische Kirche hält am ursprünglichen Ziel der Ökumene – der sichtbaren Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in den Ämtern – fest. Nicht wenige der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften haben diese Vorstellung aufgegeben und sehen das Ziel der Ökumene nur noch in der gegenseitigen Anerkennung all der verschiedenen kirchlichen Realitäten als »Kirchen«. Und als die Summe all dieser kirchlichen Wirklichkeiten wird dann die eine Kirche aufgefasst – was natürlich eine sehr schwierige Vorstellung für uns Katholiken ist.
Deshalb müssen wir uns neu Rechenschaft darüber ablegen, wohin die Reise gehen soll. Denn, wenn man kein gemeinsames Ziel mehr vor Augen hat, kann es geschehen, dass man in verschiedene Richtungen weitergeht und nachher entdecken muss, dass man sich noch weiter voneinander entfernt hat. Solche schmerzlichen Erfahrungen gibt es.
Eine Rückbesinnung auf das Ziel der ökumenischen Reise ist für mich heute die wichtigste Herausforderung. Dazu kommt eine zweite große Herausforderung: Wir haben weltweit ein massives Anwachsen evangelikaler und pentekostaler Bewegungen zu verzeichnen; diese machen zusammengenommen heute zahlenmäßig die zweitgrößte Gemeinschaft innerhalb der Christenheit nach der katholischen Kirche aus. Man muss also von einer Pentekostalisierung des Christentums oder von einer vierten Gestalt des Christentums reden – neben der katholischen, der orthodoxen und der protestantischen. Diese Bewegungen führen natürlich zu ganz anderen ökumenischen Tagesordnungen und Agenden. Deshalb werden diese neuen ökumenischen Partner das Gesicht der Ökumene sehr verändern. Und das ist vielleicht eine der größten Herausforderungen, vor denen wir heute stehen.
Wenn wir auf die Diskussionen und die Abstimmung der Konzilsväter für die Ökumene zurückschauen, dann scheint es, dass wir inzwischen zunehmend weniger ökumenisch sind. Das Konzilsdekret über die Ökumene wurde fast einstimmig angenommen, während es heute viele gibt, die von der Ökumene überhaupt nicht mehr begeistert sind, weil sie sich Sorgen machen, dass wir im ökumenischen Dialog die eigene Identität verlieren. Geht der Ökumene also die Puste aus?
Das ist etwas, was ich immer wieder höre: die Befürchtung, dass die Ökumene die eigene kirchliche Identität gefährde. Ausgehend von meiner eigenen Erfahrung kann ich dazu nur sagen: Das Gegenteil ist wahr, weil man gerade in der Begegnung mit anderen christlichen Kirchen die eigene Kirche mit neuen Augen sieht. Es gibt ein altes Sprichwort, das heißt: Wer nur England kennt, kennt England nicht. England kennt man nur, wenn man auch die Schweiz, Polen und Frankreich kennt und in diesem Gesamtkontext dann die Spezifizität von England kennenlernt. Entsprechend könnte man sagen: Man kennt die eigene Kirche so lange nicht, als man nur die eigene Kirche kennt.
Das bedeutet, die Ökumene führt nicht zu einer Verarmung, sondern zu einer Bereicherung. Sie führt dazu, dass man die eigene Identität immer besser kennenlernt. Ich muss ehrlich sagen: Die Ökumene hat mich »katholischer« gemacht, weil ich in den ökumenischen Gesprächen Vieles in der eigenen Kirche mit neuen Augen sehen kann. Vor allem durch die Ökumene bin ich immer mehr zu der Überzeugung gekommen, dass das Papstamt ein großes Geschenk des Herrn für die Kirche ist. Ohne Papsttum fällt Vieles auseinander. Wir sehen das im Weltprotestantismus, in dem es nur wenige Tendenzen zu mehr Einheit unter den Protestanten gibt, sondern eine starke Fragmentierung festzustellen ist, indem immer neue Kirchen entstehen. Und mit Blick auf die Orthodoxie drängt sich mir das Urteil auf: Hätte die katholische Kirche kein Papsttum, hätte sie vermutlich dieselbe Entwicklung wie in der Orthodoxie durchmachen müssen und wäre in eine Reihe von autokephalen Nationalkirchen auseinanderdividiert worden. Insofern ist das Papsttum als Zeichen und Werkzeug der Einheit der Kirche im Letzten ein großartiges Geschenk. Ich würde also sagen: Je tiefer wir uns der Ökumene hingeben, desto geringer ist die Gefahr der Entfremdung von der eigenen Kirche.
An anderer Stelle haben Sie die kirchlichen Bemühungen um Einheit einmal als »gelähmt« bezeichnet. Ist diese Lähmung noch heilbar?
Ich hoffe nicht, dass es eine irreversible Lähmung ist. Es gibt in der Ökumene nicht nur Königswege und Wege in die Zukunft, sondern es gibt auch Umwege, Abwege und Irrwege. Man muss immer wieder versuchen, auf die Hauptstraße zurückzukommen. Und dabei gibt es Erscheinungen, die lähmen, weil man einfach nicht vorankommt und vielleicht das Ziel gar nicht mehr klar vor Augen hat. Aber man muss sich immer wieder darum bemühen, solche Lähmungen zu überwinden und den Weg weiterzugehen.
Können Sie vielleicht noch mehr zu diesen Lähmungen sagen? Wo sind die Ursachen dafür zu suchen: in der Gesellschaft oder vielleicht auch in der Kirche selbst?
Wir stellen heute generell fest: In jeder Kirche gibt es eine Rückbesinnung auf die eigene konfessionelle Identität. Das ist etwas sehr Positives, weil ich nur in einen Dialog eintreten kann, wenn ich selber weiß, wer ich bin. Wenn ich selber keinen eigenen Standpunkt habe, dann bin ich nicht dialogfähig. Insofern ist solche Rückbesinnung durchaus notwendig.