Von Arkham bis Kadath: Sechs Novellen und Erzählungen - Michael Minnis - E-Book

Von Arkham bis Kadath: Sechs Novellen und Erzählungen E-Book

Michael Minnis

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Beschreibung

Es gab keinen Wind, der die unheimliche Materie bewegte, und mit wachsendem Entsetzen wurde Connor klar, dass sie selbst lebendig sein musste. Es gab keine andere Erklärung für die Art und Weise, wie sie sich sonst nach vorne schlängeln konnte und sich gleich einer schwarzen Schlange um den Garderobenständer wand, bis sie O'Reillys Arme zu verschlingen drohte.
Blinde weiße Augen brachen wie Geschwüre auf der schwarzen Oberfläche hervor und rollten wie verrückt hin und her.
O'Reillys Mund verzog sich, sein Kiefer malte fast lautlos.
Er wirkte hilflos, hielt den Garderobenständer aber weiter fest in den Händen.
Aber es war nicht das Ding, das einer schwarzen Schlange glich, welches ihn zum Schreien brachte.
Es war etwas anderes, das wie Schleim durch das Portal strömte; eine trübe Masse, die den Dachboden überschwemmte, kochend und brodelnd wie Schwefelsäure.


Michael Minnis hat viele seiner Erzählungen und Novellen ganz dem Kosmos H. P. Lovecrafts untergeordnet, und dies gelingt ihm auf handwerklich versierte Art.
Die in diesem Band enthaltenen Novellen und Erzählungen spiegeln das Interesse des Autors für Lovecrafts Räume, Zeiten und Orte wieder, egal, ob sie als Dark Fantasy oder als Erzählung aus der Frühzeit des Wilden Westens daherkommen.
Kadath, Leng, Arkham oder Innsmouth – Michael Minnis nimmt den Leser an die Hand und führt ihn zu den Schauplätzen seines großen Vorbildes.


Dieser Band enthält folgende Erzählungen und Novellen:
› Ein altes Haus an einer regennassen Straße
› Die Bestie fährt einen roten Ferrari
› Maastricht-Kreide
› Der Stich eines Insekts
› Zwei Finger und ein halbes Gesicht
› Ein Geschenk aus Leng

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Michael Minnis

 

 

Von Arkham bis Kadath

 

 

 

 

Sechs Novellen und Erzählungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022

Übersetzung: Bärenklau Exklusiv/Jörg Martin Munsonius

Lektorat:Christian Dörge 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Ein altes Haus an einer regennassen Straße 

Die Bestie fährt einen rote Ferrari 

Maastricht-Kreide 

10 

11 

Der Stich eines Insekts 

Zwei Finger und ein halbes Gesicht 

Ein Geschenk aus Leng 

10 

 

Das Buch

 

 

Es gab keinen Wind, der die unheimliche Materie bewegte, und mit wachsendem Entsetzen wurde Connor klar, dass sie selbst lebendig sein musste. Es gab keine andere Erklärung für die Art und Weise, wie sie sich sonst nach vorne schlängeln konnte und sich gleich einer schwarzen Schlange um den Garderobenständer wand, bis sie O'Reillys Arme zu verschlingen drohte.

Blinde weiße Augen brachen wie Geschwüre auf der schwarzen Oberfläche hervor und rollten wie verrückt hin und her.

O'Reillys Mund verzog sich, sein Kiefer malte fast lautlos.

Er wirkte hilflos, hielt den Garderobenständer aber weiter fest in den Händen.

Aber es war nicht das Ding, das einer schwarzen Schlange glich, welches ihn zum Schreien brachte.

Es war etwas anderes, das wie Schleim durch das Portal strömte; eine trübe Masse, die den Dachboden überschwemmte, kochend und brodelnd wie Schwefelsäure.

 

Michael Minnis hat viele seiner Erzählungen und Novellen ganz dem Kosmos H. P. Lovecrafts untergeordnet, und dies gelingt ihm auf handwerklich versierte Art.

Die in diesem Band enthaltenen Novellen und Erzählungen spiegeln das Interesse des Autors für Lovecrafts Räume, Zeiten und Orte wieder, egal, ob sie als Dark Fantasy oder als Erzählung aus der Frühzeit des Wilden Westens daherkommen.

Kadath, Leng, Arkham oder Innsmouth – Michael Minnis nimmt den Leser an die Hand und führt ihn zu den Schauplätzen seines großen Vorbildes.

 

Dieser Band enthält folgende Erzählungen und Novellen:

› Ein altes Haus an einer regennassen Straße

› Die Bestie fährt einen roten Ferrari

› Maastricht-Kreide

› Der Stich eines Insekts

› Zwei Finger und ein halbes Gesicht

› Ein Geschenk aus Leng 

 

 

***

 

 

Ein altes Haus an einer regennassen Straße

(Brick House On A Wet Street)

 

 

 

1

 

 

»Das ist es also?«, fragte Ippleston.

Er klang gelangweilt.

Ippleston klang immer gelangweilt.

»Ja«, antwortete Connor und betrachtete die auf einen Post-It gekritzelte Adresse.

2-3-1-8 Ecke Wyndham und Meade.

Ippleston stoppte den alten Ford-Pickup in einer Einfahrt, die altersbedingt Löcher und Risse hatte.

Connor starrte durch den Dunst des Frühlingsregens auf die Adresse des Hauses: 2-3-1, stand da in Messingbuchstaben die dunkel und mit Patina überzogen waren.

2-3-1-8.

Die letzte Zahl fehlte, was Connor seltsam fand – sollten Professoren nicht pingelig sein und endlos über Details streiten?

Das Geräusch einer zuschlagenden Tür riss Connor aus seinen Gedanken.

Ippleston stand neben dem Pickup und studierte das Haus, die Daumen dabei im Bund seiner Jeans eingehakt.

Sein Gesicht war das eines schmierigen Stummfilmkomikers – halb verschlafen, halb nachdenklich, sein Haar flach an den Schädel geklatscht, weder wirklich rot noch ganz braun. Verwaschen eben.

»Was war noch mal das Fachgebiet dieses Typen?«, fragte er. »Professor für Antro… so und so … anner…«

»Anthropologie«, antwortete Connor, der jüngere der beiden Männer.

Er stieg ebenfalls aus dem Pickup.

Der Nieselregen und die feuchte Luft netzten sein Hemd, legten sich wie ein dünner Schweißfilm auf seine Haut.

Regentropfen fielen von Blättern und Ästen, kalte Schläge auf seine Schultern, winzige Schläge auf seine Baseballmütze.

»Ist das die Hölle?«, sinnierte er mit gewissen Sarkasmus in seiner Stimme.

»Es heißt Studium des Menschen«, antwortete Connor.

»Das bedeutet, dass er sich für verschiedene Kulturen interessierte, so etwas in der Art.

Ich hatte ihn vor einigen Jahren kennengelernt. Er interessierte sich für Sozialwissenschaften, machte aber gern auch Party. Er hat sich wirklich für die orientalische Kultur interessiert.

China. Südostasien.

»Hm …«

»Schätze, sein größtes Interesse hatte er an Tibet. Er reiste immer wieder dorthin, um die Menschen und ihre Kultur zu studieren. Er war oft dort, monatelang.

Er fing immer wieder an darüber zu sprechen, über Mönche und Schreine und Berge und endlos scheinende Hochebenen …

›Ich war auf dem Gipfel der Welt, müsst ihr wissen‹, erzählte er uns launig während einer seiner Vorlesungen, ›und es ist ein seltsamer, sehr seltsamer Ort.‹

Dann lächelte er versponnen und sagte: ›Pop Quiz!‹

»Huh«, brummte Ippleston und verdrehte die Augen.

Connor wusste, dass für Ippleston Tibet, Sozialwissenschaften und das College alles ein und dasselbe war: abgelegene Länder, die er nicht vorhatte, in nächster Zeit zu besuchen.

Ippleston warf einen Blick auf den zugewachsenen Hof und pfiff leise seine Enttäuschung heraus.

»Es scheint, dass Professor Kung-Fu öfter zu Hause hätte bleiben und sich um die Dinge des täglichen Lebens hätte kümmern sollen. Sieh dir den ungepflegten Hof an …«

Connor nickte.

Das nasse Gras reichte ihm fast bis zu den Knien.

Es war stellenweise verwelkt. Der Steinplattenweg, der zur Haustür führte, war dadurch ziemlich überwuchert.

Die Büsche, einst vielleicht akkurat geschnitten, waren nun unregelmäßig und wucherten, dicke Büsche von lebhaftem Grün, ebenso wie die Hecke, die den Hof zu den Nachbarn begrenzte.

Das Haus selbst wirkte düster und vielfach von kriechenden Reben, scharlachfarbenem Sumach und einigen schlecht aussehenden Tannenbäumen im Schatten zwischen toten und staubigen Olivenbäumen eingesponnen.

Der Bürgersteig war, wie die Einfahrt, eine tektonische Platte, mit Rissen überzogen und dunklen Pfützen, die mit toten Blättern, Samen, Pappelsporen und winzigen Spinnennetzen vermischt waren. Würmer krochen über den Bürgersteig – die toten lagen weiß und still im Wasser.

Connor mied sie mit akribischer Abscheu.

 

 

2

 

Alter und Verwitterung hatten das Haus unattraktiv gemacht.

Es schien dies zu wissen, da es sich hinter den Weinreben und Büschen versteckte.

Es war ein schlichtes Haus, ohne Vorsprünge und Erker, nur Ziegelstein und solides Dach …

Die Fenster waren winzig – spendeten wohl wenig Licht in den Räumen.

Sie wirkten altersschwach und staubig-blind – da wurde nicht viel geputzt. Die Farbe von den Rahmen schälte sich stellenweise ab, das Glas war trüb wie ein totes Auge.

Die Dachziegel waren bemoost. Ein Zwillingsschornstein auf dem Dachfirst über den Eingang.

Der Gesamteindruck: in die Jahre gekommen – ohne die Hand eines Handwerkes der es in Schuss hielt. Abgesehen vielleicht von einem runden Fenster, das hoch in der Wand über der Eingangstür angebracht war.

Es war so dunkel, dass es so aussah, als würde das Glas gänzlich fehlen.

»Siehst du das Fenster da oben?«, fragte Connor grinsend. Er verschränkte die Arme, zupfte an seinem Spitzbart.

»Ja … was ist damit?«

»Geh mal ein wenig herum. Und sag mir, was passiert.«

Ippleston zuckte mit den Schultern und ging ein paar Schritte nach links, dann nach rechts, wobei er wie ein kleiner Elefant eine Schneise durch das Gras trampelte.

Eine Zeit lang schien er verwirrt, schielte unbeeindruckt auf das schwarze Portal hoch über der Tür.

»Was soll das … ich werde nass, Connor.«

»Ich weiß. Schau einfach noch einmal genau hin. Du wirst es gleich sehen.«

Dann kam Ippleston abrupt zum Stillstand, starrte wieder zum Fenster.

»Huh!«

»Siehst du es?«

»Ja.«

»Was denkst du?«

»Irgendwie eigenartig … zur Hölle, ich weiß es nicht. Sieht aus wie ein kräuselndes, blinkendes, sternenübersätes Ding, weißt du? Wie eine dieser Ölpfützen, die man auf einem Parkplatz sieht, nur anders. Scheiße, das ist seltsam.«

Connor nickte zufrieden.

Dass er Ipplestons Interesse geweckt hatte, war schon ein kleiner Erfolg. Der dicke Mann schüttelte seinen Kopf wie ein verwirrter Hund. Er wich ein Stück zurück und ging dann wieder vorwärts. Von dort aus, wo Connor stand, wirkte das Fenster harmlos und leer.

Aber er wusste, wenn er sich bewegte, würde sich das spiegelnde Glas irgendwie verändern.

Er glaubte, so etwas schon einmal gesehen zu haben.

Ippleston schaute sich neugierig um und hinauf in den Himmel.

»Nein«, sagte Connor, »es ist nicht die Sonne oder so, oder das diesige Regenwetter oder das wechselnde Licht von Tag oder Nacht, oder was auch immer.«

»Merkwürdig.«

»Das ist noch nett ausgedrückt.«

»Ist das ein Tibet-Ding, von dem du gesprochen hast?«

»Ich weiß nicht … ich bin mir nicht sicher.«

Connor starrte noch einmal schweigend hinauf zu dem runden Fenster mit dem reflektierenden Glas.

Dann gab er sich einen Ruck.

»Komm schon – O'Reilly wird sauer, wenn wir trödeln.«

Er lief zum hinteren Teil des Pickups und ging in Gedanken den Inhalt der Kisten durch: Gummihandschuhe – Besen – schwere Müllsäcke – Papierhandtücher – Teppichreiniger.

Ippleston schnaubte.

»Scheiß auf O'Reilly. Wenn er so dringend auf eine Hausreinigung besteht, soll er doch selbst seinen Arsch hierher bewegen.«

»Ja … aber sei vorsichtig, was du über ihn sagst. Das ist ungefähr die Zeit, in der er auftaucht, um nach uns zu sehen.«

»Ich weiß. Wenn es so weiter regnet, wird er bestimmt vorbeikommen. Und er wird sauer sein, dass sein Golfspiel gecancelt wurde.«

Connor kicherte zustimmend.

O'Reilly besaß eine Reihe alter Häuser in dieser Nachbarschaft und vermietete sie an so ziemlich jeden, der einmal im Monat die Miete bar zahlen konnte: Teilzeitangestellte von der nahen Fakultät; alte Leute, die von ihren mickrigen Renten lebten; launische Kunststudenten mit dem Hauptfach »Träge Gleichgültigkeit«; junge Paare ohne viel Kohle, sogar vor Spinnern und Verrückte machte er nicht halt. Der Mann, welcher das jetzt kurzfristig anmieten wollte, gehörte wohl zu letzterer Sorte. Natürlich kümmerte das O'Reilly nicht wirklich.

»Hast du auch die Farbe dabei?«, fragte Connor, seine Arme mit den Reinigungsutensilien beladen.

»Ja … antikes Weiß, richtig?«

»Ja.«

Connor hat die Eingangstür aufgeschlossen. Sie schwang mit einem hohen, dünnen Quietschen zurück und hörte sich wie ein Nagel an, der aus altem Holz gezogen wird.

Der Vorraum war dunkel, eng und muffig.

Das folgende Zimmer zur rechten Seite war mit einem imposanten, aus Feldsteinen errichteten Kamin als Blickfang dekoriert. Dann folgte etwas, das wie ein Esszimmer oder ein Arbeitszimmer aussah. An den Wänden zeichneten sich Schattenumrisse ab, wo vorher Bilder gehangen hatten.

Der Teppich war alt, verfilzt – in einem Farbton irgendwo zwischen Ocker und Beige.

Von den Möbeln war nur noch sehr wenig übrig – eine billige alte Couch, deren Nähte stellenweise aufplatzten, ein Schaukelstuhl und ein leeres Bücherregal.

An der hinteren Wand befand sich eine Treppe.

Ippleston pfiff wieder leise.

»Hier riecht es muffig-feucht, als würden Schimmelpilze wachsen. Hat der Typ nie ein Fenster geöffnet?«

»Scheiße, das findest Du schon schlimm? Du hättest hier sein sollen, als sie den Kerl gefunden haben.«

Ippleston runzelte die Stirn.

»Wovon redest du?«

Connor setzte die Reinigungswerkzeuge ab und genoss den Augenblick und die Aufmerksamkeit.

»Er starb hier im Haus. Letzten Sommer.«

»Oh, komm schon …«

»Nein. Wirklich. Das war im letzten Sommer. Der Typ ist einfach so umgefallen und verstorben. Scheiße, er muss so um die siebzig, fünfundsiebzig Jahre alt gewesen sein. Ja, er ist abgekratzt und es dauerte vielleicht zwei, drei Wochen, bis ihn jemand gefunden hat. Er war schon ziemlich verwest, habe ich gehört. Es wimmelte um seine Leiche nur so von Würmern. Maden. Alle möglichen fiesen Dinge.«

Ippleston schauderte unwillkürlich.

»Ähh … man, ich kann damit umgehen, hinter Leuten aufräumen zu müssen, aber nicht die Hinterlassenschaften von Toten zu beseitigen. O'Reilly hat mir ganz sicher nichts davon gesagt.«

Sein dickes Gesicht wirkte nachdenklich.

»Wo haben sie ihn überhaupt gefunden?«

»Oben auf dem Dachboden.«

Ippleston rollte mit den Augen.

»Oh, natürlich … der Dachboden.«

 Er summte ein paar Takte unheilvoller Musik.

»Nein. Wirklich, da haben sie den Kerl gefunden«, betonte Connor.

»Ich meine es ernst.«

Ippleston kicherte.

Connor zuckte die Achseln, als ob ihn die Angelegenheit nicht länger interessierte. Sie hatten eine Menge Arbeit vor sich, die er nur widerwillig in Angriff nehmen wollte. Auch die Atmosphäre des Hauses trug nicht gerade dazu bei, seinen Arbeitseifer zu motivieren.

Im Haus war es einfach nur still und feucht.

Er öffnete schnell ein Fenster.

Draußen hatte es stärker zu regnen begonnen, ein plätscherndes monotones Rauschen drang durch das Erdgeschoss.

Die Fensterbänke waren voller toter Insekten und mit Staub und Spinnweben überzogen.

O'Reilly hatte Recht: Eine lästige Pflichtaufgabe und dazu noch schlecht bezahlt.

»Nun, wo sollen wir anfangen?«, fragte Ippleston.

Connor kaute auf seiner Unterlippe herum.

»Ich weiß nicht. Für mich sieht das hier alles ziemlich schlimm aus.«

»O'Reilly sagte, man solle von unten anfangen und sich nach oben arbeiten. Küche und Bad sollen die schlimmsten Stellen sein. Er sagte auch, dass Kaperski sich gemeldet habe, um den Keller und den Dachboden Instand zu setzen. Es gibt also wohl ein wenig Gerechtigkeit …«

»Was ist mit dem Dachboden?«

»Da oben haben wir nichts zu suchen. Da gibt es nur einen Haufen alten Schrotts, den der verstorbene Professor aus Tibet oder sonst wo her mitgebracht hat. Er meinte weiter, er sei nicht allzu scharf darauf, dass einer von uns durch die Decke morsche Decke bricht.«

Connor schnaubte höhnisch.

»Als ob ihn das wirklich kratzen würde. Gut – lass uns erst die Küche saubermachen.«

 

 

3

 

Die Küche, deren Wände in einem verblassten und unansehnlichen Gelbgrün gestrichen waren, erinnerten Connor an Galle, Gift und andere Krankheiten.

Die Arbeitsplatten waren fleckig, die Einbauten alt und das Holz angelaufen. In dem abgenutzten und schmutzigen Linoleum am Boden wiederholten sich die gleichen geschmacklosen Schattierungen der Wände: blassgelb und graugrün.

Die Küchengeräte waren alt und schon zu lange in Gebrauch gewesen.

Der Gipsdecke war fleckig und Teile der darüber gestrichenen Farbe abgeblättert und knirschte nun unter ihren Füßen.

Ippleston fegte zuerst und begann dann, den Boden mit einer harten Bürste und Seife zu schrubben. In wenigen Augenblicken war er schweißgetränkt. Unter seinen Armen und auf seinem Rücken bildeten sich fleckige Muster.

Connor machte sich an die Arbeitsplatten, die schraffierte Muster von Messerschnitten und Kratzer aufwiesen. Er fragte sich, wie der Professor hier hatte hausen können ohne krank zu werden.

Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Es war ein Job, nicht mehr …

Sie waren fast eine Stunde jeder mit seiner Arbeit beschäftigt, bevor Ippleston wieder etwas sagte.

»Kaperski sagt doch, man habe diesen Kerl auf dem Dachboden gefunden?«

»Ja. So hat er es mir erzählt.«

»Sein Tod – natürliche Ursache?«

»Nun … ja und nein.«

»Ja und nein? Wovon zum Teufel redest du?«

Connor schrubbte die Arbeitsplatte eine Zeit lang schweigend weiter und schien zu überlegen.

»Nun, das ist es, was Kaperski sagte. Nicht ich … Kaperski meinte, Professor Geeves … sei zertrampelt worden.«

Ipplestons verschwitzte Stirn wirkte auf einmal ganz zerfurcht.

Er wischte mit dem Handrücken darüber.

»Zertrampelt? Platt gemacht?«

»Ja, nicht ganz flach. Aber doch flach genug. Die meisten seiner Knochen im Körper waren gebrochen. Sein Schädel wurde zertrümmert. In den Lokal-Nachrichten wurde ein Mord nicht ausgeschlossen. Es sind aber keine Details bekannt geworden. Und da der Typ keine Freunde oder Verwandte zu haben schien, wurde der Fall ziemlich schnell zu den Akten gelegt.«

»Ja, aber … zertrampelt? Da hat sich aber einer eine Menge Arbeit gemacht, um einen Mann zu töten.«

Connor lehnte sich gegen den Tresen.

Ihm schienen die seltsamen Aspekte menschlichen Verhaltens nicht unbekannt zu sein.

»Ja. Aber die Leute machen manchmal ziemlich seltsame Sachen. Oder es war ein Psycho … oder ein Mordritual. Denk an die Verrückten, zum Beispiel der »Son of Sam«, der hinterließ extra Hinweise für die Polizei. Oder dieser Ed Gein aus Wisconsin, der Lampenschirme aus der Haut der Leute machte. Der Zodiac-Killer. Das ist alles ziemlich obskures Zeug.«

»Scheiße, kein Wunder, dass du keine Freundin hast«, meinte Ippleston mit einem wissenden Lächeln.

»Was du so über diese kranken Dinge weißt.«

»Kranke Dinge? Du bist ja diesem Typen, dem Professor der hier hauste, nicht begegnet. Ich meine, zu Beginn des Semesters schien er ganz in Ordnung, aber danach ging es mit ihm nur noch bergab. Er kam immer öfter nicht zum Unterricht. Er gab seine Vorlesungsnotizen einem Doktoranden aus Osteuropa, der kaum Englisch sprechen konnte.

Wir hatten eine Zwischenprüfung – die ich übrigens versaut habe – aber keine Abschlussprüfung.

Ich kam einmal hier bei ihm vorbei, um mit ihm über meine Note zu sprechen. Das Arschloch war fast nie in seinem Büro, also bin ich die zwei, drei Meilen vom Campus hierher gelaufen. Jedenfalls war ich schon einmal hier und schon damals sah es irgendwie merkwürdig aus. Der Rasen war da auch schon fast völlig verdorrt. Überall lagen Blätter, die niemand zusammen harkte. Und die Büsche, die wucherten nach allen Richtungen. Keiner schien sich um den Zustand des Gartens zu kümmern. Irgendwie wie jetzt.«

Er hing einen Moment seinen Gedanken nach.

»Und ich denke: Verdammt, hier sieht es irgendwie eigenartig aus. Ich erinnere mich noch – es war ein dicht bewölkter Tag im Oktober. Schon ziemlich kühl. Man konnte in der Luft schon den Winter riechen. Also, ich klopfte hier an seiner Tür. Keiner machte auf. Ich klopfte wieder an. Nichts.

Jetzt wurde ich sauer, weil »Goddard-was-auch-immer« eine Notiz hinterlegt hatte, ich solle ihn nach dem Unterricht zu Hause treffen. Schließlich macht der Typ die Tür auf.

Mann, der hat mir eine Gänsehaut gemacht. Das Lustige war, dass ich den Kerl bis zu diesem Zeitpunkt nie richtig gesehen habe, ich hatte ihn nie aus der Nähe gesehen, denn er unterrichtete in einem großen Hörsaal und ich befand mich immer ganz oben in den letzten Reihen.«

Er unterbrach sich wieder. Schien seiner Erinnerung nachzuhängen.

»Es war seltsam … aber man sah ihn nicht gerne an. Ich meine, er wirkte nicht unheimlich oder so. Aber er war eigenartig. Richtig blass, sogar blasser als einige der Computerfreaks, die ständig im Labor herumhängen. Seine Haare waren raspelkurz. Meist wirkte er aus der Entfernung, als würde er schon eine Glatze haben. Und dann dieser kleine verschmiert wirkende Schnurrbart wie bei einem der uralten Filmstars und dazu eine runde Brille auf der Nase. Er schien die Studenten aus zusammengekniffenen, böse blickenden Augen zu mustern. Scheiße, er sah selbst irgendwie tibetisch aus. Ein Vollmondgesicht. Und er hatte diesen Gesichtsausdruck … als ob er wirklich auf der Hut vor einem war – doch da war noch mehr – man musste auch auf der Hut vor ihm sein.

Als wärst du ein Käfer und er schätzte ab, ob er dich einfangen würde oder doch einfach wegfliegen. Er hatte etwas Verschlagenes an sich, so eine richtige Verbrechervisage.«

»Huh.« Ippleston atmete hörbar aus. Kommentierte aber nichts weiter, sondern hörte weiter gespannt zu.

»Und er war auch sehr behaart. Was oben auf seinem Kopf fehlte … schwarze Haare. Man konnte sehen, wie sie von seiner behaarten Brust aus seinem Hemdkragen wuchsen. Auch seine Arme waren stark behaart. Wenn er an der Tafel dozierte und das Hemd ein wenig hoch rutschte, sah es aus wie in einem wuchernden Urwald. Man konnte den Eindruck gewinnen, als hätte er ein Gorillakostüm an.

Er öffnete also irgendwann die Tür. Er starrte mich so lange schweigend an, dass ich anfing, mich unwohl zu fühlen. Dann erinnert er sich schließlich an mich und sagte: ›Oh ja. Connor, nicht wahr? Dann komm rein, Junge. Setz dich.‹«

»Was? Du meinst, kein unheimlicher Frosch ist an die Tür gegangen?«

Connor blickte Ippleston strafend an.

 »Wenn du dich über mich lustig machen willst, erzähle ich nicht weiter, was dann passiert ist.«

»OK. OK. Ich will dich nicht verarschen. Ich mache nur etwas Spaß. Sei froh, dass O'Reilly nicht hier ist. Er würde uns in den Arsch treten, wenn wir nur reden, statt zu arbeiten.«

Ippleston schrubbte wieder den Boden.

»Jedenfalls bat mich Professor Greeves ins Wohnzimmer – der Raum mit dem Kamin – und da standen noch all die Sachen aus Tibet und Nepal rum. Ich meine, ich rede von Dingen, die wahrscheinlich etwas Geld wert waren; kleine Jade-Figuren, Totenmasken, Gebetsperlen und Kunstwerke die an den Wänden hingen. Der Kerl hatte sogar einen wohl handgearbeiteten Tempel- Gong aus Nepal. Ich meine es ernst. Überall, wo man in dem Raum hinsah, war etwas Seltsames zu sehen. Ich meine, es war wie in einem Antiquitätenladen.«

Connor atmete geräuschvoll aus und sah weiter zu, wie Ippleston mit kreisenden Bewegungen weiter den Boden bearbeitete.

»Der Kamin brannte, und die Vorhänge waren geschlossen und es war es irgendwie stickig – genau wie heute hier im Haus.

Und da war diese schreckliche Kuckucksuhr über dem Kamin, irgendein dunkles, hässliches Ding, das tickt und mich irgendwie schläfrig machte. Doch ich fühlte mich auch unwohl und war deshalb aufmerksam. Er setzte sich auf einen Schaukelstuhl mir gegenüber und faltete seine Hände.

›Und?‹, fragte er.

Ich erwiderte: ›Und was?‹ 

›Sie sind hier, um Ihre Note zu besprechen, richtig? Ich bekomme nicht viele Besucher …‹ 

Dabei lächelte er, als ob er einen kleinen Witz gemacht hätte.

›Ach, ihr Studenten mit euren Fragen nach Empfehlungsschreiben. Bestanden oder nicht bestanden. Noten. Was man noch für eine bessere Note tun müsste.‹ 

Doch dann brach er ab, schien am Thema Noten nicht mehr interessiert und fragte übergangslos, ob ich glauben würde, ob es heute noch regnet.

Weißt du, ich war etwas überrascht, verneinte aber, weil ich dachte, dann käme er schnell wieder auf das Thema der Noten.

Doch er sagte: ›Regen bringt die Würmer hervor‹, und dann fragte er mich, ob ich einen Tee haben mochte.

Und ich darauf: ›Sicher, ich nehme einen Tee.‹ Also verließ Goddard das Zimmer und ging in die Küche. Ich wartete und wartete. Er war eine gefühlte Ewigkeit weg. Also stand ich auf und lief herum, guckte um zu sehen, was dieser Prof in seiner Freizeit machte.

Kein Fernsehen. Kein Radio oder so was. Keine Zeitschriften.

Nur all dieses seltsame Zeug, und manches davon musste wirklich alt sein.

Er war immer noch in der Küche, als ich dieses Geräusch von oben hörte. Ein lautes, lang anhaltendes Knarren, als ob das ganze Haus sich immer noch setzte und dann ein unrhythmisches Klopfen, als ob jemand gestürzt wäre.

Ich meine, es war wirklich laut. Unüberhörbar. Also ging ich zur Treppe, um zu sehen, was sich da oben abspielen mochte.

Dann dachte ich: Keine gute Idee – also ging ich quer durchs Esszimmer Richtung Küchentür, um nach ihm zu sehen.

Draußen nahm der Wind zu, und die Äste der Bäume schwankten und warfen mehr und mehr von ihrem Herbstlaub ab.«

Die Erinnerung an den Besuch machte Connor wieder unruhig, selbst jetzt, wo Professor Greeves tot und das Haus leer war.

Oder war es das Haus selbst, dessen morbide Atmosphäre an seinen Nerven zerrte. Das war ziemlich sicher der Schauplatz eines bizarren Verbrechens …

Hier hatte ein Mord stattgefunden – die Atmosphäre blieb für Connor immer noch beklemmend. Schließlich konnte eine große knorrige Eiche ihre Blätter verlieren, aber sie blieb trotzdem ein Baum. Und auch ohne den Toten, blieb das Haus weiter ein Ort des Verbrechens, fand er.

»Hast du Angst?«, fragte Ippleston und hörte mit dem Scheuern auf.

»Was? Du meinst hier und jetzt?«

»Nein … ich meinte damals.«

Connor lachte unbehaglich.

»Eigentlich irgendwie beides. Ich mochte dieses Haus schon bei meinem ersten Besuch nicht, und ich mag es heute immer noch nicht.«

»Ja … O'Reilly vermietet manchmal richtige Bruchbuden. Er hat auch ein Haus in der Nähe des Waldes in der Dyer Street, das schon aus der Entfernung wie ein großes altes Spukhaus aussieht. Ich meine, es fehlen am Dach Schindeln und es blättert überall die Farbe ab. Die Fenster im Erdgeschoss sind vernagelt. Dieses Ort hier ist nicht halb so schlimm, soweit ich das beurteilen kann. Doch oft kauft er Häuser, die kann man eigentlich nur noch abreißen.

Er stellt wohl keine Fragen oder schaut sich die Orte genauer an. Hauptsache, man kann sie noch vermieten – an Leute die selber keine Fragen stellen. Ich könnte schwören, er mag Spinner – solange man die Miete bezahlt.«

»Ja …«

Weiter kamen sie nicht.

»Spinner, was?« Die Stimme kam von der Eingangstür.

Sie klang ein wenig gereizt und in ihr schwang ein autoritärer Unterton mit.

Connor schluckte verlegen – O'Reilly war vorbeigekommen, wie er es gelegentlich tat, um nach seinen Mitarbeitern zu sehen.

Scheißkerl!

O'Reilly stand in der Küchentür, die Handflächen an beiden Türpfosten, angelehnt. Tief gebräunte Haut stand in beißendem Kontrast zu den weißen Shorts und einem gelben Sporthemd.

Obwohl der Frühlingstag grau und feucht war, trug er eine verspiegelte Sonnenbrille und ein rotes Cap. Connor stellte fest, dass der Mann sehr gereizt war; sein Golfspiel war sprichwörtlich ins Wasser gefallen – und er hatte doch nur am Wochenende Zeit zum Spielen.

O'Reilly schlenderte in die Küche.

Ippleston beobachtete ihn aufmerksam.

»Weiter seid ihr beide noch nicht gekommen? Nur die Küche?«

»Wir hatten es schwer, das Haus zu finden, Dan«, log Ippleston schwach.

O'Reilly öffnete und schloss Küchenschränke, als ob er etwas suchte. Er hatte dabei einen mürrischen Gesichtsausdruck.

»Schwer? Wie? 3218, Ecke Wyndham und Meade, ganz in der Nähe wo doch alle Straßen nach Bürgerkriegsgenerälen benannt sind. Wo das College ist. Sucht das alte Backsteinhaus mit dem seltsamen runden Fenster. Ich dachte, ihr College-Jungs kennt alle Häuser in eurer Umgebung Mr. Ippleston.«

»Eine der Zahlen fehlte, Mr. O'Reilly«, sagte Connor in spöttischer Aufrichtigkeit.

O'Reilly stieß einen großen Seufzer der Resignation aus.

---ENDE DER LESEPROBE---