Von Dunwich bis Innsmouth: Acht Novellen und Erzählungen - Michael Minnis - E-Book

Von Dunwich bis Innsmouth: Acht Novellen und Erzählungen E-Book

Michael Minnis

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Beschreibung

Sie ergriff meine Hand, zog mich mit sich an den Straßenrand, sodass wir zwei kleinen, zusammengekauerten, ängstlichen Kindern glichen, die vom verrückten Tanz des Windes und der verkrüppelten Bäume heimgesucht wurden.
Die fahle weiße Sonne schaute hinter einem Bollwerk aus Wolken hervor, aber selbst ihre Anwesenheit war kein Trost – »Sieh es nicht an«, flüsterte Sarah.
»Die Sonne?«
»Der Himmel. Sieh ihn nicht an. Es ist der Ort, wo sie herkommen. Der Himmel. Die Luft. Sie sehen alles. Er sieht alles …«
»Sarah?«, fragte ich erschrocken. »Sarah, was geht hier vor?« Der erschrockene Erzähler, der von namenlosen Schrecken in Dunwich in der Geschichte Das Mädchen, das im Kreis lief berichtet, bildet den Auftakt zu einem Reigen neuer Erzählungen und Novellen.
Andere beschwören namenlosen Schrecken einer apokalyptischen Zukunft herauf oder erzählen neue phantastische Abenteuer aus dem Lande Averoigne, einem fiktiven Gegenstück zu einer historischen Provinz in Frankreich.

Michael Minnis hat viele seiner Erzählungen und Novellen ganz dem Kosmos H. P. Lovecrafts untergeordnet, und dies gelingt ihm auf handwerklich versierte Art.
Die in diesem Band enthaltenen Novellen und Erzählungen spiegeln das Interesse des Autors für Lovecrafts Räume, Zeiten und Orte wider, egal, ob sie als Dark Fantasy oder als Erzählung aus der Frühzeit des Wilden Westens daherkommen.
Kadath, Leng, Arkham oder Innsmouth – Michael Minnis nimmt den Leser an die Hand und führt ihn zu den Schauplätzen seines großen Vorbildes.

Dieser Band enthält folgende Erzählungen und Novellen:
› Zu Ende gebracht
› Ein wenig Farbe auf die Wange
› Ich gehe auf dem schwarzen Rand der Welt
› Das Mädchen, das im Kreis lief
› Ein Schrank aus Innsmouth-Holz
› Die Kleinen und die Großen
› Der Monstervogel der Stadt Cordeliers
› Es kommt näher

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Michael Minnis

 

 

Von Dunwich bis Innsmouth

 

 

 

 

Acht Novellen und Erzählungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022

Übersetzung: Bärenklau Exklusiv/Jörg Martin Munsonius

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Zu Ende gebracht 

Ein wenig Farbe auf die Wange 

10 

Ich gehe auf dem schwarzen Rand der Welt 

10 

11 

12 

Das Mädchen, das im Kreis lief 

4. April 1923 

6. April 1923 

10. April 1923 

13. April 1923 

14. April 1923 

22. April 1923 

26. April 1923 

30. April 1923 

Ein Schrank aus Innsmouth-Holz 

Die Kleinen und die Großen 

Der Monstervogel der Stadt Cordeliers 

10 

11 

12 

13 

14 

Es kommt näher 

Biographische Information: 

Ein kurzes Interview mit Michael Minnis 

 

Das Buch

 

 

Sie ergriff meine Hand, zog mich mit sich an den Straßenrand, sodass wir zwei kleinen, zusammengekauerten, ängstlichen Kindern glichen, die vom verrückten Tanz des Windes und der verkrüppelten Bäume heimgesucht wurden.

Die fahle weiße Sonne schaute hinter einem Bollwerk aus Wolken hervor, aber selbst ihre Anwesenheit war kein Trost – »Sieh es nicht an«, flüsterte Sarah.

»Die Sonne?«

»Der Himmel. Sieh ihn nicht an. Es ist der Ort, wo sie herkommen. Der Himmel. Die Luft. Sie sehen alles. Er sieht alles …«

»Sarah?«, fragte ich erschrocken. »Sarah, was geht hier vor?«

Der erschrockene Erzähler, der von namenlosen Schrecken in Dunwich in der Geschichte Das Mädchen, das im Kreis lief berichtet, bildet den Auftakt zu einem Reigen neuer Erzählungen und Novellen.

Andere beschwören namenlosen Schrecken einer apokalyptischen Zukunft herauf oder erzählen neue phantastische Abenteuer aus dem Lande Averoigne, einem fiktiven Gegenstück zu einer historischen Provinz in Frankreich.

 

Michael Minnis hat viele seiner Erzählungen und Novellen ganz dem Kosmos H. P. Lovecrafts untergeordnet, und dies gelingt ihm auf handwerklich versierte Art.

Die in diesem Band enthaltenen Novellen und Erzählungen spiegeln das Interesse des Autors für Lovecrafts Räume, Zeiten und Orte wider, egal, ob sie als Dark Fantasy oder als Erzählung aus der Frühzeit des Wilden Westens daherkommen.

Kadath, Leng, Arkham oder Innsmouth – Michael Minnis nimmt den Leser an die Hand und führt ihn zu den Schauplätzen seines großen Vorbildes.

 

Dieser Band enthält folgende Erzählungen und Novellen:

› Zu Ende gebracht

› Ein wenig Farbe auf die Wange

› Ich gehe auf dem schwarzen Rand der Welt

› Das Mädchen, das im Kreis lief

› Ein Schrank aus Innsmouth-Holz

› Die Kleinen und die Großen

› Der Monstervogel der Stadt Cordeliers

› Es kommt näher

 

 

***

 

 

Zu Ende gebracht

 

von Michael Minnis

 

(Originaltitel: FINISHING MOVE)

 

 

 

1

 

 

Es ist immer derselbe Traum.

Ich bin wieder in Boston, wieder oben auf der Tobin Bridge.

Ich stehe hier, am höchsten Punkt über dem Wasser, gleich hinter der Leitplanke. Es ist nach Sonnenuntergang, es ist dunkel – ich kann die Schornsteine auf der anderen Seite kaum noch sehen. Und es ist sehr windig, böig bis zu dem Punkt, an dem ich Schwierigkeiten habe zu stehen und mein Gleichgewicht zu halten.

Ich will nicht fallen, was ironisch ist, denn ich war eine Stunde lang dort oben und habe den Mut zum Springen irgendwann verloren.

Ungefähr in dem Moment, in dem ich endlich entschieden habe, dass das Leben völlig unerträglich ist, und dass es Zeit ist, es zu tun, ergreift jemand das Wort.

Träger männlicher Bariton, leichter Akzent.

Die Stimme eines geborenen Besserwissers.

»Gehen Sie mit den Füßen voran«, sagte er.

»Was?«, fragte ich verdutzt.

»Mit den Füßen voran übertreten, Chef«, antwortete er. »Wenn man von so hoch oben auf den Bauch fällt, ist es, als würde man auf Zement aufschlagen. Ich dachte, das würde Sie interessieren.«

Ich brauche ein oder zwei Augenblicke, um ihn zu erkennen.

Er sitzt weiter oben, inmitten der Eisenkonstruktion der Brücke, die Hände gefaltet, die Ellbogen auf den Knien, bequem und unbekümmert, das lange, verwitterte Gesicht wie eine Klippe, die von der See zerfurcht wurde, die paläolithische Stirn über einer edlen Nase, die langen Beine, die langen Arme, alles an ihm wirkte irgendwie lang.

Er trug eine etwas schäbige, fleecegefütterte Jeansjacke.

Und Motorrad-Stiefel.

Über zwei Meter groß, denke ich, wenn nicht noch mehr. Und ich habe absolut keine Ahnung, wie er da hochgekommen ist.

»Oh. Uh, hey«, antworte ich.

Toll.

Genau was ich wollte, Gesellschaft.

Er nickte, bot ein kleines Lächeln an.

»Ich heiße Bormann«, sagte er.

»Bormann? Wie dieser Nazi in Südamerika?«

Er lachte, ein kratziges, tiefkehliges Glucksen aus seiner Kehle. Es klingt eher wie Kies, der eine Metallrutsche hinabgleitet.

Mutter Gottes, aber das Wasser ist weit, weit unten.

10 … 9 … 8 … 7 … Ich beginne den Countdown erneut, dies ist ungefähr das tausendste Mal, dass ich nicht in mein nasses Grab unter mir gesprungen bin.

»Also … wie ist Ihr Name, Chef?«

Verdammt noch mal. Jetzt muss ich wieder ganz von vorne anfangen.

10 … 9 …

»Hey, ich wollte nicht respektlos sein, wenn es um den Chef geht. Es ist nur so eine Angewohnheit von mir, dass ich Leute sofort einordne, wenn ich sie treffe, wissen Sie? Leichter sich daran zu erinnern. Vor allem, wenn die Kerbe echter ist als der Name, wenn man meinen …«

»Erlauben Sie?«

»Äh, okay. Nichts für ungut. Es ist mir nur gerade eingefallen.«

»Ja, nun, ist Ihnen in den Sinn gekommen, dass ich gerne etwas Privatsphäre hätte?«

Bormann schaut verwirrt drein.

»Huh. Wow. Ich schätze, ich wusste nicht, dass dies eine Selbstmord-Zone ist. Achten Sie auf fallende Leute, ja?«

Er kichert wieder.

10 …

»Sie haben doch das Schild der Suicide Prevention Hotline gesehen, oder? Denn ich kann sie anrufen, wenn Sie wollen. Ich habe mein Handy gleich hier. Rufen Sie 1-800 an!«

Er beginnt auf die Zahlen zu tippen.

»Tun Sie es nicht!«

»Okay, okay. Nichts für ungut, Chef.«

Seine Fersen klopfen gegen Metall.

»Warum machen Sie das überhaupt?«, fragte er unschuldig.

»Geht Sie nichts an.«

»Stimmt, aber das kann die Sache anderer Leute sein, Chef. Ich meine, haben Sie keine – Scheiße – Freunde? Familie? Sie wissen schon, Verpflichtungen? Hier geht es nicht nur um Sie. Bei Weitem nicht.«

»Wann habe ich gesagt, dass es nur um mich geht? Hm? Wann genau habe ich das gesagt?«

»Mussten Sie nicht. Das weiß ich. Ja, ich weiß. Kleine Miss Drama Queen. Das Leben ist zu viel für mich, o je, o je, o je. Das Rätsel des Daseins, oh je! Und so heißt es: Fickt euch, Verlierer, ich checke aus. Ich hoffe, es macht euch nichts aus. Aber wenigstens erschießt ihr euch nicht selbst und hinterlasst einen Saustall, das gebe ich zu.«

Ich beschließe, dass ich genug von diesem Arschloch und seinem scheiß Gequatsche habe.

Er wird persönlicher …

»Was zum Teufel willst du überhaupt? Ich meine, ernsthaft, Kumpel, was soll der Scheiß? Willst du dir deine Flügel verdienen oder was?«

Und dann kommt eine Veränderung über Bormann.

Er grinst.

Seine Lippen teilen sich wie eine aufkommende Wunde, und es gibt so viele weiße Zähne, die, wie ihr Besitzer, sehr lang sind.

»Flügel? Ich fürchte nein, Chef. Aber ich habe meine Reißzähne bekommen, falls du dich das fragst. Willst du sie sehen?«

Und dann stürzt er sich auf mich.

 

 

 

2

 

 

Ich weiß, wann Nina in den Club gehen will, weil sie immer Dutzende von Kerzen anzündet.

Fette Kerzen, dünne Kerzen, große Kerzen, kleine Kerzen, schwarze, weiße, violette, rote Kerzen, eine nach der anderen und dann die nächste …

Sie tut dies so lange, bis der verlassene Lagerkeller, den wir tagsüber bewohnen, in einen quasi-religiösen, unterirdischen Kathedralenschein getaucht ist. Fraidy behauptet, dass sich das flackernde Licht negativ auf sein Videospiel auswirkt. Wenn dem so ist, kann ich das sicher nicht sagen, denn er schlägt mich immer wieder, egal was wir auch spielen.

»Du wirst das Ding wirklich nicht im Club tragen, oder?«, frage ich.

»Äh, nun, ja. Schottenröcke sind im Moment so was wie das Gothic-Ding, weißt du?«

Nina hat einige Freunde eingeladen. Es würde mir nicht so viel ausmachen, wenn sie nicht Volchata wären, was russisch für »kleine Wölfe« ist, wie Nina mir erzählt.

Die Volchata sind Ninas alte Vampirbande aus New York. Sie bleibt mit ihnen in Kontakt. Scheußliche Outfits.

Meistens Mädchen.

Stark militarisiert.

Sie kämpfen mit den anderen Vampirbanden, den Vandalen und den Pechenegs, um Respekt, Territorium und die schiere Wut.

Glücklicherweise ist es kein Wiedersehen, nur zwei enge Freunde, die vorbeikommen. Das sind Kathy »Kat« Mullins und Penelope Constance Wagstaffe, alias »Das blonde Biest«, alias Penny Dreadful.

Kat mag ich, Penny mag ich nicht.

Penny ist eine hochrangige Hardcore-Volchata – diese kleine Blondine, die sich so kleidet, wie sich Models kleiden würden, wenn die Vogue einen paramilitärischen Flügel hätte.

Ihre Hauptausrüstung ist neben einem Übermaß an Silber- und Türkisschmuck dieser enorme Pelzmantel und die riesige Pelzmütze der sibirischen Variante, auf die dieser verdammt unheimliche silberne Totenkopf gesteckt ist.

Ich spreche von echtem Waffen-SS-Todeskopfschwachsinn.

Ihre Serienmörderaugen sind mit Kajal umrandet.

Ihre Ohrringe sind Miniatur-Guillotine-Klingen.

Auf ihrer linken Wange ist der blaue Punkt von Borstal, einer Besserungsanstalt für Straftäter in England. Auf dem Handrücken bei den Fingern sind einzelne Großbuchstaben tätowiert, die an und für sich nichts bedeuten, bis sie die Hände zusammenfaltet.

Das Ergebnis wird dann, wie ihre sinnlose Schneiderei, zu einem böswilligen Ganzen: U ARE MINE.

Das Stiefelmesser der Luftwaffe und der Spazierstock, den sie trägt (der Griff des letzteren stellt einen sexuellen Akt in allen Einzelheiten dar), sollen den Punkt – und die Körper – wenn nötig unterstreichen. Und was den Spitznamen betrifft, so ist er ein Hinweis auf ihre bevorzugte Methode, einen Kampf zu eröffnen – indem sie eine Handvoll kantengeschliffenes Kleingeld ins Gesicht des Gegners schleudert. Wie ich schon sagte, Hardcore.

Kat ist nicht annähernd so zickig-zickig wie Nina oder so unheimlich-psychotisch wie Penny; sie ist ein Pullover-Mädchen, in der Art von Goya. Meistens begleitet sie nur die anderen beiden, um zu sehen, was passieren wird, um zu sehen, was für sie dabei herausspringt.

Sie ist jedermanns Zigaretten rauchende unechte Schwester – Kat mit ihren verschmierten kleinen Augenbrauen und winzigen weißen Porzellanpuppenhänden, ihren freakig-kleinen Kindergartenkinderfüßen und ihren cartoonhaften Riesenbrüsten.

Ich schwöre, es muss sich um eine DD oder so etwas handeln – Kat mit ihrer zierlichen lila Schleife, den gestreiften lila-rosa Oberschenkelstrümpfen, dem schwarzen Shag-Schnitt und dem schwarzen gebrochenen Herz, das auf ihren Hals tätowiert ist, genau dort, wo es zucken und springen und schlagen würde, wenn sie einen Puls hätte.

»Freundin!«, ruft Nina aus, als sie endlich ankommen.

»Liebe!« Penny hat vor einiger Zeit einige Zeit in London verbracht, wissen Sie, und jetzt spricht sie fließend Cockney.

Jeder ist »Love«, »Guv’nor« oder »You Fucking Wanker«.

Wie die Models machen sie den schnellen doppelten Luftkuss: Smack-smack.

Dasselbe gilt für Kat: Smack-smack.

»Da ist ja mein Lieblingsvampir!«, ruft Kat aus. Sie plustert sich auf und klettert auf die Couch, um mich zu umarmen. (Kat ist sehr weich, fühlt sich aber seltsam kühl an, wie ein Kissen im Schlafzimmer).

Fraidy nutzt meine momentane Ablenkung aus, führt seinen letzten Zug aus und gewinnt das gottverdammte Scheißspiel, schon wieder.

»Oh, um Himmels willen!«, rufe ich.

»Nun, ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagt Kat.

»Hm? Oh, Entschuldigung. Hi.« Ich küsse sie flüchtig auf die Wange.

»Sieh dir das an: Die launischen Brüste und die psychotischen Pelze – auf Tournee«, sagt FC. »Holen Sie sich jetzt Ihre Tickets.«

»Willst du deine gelocht haben?«, antwortet Penny schnippisch.

»Wie läuft das Spiel?«, fragt Kat mich ungerührt. Das Ende ihrer Zigarette glüht.

»Ich werde hier vom Angsthasen in den Arsch getreten. Willst du es versuchen?«

»Nein, ich mag wirklich keine Kampfspiele.«

Fraidy beginnt ein neues Spiel und macht Vorschläge: »Vielleicht solltest du es mit einem anderen Kämpfer versuchen. Probieren, probieren, ähm, das Matrosenmädchen mit dem kurzen Rock, man sieht es nie kommen. Sie überlistet dich total.«

»To-tal«, sagt Kat und bläst Rauch kunstvoll in die Luft.

Die Mädchen kichern.

Das irritiert FC.

»Nun, ja, wie in deinem Fall, Mullins, wäre es aus – äh, na ja, du weißt schon.«

»Was? Titten?«, frage ich.

Nina und Penny lachen. Kat kneift mich in den Arm.

»Au! Nicht, ich bin empfindlich!«

»Dann genug Tittenwitze.«

Auf dem TV-Schirm brach ein Blutbad aus.

Penny berührt mit ihrem Stock den Kilt von FC.

Sie stellt ihre Frage nicht so sehr, sondern spöttelt sie nur höhnisch – es ist etwas, das sie in der guten alten unbeschwerten zeit von den Fußball-Hooligans aufgeschnappt hat.

»Warum trägt der idiotische Nerd einen Rock?«

»Ähm, entschuldige mal, das nennt man einen Kilt«, antwortet Fraidy mit großer Autorität.

»Das ist die Sache mit den Gothic-Typen, falls du dich das gefragt hast. Nicht das, nicht dass du es überhaupt wüsstest, Penny, weil du nicht genug Grips hast.«

»Sehr. Schlechtes.Wortspiel«, sage ich betont langsam.

FC widmet sich wieder dem Spiel, um meinem derzeitigen unglücklichen Kämpfer die Scheiße aus dem Leib zu prügeln.

Ich habe noch nie jemanden gesehen, der auf einem Spielfeld schneller kämpft als er.

Aber jedes einzelne verdammte Spiel zu verlieren wird langsam langweilig …

»Lasst uns etwas anderes spielen«, sage ich.

FC stoppt das Spiel und steht auf, um ein anderes aus seiner Sammlung auszuwählen.

Penny und Nina tauschen Blicke und ein böses, zahniges Grinsen aus.

Penny schleicht langsam und vorsichtig mit dem Ende ihres Stockes knapp über den Boden in Richtung von Fraidys Kilt.

Sie schiebt ihn weiter, vor und zurück, rein und raus, nur ganz leicht, imitiert kleine Koitusatmungen, beißt sich auf die Unterlippe, täuscht die zunehmende Unvermeidbarkeit des sexuellen Höhepunkts vor, während FC, gebückt und vergesslich wie eh und je, über seinen wertvollen Videospielen aussieht wie ein Mönch über einem handgeschriebenen kostbaren Manuskript.

Er hört nicht einmal Pennys Flüstern, ihre Stimme erhebt sich: »Ooo, ahh, fuck me oh baby, oh god, oh FC, fuck me with your big hard FINISHING MOVE!«

Und bevor Fraidy irgendetwas tun kann, dreht sie seinen Kilt mit dem Schwung eines Schwertkämpfers hoch.

Darunter ist er splitternackt.

Völlig fischbauchig-weiß mit nacktem Hintern.

Kat kreischt bei dem Anblick.

Sie springt ängstlich auf, wie ein aufgeschreckter Frosch. Seine Sammlung stürzt auf den Boden. Alle gaffen vor Erstaunen, FC ist empört.

Wir alle lachen.

»Das ist überhaupt nicht cool«, stellt FC nörgelnd fest und zeigt auf Penny.

»Krypto-sexueller Faschismus ist so gut wie nie cool. Sag einfach: Nein heißt nein. Verstanden?«

Er stürmt in sein Zimmer.

»Wenn du auf Krypto-Sex stehst, Lover, ich habe ein absolut klasse Verlies in New York«, stellt Penny klar. »Peitschen, Ketten, Fesseln, ich glaube, es wird dir gefallen!«

»Die Zustellung einer einstweiligen Verfügung trifft es wohl eher!«

Penny rollt mit ihren kalten Augen. »Er ist so ein Wichser. Warum ist das so? Guv’nor? Hey, ich rede mit dir! Warum ist dein Wichser-Freund so ein verdammter Wichser?«

»Was? Woher zum Teufel soll ich das wissen«, antworte ich und nutze die Gelegenheit, um den unbemannten Kämpfer von FC, der kurz vor dem Abstieg steht, zu verprügeln.

»Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem du ein verdammter Irrer bist.«

»Oh, ich verstehe«, spöttelt Penny, und mit dem Ende ihrer Zuhälterstange rebootet sie die Playstation.

»Hoppla!«

Verdammt, ich schwöre, ich hasse diesen verdammten Stock fast so sehr wie ich sie hasse.

 

 

 

3

 

 

Penny fährt, wie die meisten Volchata, einen Geländewagen.

In ihrem Fall ist es dieser riesige H2-Hummer.

Das Ding ist größer als ein Panzer.

Die Luftschlitze haben die Größe von Düsenturbinen. Die Volchata mögen Hummer, weil sie perfekt dafür geeignet sind, Vandalz und Pechenegs zu töten.

Tatsächlich ist das eines ihrer Spiele: Speed Bump, oder, wie es manchmal genannt wird, Peg the Neg.

Wir stürzen uns rein: Nina fährt vorne, FC, Kat und ich sitzen wirklich hinten. Innen ist der H2 plüschig – und riesig. Penny kann kaum hinein und herausklettern.

Ich pantomimiere mit einem Mikrofon in der Hand und frage mit meinem besten BBC-Akzent: »Und nach dem Himalaya, Sir Edmund, was kommt als Nächstes? Die Fußstapfen?«

Penny wirft mir einen schmutzigen Blick zu.

»Machen Sie weiter so, und ich gebe Ihnen eine Führung durch die Niederschläge.«

Damit schaltet sie die Bose-Stereoanlage ein und unterwirft alle im Inneren einer augenblicklichen klanglichen Gewalt.

Alle zucken zusammen.

Es ist so laut, dass ich es in meinen Knochen, in meiner Kehle und in der Magengrube spüre. Der Rahmen des H2 vibriert mit dem Beat. Mein Gehirn pulsiert in mitfühlender Agonie.

BWARG-ZOGGA frugg-wupp burr-ASTHORETH DEMON-throk, Gruppenführer von DOOM, brüllt irgendeinen Geistesgestörten an, über den höllischen Lärm, der von einer sehr, sehr schlechten Death-Metal-Band und all ihren Instrumenten kommt, die in einer brennenden Lokomotive über eine Klippe zu fahren scheint.

Penny macht schnell einen Rückzieher – zu schnell. In dieser engen Gasse ist ohnehin kaum genug Platz für den verdammten H2; ich warte auf das unvermeidliche Kreischen von Metall auf Ziegelstein, den weißglühenden Funkenregen, aber irgendwie manövriert sie das Ding zielsicher in der Mitte der Straße.

Schein-Kadenzen von unentschlüsselbarem Death-Metal sprudeln weiterhin wie geschmolzene Schlacke aus neun dröhnenden Lautsprechern hervor: YOGGA-ZOGG-Wardog- INCUBUS -blutsaugende Hakenkreuz-Gräueltat …

B-BANG-BOOM-BOOM-CLANG-BANG-BANG-CRASH!

Jeder im Hummer wird durchgeschüttelt.

»Oh, verdammte Scheiße!« Penny schreit. Sie tritt auf die Bremse. Jap. Genau wie ich vermutet habe: Wir sind rückwärts in ein Bataillon von Mülltonnen gerast.

Penny schaltet die Stereoanlage aus, springt raus, ist einen Moment weg, kommt murrend zurück, klettert unbeholfen in ihren Sitz.

»Hey, was spielst du da eigentlich? Satanischer Mülleimer?«, frage ich.

»Verpiss dich, du Wichser!«

»Das ist der Name der Band?«

»Fuck Off Wanker?«

»Nun, das ergibt Sinn.«

Ha ha ha – ha HAAA, lacht Kat. Sie hat das gottverdammt lauteste, spöttischste Lachen, das man sich vorstellen kann.

Rauchend setzt Penny den Hummer wieder in Fahrt.

Sie stellt den Rückspiegel ein: Ich erhasche einen Blick in ihre grauen, starren Augen, und dann sehe ich weiter Kat.

»Spiele jetzt, Kätzchen«, sagt sie und kräuselt die Oberlippe, »denn vielleicht brauchst du später deine Krallen.«

 

 

 

4

 

 

Es ist ein interessanter Ort, The Apocrypha.

Früher war es eine der besten Biker-Bars in Arkham, ein Ort, an den man ging, wenn man Faustkämpfe und ausgeschlagene Zähne beim Billardspielen einkalkulierte.

Eine Zeit lang war es ein Brennpunkt des lokalen Drogenhandels – heutzutage ist es eher Ecstasy als Dope. Dann entdeckten es die Studenten und überwältigten nach und nach die alternden Biker durch Hartnäckigkeit und das schiere Gewicht ihrer Menge.

Da die Clubszene in Arkham weitaus kleiner ist als die von Boston, befindet sich The Apocrypha in der wenig beneidenswerten Lage, verschiedensten Typen alles sein zu müssen, in der Hoffnung, jeden Abend so viele von ihnen zu erwischen wie nur möglich.

Sie steht laut Fraidy immer am Rande eines finanziellen Abgrunds, und es ist ihr Schicksal, ihre Türen am nächsten Tag, im nächsten Monat, oder vielleicht erst im nächsten Jahr für immer zu schließen.

Und doch ist sie jede verdammte Nacht an jedem Tag der Woche geöffnet – außer an Heiligabend.

Man kann The Apocrypha nicht übersehen; sie leuchten nachts, elektrisches Purpur und phosphoreszierendes Rosa und radioaktives Rot in der Schwärze, nicht unähnlich einigen Arten von Tiefseekreaturen, ein raues Licht, das in der umgebenden Leere schwebt.

Man spürt die Musik, bevor man sie hört, spürt, wie sie durch den Bürgersteig aufsteigt, bis in die Füße, um die Knöchel zu greifen.

Stücke und Fetzen von Papier wehen an Ihnen vorbei, durch eine unbeleuchtete Gasse. Alles ist so, wie Sie es erwarten. Es gibt immer die gleiche Skrofula von grellen, verblichenen, schnippenden Flyern an der Wand für diese oder jene Band: Alle gegen alle und Dystopie heute Abend!

Es sind immer die gleichen zwei steroidgepolsterten, perlenäugigen Schlägertypen mit Walkie-Talkies und Goldketten vor der Tür, die nach Messern suchen – Typen, die aussehen, als könnten sie einen Schulbus voller Kinder stemmen.

Mit ihren Gesichtern!

Und draußen auf dem halb beleuchteten Parkplatz steht immer der gleiche unidentifizierbare Pulk von Menschen: männlich und weiblich, jung und laut und profan, die sich streiten, tratschen, lachen wie Hyänen, laut in ihre Smartphones sprechend.

Ich würde sagen, dass der Duft von Kölnischwasser und Parfüm schwer in der Luft liegt, wenn dieses Gemisch das Wort »Duft« verdienen würde, aber es ist definitiv viel mehr als das.

Ein Geruch ist das, ein Moschus, ein »Duft« von fast körperlicher Präsenz, vermischt mit dem von Alkohol und Zigarettenrauch und – wenn es in letzter Zeit geregnet hat – nassem Müll. Seltsamerweise stößt er weder ab, noch macht es den Ort unattraktiv.

»Seht euch das an«, sagt Nina und deutet auf eine wacklige, schäbige Gestalt in einem zerlumpt aussehenden Pullover und einer billigen Windjacke. Sie steckt zwei Finger in den Mund und gibt einen durchdringenden Pfiff von sich.

»Bakehead!«

Bakehead trabt auf uns zu; na ja, er schlurft, wirklich.

Jahrelanges Trinken, Drogenmissbrauch und das Leben im Freien bei jedem Wetter haben seine motorischen Fähigkeiten beeinträchtigt, ganz zu schweigen von seinen geistigen.

Er fungiert als Ninas Augen und Ohren. Er weiß, dass sie untot ist, dass sie ein Vampir ist, und er betet sie an. Er betet sie einfach absolut, wirklich absolut an.

»Da ist sie, da ist sie, yes Ma’am, my foxy lady«, sagt Bakehead grinsend und enthüllt die Lücke zwischen seinen Hasenzähnen.

Sein brauner Bart ist wie spanisches Moos. Er ist nur etwa dreißig Jahre alt, sieht aber aus wie fünfundfünfzig.

Er wackelt mit seinen dürren, halb-arthritischen Fingern und gackert.

»Meine Königin der Toten, mmm-hmm!«

»Ja, X-X-O-O auch für dich, Bakehead. Also, hast du in letzter Zeit etwas Interessantes gesehen? Irgendwas wirklich Interessantes gesehen?«

Immer, wenn Bakehead wichtige Neuigkeiten zu vermitteln hatte, machte er unweigerlich Folgendes: Er schlurfte langsam zwei oder drei Schritte rückwärts, sein Kopf fiel auf die Brust, und seine Arme winkelten seitlich ab. Seine ausgestreckten Hände erhoben sich etwa auf Augenhöhe und begannen halb zu winken, halb zu flattern, eine Bewegung irgendwo zwischen einem Salaam und einem Ruf nach Ruhe.

»Oh, ja, mmm-hmm, ja, sicher doch, ja, in der Tat, Ma’am, mmm-hmm, oh ja, oh ja.«

»Was zum Beispiel?«

»Ich hätte schwören können, dass ich vor nicht allzu langer Zeit einige Vandalz-Jungs durch die Stadt fahren sah, ja, Ma’am. Ich sah sie dort drüben auf der West Street, vor nicht allzu langer Zeit. Sie sahen aus wie Mock und V-Dawg, das stimmt, und auch Toon, der Typ mit dem, sagen wir mal, Halsproblem, mmm-hmm.«

»Scheiß auf den Vandalz.«

»Oh ja, mmm-hmm, ich höre Sie. Und das ist noch nicht alles, das ist noch nicht alles. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Sie Spione haben, die im Inneren arbeiten, ja, Ma’am, direkt in dem alten The Apocrypha selbst, möglicherweise. Old Bakehead denkt, sie könnten Ihnen auf der Spur sein, Ma’am, könnten wissen, dass Sie im Niemandsland sind, in der DMZ der Vampirbande, sagen wir mal, mmm-hmm, in direkter und strafbarer Verletzung des Protokolls.«

»Scheiß auf das Protokoll«, zischt Nina.

»Mmm-hmm, mmm-hmm.«

Gedankenverloren kaut Nina auf ihrer Unterlippe.

»Ähm, ich dachte, wir wollten heute Abend nur ausgehen«, sage ich betont unschuldig.

»Ja, vielleicht sollten wir … zurückgehen«, überlegt Kat laut.

»Niemand geht irgendwo hin, außer zu The Apocrypha«, antwortet Nina und erhebt ihre Stimme. »Verstanden? Also redet keinen Scheiß. Und wenn wir zufällig auf irgendwelche Vandalen-Wichser stoßen, ist das deren Problem.«

»Du überlässt sie mir, Liebes«, sagt Penny trocken.

Kat ist nervös; das kann ich daran erkennen, wie sie nach ihren Zigaretten fummelt, eine für sie und eine für Penny.

»Scheiße, wo ist mein Feuerzeug?«, fragt Kat ungeduldig.

»Hast du ein Streichholz, Guv’nor?«, Penny fragt Bakehead. »Hilfst du einem Mädchen, einen Stängel anzuzünden?«

Bakehead schlurft zwei Schritte zurück, beginnt die Hände auszustrecken.

»Jetzt warte mal, warte mal, Blondie, Old Bakehead hat ein paar Probleme, o ja, er trinkt vielleicht zu viel, er spritzt vielleicht zu viel, er ist sogar ein Spion für die lebenden Toten, mmm-hmm, aber er wird kein Teil deines Hassverbrechens sein.«

 

 

 

5

 

 

An der Tür filzen uns die Türsteher und durchsuchen uns nach Waffen. Nicht, dass Nina etwas vor sich selbst verbergen könnte; in ihren Motorradklamotten und D-Square-Hosen ist sie so eng geschnürt, wie es nur geht. Volllederjacke.

»Hey, das ist cool, Mann«, sagt Nina zum Türsteher, »wir haben unsere Ausrüstung im Humvee zurückgelassen. Wir haben jede Menge davon, nur für den Fall, dass sich jemand mit uns anlegen will.«

»Wie auch immer, Doo-Rag«, antwortet der Türsteher gelangweilt.

(Das stimmt nicht ganz; Penny hat ihr Kleingeld griffbereit).

Im Inneren von The Apocrypha ist es schwarz und zinnoberrot und eisblau.

Auf Overhead-Halterungen blitzen mehrere gigantische Bildschirme das gleiche Bump’n’Grind-Musikvideo im orwellschen Zwei-Minuten-Hass-Unisono.

Ich höre keine einzige Note davon über die schmetternde Stereoanlage.

»Personal Jesus«, von Depeche Mode.

Die Leute schreien im Getöse, direkt in die Ohren der anderen.

Es ist noch relativ früh, und es gibt noch Raum, um sich frei zu bewegen, es gibt nur ein paar verstreute Seelen oben an der Bar und anderswo, die herumschwirren. Der Platz wird sich später füllen. Das tut er immer.

FC, der immer noch irritiert auf uns wirkt, begibt sich sofort in den Keller, der als Tanzfläche dient. Nina, Penny und Kat arrangieren sich derweil in einem Keil; Nina vorne und die beiden anderen flankieren sie.

Sie verbreiten diese seltsame Geheimpolizei-Atmosphäre, die alle ein wenig auf Distanz hält, das Gefühl, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist, dass sie nicht behindert und ihr Weg nicht gekreuzt werden soll.

Die Menge ist derweil strikt banal – Städter, die das probieren, was sie für den ersten Kreis der Hölle halten, Scharen von Büroangestellten, die an süßlichen Mixgetränken nippen, College-Boys, die glauben, dass ein Ständchen »You’ve lost that Loving Feeling« für dämliche Mädchen aus der Studentenverbindung so verdammt cool ist: Mann, das hättest du sehen müssen, weißt du? Ein Fleischmarkt voller Großmäuler, Saufbrüder, Träger rückwärtsgewandter Baseballcaps und Schürzenjäger – aber kein Vandalz.

An der Bar sitzt Nina und schlägt mit ihren Handflächen einen fröhlichen kleinen Marschrhythmus auf dem polierten Holz. Ich sitze neben ihr.

Kat und Penny gehen in Richtung Toilette, um ihr Make-up zu überprüfen.

»Was ist denn plötzlich mit dir los?«, rufe ich über das Geschrei.

»Hm?«

»Du warst auf dem Parkplatz ziemlich sauer. Jetzt wirkst du glücklich.«

»Oh, das. Ich bin glücklich, weil ich Lust habe zu kämpfen. Heute Abend wird es gut werden. Ich hol mir was, weißt du?«

Nina lehnt sich etwas vor.

Ihr Ton ist vertraulich und wissend. »Ist dir zufällig der Typ am anderen Ende der Bar aufgefallen? Der unbeholfene, aber irgendwie unbequem aussehende Kerl, halbwegs süß? Nein? Nein, natürlich nicht. Nun, ich habe ihn bemerkt. Wie ich schon sagte, ich hol mir was.«

»Wirklich?«

»Ja, das ist die Wasserstelle, diese feinen Leute sind Zebras, und ich bin der Löwe.«

»Löwin, meinst du.«

Nina wirft mir einen Blick zu. »Ja, okay, gut. Löwin.«

Hatten Sie jemals einen dieser Momente echter Einsicht? Ich hatte ihn in genau diesem Moment, und die Einzelheiten standen Nina ins Gesicht geschrieben. Sie ist nicht hübsch, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, nicht wie, sagen wir mal, Kat, aber trotzdem irgendwie verführerisch – hart und teilnahmslos und eifrig und weitaus potenter. Dunkle Brauen, stumpfe Nase, volle Lippen, Rahmen aus schulterlangem Haar, die Augen nach vorne gerichtet und scharf, und nichts fehlte in diesem bleichen Gesicht, von endlosem Raubtier, dem von Begierde an einen schneidenden Obsidianrand gebrachte Gesicht eines Wolfes. Gesicht einer Löwin!

»Ja, ich denke, das kann ich sehen. Zu was macht mich das also?«

»Verdammt, ich weiß es nicht. Schakal, vielleicht. Oder mehr wie ein Mistkäfer, da es so aussieht, als würdest du dich immer in meine Scheiße einmischen.«

Nina lacht und zerzaust mir die Haare.

»Tu’s nicht!«

»Entspann dich, Pferdeschwanz.«

Ratt-a-tat-tat-tat-Klatschen auf den Tresen.

»Und willst du jetzt schon mit dem Handknochen abklopfen?«, frage ich.

Eine Handfläche an meiner Stirn – Ersatz-Becken – beendet Ninas hektisches Trommeln: »Kissshhhhh!«

»okay, welchen Teil von nicht verstehen verstehst du nicht?«, frage ich brummig.

Und wie aufs Stichwort kommen Penny und Kat zurück.

»Sieh dir das an«, sage ich mit einem sarkastischen Lächeln, »ich bitte den Barkeeper um ein paar Nüsse, und da sind sie.«

»Oh, Manny, sei nicht gemein«, sagt Kat.

Sie umarmt mich von hinten, schaukelt leicht von einer Seite zur anderen, und ich lehne mich sanft an sie an.

»Ganz ehrlich, warum bist du in letzter Zeit so gemein?«

Aus nächster Nähe ins Ohr zu schreien – wie ein Soldat unter Beschuss – wird langsam mühselig, also zucke ich mit den Achseln.

»Ich werde dir sagen, warum«, stellt Penny fest und kommt mir ganz nah. »Es ist, weil dein grummeliger Gesichtsausdruck einen richtigen Papa-Schmatzer braucht, deshalb.«

»Ja, jederzeit, fromme Penny.«

»Oh, das würde ich gerne, Guv’nor. Du weißt ja, was man sagt: Gewalt ist das neue Durchsetzungsvermögen.«

Nina klopft Penny auf den Arm.

»Hast du Lust, den Tank aufzufüllen?«, fragt Nina. »Dann komm mit mir. Kat, du bleibst hier, okay?«

Und los geht’s.

Ich beobachte, wie sie den »Ahnungslosen Joe« einklammern – ein üblicher Vampirname für jedes männliche menschliche Opfer – Frauen sind »Unschuldige Janes« oder abgekürzt UJs –, der eine Art Künstlertyp mit langen Haaren und einer Brille ist.

Von rechts überrascht ihn Nina sanft, indem sie ihren Arm um seine Schultern legt; Penny nimmt den Platz zu seiner Linken ein, nur für den Fall, dass er nervös wird und zu gehen versucht. AJ ist zunächst misstrauisch.

Nina legt sich ins Zeug, redet, scherzt, alle lachen, reden noch ein bisschen mehr, Penny zeigt ihre tätowierten Finger, Joe ist beeindruckt, Nina spendiert allen Getränke.

»Das ist nicht fair«, stellt Kat fest.

»Nein, ist es nicht. Zwei gegen einen, das ist doch Blödsinn.«

»Nein, ich meine, dass ich immer zurückbleiben muss. Das ist nicht …«

»Es ist, weil sie eifersüchtig auf dich sind. Du bist hübscher als sie.«

»Du bist süß. Aber hübsch zählt bei der Volchata nicht viel. Es geht darum, wie hart du bist, oder ein Psycho. Ich bin weder noch. Und sie haben es langsam satt.«

Kat hat Recht. Aber, Jonathan Harker und die seltsamen Schwestern mal beiseite gelassen, zwei Vampire pro Opfer ist im Allgemeinen die Grenze, wenn es um die Ernährung von Vampiren geht. Bei drei Vampiren könnte ein Kampf darüber ausbrechen, wer sich bei einem Biss ins Handgelenk oder, schlimmer noch, in die Innenseite des Oberschenkels verfängt.

Nina hat ihre Hand auf dem Knie des Mannes.

Er spricht jetzt, wahrscheinlich über sich selbst, wie die meisten Typen, wie alle Typen: Ja, ich / arbeite im technischen Support/ spiele Rugby/ bin ziemlich cool mit einem Dreier/ kann euch kleinen Engeln helfen, eure Flügel zu bekommen, jetzt wo ihr es erwähnt, blah-fucking-blah.

Alter, Zebra, Beute, denen ist es egal, wer ihr seid oder was ihr denkt, ihr seid ihr Hit, ihr High-Sein, ihr Essen; ihr werdet an einem kalten, dreckigen Ort zu euch kommen, benommen, ausgelaugt, schwach und verwundet; und danach werden sie immer wieder zu euch kommen …

»Mit den Füßen voran, Chef«, sage ich zu niemandem im Besonderen.

Kat entzieht sich meinen Griff.

»Bleib cool«, meine ich trocken. »Du bleibst besser hier hinten bei mir.«

Kat schmollt ein wenig, aber sie weiß es besser. Sie weiß, dass sie geschlagen wird, wenn sie die Dinge unterbricht, besonders da Nina jetzt zwischen den Beinen von AJ steht, Stirn an Stirn, die Hände auf seinen Oberschenkeln, während Penny unruhig mit ihrem Finger die Kurve seines Ohres nachzeichnet.

Es wird schnell passieren – es gibt einen letzten kalten verstohlenen Blick und ein nachsichtiges Nicken von Nina, und Penny vergräbt ihr Gesicht in Joes Hals.

Wie hypnotisiert beobachtet sie Penny mehrere Momente lang beim Saugen. Und dann bürstet Nina Joes Haare aus seinem Nacken, bringt ihre Lippen nahe …

»Sieh nur, was sie ihm antun«, betont Kat schmollend.

»Gott, ist das heiß. Es ist so verdammt heiß! Manny, lass mich gehen, bitte!«

Sie zieht noch stärker.

Problem mit Kat, Gott segne sie und alles andere, ist, dass sie der gierigste kleine Blutsauger ist, den man sich vorstellen kann. Sie hört nicht auf, bis sie zum »Stehkragen voll ist«, ihre Backenzähne in Blut schwimmen, die Nadel über VOLL geht, die Spitze abspringt, was auch immer.

Wenn sie auf Joe losgelassen wird, ist er ernsthaft am Arsch.

»Manny! Manny, bitte!«

»Komm, lass uns nach unten gehen«, betone ich nachdrücklich.

 

 

 

6

 

 

Ich tanze wirklich nicht gerne, und es braucht viel, um mich auf die Tanzfläche zu bringen. Unlife, das Leben als Vampir hat mir zwar gewisse Kräfte verliehen, aber offenbar wenig dazu beigetragen, mein Rhythmusgefühl zu verbessern.

Was es noch schlimmer macht, ist, dass Kat eine jener Tänzerinnen ist, die unabhängig von Lied oder Tempo immer gerade gut genug ist, um ihren Partner etwas schlechter aussehen zu lassen. Und doch besteht Kat darauf, dass ich ein guter Tänzer bin.

Seltsamerweise tut Nina das auch.

Vielleicht, aber ich glaube, sie sagen das, um mich in Bewegung zu bringen.

Ich nehme an, ich könnte wie FC tanzen; er ist jetzt gerade da draußen, wo es etwas voller ist, als ich erwartet hatte. Die Leute winden, drehen und schaukeln sich, aber niemand kommt FC nahe, dessen Stil am besten als Wikinger-Berserkergang beschrieben werden könnte, wie er auf den modernen Tanz angewandt wird.

Ich schwöre, er fällt in Trance.

Er schließt die Augen und beginnt, sich wild wie ein Derwisch oder ein anderer religiöser Ekstatiker zu bewegen, in all seiner mit Doc-Marten-Schuhen bekleideten Herrlichkeit, zu einem inneren Rhythmus, der die äußere Welt nur tangential berührt.

Doch irgendwie gelingt es ihm trotz all seiner Wildheit, jeden physischen Kontakt zu vermeiden. Und es ist nicht so, dass die Menschen sich bemühen, ihm auszuweichen.

Nicht wenige von ihnen scheinen entweder amüsiert oder fasziniert von seinen Drehungen zu sein.

Erst wenn die Musik klirrend und aggressiv wird, wird FC wirklich auf die Probe gestellt; der Boden von The Apocrypha wird so etwas wie ein Moshpit Tanzkreis) für die Pogotänzer

Die Menschen stoßen und stoßen aufeinander wie Teilchen in einem Teilchenbeschleuniger, und FC schafft es irgendwie, stets mittendrin zu sein und immer und immer wieder getroffen zu werden. Er provoziert die Menge und treibt sie unbewusst an – eine Art seltsame fröhliche Gewalt, ein unterbewusstes Gruppendenken, bei dem es nur ein Ziel gibt: Jeder bekommt den fuchtelnden Außenseiter irgendwann ab.

Selbst die kleinsten und dünnsten Mädchen stürzen sich rücksichtslos auf ihn.

Aber sie schlagen ihn nie zu Boden; er ist einfach verdammt wendig, er schafft es immer wieder, eine Hand auszuhebeln, an einem anderen Körper abzuprallen, sich weiterzuschieben, zu erholen und seine selige Qual bei allen Treffern in sich aufzunehmen.

Und doch, einer nach dem anderen greifen sie ihn unverhohlener an, denn wer will es nicht mit dem Büßer, dem Asketen, der guten Seele aufnehmen, der nie im Zorn zurückschlägt?

Ich dachte immer, die Dämonen, die auf den heiligen Antonius hämmern ( in diesem gruseligen Stich von Schongauer), sehen aus, als hätten sie eine verdammt gute alte Zeit.

»Hey, lasst uns alle versuchen, mit Mac Big’n Weird da draußen ein bisschen sachte umzugehen, okay?«, bittet der DJ höflich.

»Lieber Gott, ich hoffe, er trägt dieses Mal Unterwäsche«, stoße ich hervor.

»Ich schätze, all diese Videospiele sind sehr nützlich«, meint Kat. Sie schaut sich FC Mosh an. »Denkst du manchmal daran, tot zu sein?«

»Was? Du meinst Unlife?«

»Nein. Einfach nur tot.«

»Nein. Warum fragst du?«

Kat zuckt mit den Achseln. »Willst du moshen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Es kann da draußen rau werden. Außerdem erfordert es persönliche Dämonen, die weniger sesshaft sind als meine. Ich sage, wir setzen uns.«

»Sitzen? Alles, was wir getan haben, seit wir hier sind, ist sitzen.«

»Und? Ich habe wirklich keine Lust auf dieses Agincourt-für-Dummies-Zeug da draußen. Im Ernst, das bin ich nicht.«

Kat rollt mit den Augen.

»Wenn es nach mir ginge, wären wir jetzt alle in der Drogerie, wo wir die ganze Nacht verbringen. Ja. Fraidy und ich lesen uns die Männer-Magazine durch, ihr Mädels kauft Make-up – ihr wisst schon, welches ich meine, das, wo sie immer dieses seltsame Drehleiermann-Lied spielen, wenn ihr reinkommt.«

Kat seufzt laut.

»Okay, hör zu – warum legst du nicht einfach deine Arme um meinen Rücken, wie du es sonst tust, und siehst ganz launisch und wollüstig aus, okay, und wir können das geheimnisvolle Paar sein, das jeder insgeheim beäugt und beneidet. Bereit?«

Was ich stattdessen bekomme, ist ein plötzlicher Kniff von Nina.

»Hör auf damit, Nina.«

»Touch-eee«, sagt sie.

»Zieh dir das rein, Dummkopf. Jackpot.«

Sie präsentiert mehrere Plastikkarten.

»Mastercard, Visa, American Express, ATM-Debitkarte – alles, außer seiner Wählerregistrierung. Das Arschloch war geladen.«

»Reicher kleiner College-Wichser«, fügte Penny hinzu. »Er sagte, ich könnte sie haben. Du weißt, wie das ist.«

Nina zwinkerte.

»Er ist doch nicht tot, oder?«, frage ich etwas beunruhigt.

»Was? Nee, er wird schon wieder, er ist nur ein bisschen – etwas daneben, weißt du«, antwortet Nina.

Penny grinst: »Wir haben ihn auf dem Klo gelassen. Er soll seinen Kopf auf schönes, kühles Porzellan legen, der Arme.«

»Ja, schade, dass es das Pissoir war«, kommentierte Nina, und sie und Penny lachen.

»Vielleicht sollte ich nach ihm sehen«, meinte Kat.

Ich nehme sie am Handgelenk. »Bleib, wo du bist.«

Penny zieht ein Gesicht. »Ooo, keine Milch fürs Kätzchen.«

Sie lachen über Kat. Das tun sie oft.

Nina klopfte mir auf den Arm. »Hey, hast du Vandalz gesehen? Sieht für dich jemand verdächtig aus?«

»Nein, nicht wirklich.«

Nina nickte. »Gut. Ich habe dem Barkeeper zweimal einen Blick in die Runde werfen lassen, aber er hat ausgecheckt. Die Türsteher auch. Keine Spur von Toon oder V-Dawg oder Mock oder irgendeinem von ihnen. Irgendwie seltsam, findest du nicht?«

»Ist Irgendwie praktisch«, sage ich.

»Und … wie hat er geschmeckt?«, fragte Kat neugierig.

»Orgiastisch«, antwortete Penny und zog das Wort mit einem halb liebenswürdigen, halb abstoßenden Tonfall heraus.

»Es war … es war, als hätte ich eine Orgie im Mund, und alle vögelten … und ich war die Queen-Mum.«

Die Musik verwandelt sich plötzlich in ein dämonisches Derivat des Punkrock.

Es ist alles Maschinengewehrtrommeln, Presslufthammer-Bass und dreckige Rhythmusgitarre, die gegeneinander antreten, die Art von Zeug, bei der Skinheads Bierflaschen über ihren Köpfen zerschlagen.

»The Death Machine of Hongkong! Das gibt’s doch nicht! Ich liebe diese Band verdammt noch mal!«, schreit Nina.

»Seht mal, da ist FC! Seht zu, wie ich seinen dünnen Arsch festnagle!«

»Übertreibe es nicht«, sagte ich, wohl wissend, dass sie genau das tun wird.

Nina stürmt auf die Tanzfläche.

Instinktiv macht ihr jeder einen Weg frei, was gut ist. Vampire sind körperlich stark, aber Nina kann ein Auto umdrehen, wenn ihr danach ist.

Glücklicherweise konzentriert sie ihre Bemühungen auf FC. Immer wieder prallt sie gegen FC, stößt ihn hart an, schubst ihn herum, grinst und lacht, bis der heilige Antonius sie in seiner Frustration in den Schwitzkasten nimmt und es von dort aus, oh mein Gott, anfängt, bergab zu gehen.

Nina kann sich nicht befreien, also packt sie FC an der Taille, und die beiden stolpern in einem unbeholfenen Kreis herum und können sich keinen Vorteil verschaffen. Schlimmer noch: Irgendwie gelingt es FC, Nina die Finger unter die Hose zu schieben, ihr rotes Höschen einzuhaken und den Slip mit einem Ruck von hinten nach oben zu ziehen.

Nina rastet aus, dreht sich und schlägt zu.

Die anfangs schadenfrohe Menge wird misstrauisch, teilt sich und weicht zurück.

Die Türsteher, schnell und flink, rücken bereits an, aber nicht schnell genug, nicht bevor Nina die Hebelwirkung der Körper umsetzt und sowohl FC als auch sich selbst auf die Tribüne des DJs krachen lässt.

BUMM – der Ton hallt durch die Luft.

»HEY!«, schreit der DJ mehr alarmiert als verärgert.

Die Musik fällt aus. Türsteher, gebaut wie männliche Silberrücken-Gorillas, fünf oder sechs oder wie viele es auch immer sind, versuchen FC und Nina auseinanderzureißen, und zu ihrem Erstaunen können sie es nicht.

Ich lege meine Hand an meinen Kopf.

Kat verschränkt vor Angst ihre Arme um sich selbst. Penny lacht währenddessen hysterisch und alles fällt auseinander, genau wie ich es, verdammt noch mal, geahnt habe.

Dann, wie in unausgesprochenem gegenseitigem Einvernehmen, lassen Nina und FC einander frei. Die schwitzenden Türsteher eskortieren sie zügig zur Treppe.

FC geht ohne Aufhebens.

Nina ist bockig und muss weitergeschoben werden.

»Komm schon, es ist vorbei«, sagte ich zu Kat und Penny, »lass uns gehen.«

Die Musik geht wieder an: »Hey Ya!«, der Versuch des DJs, weitere Aggressionen auf der Tanzfläche zu entschärfen.

Wie Tropfen im Kielwasser eines heruntergefallenen Steins strebt die Menge plötzlich wieder zusammen.

»Das tut mir leid, Leute«, sagte der DJ. »Aber lasst uns versuchen, heute Abend da draußen ein bisschen netter zueinander zu sein, okay? Es gibt keinen Grund für Gewalt. Es herrscht Frieden.«

 

 

 

7

 

 

»Dick«, sagt Nina und gibt FC einen Schubs.

FC geht einfach weiter. Wir gehen lustlos über den Parkplatz.

»Trottel.«

Schieben.

»Arschgesicht.«

Schieben.

»Das ist genug, Nina«, stellte ich fest.

»Dipshit-spasmoid-cocksucking-motherfucking-mongoloid.«

Großer Schubs.

FC stolpert, rappelt sich auf, geht weiter.

Sein Gesicht ist eine einzige wütende Leere.

»Glaubst du, du kannst mich einfach so packen und mich herumwirbeln? Hm?«

Der nächste Schubser.

»Hm? Nun, dann habe ich Neuigkeiten für dich, Wackula. Mach das noch mal und ich trete dir deinen dürren Arsch zwischen die Schulterblätter. Hast du’s?«

»Apropos Ärsche, wie geht’s deinem?«, fragte ich.

»Halt die Klappe, Dummkopf. Ich sagte: Hast du’s kapiert? Hast du’s?«

»Ja, jeder hat’s gebongt, Nina.«

»Ich spreche nicht mit dir. Ich spreche mit Mister Kilt, hier, Mister El Headlock, Mister Jo-Jo-Jo MC Wedgie, der sich dumm anstellt. Stimmt’s?«

Ein erneuter Schubser.

»Stimmt’s?«

Und noch ein Schubser.

»Wirst du meine Welt rocken, Captain Playstation? Hm? Hm?«

»Äh, nein, weil ich mich gerne den Prinzipien des passiven Widerstands anschließe, Drängler«, antwortet Fraidy. »Ja, ich würde nicht wollen, dass du dein Tanzflächen-Kung-Fu an mir auslässt.«

Noch ein Stoß.

Ängstlich geht er weiter.

Ein weiterer Schubser.

»Genug«, sagte ich.

»Ja, Dummkopf, bevor du etwa wegen schweren Schubsens, mit der Absicht zu schubsen, noch angeklagt wirst.«

»Du gottverdammter verdammter Idiot …«

Nina versucht, Fraidy zu bekämpfen, aber er ringt sich frei.

Er wendet sich um zu Nina, erschreckt sie, zwingt sie, einen Schritt zurückzutreten. Er stößt ihr einen Finger ins Gesicht. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so wütend gesehen.

»Du, weißt du, was dein Problem ist?«, stößt er wütend hervor. »Weißt du, was es ist? Ich schwöre, du bist wie, du bist wie … du bist wie, du bist wie ein Witz ohne Pointe. Ja. Und die ganze Welt lacht – alle überall auf der ganzen weiten Welt, alle überall, außer … deiner Mutter.«

Sie starren sich gegenseitig an.

»Zur Hölle …«, murmelte ich wie betäubt.

»Ha ha ha ha – HAAA«, lachte Kat.

Ninas Gesicht nimmt ebenfalls einen wütenden Ausdruck an.

Sie schnaubt, verdreht die Augen, versucht nicht zu grinsen, versucht nicht zu lachen, aber ihre Schultern fangen an zu zucken, der Gesichtsausdruck verwandelt sich in Heiterkeit.

Nina lacht so sehr, dass ihr die Augen tränen, und sie beginnt nach Luft zu schnappen und hat Schwierigkeiten auf den Beinen stehenzubleiben.

Sie geht FC erneut an, nimmt ihn in einen Schwitzkasten, dann schreit sie und lässt ihn los.

»Er hat mir verdammt noch mal an die Brüste gefasst«, ruft sie aus und lacht immer noch.

»Das, ach, das war also die kleine Beule?«, fragte FC grinsend.

»Kommt schon«, sagte ich zu Kat.

»Wohin gehen wir?«

Ich zucke mit den Achseln, lächle. »Ich habe einfach Lust, den Zirkus mit den drei Ringen für eine Weile zu verlassen. Der H2 müsste hier oben irgendwo um die Ecke sein …«

Kat legt ihren Arm um meine Taille.

Wir gehen zusammen.

Vor uns brennt ein Müllfeuer.

Der Sockel einer nahe gelegenen Straßenlaterne ist mit Erbrochenem bespritzt. Und irgendwo in der fernen Dunkelheit kreischt jemand lallend: »Arschlöcher!«

Ich schreie zurück: »Fick dich selbst, Arschloch! FICK DICH!«

»Warum hast Du mich vorhin nach meinem Tod gefragt?«

»Ich weiß es nicht.

---ENDE DER LESEPROBE---