Von der Führungskraft zum Coach - Sonja Öhlschlegel-Haubrock - E-Book

Von der Führungskraft zum Coach E-Book

Sonja Öhlschlegel-Haubrock

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Beschreibung

Die moderne Führungslehre sieht im Management nicht länger eine rein hierarchisch-autoritäre Funktion mit Leitungskompetenz, sondern in zunehmendem Maße eine vermittelnd-beratende Instanz in der Art eines "Coaches". Diese Form der Einbeziehung und Motivation der Mitarbeiter, ohne dass klare Strukturen und Verantwortlichkeiten verwässert werden, bildet die Grundlage transformationaler Führung und kann als ein wesentlicher unternehmerischer Erfolgsfaktor angesehen werden. Der Band stellt diesen Führungsaspekt und die damit in der Praxis verbundenen Anforderungen an Führungskräfte verständlich dar. Darüber hinaus wird ein speziell für junge Potenzialträger entwickeltes Trainingskonzept vorgestellt, mit dem ein Selbstverständnis als Coach in der Führung gefördert werden kann.

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Kohlhammer Human Resource Competence

 

Herausgegeben von Alexander Haubrock

Sonja Öhlschlegel-Haubrock, Jutta Rach, Juliane Wolf

Von der Führungskraft zum Coach

Grundlagen – Umsetzung – Praxis

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-029210-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-029211-6

epub:    ISBN 978-3-17-029212-3

mobi:    ISBN 978-3-17-029213-0

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

Geleitwort des Herausgebers

Vorwort der Autoren

Teil I: Transformationale Führung und Coaching

1 Zeitgemäße Führung

1.1 Anforderungen an Führungskräfte und Unternehmen

1.2 Transformationale Führung

1.3 Coaching und Mentoring als Führungsaufgabe

2 Coaching und Mentoring in der Führung

2.1 Die Begriffe Coaching und Mentoring

2.2 Selbstverständnis der Führungskraft als Coach und Mentor

2.3 Als Coach und Mentor mit Mitarbeitern interagieren

2.4 Förderung der Bottum-up-Kommunikation

3 Entwicklung transformationaler Führungskompetenz

3.1 Förderung des Selbstverständnisses als Coach und Mentor sowie der transformationalen Interaktionskompetenz

3.2 Chancen und Risiken des Einsatzes von Coachingtechniken und -instrumenten in der Führung

Teil II: Aufbau transformationaler Führungskompetenz

4 Training transformationaler Führungskompetenz für potenzielle Nachwuchsführungskräfte

4.1 Trainingskonzept

4.2 Anmerkungen zu Evaluationsergebnissen des Trainingskonzepts

5 Übungen und Methoden

5.1 Hinweise zum Umgang mit dem Übungsteil

5.2 Übungen und Materialien für die vorbereitenden Workshops

5.3 Methoden für die Vorbereitungsworkshops

5.4 Übungen und Materialien zur Begleitung des Praxisprojektes

Literaturverzeichnis

Anhang

Geleitwort des Herausgebers

 

 

 

Das Personalmanagement hat in den letzten Jahrzehnten immer mehr Bedeutung für Unternehmen gewonnen. Inzwischen ist mehr als deutlich, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine der Kernressourcen einer Unternehmung sind und der wirtschaftliche Erfolg ohne den planvollen Umgang und die Entwicklung der Personalressourcen kaum noch vor- und darstellbar ist.

Dieser planvolle Umgang muss dabei aber heute eine Reihe unterschiedlicher Aspekte betrachten und integrieren. Personalmanagement – gerade in der Bundesrepublik – sieht sich zahlreichen Herausforderungen, wie z. B. einer veränderten Bevölkerungssituation, der Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung, einem neuen Führungsverständnis u. ä. gegenüber.

Diese Herausforderungen greift die Buchreihe Human Ressources Competences auf. In mehreren Bänden werden aktuelle Anforderungen an ein nachhaltiges, zeitgemäßes Personalmanagement diskutiert und praxisnahe Lösungen für Herausforderungen aufgezeigt.

Den Auftakt der Reihe bildet der vorliegende Band »Von der Führungskraft zum Coach«. Die Ansprüche an Führungskräfte haben sich deutlich gewandelt. Führung im heute bedeutet eine individuelle Förderung und ein individuelles Eingehen auf unterschiedliche Mitarbeiterbedürfnisse. Gleichzeitig müssen Führungskräfte aber auch Ansprüche formulieren und umsetzen können. Für Unternehmen stellt sich dabei entscheidend die Frage, wie Führungskräfte für diese gewachsenen Ansprüche vorbereitet und entwickelt werden können.

Der Band »Von der Führungskraft zum Coach« beleuchtet nicht nur die Hintergründe des aktuellen Führungsgeschehens sondern zeigt auch, wie ein Entwicklungsprogramm für Führungskräfte, das den heutigen Herausforderungen Rechnung trägt, aussehen sollte.

 

Juni 2016

Alexander Haubrock

Vorwort der Autoren

 

 

 

 

Es wird allgemein als selbstverständlich erachtet, dass Ärzte ausgebildet sein müssen, um eine Operation durchzuführen. Ebenso wird z. B. von Elektroinstallateuren erwartet, dass sie im Rahmen ihrer Ausbildung gelernt haben, elektrische Leitungen zu verlegen, bevor sie damit beauftragt werden. Eine entsprechende Ausbildung zur Führungskraft gibt es dagegen nicht. Mögen diese Vergleiche auch nicht in jeder Hinsicht passen, sie verdeutlichen unserer Meinung nach aber dennoch, dass insbesondere Hochschulabsolventen oftmals mit Führungsaufgaben betraut werden, ohne auf die damit verbundenen Anforderungen vorbereitet zu sein. Das verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass der Gesamterfolg eines Unternehmens auch davon abhängt, wie Mitarbeiter darin geführt werden. Denn es ist schon lange nicht mehr nur entscheidend, dass Manager ihre Aufgabe zu führen überhaupt wahrnehmen, sondern auch wie sie dies tun.

Entscheidungen zu treffen, Mitarbeiter zu motivieren, unter Zeitdruck zu handeln und dabei die notwendige Verantwortung zu übernehmen – dies sind anspruchsvolle Führungsaufgaben, die sich alleine mit theoretischen Kenntnissen von Managementmethoden nicht bewerkstelligen lassen. Zur Führung gehört darüber hinaus auch, eigene Potenziale zu nutzen und weiterzuentwickeln, selbstkritisch zu sein und sich als lern- und wandelbare Person aufzufassen. Erfahrene Führungskräfte schildern häufig sehr eindrucksvoll wie sich Führungsanforderungen in einer komplexen Welt verändert haben und wie wenig bisherige Erfolgsmuster, die auf der Basis einer meist engen betriebswirtschaftlichen, kaum multidisziplinär angereicherten »Theoriebrille« (Wüthrich et al., 2009, S. 23) den komplexen Gegebenheiten des heutigen Managements begegnen können (vgl. Wüthrich et al., 2009). Sogar betriebswirtschaftliche Masterstudiengänge beschränken sich in der Vorbereitung der Studierenden auf zukünftige Führungsaufgaben oft darauf, klassische Managementinstrumente, beispielsweise aus dem Controlling, zu vermitteln. So wird im deutschsprachigen Raum Führung und Management nicht so deutlich wie in der englischen Sprache differenziert. Im Englischen adressiert der Begriff »leadership« klar die Führungsaufgabe, die mit den Menschen und der Kultur im Unternehmen verbunden ist, »management« bezieht sich hingegen in erster Linie auf die Funktionsfähigkeit der Prozesse im Unternehmen (vgl. Sarges, 2013, S. 117; Bass, 2008, S. 653 ff.). Eine enge Verzahnung beider Felder ist in jedem Fall notwendig, um ein Unternehmen erfolgreich zu leiten, denn Unternehmen differenzieren sich nicht mehr nur über Technologien, sondern auch über die Nutzung kreativer Mitarbeiterpotenziale. Allgegenwärtige Schlagworte wie drohender Fachkräftemangel, War for Talents oder Employer Branding verdeutlichen, dass die meisten Unternehmen sich mittlerweile um geeignete Mitarbeiter bewerben und in deren Bindung investieren müssen. Unter diesen Rahmenbedingungen sind Führungskräfte mehr denn je gefordert, Mitarbeiterpotenziale zielgerichtet zu nutzen und zu fördern. Gleichzeitig müssen Führungskräfte grundlegende Mitarbeitererwartungen erfüllen. Dazu zählt nicht nur, Mitarbeitern die Selbstverwirklichung in der Tätigkeit zu ermöglichen, sondern vor allem auch die Gestaltung einer sinnstiftenden Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Die moderne Führungslehre versteht erfolgreiche Mitarbeiterführung dementsprechend zunehmend als eine vermittelnd-beratende Instanz, in der Führungskräfte transformational führen und dabei die Rolle eines Coachs und Mentors ihrer Mitarbeiter einnehmen. Auch wenn ein direkter Beleg für einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und Unternehmenserfolg kaum zu erbringen ist, da hierzu experimentelle und in der Unternehmenspraxis kaum realisierbare Untersuchungen notwendig wären, gibt es zahlreiche Hinweise dafür, dass transformationale Führung zum Unternehmenserfolg beiträgt. Was es aber genau bedeutet, Mitarbeiter als Coach und Mentor zu führen, wird selten konkret erläutert. Insbesondere der schillernde Begriff des Coachings, der in der Unternehmenspraxis ganz unterschiedlich verwandt wird, bedarf unserer Meinung nach einer differenzierten Klärung. Da Führung in der Regel per se eine asymmetrische Beziehung zwischen Führendem und Geführten impliziert und sich grundlegend immer auch an Unternehmenszielen ausrichten muss, kann die Anforderung an Führungskräfte, sich als Coach der Mitarbeiter zu verstehen, nicht heißen, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter wie in einem klassischen Beratungsformat coachen. Als Führungskraft wie ein Coach zu agieren bedeutet vielmehr, in der Interaktion mit Mitarbeitern vor allem auf deren individuelle Förderung und Entwicklung abzuzielen und dabei geeignete Methoden/Techniken des Coachings und Mentorings entsprechend anzuwenden. Führungskräfte, die (glaubhaft) transformational führen wollen, müssen dazu auch die wertschätzende Haltung eines Coachs gegenüber ihren Mitarbeitern einnehmen.

Transformationale Führungskompetenz ist also ein komplexes Konstrukt, das nicht ohne erfahrungsbasiertes Lernen erworben werden kann und sich folglich kaum mit klassischen Verhaltenstrainings allein aufbauen lässt. Die Entwicklung von Kompetenzen benötigt Zeit, da die Führungskraft hierzu Erfahrungen in wiederholt herausfordernden Situationen sammeln muss. Der Kompetenzerwerb, der als Lernprozess aufzufassen ist, erfolgt hier über verschiedene Wege, jedoch in hohem Maße auch über die Reflexion eigener Fehler und die Entwicklung und Erprobung eigener Vorgehensweisen. Für die Vorbereitung angehender Führungskräfte, die transformational führen sollen, bedarf es ausgehend von diesen Prämissen der Führungskompetenzentwicklung eines Settings, in dem die Führungskräfte nicht nur Coachingmethoden erlernen, sondern sich als Coach und Mentor ihrer Mitarbeiter in der Führung auch als wirksam erleben können. Dies kann nur in Verbindung mit realen Situationen erfolgen. Es ist daher ohne Frage, dass sich der Aufbau transformationaler Führungskompetenz für zukünftige Führungskräfte oder Führungskräfte, die neu in dieser Rolle sind, aufgrund mangelnder Praxiserfahrungen besonders schwierig gestaltet. Vor diesem Hintergrund haben wir ein Training entwickelt, das darauf abzielt, transformationale Führungskompetenz insbesondere bei potenziellen Nachwuchsführungskräften, die (noch) über keine Führungsgewalt verfügen, aufzubauen.

Wir möchten mit diesem Buch nicht nur für die Herausforderungen sensibilisieren, die mit Führung in der Praxis verbunden sind, sondern vor allem zeigen, wie diese praktisch bewältigt werden können. Dazu gehen wir in einem ersten Teil nach einer kurzen Analyse aktueller Anforderungen an Mitarbeiterführung und einer komprimierten Darstellung transformationaler Führung vor allem darauf ein, was es bedeutet, als Coach und Mentor in der Führung zu agieren und wie transformationale Führungskompetenz in der Unternehmenspraxis gefördert werden kann. Im zweiten Teil erläutern wir detailliert ein entsprechendes Trainingskonzept und führen zahlreiche Übungen zum Aufbau transformationaler Führungskompetenz, Coachingtechniken, die in der Führung eingesetzt werden können sowie Anleitungen zur Reflexion der eigenen Rolle in der Führung auf. Die Inhalte richten sich daher sowohl an Unternehmer, Trainer oder Personalentwickler, als auch an zukünftige oder bereits tätige Führungskräfte, die (verstärkt) als Coach in der Führung agieren wollen.

Im Text wird größtenteils die maskuline Form verwendet, gemeint sind dabei jedoch stets beide Geschlechter.

 

Münster, im Juni 2016

Sonja Öhlschlegel-Haubrock,

Jutta Rach                                   

Juliane Wolf                                

 

 

 

 

Teil I: Transformationale Führung und Coaching

1          Zeitgemäße Führung

 

 

1.1       Anforderungen an Führungskräfte und Unternehmen

Durch den sich stetig zuspitzenden Wettbewerb und damit einhergehende immer schneller vollziehende organisatorische Veränderungen werden zunehmend Mitarbeiter benötigt, die sich nicht nur mit dem Unternehmen und seinen Zielen identifizieren, sondern auch bereit sind, Veränderungen anzunehmen und selbst anzustoßen. Darüber hinaus muss durch den anhaltenden Trend eines demographischen Wandels und den in Folge für einige Branchen bereits merklich spürbaren Fachkräftemangel die sog. Generation Y, mit ihren besonderen Ansprüchen an den Arbeitgeber, als wichtige Ressource angesehen werden. Diese Mitarbeiter fordern von einem Arbeitgeber neben Teamarbeit, kontinuierlicher Weiterentwicklung, interessanten Aufgaben, Aufstiegsmöglichkeiten und Spaß an der Arbeit verbunden mit Work-Life Balance, insbesondere sinnstiftende Beziehungen zu Führungskräften (vgl. Schudy & Wolff, 2014). Unternehmen sind daher stärker als jemals zuvor gefordert, Mitarbeiter zu binden, deren kreative Potenziale zu fördern und möglichst effektiv zu nutzen. Gleichzeitig wird jedoch ein Großteil der Arbeitsverträge in Deutschland nur noch befristet abgeschlossen. Die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist immer weniger von Arbeitssicherheit, lebenslanger Beschäftigung und gegenseitiger Loyalität geprägt, sondern beinhaltet für Mitarbeiter vielfach die Akzeptanz von Unsicherheit, Leistungsorientierung, die Ausrichtung an den eigenen Fähigkeiten sowie Eigenverantwortung für ihre Beschäftigung, Entwicklung und Arbeitsmarktfähigkeit (vgl. Raeder & Grote, 2004, S. 150). Vor diesem Hintergrund ist Mitarbeiterbindung und Mitarbeitermotivation über finanzielle Anreize durch das Unternehmen weder ausreichend noch insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen hinreichend möglich. Vielmehr müssen Mitarbeiter vor allem intrinsisch (über die Tätigkeit selbst bzw. die dabei gemachten Erfahrungen) motiviert werden, mit ihrer Arbeit zur Erreichung der Unternehmensziele beizutragen, aber auch bestmöglich qualifiziert sein, dies effektiv tun zu können.

Unter motivationspsychologischen Gesichtspunkten kann intrinsische Motivation gefördert werden, indem Mitarbeiter mit Tätigkeiten beschäftigt werden, die ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechen, sie aber auch gleichzeitig fordern ohne überfordernd zu sein und eine klare Handlungsstruktur vorgeben (vgl. Csikszentmihalyi, 2008). Die Vorgabe einer klaren Handlungsstruktur lässt sich am besten mit Spielregeln gleichsetzen. Diese zu kennen, kann Mitarbeitern ein gewisses Maß an Sicherheit vermitteln. Mitarbeiter erhalten nicht nur Informationen über ihre eigene Kompetenz, sie erleben sich vielmehr als selbstwirksam, was wiederum zu einem Zuwachs an Interesse an der Tätigkeit und damit zu intrinsischer Motivation beitragen kann, wie es schon von Bandura (1986) formuliert wurde.

Zeitgemäße Führung kann nicht nur, sondern muss aufgrund der beschriebenen Herausforderungen verstärkt die intrinsische Motivation der Mitarbeiter fördern, den Mitarbeitern damit Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeitserleben durch die Arbeitstätigkeit ermöglichen, Leistungspotenziale binden und so den Unternehmenserfolg nicht nur unterstützen, sondern auch sichern. Dazu muss Führung fordernd sein, indem sie von Mitarbeitern klar die Leistungen erwartet, zu denen sie aufgrund ihrer aktuellen Fähigkeit in der Lage sind. Ebenso muss sie die Entwicklung von potenziell möglichen Kompetenzen fördern, um Mitarbeiter auf zukünftige Tätigkeiten vorzubereiten, die sie im positiven Sinn als Herausforderung empfinden können. Gleichzeitig gewinnt der bereits seit längerem bekannte positive Zusammenhang von Qualität der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter mit Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung (vgl. Gerstner & Day, 1997) zunehmend an Bedeutung. Führung muss also auch so erfolgen, dass Mitarbeiter eine Beziehung zu ihren Führungskräften aufbauen können, indem sie diese als Vorbild erleben, sich mit ihnen identifizieren und von ihnen die Sicherheit erfahren, die aufgrund veränderter psychologischer Verträge zum Arbeitgeber nicht mehr besteht. ( Infokasten 2)

Infokasten 1: Psychologische Verträge

Psychologische Verträge bezeichnen (in der Regel implizite) wechselseitige Erwartungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmer an das Arbeitsverhältnis, die über die im Arbeitsvertrag geschlossenen (juristischen) Vereinbarungen hinausgehen. Mit der Anforderung an Unternehmen, sich ständig schneller an Veränderungen anzupassen und der damit verbundenen Entwicklung von zeitlichen, räumlichen und technologischen Komponenten der Arbeit, haben sich auch psychologische Verträge verändert (vgl. Raeder & Grote, 2004, S. 150)

 

Traditioneller psychologischer Vertrag Neuer psychologischer Vertrag

Die Wirksamkeit einer derartigen Führung verdeutlicht ein Beispiel aus der Praxis eines Dienstleistungsunternehmens im Rahmen der Einführung eines neuen ERP-Systems, womit auch eine Umstellung im Bereich der Lohnbuchhaltung verbunden war. Die in der Lohnbuchhaltung beschäftigten Mitarbeiter verfügten über keinerlei Kenntnisse über das neue System und reagierten zunächst mit dem im Rahmen eines Change Prozesses vielfach typischen Unwillen. Dieser äußerte sich u. a. darin, dass von der Führungskraft arrangierte Schulungen durch angeblich plötzlich aufgetretenen Arbeitsanfall nicht wahrgenommen werden konnten oder externe Trainer als inkompetent abgelehnt wurden. Obwohl die Führungskraft mit langem Planungszeitraum vorab die Abteilung über die anstehenden Veränderungen umfassend informiert und in Schulungen mit dem neuen System investiert hatte, wurde die Umstellung auf das neue System so zunächst blockiert. Auch eine in Aussicht gestellte Erfolgsprämie für eine erfolgreiche fristgerechte Systemumstellung zeigte keinerlei Wirkung. Erst als die Führungskraft ihr Führungsverhalten veränderte, konnte die geplante Umstellung erfolgreich und noch rechtzeitig umgesetzt werden.

In dem hier beschriebenen Fall setzte sich die Führungskraft erstmals mit individuellen Stärken, Schwächen und vor allem Neigungen der Mitarbeiter auseinander. Sie vermittelte das mit der Systemumstellung verbundene Ziel und forderte von den Mitarbeitern eigene Lösungsvorschläge für eine erfolgreiche Umstellung ein, die sie mit allen diskutierte und dabei auch für das Unternehmen und einzelne Mitarbeiter unbequeme Lösungsvorschläge aufgriff und diese vor der Geschäftsleitung vertrat. So wurde u. a. eine bis dahin eher unauffällige, von der Geschäftsleitung wenig geschätzte und selbstunsichere Mitarbeiterin, die sich aber bereits privat weiterbildete, federführend mit der Systemumstellung betraut. Statt eine Urlaubssperre über den Jahreswechsel für die gesamte Abteilung zu verhängen, sagte die Führungskraft ihren eigenen Urlaub ab und übernahm selbst die Aufgabe, diese Mitarbeiterin bei der Systemumstellung zu unterstützen. Die Führungskraft bewies so nicht nur der Geschäftsleitung die Kompetenz dieser Mitarbeiterin, sondern ermöglichte insbesondere auch der Mitarbeiterin, sich als kompetent und wirksam zu erleben. Letztlich veränderte sich das gesamte Team der Lohnbuchhaltung von reinen Befehlsempfängern und Umsetzern zu kreativen Ideengebern. Die Mitarbeiter der Lohnbuchhaltung waren sich der Bedeutung ihrer Tätigkeit im Sinn des Unternehmensziels, mit dem sie sich nun identifizierten, bewusst. Sie hatten sich in ihrer Tätigkeit als selbstwirksam erlebt und agierten vorausschauend, forderten entsprechend notwendige Weiterbildungen und machten Verbesserungsvorschläge - angefangen vom Customizing des neuen ERP-Systems bis hin zu Umstrukturierungen im eigenen Team. Die Führungskraft hatte es damit geschafft, dass die Mitarbeiter sich weitgehend selbst führten, sie also kaum noch benötigt wurde.

Wie in diesem Beispiel gezeigt, verlangt eine zeitgemäße Führung, dass Führungskräfte sowohl Verantwortung für ihre Mitarbeiter übernehmen, sich für sie einsetzen, sie individuell fördern und die Bereitschaft aufbringen, dabei gewisse Risiken einzugehen. Das Beispiel verdeutlicht auch die Notwendigkeit, Führung darauf auszurichten, die Selbstführungskompetenz der Mitarbeiter zu erhöhen. Führungskräfte sind damit gefordert, mit ihren Mitarbeitern auf Augenhöhe zu interagieren, sie als (potenziell) gleich bedeutsam für das Unternehmen wie sich selbst anzusehen, sie vielleicht auch als zukünftig gleichwertige Partner einzuschätzen. Nur wenn Führungskräfte auf der einen Seite ihre Mitarbeiter mit ihrer jeweiligen individuellen (möglichen) Kompetenz wertschätzen und auf der anderen Seite die Mitarbeiter sich nicht nur befähigt, sondern auch gefordert fühlen, willens und ausreichend kompetent sind, selbst im Sinn des Unternehmensziels mit ihrer Führungskraft zu interagieren, können Mitarbeiterpotenziale gewinnbringend für das Unternehmen genutzt werden. Gleichzeitig können Mitarbeiter sich so mit ihrer Tätigkeit im Unternehmen selbst verwirklichen.

Es existieren mittlerweile zahlreiche empirische Belege dafür, dass transformationale Führung die hier beschriebenen Anforderungen in besonderem Maße erfüllt und daher als zeitgemäße Führung verstanden werden sollte. So erhöht transformationale Führung nicht nur die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrer Arbeit und ihren Vorgesetzten (vgl. Brown & May, 2010), sondern ermöglicht es in besonderem Maße, dass Mitarbeiter sich als selbstwirksam und effektiv in ihrer Arbeit erleben können (vgl. Özarelli, 2002). Sie erleichtert Innovationen (vgl. Michaelis et al., 2010), da Mitarbeiter bereit sind, Neuerungen und Veränderungen im Unternehmen mitzutragen, motiviert zu außerordentlichen Mitarbeiterleistungen (vgl. Sturm et al., 2011) vor allem in qualitativer Hinsicht (vgl. Hoyt & Blascovich, 2003) und trägt damit auch direkt zum Unternehmenserfolg bei.

1.2       Transformationale Führung

Führung zielt letztlich immer darauf ab, andere (Geführte) so zu beeinflussen, dass damit bestimmte Ziele erreicht werden. Klassische Lehrbuchdefinitionen von Führung verstehen darunter in der Regel die direkte Verfolgung von Gruppen- bzw. Unternehmenszielen (vgl. z. B. Piontkowski, 2011, S. 229). Transformationale Führung nach Bass und Riggio (2006, S. 3) impliziert dagegen auch das Ziel, die Selbstführungskompetenz von Mitarbeitern zu erhöhen. Denkt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, werden Mitarbeiter, die sich selbst im Unternehmensinteresse führen, intrinsisch durch die Tätigkeit motiviert sein, sich darin verwirklichen können und Führungskräfte im klassischen Sinn (zur Koordination, Initiierung von Veränderungen etc.) nur noch eingeschränkt benötigen. Nicht nur, indem transformationale Führung die intrinsische Motivation der Mitarbeiter ausdrücklich fokussiert, unterscheidet sich dieser deutlich von anderen Führungsansätzen. Um transformationale Führung in ihren Besonderheiten besser nachvollziehen zu können, scheint es daher angebracht, sie von klassischen Führungsansätzen abzugrenzen. Im Folgenden soll lediglich ein kurzer Überblick über klassische Führungsansätze gegeben werden. Die Darstellung ist daher bewusst stark komprimiert (eine differenziertere Beschreibung und Analyse findet sich z. B. bei Neuberger, 2002).

Klassische Führungsansätze

Die Führungsforschung ging lange Zeit der Frage nach, welche Persönlichkeitsmerkmale erfolgreiche Führungskräfte auszeichnen. Dieser sog. eigenschaftsorientierte Ansatz erwies sich als wenig erfolgreich. In unterschiedlichen Studien wurden vor allem korrelative Zusammenhänge gefunden, aus denen sich aber nicht zwangsläufig auf kausale Zusammenhänge schließen lässt, wobei die Ergebnisse zudem stark variierten (vgl. Rosenstiel & Nerdinger, 2011).

Unter der Subsumtion des Führungsstils, wandte man sich daher verstärkt dem Verhalten von Führungskräften zu (verhaltensorientierter Ansatz). Den Ausgangspunkt bildeten frühe Befunde, nach denen ein autokratischer Führungsstil (alle Entscheidungen werden vom Führenden getroffen) im Gegensatz zu einem demokratischen Führungsstil (alle Entscheidungen werden von der Gruppe getroffen, wobei der Führende Anregungen gibt und die Gruppe betreut), zu besseren Leistungen führt, wenn der Führende anwesend ist. Allerdings wurde dabei auch beobachtet, dass sich ein feindliches Klima entwickeln kann. In der Folge wurde versucht, unterschiedlichen Führungsstilen eine entsprechende Führungswirkung zuzuordnen (vgl. z. B. Piontkowski, 2011). Dabei wurden neben der dichotomen Unterscheidung zwischen einem autokratischen vs. demokratischen Führungsstil (analog direktiv vs. partizipativ) auch differenzierte Abstufungen von Führungsstilen vorgenommen, wie z. B. in dem Führungsstilkontinuum von Tannenbaum und Schmidt (1973). Ebenfalls den Forschungen zum optimalen Führungsstil zuzuordnen ist die Unterscheidung zwischen einem mitarbeiterorientierten und aufgaben- bzw. zielorientiertem Führungsverhalten, wie sie in dem Verhaltensgitter von Blake und Mouton getroffen wird. Nach Blake und Mouton (1982) ist der optimale Führungsstil sowohl aufgaben- als auch mitarbeiterorientiert, da beide Dimensionen als voneinander unabhängig betrachtet werden.

Es ist allerdings leicht nachvollziehbar, dass ein bestimmter Führungsstil an sich nicht optimal sein kann, wenn man sich beispielsweise eine Führungskraft mit einem rein demokratischen bzw. partizipativen Führungsstil und neuen unerfahrenen Mitarbeitern vorstellt, die eine für das Unternehmen wichtige, hochkomplexe und zeitkritische Aufgabe erfüllen sollen. Damit können weder eigenschafts- noch verhaltensorientierte Ansätze die Frage nach einer erfolgreichen Führung ohne Bezugnahme auf die entsprechende Situation, in der sich Führender und Geführter befinden, zufriedenstellend beantworten.

Dies berücksichtigen situationsorientierte Führungsansätze, die darauf abzielen, unterschiedlichen Führungskontexten (die z. B. durch heterogene Kompetenzen der Mitarbeiter, die Komplexität der Aufgabe, organisationale Merkmale etc. bestimmt sind) einen entsprechend optimalen Führungsstil zuzuordnen. Exemplarisch für den situationstheoretischen Ansatz ist das Modell von Vroom und Yetton (1976), das über 100 relevante Führungssituationskonstellationen ermittelt, diese auf 14 bedeutsame reduziert und über sieben Entscheidungsregeln (die sich an der Entscheidungsqualität und Akzeptanz der Entscheidung durch die Mitarbeiter orientieren) jeweils einem von fünf Führungsstilen zuordnet. Im Ergebnis will das Modell Entscheidungshilfen für Führungskräfte liefern. Allerdings müssten Führungskräfte in der Anwendung des Modells vor jeder Führungshandlung zunächst eine Reihe von Überlegungen anstellen: Ist z. B. eine Entscheidung qualitativ besser als eine andere, haben sie selbst genügend Informationen, um eine qualitativ hochwertige Entscheidung alleine zu treffen, würde eine Alleinentscheidung von den Mitarbeitern akzeptiert? In Abhängigkeit der Ergebnisse könnte dann letztlich eine Empfehlung hinsichtlich eines geeigneten Führungsstils abgeleitet werden. Schon allein diese zusammengefasste und stark verkürzte Beschreibung des Modells dürfte die Problematik in der praktischen Anwendung für Führungskräfte verdeutlichen. Darüber hinaus ist fraglich, ob jede Führungskraft jeden Führungsstil situationsbedingt überhaupt ausüben kann, so wird z. B. im Kontingenzmodell von Fiedler (1978) davon ausgegangen, dass sich die Einstellung einer Führungskraft zu ihren Mitarbeitern in ihrem Führungsverhalten manifestiert. Auch wenn Forschungsergebnisse zum optimalen Führungsstil damit zusammengefasst eher ernüchternd und so im Grunde von nur eingeschränkter Relevanz sind, hat sich nach unserer Erfahrung vor allem der Begriff des mitarbeiterorientierten Führungsstils in der Praxis als erstrebenswert etabliert und bildet immer noch die Grundlage zahlreicher Führungstrainings (vgl. Rosenstiel & Nerdinger, 2011, S. 253).