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Was bedeutet es, das Leben mit größtmöglicher Leichtigkeit zu leben? Marie Luise Ritter erzählt in persönlichen Geschichten von Gelassenheit in Stressmomenten, Herausforderungen und einer ganz grundsätzlichen Lebensfreude. Von Menschen, denen sie begegnet ist, von Momenten, die das Leben in eine neue Richtung verändert haben, von Abenteuern und Neuanfängen. Und wie man sich die Leichtigkeit zurückholt, wenn man sie einmal verloren hat. »Von der Kunst, das Leben leicht zu nehmen« berichtet von diesem flüchtigen Gefühl, das wir suchen, aber oft nicht halten können, das alles schöner macht, wie eine Art flüssiges Glück. Das perfekte Buch für den Sommer und die perfekte Strandlektüre!
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Disclaimer:
Zum Schutz der Privatsphäre wurden einige Details und Namen verändert. Die männliche und weibliche Form werden abwechselnd benutzt.
Noch ein kurzer Hinweis in eigener Sache: Dieses Buch und die Aufforderung, es leicht zu nehmen, widmen sich Geschichten und Herausforderungen aus dem ganz alltäglichen Leben, nicht schwerwiegenden Erkrankungen, Depressionen oder Ausnahmezuständen wie Verlust oder Trauer. Wenn euch etwas dergleichen beschäftigt, möchte ich euch hiermit dazu ermutigen, professionelle Hilfe zu suchen. Mental health matters.
© Rechteinhaber Marie Luise Ritter, 2024
Für die deutsche Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2024
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe
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Cover & Impressum
Widmung
Einleitung
1 Die Sehnsucht nach Leichtigkeit
2 Halt mal kurz an
3 Irgendwann ist jetzt
4 Dann ist das eben so
5 Mich kann hier nichts aus der Ruhe bringen
6 Ich habe mich geirrt
7 Etwas, was dich beschützt
8 Ich kann das, ich muss es nur noch lernen
9 Loslassen kann frei machen
10 Ausflippen würde das Problem auch nicht lösen
11 Ich kann mich nicht für dich freuen
12 Und dann?
13 Mich fallen lassen
14 Haben Sie gerade meinen Hund geschlagen?
15 Ich nehme einfach mal das hier
16 Süß und herzhaft
17 Sonnenstrahlen
18 Radikale Akzeptanz
19 Lebendig sein
20 Ich will lieber, dass es still ist
21 Das hat ja nichts mit mir zu tun
22 Das möchte ich gerade nicht
23 Lass sie doch
24 Okay, dann nicht
25 Lösung oder Liebe?
26 Der Lauf der Dinge
27 Schreib es auf oder schmeiß es weg
28 Was will ich?
29 Will nicht viel, nur ’n bisschen ’ne gute Zeit
30 Du musst niemandem etwas beweisen
31 Und wenn ich kaputtgehe, sammele ich mich wieder auf
32 Über den Luxus und die Freiheit zu denken, was man will
33 Wie ist die Frau, die ich sein will?
34 Wem nützt das schlechte Leben?
35 Zoom mal raus
36 Wenn ich esse, esse ich. Wenn ich lese, lese ich. Wenn ich schlafe, schlafe ich.
37 Das Leben passiert für mich, nicht gegen mich
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Ich widme dieses Buch den schönen Dingen des Lebens.
Dingen, die glücklich machen: nach einem langen Winter das erste Mal wieder Sonne auf dem Gesicht zu spüren, bunten Häuserfassaden, blauem Himmel, ruhiger Langeweile, Zitronenkuchen, kleinen schnarchenden Hunden und Hundepfoten, die über den Boden tapsen, Popcorngeruch und frisch gemähtem Gras, sich selbst Blumen zu schenken, Maracujakerne im Mund zu knacken, kopfüber in klares Wasser einzutauchen, dem Zischen beim Öffnen einer eiskalten Coladose, zu spüren, geliebt zu werden, und euch.
Ganz besonders euch.
Straßenlaternen blinken unaufgeregt, ein frischer Wind weht vom Meer zu uns herüber. Er streicht über meine aufgeheizte Haut, legt sich auf ihr in leichter Gänsehaut ab. Es ist spät, vielleicht zehn, oder elf. Möwen kreisen in der Abendluft mit leisem Schnattern über unsere Köpfe. Mintgrüne Fensterläden lehnen sich hinter uns an beige Hauswände an. Aus der Bar flackert warmes Licht auf die Terrasse, das alles in eine orange Blase hüllt. Ihre warme Hand streicht zufällig beim Gestikulieren meinen Oberarm. Ich sehe nur aus dem Augenwinkel die anderen Gesichtszüge, Momentaufnahmen, die uns umgeben. Sie sind unscharf, außerhalb meines Fokus. Irgendetwas bringt mich zum Lachen, zu so einem, bei dem ich nicht mehr an mich halten kann. Es schüttelt mich einmal komplett durch, bis meine Bauchmuskeln wehtun und mein Gesicht glüht. Ein Schauer läuft über meinen Rücken.
Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde springe ich aus der Situation heraus, als wäre ich eine der Möwen, die über uns kreisen, sehe meine Freundin und mich von oben, von weit weg, gehe in diese Perspektive, in der man Sachen begreifen und für sich einordnen kann. Weiß, wie glücklich mich dieser Moment macht, retrospektiv machen wird, gehe vom Erleben und Fühlen ins Einordnen und direkt wieder zurück, bin wieder bei ihr, bei diesem Abend, auf den wir schon so lange hingefiebert haben.
Wir sitzen an der Côte d’Azur, an der Promenade in einer der unzähligen Bars mit Blick aufs Meer. Ich arbeite gerade für zwei Monate von hier, sie ist zu Besuch bei mir, der Abend wird danach noch lang, und am Ende torkeln wir weißweingetränkt und Arm in Arm in mein temporäres Zuhause. Am Tag hatten wir ein altes dunkelgrünes Cabrio gemietet und waren durch die umliegenden Berge gefahren, haben am Paloma Plage gehalten und Saint-Jean-Cap-Ferrat zu Fuß umrundet. Mein gelbes Eis war in Villefranche-sur-Mer klatschend auf dem Bürgersteig gelandet, und eine Möwe hatte sich schnatternd mitten hineingestürzt. Neue Sommersprossen kitzeln auf unseren Nasenspitzen, die Gesichter aufgeheizt und warm. Mein Herz fühlt sich an, als würde es gleich überlaufen, weil es die Glücksgefühle nicht in sich behalten kann.
Wenn man gern und viel unterwegs ist, so wie ich es bin, wird gemeinsame Zeit mit Freundinnen noch wertvoller. Heute feiern wir unsere Freundschaft. Ich denke nicht daran, dass wir uns morgen schon wieder verabschieden müssen. Oder wie sehr ich sie vermissen werde. Ich bin nur in diesem Moment, und in dem ist alles leicht, fast schwerelos schön. So habe ich mich schon ewig nicht mehr gefühlt. Ich merke, wie sehr ich das Gefühl vermisst habe: gelassen zu sein, unbeschwert und unbekümmert. Als wären mir hundert Steine vom Herzen gefallen. Als würde ich ein paar Zentimeter über dem Boden schweben.
Auch noch als sie wieder weg ist, ist es dieses Gefühl, was bleibt: irgendwie ganz bei mir zu sein. Alles, was ich tue, fühlt sich richtig an, macht mir Spaß, geht mir leicht von der Hand. Ich stehe morgens gerne auf und genieße die einzelnen Tage. Wenn ich mich so fühle, innerlich gestärkt, bei mir und resilient, treffe ich bessere Entscheidungen. Kann Herausforderungen gelassener begegnen und habe das Gefühl, ich lebe mit meinem Leben im Einklang, lebe in meinem Rhythmus und nicht nur an ihm vorbei. Als würden sich die Dinge einfach so für mich ergeben. So … leicht. Dieses Gefühl, diese Leichtigkeit: Kam sie von selbst, oder wie habe ich sie mir erschaffen? Mit geschlossenen Augen wandere ich auf dem Balkon mit meinem Kopf der Sonne hinterher, die sich Zentimeter für Zentimeter über die rote Fassade des Hauses hinter mir arbeitet.
»Wie erschafft man sich Leichtigkeit?«, schreibe ich an den Rand des Buches, das ich gerade lese, und unterstreiche es zweimal dick. Ich weiß es nicht. Alles, was ich gerade weiß, ist, wie gut mir diese Leichtigkeit gefällt, die ich hier fühle, und dass ich sie nicht wieder gehen lassen will.
Für mich ist Leichtigkeit dieses Gefühl, aus Raum und Zeit auszusteigen und einfach nur zu sein. Mich schwerelos zu fühlen, aber gleichzeitig fest verankert, wie ein Baum, den selbst der stärkste Wind nicht umwerfen kann. Das Gefühl von kompletter innerer Ruhe und einem völlig anlassfreien Glücksgefühl, dieses Kribbeln im Nacken. Vielleicht ist Leichtigkeit, die Vergänglichkeit eines Augenblicks zu ignorieren und ihn so auszukosten, als würde er für immer anhalten.
Ist Leichtigkeit eine Entscheidung? Wie leicht sich etwas anfühlt? Oder ist es die Verdrängung von negativen Gefühlen und Erlebnissen? Kann man alles leicht nehmen? Können wir negative Gefühle fühlen und dann die Dinge trotzdem leicht nehmen? Was mich zu der Frage bringt: Ist gelassen mit einer Situation umzugehen eine aktive Entscheidung? Funktioniert unser Kopf so? Vielleicht. Vielleicht kann man Gelassenheit trainieren wie einen Muskel. Wäre es nicht wundervoll, selbst den größten Herausforderungen des Alltags mit einem Lächeln begegnen zu können? Ich lasse diese Gedanken durch meinen Kopf strömen, während meine rot lackierten Zehen über dem Frühlingstreiben der Stadt auf der Balkonbrüstung wackeln.
*
»Eigentlich will ich über Lebensfreude schreiben. Und innere Ruhe. Diese Art, völlig leicht und gelassen sein Leben anzugehen«, hatte ich bereits vor zwei Jahren mit meiner Lektorin geteilt. »So etwas will ich mal schreiben. Wie man sein schönstes Leben lebt. Also ich weiß, das hat in jedem Buch bisher, bei Dating, bei Liebe, beim Alleinsein, mitgeschwungen. Aber irgendwie so als einzelnes Thema, weißt du, was ich meine?«
Ich habe in meinen Büchern bislang vor allem aus meinem Dating- und Beziehungsleben und von meinen Reisen erzählt. Von Menschen, denen ich begegnet bin, und was sie in mir hinterlassen haben. Was dabei immer mitschwang: die Leichtigkeit am Sein und ein großer Hang zu sehr viel Lebensfreude.
»Du könntest doch als Nächstes über Leichtigkeit schreiben«, schlug sie mir dann im letzten Spätsommer vor.
»Jetzt?« Ich schnaubte und prustete los, das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Das war sicherlich das Letzte, was ich gerade fühlte.
»Ich weiß«, antwortete sie am anderen Ende der Leitung. »Aber vielleicht kannst du genau das zum Thema machen – seine Leichtigkeit wiederfinden, wenn man sie gerade nicht mehr hat? Und den Weg dahin wieder sucht? Wenn einem das Leben plötzlich so unerklärlich schwerfällt, wo es doch eigentlich recht unbeschwert sein könnte?« Sie wusste um meine private Situation, wusste, wie verloren ich mich gerade in Zeit und Raum fühlte.
*
Man kann sicherlich sehr viel gewinnen, wenn man den Dingen, die einem das Leben an Herausforderungen stellt, gelassen begegnet und sie einigermaßen leichtnimmt.
Wir sehen auf Social Media extreme Glücksmomente und in den Nachrichten extreme Krisen, aber selten den langweiligen, normalen Durchschnitt, als würden unsere Leben nur aus Extremen bestehen. Dabei ist das meiste, was wir erleben, der vermeintlich langweilige Alltag. Ich glaube, meine Bücher und besonders dieses sind ein Plädoyer für diese leichten Momente der Normalität, die ruhige, einfache Schönheit des normalen Lebens. Kleine Gespräche, unerwartete Begegnungen und eine Schönheit in den Details und Gesichtern zu finden, die einen täglich umgeben.
Ich glaube, das ist es, was wirklich zählt und worum es im Leben geht: Mit Menschen in Kontakt zu treten, voneinander zu lernen, sich miteinander zu verbinden. Storytelling und Geschichten zu erzählen ist für mich der wirksamste Weg, das zu tun. Also schreibe ich drauflos.
Das hier ist kein psychologischer Ratgeber (und falls du das bis hierhin dachtest, kannst du an dieser Stelle noch abbrechen und das Buch verschenken), ich mache in diesem Buch das, was ich am liebsten tue: Ich erzähle Geschichten. Von Erlebnissen, die ich hatte, und dem, was sie mit mir gemacht haben. Leicht, kurzweilig.
Die kurzen Geschichten und einzelnen Kapitel stehen alle für sich – du kannst sie chronologisch lesen oder zwischen den Kapiteln hin und her springen und dir im Inhaltsverzeichnis die Message raussuchen, die dir gerade zusagt. Es sind einzelne Werkzeuge, die ich mir über die letzten Jahre hinweg in einen imaginären Werkzeugkoffer gepackt habe (ich wünschte, mir würde eine bessere Metapher dafür einfallen, die beschwingt und nicht nach Handwerk klingt, aber wahrscheinlich ist es genau das). Wir sammeln die passenden Werkzeuge, die man braucht, um das Leben möglichst leicht zu nehmen, eins nach dem anderen auf. Vielleicht kannst du die Erzählungen wie ein Auftanken sehen. Kleine Häppchen der Leichtigkeit, kurze Geschichten, zum »Wegsnacken«.
Dabei werden Kapitel dabei sein, die nicht für alle ins eigene Leben übertragbar sind (mal lustig für ein paar Monate ins Ausland ziehen, weil man da mehr Leichtigkeit fühlt und mal am Meer leben will), und Kapitel, bei denen das leichter fällt (wie gelassen zu bleiben, wenn du mit einer Waschanlage kollidierst – wobei, ich hoffe, das passiert dir nicht). Ich erzähle sie trotzdem alle, weil ich glaube, dass man aus jeder Geschichte etwas mitnehmen kann. Dann eben im übertragenen Sinne. Wenn du nicht so sehr darauf achtest, was ich erzähle, sondern eher darauf, was es in dir auslöst. Und was du daraus für dich machen kannst, auf dein eigenes Leben, auf deine Erlebnisse angewendet. Als Pauspapier, als eigene Schablone.
Der Titel verspricht viel, dessen bin ich mir bewusst. Genauso weiß ich, dass nicht jeder das auf sich anwenden kann. Auch wenn das für euch nicht möglich ist: Ich hoffe, ihr findet euren Weg, und ich habe den größten Respekt davor, wie auch immer ihr ihn bewältigt und für euch geht. Die Freiheit, das zu tun, was einem im eigenen Leben als wichtig erscheint, ist definitiv ein unschätzbares Privileg.
*
Eine Woche später sitze ich neben Gustav an der Strandpromenade von Nizza. Der Ort ist nicht riesig groß, ich sehe die gleichen Menschen immer wieder. So wie ihn. Schon ein paarmal saßen wir nebeneinander auf den Stühlen, die hier die Promenade pflastern. Meine Freundin ist wieder weg, das Gefühl, das ich mit ihr hatte, ist geblieben.
Der Himmel hier ist hellblauer, als ich ihn den Winter über in Erinnerung hatte. Blaue Metallstühle sind überall in den Boden gearbeitet, auf denen in Reih und Glied zehn oder zwanzig Menschen nebeneinandersitzen können, um aufs Meer zu sehen. Manchmal, zum Beispiel zum Sonnenuntergang, sind alle Plätze besetzt. Heute ist kaum etwas los. Gustav habe ich vor ein paar Tagen hier kennengelernt, wir teilten anscheinend dasselbe Ritual: Egal, wie der Tag war, ihn dort am Strand zu beenden.
Ich erzähle ihm von diesem Manuskript. Er prustet oder schmunzelt, irgendwie eine Mischung aus beidem. Mein Französisch ist noch nicht vorhanden, aber gebrochenes Englisch, das kriegt er hin.
»Natürlich kann man alles im Leben leicht nehmen. Das Leben kann sich so anfühlen, wie du willst«, sagt er zu mir und winkt ab. Sein verhaltenes Lächeln, so, wie es eben nur alte Männer tun, die sich nichts weiter an Gefühlsregungen anmerken lassen wollen, schweift in die Ferne ab. Ich sonne mich ein wenig in der Ruhe, die er ausstrahlt. Wenn sich innere Ruhe breitmacht, wird alles möglich, und alles irgendwie ganz leicht, denke ich.
Kurzer Check-in: Wie leicht fühlst du dich jetzt gerade? Wie viel Stress ist gerade in dir? Achte mal auf deine Zunge, und ob sie gerade am Gaumen festklebt. Deine Zähne, ob sie aufeinanderbeißen. Ob du deine Augenbrauen irgendwie leicht zusammenziehst. Oder die Schultern hoch. Lass das alles mal aktiv los. Du brauchst die Schultern nicht hochzuziehen, du musst dich nicht darauf vorbereiten, irgendwo einzuschreiten. Und dann atme durch.
Wir können zwar nicht immer entscheiden, was uns im Leben passiert, aber vielleicht, wie wir damit umgehen. Wie wir den Aufgaben begegnen, die uns das Leben vor die Füße wirft. Etwas leicht zu nehmen ist wie eine Vereinbarung, die man erst einmal treffen muss: mit sich selbst. Ich nenne es »Mein schönstes Leben leben«.
Dieses Buch ist auf Mallorca und in Südfrankreich entstanden und ist eine Hommage ans leichte, beschwingte Leben, eine Liebeserklärung an den Augenblick.
Herzlich willkommen in meiner Welt.
Was uns beschwert
»Du tust ja so, als ob man immer die Wahl hätte, alles leicht zu nehmen«, schnaubt sie, ein wenig angefressen. Tessa zieht die Augenbrauen zusammen, und es entsteht eine tiefe Furche auf ihrer Stirn, die mir böse entgegenblickt.
»Hast du nicht?«, frage ich.
»Natürlich nicht? In welcher Welt lebst du?« Natürlich verstehe ich direkt, worauf sie hinauswill. Auf die großen, ungeplanten und vor allem ungewollten Ereignisse des Lebens: Verlust, Schicksalsschläge, Ausnahmezustände. Doch ich meinte die Grundeinstellung den eigenen Aufgaben gegenüber, im Alltag.
»Stell es dir doch mal vor«, beharre ich weiter auf meinem Standpunkt. Ich denke an den Alltag, in dem wir uns gerade befinden, das größere Ganze, und sehe meine Freundin eindringlich an. »Könntest du nicht auch Probleme leicht und beschwingt nehmen? Wenn dir irgendein Mist oder Malheur passiert? Statt dich den ganzen Tag darüber aufzuregen – eben darüber lachen?« Sie denkt nach, wirkt aber nicht gerade begeistert von dieser Idee.
»Wenn du dich mal rauszoomst und dir vorstellst, dass alles möglich ist. Also, ich meine alles. So ganz prinzipiell. Ist dann nicht auch jedes Gefühl zu jeder Zeit möglich? Das meine ich.« Wir schweigen und überlegen. Ich finde keine Antwort darauf.
Also klären wir mal die erste Frage: Was ist Leichtigkeit überhaupt?
Das Gefühl von Leichtigkeit, das ist für mich: auf der Landstraße an einem schönen Sommertag das Fenster runterzukurbeln, das Radio lauter zu drehen und aus voller Lunge mitzusingen. Mit einem Eis in der Hand durch die Kleinstadt zu marschieren, mit Freunden zusammen zu sein und aus tiefstem Herzen zu lachen, die Zeit zu vergessen, während ich mich richtig amüsiere und kein Gefühl dafür habe, wie schnell der Abend gerade vergeht. Aufs Meer zu sehen und meinen Blick in den Wellen zu verlieren, auf denen sich das Sonnenlicht glitzernd bricht. Nicht aufs Handy zu sehen, nicht darüber nachzudenken, wie die eigene Außenwirkung ist. Mich so richtig wohlzufühlen. Im Moment zu sein. Das Leben zu genießen. Zu wissen, dass mich gerade nichts aus der Ruhe bringen kann. Ein anlassfreies Glücksgefühl von Zufriedenheit.
Wenn ich das so beschreibe, habe ich sofort das Gefühl, dass mich diese Bilder überkommen, dass ich mich wirklich leichter fühle. Als hätte ich mich in diese Situationen hineintransportiert. All diese Momente haben gemeinsam: keine Termine und gute Gesellschaft, viel Zeit, ein entspannter Kopf, die Abwesenheit von Stress und vollkommen im Moment verankert zu sein. Wie schön wäre es, wenn ich alles in meinem Leben mit diesem Grundgefühl angehen könnte. Aber Leichtigkeit in schönen Momenten ist einfacher als in herausfordernden.
Für viele hat die Pandemie eine tiefe und unerschütterliche Sehnsucht nach Leichtigkeit entstehen lassen. Doch vieles hält uns davon ab, sie zu fühlen: Verantwortung, Probleme, Herausforderungen, ungeplante Situationen. Funktionieren, den Erwartungen anderer entsprechen. Ein übertrieben ausgeprägtes Pflichtgefühl oder ein stark perfektionistisches Ich. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das Gefühl, gerade nicht man selbst zu sein. Dieser innere Druck, was man noch alles tun muss. Etwas tun müssen – statt etwas tun wollen. Tausend To-dos, quengelnde Kinder, Liebeskummer. Das Gefühl, es niemandem Recht machen zu können, gefangen im Hamsterrad, immer nur hinterher zu sein, aber nie vor den Dingen. Manchmal ist das Leben eine einzige Aufgabe.
Jeder erlebt andere Herausforderungen, eingebettet in völlig unterschiedliche Leben. Es gibt Menschen, die fürsorgliche Eltern oder einen liebevollen Partner haben, die immer da sind. Andere, die ganz auf sich allein gestellt sind. Mit unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen stehen einem im Leben ganz verschiedene Möglichkeiten offen. Männer haben es grundsätzlich einfacher als Frauen, White und Pretty Privilege sind Realität. Jeder von uns startet an einer anderen Startlinie ins Leben, manche bei minus zweihundert. Chronische Krankheiten, finanzielle Belastungen, existenzielle Probleme, es gibt viele Gründe, das Leben nicht leicht nehmen zu können. Zu glauben, alle hätten die gleichen Möglichkeiten und Chancen, ist illusionär.
Als Gefühl ist eine gewisse Leichtigkeit auch nicht richtig greifbar. Wenn wir näher unter die Lupe nehmen wollen, was Leichtigkeit auslöst, müssen wir vielleicht erst einmal klären: Können wir ein leichteres Leben erlernen?
Zuallererst einmal sind wir das, was wir uns als Kinder über das Leben eingeprägt haben. Ein Teil eingekerbt in die Festplatte, teilweise im Laufe des Lebens durch unser Umfeld gelernt. Alles, was wir erleben, hinterlässt etwas in uns. Wir bewegen uns auf den immer gleichen Pfaden in unserem Gehirn, sehen die Welt so, wie wir sie eben schon immer sehen. Quasi alle Gedanken von heute haben wir gestern auch schon gedacht.
Hier kommt etwas Schönes namens Neuroplastizität ins Spiel, das ich kurz einwerfen möchte: Unser Gehirn ist erstaunlich anpassungsfähig. Ähnlich wie ein Muskel kann es sich verändern, je nachdem, wie es benutzt wird. Die Nervenbahnen in unserem Gehirn können wir immer wieder neu anpassen und ausbauen. Ich stelle mir da Trampelpfade im hohen Gras beim Wandern vor, die erst so richtig begehbar sind, wenn sie über längere Zeit eingetreten wurden. Manchmal dauert das eine Weile. Wir haben alles im Leben irgendwann zum ersten Mal gedacht.
Also muss es ja so sein: Das Leben leichter zu nehmen, also anders zu reagieren als bisher, kann man durchaus lernen. Wir entscheiden, wie wir etwas sehen, fühlen, wie wir die Dinge wahrnehmen. Meine Persönlichkeit kann ich nicht ändern, die bleibt. Aber wie ich mit Situationen umgehe, ob ich nervös reagiere oder ruhig bleibe, gelassener, ausgeglichener bin, das kann ich beeinflussen. Mit meinem Denken und Handeln kann ich arbeiten. Leichtigkeit und auch Glück sind keine Glückssache, sondern das Ergebnis deiner eigenen Entscheidungen, Gedanken und Handlungen. Die Positive Psychologie beschäftigt sich genau mit diesem Thema.
Es gibt viele Studien, die belegen, dass eine lebensbejahende Einstellung viele körperliche und gesundheitliche Vorteile mit sich bringt: Ein längeres Leben, weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, positive Emotionen stehen mit einer erhöhten Aktivität des Immunsystems in Zusammenhang, einer höheren Schmerztoleranz oder mit besserem Schlaf.[1] Schlafstörungen zum Beispiel können einem immens die Leichtigkeit nehmen. Im Schlaf verarbeitet der Kopf Erlebtes und legt Erinnerungen an. Lohnt sich also doppelt, sich damit zu beschäftigen.
Für mich habe ich ein paar Grundpfeiler, die es mir überhaupt erst erlauben, das Leben leicht zu nehmen. Das sind vor allem auf den ersten Blick völlig banale Gewohnheiten: Ich esse gesund, gehe täglich an die frische Luft, räume jeden Abend kurz auf, stehe früh auf, bin möglichst wenig am Handy, treibe Sport. Denn eine intakte Gesundheit macht einem das Leben definitiv leichter.
Es gibt bei allem einen kurzfristigen und einen langfristigen Effekt. Es hilft, nicht nur auf kurze Sicht zu denken, sondern zu überlegen, was nachhaltig das Leben leichter machen könnte. Das stelle ich mir manchmal wie den Appetit auf einen Burger vor, der mich kurzfristig glücklich, aber langfristig nicht gesünder macht. Gibt es natürlich trotzdem ab und zu. Aber die Metapher passt: Ich kann besser kurz etwas Unangenehmes erledigen, das auf lange Sicht alles einfacher macht, als mich lange zu ärgern. Jetzt kurz Sport, dafür im Alter keine Rückenschmerzen. Bewegung hat dabei einen doppelt guten Effekt, denn sie schafft einerseits die Voraussetzung für eine langfristige körperliche Gesundheit und macht andererseits direkt im Moment etwas leichter. Durch solche Gewohnheiten, an die man sich wirklich routiniert hält, erschafft man sich die Möglichkeit, insgesamt zufriedener, gesünder, fitter, leistungsfähiger, ausgeglichener und am Ende glücklicher zu sein. Klingt alles nicht weiter kompliziert, richtig? Ist ja nicht so, als würde man Japanisch lernen müssen. Bis auf die Tatsache, dass das natürlich keine Kleinigkeiten sind, sondern tägliche Arbeit, die Zeit und manchmal auch Überwindung erfordert. Grundvoraussetzungen eben.
*
In Lissabon sitze ich letzten Dezember in einem Café und werde von Licia angesprochen, weil sie Vom Glück, allein zu sein gelesen hat und sich zu mir setzt. »Ich fühle mich immer leicht, wenn ich in Bewegung komme. Also laufe, gehe. Ich bin den Jakobsweg gelaufen von Santander nach Santiago de Compostela und dann noch mal den Fischerweg in Portugal runter, direkt an der Küste entlang, mit Blick aufs Meer. Dabei wurde ich so richtig frei in meinem Kopf und klar. Diese Klarheit ist für mich Leichtigkeit«, erzählt sie mir. »Meine Füße haben gebrannt, irgendwann habe ich meine Wanderschuhe weggeschmissen und nur noch Turnschuhe getragen. Hat sich leichter angefühlt. Ich hatte so eine Sehnsucht danach. Und dort, auf diesem staubigen Weg, habe ich sie endlich wieder gefühlt.« Ich nicke. Kann ich sehr gut nachfühlen. Bewegung löst etwas, auch in mir.
*
Ich reibe mir zu Hause in meinem Wohnzimmer meine Schläfen, diese kommende Abgabe meines nächsten Buches macht mir Druck. Meine guten Gewohnheiten habe ich in diesem Moment alle links liegen lassen, keine Zeit. Alles an meinem Körper fühlt sich zentnerschwer an. Wie ein schwerfälliges Nilpferd trotte ich zwischen Kühlschrank und Schreibtisch hin und her, meine Augenlider hängen mir so tief, dass ich die unordentliche Küche vor mir kaum scharf stellen kann. Ich brauche Schlaf. »Mach dir keinen Druck!«, lese ich online, als ich kurz von meinem Weg abkomme und mich erwische, wie ich nach Tipps zu Schreibblockaden suche. Ach so, danke, dann mache ich das jetzt einfach nicht mehr. Ging ja einfach.
Wir begegnen verschiedenem Druck in unserem Leben. Zwischen Abgabeterminen und Verpflichtungen ist er allgegenwärtig. Druck ist das Gegenteil von Leichtigkeit, alles, was schwer auf uns liegt, killt unsere Kreativität. Druck ist Schwere. Was liegt da manchmal so schwer auf den Schultern, dass wir nicht nur wie ich eine Schreibblockade haben, die lähmt, sondern vielleicht in einem viel größeren Rahmen uns blockiert fühlen, nicht mehr weiterwissen? Was blockiert uns und macht uns solche Schwere? Muss das gerade so sein? Mache ich mir diesen Druck nicht eigentlich nur selbst? Vertraue ich vielleicht nicht in meine Fähigkeiten? Und kann ich ihn mir einfach von meinen Schultern »runterschütteln«?
Ich denke an Licia in Lissabon und will es ihr gleichtun, ich muss in Bewegung kommen. Ich glaube, ich muss mal raus. Meinen Kopf erfrischen. Gehen. Laufen. Vielleicht ist diese Erkenntnis ein erstes Werkzeug, das ich in meinen Werkzeugkoffer packe, der mir helfen soll, wenn ich mal nicht mehr weiterweiß: Ich kann mein Empfinden beinflussen, ich entscheide selbst, wie leicht oder schwer ich etwas nehme. Ich kann mir den Druck selbst von den Schultern nehmen. »Dafür stehe ich nicht mehr zur Verfügung«, als Vereinbarung zu mir selbst. Kurz alles abschütteln. Gerade aufrichten. Auf meinen Schultern liegt jetzt nichts mehr.
Warum Pausen uns weiterbringen
Zwischen Weinbergen und Apfelfeldern stelle ich auf der kleinen Terrasse in den Bergen von Südtirol meinen Kaffee ab und schiebe mit der Fußspitze den Holzstuhl zurück, um mich auf ihn fallen zu lassen. Ich atme und sehe ein paar Minuten still vor mich hin, bevor ich meinen Laptop aufschlage. Es ist noch früh an diesem Morgen im Mai, das Haus hinter mir ganz still. Vor mir Grün und Blau, die sich abwechseln. Die Berge mit schneeweißen Spitzen erheben sich eindrucksvoll um mich herum. Ich schirme meine Augen vor der Sonne ab, um nicht geblendet zu werden. Als Gott Südtirol erschaffen hat, muss er einen wirklich besonders guten Tag gehabt haben.
Noch in der letzten Woche habe ich in einer Schreibblockade gesteckt, die mich unheimlich frustrierte. Ich wusste noch nicht einmal, was mich blockierte. Ich war wütend auf mich, wütend darauf, dass mir das, was mir sonst Spaß bereitet, gerade so schwerfiel. Mein Schädel brummte. Es fühlte sich an, als würde es einfach nicht weitergehen. Ich stand innerlich vor einer Mauer, die immer höher wurde. Konnte mich tagsüber nicht konzentrieren und nachts nicht schlafen. Wenn mich etwas sehr beschäftigt und ich es nicht lösen kann, zeigt sich das immer daran, dass ich mich nachts nur wild herumwälze und nicht in den tiefen Schlaf finde. Mit dröhnenden Kopfschmerzen stand ich jeden Tag auf. Nichts fühlte sich leicht an. Der Abgabetermin des Buches saß mir bedrohlich im Nacken. Wenn man Sachen muss, dann gehen sie nicht wie von selbst und mit Leichtigkeit von der Hand, wenn man sie darf, schon viel eher. Oder?
Aber ich musste das hier nicht, ich durfte. Was lähmte mich dann so? Mein Kopf war wie verknotet, unruhig, kein Gedanke, den ich fasste, kam mir schlüssig vor. Ich war so genervt, ich wurde richtig wütend auf mich selbst. Also habe ich meine Tasche gepackt und bin einer Einladung in die Berge gefolgt. Sie kam aus Südtirol und relativ unverhofft. Eine Runde von Journalistinnen sollte die Gegend rund um das Thema »Workation« vorgestellt bekommen, das passte mir aktuell ganz gut.
Die Pandemie hat neue Arbeitskonzepte erst nötig gemacht. Sie hat angestoßen, dass wir uns vernetzen, auch wenn wir uns nicht treffen können. »Müssen wir uns wirklich sehen? Können wir auch von woanders arbeiten? Und wo wäre ein guter Platz dafür, der meine Kreativität oder Konzentration gerade wirklich fördert?«, stand in der angehängten Pressemitteilung. Südtirol fand, das war Südtirol. Workation meint dabei, arbeiten mit runterkommen zu verbinden, mit der Kraft der Natur wieder aufzutanken und neue Inspiration zu finden. Also habe ich mir meine Arbeit geschnappt und bin raus in die Berge gefahren. Mit dem Zug erst nach München und dann mit dem Mietwagen über den Brenner bis nach Tisens.
In jeder Reihe zwischen den grünen Apfelreben sind Netze aufgestellt, die bald aufgespannt werden, um die Apfelernte vor möglichem Hagel zu schützen. Noch sind sie geschlossen und geben den Blick auf die Reben frei. Die Ernte beginnt erst im August und geht bis in den November hinein. Hier ist es so ruhig, dass ich kurz vergesse, worüber ich zuvor nachgedacht habe, und nur die Stille genieße. In der Großstadt sind meine Gedanken dauerhaft von einem leisen Smog aus Autos, aus Menschen, aus fremden Gedanken übertönt.
Bevor die Tagestouren losgehen, sitze ich für mein Buch übers Alleinsein an diesem Morgen an einem neuen Kapitel über die Sehnsucht nach Berührungen, über die Einsamkeit ohne, über den Moment, wenn man sich allein auf einer Reise zum ersten Mal selbst behaupten muss. Auf der Suche nach dem nächsten Satz, vielleicht dem nächsten Absatz, einer Überleitung, lasse ich den Blick über das Tal schweifen, das man von hier oben nur erahnen kann. Die umliegenden Berge und alles darunter sind in einen schattigen Dunst getaucht, als würde die Sonne sich nur kurz aus zurückgelassenen Nebelschwaden herausschälen. So weit oben wird man dafür mit klarer Luft und schönstem Morgenlicht belohnt. Ich bin gestern Abend in der Dämmerung die Serpentinen hochgefahren, zu dieser kleinen Unterkunft auf halbem Weg auf den Pass, die sich aufs Arbeiten und Abschalten in den Bergen spezialisiert hat.
Sarah, die Besitzerin der Unterkunft, die sich kurz mit einem Kaffee neben mich setzt, erzählt mir mit leiser Stimme von der Apfelernte, von Wanderstrecken in der Nähe, die wir in den nächsten Tagen abends ausprobieren könnten, und davon, wie sie nach ihrem Studium hierher zurückgekommen ist. Südtirol ist ihre Heimat. Sie hat die Unterkunft nach ihren Großeltern benannt, Franz und Mathilde. »Das ist so zeitlos«, erzählt sie mir. Ich nicke ergriffen und denke an meine eigenen Großeltern. »Schöne Namen«, höre ich mich sagen. Sie lächelt und verschwindet barfuß wieder hinein, um das Frühstück anzurichten. Mein Kopf döst ein wenig in der Sonne vor sich hin.
Am gleichen Nachmittag erkunden wir die Gärten Trauttmansdorff bei Meran und das Schloss, in dem Kaiserin Sissi einst Urlaub machte. Ich stehe in ihrem Schlafzimmer und blicke auf die Berge vor dem Fenster. Sie umgeben mich zu jeder Zeit. Meran ist in leichten Sprühregen getaucht, und während der Rest der Gruppe anschließend in die anliegende Therme geht, bleibe ich draußen sitzen und schlage unten am Bach mein Buch auf. Nur Sekunden später kommt die Sonne raus, und ich muss mich aus meiner Jacke schälen. Wir haben die ganze Woche über fünfundzwanzig Grad. Südtirol hat über dreihundert Tage Sonne im Jahr, hier wandert man mit der Fast-Garantie auf fabelhaftes Wetter.
Wir nehmen uns jeden Tag ein paar Stunden Zeit, um etwas in der Gegend zu erleben: Verbringen eine Mittagspause bei einem veganen Kochkurs in einem Kräuterhof (so gesund und ausgewogen habe ich sicher ein Jahrzehnt nicht mehr gegessen), lernen bei einer Apfelführung etwas über den Anbau in der Region (mindestens jeder zehnte Apfel in Deutschland stammt aus Südtirol, weil hier das perfekte Klima für den Anbau herrscht), arbeiten einen Vormittag in einem anderen Workspace (einer alten Kaserne in Vinschgau), verkosten Wein bei Franz, dem selbst ernannten Vinosophen, der uns seine Lebensweisheiten mitgibt (»Wissenschaft existiert nur, um Halt im Leben zu haben«, »Es ist auch schön, wenn man etwas nicht hat«, »Das, was man im Leben erreichen muss, ist, sich selbst kennenzulernen. Sonst nichts.«) Mein Dokument bleibt weiterhin leer. Aber nachts schlafe ich tief und fest.
Als ich Mitte der Woche neben Sarah und den anderen auf der Laugenalm stehe und mir der Schweiß von der Stirn rinnt, merke ich, wie wenig fit ich gerade bin. Als ich es dennoch rauf auf den Gipfel und zum Laugensee schaffe, bin ich glücklich und stolz auf mich. Darauf, etwas geschafft zu haben. Es tut mir gut, gerade hier zu sein. Auf Berge zu klettern und sie dann wieder hinunterzurennen wird zu meiner neuen Lieblingsbeschäftigung an den lauen Abenden dieser Woche. Das Gefühl, wenn Adrenalin einen durchströmt, wenn man ganz oben steht, auf einem Gipfel auf die winzige Welt zu den eigenen Füßen blickt, und dann losrennt, einfach rennt, ist unbeschreiblich.
Die frische Luft und die Unternehmungen kurbeln in den darauffolgenden Tagen meine Gedanken an: Tatsächlich merke ich, dass ich in weniger Zeit mehr schaffe, wenn ich nur ein paar Stunden des Tages konzentriert am Laptop sitze, weil ich das Ziel habe, dass ich abends noch einmal rauswill, meine vier bis sieben Kilometer wandern.
Am letzten Morgen in Südtirol gehen wir mit Berta Waldbaden, sie bietet die Touren jeden Freitag hier in Tisens an. Ich war noch nie zuvor aktiv in einem Wald, um mich »aufzuladen«, und weiß nicht, was mich erwartet. Ganz langsam gehen wir in den Wald hinein, jede für sich. Am Ende des Weges wartet Berta auf uns. »Im Wald zwei Wege boten sich mir dar/ich ging den, der weniger betreten war./ Dies veränderte mein Leben. Das ist von Robert Lee Frost«, rezitiert sie, als wir alle bei ihr angekommen sind, und zeigt auf einen Pfad, der vom Hauptweg abgeht, direkt in das Dickicht hinein. Unter unseren Turnschuhen knacken die Äste, die Geräusche des Dorfes, wie die Kirchenglocken, werden immer mehr verschluckt, je tiefer wir in den Wald eintauchen. Auf einer kleinen Lichtung, die mit Moos bewachsen ist, halten wir an und setzen uns im Schneidersitz hin. »Halt mal kurz an«, sage ich leise, wie zu mir selbst, und mein Kopf schaltet in Stand-by. Ich streiche mit den Händen durch den grünen Flaum, der mich umgibt. Es ist warm und weich, fast flauschig.