Von der Kürze des Lebens · Vom glücklichen Leben - Seneca - E-Book

Von der Kürze des Lebens · Vom glücklichen Leben E-Book

Seneca

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein langes glückliches Leben – das ist der größte Wunsch vieler Menschen. Der Schlüssel dazu, zeigt der Philosoph Seneca, liegt in einem selbst. Jenseits aller schnelllebigen Umgebungen ist einzig die innere Haltung entscheidend. Wer seine Zeit richtig nutzt, für den ist das Leben nie zu kurz. Beeinflusst vom stoischen Gedankengut, rät der römische Philosoph, dem Leben und Tod mit Genügsamkeit, Weisheit und Gleichmut zu begegnen. Nur so kann ein erfülltes, glückliches Leben gelingen. – Mit einer kompakten Biographie des Autors.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 141

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Seneca

Von der Kürze des Lebens. Vom glücklichen Leben

Reclam

Lateinische Originaltitel:

De brevitate vitae | De vita beata

 

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: Sunny Celeste / Alamy Stock Photo

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962126-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020695-9

www.reclam.de

Inhalt

Von der Kürze des Lebens

Anmerkungen

Nachwort

Vom glücklichen Leben

Anmerkungen

Nachwort

Zeittafel

Von der Kürze des Lebens

 

Aus dem Lateinischen übersetzt und mit einem Nachwortvon Marion Giebel

1

Die meisten Menschen, mein lieber Paulinus, beklagen sich über die Missgunst der Natur: Nur für eine kurze Spanne Zeit werden wir geboren, und diese uns zugestandene Frist läuft so rasch, ja rasend schnell ab, dass das Leben die Menschen, mit nur wenigen Ausnahmen, verlässt, während sie sich gerade im Leben einrichten. Und über diesen allgemeinen Missstand haben nicht nur, wie man meinen könnte, die große Masse und das unvernünftige Volk lamentiert, auch bei berühmten Männern hat diese Empfindung Klagen hervorgerufen. Daher rührt der bekannte Stoßseufzer des berühmtesten aller Ärzte: »Kurz ist das Leben, lang die Kunst.« Daher auch der Hader des Aristoteles mit der Natur, ein Streit, der doch gar nicht zu einem Philosophen passt: »So viel an Lebenszeit hat die Natur den Tieren gegönnt, dass sie fünf oder zehn Lebensalter verbringen dürfen, während dem Menschen, obwohl er zu vielen und großen Aufgaben geschaffen wurde, eine so viel engere Grenze gezogen ist.«

Aber nein, wir haben keine zu geringe Zeitspanne, sondern wir vergeuden viel davon. Lang genug ist das Leben und reichlich bemessen auch für die allergrößten Unternehmungen – wenn es nur insgesamt gut angelegt würde. Doch sobald es in Verschwendung und Oberflächlichkeit zerrinnt, sobald es für keinen guten Zweck verwendet wird, dann spüren wir erst unter dem Druck der letzten Not: Das Leben, dessen Vergehen wir gar nicht merkten, ist vergangen. So ist es nun einmal: Wir haben kein kurzes Leben empfangen, sondern es kurz gemacht; keinen Mangel an Lebenszeit haben wir, sondern gehen verschwenderisch damit um. Es ist wie mit reichen und königlichen Schätzen: Sobald sie an einen schlechten Herrn kommen, sind sie im Nu vergeudet, während ein auch noch so bescheidenes Vermögen, wenn es einem tüchtigen Verwalter anvertraut ist, durch Nutzung wächst. So bietet unsere Lebenszeit dem, der sie gut einteilt, genügend Raum.

2

Wozu beklagen wir uns über die Natur? Sie hat sich doch gütig gezeigt: Das Leben ist lang, wenn du es zu nutzen verstehst. Doch den einen hält unersättliche Habgier gefangen, den anderen seine geschäftige Betriebsamkeit mit völlig überflüssiger Plackerei. Der wieder ertrinkt im Wein, der andere dämmert im Nichtstun dahin, wieder einen anderen zermürbt sein Ehrgeiz, mit dem er sich stets von der Meinung der anderen abhängig macht. Den nächsten führt die rastlose Begierde, Geschäfte zu machen, durch alle Länder, über alle Meere, in der Hoffnung auf Profit. Manche treibt die Begeisterung für den Kriegsdienst um: Ständig sind sie darauf aus, entweder andere in Gefahr zu bringen, oder sie bangen wegen Gefahren für sich selbst. Wieder andere reiben sich auf in freiwilliger Knechtschaft im Dienst für undankbare Herren. Viele hat das Streben nach fremdem Glück oder die Sorge um das eigene völlig vereinnahmt. Die meisten aber, die kein festes Ziel verfolgen, hat ihre Haltlosigkeit, die sie schwankend, unstet und mit sich selbst zerfallen macht, von einem Unternehmen zum andern getrieben. Manche finden an nichts Gefallen, worauf sie ihren Kurs richten könnten, vielmehr werden sie matt und schläfrig von ihrem Schicksal eingeholt. Daher kann ich nicht an der Wahrheit dessen zweifeln, was ein großer Dichter im Ton eines Orakels verkündet hat:

Nur ein kleiner Teil des Lebens ist es, den wir leben.

Die gesamte übrige Spanne ist nicht Leben, sondern Zeit. Von allen Seiten bedrängen und umlagern die Laster die Menschen und lassen es nicht zu, dass sie sich wieder aufrichten oder die Augen zum Anblick der Wahrheit erheben, vielmehr drücken sie die Menschen in die Tiefe und halten sie an die Leidenschaft gefesselt. Niemals steht es ihnen frei, zu sich selbst zu kommen. Wird ihnen einmal zufällig Ruhe zuteil, werden sie doch wie auf hoher See, wo auch nach dem Sturm noch Wellenbewegung herrscht, hin und her geworfen, und niemals haben sie vor ihren eigenen Begierden Ruhe. Glaubst du, ich spreche von denen, deren misslicher Zustand jedem klar ist? Schau dir aber diejenigen an, zu deren Glück und Erfolg man sich herbeidrängt: Sie ersticken geradezu an ihren Gütern. Für wie viele ist der Reichtum eine Bürde! Wie vielen saugt ihre Begabung als Redner geradezu das Mark aus, da sie sich tagtäglich bemüht fühlen, ihr Talent unter Beweis zu stellen! Wie viele sind blass und bleich von ihren pausenlosen Vergnügungstouren! Wie vielen lässt der Schwarm von Klienten, der sie umdrängt, kein bisschen Freiheit mehr! Ja, nimm sie dir nur alle vor – vom Niedrigsten bis zum Höchsten: Der eine braucht einen Rechtsanwalt, ein anderer ist zur Stelle, der ist angeklagt, der verteidigt ihn, ein dritter ist der Richter. Keiner aber ist für sich selbst da, einer verschleißt sich für den andern. Frag nach denen, deren Namen man auswendig kennt: Du wirst sehen, sie unterscheiden sich nur dadurch, dass der ein Anhänger von jenem ist, der wieder von einem anderen. Sich selbst gehört keiner. Völlig unsinnig ist daher die Entrüstung mancher Leute: Sie beklagen sich über die verächtliche Behandlung durch Höhergestellte, weil diese bei ihrer Visite keine Zeit für sie hatten. Da bringt es einer fertig, sich wegen der Überheblichkeit eines anderen zu beklagen, während er doch für sich selbst niemals Zeit hat! Der andere hat doch für dich, wer du auch seiest, immerhin einen Blick gehabt, wenn auch von oben herab, er hat dir Gehör geschenkt, hat dich an seine Seite geholt – und dabei hast du es nie für wertgehalten, dich selber anzusehen oder anzuhören. Daher hast du keinen Grund, mit jemandem wegen solcher Gefälligkeiten abzurechnen: Als du sie nämlich erwiesen hast, ging es dir schließlich nicht darum, mit einem anderen zusammen zu sein, du konntest nur nicht mit dir selbst zusammen sein.

3

Wenn auch alle großen Geister, die jemals geglänzt haben, in diesem einen Punkt übereinstimmen: Niemals werden sie sich genug wundern können über diese Verblendung des menschlichen Geistes: Ihre Landgüter lassen die Leute von niemand in Besitz nehmen, und wenn der geringste Streit über den Grenzverlauf aufkommt, rennen sie nach Steinen und Waffen. In ihr eigenes Leben aber lassen sie andere eindringen, ja, sie führen sogar die künftigen Mitbesitzer selbst ein. Niemand findet sich, der sein Geld austeilen will, sein Leben aber – an wie viele verteilt es ein jeder! Knauserig sind sie, wenn es gilt, das ererbte Vermögen zusammenzuhalten, steht aber die Zeit auf dem Spiel, dann sind sie die größten Verschwender bei dem, worin doch einzig und allein Geiz eine Tugend wäre. Nehmen wir uns also einen aus dem Kreis der Älteren vor: »Du bist, wie wir sehen, an die äußerste Grenze des Menschenlebens gekommen: Hundert Jahre oder gar noch mehr hast du auf dem Buckel. Auf, zieh jetzt die Bilanz deines Lebens! Rechne aus, wie viel von dieser Zeit dich dein Gläubiger gekostet hat, wie viel die Geliebte, dein Vorgesetzter, dein Klient dir entzogen hat, wie viel die Streitereien mit der Gattin, die Bestrafung der Sklaven und wie viel dein geschäftiges Herumrennen in der Stadt. Nimm noch die Krankheiten hinzu, die wir uns selbst eingebrockt haben, und was ungenutzt brach liegen blieb – du wirst sehen, die Rechnung ergibt: Du hattest weniger Jahre als dein Lebensalter ergibt. Ruf dir ins Gedächtnis zurück, wann du bei einem Entschluss fest geblieben bist, wie wenige Tage so verlaufen sind, wie du es dir vorgenommen hattest, wann du überhaupt zu dir selbst gekommen bist, wann du einen ungekünstelten Gesichtsausdruck hattest, wann du innerlich ohne Aufregung warst, was du in einer so langen Lebenszeit geleistet hast, wie viele andere Menschen dein Leben ausgeräubert haben, ohne dass du merktest, was du eingebüßt hast, wie teuer dich grundloser Kummer zu stehen kam, törichte Freude, gierige Leidenschaft, schmeichlerische Unterhaltung, wie wenig dir von deiner Zeit geblieben ist. Du wirst einsehen müssen, dass du unreif stirbst.«

Was ist nun aber schuld daran? Ihr lebt so, als lebtet ihr ewig; niemals kommt euch eure Hinfälligkeit in den Sinn, nie achtet ihr darauf, wie viel Zeit schon vergangen ist. Als ob ihr sie in Fülle und im Übermaß hättet, verschwendet ihr sie. Dabei ist doch vielleicht gerade der Tag, den ihr für irgendeinen Menschen oder irgendeine Sache dahinschenkt, der letzte Tag. Alles fürchtet ihr wie Sterbliche, alles wollt ihr aber haben wie Unsterbliche. Von sehr vielen wirst du hören können: »Von meinem fünfzigsten Lebensjahr an will ich mich ins Privatleben zurückziehen, das sechzigste wird mich von allen Verpflichtungen entbinden.« Doch wer bürgt dir schließlich dafür, dass du so lange lebst? Wer wird es gestatten, dass alles so verläuft, wie du es dir einteilst? Schämst du dich nicht, nur die kümmerlichen Reste deines Lebens für dich zu behalten und für sinnvolle geistige Beschäftigung nur die Zeit zu bestimmen, die für kein anderes Geschäft mehr taugt? Es ist doch reichlich spät, erst dann mit dem Leben zu beginnen, wenn man es schon bald beenden muss! Und wie unvernünftig ist es, seine Sterblichkeit so weit zu vergessen, dass man gute Vorsätze auf das fünfzigste und sechzigste Lebensjahr verschiebt und erst in einem Alter zu leben beginnen will, das nur wenige erreichen!

4

Von mächtigen und hochgestellten Männern gibt es, wie du bemerken kannst, Äußerungen, in denen sie ihren Wunsch nach Muße aussprechen, deren Loblied singen und sie all ihren Gütern vorziehen. Sie wünschen sich bisweilen, wenn es ohne Gefahr möglich wäre, vom Gipfel ihrer Macht herabzusteigen. Denn wenn auch von außen keinerlei Beunruhigung oder Erschütterung eintritt, das Glück birgt den Keim seines Untergangs in sich.

Der verewigte Augustus, dem die Götter mehr als jedem anderen gewährten, hörte nicht auf, Ruhe für sich zu erbitten und um Befreiung von Staatsgeschäften zu ersuchen. In allen seinen Gesprächen kam er immer wieder auf diesen Punkt zurück: seine Hoffnung auf Muße. Mit diesem zwar trügerischen, aber doch süßen Trost, dass er sich irgendwann einmal selbst gehören würde, machte er sich seine Arbeitslast erträglich. In einem Brief an den Senat hatte er versprochen, seine Zurückgezogenheit werde durchaus nicht ohne Würde und nicht im Gegensatz zu seinem bisherigen hohen Ansehen stehen. Ich fand darin folgende Worte: »Freilich ist es schöner, solches zu halten als es nur zu versprechen. Doch hat mich das Verlangen nach der so sehnlich erwünschten Zeit so weit gebracht – da ja die Freude an der Verwirklichung bis jetzt noch auf sich warten lässt –, mir wenigstens durch die Schilderung dieses angenehmen Zustands einigen Genuss vorwegzunehmen.« So großartig erschien ihm die Muße, dass er sie, da er sie nicht verwirklichen konnte, in Gedanken vorwegnahm. Er, der sah, wie alles von seiner Person abhängig war, der über das Geschick von einzelnen Menschen und ganzen Völkern zu entscheiden hatte, für ihn war es die höchste Freude, an den Tag zu denken, an dem er seine Größe ablegen könne. Er wusste nur zu gut, wie viel Schweiß ihm jenes Glück abverlangte, das über die ganze Welt hin strahlte, wie viel geheime Sorgen sich dahinter verbargen. Zuerst gegen seine Mitbürger, dann gegen seine Amtsgenossen, zuletzt gegen seine Verwandten sah er sich zur Entscheidung mit den Waffen gezwungen und hat Blut vergossen zu Wasser und zu Lande. Durch Makedonien, Sizilien, Ägypten, Syrien, Kleinasien und nahezu an alle Gestade wurde er im Krieg getrieben und hat die Heere, müde des Mordes an römischen Mitbürgern, in auswärtige Kriege geführt. Während er die Alpenländer befriedete und die Feinde bezwang, die mitten im Frieden in das Reich eingedrungen waren, während er über Rhein, Euphrat und Donau hinaus die Grenzen ausdehnte, da wurden in Rom selbst die Dolche eines Murena, Caepio, Lepidus, Egnatius und anderer Verschwörer gegen ihn geschärft. Noch war er ihren Mordanschlägen nicht entronnen, da waren es die eigene Tochter und so viele adlige junge Männer, durch Ehebruch wie durch einen Treueid an sie gebunden, die den schon vom Alter Gebeugten in Schrecken versetzten: Noch mehr und abermals war eine Frau in Verbindung mit Antonius zu fürchten. Diese Eiterbeulen hatte er mitsamt den Gliedern abgeschnitten, doch neue wuchsen nach. Wie bei einem Körper, der mit allzu vielem Blut gefüllt ist, brach immer wieder eine andere Stelle auf. Daher wünschte er sich Ruhe. In der Hoffnung und im Gedanken an sie fand er Erholung in seinen Mühen. Das wünschte sich ein Mann, der selbst die Macht hatte, die Wünsche anderer zu erfüllen.

5

Marcus Cicero musste sich herumschlagen mit Männern wie Catilina und Clodius, dazu solchen wie Pompeius und Crassus, teils offenen Feinden, teils zweifelhaften Freunden. Dabei geriet er zugleich mit dem Staat ins Wanken, hielt ihn im Sturz noch auf und wurde zuletzt doch mitgerissen, weder ruhig im Glück noch gefasst im Unglück – wie oft verwünschte er gerade sein Konsulat, das er nicht ohne Grund, aber ohne Ende gelobt hatte! Wie weinerlich drückt er sich aus in einem Brief an Atticus, damals, als Pompeius, der Vater, bereits besiegt war, sein Sohn aber in Spanien die gebrochene Heeresmacht wieder aufrichten wollte! »Was ich hier tue«, sagt er, »willst du wissen? Nun, ich sitze in meinem Tusculanum, nur zur Hälfte ein freier Mann.« Er fügt noch anderes hinzu, worin er über sein Leben in der Vergangenheit jammert, über die Gegenwart klagt und an der Zukunft verzweifelt. Nur zur Hälfte frei nennt sich Cicero. Doch wird sich ein Philosoph wahrhaftig nie zu einer solch niedrigen Bezeichnung herabwürdigen, niemals wird er ein nur halb freier Mensch sein, da er doch immer über eine unumschränkte und unerschütterliche innere Freiheit verfügt. Unabhängig und sein eigener Herr wird er immer sein und hoch über allen anderen stehen. Denn was kann über dem stehen, der über dem Schicksal steht?

6

Livius Drusus, ein Mann voll kämpferischer Tatkraft und Energie, hatte neue Gesetze eingebracht und damit die unheilvollen Unruhen der Gracchen wieder aufleben lassen. Umdrängt von einem gewaltigen Zustrom von Menschen aus ganz Italien, überblickte er nun den Ausgang des Geschehens nicht mehr: Er hätte es weder herbeiführen dürfen, noch konnte er es, einmal begonnen, einfach treiben lassen. Da soll er sein von Anfang an ruhe- und rastloses Leben verflucht und gesagt haben, ihm allein sei nicht einmal in der Kindheit freie Zeit vergönnt gewesen. Schon als Minderjähriger und in der Knabentoga hatte er es nämlich kühn unternommen, bei den Richtern für Angeklagte einzutreten und sich dabei so wirksam auf dem Forum einzusetzen, dass einige Verurteilungen, so viel steht fest, durch seinen Einfluss aufgehoben wurden. Wohin musste sich nicht ein so frühreifer Ehrgeiz versteigen? Das lag auf der Hand, dass so viel Vorwitz und Kühnheit für ihn selbst und für den Staat zu schlimmem Unheil führen würden. Zu spät kamen daher seine Klagen, er habe keine freie Zeit gehabt, er, der von Kindheit an ein unruhiger Geist und auf dem Forum ein Querulant gewesen war. Man ist sich nicht einig, ob er durch eigene Hand geendet hat. Plötzlich brach er nämlich mit einer Wunde im Unterleib zusammen, und mancher hat Zweifel, ob sein Tod ein freiwilliger war, keiner aber, dass er zur rechten Zeit kam.

Es wäre überflüssig, noch mehr Leute zu erwähnen, die anderen als wahre Glückskinder erschienen, während sie sich selbst gegenüber die Wahrheit eingestanden: Sie verwünschten nämlich alles, was sie in all den Jahren getan hatten. Mit diesen Klagen haben sie freilich weder andere verändert noch sich selbst. Denn kaum haben sie sich durch diesen Wortstrom erleichtert, fallen sie wieder in ihre gewohnten Schwächen zurück. Wahrhaftig, so wie ihr euer Leben führt – und mag es über tausend Jahre währen –, wird es auf eine winzige Spanne zusammenschnurren. Eine solch verkehrte Lebensführung wird ganze Jahrhunderte verschlingen. Obwohl diese Zeitspanne nach dem Gesetz der Natur flüchtig dahineilt, vermag die Vernunft sie auszudehnen. Euch aber muss sie freilich wie im Flug vergehen. Denn ihr ergreift sie nicht, haltet sie nicht fest, bringt dieses Flüchtigste aller Dinge nicht zum Verweilen, nein, ihr lasst sie davonlaufen, wie etwas, das entbehrlich ist und sich nach Belieben zurückholen lässt.

7