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"Ich heiße Theresa, bin gestern 24 geworden. Habe beobachtet, wie viel organisatorisches Talent ich darauf verwende, noch mehr Zeit für mich zu bekommen, um meine Entspannung und mein Glück zu hegen. Mein Ego zu streicheln und auf der Stelle zu stehen. Schluss damit. Werde ab heute 365 gute Taten vollbringen." So begann Theresas Blog im Januar 2010, der anschließend für großes Aufsehen sorgte. In diesem Buch schildert sie ihr Experiment. Das Jahr der guten Taten hat nicht nur die Welt um sie herum ein Stückchen heller werden lassen, sondern auch sie persönlich verändert. Ihr Fazit: Wer Gutes tut, darf auch Gutes erwarten. Höchst unterhaltsam und zur Nachahmung empfohlen. Einige Beispiele: - Einen Fehler nicht anrechnen - Beim Umzug helfen - Lächeln - Um Verzeihung bitten - Ich pflanze einen Baum - Sinfonie des Lobes - Liebe verschwenden - Ich bilde mich weiter - Für andere Mitdenken - Spenden - Verleihe mein Fahrzeug
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Seitenzahl: 224
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Über die Autorin
Theresa Voigt ist Logopädin und Autorin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn Emilio in einem Dorf im Erzgebirge. Mehr über Theresa und ihr Experiment unter: www.365guteTaten.de
Theresa Voigt
Von einer,
die auszog,
Gutes
zu tun
Wie 365 gute Taten mein Leben veränderten
FÜR KATRIN
Von allem, was mir gehörte,blieb mir nur das Verschenkte.
Gertrud von le Fort
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Vorwort
Ein brennendes Brautkleid, Flutwellen und Übelkeitsattacken. Bodylotion für Bibliothekarinnen und Kinokarten für Fremde. Verliebte im Altersheim und ein Vater in der Midlife-Krise, der sich die Haare färben will. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie gehören zu meiner Geschichte der guten Taten. Aber es geht um viel mehr als witzige Storys. Es geht um die Liebe zum Leben und die Liebe zu Menschen. „Von einer, die auszog, Gutes zu tun“ soll eine Ermutigung zum Handeln sein.
Allerdings ist dieses Buch weder eine perfekte Anleitung, noch ein moralisches Manifest. Vieles ging schief in meinem Jahr der guten Taten. Und viel zu oft wünschte ich mir, es würde doch mehr für mich dabei herauskommen. Dabei sollte es genau darum nicht gehen …
Oft werde ich gefragt, wie ich auf die Idee gekommen bin, 365 gute Taten zu tun. Gern erkläre ich es mit einer Geschichte. In einem Songtext meiner Lieblingsband Kurfürst heißt es: „Ich bin so heiß wie Ingwertee, wenn ich um zehn den Rasen mäh …“ Es geht um einen Menschen, der sich in sein Privates zurückgezogen hat und dort sein beschauliches Leben genießt. Das Lied beschreibt quasi meinen Alltag vor dem Experiment. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich um den Jahreswechsel keinen Rasen mähte, sondern vor dem Kaminfeuer Pfefferkuchen aß. Ach, war das gemütlich. Und so bequem. Und so langweilig!
Vieles ging mir durch den Kopf: War das das Leben, zu dem ich berufen war? Wollte ich, dass die versammelte Mannschaft an meinem Totenbett anstimmt: „Sie trank am liebsten Salbeitee, dann tat die Welt ihr nicht mehr weh“? Bitte nicht! Außerdem fühlte ich mich durch meine Erziehung und meinen Glauben herausgefordert, einen Unterschied zu machen. So beschloss ich, im kommenden Jahr jeden Tag eine gute Tat zu tun und darüber zu bloggen. Ohne zu wissen, dass diese Entscheidung mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde.
Nachdem der Blog viele Menschen ermutigt hat, wünsche ich mir, dass der Gute-Taten-Gedanke durch dieses Buch noch weitere Kreise zieht. Deshalb habe ich die besten Blogbeiträge und die Geschichten dahinter hier festgehalten. (Leider können nicht alle 365 guten Taten abgedruckt werden. Dafür hätte der Platz nicht ausgereicht und manche guten Taten wiederholen sich.)
Wie im Blog möchte ich auch im Buch die Privatsphäre von Personen (vor allem die meiner Patienten) schützen. Deshalb habe ich die Namen und Details im Umfeld und Krankheitsbild geändert. Da ich im Blog meine Leser immer mit „du“ angesprochen habe, führe ich diesen persönlichen Ton auch im Buch fort.
Ich hoffe, dass meine Geschichte auch dich ermutigt, Gutes zu tun. Vielleicht nicht jeden Tag, aber einfach öfter. Also dann: Pfefferminztee austrinken und loslegen, äh … loslesen.
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Januar: Neues Jahr, neue Chance
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“Erich Kästner
Viel Zeit, viel Ruhe, viel Freiheit – so lauten meine drei Lebensziele. Vollständigkeitshalber ergänze ich sie durch: viele Spaghetti auf meinem Teller, viele Sonnenstunden in meinem Bikini und viele Gratulanten zu meinem Geburtstag. Der war übrigens gestern. Ich bin 24 geworden. Und um eine Erkenntnis reicher. So kann’s nicht weitergehen. Ich habe es satt, mich immer nur um mich selbst zu drehen. Es steckt mehr in mir!
Daher mein Vorsatz: Ich werde 365 gute Taten vollbringen!
Was ist eigentlich eine gute Tat? Gibt es wahrhaft selbstlose Taten? Werde ich etwas verändern können? Ich bin neugierig …
Mit diesen Gedanken begann mein Blog auf der Internetseite „365gutetaten.de“. Es war einer dieser typischen Nächstes-Jahr-wird-alles-besser-Silvester-Vorsätze. Ich ließ das vergangene Jahr in Gedanken Revue passieren, dankte und fragte Gott: „Was ist nächstes Jahr wichtig?“ Und so kam mir die Idee.
Im Vorfeld versuchte ich, ungefähr abzuschätzen, wie groß das Risiko sein könnte zu scheitern und wie viel Zeit und Geld es mich kosten würde. Auf Anhieb fielen mir eine Handvoll guter Taten ein. Da zögerte ich nicht lange, sondern beauftragte gleich meinen Mann mit der Erstellung einer Internetseite. Ich ließ meinen Geburtstag verstreichen und begann am ersten Arbeitstag im Jahr, dem 4. Januar, mit den guten Taten.
Ehrlich gesagt, war das ein Riesenschritt für mich. Wer mich kennt, weiß, dass ich Planbarkeit liebe. Meine Risikofreude ist in etwa so groß wie mein Wunsch, in unsichere Aktien zu investieren. Jeden Montag erstelle ich einen Essensplan für die gesamte Woche. Ich buche meinen Urlaub nie Last-Minute und das Mutigste, das ich jemals gewagt habe, war, so nah an eine Spinne heranzutreten, dass ich sie einsaugen konnte.
Aber diese erste Motivation ist regelrecht verzaubernd. Ich glaube, man darf diese „erste Liebe“ bei Ideen, die einen so richtig aus dem Trott reißen, nicht verstreichen lassen. Womöglich hätte ich das Jahr der guten Taten nie begonnen, wenn ich noch eine Woche gegrübelt hätte.
Bei allem Tatendrang war mir jedoch klar: Es war ein gewagtes Experiment. Ein Abenteuer mit unsicherem Ausgang. Hätte ich gewusst, was die guten Taten alles verändern würden in meinem Leben – ich wäre total aufgeregt gewesen! Erst einmal stand ich aber klein und fast ängstlich zitternd vor der aufgeblähten Zahl: 365.
Hinzu kommt, dass ich eigentlich noch nie geschrieben hatte. Doch, ja, mit 14 habe ich dieses eine Gedicht verfasst:
Warum rufst du mich nicht an?
Mein Herz ist schon ganz bang.
Um einen Kuss von dir würd ich mich reißen,
rufst du nicht an, werd ich auf dich verzichten.
Schriftstellerisches Talent bleibt hier selbst dem gründlichsten Leser verborgen. Ich hatte schlichtweg Bock auf diesen Blog (oh wow, ich kann es immer noch!). Und wer weiß, vielleicht beginnen so die besten Dinge im Leben, wenn wir uns frei von Selbstzweifeln und Wahrscheinlichkeiten fragen: „Wozu hätte ich mal so richtig Lust?“ Und dann heißt es einfach: Versuchen. Etwas wagen. Denn meist ist diese innere Sehnsucht – die Leidenschaft für eine bestimmte Sache – ein untrüglicher Wegweiser zu unserer Bestimmung.
Ist der Mensch von Grund auf böse oder gut? Darüber streiten sich Philosophen und Theologen. Aber eins ist sicher: Ein gesunder Mensch ist von Grund auf bestrebt, das Beste aus sich herauszuholen. Etwas zu lernen. Ein Abenteuer zu meistern. Nicht nur mittelmäßig zu sein. Nicht nur, wie in meinem speziellen Fall, den größten Beitrag für die Gesellschaft darin zu sehen, 50 Cent in die Kollekte zu werfen oder pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen. Ich langweilte mich in meiner bequemen Welt. Das sollte sich schleunigst ändern. Und so begann alles nach meinem Geburtstag mit einer leckeren Torte …
In meinem Blog schrieb ich:
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Klappe die 1.
Habe heute meinen ersten Schritt in Richtung „Leben, wie es sein sollte“ getan. Großzügigerweise bestand meine gute Tat aus übrig gebliebenen Schlemmereien des gestrigen Kaffeemahls: jeweils ein Viertel einer Marzipantorte und einer Pudding-Mandarinen-Torte. Diese habe ich meinen zwei netten Kolleginnen zur Feier meines vergangenen Geburtstages mitgebracht. Was? Das hättest du auch gemacht? Dann hast du wahrscheinlich noch nie diese, diese Marzipantorte gegessen, die vermutlich nur zum Allein-vor-dem-Kühlschrank-Aufessen gebacken wurde.
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Der 2. Tag: Meine zweite Chance
Vorweg sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass ich die Frau des Drummers bin. Des Drummers der bald sehr bekannten Band „Kurfürst“. Die Band besteht aus sechs mehr oder weniger beschäftigten Studenten. Da hat natürlich niemand Zeit für so schnöde Aufgaben, wie Bewerbungsbriefe für Veranstalter zur Post zu bringen.
Ich trabe also zur Post. Versuche, mir unterwegs einzureden, dass einer der beiden Briefe den Mega-Auftritt des nächsten Jahres herbeiführt inklusive des längst überfälligen Plattenfirmaangebotes.
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Die 3. gute Tat:Mutmacher und Topflappen
Schauplatz: Ein altes, einsames, kleines Häuschen am Waldrand. Die Deckenhöhe variiert zwischen 1,70 und 1,80 Meter. Ruß quillt aus dem Ofen. Ein Hund und vier Personen teilen sich die bewohnbaren 15 Quadratmeter. Die Wäsche hängt bei eisigen minus 10 °C flatternd im Wind.
Ich besuche in meiner Rolle als Logopädin die vier einfachen aber herzlichen Bewohner mit meiner Praktikantin.
Gute Tat: Ich lobe die hilfsbereite Tochter für ihre aufopfernde Pflege an ihrem Bruder und ihrer Mutter. Mache ihr Mut, gegen allen Druck von außen ihrem liebenden Herzen zu vertrauen. Ausgang: Bin um zwei neonpinke, gehäkelte Topflappen reicher, meine Praktikantin auch (unverdient).
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Die 4. gute Tat: Ich übertreibe es
Bin in der Bibliothek und visiere mein neues „Opfer“ an: die Bibliothekarin. Als Dank für ihre nette Art und ihre freundliche Beratung entschließe ich mich, ihr ein kleines Geschenk zu machen. Kaufe im Drogeriemarkt eine Bodylotion. An der Kasse lasse ich überschwänglich die Münzen meines Wechselgeldes liegen, immerhin 30 Cent. Gehe zurück in die Bibliothek und übergebe mein Geschenk.
Auf der eisig glatten Straße strample ich mit dem Fahrrad nach Hause. Komme mir mehr als seltsam vor. Die Frau aus der Bibliothek hat auch ganz seltsam geschaut, auch die Frau im Drogeriemarkt. Wieso habe ich 30 Cent verschenkt? Und warum ausgerechnet eine Bodylotion? Scheine in einen Strudel der guten Taten geraten zu sein. Ärgere mich. Werde nie wieder in die Bibliothek gehen können.
Hochmotiviert war ich also in den ersten Tagen. Doch auch noch reichlich unerfahren. Eine Bodylotion für eine fremde Frau? In dem Gesicht der Bibliothekarin waren Verwunderung und Angst gleichermaßen abzulesen. Das sollte ja nun wirklich nicht der Sinn der guten Tat gewesen sein! Ein herber Rückschlag schon am vierten Tag.
Doch die verpatzte gute Tat brachte mich auch auf meinen ersten Geistesblitz im neuen Jahr: Eine gute Tat ist eine Tat, über die sich der Beschenkte freut. Simpel. Aber wichtig! Ich könnte demnächst 1000 Bodylotions inklusive Massagegutscheine und Duftkerzen an sämtliche deutschen Bibliotheken verschenken. Was aber, wenn das nur Verwirrung stiftet? Im Umkehrschluss bedeutet diese Definition auch, dass die gute Tat mich nicht extra etwas kosten, völlig selbstlos oder über die Maßen außergewöhnlich sein muss. Nein. Es zählt allein, dass die Tat Freude bringt. Dass sie hilft, ermutigt, ein Lächeln schenkt oder Frieden stiftet.
Deshalb möchte ich die Familie der Bodylotions auch nicht gänzlich als ungeeignet deklarieren. Mein Freund Til hat zum Beispiel schon länger den Wunsch, Ölboy beim internationalen Bodybuilder-Wettbewerb der Frauenschwergewichtsklasse zu sein. Ihm könnte ich mit einer Bodylotion eine Freude machen …
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Die 5. gute Tat: Badeschuhe
Schenke heute nur meinem Mann ein paar Badeschuhe. Alle Bibliothekarinnen können aufatmen …
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Die 6. gute Tat: Der Wille zählt
Samstagmorgen, 7:45 Uhr, im Haus meiner Eltern. Motiviert springe ich aus dem Bett. Seit gestern Mittag wütet ein heftiges B5-Tief über Mitteldeutschland, die Nachrichtensender kündigten einen regelrechten Blizzard an. Das ist meine Chance! Sicherlich müssen heute Morgen einige Personen pünktlich um acht Uhr in das Friseurgeschäft, das sich in unserem Haus befindet. Meine gute Tat? Ich will ihnen den Weg frei schippen! Ziehe mehrere Schichten dicker Winterkleidung an und stapfe mutig die Treppen nach unten …
Doch was ist das? Verwirrt reibe ich meine noch müden Augen und glotze in unsere Einfahrt: Es sind höchstens zehn Zentimeter Pulverschnee gefallen. Also gilt es keine in meterhohen Schneemassen stecken gebliebenen Friseurkunden zu befreien. Na gut. Beherzt greife ich dennoch zur Schaufel und gehe zum Gartentor hinaus.
Doch was ist das? Der Gehweg ist ja schon geräumt. Grimmig schaue ich nach oben zum Schlafzimmerfenster meiner Eltern. Da ist mir wohl jemand zuvorgekommen. Begnüge mich damit, den sicher für viele Menschen wichtigen Weg zum Hasenstall in unserem Garten frei zu schippen. Der Wille war da! Und der Wille zählt!
Nachtrag: Später belehrt mich meine Mutter, ich hätte die Stufen zum Waschhaus vergessen und sie wäre beinahe ausgerutscht. Heutzutage werden einem die guten Taten aber auch schwer gemacht.
Kaum zu glauben, aber mir kam nach dieser Tat schon wieder ein Geistesblitz: Es gibt verschiedene Gute-Taten-Empfänger-Typen! Leider hatte ich schon bei der 6. guten Tat Bekanntschaft mit Typ 1 gemacht: dem Nörgler, in diesem Fall der Nörglerin!
Unfassbar!
Vor etwa sechs Tagen hatte ich meiner Mutter erzählt, dass ich die bedeutungsvolle und über die Maßen mutige Entscheidung getroffen hatte, jeden Tag eine gute Tat zu tun. Und nun fiel ihr nichts Besseres ein, als mir mit einer Riesen-Nörgler-Keule auf die Finger zu hauen! Sie hielt mir mein Versagen unter die Nase, samt möglicher Katastrophen! Zum Glück bin ich nicht hochsensibel.
Neulich erst hatte meine Mutter am Küchentisch verkündigt, dass sie nach dem Seminar „Der rote Faden deiner Berufung“ herausgefunden habe, was ihre Rolle im Leben sei: ERMUTIGERIN (!) Ich prustete die sich gerade in meinem Mund befindliche Suppe über den ganzen Tisch und versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. Meiner Meinung nach muss sie dringend zu dem Folgeseminar gehen: „Den Faden wieder aufnehmen.“ Oder sie könnte eine Selbsthilfegruppe gründen zum Thema: „Hilfe, mein Kind ist hochsensibel, gibt es aber nicht zu!“
Fest steht: Nörgler gibt es immer. Wer eine Vision hat, darf sich von ihnen nicht verwirren oder unterkriegen lassen. Einfach in die Hände klatschen und sagen: „Dann schipp ich eben die Waschhaustreppe auch noch.“
Typ1: DER NÖRGLER
Nörgler rümpfen ihre Nase selbst bei den schönsten guten Taten. Sie erklären, warum das Geschenk oder die Tat nichts Besonderes ist und entdecken sofort Mängel. Im Extremfall sehen sie sogar rot: Diese gute Tat könnte katastrophale Folgen haben! Fest steht: Nörgler gibt es immer. Wer eine Vision hat, darf sich von ihnen nicht unterkriegen lassen.
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Gute Taten 7, 8, 9 und 10: Ein chancenreicher Sonntag
Nach einer Geburtstagsparty nehmen wir einen Umweg in Kauf und fahren ein bekanntes Pärchen nach Hause. Zum Mittag bereite ich einen lukullischen Nachtisch für meinen Mann und meine Eltern. Als meine Mutti dann in ihrer Siesta versinkt, lege ich für sie die Unterhosen meines Vaters zusammen – eine Überwindung und definitiv der Bezeichnung einer guten Tat würdig …
Am Nachmittag bauen wir mit Freunden einen überlebensgroßen Schneemann. Große und kleine Nachbarherzen schlagen höher. Ich verzichte großzügig auf das Schild „Bitte um eine Spende für die Erbauer“.
Was sollte ich tun? Mich nur für eine gute Tat entscheiden? Es scheint Tage zu geben, an denen alles möglich ist.
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Die 11. gute Tat: Drei Lassi in der Sauna
Lassi, so klärt mich die Saunabardame auf, ist ein Wellnessgetränk aus Joghurt. Bin eigentlich eine notorische Aus-der-selber-mitgebrachten-Wasserflasche-Trinkerin. Doch heute ist alles anders! Ich habe noch nicht mal die Preise der Wellnessdrinks gemessen an ihrer Ausschankgröße verglichen oder eine Statistik über die Zufriedenheit der Tester erfragt. Bestelle drei Lassi für mich und meine zwei Begleiterinnen. Überlege kurz, ob ich nicht für alle Damen aus der Sauna bestellen sollte, stoppe aber den schon bekannten Strudel der guten Taten noch rechtzeitig.
Genüsslich liegen wir mit unseren Drinks in flauschigen Bademänteln vor dem prasselnden Kaminfeuer und fühlen uns irgendwie verwegen. Meine zwei Begleiterinnen sind übrigens von meiner neuen 365-gute-Taten-Idee total begeistert. Warum wohl?
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Die 12. gute Tat: Der Kuss und wie ich die dreizehnte Tat verpasste
„Wie wäre es, wenn ich meinem 11-jährigen Patienten Peter heute keine Hausaufgaben aufgeben würde?“, überlege ich, während ich morgens von Hausbesuch zu Hausbesuch fahre. Keine Hausaufgaben – das wäre doch eine gute Tat?!
Doch ich zögere: Steht diese gute Tat im Gegensatz zu meinen pädagogischen Pflichten? Komme zu keinem Ergebnis und bin auch schon an meinem nächsten Ziel angelangt: Eine kleine, sehr alte Omi erwartet mich bereits. Sie hat einen schrecklichen Husten und unsere Sprachübungen fallen ihr daher besonders schwer.
Ich beende die Stunde vorzeitig und mache ihr einen schönen, heißen Tee. Leider kann ich nicht mal selber einen mittrinken, denn schon muss ich weiter. Schnell helfe ich ihr noch, den abgehusteten Schleim in das von mir aufgehaltene Taschentuch zu spucken. Dann sage ich: „Weil ich jetzt schnell weitermuss, bekommt die Oma einen …?“ – „Kuss!“, ruft sie freudestrahlend und weg bin ich.
Am Nachmittag gebe ich Peter die Übung, die er in der Therapiestunde nicht geschafft hat, mit nach Hause. Er verdreht die Augen und schimpft, während er den Raum verlässt: „Ich hätt mich so gefreut, wenn … Mann, jetzt auch das noch … wenigstens einen freien Nachmittag …!“
Der Gute-Taten-Kandidat erhält 0 Punkte, knapp daneben.
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Gute Taten 13. und 14.: Tante Sabine und die Post
Die liebe Tante Sabine ruft meinen Mann immer zu seinem Geburtstag an. Seitdem ich mit zur Familie gehöre, steh ich auch auf ihrer Telefonliste. Heute schreibe ich ihr eine Karte und hoffe, damit die hundertmal wiedergutzumachen, an denen wir ihren Geburtstag vergessen haben. Ich schreibe: „Wir wünschen dir wie jedes Jahr …“, damit sie denkt, unsere regelmäßigen Geburtstagswünsche wären von der Post verruschelt worden …
Apropos Post: Tat Nummer 14 – schon wieder „Kurfürst“, schon wieder Bewerbungsbriefe.
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Die 16. gute Tat: Ich möchte mehr tun
Wie kann es sein, dass ich in meinem „Jahr der guten Taten“ nichts tun kann, wenn etwas Schlimmes passiert? Das frage ich mich, wenn ich im Fernsehen die schrecklichen Bilder über Haiti sehe. Plötzlich erscheinen mir meine Taten aus der Kategorie „Marzipantorte“, „Postbote“ oder „Bodylotion“ mehr als nur klein und bedeutungslos.
Ich spende 20 Euro und spreche ein Gebet. Bleibe unbefriedigt zurück. Meine Freundin Patrischa möchte mich aufmuntern und sagt, selbst ein Lächeln wäre eine gute Tat. Ich grinse sie an. „Du hast da was zwischen den Zähnen“, bemerkt sie trocken.
Manchmal können einen die Nachrichten aus aller Welt ganz schön stressen. Das Leid ist unmenschlich hoch und die eigenen Mittel, etwas zu unternehmen, sind zu gering. Man fühlt sich gelähmt und resigniert.
Doch man kann etwas verändern. Da, wo man gerade steht, wird man gebraucht. In deiner Familie steht demnächst ein großes Fest an? Super, dann biete deine Hilfe an. Dein Kollege leistet richtig gute Arbeit? Dann lobe ihn! Der Postbote grüßt immer freundlich? Grüß ihn freundlich zurück und wünsche ihm einen schönen Tag. Du hast noch eine Bodylotion auf Vorrat? Super. Man muss nicht die ganze Welt auf einmal retten, Schritt für Schritt. Jeden Tag eine gute Tat. Mit Gottes Hilfe.
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Die 17. gute Tat: Hereinspaziert!
Solltest du dich einmal fragen: Was soll ich hier? Wer nimmt mich überhaupt wahr? Oder: Wem bin ich etwas nütze? Dann kann ich dir nur folgende, heute höchst persönlich durchgeführte gute Tat empfehlen. Hilft ungemein.
Nervös stehe ich am größten Eingang eines Shoppingcenters mitten im Stadtzentrum. Los geht’s, ich werde den hereinströmenden Massen die Tür aufhalten!
Mist, bin selber mit reingegangen. Zweiter Anlauf: Halte die Tür jetzt von innen auf. Damit ich nicht ganz geisteskrank wirke, beschließe ich, öfter auf die Uhr zu schauen, damit es so aussieht, als würde ich auf jemanden warten. Nachdem ich dreimal in 30 Sekunden auf die Uhr gestiert habe, ahne ich, genau diesen Eindruck zu erwecken. Der eine oder andere bedankt sich. Langsam werd ich lockerer. Versuche es sogar mal mit einem Lächeln. Scheint zu wirken: Die Menschen lächeln zurück.
In den nächsten fünf Minuten bekomme ich so viele tiefe, echte, überraschte und freundliche „Danke“ wie noch nie in meinem Leben. Beflügelt gehe ich zum nächsten Eingang, um meine Selbstlosigkeit auf alle Türen gerecht zu verteilen. Wenn da nicht dieses SALE-Schild gewesen wäre …
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Gute Tat Nr. 18: A, B, C oder D?
Sonntagabend. Ich würde gern:
A: im Kino mit meinem Mann knutschen,
B: in der Badewanne liegen und ein gutes Buch lesen oder
C: die Türen zum Shoppingcenter aufhalten.
Doch A: interessiert uns kein Film,
B: haben wir keine Badewanne
und C: haben heute die Geschäfte geschlossen.
Also beschließe ich, auf dem Pfad der guten Taten wandelnd, mit einem alten, höchst wahrscheinlich einsamen und von uns vernachlässigten Freund essen zu gehen. Als hätte er meine Gedanken erraten, antwortet er auf die Frage, wie es ihm gehe, mit: „Ich bin nicht einsam, ich hab immer einen mitlaufen.“ Was das genau heißen soll!? Keine Ahnung, aber kaum einer will wohl eine gute Tat aus Mitleid.
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Gute Tat 21 und 22: Amore und Zitronen
Herr Moßig kann seit zwei Jahren nicht mehr viel selbstständig sprechen. Einzig das Nachsprechen klappt noch recht gut. Anstatt ihn „Sie sind eine wunderschöne und sympathische Therapeutin“ nachsprechen zu lassen, sage ich: „Ihre Frau heißt INGE! Sprechen Sie mir bitte nach: INGE, ich liebe dich.“ Freudig ruft er daraufhin aus vollem Halse: „INGE, ICH LIEBE DICH!“
Frau Moßig lacht über das ganze Gesicht. Das hatte sie lange nicht mehr gehört. „Du bist ein guter Lumprich!“, lobt sie ihn.
Ich stehe im Supermarkt an der Kasse und kaufe ein Netz Orangen, eine Tüte Flips, Müsli und zwei Primeln (etwas davon wird meine nächste gute Tat. Na, wer kommt drauf?). Eine Frau steht hinter mir in der Schlange und ich lasse sie vor. Sie kauft vier Zitronen. Diese gute Tat dauert heute – ich habe die Zeit gestoppt – nur sieben Sekunden! Das ist kürzer, als ich am Tag damit verbringe, mir meine Nase zu putzen oder mir eine Praline auf der Zunge zergehen zu lassen. Ja sogar kürzer, als den Schlüssel herauszukramen, der mal wieder unter allen Einkäufen in der Tüte liegt.
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Gute Tat Nummer 23: Der Archetypus
Ja, richtig erraten: Ich habe heute eine Topfpflanze verschenkt. Genau genommen ist die Topfpflanze der Archetypus der guten Tat.
Und zwar aus folgenden Gründen: Sie ist
a) preiswert (nicht zu unterschätzen, vor allem, wenn man 365 gute Taten vollbringt)
b) vielseitig und schön anzuschauen
c) langlebig (ein gutes Wort verhallt, die Bodylotion wird verschmiert, die Torte wird verspeist)
Später am Tag sitze ich in meinem Therapieraum und blicke sinnend auf die noch verbliebenen fünf, nein jetzt nur noch vier roten Blätter meines Weihnachtssterns. Definitiv ist diese Topfpflanzen-Untergruppe bei Punkt c) durchgefallen.
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Die 25. gute Tat: Die Geburtstagsfeier
Es ist 3:30 Uhr. Wenn ich noch zählen könnte, wäre ich nach dem vergangenen Abend wahrscheinlich um 100 gute Taten reicher. Bei der Geburtstagsfeier meines Schwiegervaters war ich heute:
Dekorationsbeauftragte
Programmmanagerin
Ermutigerin für den Gastgeber, Schausteller aller Art und den Koch
Tänzerin und
Spielanleiterin
Dann haben mich auch noch meine Eltern gefragt, ob ich sie heimfahren könnte! Das war zu viel. Ich ging zur Bar. Und blieb dort. Bis ich wieder gebraucht wurde: als Aufräumassistentin.
An die Geburtstagsfeier schloss sich gleich am nächsten Abend der zweite Höhepunkt des Wochenendes an: der erste Auftritt von „Kurfürst“ im neuen Jahr. Der kurfürstliche Reigen besteht seit 2007 aus:
• dem engagierten hot Drummer Christoph,
• dem spaßigen Gitarristen Til, der nie übt,
• dem moralisch anspruchsvollen Gitarristen Martin, der viel übt,
• dem selbstbewussten Frontmann und Sänger Jonathan,
• seinem kleinen, vielseitig begabten Bruder und Keyboarder Merlin
• und dem Bassisten Jakob – dem Freak.
Woche für Woche versuchen sie, an neuen Liedern zu feilen, was schwierig ist, da drei der Jungs auf Metall stehen, einer auf Mainstream, einer auf Drum’n’ Base und einer immer schweigt, sich dann aber per E-Mail ziemlich klar äußert. Und weil jeder eine Stimme hat und auch Gehör findet, entsteht am Ende der undefinierbare, aber typische Kurfürstsound, der von allem etwas hat.
In einem Punkt sind sie sich jedoch alle einig: Sie wollen als Christen ein Vorbild für ihre Fans sein. Sie wollen Spaß haben und diesen rüberbringen. Außerdem darf keiner mit fettigen Haaren auf die Bühne – auch Jakob nicht.
Emmi, meine kleine Schwester, ist mit Til, dem Gitarristen, zusammen. Da wir also beide unsere Männer an eine der wichtigsten Newcomerbands im christlichen Bereich verloren haben, gründeten wir vor lauter Langeweile eine Tanzgruppe: UNIQUE. Emmi und ich sind über die Maßen tänzerisch begabt. Sie kann Breakdance und ich ein Rad. Wir würden das auch gern öfter unter Beweis stellen, aber leider haben wir immer zu wenig Platz auf der Bühne. Trotzdem bilden wir einen unverzichtbaren Teil der Show und haben damit nach Meinung der Band einen Weg gefunden, vom Ruhm etwas abzubekommen …
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Die 26. gute Tat: Nicht nur süß
Samstagabend: Meine Schwester Emmi und ich bereiten uns als Tanzgruppe „UNIQUE“ auf den Auftritt mit Kurfürst vor. In der Mädchentoilette ziehen wir gerade unser Dancedress an und diskutieren mal wieder: Wer von uns beiden ist die Tanzgruppenleiterin und wer die Stellvertretende? Ist Emmis Shirt zu knapp für eine anständige Tanzgruppe? Und warum bezahlt uns Kurfürst eigentlich nicht für unseren unschätzbaren Dienst? Plötzlich hören wir entfernt die Trommeln – unseren Einsatz! Wir stürzen raus, ab durch die Menge, rauf auf die Bühne: Los geht’s!
Ein neuer Tiefpunkt. Jetzt hat die Band nicht nur wie sonst vergessen, uns anzukündigen, ja sie hat sogar vergessen, dass wir überhaupt mittanzen. Nach unserem Auftritt bekommen wir EIN Feedback: „Ihr seid ja süß!“ Grrrr – wir sind nicht süß, sondern athletisch, feurig, stark. Emmi ist ziemlich down. Ich schreibe ihr heute eine Karte: „Danke für UNIQUE. Mit dir zu tanzen macht Spaß. Du bist toll!“
Emmi sieht mit ihrer schlanken Figur, ihrem niedlichen Gesicht und ihrem strahlenden Lächeln einfach blendend aus, was in der Familie liegt. Ich mag sie sehr. Sie ist hilfsbereit und immer pünktlich. Im Gottesdienst singt sie stets lauthals und aus Versehen so etwas Ähnliches wie die zweite Stimme.
Was die guten Taten betrifft, ist mir Emmi als Krankenschwester ein großes Vorbild. Sie redet gern und oft über die täglichen Krankenhaus-Katastrophen (die immer mit Exkrementen zu tun haben). Sie könnte auch ein Buch mit dem Titel „365 gute Taten“ schreiben, nur könnte es niemand lesen, weil es einfach zu widerlich wäre. Hier eine kleine Kostprobe: Emmi leert den Anus praeter (den künstlichen Darmausgang) eines niedergeschlagenen Patienten. Um die Stimmung aufzuheitern und dem Kranken das Gefühl zu vermitteln, dass er hier so angenommen wird, wie er ist, sagt sie freundlich: „Oh, Sie haben wohl gestern Kiwi gegessen?“
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Die 28. gute Tat: Taub am Telefon
Meine 94-jährige, leicht vergessliche, schwerhörige und fast blinde Patientin ist schon seit Wochen aufgeregt und besorgt: Sie könnte den anstehenden 50. Geburtstag ihres Enkels Wolfgang verpassen! Ich notierte mir das Datum, übte mit ihr Sätze für ein Telefongespräch ein und reimte mit ihr ein paar Verse für die Glückwunschkarte, die alle Omaherzen höherschlagen lassen.
Heute ist es nun so weit. Ich wähle die Nummer und übergebe der zittrigen alten Dame den Telefonhörer. Meine gute Tat wäre einfach perfekt gewesen, wenn ich bedacht hätte, dass meine fast taube Patientin die leise, verrauschte Stimme des Telefonpartners gar nicht mehr hören kann. Gut, dadurch merkt sie auch nicht, dass ich beim ersten Versuch die falsche Nummer eingetippt hatte. So freuen sich heute eben zwei Menschen über Glückwünsche.
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Gute Tat Nummer 29:Frühlingsgefühle im Pflegeheim
Bin bei minus 12 °C mit einem hoffnungsvoll stimmenden Narzissenstrauß auf dem Weg zu meiner 80-jährigen Patientin Frau Rose im Pflegeheim. Beim Anblick der übrigen Geburtstagsgeschenke bin ich froh, nicht – wie anscheinend in Seniorenheimen üblich – Schnapspralinen gekauft zu haben. Die stapeln sich nämlich schon. Es scheint der einzig legale Weg für die Bewohner zu sein, an Hochprozentiges zu kommen.
Frau Rose ist entzückt und nimmt die Frühlingsblumen sofort zum Anlass, mich in ihre Frühlingsgefühle einzuweihen: Sie hat sich in den gleichaltrigen Bewohner Herrn Kreißig verliebt und ist unsicher: „Fürs Bette brauch ich doch keinen Mann mehr, oder?“, fragt sie.
Mit einem Augenzwinkern sage ich: „Ach, warum denn nicht?“
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Die 31. Tat: Eingecremt!