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Claudia Pechstein gewann Medaille um Medaille, wurde zum Liebling einer sportbegeisterten Nation. Ihre schwarz-rot-goldene Perücke von Olympia 2002 fand sogar Einzug ins Haus der Geschichte. Doch kurz vor dem Ende ihrer Bilderbuchkarriere passierte etwas, was jenseits ihrer Vorstellungskraft lag: Sie wurde des Dopings beschuldigt und gesperrt. Durch ein Urteil, in dem mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, wann, wo, womit oder auf welche Art und Weise Claudia Pechstein manipuliert haben soll. Die große Mehrheit der Deutschen kann über diesen Richterspruch nur den Kopf schütteln. Für viele Experten ist das Urteil ein Skandal und die sechsfache Weltmeisterin nicht mehr als ein Bauernopfer im Anti-Doping-Kampf. 'Von Gold und Blut' ist nicht nur Rückblick auf eine beispiellos erfolgreiche Sportlerkarriere, sondern auch eine kritische Abrechnung mit der öffentlichen Hetzjagd auf eine Athletin, die in ihrem Leben nie gedopt hat.
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Seitenzahl: 724
Claudia Pechstein
Schwarzkopf & Schwarzkopf
Mein Name ist Claudia Pechstein. Geboren am 22. Februar 1972 in Berlin. Polizeihauptmeisterin mit Häuschen im Grünen. Wohlbehütet aufgewachsen im sozialistischen Teil einer gespaltenen Nation. Nach der Wende aufgestiegen zu einer der erfolgreichsten Sportlerinnen des vereinten Deutschlands. Mit drei Jahren stand ich das erste Mal auf dem Eis. Erst drehte ich Kringel im Eiskunstlaufkleidchen, später flitzte ich im Rennanzug über die Bahn. Irgendwann sogar schneller als alle anderen Frauen auf der Welt. Sechsmal stellte ich einen Weltrekord auf. Ich wurde Europa- und Weltmeisterin. Fünfmal gewann ich olympisches Gold. So oft wie kein anderer deutscher Athlet bei Winterspielen.
Aus Pechstein wurde Goldstein. Ich wurde bejubelt, gefeiert, hofiert. Und öffentlich hingerichtet. Des Dopings beschuldigt und angeklagt. Verurteilt, gesperrt. Mein Leben zerstört – von einem Tag auf den anderen. Ohne Beweis! Was für mich in einer rechtsstaatlichen Grundordnung unmöglich schien, wurde bittere Wahrheit. Ich geriet in den Anti-Doping-Kampf. Einen Kampf, den ich selbst stets unterstützt hatte. Einen Kampf, der nur gegen die richtigen Gegner geführt wird. Gegen die Betrüger! So dachte ich jedenfalls. Bis zu dem Tag, an dem sich das Schwert gegen mich richtete. Mit aller Schärfe. Und um jeden Preis.
War einst das Land gespalten, in dem ich aufwuchs, zieht sich nun eine Grenze durch mein Leben. Eine, die ich teuer bezahlen musste. Nicht nur mit viel Geld, sondern vor allem mit meinem guten Ruf, mit meiner Integrität. Eine, die mich aber auch viel gelehrt hat. Freundschaft, Mut, Loyalität, Willensstärke, Kampfgeist und Liebe haben jenseits des Leistungssports neue Bedeutung gewonnen. Und mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, seine Ideale zu leben. Ich schaue mit reinem Gewissen in den Spiegel. Denn ich habe nie gedopt, mein Blut niemals manipuliert. Weder mit unerlaubten Substanzen oder Drogen noch durch verbotene Methoden. Darauf kann sich jeder verlassen, der dieses Buch zur Hand nimmt.
»Es gibt wohl weltweit keine zweite Athletin wie Claudia Pechstein, die an besonderen Tagen eine solch enorme Fähigkeit hat, sich zu steigern.«
Joachim Franke, Eisschnelllauftrainer
Kapitel 1
»Claudia, komm mal bitte schnell rüber in mein Zimmer. Wir haben ein Problem.« Es ist 22.45 Uhr am Abend des 7. Februar 2009. Vor fünf Minuten habe ich mit meinem Mann Marcus am Telefon darüber gequatscht, mit welcher Taktik ich am morgigen Sonntag ins 1.500-Meter-Rennen gegen Kristina Groves gehen soll. Die Kanadierin liegt nach dem ersten Tag der Mehrkampf-Weltmeisterschaft im norwegischen Hamar auf Rang vier, einen Platz hinter mir. Die ersten zwei Rennen über 500 und 3.000 Meter haben wir bereits hinter uns gebracht. Für morgen stehen noch die Starts über 1.500 und 5.000 Meter auf dem Programm.
»Die Groves geht schnell an, versuche dranzubleiben. Volles Risiko. Du musst der Sáblíková ein, zwei Sekunden abnehmen, damit du vor den 5.000 Metern wenigstens ein kleines Polster mitnehmen kannst.«
Marcus ist, wie meistens bei großen Wettkämpfen, zu Hause geblieben, damit er mich vor Ort nicht mit seiner Nervosität ansteckt. Seine Ferndiagnose aus dem brandenburgischen Diensdorf klingt logisch und eigentlich auch ganz einfach. Aber auf dem Eis ist nichts einfach. Schon gar nicht über 1.500 Meter. Die knapp vier Runden auf dem 400 Meter langen Eisoval sind meine Hassstrecke. Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Kein Sprint, aber auch keine Langstrecke. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Ich weiß, wovon ich rede. Schon oft genug ist die Mittelstrecke für mich ein echter Rohrkrepierer geworden. Aber irgendwie muss ich diese Problemdistanz morgen bewältigen. Und am besten ziemlich gut. Denn Marcus hat recht: Wenn ich Sabbel-Babbel nicht deutlich distanziere, kann ich mir den Titelgewinn wohl abschminken.
»Sabbel-Babbel« ist der Spitzname, den ich meiner härtesten Konkurrentin auf den langen Strecken, Martina Sáblíková, gegeben habe. Die Tschechin hat mir zuletzt ausgerechnet auf meiner Spezialstrecke, den 5.000 Metern, schwer zu schaffen gemacht und mich ein ums andere Mal bezwungen. Trotz der sportlichen Rivalität ist sie eines der Mädels im Weltcup, mit denen ich mich am besten verstehe, denen ich am meisten Respekt entgegenbringe. Auch wenn der Spitzname vielleicht anderes vermuten lässt. Aber der ist eher ironisch gemeint, da Sáblíková zur ruhigen Sorte zählt und selten so richtig ins Sabbeln kommt. Sehr zu meinem Leidwesen ist sie mit ihren Beinen zumeist sehr viel schneller als mit ihrem Mundwerk. Und so ist einmal mehr sie das größte Problem auf dem Weg zum WM-Gold. Denn zur Halbzeit der WM liegt Sabbel-Babbel auf Platz eins.
Doch bevor ich mich damit beschäftigen kann, wie ich dieses Problem morgen vielleicht doch hinter mir lassen kann, muss ich mich zunächst einmal mit den Sorgen unseres Teamleiters beschäftigen. Seit dem Anruf von Helge Jasch über die Direktleitung des Scandic Hamar Hotels sind erst ein paar Augenblicke vergangen. Während ich in meine Badelatschen schlüpfe und überlege, ob ich schnell im Nachthemd über den Flur huschen soll, frage ich mich, was Helge wohl um die Zeit noch von mir will. Was soll es vor allem für ein Problem geben? Seine Stimme klang echt besorgt, so habe ich ihn noch nie gehört. Also verzichte ich darauf, mir noch etwas überzuziehen. Sein Zimmer liegt nur drei, vier Türen weiter, einmal schräg über den Flur. Als ich klopfe, geht sofort die Tür auf. Neben Helge steht Dr. Gerald Lutz, unser Teamarzt. Er schaut mich mit großen Augen an, sein Gesicht ist aschfahl. Beide stehen wie versteinert da. Was ist denn jetzt los?, schießt es mir durch den Kopf.
»Was ist denn hier passiert?« Mich beschleicht ein Gefühl der Angst. Einen Moment lang befürchte ich, dass es ein Unglück gegeben hat und jemand aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis betroffen sein muss. Aber das hätte doch Marcus vorhin schon wissen müssen. Bevor ich mich zu lange mit diesem Gedanken beschäftigen kann, bricht Helge das Schweigen.
»Du kannst morgen nicht mehr starten!«
Ich schüttele ungläubig den Kopf: »Wie, ich kann morgen nicht mehr starten?«
Betretenes Schweigen.
»Wie, ich kann morgen nicht mehr starten?«, wiederhole ich. »Was ist denn los?«
»Du musstest ja heute noch mal zur Blutkontrolle. Und deine Blutwerte sind nicht normal«, antwortet Helge.
»Wie, meine Blutwerte? Meine Blutwerte sind immer normal gewesen!«
»Diesmal nicht. Deine Retikulozyten sind erhöht.«
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Wort »Retikulozyten« höre. Doch ich verstehe nicht, was ich höre. Ich verstehe nur Bahnhof.
»Wie soll ich das Marcus erklären?«, ist das Letzte, was ich noch herausbringe. Ich fange an zu zittern, meine Knie werden weich. Mit einer Hand stütze ich mich auf dem Bett ab, ehe ich auf der weichen Matratze in mich zusammensacke. In diesem Moment schießen mir auch schon die Tränen in die Augen. Ich will Helge und Gerald fragen, ob sie sich wirklich sicher sind. Ob das wirklich mein Blut ist. Oder ob mir jemand etwas reingemischt haben kann. Aber die Fragen, die ich zu formulieren versuche, werden verschluckt von meinem Schluchzen. Schnell wird klar, dass die beiden in dieser Nacht nicht mehr zu bieten haben als ihren Trost. Auch der Teamleiter und der Mannschaftsarzt der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) sind mit der Situation überfordert. Das Wort »Retikulozyten« kann zunächst weder fehlerfrei artikuliert noch in Zusammenhang mit dem Anti-Doping-Kampf gebracht werden. Hektisch versuchen sie in den Unterlagen des internationalen Verbandes, der Internationalen Skating Union (ISU), aussagekräftige Hinweise über die »Retis«, wie sie den neuen Blutwert der Einfachheit halber nennen, zu finden. Mitten in dem Treiben reiche ich Helge das Telefon. Ich habe die Nummer von zu Hause gewählt, bin aber nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sprechen.
»Marcus, hier ist Helge. Claudia darf morgen nicht starten!«
»Netter Versuch, Helge, aber verarschen kann ich mich allein. Habe gerade noch mit ihr telefoniert. Alles in bester Ordnung.«
Kaum hat mein Mann das ausgesprochen und einen kurzen Gedanken daran verschwendet, warum Helge über so ein Thema Witze machen könnte, ist ihm schon klar, dass es bitterer Ernst ist. Er hört mein Schluchzen und Krampfen im Hintergrund. Als Helge ihm erklärt hat, was los ist, formuliert Marcus als Erster einen Gedanken, der auch mir durch den Kopf geschossen ist: »Kann ihr jemand etwas ins Essen gemischt haben?«
Dr. Lutz schüttelt den Kopf: »Wir haben ja keinen positiven Befund, sondern nur erhöhte Retis. Das macht keinen Sinn.«
Das Problem ist: In dieser Nacht weiß niemand, was überhaupt Sinn macht. Alle sind ratlos. Zwar entdeckt der Doc, dass es eine ISU-Grenze gibt, die einen Anteil von maximal 2,4 Prozent Retikulozyten im Blut vorsieht. Doch warum die Werte von 3,5 und 3,4 Prozent, die bei mir gemessen wurden, eine Sperre rechtfertigen sollen, ist unklar. Ein entsprechender Paragraf ist in den Statuten des Verbandes nicht zu finden. Normalerweise müsste ich also starten dürfen. Wenn da nicht die Aussagen von ISU-Mediziner Harm Kuipers und dem WM-Supervisor Jan Dijkema wären. Sie haben Helge meine Werte mitgeteilt und ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie mir empfehlen, auf einen Start am Sonntag zu verzichten. Andernfalls müssten die Werte öffentlich gemacht und eine Sperre ausgesprochen werden. Kuipers Tipp: Ich solle mich krank melden, dann würde mein Name auch nicht vorschnell mit dem Begriff »Doping« in Verbindung gebracht werden.
Für mich ist schnell klar: Das ist die einzige Lösung. Es war stets mein größter Alptraum, mein Name könne in einem Atemzug mit dem Wort »Doping« genannt werden. Und Kuipers, so erläutert mir Helge, hat in Aussicht gestellt, dass der Spuk genauso schnell wieder vorbei sein könnte, wie er begonnen hat. Vorausgesetzt, mein Reti-Wert würde sich bei einer Nachkontrolle in ein paar Tagen wieder im normalen Bereich eingependelt haben. Dieser scheinbare Silberstreif am Horizont sorgt dafür, dass ich mich langsam wieder sammeln und den einen oder anderen klaren Gedanken fassen kann. Zwar würde ich die schreiende Ungerechtigkeit am liebsten sofort öffentlich machen und aller Welt versichern, dass ich nichts Verbotenes getan und niemals gedopt habe. Doch wer würde mir glauben? Ich weiß doch selbst, wie es ist: Wie oft habe ich mich dabei ertappt, wie ich müde lächelnd abgewunken habe, wenn ein vermeintlich neuer Dopingsünder bekannt wurde und seine Unschuld beteuert hat.
»Habe ich alles schon einmal gehört. Sorry, aber dir glaubt doch kein Mensch.« Dieser Gedanke ist landauf, landab verbreitet. Auch mir ist er nicht fremd. Warum also sollte es diesmal anders sein, wenn die nächste mutmaßliche Sünderin Claudia Pechstein heißt?
Nein, der Gang an die Öffentlichkeit kommt nicht infrage. Auch Helge Jasch und Gerald Lutz sind meiner Meinung. Ein vermeintlicher Dopingfall wäre nicht nur für mich, sondern auch für den gesamten deutschen Eisschnelllaufsport ein Horrorszenario, das es unbedingt zu vermeiden gilt.
Marcus will die Möglichkeit einer Presseinformation dagegen nicht von vornherein ausschließen. »Geh runter zu Ralf, sprich mit ihm. Du hast doch nichts getan. Vielleicht ist er der Meinung, es ist besser, die Medien einzuweihen.«
Ralf, mit Nachnamen Grengel, ist mein Manager. Er wohnt im selben Hotel, nur eine Etage tiefer, und schläft jetzt wahrscheinlich schon. Gegen 21 Uhr habe ich noch gemeinsam mit ihm und seiner Frau Kathrin zu Abend gegessen. Ralf und ich arbeiten jetzt schon seit fast acht Jahren zusammen, sind gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Ich komme ins Grübeln. Vielleicht hat Marcus recht?
Wahrscheinlich würde ich seinen Rat, den er in dieser Nacht noch ein ums andere Mal wiederholt, befolgen, wenn Ralf allein nach Hamar gekommen wäre. Doch so bin ich in Sorge, dass auch Kathrin mitbekommen könnte, was passiert ist. Nicht, dass ich der Tochter meines Extrainers Joachim Franke misstrauen würde. Nein, ich will den Kreis der Eingeweihten nur einfach so klein wie möglich halten. Geleitet von dem Glauben, die Sache würde sich ganz schnell aufklären und in Wohlgefallen auflösen, schütte ich mein Herz nicht einmal meinen Eltern aus, die ebenfalls nach Hamar gereist sind, um mir die Daumen zu drücken. Nein, niemand, der es nicht unbedingt wissen muss, soll erfahren, welch ungeheuerlichem Verdacht ich ausgesetzt bin.
»Sorry, Marcus. Ich melde mich krank und reise morgen früh ab.«
Helge und Gerald nicken zustimmend. Ein ums andere Mal haben sie noch versucht, den ISU-Arzt Kuipers ans Telefon zu bekommen, um möglicherweise doch einen anderen Ausweg zu finden. Doch der Holländer ist zum Empfang beim norwegischen König geladen und hat sein Mobiltelefon ausgeschaltet. Er wird wohl eine kurzweilige, amüsante Nacht verbringen. Meine dagegen ist die Hölle. Selbst nach der Rückkehr auf mein Zimmer ist an Schlaf nicht zu denken. Ich habe vorher keine Ahnung gehabt, wie viele Tränen sich in meinem Körper befinden. Nachdem die Zimmertür hinter mir ins Schloss gefallen ist, brechen erneut alle Dämme.
Wieso ich? Wie ist das möglich?
Ich war immer davon überzeugt, dass so etwas nur denen passieren kann, die tatsächlich manipuliert haben. Irrtum ausgeschlossen! Jetzt werde ich eines Besseren belehrt.
»Schatz, versuche dich zu beruhigen. Es wird sich alles aufklären.« Auch die gut gemeinten Worte, die Marcus in den zahlreichen Telefonaten während der Nacht immer wieder in den Hörer säuselt, können meine Tränen nicht stoppen.
Einsame Rückreise nach Berlin
Als mein Manager mich am nächsten Morgen anruft, sitze ich bereits auf gepackten Koffern. »Hey, Kleine. Helge hat mich informiert. Tut mir echt leid. Wie geht’s dir denn?«
»Beschissen«, antworte ich wahrheitsgetreu. »Ich bin völlig am Ende.« Meine immer noch von Tränen erstickten Worte sind eine einzige Krächzerei.
»Ich habe ihre Stimme gar mehr nicht erkannt, sie hat kaum ein Wort herausgebracht«, diktiert Ralf Grengel anschließend in die Blöcke der mitgereisten Journalisten. Er erledigt seinen Job in dem festen Glauben, dass mich ein fiebriger Infekt zur Aufgabe gezwungen hat.
Als ich eine Stunde später ausgecheckt habe und in der Lobby meinen Rucksack schnüre, laufen mir Ralf und Kathrin über den Weg. Als sie mich tröstend in die Arme schließen wollen, kommen mir direkt wieder die Tränen. Ich drehe mich weg, habe Angst, dass sie mir meine Notlüge an der Nasenspitze ansehen könnten.
Nichts wie weg hier, ist der Gedanke, der mich hinaus in die eisige Kälte treibt. Eigentlich wollte ich noch ein paar Minuten verstreichen lassen, ehe ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache. Aber jetzt trotte ich lieber gleich ins Schneegestöber hinaus, auch auf die Gefahr hin, dass ich ein paar Minuten länger bei frostigen Temperaturen auf meinen Zug warten muss. Der Bahnsteig Richtung Flughafen Oslo-Gardermoen ist menschenleer und eingeschneit. Nur meine Schuhe hinterlassen knirschend Abdrücke im Schnee.
Die Eislaufhalle, die wie ein auf dem Kopf stehendes Wikingerschiff aussieht, ist schon aus der Ferne ein absoluter Blickfang. Bereits Stunden vor Wettkampfbeginn passieren die ersten Fans die Eingangstore. Frühzeitiges Kommen sichert die besten Plätze. Innerhalb einer Woche waren die beiden WM-Tage ausverkauft, Norwegen ist eine absolute Eislaufnation. Nur im holländischen Heerenveen sind die Fans noch euphorischer und verrückter als in Hamar. In dem kleinen Örtchen, nur eine Zugstunde von Norwegens Hauptstadt Oslo entfernt, habe ich mich immer besonders wohlgefühlt. Vom Bahnhof sind es nur ein paar hundert Meter bis zum Wikingerschiff, in dem ich nicht nur meinen ersten Weltmeistertitel, sondern auch mein erstes Olympiagold bejubeln durfte. Kein Wunder also, dass ich in Interviews stets Hamar genannt habe, wenn ich gefragt wurde, welche meine Lieblingsbahn ist.
Jetzt könnte ich diesen Ort verfluchen. Einsam stehe ich in der Kälte auf dem Bahnsteig, fühle mich wie im falschen Film. Nicht einmal 13 Stunden ist es her, dass ich noch in meiner heilen Welt lebte. Klar, der erste Tag der WM war nicht optimal gelaufen. Mir wäre eine bessere Platzierung als Rang drei lieber gewesen. Aber ich hatte noch alle Chancen auf eine Medaille, sogar der Titel war noch möglich. Und nun?
Was ist über Nacht geblieben von der »Gold-Claudia«, wie ich von den Medien nach meinen Olympiasiegen gern genannt wurde? Was ist geblieben von dem strahlenden Kufenstar, der vor 17 Jahren seine erste Olympiamedaille gewann und seitdem beständig in der Weltspitze mitmischen konnte?
Nicht mehr als ein Häufchen Elend, das die Medien, die Fans und den eigenen Manager belügt. Ein Häufchen Elend, das nicht den Mut aufbringt, seinen Eltern reinen Wein einzuschenken. Die Tochter unter Dopingverdacht: Wie soll ich ihnen das erklären?
Mit der berechtigten Hoffnung auf das erste Mehrkampf-Double meiner Karriere war ich zur WM nach Hamar gereist. Denn erst vier Wochen zuvor hatte ich in Heerenveen den Europameistertitel gewonnen. Anschließend zwang mich zwar einer meiner fast obligatorischen Winterinfekte zu einer mehrtägigen Trainingspause, doch von den Nachwirkungen wollte ich mich in Norwegen keinesfalls aufhalten lassen. Sicher hätte es den einen oder anderen Wehleidigen gegeben, der wegen einer laufenden Nase, geschwollener Lymphknoten und Herpesbläschen an der Lippe einen Start abgesagt hätte. Doch von solchen Beeinträchtigungen habe ich noch nie einen Start abhängig gemacht, wenn es bei Titelkämpfen um Medaillen ging. Diesmal wäre es allerdings besser gewesen, meinen Infekt zu Hause auszukurieren. Doch ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass mich mein sportlicher Biss in die Bredouille bringen könnte. Jetzt schwebt plötzlich das Damoklesschwert über mir und statt eines weiteren glanzvollen Triumphs mit Gold und Ruhm droht der Megaskandal um Doping mit Schimpf und Schande.
Wenn ich zu diesem Zeitpunkt auch nur für möglich gehalten hätte, welcher Hexenjagd ich im Lauf des Jahres noch ausgesetzt sein würde, dann hätte ich mir wahrscheinlich schon in jenem Moment des Innehaltens auf dem verlassenen Bahnsteig in Hamar gewünscht, ich hätte mir nie die Schlittschuhe geschnürt.
Kapitel 2
Als ich das erste Mal mit Schlittschuhen auf dem Eis stand, war ich drei Jahre alt. Es war ein Verzweiflungsakt. Nicht von mir, aber von meiner Mutter. Sportliche Ertüchtigung sah Mama als letzte Möglichkeit an, dass etwas mehr Ruhe ins Leben einkehren würde. Sowohl in meines als auch in das ihrige. Denn ich war schon als Kleinkind ein besonders quirliges Wesen. Heutzutage hätten die Ärzte schnell die passende Diagnose für mich parat gehabt: hyperaktiv! Ich konnte noch nicht ohne Hilfe stehen, da führte ich meinen Eltern bereits das erste Mal meinen ausgeprägten Bewegungsdrang mehr als deutlich vor Augen.
»Wo ist denn das Kind?«, entfuhr es meiner aufgeschreckten Mutter beim Blick in das Laufgitter.
»Na, wo wohl? Im Laufstall, wenn du es nicht herausgenommen hast«, antwortete mein wenig beunruhigter Vater, der es sich nach dem obligatorischen Stück Kuchen am Sonntagnachmittag auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatte.
In solchen Momenten würde man den Ehepartner wohl am liebsten an die Wand klatschen. Mama hätte schließlich nicht gefragt, wenn ich noch dort gewesen wäre, wo sie mich vermutete. Doch das Laufgitter war definitiv leer. Nun war es nicht so, dass wir in den 70er Jahren eine riesige Wohnung gehabt hätten und meine Mutter wirklich in großer Sorge gewesen wäre, wo ich womöglich abgeblieben sein könnte. Sie fand mich relativ schnell im Kinderzimmer, in das ich, zweimal um die Ecke gebogen, gekrabbelt war. Somit endet diese Erzählung auch nicht besonders spektakulär. Dennoch gehört sie zu meinen liebsten Geschichten über meine frühe Kindheit. Erinnern kann ich mich selbstverständlich nicht mehr daran, aber meine Eltern berichten heute noch gern und staunend davon, wie ich die einzelnen Laufgitterstäbe, die mit dem darunter liegenden Teppich, der mich vor der Kälte des Fußbodens schützen sollte, verknüpft waren, lösen und mich in die Freiheit kämpfen konnte. Es war der Auftakt zu einem ausgeprägten Bewegungsdrang meinerseits, der meine Eltern schon bald nahe an den Nervenzusammenbruch führen sollte. Denn ganz gleich, was sie mit mir auch anstellten, ich wurde abends nicht müde. Es heißt ja, man könne Kinder »kaputt spielen«, dann würden sie abends ins Bett fallen und sofort die Äuglein schließen. Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Ich gehörte eindeutig zu den Ausnahmen.
Ich turnte tagsüber an der Kletterstange, schlug ein Rad nach dem anderen, kletterte auf Bäume, perfektionierte die Standwaage und sprang in den Spagat und zurück. Es spielte keine Rolle, wie sehr ich mich austobte, ob mich meine Eltern am Abend bereits nach dem ersten Fernseh-Sandmann um zehn vor sechs oder nach dem zweiten um zehn vor sieben ins Bettchen legten: An Schlaf war nicht zu denken. Den ganzen Abend lang nicht. Frühestens um elf hatte ich langsam Sehnsucht nach meiner Kuscheldecke, nicht selten wurde es später als Mitternacht, ehe ich die Augen schloss. Zuvor hatten Mama und Papa abwechselnd das volle Programm bieten müssen, welches man abspult, wenn man kurz vor dem Einschlafen für einen Moment an der Bettkante des eigenen Kindes Platz nimmt. Nur mit dem Unterschied, dass an meinem Bettchen aus einem Moment schnell ein paar Stunden wurden. Lieder singen, Bücher vorlesen, Märchen erzählen oder ausgedachte Geschichten fantasievoll zum Besten geben – meine Eltern ließen nichts unversucht, mussten aber ein ums andere Mal selbst ermüdet aufgeben, ehe ich meinen Schlaf fand.
Auf Dauer war das für die beiden ein nur schwer zu ertragender Zustand. Denn so munter ich am Abend auch gewesen sein mochte, so gerädert war ich dann am nächsten Morgen. Ich war weder ansprechbar, noch konnte ich meinen Körper steuern, als Mama und Papa mit mir schon früh um sechs das Haus verlassen mussten, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Ich wurde im Halbschlaf gewaschen, angezogen und im Kinderwagen erst bis zur S-Bahn und dann in den Kindergarten chauffiert. Zum Glück hatten meine Eltern mit meiner vier Jahre älteren Schwester Bettina noch eine Tochter von ganz anderem Schlag, sodass es morgens nur einen Problemfall gab. Wenn Bettina abends ähnlich munter und in den Morgenstunden ähnlich träge wie ich gewesen wäre, hätten meine Eltern wohl kaum den Wunsch gehabt, die Familie weiter zu vergrößern. Doch da Bettina in dieser Hinsicht überhaupt keine Sorgen bereitete, mussten meine Eltern lediglich das Problem der unermüdlichen Claudia lösen, ehe sie sich dem nächsten Kind widmen konnten.
Vergeblicher Versuch, mich ruhigzustellen
Als mein Bruder Daniel zur Welt kam, war ich vier Jahre alt und konnte schon ziemlich gewandt mit Schlittschuhen über das Eis kurven. Aber auch normale Wanderschuhe waren mir kein Gräuel. Im Sommer 1976 marschierte ich mit Oma und Opa im Urlaub in der damaligen Tschechoslowakei sogar von der Gemeinde Korenov 25 Kilometer zu der in 1340 Metern Höhe im Riesengebirge gelegenen Labská-Baude hinauf und auch wieder zurück. Das alles an einem Tag. Der Legende nach ohne zu murren, obwohl die Baude, eine ehemalige Schutzhütte für sudetische Viehhirten, nicht wirklich viel zu bieten hatte.
Ich gehörte zwar noch immer nicht zu denen, die gern früh ins Bett gingen, doch meine sportlichen Aktivitäten hatten mich deutlich entspannter werden lassen und somit das erreicht, was Ärzten und Tagesmuttis mit altbewährten Hausmittelchen nicht gelungen war. Zunächst hatte meine Mutter nämlich auf den Rat meines Kinderarztes auf milde Beruhigungstropfen zurückgegriffen, die dafür sorgen sollten, dass ich abends schneller zur Ruhe kam. Aber ob ich die einnahm oder in China ein Reissack umfiel, das Ergebnis war das gleiche.
»Nimm die hier«, hatte daraufhin Helga zu meiner Mutter gesagt und ihr ein Fläschchen in die Hand gedrückt. »Ein Dutzend Tröpfchen davon sorgen dafür, dass Claudia ganz schnell schlummert. Da könnt ihr zugucken, das dauert keine zwanzig Minuten.«
Helga war als Tagesmutter immer dann für mich da, wenn meine Mutter, die als Lehrerin arbeitete, am Nachmittag Zusatzstunden in der Schule schieben musste. Meine Mutter hatte zunächst Hemmungen verspürt, das Fläschchen tatsächlich zu öffnen. Sie war in Sorge, dass das Hausmittelchen sich eventuell als eine Art K.-o.-Tropfen entpuppen könnte. Doch wenn man abends nie zur Ruhe kommt, dann nimmt man einiges in Kauf, um durchschnaufen zu können. Die Wirkung war fatal. Für meine Eltern. Denn es passierte nichts. Mama verabreichte mir ein Löffelchen mit zwölf Tropfen, schön auf Zucker verteilt, damit das angebliche Wundermittel nicht so bitter schmecken und ich es beim nächsten Mal nicht verweigern würde. Doch ein nächstes Mal gab es nicht, da die vermeintlichen K.-o.-Tropfen keine Wirkung zeigten, mich nicht einmal zum Torkeln brachten. Jetzt war guter Rat teuer und so schnellte die Hand meiner Mutter sofort in die Höhe, als im Kindergarten die entscheidende Frage gestellt wurde: »Wer möchte sein Kind zum Eiskunstlauf anmelden?«
Anfänge auf dem Eis
Das Eis war vom ersten Tag an mein Element. Mein ungehemmter Bewegungsdrang ließ sich auch von dem rutschigen Untergrund und dem unbekannten Schuhwerk mit der kurzen, schmalen Kufe unter der Sohle nicht bremsen. Ich war nie ängstlich wie manch andere, deren größte Sorge es war, zu stürzen und sich wehzutun. Rasch entwickelte ich das richtige Gefühl fürs Gleiten und auch fürs Bremsen. Letzteres überraschte meine Eltern am meisten. Oft genug waren sie aufgeschreckt worden, wenn ich trotz beständiger Mahnungen im vollen Speed auf meinem Bambinirad den Berg an unserem Haus heruntergefegt kam und erst im letzten Moment scharf bremste. So waren schon ab und an mal die Reifen platt. Ich hatte es auch schon geschafft, mich unsanft von der Laterne stoppen zu lassen, was meine Eltern aber immer noch weniger erschreckt hatte als das Hupen und die quietschenden Reifen eines grünen Ladas, der mich fast zur Kühlerfigur gemacht hätte, als ich eines Tages sowohl mein Tempo als auch den nötigen Bremsweg komplett unterschätzt haben musste. Das panische Gesicht des Mannes, der sein Lenkrad mit durchgedrückten Armen fest umkrallte, ehe sein Wagen kurz vor meinem bis auf die Straße gerutschten Rad zum Stehen kam, ist eines der Bilder aus meiner Kindheit, die sich am stärksten in meine Erinnerungen eingebrannt haben. Ein anderes ist die Hand meiner Ballettlehrerin, die mir im Unterricht voll auf die Oberschenkel klatschte.
»Strecke die Knie durch«, hatte Frau Höllermann* kurz zuvor mehrfach gemahnt.
»Die sind gestreckt!« Kaum hatte ich meine trotzige Antwort über die Lippen gebracht, brannte es auch schon höllisch auf meiner Haut oberhalb der angeblich nicht gestreckten Knie. Ich biss mir auf die Lippen, setzte meinen bösesten Blick auf und flitzte raus. Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Es war für mich schon schlimm genug, dass dieses alberne Herumgetanze im Ballettunterricht zum Eiskunstlauftraining dazugehörte. Aber dass ich mir jetzt noch eine knallen lassen musste, ging für mein Empfinden entschieden zu weit. Frau Höllermann sah das erwartungsgemäß völlig anders.
»Ich kann nicht akzeptieren, dass sich Ihre Tochter in meinem Unterricht danebenbenimmt«, durfte sich meine Mama anhören, nachdem sie zum Rapport bestellt wurde. »Sorgen Sie dafür, dass so etwas nicht wieder vorkommt.«
Meine Mutter war zwar gewillt, mir zu glauben, dass ich nur gebockt hatte, weil ich zuvor geschlagen worden war, doch den mahnenden Zeigefinger bekam ich trotzdem zu sehen.
»Dir macht das Eislaufen doch so viel Spaß, Claudi. Willst du das wirklich aufgeben, weil deiner Trainerin einmal die Hand ausgerutscht ist?«
Wollte ich nicht. Das war es nun wirklich nicht wert. Meine Vorfreude auf die unsäglichen Balletteinlagen wurde zwar nicht größer, aber ich kapierte, dass sie ein notwendiges Übel waren, um weiter die Schlittschuhe schnüren zu dürfen. Und das tat ich nun immer öfter und auch mit immer mehr Liebe und Leidenschaft. Denn ich hatte Talent und das zahlte sich aus. Es verging kein Tag mehr im Kindergarten, an dem ich nicht zur Eishalle kutschiert wurde, meine Kringel drehte und wieder zurückgebracht wurde. Kein schlechtes Leben, das man da schon als kleines Mädel genießen durfte. Meine Eltern genossen es auch. Und zwar vor allem wegen der ruhigeren Abende und der längeren Nächte. Es wäre zwar übertrieben, zu behaupten, das Eislaufen hätte mich zu einem Kind mit normalen Schlafgewohnheiten gemacht, doch ich hatte durch die Übungen auf dem Eis gelernt, mich mit mir selbst zu beschäftigen.
Hatte ich tagsüber Spaß daran, meine ersten Pirouetten zu lernen, vom einen Bein aufs andere zu springen oder mit schnellerem Tempo eine Kurve zu laufen, freute ich mich abends darüber, ein Bild zu malen, ein eigenes Memory zu basteln oder zu puzzeln. Bald bereitete es mir auch Freude, meine ersten eigenen Wörter und Zahlenreihen zu schreiben. Und das, obwohl ich den Tag meiner Einschulung am liebsten auch gleich zu meinem letzten Schultag erklärt hätte und dabei noch ganz nebenbei meinen Vater bis auf die Knochen blamiert hatte.
*
»Ich gehe nicht in diese scheiß Schule!« Alle Augenpaare in der S-Bahn waren nach meinem Wutschrei auf mich gerichtet. »Ich will da nicht hin. Heute nicht und auch nie wieder!«
Alle Blicke schienen zu fragen: Wem gehört denn bloß diese unartige, schlecht erzogene Göre? Auch Papa war einen Moment lang völlig verdutzt. Doch ihm war klar, dass es keinen Sinn hatte, den Eindruck zu erwecken, er gehöre nicht zu mir. Jetzt kam es viel mehr darauf an, mich zu beruhigen und mir verständlich zu machen, dass das mit dem Schulranzen noch besser werden würde, wenn ich erst einmal ein paar Zentimeter gewachsen wäre. Denn optisch war ich damals trotz meiner sechs Jahre noch viel zu klein, um in die Schule zu gehen. Ich wäre noch locker ein, zwei Jahre als Kindergartenkind durchgegangen. Da die Riemen des Schulranzens für meine Schultern viel zu groß waren, rutschte das neue, eigentlich begehrte Statussymbol eines jeden Erstklässlers ständig von meinem Rücken. Es war der schwierige Startschuss für meine schulische Karriere, die, obwohl meine Leistungen selten Anlass zur Klage boten, länger dauern sollte als bei anderen und schon früh dazu beitrug, dass ich mich sehr selbstständig bewegte.
Wettrennen mit dem Bus
Es kam in meinem Leben oft darauf an, die Erste zu sein. Als die Jahreszeit hereinbrach, in der es am Abend früher dunkel wurde, war es für mich sogar wichtig, schneller als alle anderen aus dem Bus auszusteigen, der mich fast bis vor die Haustür brachte. Aber eben nur fast. Es waren noch circa 250 Meter, die ich von der Haltestelle bis zu uns in die Hönower Straße 121 zurücklegen musste. Und welches kleine Kind läuft schon im Dunkeln gern ohne Begleitung nach Hause? Bereits mit sechs kehrte ich abends allein aus der Sportschule zurück. Ich war im Sportforum des Berliner Bezirks Hohenschönhausen in eine Klasse mit lauter Eiskunstläufern eingeschult worden. Nach meinem Ganztagsjob, der sich aus Training, Unterricht und nochmals Training zusammensetzte, stand für mich ein gerade anfangs durchaus anspruchsvoller Heimweg auf dem Programm.
Vom Sportforum ging’s zunächst mit der Straßenbahn zur Haltestelle Frankfurter Allee. Dort stieg ich um in die U-Bahn und fuhr weiter bis zum Bahnhof Lichtenberg. Hier folgte der Umstieg in die S-Bahn, mit der ich zum Bahnhof in Berlin-Mahlsdorf fuhr. Dort hieß es dann aussteigen und rein in den Bus, der mich fast bis nach Hause brachte.
Rückblickend bin ich selbst erstaunt, und das gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen darüber, dass mich meine Eltern diesen Weg bereits im ersten Schuljahr allein fahren ließen. Zum anderen darüber, dass der lange Schultag und die mehrere Stationen umfassende Rückreise für mich so schnell zur Selbstverständlichkeit wurden. Heutzutage wäre es so gut wie undenkbar, einem sechsjährigen Mädchen eine solche Heimfahrt von der Schule allein zuzumuten. Viel zu groß wären die Gefahren und die Sorge, es könnte etwas Schlimmes passieren. Für mich war das im Großen und Ganzen kein Problem. Erst als es draußen kälter war und früher dunkel wurde, beschlich mich auf den letzten Metern ein ungutes Gefühl. Wenn man allein ist und kaum erkennen kann, was um einen herum passiert, dann bekommt man es schnell mit der Angst zu tun, besonders als kleines Kind.
Aus diesem Grund war es für mich so wichtig, an der letzten Station als Erste aus dem Bus zu springen. Denn die Scheinwerfer des Busses leuchteten mir den Weg. Je länger ich sie in meinem Rücken hatte, desto besser war der Heimweg ausgeleuchtet und desto sicherer fühlte ich mich. Also sprang ich kurz nach dem Öffnen der Tür mit einem Satz heraus und rannte, was meine kurzen Beine hergaben. Das größte Problem dabei war der große Ranzen, der immer wieder von meinem Rücken rutschte. Wenn es mir gelang, vor dem wieder losgefahrenen Bus zu bleiben, bevor ich in die letzte Kurve kurz vor dem Ziel einbog, hatte ich es so gut wie geschafft. Dann leuchteten mir die letzten Lichtstrahlen den Weg fast bis zur Haustür. Kurios, dass sich diese Situation später ein ums andere Mal auf dem Eis wiederholte. Denn wenn ich in der letzten Kurve meine Gegnerin hinter mir wusste, war mir der Sieg in diesem Duell kaum noch zu nehmen.
Der Wechsel auf die langen Kufen
Während meiner ersten Schuljahre ging es auf dem Eis allerdings nicht darum, irgendwann einmal die Schnellste, sondern eher die Grazilste zu sein. Und es dauerte nicht allzu lange, bis meinen Lehrern und Trainern aufging, dass ich diejenige welche niemals sein würde. So war ich noch nicht einmal zehn Jahre jung, als die eine Karriere endete und die andere begann. Der Übergang geschah nahezu reibungslos. Auch wenn der Satz, der den Wechsel von den kurzen auf die langen Kufen forcierte, etwas ganz anderes vermuten lässt.
*
»Nein, das kommt nicht infrage«, sagte ich spontan und energisch. Romy Österreich hatte mir den Vorschlag unterbreitet, zukünftig mein Glück im Paarlauf zu versuchen.
»Claudia, überlege es dir noch einmal. Du bringst alles mit, was man dafür braucht. Du bist klein, wendig und technisch stark. Mit einem Jungen an deiner Seite fallen deine Schwächen im tänzerischen Bereich und im künstlerischen Ausdruck nicht so ins Gewicht.«
Typisch, dass ausgerechnet meine Trainerin mir den Wechsel zum Paarlauf schmackhaft machen wollte. Während ihrer Karriere war sie unter ihrem Mädchennamen Kermer an der Seite ihres späteren Ehemannes Rolf Österreich nicht nur je dreimal DDR-Meister und Vize-Europameister geworden, sondern hatte 1976 in Innsbruck auch olympisches Silber gewinnen können. Von daher überraschte mich ihr Vorstoß wenig. Ich hatte schon fast auf Durchzug gestellt, aber dann bekam ich doch noch einmal ganz große Ohren.
»Im Paarlauf kannst du deine Stärke in den Sprüngen voll ausspielen. Und außerdem bist du schön leicht, das ist ein großer Vorteil für die Sprungwürfe.«
Jetzt hatte ich endgültig genug gehört. Genau das war es nämlich, warum für mich der Paarlauf niemals infrage gekommen wäre.
»Ich lasse mich doch nicht durch die Luft werfen«, rief ich empört. Und laut. So laut, dass es jeder in der Halle mitbekam.
»Dann komm doch rüber zu uns und versuche mal schnell anstatt schön zu laufen«, warf genau in diesem Moment Uwe Hüttenrauch ein. »Hütte«, wie der Trainer der Eisschnelllaufkinder von seinen Kollegen wenig respektvoll gerufen wurde, hatte mit diesem einen Satz die Grundlage dafür geschaffen, dass ich später fünfmal Olympiagold gewinnen konnte.
Der Wechsel war für mich ein Glücksfall. Bereits nach den ersten Stunden auf den 42 Zentimeter langen Kufen in meiner neuen Sportart hatte ich meine alten Schlittschuhe mit den fast zwanzig Zentimeter kürzeren Kufen vergessen. Vom ersten Tag an war das Balletttraining gestrichen. Hurra! Keine Verrenkungen mehr. Hacke, Spitze, eins zwei drei war ab sofort passé.
Plötzlich war ich auch nicht mehr abhängig von irgendwelchen Schiedsrichtern, die per Punktwertung über Sieg und Niederlage in Wettkämpfen oder über Bestehen oder Nichtbestehen von Prüfungen entschieden. In meiner neuen Sportart musste man einfach nur schneller sein als die anderen und schon hatte man gewonnen. Das gefiel mir auf Anhieb. Und noch etwas spielte plötzlich nicht mehr die alles entscheidende Rolle: das Körpergewicht. Wie oft war ich traurig und neidisch zugleich gewesen, wenn den Jungs in der Eiskunstlaufpause ein Stück Kuchen gereicht wurde.
»Haut rein, ihr müsst was auf die Rippen bekommen«, klang dann der Trainerspruch häufig durch die Halle. Wir Mädels standen in solchen Momenten mit einem feuchten Zahn und knurrendem Magen daneben.
»Ihr müsst gar nicht so rüberschielen, für euch ist das nichts. Ihr müsst auf eure Figur achten«, bekamen wir dann zu hören.
Das war echt die Höchststrafe, vor allem für eine Naschkatze wie mich. Diese Hungerei hatte nach dem Abschied vom Eiskunstlauf endlich ein Ende. Aber das Beste kam erst noch: Niemand kam plötzlich mehr auf die Idee, ich müsse mich in ein Kleidchen zwängen. Ganz am Anfang hatte das auch bei den Kunstläufern keine Rolle gespielt. Aber schon bei den Fünfjährigen wurde mehr und mehr Wert auf eine mädchenhafte Ausstrahlung gelegt. Und da waren Kleider natürlich eines der wichtigsten Kriterien. Ich hatte mich bis zuletzt dagegen gewehrt und konnte es nicht im Geringsten nachvollziehen, warum die anderen gern in schicken, wehenden Kleidern zum Sport kamen. Ich fand auch die ganzen überkandidelten Eiskunstlaufmuttis nervig, die an der Bande standen und sich darüber unterhielten, wie süß, schön und gut gekleidet ihre Kinder doch aussähen. Ich war der Meinung, sie sollten sich stattdessen lieber damit beschäftigen, welche Fortschritte ihre Töchter sportlich machten. Zum Glück war meine Mama keine von diesen typischen Eiskunstlaufmuttis. Aber auch sie kam irgendwann nicht mehr umhin, dem Drängen der Trainer nachzugeben, mich endlich mit einem Kleid auszustatten.
Da es mir völlig gleichgültig war, aus welchem Material es war, welche Farbe es hatte und ob es einfarbig oder geblümt oder sonstwie gemustert war, entschied sich meine Mama dafür, so wenig Geld wie möglich zu investieren. Schließlich war Handarbeit kein Fremdwort für sie und so drehte ich meine Pirouetten kurze Zeit später in einem orangefarbenen Strickkleid.
Nach meinem Wechsel zu den Schnellläufern wurde es eingemottet, denn ich wäre niemals auf die Idee gekommen, in der Schule oder zu Hause etwas anderes als Hosen zu tragen. Ich war nie ein typisches Mädchen gewesen, machte mir nichts aus Klamotten und spielte schon im Kindergarten lieber mit Jungs als mit Mädels – und daran änderte sich auch in den Jahren nach meiner Einschulung nichts. So war ich auch nicht besonders traurig darüber, dass mit dem Ende meiner künstlerischen Karriere auf dem Eis auch ein Wechsel der Schulklasse einherging. Natürlich wäre der Übergang reibungsloser gewesen, wenn es in meinem Jahrgang eine Eisschnelllaufklasse gegeben hätte. Aber das war leider nicht der Fall, also wurde ich zu den Turnern verfrachtet, in eine Klasse mit ausschließlich Jungs. Für mich nicht unbedingt ein Handicap, denn Jungs waren einfach seltener eingeschnappt und schnippische Zickereien waren ihnen fremd. Meine kecke, freche Art kam bei ihnen auch viel besser an als bei meinen Mitschülerinnen. Und so hatte ich auch lange nicht wirklich eine beste Freundin, wie man sie in seiner Kindheit und Jugend wohl meistens hat.
Die Gründe dafür lagen aber nicht nur darin, dass ich mich besser mit Jungs verstand. Auch war unsere Familie noch einmal angewachsen und ich freute mich stets darauf, nach Hause zu kommen und mit meinem vier Jahre jüngeren Bruder Daniel und dem Nesthäkchen unserer Familie, der zwei Jahre nach Daniel geborenen Sabine, zu spielen. Zwischen uns flogen, wie nach guter Sitte unter Geschwistern, auch gern mal die Fetzen, aber im Großen und Ganzen waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft, die zusammen durch dick und dünn ging. Als Älteste von uns dreien übernahm ich meistens das Kommando und lernte so früh, Verantwortung zu übernehmen. Manchmal hatte das allerdings zur Folge, dass meine Eltern nur noch fassungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlugen.
Erste Hilfe selbst gemacht
»Oh mein Gott, was ist denn hier passiert?« Mamas spitzer Schrei verwunderte mich nicht. Ich wartete eigentlich schon den ganzen Morgen darauf. Denn die Folgen einer Kissenschlacht vom Abend zuvor – als meine Eltern nicht daheim gewesen waren – konnte man nicht übersehen. Zudem waren sie für meinen Bruder auch noch schmerzhaft.
Daniel und ich teilten uns damals mit Sabine ein Zimmer. Ich schlief im Doppelstockbett oben, Sabine unten, direkt neben ihrem Schlafplatz stand im rechten Winkel das Bett von Daniel. Er hatte sich bei der verhängnisvollen Kissenschlacht eine gute Stellung im oberen Bett erkämpft und war gerade dabei, von dort aus mit einem Kissen nach Sabine zu schlagen. Da sie versuchte, im unteren Teil des Doppelstockbettes in Deckung zu gehen, musste er sich weit hinauslehnen, um sie treffen zu können. Dabei hatte er das Gleichgewicht verloren und war kopfüber nach unten gestürzt. Dummerweise so unglücklich, dass er mit dem Brustkorb genau auf die Kante des Bettgestells knallte. Er stand anschließend so unter Schock, dass er nicht einmal in der Lage war, zu schreien. Er krümmte sich vor Schmerzen. Auch dann noch, als ich in einer Erste-Hilfe-Maßnahme die knallrote Schürfwunde mit einem riesigen Pflaster von der Rolle überklebte. Daniel war trotz des Unfalls schnell eingeschlafen. Er stöhnte zwar ab und an im Schlaf auf, doch zu meiner eigenen Überraschung fand er seine Ruhe. Im Gegensatz zu mir. Ich schlief die Nacht über kaum, malte mir aus, wie Mama wohl reagieren würde, wenn sie das Dilemma zu Gesicht bekäme.
Am nächsten Morgen entdeckte sie das Pflaster. Resolut wie sie war, hatte sie es, quasi als Wachmacher zum Morgen, mit einem Ruck von Daniels Brust reißen wollen, da sie vermutete, es handele sich um ein Überbleibsel eines Onkel-Doktor-Spiels vom Vorabend. Zum Glück für Daniel hatte sie schon beim Lösen einer Ecke erkannt, dass wir es nicht aus Spaß angebracht hatten.
»Mama, er hat die ganze Nacht durchgeschlafen. Es wird schon nicht so schlimm sein«, versuchte ich meine Mutter zu beruhigen. Doch das war nicht so einfach. Daniels Brustkorb hatte wenige Stunden nach seinem Sturz ein beeindruckendes Farbenspiel zu bieten: Rot, Blau, Gelb, Grün, alles war dabei.
»Claudi, du bist die Älteste von euch dreien hier im Zimmer«, mahnte meine Mutter. »Wenn so ein Mist passiert, musst du mir sofort Bescheid sagen und nicht so lange warten, bis ich selbst darauf stoße.«
Jetzt bekam ich erst recht ein schlechtes Gewissen. Erst nachdem der Arzt Daniel lediglich Prellungen, aber keine Brüche attestierte, atmete ich etwas auf und auch unsere aufgeschreckte Mutter bekam ihre Nerven wieder in den Griff. Der Unfall meines Bruders aber war nicht die letzte Situation, in der ich mich spontan als Krankenschwester bewähren musste. Beim zweiten Mal floss sogar Blut.
*
Der Turm Marke Eigenbau meiner kleinen Schwester war wirklich einen Blick wert. Sabine saß in der Badewanne und hatte sich den weißen Badeschaum auf ihrem Haar so hoch nach oben geformt, dass sie glatt einen Kopf größer wirkte. Daniel und ich mussten lachen, die Kleinste in unserer Familie war schon ein süßes Ding. Leider auch so unbedarft wie die meisten Kids im Alter von vier Jahren. Durch unser Lachen neugierig geworden, stand Sabine auf, um sich selbst im Spiegel bewundern zu können, der an der gegenüberliegenden Wand oberhalb des Waschbeckens angebracht war. Auf dem glitschigen Boden der Badewanne verlor sie schnell den Halt, stürzte und riss dabei eine Parfümflasche von dem Schränkchen, das direkt neben der Wanne stand. Die Flasche krachte auf die Fliesen im Bad und zersplitterte sofort in tausend Scherben.
»Bleib wo du bist, ich komme und hole dich!«
Sabine tat, was ich ihr befahl. Alternativen waren auch nicht vorhanden. Meine Schwester war, nachdem sie das Gleichgewicht verloren hatte, nach vorn über den Wannenrand gefallen und hatte nur durch das blitzschnelle Abstützen auf ihren Händen vermieden, mit dem Kopf auf dem Boden aufzuschlagen. In dieser Position verharrte sie nun geistesgegenwärtig, denn jede Bewegung hätte zur Folge haben können, sich einen Glassplitter in die Handinnenflächen zu drücken.
»Warte noch einen Moment, ich schlüpfe nur schnell in meine Hausschuhe.« Zehn Sekunden später war ich zur Stelle, um der Kleinen aufzuhelfen und sie auf den Arm zu nehmen, damit sie sich keine Schnittwunde zuzog. Mein Rettungsmanöver gelang mit Bravour, trotzdem hatte ich kurz darauf eine Mullbinde in der einen und eine Schere in der anderen Hand. Denn eine der Glasscherben war nach dem Zerplatzen der Flasche unglücklich in die Höhe geschossen und hatte sich in Sabines Oberschenkel gebohrt. Der Schnitt war so tief, dass ihr Blut übers Bein floss. Aber auch so glatt, dass meine Schwester zunächst überhaupt keinen Schmerz verspürte. Erst als mein Bruder schreiend davonlief, als er die Wunde sah, flossen bei Sabine Tränen. Doch bevor ich beginnen konnte, diese zu trocknen, musste ich erst einmal die Blutung stoppen. Den Druckverband, den ich ihr mit der Mullbinde anlegte, hätte eine Krankenschwester kaum besser hinbekommen. Zumindest war Mama dieser Meinung. Sie hatte nach ihrer Rückkehr von der Arbeit die Wunde sofort inspiziert und gesäubert, ehe ich noch einmal einen Verband anlegen durfte. So erntete ich für meinen zweiten Rettungseinsatz sogar ein dickes Lob von meiner Mama. Die hatte anschließend mehr damit zu kämpfen, die Splitter und den penetranten Parfümgeruch aus dem Bad wegzubekommen, als sich um das Wohlergehen des nur leicht verletzten Nesthäkchens zu kümmern. Das hatte ich bereits bestens im Griff.
Im Trainingslager
Rückblickend ist es erstaunlich, wie früh ich schon eine Selbstständigkeit an den Tag legte, die für Kinder in einem vergleichbaren Alter auch heutzutage nicht gerade selbstverständlich ist. Ich kann mich sogar noch ganz genau daran erinnern, wann es, einmal abgesehen von der täglichen Rückfahrt von der Schule, damit losging. Kurz nach meiner Einschulung durfte ich das erste Mal in ein Trainingslager fahren. Die Lehrer gaben uns Kindern einen Zettel für die Eltern mit, auf dem aufgelistet war, was sie alles einzupacken hatten, ehe sie ihre talentierten Sprösslinge auf die Reise schickten.
Und während bei wahrscheinlich jedem meiner Mitschüler Mama oder im Ausnahmefall vielleicht auch Papa die Sachen packte, durfte an meinem kleinen Koffer nur einer Hand anlegen. Und das war ich selbst. Ganz akkurat legte ich T-Shirts, Hosen, Sportsachen und Trainingsanzug zusammen, ehe ich sie verstaute. Jacken knöpfte ich entweder zu oder schloss den Reißverschluss. Jede Wölbung wurde glatt gedrückt, damit alles seinen Platz fand. In den Raum, der zwischen den größeren Sachen entstand, drückte ich meine Socken und Unterwäsche. Erst als ich die Liste Punkt für Punkt mit Mama abgehakt hatte und sicher sein konnte, alles mit dabeizuhaben, wurde der Koffer geschlossen. Die Reise ins Trainingslager konnte beginnen.
»Wenn du ein Junge wärst und später einmal zur Armee müsstest, dann wärst du mit deinem Ordnungstick dort gut aufgehoben«, grinste meine Mutter. Ein Tick, den ich mir bis heute bewahrt habe. Vielleicht auch deshalb, weil mir auf diese Art und Weise in den Trainingslagern jene Strafrunden erspart blieben, die die Trainer gern mal für Unordnung vergaben. Die Sportcamps waren von Beginn an kein Zuckerschlecken. Ganz gleich, wie jung wir auch waren, es herrschte vom ersten bis zum letzten Tag an Disziplin und wir hatten ein leistungsorientiertes Trainingspensum zu bewältigen. »Urlaub könnt ihr mit euren Eltern machen«, war einer der Leitsätze, die ich nicht nur einmal zu hören bekam. Wer nicht mitzog oder aufmuckte, hatte ein Problem. Dann ging’s auf eine Strafrunde, nach der man sich zweimal überlegte, ob man die beim nächsten Mal wieder laufen wollte.
Bei all dem Drill ging aber auch der Spaß nicht verloren. Die Stimmung bei uns war super. Allen war bewusst, dass zeitgleich in fast allen Schulen Unterricht stattfand und nur wir Sportschüler das Privileg genießen konnten, draußen herumzutoben. Wer wollte Sport schon gegen die Schulbank im Unterrichtsraum tauschen? Niemand. Und hatten wir wirklich einmal das Gefühl, unsere Übungsleiter schossen im Training deutlich übers Ziel hinaus, dann schlichen wir uns spätabends aus dem Zimmer oder Zelt, stibitzten ihnen die Turnschuhe und zogen sie am Fahnenmast hoch. Am nächsten Morgen blieben wir alle so lange liegen, bis die Lehrer ihre Schuhe wieder anhatten. Anschließend wurde von beiden Seiten der Mantel des Schweigens über die Aktion gehüllt und die Trainingsintensität in den letzten Tagen ein wenig gedrosselt.
Häusliche Nachhilfe
Das Schwierigste an einem Trainingslager war die Zeit danach. Die Umstellung auf den normalen Ablauf mit Training und Unterricht fiel mir nicht leicht. Ich hätte viel lieber noch mehr Zeit beim Sport verbracht, als mich durch den Schulstoff zu arbeiten. Zumal es mit dem Unterricht allein nicht getan war. Die Lehrer beglückten uns ja auch immer noch mit Hausaufgaben. Wie gut, dass meine Mutter zur Spezies der Pauker gehörte. Eines der Fächer, das sie unterrichtete, war Russisch. Zufälligerweise konnte ich in der Sprache des großen sozialistischen DDR-Bruders immer mit einer Eins auf dem Zeugnis glänzen. Was weniger an meiner guten Mitarbeit, als vor allem an meinen stets tadellosen Hausaufgaben lag. Anfangs zierte sich Mama zwar immer ein bisschen, doch dann übernahm sie meine Übersetzungsaufgaben, die ich in Heimarbeit hätte erledigen sollen. Ich musste die Texte dann zwar immer noch einmal abschreiben, um sie in meiner eigener Handschrift vorlegen zu können, aber dies ging immer noch wesentlich schneller, als sich selbst einen Kopf über die richtigen Vokabeln zu machen.
Mama war nicht die einzige Lehrkraft in unserer Familie. Opa Paul war Mathepauker. Er gehörte allerdings zu den Lehrern alten Schlags. Ihm ging es gegen die Ehre, nur die Lösungen zu verraten. Er musste jedes Mal auch den Rechenweg erläutern, der zum richtigen Ergebnis führte. Wenn ich Pech hatte, artete meine Bitte um Unterstützung in eine zweistündige Nachhilfe aus. Und so ging ich dieses Risiko nur dann ein, wenn ich ohne Hilfe wirklich nicht klarkam. Opa war unbestritten der Herr der Zahlen in unserer Familie. Nur einmal wurde er aschfahl im Gesicht, obwohl alle Zahlen richtig waren.
Sechs Richtige zum falschen Zeitpunkt
»Opa, was ist denn los?« So kannte ich ihn gar nicht. Mein Großvater saß in seinem Sessel, blickte auf den Fernseher und schimpfte vor sich hin. Alle paar Sekunden rollte eine Kugel durchs Bild. Erste eine, dann zwei und drei. Bei der vierten war er böse, bei der fünften bitterböse. Als die sechste in Großaufnahme auf dem Bildschirm zu sehen war, wich sämtliche Farbe aus seinem Gesicht. Er stand auf und ging wortlos zu Bett.
Erst später begriff ich, dass ich an jenem Tag dem größten Alptraum eines jeden Lottospielers beigewohnt hatte. Jahrein, jahraus hatte Opa immer die gleichen Zahlen gespielt, wie es sich gehörte, wenn man von einem dicken Konto träumt. Als sein großer Tag gekommen war, hatte er erstmals keinen gültigen Schein in der Tasche. Er war nicht rechtzeitig zur Annahmestelle gekommen, weil er als liebevoller Großvater meine Cousine Rita zum Volleyballtraining gebracht und anschließend knapp die S-Bahn verpasst hatte. Mit der nächsten kam er ein paar Minuten zu spät, der Lotto-Laden hatte bereits geschlossen. Als bei der Ziehung seine Zahlen kamen, waren 105.000 Ostmark futsch. Nur ein einziger Glücksspieler hatte die sechs Richtigen getippt und konnte sich jetzt über 210.000 Mark freuen. Glück für den Unbekannten, Pech für Opa Paul.
Der Verlust dieses Riesenbatzens Geld war ein harter Schlag, von dem man sich erst einmal erholen musste. Selbst meine Eltern und auch wir Kinder hatten damit zu kämpfen. Denn ich bin mir sicher, dass wir nach 14-jähriger Wartezeit endlich unseren Trabbi bekommen hätten, wenn Opa die richtige S-Bahn erwischt hätte. So fehlte meinen Eltern ein wenig Geld, den bestellten Wagen bezahlen zu können. Mama als Lehrerin und Papa als Tischler verdienten in ihren Jobs zwar genug, um ihrer vierköpfigen Rasselbande ein sorgenfreies Leben zu bescheren, für eine eigene Nobelkarosse aus der staatlichen Eigenproduktion reichte es allerdings nicht.
»Macht doch nichts«, versuchte ich meine Eltern zu trösten. »Da hätten wir sowieso nicht alle reingepasst.«
Wo ich recht hatte, hatte ich recht. So trauerte keiner von uns dem verpassten Trabbi lange hinterher. Wir erfreuten uns lieber an dem, was wir hatten. Von 1985 an gehörte auch ein eigenes Telefon dazu. Das war vor allem dann von Vorteil, wenn die Trainer Uwe Hüttenrauch und Hartmut Rupp vor Wettkämpfen wichtige Infos mitzuteilen hatten. Statt mir jedes Mal einen Zettel für die Eltern mitzugeben, konnten sie uns nun einfach anrufen. Das wurde umso wichtiger, je älter ich wurde. Dass mit mir ein ungewöhnlich großes Talent heranreifte, hatten die Lehrer nach meinem Wechsel von den kurzen auf die langen Kufen schnell erkannt. Ich machte im Schnelllauf viel größere Fortschritte als zuvor im Kunstlauf. Erstmals hatte ich wirklich das Gefühl, besser sein zu können als die meisten anderen. Bei den immer häufiger werdenden Wettkämpfen nicht den Sprung aufs Treppchen der besten drei zu schaffen, wurde für mich zur Seltenheit. Wenn es mal nur für Rang fünf oder sechs reichte, musste mich meine Mutter während der Siegerehrung nach vorn schubsen. In solchen Momenten war ich stinksauer, es nicht aufs Podest geschafft zu haben, und fragte mich, was der Blödsinn sollte, dass nicht nur die Medaillengewinner, sondern auch noch die Viert-, Fünft- und Sechstplatzierten geehrt wurden.
Ich hasste es, zu verlieren. Nicht nur beim Sport, sondern auch beim Spielen. Ganz gleich, ob Brett- oder Kartenspiele, am liebsten hätte ich immer so lange weitergespielt, bis ich gewonnen hatte. Wenn ich nicht siegte oder meinen Dickkopf nicht durchsetzen konnte, flossen bei mir schnell die Tränen. Es gab nur eines, was schlimmer war, als zu verlieren: Mogeln. Wenn ich meinen Bruder beim Schummeln erwischte, dann heulte ich auch. Aus Wut. In solchen Momenten lobte ich mir meinen Sport. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es viele Jahre später Menschen geben würde, die mich mit jenen gleichsetzen würden, die beim Rommé eine Karte unter den Tisch fallen ließen oder beim Mensch-ärgere-dich-nicht sieben Felder nach vorn rückten, obwohl sie maximal eine Sechs würfeln konnten.
Mit ausgefeilter Technik zum Erfolg
Meine motorischen Fähigkeiten schienen schon damals wie geschaffen für das maximale Beschleunigen auf dem Eis. In Schräglage einen Fuß vor den anderen zu bekommen, das sogenannte Umsetzen in den Kurven, brachte manche meiner Kollegen der Verzweiflung nahe. Für mich war es ein Kinderspiel. Und so machte es mich stolz wie Bolle, wie wir Berliner sagen, wenn ich während des Techniktrainings von meinen Trainern nach vorn gerufen wurde, um die saubere Ausführung der Übungen für die anderen vorzumachen. Aber es gab auch andere Tage. Zum Beispiel jene, als Petra* in unsere Trainingsgruppe kam.
»Mama, die ist einsachtzig groß und hat unglaublich lange Beine«, berichtete ich meiner Mutter am Abend. »Das ist ungerecht, gegen Petra kann ich unmöglich gewinnen«, schob ich nach und wollte bemitleidet werden. Doch meine Mutter zeigte sich wenig beeindruckt. »Ich gehe morgen nicht mehr zum Training«, ließ ich sie wissen, um endlich eine Reaktion zu provozieren. Die kam dann auch, aber anders als erwartet.
»Gut, aber dann gehst du auch nie wieder. Dann war das heute dein letztes Eislauftraining.«
Mama wusste ganz genau, wie sie mich kriegen konnte. Das wollte ich natürlich auf keinen Fall. Ich ging auch am nächsten Morgen zum Training. Und nach dem nächsten Wettkampf war der ganze Frust wie weggeblasen. Meine neue Konkurrentin, die mich um mehr als einen Kopf überragte, kam im Ernstfall mit ihren Riesengräten im Vergleich zu mir fast nicht vom Fleck. Von der drohte keine Gefahr, so viel stand fest.
Dieses Rennen hatte deutlich gemacht, wie wichtig es war, in jedem Training an seinen technischen Fertigkeiten zu feilen. Auch für mich, die sicherlich mit einem größeren Talent gesegnet war als manch anderer. Hinzu kam, dass ich klein und wendig war. Bei den Gewandtheitsläufen, bei denen wir im Slalomstil um auf dem Eis aufgestellte Hütchen herumliefen, machte mir niemand etwas vor. Ganz gleich, ob vorwärts oder rückwärts, ich war die Beste. Und wenn wir auf dem Eis zur Erwärmung oder zum Ausklang der Trainingseinheit Fangen spielten, versuchten die anderen schon lange nicht mehr, mich zu kriegen. Die entscheidenden kurzen Haken und Wendungen hatte ich bis zur Perfektion geübt.
Im Schulunterricht vor oder nach dem Training, je nachdem was der Stundenplan vorsah, war ich nicht immer so vorbildlich. Besonders als ich mich von der vierten bis zur siebten Klasse mit den Turnern herumschlagen durfte, war das für meine Disziplin beim Lernen nicht gerade förderlich. Ich bekam meine alberne Phase, wurde an manchen Tagen im Unterricht wegen belangloser Albernheiten regelrecht von Lachkrämpfen geschüttelt und durfte den Rest der Stunde vor der Tür verbringen, damit ich die anderen nicht störte. Auf meinem Zeugnis tauchte zu dieser Zeit sogar mal eine Vier in Betragen auf. Zum Glück fiel diese Note genau in eine Phase, die zu Hause von einer Menge Trubel begleitet war und wo meine Eltern ganz andere Sorgen bewältigen mussten als einen schulischen Ausrutscher eines ihrer vier Kinder. Aufgrund von unangemeldeten Mitbewohnern entschieden Mama und Papa nämlich, dass die Familie umziehen sollte. Raus aus dem Zweifamilienhaus mit Garten, rein in die Platte, wie wir in der DDR die zahlreichen mehrgeschossigen Neubauten nannten, die in den 70er und 80er Jahren gleich reihenweise im Fertigbaustil unter Zuhilfenahme großer Betonplatten entstanden.
Ungeliebte Gäste
»Wer hat das Weißbrot vom Tisch genommen?« Meine Mutter stellte eine ganz simple Frage. Allerdings gab es von den fünf anderen Pechsteins darauf keine Antwort, die Mama hätte zufriedenstellen können. Denn keiner wollte die Tüte mit dem Brot, die sie am Vorabend nach eigener Aussage auf den Küchentisch gelegt hatte, an sich genommen haben. Mama schüttelte den Kopf.
»Das kann ja wohl nicht sein!«
Langsam wurde sie unruhig. Das Brot war fürs Frühstück vorgesehen. Wenn es nicht bald wieder auftauchen würde, müssten wir Kinder mit leerem Magen in die Schule eilen. Das Pausenbrot wäre genauso passé wie die Stullen, die Mama und Papa mit zur Arbeit nehmen wollten.
»So etwas gibt’s doch gar nicht!«
Obwohl sie sich sicher war, das Brot am Vorabend auf den Küchentisch gelegt zu haben, begann sie nun, die Schränke zu durchsuchen. Je verzweifelter ihre Suche wurde, desto amüsierter betrachteten Bettina, Daniel, Sabine und ich das Treiben. Vor allem für meine drei Geschwister, die bei weitem nicht so einen Ordnungstick hatten wie ich, war es herrlich, mit anzusehen, wie ausgerechnet Mama, die stets anmahnte, jeder solle besser auf seine Sachen aufpassen, immer mehr in Hektik verfiel.
»Da hätte ich ja lange suchen können.« Mamas Blick blieb plötzlich am Durchgang von der Küche zum Wohnzimmer hängen. »Diese verdammten Mistviecher. Jetzt reicht’s!«
Ihr Blick war auf den Fußboden gerichtet, ihre Stimme klang angewidert. Da lag das Weißbrot. Oder zumindest das, was noch von ihm übrig war. Und das war nicht mehr allzu viel. Ratten hatten es sich offenbar vom Tisch geholt, als wir in der Nacht in unseren Betten lagen. Der Vorstellung, dass die grauen Nager, die wir schon vor einiger Zeit im Keller bemerkt hatten, jetzt auch in unseren Wohnbereich eingedrungen waren und uns unser Frühstück vor der Nase wegfraßen, konnte niemand von uns etwas abgewinnen.
»Wir ziehen aus!«
Der Satz meiner Mutter war wie in Stein gemeißelt und keiner wagte es, zu widersprechen.
Der sich anbahnende Abschied von unserer Wohnung, die wir Kinder vor allem im Frühjahr und Sommer wegen des tollen Gartens liebten, fiel nicht leicht. Allerdings nur so lange nicht, bis wir unser neues Reich das erste Mal gesehen hatten. Statt zwei hieß es nun vier Zimmer, Küche, Bad. Dazu gab es noch einen Balkon, von dem aus man einen guten Überblick über die Nachbarschaft hatte. Der Wohnungstyp WBS70 eröffnete mit seinen 88 Quadratmetern in der vierten Etage ungeahnte Möglichkeiten. Und zwar nicht nur wegen des zwölf Meter langen Flures, den meine Geschwister und ich an verregneten Nachmittagen gern nutzten, um Fußball zu spielen.
Die Tatsache, dass es noch einen zusätzlichen Hobbybereich gab, den meine Eltern bereits mit einer eigenen Tür vom Flur abgetrennt und somit zum fünften abschließbaren Raum gemacht hatten, ließ kurzzeitig Träume von meinem ersten eigenen Kinderzimmer reifen. Was für ein Unterschied zu Mahlsdorf. Dort hatte ich mir mit meinen beiden jüngeren Geschwistern ein Zimmer geteilt und meine Eltern hatten ein Stück des Schlafzimmers geopfert, um ihrer ältesten Tochter einen eigenen Bereich zu schaffen. In unserer neuen Wohnung, in der Allee der Kosmonauten im Berliner Bezirk Marzahn, hatten meine Eltern nun wieder ihre Privatsphäre. Zusätzlich zu ihrem Schlaf- und dem gemeinsamen Wohnzimmer blieben also inklusive Hobbybereich noch drei Zimmer für vier Kinder. Das sah gut aus. Denn meiner Ansicht nach konnte die Vergabe nur über das Alter geregelt werden. So hätten Bettina und ich jeweils ein eigenes und die beiden jüngsten, Daniel und Sabine, ein gemeinsames Zimmer bekommen.
Doch da hatte ich die Rechnung ohne die Kerle im Haus gemacht. Daniel vertrat die Meinung, er müsse als einziger Junge seinen eigenen, weiberfreien Rückzugsraum bekommen. Papa unterstützte ihn voll und ganz, da wollte Mama nicht dagegen stänkern. Und so nahm das Übel seinen Lauf. Bettina bekam ebenfalls ein eigenes Zimmer, Sabine und ich mussten uns eins teilen. Das Nesthäkchen ging mittlerweile auch schon zur Schule und hatte mehr und mehr seinen eigenen Kopf entwickelt. Wir waren die Dickschädel unter uns Geschwistern; wenn es Zank und Zoff zu Hause gab, war meistens einer von uns beiden der Unruhestifter gewesen. Da ich ihr verbal haushoch überlegen war, und sie als echte Heulsuse bereits zu flennen begann, wenn man sie mit einem Schimpfwort bedachte, griff sie zunehmend zu radikaleren Mitteln, um sich zu wehren. Das ging so weit, dass sie mir derart heftig in den Arm biss, dass ich einen Bluterguss bekam und der Abdruck ihrer Zähne noch Tage später zu erkennen war. Doch ich konnte mich über Sabines heftige Abwehrmaßnahmen bei meinen Eltern nicht wirklich überzeugend beschweren.
»Claudia, du müsstest deine Schwester doch bestens verstehen können. Denke doch bitte daran, wie du getickt hast, als du kleiner warst.«