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Das Ziel war die Halbwüste Bardenas Reales im östlichen Navarra. Doch wie erreiche dieses Ziel über einen Pilgerweg? Der erst vor dreizehn Jahren erschlossene 676 km lange Camino Ignatiano beginnt im baskischen Loyola, dem Geburtsort des Heiligen Ignatius, und endet im katalanischen Manresa. Zwar streift er kurz den Camino Frances, jenseits von Logrono jedoch verläuft er überwiegend durch einsame, touristisch weitgehend unbekannte, aber geschichtlich faszinierende Landschaften...
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Seitenzahl: 79
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der Ursprung
Kapitel 1 Start ohne Hindernisse
Kapitel 2 Lukaku
Kapitel 3 Eine unerwartete Erfrischung
Kapitel 4 Überraschungsmenü
Kapitel 5 Ein Hauch von Luxus
Kapitel 6 Warum klappert der Storch?
Kapitel 7 Unerwartete Früchte
Kapitel 8 Ist das noch Mutter Erde?
Kapitel 9 Ein Pfeiler zum Beweis
Kapitel 10 Bilanz
Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nicht angeschaut haben.
- Alexander von Humboldt -
Das Ziel ist die Wüste. Vor einigen Jahren sah ich Bilder von ihr im Internet. Immer wieder versetzt mich die landschaftliche Vielfalt der iberischen Halbinsel in kleinkindliches Erstaunen. Die Faszination war groß: „Da will ich hin!“ Andererseits gab es noch so viel zu tun. Der Camino Primitivo musste beendet werden, der Camino del Norte sollte eine Fortsetzung finden und vom beruflichen Ruhestand bin ich noch weit entfernt. Zum Glück! Die Neugierde blieb. Der Name der Wüste: Bardenas Reales.
Beim Betrachten der bizarren Felsstrukturen kam mir der Verdacht, dass ich sie irgendwo bereits gesehen hatte…
Wie aber konnte ich das Ziel geschickt mit einem Camino verbinden?
Ausgangspunkt für die Bardenas Reales ist der Ort Tudela in Navarra. Dass die Stadt mit einem Jakobsweg in Berührung kommt, ist mir erst später während des Laufens bewusst geworden. Stattdessen fiel mir ein Zeitungsartikel mit einer bemerkenswerten Überschrift in die Hände. Titel: “Ist Ihnen der Jakobsweg zu voll? Entspannt Pilgern gegen den Strom. Auf dem Ignatiusweg durchs nordöstliche Spanien."
Die Beschreibung „gegen den Strom“ passte in doppeltem Sinn. Zum einen würde man sich auf dem Camino Ignatiano den Menschenmassen des Camino Francés entziehen. Zum anderen gäbe es eine Etappe von Navarrete nach Logroño, auf der man genau in die entgegengesetzte Richtung des französischen Jakobsweges pilgern würde. Erst im Jahre 2011 wurde der Camino Ignatiano von der spanischen Regierung geschaffen und mit roten Pfeilen gekennzeichnet.
Der Entschluss stand, und die Vorbereitungen konnten beginnen. Obwohl der Ignatiusweg bisher alles andere als populär ist, gibt es zumindest einen umfassenden Reiseführer von José Luis Iriberri und Chris Lowney, in dem die einzelnen Etappen beschrieben werden. So ließ sich eine passende Strecke für die geplante Zeit zusammenstellen. Wir einigten uns darauf, dass ein Tagespensum von 25 Kilometern bei der zu erwartenden Hitze im Hochsommer möglichst nicht überschritten werden sollte. Das Ziel, Tudela, stand fest. Den Start verlegten wir schließlich nach Laguardia im südlichen Baskenland, knapp 150 Kilometer von unserem Ziel entfernt.
Mit der Geschichte der Jakobswege habe ich mich über Jahre beschäftigt. Der Ignatiusweg jedoch ist Neuland. Wer war denn nun überhaupt dieser Heilige Ignatius von Loyola, der Namensgeber des Camino Ignatiano?
Ignatius wurde 1491 als Spross eines baskischen Adelsgeschlechts 44 Kilometer südwestlich von San Sebastián in Azpeitia im Königreich Navarra geboren. Er war das 13. Kind seiner Mutter, die bei seiner Geburt verstarb. Mit Anfang zwanzig schloss er sich dem Militär an. In der Schlacht von Pamplona 1521, in der er im Heer von Karl V gegen die französischen Truppen von Franz I kämpfte, traf ihn eine Kanonenkugel am Bein, die ihn auf das Krankenlager zwang. Statt sich mit militärischer Literatur zu beschäftigen, soll er mehr biblische Texte gelesen haben.
Mit dieser Wende in seinem Leben beschloss Ignatius nach Jerusalem zu pilgern. Der Weg sollte ihn von Loyola nach Barcelona und von dort aus nach Palästina führen. Die Pest, die auf verheerende Weise in Barcelona wütete, verhinderte die geplante Weiterreise und führte dazu, dass sein Weg zunächst in Manresa, der letzten Station des Camino Ignatiano, endete. Die Pilgerreise trat Ignatius 1522 an, also fünf Jahre nach der Reformation durch Luther. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Reformation ein Grund für die Pilgereise Ignatius war. Die Auswirkungen der Reformationsbewegung waren in Spanien wegen der strengen Überwachung durch die Inquisition eher geringfügig. Andererseits bildete später, als die katholische Kirche auf die Herausforderung der Reformatoren reagierte, die jesuitische Gemeinschaft die vorderste Frontlinie.
Ignatius studierte in Barcelona, Salamanca und Paris Theologie und Philosophie. Sein Schaffen war geprägt durch die Ausarbeitung von Exerzitien, also spirituellen Übungen, die der Meditation dienten. Der offiziellen Kirche war das Agieren von Ignatius häufig mehr suspekt als willkommen, sodass er mehrmals Befragungen und Bestrafungen der Inquisition ausgesetzt war. In Paris gründete er mit einigen Gefährten 1540 die Società Jesu, deren erster Vorsitzender Ignatius selbst wurde. Geprägt ist die „Gemeinschaft Jesu“ durch eine straffe Hierarchie, angelehnt an militärische Rangfolgen und eine bedingungslose Gefolgschaft des Papstes. Wenn man so will, hat Ignatius seine militärische Vergangenheit und Prägung nie richtig abgelegt. Das Ziel der Jesuiten als intellektuelle Sperrspitze der Katholiken ist es, die christliche Lehre in die Gesellschaft zu transponieren. Ein Habit, also das Tragen einer Ordenstracht, lehnen sie ebenso ab, wie ein Leben im Kloster. Der berühmteste lebende Jesuit ist Jorge Mario Bergoglio, besser bekannt als Papst Franziskus.
Welch unchristliche Zeit! Bereits um halb fünf Uhr klingelt der Wecker. Unser Sohn Niki steht pünktlich vor der Tür, um uns ins grenznahe Doetinchem zu fahren. Von hier aus geht es mit dem Zug nach Schiphol, dem Amsterdamer Flughafen. Unnötigen Ballast haben wir zuhause gelassen. Pilgererfahrung zahlt sich aus. Eine Last von sechs bzw. acht Kilogramm sollte unseren Schultern zumutbar sein.
Recht frisch ist es heute Morgen. Allzu viel ändert sich überraschenderweise daran auch bei unserer Ankunft in Bilbao nicht. Die Wolken hängen tief. Andererseits sind 18 Grad hier im Norden Spaniens am Golf von Biscaya im Hochsommer nichts Besonderes. Wir sind schließlich nicht in Andalusien. So, wie wir es vom spanischen Verkehrssystem gewohnt sind, fährt der für 14.00 Uhr gebuchte Bus pünktlich ab in Richtung Vitoria Gasteiz.
Kerstin hat ihren Kopf auf meinen Schoß gelegt. Es dauert nicht lange bis ich ein vertrautes Schnorcheln vernehme. Ich selbst bin zu aufgekratzt für ein Nickerchen, denke stattdessen darüber nach, welche spannenden neuen Eindrücke und Überraschungen in den nächsten Tagen auf uns warten. Wie oft bin ich bereits in den letzten Jahren zum Pilgern nach Spanien geflogen! Mit beiden Händen kann ich es schon lange nicht mehr abzählen. Jedes Mal kam ich erfüllt von dem Erlebten zurück. Es wird nie langweilig. Weder die Lust auf einen neuen Weg, eine noch unbekannte Landschaft oder aufregende Begegnungen lassen nach. Nicht alles ist exakt vorauszusehen oder planbar. Wobei ich einschränkend hinzufügen muss, dass ich heute Unterkünfte im Voraus buche und nicht wie früher am Ende einer Etappe schaue, wo ich bleibe. Dennoch: Wir werden improvisieren müssen, wir werden leiden und wir werden belohnt werden für die auf uns genommenen Strapazen. Ich bin dankbar, dass ich mich ohne physische und psychische Einschränkungen in dieses neue Abenteuer stürzen kann. Und ich schätze mich glücklich, dass ich bereits zum fünften Mal mit Kerstin am Start bin.
Der Autobus fährt einen Pass in der baskischen Berglandschaft hinauf. Am Rande der Fahrbahn erkenne ich im Nebel eine Tafel mit der Angabe der Höhe: 1.200 Meter. Der Scheibenwischer kann nur mit Mühe die Wassermassen zur Seite schieben, die der prasselnde Regen verursacht. Immerhin: Die Strapazen mit Höhenmetern, wie wir sie vom Camino Primitivo oder vom Camino del Norte kennen, bleiben uns diesmal erspart, da wir erst jenseits der Bergetappen unsere Pilgerreise beginnen. Die letzte Bergetappe des Camino Ignatius führt von Genevilla nach Laguardia. Genau hier werden wir morgen starten. Zuvor aber wollen wir uns Vitoria, die Hauptstadt des Baskenlandes, anschauen.
Als der Autobus in die Estacion de los buses in Vitoria einfährt, hat der Regen aufgehört. Sehr passender und willkommener Zeitpunkt! So sind wir nicht schon komplett durchnässt, bevor wir in Laguardia ankommen. Neben der Besichtigung der Altstadt haben wir noch eine Aufgabe. Wir wollen den Decathlon Shop aufsuchen, um einen Wanderstock für Kerstin zu besorgen. Eine Woche vor unserer Abreise war sie mit dem rechten Fuß so heftig umgeknickt, dass es zu einer massiven Schwellung kam, die unsere geplante Wanderung ernsthaft in Frage stellte. Durch eine Stützbandage konnte sie das Sprunggelenk stabilisieren. Ein Stock könnte ihr zusätzliche Sicherheit geben – so hoffen wir.
Wir schultern unsere Rucksäcke und laufen hoch in die sehenswerte Altstadt. Trotz strammen Schrittes brauchen wir gut zwanzig Minuten.
Vitoria Gasteiz wurde 1181 von Sancho dem Weisen, König von Navarra, gegründet und blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Zeitweise gehörte es zu Kastilien. Heute ist Vitoria die Hauptstadt des Baskenlandes sowie der südlichsten baskischen Provinz Álava. Durch zunehmende Ansiedlung von Industrie wuchs die Stadt schnell.Viele Spanier aus den südlichen Landesteilen Andalusien und der Extremadura siedelten um nach Vitoria. Mittlerweile ist die Einwohnerzahl auf über 250.000 gestiegen. Dies ist auch der Grund warum 1980 nicht Bilbao oder San Sebastian Hauptstadt des Baskenlandes wurden, sondern Vitoria Gasteiz. Auf Grund der Mischung spanischer und baskischer Bevölkerungsanteile in Álava war die Identifi kation mit baskischen Idealen hier geringer als in den nördlichen Provinzen Gipzoa und Biscaya gegeben. Durch die Wahl von Vitoria zur Hauptstadt wurde die Loyalität zum Baskenland erhöht.
Einen absolut unwürdigen Part spielt Deutschland in der Geschichte Vitorias. Von hieraus starteten die Flugzeuge der Legion Condor ihren Luftangriff auf Gernika.
Wir finden einen passenden Wanderstock für Kerstin und möchten noch gerne an einem der schönen Plätze der Stadt verweilen. Allzu viel bummeln dürfen wir jedoch nicht, da schon bald unser Bus nach Laguardia vom Busbahnhof abfährt. Glaubt man dem Reiseführer von Iriberri und Lowney werden wir morgen unseren Pilgerweg vom attraktivsten Ort des gesamten Camino Ignatiano starten. Eine bezahlbare Unterkunft dort zu finden war gar nicht leicht.