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Die Männer-Wechseljahre als Neuanfang verstehen "Selbst der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt", sagt Konfuzius. Auch ich musste mich überwinden, diesen Schritt zu gehen und dieses Buch zu schreiben. Die Wechseljahre des Mannes, ein Tabuthema, das ich am eigenen Leib erfahren habe. Was mit einer leichten Unruhe begann, wurde zu einem unbarmherzigen Prozess, der meine Ehe, meine Karriere und mein Selbstbild auf die Probe stellte. Unerklärliche Wutanfälle, schlaflose Nächte, Fremdgehen und ständige Stimmungsschwankungen. Ich fühlte mich wie auf einer unaufhaltsamen Achterbahnfahrt. Klingt vertraut? Du bist nicht allein! Dieses Buch ist mehr als nur ein Erfahrungsbericht, es ist ein ehrlicher Blick auf die Tiefpunkte und die Wendepunkte im Leben eines Mannes, der nicht nur an den Wechseljahren, sondern auch an sich selbst gewachsen ist. Es gibt zahllose Bücher und Ratgeber von Frauen für Frauen, aber es gibt kein einziges Buch im deutschsprachigen Raum, das uns Männern in dieser Lebensphase zur Seite steht. Ich breche das Schweigen und zeige, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, darüber zu sprechen. Vielmehr liegt in der Akzeptanz eine ungeahnte Stärke. Ich offenbare mein Innerstes, meine Verfehlungen, meine Erfolge und mein Scheitern. Angefangen von der Kindheit bis zum heutigen Tag. Lass uns gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen: Was könnten die ersten Symptome sein? Wie könnte man(n) neue Herausforderungen bewältigen? Und wie nutzt du diese Lebensphase als Chance, um stärker und zufriedener daraus hervorzugehen? In diesen Seiten findest du keine leeren Phrasen, sondern echte Geschichten, meine Geschichte als ungeschönte Wahrheit, klare Erkenntnisse und einen Weg, der aus Frustration zu neuer Kraft führt. Dieses Buch ist ein Weckruf, die Wechseljahre nicht als Dogma, sondern als Anfang zu begreifen, für ein neues, erfülltes Kapitel in deinem Leben. Es wird nicht leicht, aber es lohnt sich. Der erste Schritt? Er liegt genau hier, in deinen Händen. Mach ihn ? für dich, deine Familie, dein Leben. Dieses Buch wird dir helfen, dich selbst zu reflektieren und im besten Fall nicht die gleichen Fehler zu machen wie ich.
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Seitenzahl: 315
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Die Wahrheit über Männer in der Midlife-Crisis
Mein Ratgeber mit schonungslosem Blick auf eine Lebensphase
Warum ich dieses Buch schreibe?
Du bist die Summe Deiner Erfahrungen der Vergangenheit
Der Tag, der mein Leben in eine völlig falsche Bahn lenkte
Männer und ihre Väter – Der Generationenkonflikt
Meep-Meep-Meep -der Roadrunner-
Schatz, ich glaube ich habe Fieber
Beam me Back in 80er
Einmal Easy Rider sein
Isabell – oder warum wir Idioten fremdgehen
Die Bombe platzt
The Judgement Day – Das Karma schlägt zu
Die Ursachen des Fremdgehens: Eine Analyse
Der männliche Jagdtrieb – Instinkt oder Ausrede?
Fremdgehen – aber richtig?
Haarausfall beim Mann
Das neue Idealbild des Mannes
Freunde oder Kumpels aus dem Blickwinkel eines Egotypen
Die Macht der männlichen Hormone
Decabolin und Steroide: Finger weg von dem Teufelszeug
Vitamine und Ernährung – so bleibst Du im Gleichgewicht....
Sport und Bewegung
Dr. Steiger kommt - Glück auf
Sex und Leidenschaft -jetzt mal Butter bei die Fische
Wechseljahre bei Frauen
Akzeptiere das Altwerden
Ich der „Lone Survivor“
Klassentreffen nach 30 Jahren – Ach du Scheiße,
Die Spiritualität des Mannes – Glaube, Sinnsuche
Hat das Leben einen Sinn
Ich werde zum Nordpol meiner Familie
Der Selbstwert des Mannes – Karriere, Familie
Meine Bucket-List -verpasste Träume, oder doch nicht?
Mit Schrammen durch eine schwierige Zeit
Mein Kumpel Tino – ein paar Worte von ihm
Einsamkeit im Alter
Drugs & Rock 'n' Roll – Never ever
Love-Letter – the biggest fool of us
Neuanfänge – Mut zur Veränderung
Mentor und Vorbild
Finanzielle Vorsorge
Ein paar Worte zum Schluss
Konfuzius sagt: Selbst der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Ich musste mich überwinden, mit diesem Buch anzufangen. Erstens, weil ich eigentlich keine Lust hatte, mich mit allem auseinanderzusetzen, und zum anderen, weil ich Bammel vor der riesigen Arbeit mit diesem Buch hatte. Erst auf Drängen meiner Frau konnte ich dieses Buch in Angriff nehmen und hoffe, dass es euch hilft.
Es war ein schwerer Weg und ein schleichender Prozess, der einen unmerklich zu etwas anderem werden lässt, und das muss nicht unbedingt etwas Gutes sein. Wenn ihr euch so fühlt, wie ich es in diesem Buch beschreibe, verhaltet ihr euch ebenso oder lernt aus meinen Fehlern und macht es besser.
Nur wegen ein paar verdammter Hormone alles zu verlieren, ist es nicht wert. Also, Jungs, lest weiter und achtet auf euch. Wer dieses Buch gekauft oder geschenkt bekommen hat, dem geht oder ging es wohl genau wie mir: Midlife-Krise oder Wechseljahre. Noch bevor wir mit 50 Jahren zum Urologen gehen, haben wir schon viel erlebt.
Wir rasten wegen jeder Kleinigkeit aus, fühlen uns krank, denken, wir haben Fieber, weil wir das Gefühl haben, zu verbrennen, und dann ist plötzlich wieder alles gut. Man kann nicht mehr schlafen, ist ständig unruhig, hat ständig Gedankenblitze und kommt nicht mehr ins Gleichgewicht. Diese Achterbahnfahrt ist anstrengend, zermürbend und hat auch mich an meine Grenzen gebracht.
In diesen Jahren verändert sich das Leben. Um einen Einblick in die Wechseljahre eines Mannes zu geben und was ich so alles durchgemacht habe, erzähle ich dir meine Geschichte: meine Todesangst, Manneskraft bis zum Totalverlust meiner Ehe. Nie hätte ich gedacht, dass es auch uns Männer trifft.
Es gibt viele Bücher über die Wechseljahre einer Frau, aber keine Ratgeber für uns Männer. Dieses Thema ist bei Männern ein Tabu, und darüber zu reden, ist verpönt. Nicht einmal unter guten Freunden wird dieses Thema besprochen. Das Bild vom ständig starken und kontrollierten Mann fällt auseinander, wenn man offen zugibt, dass auch wir nicht unverwundbar sind. Ich will damit Schluss machen und dir zeigen, was ich erlebt habe und wie auch du mit diesem sensiblen Thema umgehen kannst. Siehst du, du bist nicht allein. Die Wechseljahre sind eine harte Zeit voller Veränderungen. Verdrängen unter dem Motto „Bei uns Männern gibt es das nicht“ ist keine Lösung.
Heute sehe ich das Thema Wechseljahre bei Männern mit anderen Augen. Heute frage ich mich rückblickend, was nur mit mir los war und warum ich mich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Es war Stolz, es war Ignoranz und vielleicht auch Angst vor dem Unbekannten. Man muss sich Zeit nehmen und nicht dagegen arbeiten, denn am Ende kann man sagen, dass es nur besser werden kann. Ein Leben nach den Wechseljahren gibt es. Das Leben geht weiter. Bei mir wurde es mit einer neuen Liebe zu meiner Frau.
Die Wechseljahre sind ein schleichender Prozess, den ich nicht bemerkt habe. Bei mir begann es mit 49, ich wurde unausgeglichen, launisch, aufbrausend, impulsiv. Sexuelle Unlust und Verlust von Fitness waren die Folge. Ich, der immer sportlich war und auf meinen Körper geachtet hat, sah plötzlich die Muskeln weichen und die Energie schwinden. Die Männer, die sich zu cool für diese Themen halten, möchte ich warnen: Dieser Wandel holt jeden ein.
Ständig gab es Streit und Auseinandersetzungen mit meinen Kunden. Ich war 30 Jahre selbstständig als Webdesigner und Fotograf. Jeder, der mir auch nur ein wenig auf den Sack ging, bekam meine Aggressionen zu spüren. Oft gipfelte eine Auseinandersetzung in purem Hass und endete beim Rechtsanwalt. Ich wollte mir nicht an den Karren fahren lassen, weder privat noch im Job. Ein sanfterer Weg kam mir nie in den Sinn. Der Krieger in mir zog das Breitschwert und haute anderen, metaphorisch gesprochen, in den Schädel. Meine Frau bekam die Aggressionen an solchen Tagen voll zu spüren, und ich ließ meine Wut an ihr aus. Kurzum, ich war ein Vollarsch.
Für vernünftige Argumente war ich nicht mehr zugänglich, obwohl meine Frau mir oft nur helfen wollte und mit ihrer lieben Art mich nur beschützen wollte. Hätte ich ihren Rat beherzigt, wäre mir Geld für Anwälte und Gerichte, sowie verärgerte Kunden und Freunde erspart geblieben. Aber der Vollarsch war der Allergrößte, und alle anderen nur Maden. Aber das habe ich so alles nicht reflektiert.
Herumgejammer ist etwas für Weicheier, sagte ich mir. Mich holten immer öfter negative Gedanken ein. Es kochten sogar Dinge aus meiner Schulzeit und Jugend hoch, Leute, die mich geärgert oder ungerecht behandelt hatten. Ich hasste sie alle. Depressionen, Schlafmangel und Wut plagten mich. Im nächsten Augenblick war ich wieder super drauf. Ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Es musste sich etwas grundlegend ändern. Ich wollte das in der Jugend Verlorene wiederhaben und all die Dinge erleben, die ich auf der Liste stehen hatte, bevor der Deckel zugeht. Also traf ich eine Entscheidung.
Die Wechseljahre sind ein schleichender, unmerklich verlaufender Prozess, der mich im Denken und Handeln umgeworfen hat. Aber sie sind auch ein Wendepunkt. Ein Moment, in dem man die Chance hat, sich selbst besser zu verstehen und neu zu definieren. Ich schreibe mir mal alles von der Seele, um dir zu zeigen: Es gibt ein Danach. Und es kann ein verdammt gutes Danach sein, wenn man den ersten Schritt wagt.
Erster Auslöser: Vaterersatz.In der ersten Dekade der Zweitausenderjahre war ich ein echter Workaholic. Ich hatte mehrere Firmen am Laufen: eine Finanzberatungsagentur, ein Immobilienunternehmen und eine Webdesign-Klitsche. Finanziell lief es hervorragend. Vom Typ her war ich ein überheblicher, arroganter Affe. Wer schon einmal den Film „Wolf of Wall Street“ gesehen hat – ich war wie Jordan Belfort, einfach der Größte (der größte Blödmann).
Für monatlich 30.000 Euro war aber auch eine Siebentagewoche angesagt. In der Woche habe ich die Finanz- und Webklitsche am Laufen gehalten und am Wochenende Besichtigungen für die Immobilienfirma durchgeführt. Zeitgleich kamen 1998 und 2001 unsere Söhne zur Welt, und zu allem Überfluss wollte meine erste Frau zu diesem Zeitpunkt ein Haus. Einfach damit die Kids nicht in der Stadt aufwachsen müssen und eine schöne Umgebung haben.
Gesagt, getan: Wir kauften ein Haus am Stadtrand von Berlin, allerdings war es nur halbfertig. Es war noch eine Menge daran zu machen. Eigentlich waren nur ein Dach und die Fassade vorhanden. Alle Verwandten rieten uns ab, dieses Haus zu kaufen, allen voran mein Schwiegervater. Das Haus war im Prinzip ein Rohbau. Er erkannte sofort, dass dieses Haus ein Millionengrab werden würde. Ich bin auf dem Land groß geworden und hatte einige handwerkliche Erfahrung. Mein Schwiegervater wusste das, aber er erkannte auch, wie viel Arbeit in dieses Haus gesteckt werden müsste. Aber die Lage und der Stil des Hauses sowie das große Grundstück waren ein gewichtiges Argument für den Kauf. Das Haus war sehr groß, mit fast 300 qm Wohnfläche. Allein das Wohnzimmer war 120 qm groß, mit einer Fensterfront über die gesamte Breite und Blick in den Wald. Das Wohnzimmer war durch das Schleppdach sehr hoch, rund sieben Meter, und hatte oben eine umlaufende Galerie. Das war schon ein echter Hingucker.
Der Verkäufer war ein windiger Typ, der sich kurz vor der Insolvenz befand und in Scheidung lebte. Dass wir diesem Typen vor dem Kauf des Hauses nicht mehr „auf den Zahn gefühlt“ haben, sollte sich noch bitter rächen.
Meine damalige Frau wollte das Haus unbedingt und drängte mich, mit meiner Bank zu sprechen. Ich wollte vorab ein Gutachten machen lassen, sie war dagegen und drängte mich fast täglich zum Kauf. Die Bank gab für 375.000 DM innerhalb von wenigen Tagen ihre Zustimmung. Da ich zu dieser Zeit gut verdiente, war eine Monatsrate von 1700 DM kein Problem.
Wir zogen dann Mitte 2000 in das Haus ein. Ich fing sofort an mit der Renovierung und machte Raum für Raum fertig. Ich habe nach Feierabend oder am Vormittag am Haus gewerkelt, bin dann arbeiten gefahren und spät abends wieder heimgekommen.
Meist waren das zehn- bis zwölf-Stunden-Tage. Ich bin handwerklich sehr begabt, da ich auf dem Land aufgewachsen bin und mein Vater mir sehr viel beigebracht hat. So konnte ich fast alles, außer Fliesenlegen, das war mir immer zu fummelig, darauf hatte ich keine Lust. Ich habe sogar den Kamin im Wohnzimmer völlig allein gebaut.
Es gab damals tatsächlich Selbstbausätze – so ein bisschen wie Lego für Erwachsene, nur ohne Spaß und in XXL. Man kann es sich so vorstellen: Die liefern dir eine riesige Palette mit Porenbetonsteinen, Säcken voller Gips, ein paar Marmorbänken und einem monströsen gusseisernen Einsatz. Ach ja, und als Krönung gab’s noch ein VHS-Video dazu. Darin wurde jeder Schritt erklärt, als ob man das mal eben im Schlaf hinkriegt. Von wegen!
Du musstest wirklich alles selbst machen: Die Steine zuschneiden, die Teile passgenau zusammenfügen, und dann noch diese verflixt schweren Marmorbänke heben, die so sperrig waren, dass man dachte, sie stammen aus einem antiken Tempel.
Aber ich wäre ja nicht ich, wenn ich mich davon hätte unterkriegen lassen. Mit einem selbstgebauten Flaschenzug – ja, das Ding war echt Marke Eigenbau – hab ich das komplette Teil allein hochgezogen. Keine Hilfe von Freunden, keine Nachbarschaftshilfe, gar nichts. Nur ich, mein Wille und dieses unfassbar schwere Monstrum.
Ich schwöre, als ich endlich fertig war, hab ich mich gefühlt wie ein verdammter Held. Jeder, der das Ding heute sieht, denkt wahrscheinlich: „Ach, das war bestimmt ein Fachmann.“ Aber nein, das war ich. Ein Typ mit einer VHS-Kassette und einer guten Portion Wahnsinn!
Der Schornsteinfeger war bei der Abnahme begeistert, er konnte nicht glauben, dass ich das zum ersten Mal und allein geschafft hatte.
Aber nun zurück zum Thema Hauskauf.
Die ersten Probleme traten schon nach ein paar Wochen nach dem Kauf auf. Es regnete rein. Wir ließen einen Dachdecker kommen, der feststellte, dass ein Teil des Schindeldaches beschädigt war, was uns der Verkäufer natürlich verschwiegen hatte. Und hier rächte sich der überhastete Kauf ohne Gutachten.
Das Ende vom Lied: Ein neues Dach für 18.000 DM musste her. Dabei sollte es nicht bleiben. Bei jedem Projekt in diesem Haus, das ich anpackte, uferte es in eine Odyssee aus. Egal, wo man anfing, etwas zu öffnen oder freizulegen, überall Murks. Der Vorbesitzer kannte als Baumaterial offensichtlich nur Bauschaum, Kabelbinder, Panzertape und Silikon.
Letztendlich hat mich das Haus bis zu meinem Auszug 2008 insgesamt 795.000 Euro gekostet. Dafür hätte ich auch ein nagelneues Stil-Haus bekommen. Die größte Geldabschaffungsaktion meines Lebens. Mich wurmte das ungemein, mein Erspartes schmolz dahin und damit auch meine Altersvorsorge. Dass ich einmal nicht mehr als 165.000 Euro für das Haus erhalten würde, wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht und konnte es mir auch nicht vorstellen.
Ich konnte gar nicht so viel arbeiten, wie ich Geld ranschaffen musste, um diese verflixte Bude am Laufen zu halten. Auch die Heizkosten waren immens, aufgrund der Größe des Hauses und der Tatsache, dass die Bude nur unzureichend gedämmt war. Da meine damalige Frau und meine Kinder den ganzen Tag daheim waren und es immer um die 25 Grad im Haus waren, zog die Heizung die Tanks im Handumdrehen leer. Ich habe so an die 12.000 Liter Heizöl im Jahr verballert. Ein enormer Kostenfaktor.
Die Unzufriedenheit mit meinem Leben wuchs aber stetig und ständig. Denn was nützt die ganze Kohle, wenn man dafür kein Leben mehr hat?
Meinen Schwiegervater liebte ich sehr. Ein toller, einfacher, bodenständiger Mann. Er war wie ein Magnet, der die ganze Familie zusammenhielt. Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander, und er war mir mehr Vater als mein leiblicher Vater. Wenn ich einen Ratschlag brauchte, hatte er immer ein offenes Ohr für mich. Die Ratschläge waren oft einfach und trafen ins Schwarze.
Was ich immer klasse fand, war seine patriarchalische Art: Wenn ein Familientreffen angesagt war, ließ er nicht zu, dass jemand fehlte. Da ich immer schon ein totaler Familienmensch war, folgte ich gern Vaters „Befehlen“. Meine Schwiegereltern wohnten in der Uckermark, sehr idyllisch auf einem uralten Bauernhof.
Ich liebte es dort, weil mich vieles an meine Kindheit auf dem Land erinnerte. Der Hof lag direkt an einem Wald, mit Ausblick auf eine Flussbiegung – einfach klasse.
Mein Schwiegervater war wie ich ein totaler Workaholic. Im Hauptjob Forstwirt, hielt er nach Feierabend noch die heimische Landwirtschaft am Laufen. Er arbeitete wie ich auch zehn bis zwölf Stunden am Tag. Er war sehr sparsam und fuhr mit meiner Schwiegermutter selten in den Urlaub, und dann maximal an die Ostsee oder in den Harz. Es durfte nichts kosten. Den Rest der Welt hat mein Schwiegervater nie gesehen, obwohl er das Geld dafür gehabt hätte. Kurzum: nur ackern, nicht leben. Genau das gleiche Leben, wie ich es gerade führte.
Diesen großartigen Vaterersatz verlor ich 2001 durch eine Krebserkrankung. Sein Tod riss ein Loch in mein Leben, das ich lange nicht füllen konnte. Er war nicht nur wie ein Vater für mich, sondern auch mein Mentor, mein Halt, mein Rückzugsort, wenn alles andere aus den Fugen geriet. Als er ging, fühlte es sich an, als hätte ich meinen Kompass verloren.
Ich fiel in ein tiefes Loch. Die Trauer war erdrückend, und plötzlich war all das, was mich sonst so sehr angetrieben hatte – Arbeit, Erfolg, Status – bedeutungslos. Seine Abwesenheit war wie ein Echo in meinem Alltag, das mich immer wieder daran erinnerte, wie viel von meinem Leben ich verpasst hatte, weil ich ständig „busy“ war.
Hier kamen mir zum ersten Mal echte Zweifel, ob ich mein Leben in dieser Form weiterführen will. All die Stunden, die ich in Büros, auf Geschäftsreisen oder in Meetings verbracht hatte, wirkten plötzlich wie verschwendete Zeit. Wofür das Ganze? Für ein volles Konto? Für einen dickeren Wagen? Für ein Ego, das ständig nach Bestätigung giert?
Ich kam zu dem Schluss, dass ich dringend etwas ändern muss. „Scheiß auf die Kohle und fang an zu leben“, dachte ich mir. Aber wie setzt man so einen Gedanken in die Tat um, wenn man jahrelang nichts anderes gemacht hat als ackern? Es war wie der Versuch, eine schwere Lokomotive plötzlich in die andere Richtung zu lenken. Schwer, aber nicht unmöglich.
Ich entschied mich, das Tempo zu drosseln, Dinge bewusster zu erleben und Zeit für die Familie und meine kleinen Söhne zu schaffen. Denn sein Tod hatte mir auf brutale Weise gezeigt, dass unser Leben endlich ist – und dass die Frage, ob wir unser Leben wirklich gelebt haben, am Ende wichtiger ist als jede Provisionsabrechnung.
Ich war ein gläubiger Mensch, überzeugt davon, dass es nach dem Tod etwas geben muss. Jedenfalls klammerte ich mich an diese Hoffnung, denn ohne sie erschien mir das Leben schlicht sinnbefreit.
Im Jahr 2004 stand eine größere Operation an: die Entfernung aller vier Weisheitszähne. Es sollte eine ambulante OP unter Vollnarkose sein. Der Raum war kühl, die Luft erfüllt von dem leisen Summen medizinischer Geräte. Der Anästhesist beugte sich über mich, sein Lächeln professionell, aber distanziert. „Ich zähle jetzt bis drei, Sie werden gleich einschlafen“, sagte er, seine Stimme ruhig und kontrolliert. Ich hörte ihn zählen, und kaum hatte er die Zahl drei ausgesprochen, schien sich die Welt um mich herum aufzulösen.
Der nächste Moment war ein Rätsel. Ein Augenblick später – oder so empfand es sich für mich – wurde ich von einer Schwester sanft geweckt. Ihre Stimme war warm, als sie sagte: „Die OP ist schon lange vorbei, Sie haben es geschafft.“ Ich blinzelte und suchte in der völligen Orientierungslosigkeit nach einem Anhaltspunkt. „Wann fangen wir an?“, fragte ich verwirrt. Sie lachte leicht und wiederholte, dass alles längst vorbei war.
Das Erstaunlichste an dieser Erfahrung war nicht die körperliche Genesung oder der Erfolg der Operation. Es war das Gefühl des absoluten Nichts, das mich während der Narkose durchzogen hatte. Kein Traum, kein Zeitgefühl, keine Schatten von Gedanken – nur eine alles umfassende Dunkelheit, die ohne Vorwarnung begann und endete. „So muss der Tod sein“, dachte ich mir. Ein abruptes Ende, in dem die Lichter einfach ausgehen, und dahinter herrscht Stille. Kein Weiterleben, kein Übergang – nur ein Loch, tief und still.
Diese Erkenntnis ließ mich erschauern. Wenn das Leben nur diese begrenzte Zeitspanne umfasst, ein Flickenteppich aus Verpflichtungen, Arbeit und der Jagd nach Anerkennung, was bleibt dann? Der Tod meines Schwiegervaters, der immer noch wie eine Wunde in meiner Seele pochte, rückte plötzlich in ein noch schärferes Licht. Sein Leben, das nur aus Arbeit und dem ständigen Bemühen, die Familie finanziell abzusichern, bestand, erschien mir in all seiner Tragik. Er hatte nie das Glück gekannt, einfach zu sein. Er war der Fels, der alle trug, aber nie loslassen konnte.
Ich schwor mir, dass ich nicht denselben Weg gehen würde. Das Leben musste mehr sein als nur Zahlen, Tabellen und die schier endlose Wiederholung derselben Abläufe. Zum ersten Mal wagte ich es, darüber nachzudenken, was wirklich zählt. War es das Lächeln meiner Kinder, das ich zu selten sah, weil ich schon vor Sonnenaufgang das Haus verließ und erst spät in der Nacht zurückkam?
Ich wollte nicht länger ein Schatten sein, der durch die Tage hetzt, getrieben von der Angst, nicht genug zu sein. Stattdessen wollte ich spüren, leben, atmen – all die Dinge tun, die in meiner Vorstellung immer zu kurz gekommen waren. Und wenn die Lichter eines Tages wieder ausgehen würden, wollte ich nicht in die Dunkelheit treten und bedauern, dass ich die Glut des Lebens nie wirklich gespürt hatte.
Keine Ahnung, warum ich mich in sie verliebt hatte. Vom Naturell her war sie eher spröde und unterkühlt, wie eine kalte Brise an einem Wintermorgen.
Emotionale Wärme war selten zu spüren, richtige Tiefe gab es nie. Dennoch hatte sie ihre Vorzüge. Was ich an ihr geschätzt hatte, war ihr unbestreitbarer Sinn für schöne Dinge, ihre Gabe, ein gemütliches Heim zu schaffen, und ihr ausgeprägter Familiensinn. Diese Eigenschaften zogen mich in einer Zeit an, in der ich nach Stabilität und Struktur suchte. Wir begegneten uns Mitte der Neunziger auf einem Finanzkongress – einem dieser steifen Events, bei dem die Luft von ehrgeizigen Gesprächen schwanger ist.
Sie war eine beeindruckende Erscheinung, eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit brünettem Haar, schlanker Figur und ausdrucksstarken, dunklen Rehaugen, die man nicht so schnell vergaß. Ihr Lächeln war selten, aber wenn es kam, war es wie ein flüchtiger Sonnenstrahl durch dicke Wolken. Ihre Ausstrahlung war eine Mischung aus Eleganz und Kälte, und das faszinierte mich damals mehr, als es sollte.
Wir fanden schnell einen guten Draht zueinander. Es stellte sich heraus, dass wir nicht weit voneinander wohnten, und so ergaben sich weitere Treffen, die in einer Beziehung mündeten.
Diese Beziehung war von Anfang an wie ein loderndes Feuer – heiß und zerstörerisch zugleich. Es gab viele Trennungen, gefolgt von der unausweichlichen Rückkehr. Damals hielt ich das für Leidenschaft. Gegensätze ziehen sich an, dachte ich. Erst Jahre später erkannte ich, dass das, was uns anzog, auch das war, was uns trennte. Auf Dauer zählen Gemeinsamkeiten mehr und alles andere wird zur ständigen Reiberei.
1997 beschlossen wir zu heiraten. Diese Entscheidung brachte einen Sturm in meine Familie. Meine Eltern waren strikt gegen diese Ehe. Die Ablehnung ging so weit, dass sie weder zum Polterabend noch zur Hochzeit kamen. Der Rest meiner Verwandtschaft wurde von ihnen und meiner Schwester beeinflusst und blieb ebenfalls fern. Keine Anrufe, keine Glückwünsche, nur Stille, die schwerer wog als jede Auseinandersetzung.
Diese Ablehnung zerriss etwas in mir, und in meinem Stolz und meiner Enttäuschung brach ich den Kontakt ab. Der Bruch war endgültig. Mein Vater starb 2017, ohne dass ich je wieder mit ihm gesprochen hatte… scheiß drauf.
Zurück zu meiner Frau: 1998 kam unser erster Sohn zur Welt, und ich war stolzer, als Worte es beschreiben können. Mein Herz füllte sich mit einem Glück, das ich bis dahin nicht gekannt hatte. 2001 folgte unser zweiter Sohn. Das Leben fühlte sich in jenen ersten Jahren wie ein perfekt orchestriertes Stück an – Beruf, Familie, das neu gekaufte Haus in der Nähe von Berlin. Alles schien in bester Ordnung. Aber unter der glänzenden Oberfläche begannen Risse sichtbar zu werden.
Mit der Geburt unserer Kinder und dem Leben als Hausfrau begann meine Frau, sich zu verändern. Sie wurde immer tüddeliger und wirkte zunehmend wie ein typisches Hausmütterchen, das sich nur noch um Heim und Herd kümmert. Ihre einst so eloquente und schlagfertige Art schien wie ausgelöscht. Stattdessen trat eine Engstirnigkeit zutage, gepaart mit einer beunruhigenden Uninformiertheit.
Das machte sich besonders bei geschäftlichen Treffen bemerkbar, zu denen ich sie manchmal mitnahm. Anfangs dachte ich noch, dass sie vielleicht einfach einen schlechten Tag hatte, aber es wurde mit der Zeit immer offensichtlicher – und, ehrlich gesagt, auch peinlicher. Sie brachte oft völlig zusammenhangslose Kommentare, war schlecht vorbereitet oder wirkte desinteressiert.
Ich merkte, wie sich meine Geschäftspartner immer öfter fragend ansahen, und ich versank innerlich vor Scham. Es tat mir weh, sie so zu erleben, denn das war nicht die Frau, die ich einst kennengelernt hatte. Ihre früher so scharfsinnige und gewinnende Persönlichkeit war wie weggewischt. Stattdessen blieb der Eindruck einer Frau, die sich selbst verloren hatte – und uns beide gleich mit.
Ich war derjenige, der die finanzielle Last trug, und mein Job lief hervorragend, brachte mir 20.000 bis 30.000 Euro monatlich ein. Sie genoss diesen Wohlstand, davon war ich überzeugt. Das Geld wurde in feinste Kleidung, hochwertige Einrichtung und kostspielige Ausflüge investiert. Der Nachschub war immer da, wie eine unerschöpfliche Quelle. Aber es fehlte an den Dingen, die kein Geld kaufen konnte: Nähe, Zärtlichkeit, Worte wie „Ich liebe dich“.
Nach der Geburt unseres zweiten Kindes verschwand auch die Intimität. Zwei Jahre lang gab es keine körperliche Nähe, und jeder Versuch von meiner Seite wurde mit einer kalten Mauer des Schweigens abgeblockt. Ich suchte nach Antworten, fragte mich, was sich verändert hatte, aber ein offenes Gespräch war nicht möglich.
Dann kam jener Sonntagmorgen. Wir saßen am Frühstückstisch, die Kinder spielten in ihren Zimmern. Ich nahm meinen Mut zusammen und sprach das Thema an: „Schatzi, ich vermisse unsere Nähe. Es ist, als ob da nichts mehr zwischen uns wäre. Findest du das normal?“
Ihre Antwort die mich bis ins Mark traf.
„Du Weichei, reiß dich zusammen. Ich habe keinen Bock auf dich. Komm klar damit.“
Ich war geschockt von der abgrundtiefen Bösartigkeit dieser Aussage. Ich konnte es nicht fassen, wie sie drauf war. Das zeigte mir, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte zwischen uns. Ich saß dann noch eine Stunde still und ruhig am Tisch, ohne noch einmal mit ihr zu reden. Sie kümmerte sich fünf Meter neben mir um ihren Haushaltskram und bedachte mich keines Blickes. Sie musste ja gemerkt haben, wie es mir ging, aber eine Entschuldigung oder Ähnliches gab es nicht.
Da saß ich, der Mann, der alles für seine Familie gab, und hörte, dass die Frau, die ich liebte, nichts mehr für mich empfand.
Die Tage danach war ich wie betäubt, sprach nur das Nötigste mit ihr. Ich wartete auf ein Zeichen von Reue, ein Wort des Bedauerns. Aber es kam nichts. Also zog ich meine Konsequenzen.
Ich beschloss, dass unsere Ehe innerlich beendet war, auch wenn ich äußerlich noch da war. Damit begann mein Abstieg in eine Welt, die mich ebenso faszinierte wie zerstörte. Ich meldete mich auf einer Partnerbörse an und fand schnell Frauen, die mir gaben, wonach ich mich sehnte: Bestätigung, Wärme, Zärtlichkeit.
Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Damen meldeten und die ersten Dates verabredet wurden. Ich traf mich in den nächsten Monaten mit unzähligen Frauen, und ich war erstaunt, wie leicht es war, die Damen ins Bett zu bekommen. Vormittags im Büro geschrieben, nachmittags zum Essen verabredet und dann meist kurze Zeit später bei der Maus im Bett gelandet. Ich hatte meinen Spaß und Sex ohne Ende. Ich konnte das alles leicht kaschieren, da ich ja ohnehin viel unterwegs war und auch über Nacht auf „Konferenzen“ war. Das war ehrlich gesagt eine sehr, sehr geile Zeit. Allerdings auch mit schwerwiegenden Konsequenzen, wie sich in den nächsten Kapiteln noch zeigen wird.
Außerdem zeigte es mir, dass ich als Mann noch attraktiv auf andere Frauen wirkte – genau das Gefühl, das ich bei meiner Frau nicht mehr hatte.
Okay, meine Kindheit war im Großen und Ganzen normal. So normal, wie sie in der ehemaligen DDR eben verlaufen konnte. Trotz des verordneten Sozialismus und der angeblichen „Gleichheit aller Menschen“ war die Gesellschaft tief gespalten. Die Ungleichheiten waren überall zu spüren, ein ständiger Unterton im Alltag, der die Menschen in drei ungleiche Klassen trennte.
Die erste Klasse bestand aus den Politbüro-Kommissaren, den Unantastbaren, den Auserwählten des Systems. Sie lebten abgeschottet in Villen, geschützt hinter hohen Mauern und bewacht von Sicherheitskräften. Man erinnere sich nur an die Honecker-Siedlung in Wandlitz, wo die Partei-Elite ihre Privilegien genoss – Swimmingpools, importierte Lebensmittel, medizinische Versorgung auf Westniveau. Ihre Kinder gingen auf spezielle Schulen, wo sie von den Problemen des gewöhnlichen Lebens verschont blieben. Sie lebten in einer eigenen, fast surrealen Welt, in der die Ideale des Sozialismus lediglich als Kulisse dienten.
Dann kam die zweite Klasse – die Menschen, die West-Verwandtschaft hatten und durch deren Devisen Zugang zu den „Intershops“ erhielten. Diese Geschäfte, ein Mysterium für uns, die wir nur die Schaufenster kannten, boten Waren an, von denen der durchschnittliche DDR-Bürger nur träumen konnte: Schokolade aus Belgien, Jeans aus den USA, Parfum aus Frankreich. Diese Leute waren die Krönung der Schöpfung, und sie zeigten es auch. Man sah sie in ihren glänzenden Autos und mit den neuesten Errungenschaften aus dem Westen – Kassettenrekorder, Markenklamotten, Nylonstrümpfe. Diese Leute fühlten sich als etwas Besseres und blickten mit Überheblichkeit auf die Normalos herab. In der Disco trugen sie ihre Levis-Jeans und waren die Größten. Ich hingegen stand da in meinen Pfeffer-und-Salz-Hosen aus billigem, schlecht sitzendem Flanellstoff.
Die Botschaft war klar: „Seht her, was ich habe, und was ihr niemals haben werdet.“ Diese demonstrative Überlegenheit war eine ständige Erinnerung daran, dass Gleichheit nur auf dem Papier existierte.
Und dann war da die dritte Klasse, zu der meine Familie gehörte. Die Klasse, die sich mit der grauen Realität der Mangelwirtschaft zufriedengeben musste. Wir hatten keine Verwandten im Westen, die uns mit Paketen voller Wohlstand und Duft von Freiheit versorgten. Unsere Einkäufe waren ein ständiger Kampf. Wir standen stundenlang in endlosen Warteschlangen, nur um am Ende zu hören, dass Dinge schon ausverkauft war. Das Versprechen des Sozialismus, die Gleichheit und Gerechtigkeit für alle, war nichts als ein hohler Slogan. Ein System, das predigte, den Menschen zu befreien, hatte uns in Wahrheit in unsichtbare Ketten gelegt, gefangen in einem Käfig aus Entbehrungen.
Aber zurück zu meiner Mutter. Sie wollte immer dazugehören. Sie wollte Teil der glitzernden, zweiten Klasse sein, wollte dazugehören zu denen, die mit einem selbstgefälligen Lächeln an uns vorbeigingen, während wir unsere dünnen Jacken enger zogen und den Mangel akzeptierten.
Warum dieser Wunsch? Vielleicht, weil die Nachbarn links und rechts von uns zur zweiten Klasse gehörten. Sie fuhren West-Autos, die selbst in der DDR aufsehenerregend waren. Einer unserer Nachbarn fuhr sogar einen Mercedes – ein Symbol des Luxus und ein Schlag ins Gesicht derer, die im Trabant oder Wartburg unterwegs waren, sofern sie das Glück hatten, überhaupt ein Auto zu besitzen. Daneben stand ein Moto-Guzzi-Motorrad, ein Prachtexemplar, das die Blicke magisch anzog.
Der Typ liebte es, diese Symbole seines Wohlstands zur Schau zu stellen. Er ließ die Fahrzeuge bewusst draußen stehen, damit jeder Vorbeigehende die kostbaren Besitztümer bewundern konnte. Es war, als wollte er uns sagen: „Ihr könnt lange von Gleichheit träumen, aber hier bin ich, und ich bin besser als ihr.“ Es war ein Schauspiel der Arroganz, das mein junges Ich mit einer Mischung aus Bewunderung und Wut erfüllte. Was für ein selbstgefälliges Arschloch.
Um das zu verstehen, muss man wissen, was Genex war. Genex war eine Handelsgesellschaft, ein Kanal zwischen den Welten, durch den Bürger der BRD für ihre Verwandten im Osten Waren kaufen konnten. Natürlich zu überhöhten Preisen, die sich kaum jemand leisten konnte. Diese Waren – ob es nun ein Paar nagelneue Adidas-Schuhe, Kaffee oder ein Auto war – wurden dann feierlich an die Ost-Verwandten übergeben, die sie wie einen Schatz behandelten. Und dieser Nachbar, dieser Typ, war der lebende Beweis dafür, wie ungerecht das System war.
Er prägte meine Kindheit mehr, als es mir damals bewusst war. Sein ständiges Zurschaustellen von Wohlstand verstärkte den unstillbaren Wunsch meiner Mutter, sich zu beweisen und mitzuhalten. Sie wollte dazugehören, koste es, was es wolle.
Sie wollte auch ein „West-Auto“ haben, wollte dieses Gefühl erleben, Teil dieser zweiten Klasse zu sein. Es gab auf dem Schwarzmarkt die Möglichkeit, ein heruntergekommenes Fiat-Modell zu kaufen – für 150.000 Ostmark, ein Preis, der jenseits aller Vernunft lag, für ein Auto, das im Westen kaum 2.000 DM wert war. Aber dieser Traum fraß unsere Ersparnisse auf.
Meine Mutter wollte immer dazugehören. Dieser Drang, sich in die glänzende Welt derer einzugliedern, die mehr hatten, die über uns standen, trieb sie zu allem möglichen an. Ein „West-Auto“ war für sie mehr als nur ein fahrbarer Untersatz – es war ein Symbol, ein Statussymbol, das zeigen sollte: „Seht her, ich bin nicht weniger als ihr.“ Das Auto war ihre Eintrittskarte zu einem Club, der in ihrer Vorstellung nur den Auserwählten offenstand.
Es war die Zeit, in der das Streben nach diesen Symbolen bedeutete, Opfer zu bringen, und das taten wir. Der abgerockte Fiat, den meine Mutter auf dem Schwarzmarkt erstanden hatte, verschlang all unsere Ersparnisse. 150.000 Ostmark für ein Auto, das im Westen kaum 2.000 DM wert war. Die Zahl allein war grotesk, doch für meine Mutter war es ein Preis, den sie bereit war zu zahlen. Der Traum von Anerkennung, von Respekt, hatte seinen Preis – und wir alle zahlten ihn mit. Sparen bedeutete, dass es immer nur das Billigste zu essen gab – und davon auch noch viel zu wenig. Kein Wunder, dass ich mit 16 Jahren gerade einmal 45 Kilogramm wog. Auch bei den Klamotten wurde gespart: Es gab nur die billigsten Sachen, die weder gut saßen noch besonders schick waren. Ich sah aus wie ein „Lui“, wie man bei uns sagte. Logisch, dass ich wegen meines Aussehens oft das Ziel von Spott und Mobbing wurde. Die anderen hatten es leicht, über mich herzuziehen – ich war ein gefundenes Fressen.
Das Geld, das mein Vater in unzähligen Nachtschichten erarbeitet hatte, indem er Möbel fertigte, wurde in dieses Auto gesteckt. Ich erinnere mich an den Geruch von Sägespänen und Lack, der unser Haus erfüllte, und das stetige Surren der selbstgebauten Drechselbank.
Die Möbel waren seine Meisterwerke, liebevoll gefertigt, um uns über Wasser zu halten. Und obwohl diese Stücke in der Mangelwirtschaft der DDR eine Rarität und fast ein Schatz waren, hatte er nie den Glanz in den Augen, den meine Mutter hatte, als der Fiat endlich in unserer Einfahrt stand.
Mann, war sie stolz. Stolz wie eine Königin in ihrem Reich, die endlich ihre Krone trug. Der Nachbar, der immer den Ton angab, kam tatsächlich herüber und sprach mit ihr, wenn auch nur ein paar flüchtige Worte.
Er würdigte sie eines anerkennenden Nicken, und in diesem Moment war für sie alles erreicht. Der Nachbar, der seine schicke Moto-Guzzi und seinen Mercedes wie Juwelen zur Schau stellte, zollte ihr Respekt. Doch dieser kleine Triumph meiner Mutter hatte seinen Preis – und ich war es, der ihn zahlte.
Mit meinen mageren 45 Kilo war ich in der Schule ein leichtes Ziel für die Starken. Das Mobbing war unerbittlich, die Hänseleien schmerzhaft, und die Lehrer schauten weg, wie es so oft in jener Zeit der Fall war.
Zu Hause suchte ich Schutz, aber da war nichts als Leere. Meine Eltern hatten kein Ohr für meine Klagen. Wenn ich weinend vor ihnen stand und um Hilfe bat, war die Antwort immer die gleiche: „Stell dich nicht so an, komm damit klar.“ Also lernte ich, zu schweigen. Ich lernte, Schmerzen zu ertragen und meine Angst zu verstecken. Ich lernte, dass ich auf mich allein gestellt war.
Da sehen wir es: Narzissten sind empathielos. Sie können nicht über ihre eigene Welt hinausblicken, und meine Mutter war das Paradebeispiel dafür. Ihre Stimme hallte täglich durch das Haus, schrill und fordernd, begleitet von den harten Schlägen ihrer Hand, wenn sie die Beherrschung verlor. In meiner Teenagerzeit verging kaum ein Tag, an dem sie mich nicht anbrüllte oder mich schlug. Manchmal glaubte ich, sie hasste mich wirklich.
Es war eine grausame Ironie, dass ich in der Schule gemobbt wurde und zu Hause keinen sicheren Hafen fand. Das Haus, das anderen Kindern Schutz und Wärme bot, war für mich ein weiterer Ort des Schreckens. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann meine Mutter mich je in den Arm genommen hat oder mir gesagt hat, dass sie mich liebt. Diese Worte, die so leicht über die Lippen kommen sollten, blieben in ihrem Inneren gefangen. Für meine jüngere Schwester war das anders. Sie war das „Nesthäkchen“, das nie falsch sein konnte. Sie war das strahlende Zentrum, um das sich alles drehte.
Auch später, als Erwachsene, setzte sich diese Ungerechtigkeit fort. Meine Eltern bevorzugten das Kind meiner Schwester, schenkten ihr Liebe und Aufmerksamkeit, die meine Kinder niemals kannten. Sie fuhren mit meiner Nichte in den Urlaub, während meine Kinder kaum wussten, wie ihre Großeltern aussahen. Kein Anruf, keine Karte zu Geburtstagen oder Feiertagen – nichts. Es war, als ob wir nicht existierten, und das nagte an mir, ließ eine Wut in mir aufsteigen, die ich kaum kontrollieren konnte.
Meine Mutter, da bin ich mir heute sicher, hatte psychische Probleme. Jeder, der ihr zu nahe kam und nicht ihren Vorstellungen entsprach, wurde aus ihrem Leben verbannt. Freunde, Nachbarn, selbst Familienmitglieder – sie alle fielen ihrer Launenhaftigkeit und ihrem Drang zur Kontrolle zum Opfer. Mein Vater, der sanfte Mann, der sich in der Werkstatt hinter Sägespänen und Holzspänen versteckte, hatte nicht die Kraft, sich ihr entgegenzustellen. Seine Stille war sein Schutz, sein Versuch, in einer Ehe zu überleben.
Manchmal sah ich, wie meine Mutter ihn schlug, ihn demütigte, während er still blieb, die Schultern leicht gesenkt, der Blick auf den Boden gerichtet.
Er war ein Gentleman der alten Schule, der nie die Hand gegen eine Frau erhoben hätte, und das bewunderte ich. Aber es machte mich auch wütend. Denn wenn er es bei sich ertrug, bedeutete das auch, dass er nicht eingriff, wenn sie mich schlug, wenn sie mir wehtat. Vielleicht, weil er selbst nicht wusste, wie man gegen so einen inneren Dämon kämpft.
Ich lernte von meinem Vater Geduld und handwerkliches Geschick, aber ich lernte auch, was es heißt, im Schatten der Angst zu leben. Ich lernte, wie man schweigt, um den Frieden zu bewahren, und wie man unsichtbar wird, um nicht Zielscheibe zu sein. Es war eine Lektion, die mich prägte – eine Lektion, die ich später schwer abschütteln konnte.
Alles, was Du erlebt hast, jeder Schmerz, jedes Glück, jede Entscheidung, hat Dich zu dem Menschen gemacht, der Du heute bist. Es gibt keinen Grund, Dich für Deine Vergangenheit zu rechtfertigen. Deine Erfahrungen, ob gut oder schlecht, sind der Grundstein Deines Charakters, Deiner Stärke und Deiner Einzigartigkeit. Sie gehören zu Dir wie Dein Name. Also steh zu dem, was Dich geformt hat, und lass Dir von niemandem einreden, Du müsstest Dich dafür entschuldigen.
Ich denke, viele meiner Verhaltensweisen und Aggressionen sind aus den negativen Erfahrungen meiner Kindheit, den Mobbingerfahrungen und der Ungleichbehandlung entstanden. Diese prägenden Jahre, in denen ich lernte, dass Liebe an Bedingungen geknüpft ist und Schutz eine Illusion bleibt, hinterließen Spuren, die mich lange begleiteten. Als Erwachsener trug ich diese Narben wie ein unsichtbares Gewicht mit mir herum, und letztlich führten viele weitere negative Erlebnisse dazu, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern und meiner Schwester abbrach.