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Seine Recherchen zur DDR-Literatur führten den amerikanischen Germanisten Richard Zipser ab 1973 wiederholt von Oberlin im US-Bundesstaat Ohio nach Ostberlin, Hauptstadt der DDR. Zeitgleich wurde seine Stasi-Akte angelegt, die bis 1988 auf viele hundert Seiten anwuchs. Diese Geheimdienstberichte gaben den Anstoß zu seinen Erinnerungen an die Literaturszene und den Alltag in der DDR.
Aus den Kontakten zu zahlreichen Schriftstellern wurden mitunter Freundschaften wie die mit Jurek Becker, Elke Erb, Karl-Heinz Jakobs, Bernd Jentzsch, Sarah Kirsch, Ulrich Plenzdorf, Klaus Schlesinger und Christa Wolf. Zu denen, die über Zipser berichteten, zählen die Schriftsteller Uwe Berger, Fritz Rudolf Fries und Paul Wiens, der Verleger Konrad Reich, ein Juristen-Ehepaar sowie Stefan Heyms Haushälterin.
Durch genaue Beobachtung, interessante Episoden und prägnante Zitate entsteht ein höchst persönliches Werk der Literaturgeschichte, das überraschende Einblicke gewährt.
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Seitenzahl: 319
Richard A. Zipser
Richard A. Zipser
Als Amerikaner unterwegs in
Für Ulrike
Editorische Vorbemerkung
Zur Erläuterung der Aktenzitate hat der Autor gelegentlich Kommentare in eckigen Klammern eingefügt. Auslassungen und Kürzungen der Akten sind ebenfalls durch eckige Klammern […] gekennzeichnet. Von der BStU vorgenommene Schwärzungen von Namen, Anschriften und weiteren Daten Dritter sind durch Rauten ### markiert. Handschriftliche Akteneinträge sowie Überschriften, die im Original unterstrichen sind, sind kursiv gesetzt. Offensichtliche Rechtschreibfehler in den Akten wurden stillschweigend korrigiert, Eigenheiten der Rechtschreibung, Zeichensetzung und des Satzbaus allerdings übernommen und teilweise durch [sic] gekennzeichnet. In den Akten verwendete Abkürzungen wurden nicht in den Zitaten aufgelöst; der Leser möge sie bitte im Abkürzungsverzeichnis im Anhang des Bandes nachschlagen.
Aus Rücksicht auf die Privatsphäre hat der Verlag Namen von Personen, die keine Personen der Zeitgeschichte sind oder ihre Zustimmung erklärt haben, mit Initialen abgekürzt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
1. Auflage, September 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von April 2013)
© Christoph Links Verlag GmbH
Schönhauser Allee 36,10435 Berlin, Telefon (030) 440232-0
www.christoph-links-verlag.de; [email protected]
Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Fotos einer
DDR-Reiseschreibmaschine der Marke »Erika« aus dem Bestand
des Dokumentationszentrums DDR-Alltagskultur in Eisenhüttenstadt
Lektorat: Jana Fröbel, Berlin
Satz: Agentur Marina Siegemund, Berlin
»Feind ist, wer anders denkt« Anmerkungen eines ersten Lesers
Vorwort von Heinz-Uwe Haus
Vorbemerkungen des Autors
Einleitung
»Zipser ist eine operativ relevante Person«
Meine Stasi-Akte wird angelegt: 6. Juni 1973
Hintergrund: 1969 bis 1975
Treffen im DDR-Schriftstellerverband: 11. September 1975
Projektvorbereitungen
Interviewfragen
Liste der Schriftsteller
Eine operativ relevante Person
Erster Bericht von IME »Dichter«: 25. November 1975
Erster Bericht von IMV »Kurt«: 25. November 1975
IMV »Kurt« und IMV »Julia«
Zweiter Bericht von IMV »Kurt«: 11. Dezember 1975
Auskunftsbericht: 26. Januar 1976
Kontakt mit Stefan Heym: Februar 1976
Städtisches Krankenhaus Berlin-Friedrichshain: März/April 1976
Dritter Bericht von IMV »Kurt«: 4. Juni 1976
»An langfristigen Kontakten zur DDR interessiert«
Erster Bericht von IMV »Uwe«: 4. Juni 1976
Eberhard Scheibners Bericht: 18. Juni 1976
Besuch bei Konrad Reich in Rostock: 20. Mai 1976
Auskunftsbericht: 22. Juli 1976
Meine Entscheidung, Wolf Biermann nicht in »DDR-Literatur im Tauwetter« aufzunehmen
Stand des Projekts: Sommer/Herbst 1976
Ausbürgerung von Wolf Biermann: November 1976
Vortrag auf der Jahreskonferenz der Modern Language Association in den USA: 27. Dezember 1976
Ich betreibe ideologische Unterwanderung: Dezember 1976
Vertrag mit der Nordland Publishing Company: 28. Januar 1977
Rückkehr nach Berlin: Juni 1977
Vierter Bericht von IMV »Kurt«: 8. Juni 1977
»Über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativen Aktivitäten …«: 28. Juni 1977
Rückkehr nach Berlin als IREX-Stipendiat: Oktober 1977
Erster Bericht von IM »Dölbl«: 19. Oktober 1977
»Aktive Verbindungen zu feindlich-negativen oder schwankenden Schriftstellern«
Einladung an Jurek Becker
Eheprobleme werfen mich etwas aus der Bahn
Zweiter Bericht von IM »Dölbl«: 1. Dezember 1977
Fünfter Bericht von IMV »Kurt«: 2. Dezember 1977
Sechster Bericht von IMV »Kurt«: 9. Dezember 1977
Abschiedsessen/Observationsbericht: 13. Dezember 1977
Berichte von IMV »Kurt« über das Abschiedsessen
Zweiter Bericht von IME »Dichter«: 30. Dezember 1977
Auskunftsbericht: 7. Januar 1978
Jurek Becker in Oberlin: Februar bis Mai 1978
Rückkehr nach Ostberlin als IREX-Stipendiat Erster Bericht von IMV »Julia«: 25. Mai 1978
Zweiter Bericht von IMV »Julia«: 6. Juni 1978
Einschätzung Richard Zipsers
Ein anderes Projekt: eine Anthologie moderner ostdeutscher Lyrik
Bericht über einen Besuch bei Kito Lorenc in Wuischke am Czorneboh: 3. und 4. Juni 1978
Bericht über ein Treffen mit Studenten am 15. und 16. Juni 1978
Auskunftsberichte: Juli/August 1978
Der 8. DDR-Schriftstellerkongress: 29. bis 31. Mai 1978
»Zipser hinterließ einen genial umgänglichen Eindruck«
Fritz Rudolf Fries: IMS »Pedro Hagen«
Erster Bericht aus der Akte »Pedro Hagen«
Bericht vom Treffen am 24. Mai 1978: IMS »Pedro Hagen« und sein Führungsoffizier
Treffbericht vom 29./30. Mai 1978: IMS »Pedro Hagen« und sein Führungsoffizier
Bericht vom 27. Juni 1978
Die nächsten zwei Jahre am Oberlin College: Sommer 1978 bis Sommer 1980
Idee für ein anderes Projekt: eine Anthologie junger DDR-Schriftsteller
Mein Jahr an der Hoover Institution: von August 1980 bis August 1981
Besprechung von Stefan Heyms »Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe«
Neun Schriftsteller werden aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen: 9. Juni 1979
IMB »Pedro Hagens« Plan, Richard Zipser in Kalifornien zu besuchen
Treffbericht vom 13. März 1981: IMB »Pedro Hagen« und sein Führungsoffizier
Treffbericht vom 19. Mai 1981: IMB »Pedro Hagen« und sein Führungsoffizier
Bericht von IMB »Pedro Hagen« über seinen Besuch bei Richard Zipser in Kalifornien
Schaffung eines Netzes von DDR-Sympathisanten an USA-Universitäten
IMB »Pedro Hagen« identifiziert einen DDR-Sympathisanten in Minnesota
IMB »Pedro Hagen« berichtet über den Nordland Verlag
Probleme mit der Nordland Publishing Company: 1980 bis 1982
»Womöglich hatte Zipser gar nicht die Absicht, ein Buch zu machen«
Stasi-Korrespondenz über Richard Zipser: Mai/Juni 1981
IMB »Pedro Hagen« plant eine zweite Reise in die USA
Bernd Jentzsch in Oberlin: Februar bis Mai 1982
IMB »Pedro Hagen« hofiert einen DDR-Sympathisanten: Juli 1982
Überwachungsantrag für Richard Zipser: 26. Januar 1983
Keine Spur von Richard Zipser und seinem Buch
Peter Lang wird »DDR-Literatur im Tauwetter« herausbringen
Beförderung zum ordentlichen Professor und Institutsleiter: 1985/86
Einladung an Helga Schütz
»Zipsers Ansehen so abwerten, daß auch negative Kräfte ihn meiden«
Wieder in Ostdeutschland: März 1985
Einladung von Cynthia Miller zu einem Empfang zu Ehren von Richard Zipser
IMB »Pedro Hagens« Bericht über den Empfang bei Cynthia Miller
Weitere Berichte über den Empfang bei Cynthia Miller
Leipziger Buchmesse: März 1985
Einreisesperre: 11. Juni 1985
Schlussbemerkungen zum Informanten/Schriftsteller Fritz Rudolf Fries
Einladung an Karl-Heinz Jakobs nach Oberlin: Februar bis Mai 1986
Die New-Hampshire-Symposien für DDR-Studien
»DDR-Studien/East German Studies«
Letzter Eintrag in meiner Stasi-Akte: 17. März 1988
Nach dem Ende der DDR
Der Fall der Berliner Mauer: 9. November 1989
Projekt zur Literaturzensur in deutschsprachigen Ländern: 1987 bis 1990
Letzter Besuch in Ostberlin: Juli 1990
»Fragebogen: Zensur. Zur Literatur vor und nach dem Ende der DDR«
Drei Briefe und eine Antwort von Uwe Berger: 1993/94
Auf der Suche nach meiner Stasi-Akte
Veröffentlichung von Joachim Walthers »Sicherungsbereich Literatur«: 1996
Ankunft meiner Stasi-Akte: 22. Januar 1999
Bildteil
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
But what a gift to memory is a Stasi file.
Far better than a madeleine.
Aber was für ein Geschenk an die Erinnerung ist eine Stasi-Akte.
Noch ergiebiger als die Madeleines von Proust.
Timothy Garton Ash, »The File«/
»Die Akte ›Romeo‹ «, 1997, S. 19
Mehr als zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung legt Richard Zipser, Zeuge eines besonderen Gebiets der Teilungsgeschichte, der »DDR-Literatur«, seine Erinnerungen vor. Es sind die Erinnerungen eines Forschers, Lehrers und Anwalts der unter dem SED-Regime entstandenen Literatur; Veröffentlichungen wie »DDR-Literatur im Tauwetter« (1985), »Contemporary East German Poetry« (1980) sowie »Fragebogen: Zensur« (1995) gehören zum Kanon der amerikanischen Germanistik. Doch muss der Leser keines der vorgenannten Werke kennen, um das Buch mit Gewinn zu lesen. »Von Oberlin nach Ostberlin. Als Amerikaner unterwegs in der DDR-Literaturszene« eröffnet zwar dem Kenner der Arbeiten Zipsers einen überraschenden geschichtlichen Kontext, doch es ist ein Thema für sich, das vom Verfasser selber handelt. Wie jedes erzählerische Werk den Leser einlädt, sich der wiedergegebenen Wirklichkeit zu bemächtigen, hat es etwas so Provozierend-Radikales, dass es sich lohnt, Zipsers Rückschau zu folgen.
Es liegt im Wesen von Erinnerungsliteratur, dass sie hinnimmt, ob man sie vom Ganzen oder vom Einzelnen der Sachverhalte, Ereignisse oder Figurenkonstellationen her erschließt: Der Leser steht stets Rede und Antwort!
Der Autor, als einziger amerikanischer Germanist vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) des SED-Regimes als »operativer Vorgang« erfasst – dokumentiert in seiner Opferakte –, hatte es sich in den 1970er Jahren in den Kopf gesetzt, das Denken und Schaffen von Schriftstellern, die allesamt Mitglieder des systemkonformen Berufsverbandes waren, zu erkunden und die Ergebnisse anschließend in den USA zu veröffentlichen. Angesichts des propagierten gesellschaftspolitischen »Tauwetters« nach dem Sturz Walter Ulbrichts (1971) und Erich Honeckers Absage an die deutsche Einheit schien das kein aussichtsloses Unterfangen, ganz im Gegenteil, denn das Regime lechzte nach internationaler Anerkennung.
Die vorab vom Schriftstellerverband gebilligten Interviewfragen verwandten den gebotenen Wortschatz und waren ideologisch korrekt. Offensichtlich vertraute Zipser darauf, dass – bei aller Selbstzensur – unterschiedliche Persönlichkeiten auch unterschiedliche Auffassungen vom neuerdings verordneten »Konflikthelden« ans Licht bringen würden. Dass die Antworten über ihren Gestus auch von Abweichendem, Gegensätzlichem, Unvereinbarem, kurz: von Widersprüchen zum »Von-oben-her-Eingeflößten« berichten könnten, war dem an Klemperer und Brecht geschulten Literaturwissenschaftler durchaus recht. Immerhin war der »sozialistische Held« passé und die »sozialistische Menschengemeinschaft« von der »entwickelten sozialistischen Gesellschaft« abgelöst worden. Den Intellektuellen und Künstlern wurden »tabulose Zonen« in Aussicht gestellt, sofern sie nicht an den Grundfesten des Sozialismus zu rütteln beabsichtigten.
Zweifelsohne ein »weites Feld«, doch das belegt jede der 114 Episoden, ganz nach der Art des Germanisten aus Oberlin (Ohio), der sich sein Wissen vor Ort, durch Fakten und in persönlichen (vertraulichen) Begegnungen mit den Schriftstellern beschaffen wollte. »Von oben herein sieht man alles falsch«: Diese ketzerische Äußerung des jungen Goethe könnte über Zipsers subversiver Erkenntnissuche stehen. Er sah sich Veränderungen auf der Spur, die es festzuhalten galt. Da er mit diesem Anliegen im Überwachungsstaat »feindlich-negativen Handlungen« nahekam, wurde den Richtlinien entsprechend »die ständige politisch-operative Einschätzung, zielgerichtete Überprüfung und analytische Verarbeitung der gewonnenen Informationen« veranlasst. Allein in den nicht endenden Irritationen der Stasi-Mitarbeiter, wie denn »der Zipser« einzuordnen sei – akademischer Einfaltspinsel oder schlitzohriger CIA-Agent –, entlarvt sich, wes Geistes Kind das »Schwert und Schild« ist – das einer Partei, die weiß, dass sie sich nur als allumfassende Diktatur an der Macht halten kann. Dass sich jemand für Literatur aus ihrem Herrschaftsbereich interessiert, ohne dabei etwas Umstürzlerisches im Schilde zu führen, und als Ausländer aus freien Stücken die Ankündigungen des VIII. Parteitages der SED ernst nimmt, löste in den Hirnen ihrer Tschekisten das übliche Warnsignal aus: Feind ist, wer anders denkt!
Wer nur halbwegs freiheitlich-demokratisch sozialisiert, kein Kenner oder Apologet des Marxismus-Leninismus ist, kann nur angewidert über die geheimdienstliche Inbesitznahme des Literaturbetriebs im SED-Regime den Kopf schütteln. Auch wie schamlos manch ein Dichter seine Spitzeltätigkeit als Ausdruck einer überlegenen Moral, die sich als Klassenkampf ausgab, in seinen Berichten zelebriert, »bleibt«, ist »DDR-Literatur«. Zur Erinnerung, auf welch vermintem Feld Zipser seine Erkundungen einholen musste: Von den 19 Präsidiumsmitgliedern des Schriftstellerverbandes hatten sich zwölf als Spitzel verpflichtet. In den Bezirken sah es nicht anders aus: Auf 39 Verbandsschriftsteller in Halle waren 14 inoffizielle Mitarbeiter (IM) angesetzt!
Wie das System Angst, Feigheit und menschliche Niedertracht produzierte, weiß jeder, der ihm unterworfen war. Ohne die allgemeine Furcht vor Verhaftungen, Repressionen und Zersetzung hätte das SED-Regime nicht existieren können. Zipser entdeckte peu à peu, dass mit dem »Woodstock des Ostens«, den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973, auch der Durchbruch zum schrankenlosen Überwachungsstaat markiert war. (Als Ulbricht gestürzt wurde, hatte das MfS 45500 hauptamtliche Kräfte, als das Regime fiel, verfügte es über 91015 hauptamtliche und 173000 inoffizielle Mitarbeiter.)
Indem er in seinen Interviews Autoren jener Generation, die unter diesen Bedingungen zu schreiben begonnen hatten und zumeist die Nachkriegsordnung als »durch den Kampf der Systeme« gegebenen Gestaltungsraum akzeptierten (so hegten viele die Erwartung auf eine »Verbesserung« der Verhältnisse, eine der Illusionen hieß: »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«), zu Wort kommen lässt und im Verlauf der Begegnungen über Jahre deren individuelle Selbstbehauptung und Emanzipation von der herrschenden Ideologie und Indoktrination wahrnimmt und dokumentiert, entsteht zunehmend ein Dialog, in dem der Fragesteller von den Befragten ins Vertrauen gezogen wird. Die Erinnerungen reflektieren die wachsende Widerstandskraft eines auch durch ihn mobilisierten und um sich greifenden »anderen« Denkens, das sich der Freiheit, demokratischen Identität und Zukunft der Gesellschaft und jedes Einzelnen verpflichtet.
Zipsers Buch erfasst von den Strukturen und Folgewirkungen einer Diktatur »von der Wiege bis zur Bahre« mehr als alle wohlfeilen Äußerungen von »Abscheu und Empörung«, weil er die Systeme nicht vergleicht, sondern sie für sich sprechen lässt. Anhand von Begegnungen mit Künstlern wie Ulrich Plenzdorf, Jurek Becker, Elke Erb, Sarah Kirsch und Bernd Jentzsch macht er Widersprüche einer Gesellschaft sichtbar, in der ausgeprägte Solidarität neben Stasi-Terror, Einordnung neben Widerstand, Alltagspragmatismus neben enttäuschtem Idealismus standen.
Es gebietet den Nachgeborenen Demut und Verantwortung für das mit dem Fall der Mauer errungene Leben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Heute ist kaum noch vorstellbar, dass das, was Zipser bezeugt, über Jahrzehnte zwischen Elbe und Oder grausamer Alltag war.
Zipser diente sich zu keinem Zeitpunkt den SED-Machthabern an. Das sollte eigentlich nicht der Erwähnung wert sein, möchte man meinen. Doch die Praxis war eine andere. Eine nicht unbedeutende Anzahl von amerikanischen Germanisten hatten »DDR-Literatur« zu ihrem akademischen Gegenstand erhoben. Oft aber war nicht zu unterscheiden, ob sie sich für die Literatur oder doch mehr für die Kollaboration mit dem Regime entschieden hatten. Das jedenfalls war mein Entsetzen, als mich 1980 zum ersten Mal eine Vortrags- und Werkstattreise auch an Germanistikabteilungen von Universitäten an der Ostküste und bis weit in die Mitte und den Westen der USA führte.
Sie sprachen von ihrem Hass auf den »Raubtierkapitalismus«, waren voller Verachtung für den »hässlichen Amerikaner«, sielten sich rührselig im Glauben an eine »sozialistische Alternative« und gaben sich als willige Parteigänger ganz dem »anderen Deutschland« hin. So wählten sie denn zumeist auch jene Texte aus, die »repräsentativ« für ihren Kumpan waren. Sie suchten ihre Kontakte und Aufgaben lieber im Reich der »Ingenieure der menschlichen Seele« als bei denen, die den Gulag beschrieben als das, was er war.
Einer von ihnen hielt mir neun Jahre später, die Mauer war einen Tag zuvor gefallen, unverfroren entgegen: »Aber die Utopie! Wo bleibt die Utopie!« Sie wussten also sehr wohl, wie das Regime verfasst war: »Im Schutz der gesicherten Grenze errichten wir den besseren Staat!« Für jeden, der es wissen wollte, lag es auf der Hand: Allein durch die Todesdrohung erhielt die Mauer ihre politische Wirkung: Wer überleben wollte, hatte sich zu arrangieren, im Partei-Hegel-Verschnitt hieß das: Einsicht in die Notwendigkeit! Auch in Zipsers Erinnerungen passieren sie Revue.
In den ersten Wochen und Monaten hielten sie sich zurück, waren auf der Hut, was und wie viel die Stasi-Akten von ihrem vorsätzlichen Tun offenlegen würden. Bald aber hatten sie sich gefangen, »historisierten« den Gegenstand ihrer Hingabe und trumpften auch wieder in der Öffentlichkeit auf. Als zum Beispiel ein Kritiker einer prominenten Schriftstellerin ihre zeitweilige IM-Tätigkeit vorhielt, fanden sich schon wieder 174 (!) Hochschullehrer amerikanischer Universitäten, um in einem offenen Brief (»Die ZEIT«, 18.6.1993) zu protestieren, dass »positive sozialreformatorische Ansätze in der DDR herabgewürdigt« werden. Was die Stasi-Zuarbeit der Autorin angeht, heißt es verständnisvoll: »Wir haben nicht die tröstliche Gewißheit, daß wir in derselben Lage anders […] gehandelt hätten. Sie mag damals in der DDR die einzige praktische Möglichkeit, eine menschliche Alternative zum Kapitalismus aufzubauen, gesehen haben, wie viele andere auch. Daß sie fehlging, wenn sie sich zeitweilig auf die Machenschaften der Stasi einließ, und sich täuschte, wenn sie sich von der ›Einheitspartei‹ demokratische Reformen erhoffte, erkennt man heute nach dem Scheitern dieses Versuchs viel klarer als damals in der DDR; indessen war nicht nur die DDR von zweckrationalem Denken oder gar politischem Opportunismus geprägt.« (!)
Wer so denkt, hat, frei nach Loriot, entweder eine Leiche im Keller oder ist mit dem Klammerbeutel gepudert.
Dennoch, ein solcher Umgang mit der SED-Diktatur kann nicht überraschen. Zu viele Intellektuelle des 20. Jahrhunderts waren schon vor ihnen dem Faszinosum totalitärer, den Einzelnen verachtender Systeme erlegen. Mitzuwirken an der Schaffung eines »neuen Menschen« war stets verlockender, als in den Mühen der Demokratie tatsächliche Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit für alle Bürger zu verwirklichen.
Zipsers von den Stasi-Berichten wachgerufene Erinnerungen lassen den Leser erfahren, wie die Freiheit und Würde der Menschen und deren Recht auf »unabhängiges Denken und Fühlen« die Grundbedingungen für das Schaffen und das Lesen von Literatur sind. Weil ihm der totalisierende Blick »von oben herein« verdächtig ist, sieht er sich bei seinen Aufenthalten in der DDR die Vorgänge aus der Nähe an. Die wiedergegebenen Episoden sind wie »induktive Reihen«, Beispiele, die nicht in einer »erdachten Einheit« aufgehen. Obwohl er Aktenmaterial, Verordnungen und »Vorgänge« zitiert, ist sein Buch keine Dokumentation im traditionellen Sinne, sondern eine subjektive Auseinandersetzung mit seiner Leistung als Kenner, Forscher und Vermittler eines gewichtigen Kapitels deutscher Literatur.
Seine Darstellung kommt genau zur rechten Zeit, in einer Situation, in der sich – sei es durch Gedankenlosigkeit, Unkenntnis oder Absicht – zunehmend Positionen breitmachen, die den Unrechtscharakter des SED-Regimes relativieren (»… die DDR ein kleines Land mit grauen Altstädten und grünen Alleen«, heißt es liebkosend in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 12. Februar 2011).
Schließlich verdeutlicht jede Nostalgie auch – leider nicht allein – den Mangel an Wissen und aufklärender Information. Darum wünsche ich mir, dass Zipsers Zeitzeugenschaft ebenso Verwendung in der politischen und schulischen Bildungsarbeit finden möge. Die Verpflichtung, »anders zu denken«, darf nicht enden!
Heinz-Uwe Haus
August 2012
»Von Oberlin nach Ostberlin. Als Amerikaner unterwegs in der DDR-Literaturszene« ist ein autobiografischer Rückblick, der sich hauptsächlich auf die 396 Seiten dicke Akte stützt, die das Ministerium für Staatssicherheit der DDR zwischen 1973 und 1988 über mich angelegt hat, als ich in diesem Land herumreiste, um an einer Reihe von Forschungsprojekten zu arbeiten. Die Berichte in der Akte bilden das Gerüst für meine Memoiren, ebenso wie Protokolle aus anderen Überlieferungen, verschiedene Publikationen, Briefe und natürlich eigene Erinnerungen. Die Schilderungen, die 1973 beginnen und 2012 enden, sind in der Regel chronologisch geordnet. Die Chronologie wird nur durch gelegentliche Rückblenden unterbrochen.
Ich habe versucht, die einzelnen Berichte aus meiner Stasi-Akte in einen jeweils größeren Zusammenhang zu stellen, um dem Leser den Zugang zum Material zu erleichtern und es verständlich zu machen. Die Berichte wurden zum Teil ausführlich wiedergegeben, damit der Leser einen Eindruck davon bekommt, wie diese aussehen, wie sie strukturiert sind und welche Arten von Informationen und Kommentaren sie enthalten. Auch wenn ich die Berichte sonst so originalgetreu wie möglich wiedergegeben habe, konnte ich es mir nicht verkneifen, die zahlreichen Tipp- und Rechtschreibfehler zu korrigieren. Schließlich bin ich Lehrer.
Der Autor bedankt sich an dieser Stelle bei all denen, die ihm geholfen und ihn durch ihr Vorbild beflügelt haben. Ich stehe besonders in der Schuld meiner Freunde und Kollegen: des Theaterregisseurs Heinz-Uwe Haus sowie der Schriftstellerin Gabriele Eckart, die beide an amerikanischen Universitäten unterrichten, jedoch in der DDR aufgewachsen sind und einen großen Teil ihres Lebens dort verbracht haben. Ihre fundierten, detaillierten und kritischen Anmerkungen zur ersten Fassung meines Manuskripts waren außerordentlich hilfreich und haben das Endprodukt entscheidend verbessert. Das prägnante und engagierte Vorwort von Heinz-Uwe Haus liefert höchst willkommene zusätzliche Informationen und Orientierung für den Leser. Erwähnen möchte ich auch Christine Becker, die Witwe des Schriftstellers Jurek Becker, die den Verleger Christoph Links auf dieses Buchprojekt aufmerksam gemacht hat. Ich danke ihm und Jana Fröbel, meiner Lektorin, für all die hilfreichen Ratschläge und Formulierungen.
Es wäre unverzeihbar, wenn ich mich nicht bei meiner Frau, Ulrike Diedenhofen, für ihre Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung des Projekts bedanken würde. Sie hat mich stets ermutigt, war immer eine geduldige Zuhörerin und hat mir sehr geholfen. Ich stehe tief in ihrer Schuld und kann nicht oft genug wiederholen, wie viel mir ihre Unterstützung bedeutet.
Schließlich danke ich der Universität Delaware für den Forschungsurlaub, der mir von 2010 bis 2011 gewährt wurde. Im Besonderen danke ich George Watson, dem Dekan der Fakultät für Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, der es mir ermöglichte, ein Forschungssemester und eine anschließende Beurlaubung von meinen administrativen Aufgaben zu kombinieren, damit ich mein Buch ohne finanzielle Sorgen beenden konnte.
Richard A. Zipser
September 2012
Die Stasi, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), war verantwortlich für die innere und äußere Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die zeit ihrer Existenz unter sowjetischem Einfluss stand. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht hatte sie über 90000 hauptamtliche und 190000 inoffizielle Mitarbeiter (IM), deren Aufgabe es war, die Menschen in der DDR zu bespitzeln und verdeckte Operationen im Ausland zu führen, speziell in der Bundesrepublik und in Westberlin. Das MfS, das seine Zentrale in Ostberlin hatte, stand in dem Ruf, ein besonders effizienter und repressiver Geheimdienst zu sein. Die Stasi wurde 1950 gegründet und im Frühjahr 1990, also vor der Wiedervereinigung Deutschlands, auf Druck der DDR-Opposition aufgelöst. 1991 verabschiedete das Parlament des wiedervereinigten Deutschlands das Stasi-Unterlagen-Gesetz, demzufolge jeder Bürger das Recht hat, seine Stasi-Akte einzusehen. Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts machten bereits mehr als 1,5 Millionen Menschen von diesem Recht Gebrauch.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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