Warum Burnout nicht vom Job kommt - Helen Heinemann - E-Book
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Warum Burnout nicht vom Job kommt E-Book

Helen Heinemann

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Beschreibung

Erschöpft, überarbeitet, ausgebrannt - die Diagnose »Burnout« steht für viele im Zusammenhang mit zu starker Belastung am Arbeitsplatz. Der wachsende Druck sei schuld, immer mehr Aufgaben sollen in kürzerer Zeit erledigt werden. Doch die bisherigen Lehrmeinungen zum Thema greifen oft zu kurz. Bessere Organisation kann Burnout nicht verhindern. Auch Stress, Zeitnot und ständige Erreichbarkeit sind nicht die alleinige Ursache. Wieso brennen die einen aus, während die anderen in der Lage sind, weitaus größere Belastungen wegzustecken? Woher rührt diese besondere Schwäche, die Unfähigkeit, Nein sagen zu können? Helen Heinemann, vielfach gefragte Expertin zum Thema, deckt die wahren Gründe für ein Phänomen auf, das wie kaum ein anderes unsere Zeit prägt: Nur, wer bereits tief aus dem Gleichgewicht ist, gerät irgendwann in den Strudel eines Burnouts. Doch soweit muss es gar nicht kommen. In diesem Buch finden Sie völlig neue Wege zur Vorbeugung, die eigene Belastungsgrenze nicht zu überschreiten und die eigene Widerstandskraft zu stärken.

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Copyright © 2019 by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Copyright © 2012 adeo Verlag in der Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Aßlar

Covergestaltung: HarperCollins Germany / Birgit Tonn, Artwork: 2012 adeo Verlag, Gute Botschafter Lektorat: Nannette Elke E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783959678650

www.harpercollins.de

Kapitel 1: 1.000 nette Leute oder: der Verdacht

Kapitel 1
1.000 nette Leute oder: der Verdacht

Mit dem üblichen Fehler fing alles an: Ich konnte nicht Nein sagen.

Ich konnte nicht Nein sagen, als mich die Projektentwicklerin einer großen Krankenkasse vor einigen Jahren anrief und bat, ein Seminar zur Burnout-Prävention zu konzipieren. Gedacht sei zunächst an berufstätige Frauen mit Kindern. Sie stünden durch die Doppelbelastung unter besonderem Druck und liefen demnach in besonderem Maß Gefahr auszubrennen. Das schien logisch. Ich hatte bereits eine Menge am Thema »Stressbewältigung« gearbeitet und sagte zu. Unabhängig von meiner eigenen Arbeitsbelastung, unabhängig von meinen vier Kindern, die alle in einem herausfordernden Alter waren, unabhängig vom Haus, das seit Jahren nach einer Vollzeithausfrau und Bauherrin rief. Aber das Projekt gefiel mir auf Anhieb – und die Arbeit mit Burnout-gefährdeten Männern und Frauen sollte mich bis heute nicht mehr loslassen.

Inzwischen habe ich rund 1.000 solcher Menschen in individuellen Intensivseminaren begleiten dürfen und unzählige direkt vor Ort in den Betrieben. Die sogenannte Primärprävention dauert jeweils eine Woche: Wir arbeiten konzentriert in der Gruppe, intensive fünf Tage à acht Stunden lang. Selten haben sich Menschen so schnell zusammengefunden, so frei ausgetauscht, so weit geöffnet. Ich stieß dabei auf Leitbilder, Muster, die sich immer wiederholen. Aber es kamen auch ständig neue Fragen auf: Wieso brennen die einen aus, während die anderen in der Lage sind, weitaus größere Belastungen wegzustecken? Woher rührt diese besondere Schwäche, die Unfähigkeit, Nein sagen zu können? Wo geht die Energie verloren, über die Zweijährige so selbstverständlich verfügen? »Nein«, sagen sie. Mit aller Macht und der ganzen Kraft ihrer siebzig Zentimeter. »Nein, ich will nicht!«

Je länger ich mich mit diesem Thema beschäftigte, desto stärker wuchsen meine Zweifel an der gängigen Lehrmeinung. Wir glauben ja heute, das Phänomen gut erforscht zu haben. Der wachsende Druck sei schuld, die Verdichtung der Arbeitswelt. Immer mehr Aufgaben sollen in immer kürzerer Zeit erledigt werden. Dennoch muss alles perfekt sein, Fehler werden nicht toleriert. Dazu kommen die Angst vor Arbeitslosigkeit und die unsicheren Märkte: Wer nicht mitspielt, könnte der Nächste sein, der entlassen wird.

Aber stimmt das wirklich? Zumindest Letzteres war bei meinen Teilnehmern nicht der Fall. Der überwiegende Teil war fest angestellt, manche waren sogar unkündbar. Materielle Not litten die wenigsten, im Gegenteil: Viele waren gut situiert, in leitenden Positionen mit entsprechendem Gehalt tätig, viele lebten im eigenen Haus. Und dennoch spürten sie diese große Erschöpfung, das Gefühl, dem Alltag nicht mehr gewachsen zu sein. Sie fühlten sich leer und müde.

Eine einfache Lösung scheint es nicht zu geben. Zum Thema »Stress und Burnout« sind bereits eine Reihe von Ratgebern erschienen, und die Zeitschriften sind voll mit lapidaren Tipps. Da heißt es beispielsweise: »Nehmen Sie doch einmal eine Auszeit. Genießen Sie ein Schaumbad. Gönnen Sie sich eine Reise!« Doch wenn diese Rezepte wirkungsvoll wären, würde sich das Phänomen nicht stetig weiter ausbreiten.

Und die Beispiele sind ganz real. Der Teamleiter einer sozialen Einrichtung, der früher 30 Fälle zu betreuen hatte – mit allen notwendigen Gesprächen mit Klienten und bei den Behörden, der Vor- und Nachbereitung, der Beurteilung des Umfelds und der Kontrolle –: Er hat heute 90 Fälle auf dem Tisch. Und er trägt viel Verantwortung. Ständig mit der Angst im Nacken, er könnte einen Fehler machen, etwas übersehen, zur Rechenschaft gezogen, im schlimmsten Fall an den Pranger gestellt werden. Oder die Altenpflegerin, die ständig das Handy bewacht. In der Mittagspause, beim schnellen Einkauf im Supermarkt und mit dem Vibrationsalarm abends im Schauspielhaus. Nie kann sie etwas in Ruhe zu Ende bringen, immer wieder wird sie gestört und muss sich unterbrechen lassen. Eltern mit kleinen Kindern erleben das zwar dauerhaft, sie haben aber zumindest die Gewissheit, dass diese Phase vorübergehen wird. Die Altenpflegerin nicht.

Doch steht die Altenpflegerin wirklich unter diesem Druck? Was würde passieren, wenn sie nicht ständig erreichbar wäre? Könnte sie Stellvertreter benennen, Verantwortung abgeben? Sie kann es im Moment nicht. Doch ist es tatsächlich der äußere Druck – oder steckt der Zwang, sich keinen Fehler erlauben zu dürfen, auch in ihr selbst? Liegt er in ihrer Biografie, in ihrer Geschichte begründet?

Was leben die Väter vor, was die Mütter? Selbstverständlich sollen Mädchen heute eine gute Berufsausbildung haben. Aber sie sollen sich immer auch um das Soziale kümmern, um Freunde und Verwandte, um die Organisation der Freizeit, um Geburtstage und Geschenke. So sind die Mädchen aufgewachsen, in den meisten Familien tragen die Frauen bis heute diese Verantwortung. Sie können die Arbeit eventuell delegieren, aber sie sind verantwortlich. Spielt also auch unsere Sozialisation eine Rolle? Dann wären vor allem die Frauen mit Doppelbelastung von Burnout bedroht. Womit wir wieder beim ursprünglichen Setting sind: zunächst also die berufstätigen Mütter, mit denen die Arbeit begonnen hat.

Meine Ratlosigkeit wuchs, je tiefer ich in die Materie eindrang. Nur über eines war ich mir schnell sicher: Wir alle sitzen ständig Vorurteilen auf, wenn es um Burnout geht.

Vorurteil Nr. 1: Bessere Organisation verhindert Burnout

Bei der Vorbereitung auf mein erstes Seminar musste ich zunächst meine eigenen Annahmen überprüfen. Ich bin berufstätig und habe vier Kinder. Ab und zu bin ich müde, ab und zu erschöpft. Aber niemals breitet sich dieses Gefühl über mehrere Tage, über Wochen, über das ganze Leben aus. Wie gehe ich mit Stress um? Nach zwei Wochen mit Seminaren und Coachings rund um die Uhr ist mein Akku auch leer. Dann mache ich eine Pause, verbringe ein langes Wochenende mit der Familie, mit Spielen und Ausflügen, mit einem Bummel über den Markt und der Zubereitung von Mahlzeiten. Angenehme, oft mechanische Tätigkeiten, die mich körperlich, aber nicht geistig anstrengen.

Ich versuchte, mich in die Lage einer gestressten und überforderten Mutter hineinzuversetzen. Was ist es denn, das eine berufstätige Frau mit Kindern an die Grenzen ihrer Belastbarkeit treibt?

Bislang hatte ich in der Beratung nur mit einzelnen Personen zu tun, die an der Grenze ihrer Belastbarkeit standen. In diese Situation konnte ich mich immer gut hineinversetzen. Aber ich dachte stets: Warum setzen sie nicht andere Prioritäten? Wieso können sie nicht einige Aufgaben einfach weglassen oder delegieren? Warum muss es neben den Geschenken für die Schwiegermutter auch noch die Verantwortung für den Täufling der Schwester des Partners sein? Warum diese endlosen To-do-Listen, die bis zur Besorgung von Geodreiecken, Geschirrspülmaschinenentkalkern und Duftkerzen reichen? Wenn die Arbeit zunimmt, muss man sich eben anders organisieren!

Das können nur schwache Menschen sein, dachte ich insgeheim. Sie kapitulieren zu schnell, wenn nicht alles nach Wunsch läuft. Oder es sind Drückeberger, die in der Modekrankheit ein wunderbares Argument gefunden haben, um dem Chef die Schuld für ihre eigene Unfähigkeit zu geben. Warum packen sie die Probleme nicht an, verbessern die Kommunikation und das Betriebsklima? Warum wehren sie sich nicht gegen zusätzliche Aufgaben?

Dennoch wollte ich ohne jeden Vorbehalt in das Seminar hineingehen – was aber gar nicht so einfach war! Die Teilnehmerliste hatte ich natürlich im Vorfeld studiert: Eine Professorin und eine Spitzensportlerin waren dabei, leitende Angestellte, Sachbearbeiterinnen und Kauffrauen. Alle hatten bereits eine eindrucksvolle Karriere gemacht. Umso erstaunter war ich, als ich den Seminarraum in Hamburg betrat: Eine müde Gruppe erwartete mich, traurig und ratlos. Welcher Kontrast zu dem Erfolg und zu ihren Leistungen. Was ist mit diesen Frauen passiert? Etwas irritiert stellte ich mich vor und bat die Teilnehmerinnen, das Gleiche zu tun.

Es folgte eine erste Kennenlernrunde: Jessica fing an. Die 38-jährige Juristin hatte zwei kleine Kinder und engagierte sich in einem Tanztheater. Sie arbeitete zurzeit halbtags und spielte in ihrer Freizeit am liebsten Geige: »Wenn ich dazu komme.« Schon auf den ersten Blick eine ungewöhnlich intelligente und aparte Frau, aber unerklärlich wackelig auf den Beinen.

Schnell gab sie den Ball an ihre Nachbarin Anja weiter. Die Diplom-Pädagogin hatte mit 28 bereits promoviert, mit 30 geheiratet und ein Kind bekommen und sich mit 32 Jahren wieder scheiden lassen. Jetzt war sie 36 und suchte verzweifelt nach einem neuen Partner. Denn sie wünschte sich ein zweites Kind, und die Geschwister sollten altersmäßig nicht so weit auseinander liegen.

Danach kam Bettina, eine resolut wirkende, konservativ gekleidete 48-Jährige, Leiterin einer Altenpflegeeinrichtung. Sie hatte eine 60-Stunden-Woche, zwei halbwüchsige Kinder und tausend Sorgen. »In diesem Seminar will ich endlich wieder zu mir selbst finden«, wünschte sie sich und sprach von ihrer Zerrissenheit zwischen den Schauplätzen.

Etwas unsicher stellte sich auch Inga vor: »Ich bin … es ist vielleicht eine ungewöhnliche Berufsbezeichnung, aber ich bin Olympiasiegerin. Ich spiele Handball in der Bundesliga und will gleichzeitig die beste Mutter für meine Tochter sein. Und das ist hundertmal schwerer, als Tore zu werfen …«

So ging es etwa eine Stunde lang. Nach zehn spannenden Lebensläufen von leistungsorientierten Frauen war mir eines klar: Meine Vorannahmen über Menschen, die an Burnout erkrankt oder erschöpft sind, waren falsch. Ausnahmslos alle Teilnehmerinnen hatten es im Leben zu etwas gebracht. Promovierte Juristin oder Olympiasiegerin kann schließlich nicht werden, wer keinen Plan hat und nicht in der Lage ist, zielgerichtet zu arbeiten. Warum also diese große Erschöpfung? Warum diese Müdigkeit?

In der Mittagspause unterhielt ich mich mit Jessica über klassische Musik und mit Inga über Handball und ich vergaß dabei fast den Zweck des Seminars: Burnout-gefährdete Frauen zu stärken und ihnen neue Lösungen aufzuzeigen. Zurück im Seminarraum erlebte ich die nächste Überraschung. Der Stuhlkreis war perfekter als am Morgen, die Stifte lagen nach Farben sortiert wieder am Flipchart, das mit dem Tagesprogramm beschriebene Blatt Papier war vergrößert ans Pinboard geheftet und der Raum gelüftet. Ohne dass ich irgendetwas gesagt hatte, hatten die Teilnehmerinnen nebenbei für Ordnung gesorgt. An Einsatzwillen fehlte es ihnen also genauso wenig wie an Organisationstalent.

Diese Frauen waren organisiert. Sie waren geradezu unheimlich organisiert. Sie managten ihre Familien inklusive Mann, Kinder und Katzen, kümmerten sich oft zusätzlich um die eigene Mutter oder die Schwiegermutter, pflegten die Pflanzen oder gar einen Garten. Und sie waren berufstätig. Auch im Job versuchten sie, Spitzenleistungen zu bringen, häufig sogar ohne sich anmerken zu lassen, dass sie Familie hatten. Sie organisierten ihren Alltag nahezu perfekt, waren aber dennoch unzufrieden mit ihrer Leistung. Warum? Ihre Ansprüche schätzten sie selbst als sehr hoch ein, sie litten darunter, aber kamen nicht dagegen an.

Hohe Ansprüche, natürlich. So schrieb es auch das Lehrbuch. Aber die hohen Ansprüche waren nur ein Symptom. Was aber war dessen Ursache?

Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Fragezeichen tauchten auf: Warum lassen sich derart fähige Frauen so sehr stressen? Warum wollen sie immer allen Ansprüchen genügen? Und wie sind sie zu diesen hohen, offensichtlich zu hohen Erwartungen an sich selbst gekommen? Wieso quälen sie sich so damit? Immerhin folgte daraus eine erste Handlungsanleitung an mich: Wie können die Ansprüche berufstätiger Mütter wieder heruntergeschraubt werden?

Diese Fährte wollte ich unbedingt weiterverfolgen. Ich brannte förmlich auf das nächste Seminar – und war so gespannt wie nie zuvor. Vorgenommen hatte ich mir nur, alle vorgefertigten Meinungen und Glaubenssätze auszublenden. Mein Handeln wollte ich nicht nach starrem Konzept strukturieren, sondern mich zunächst komplett auf die Bedürfnisse und Wünsche der Teilnehmer einlassen. Und ich wollte offen sein für unerwartete Wendungen.

Heute bin ich froh über mein vorschnelles Ja damals am Telefon. Auf das Pilotprojekt folgten weitere Seminare mit Frauen, später auch mit Männern. Die Teilnehmer haben mir die Augen geöffnet. Es war gut, mein vermeintliches Wissen eine Zeit lang auszublenden. So wurde mir allmählich klar: Was die Fachwelt bislang über Burnout sagte, leuchtete nur einen Teil des Problems aus. Schon die Definition des Syndroms schien mir nun fragwürdig zu sein.

Vorurteil Nr. 2: Nur wer im Arbeitsleben steht, bekommt ein Burnout

Wer hat schon von Hausfrauen, Studenten oder Rentnern mit Burnout gehört? Diese Berufsgruppen können höchstens depressiv werden. Wenn eine Hausfrau zum Arzt geht, weil sie nicht mehr weiterweiß, lautet die Diagnose »Depression« oder »tiefe Erschöpfung«.

Man weiß doch: Vom Burnout betroffen sind Berufstätige, meist in hohen Positionen, deren berufliche Belastung so groß ist, dass sie irgendwann dem Druck nicht mehr standhalten können. Zeitnot, große Arbeitsbelastung, wachsende Komplexität der Arbeitsabläufe und Verwaltungszwänge: Das sind die Parameter, auf die Ärzte und Psychologen ein Burnout zurückführen. Seit das Syndrom 1974 erkannt und wissenschaftlich erfasst wurde, war diese Annahme in Fachkreisen Konsens. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger prägte den Begriff, der das Bild des Feuers aufkommen lässt. Es lodert stark, bis die Ressourcen aufgebraucht sind.

Tatsächlich sind die sogenannten Ausbrenner fast immer Menschen, die mit hohem Engagement und Leistungswillen an eine Sache herangehen. Und weil das, was sie machen, stets besonders gut werden soll, erledigen sie viele Aufgaben lieber selbst, anstatt sie anderen zu überlassen. Im Feuer der Begeisterung merken sie nicht, welchen Raubbau sie an ihren Kräften treiben. Sie vergessen, dass Ressourcen nachwachsen müssen, das heißt, Hege und Pflege und vor allem Zeit brauchen. Aber kann dieser Mechanismus nur im Berufsleben auftreten? Davon wurde und wird immer noch ausgegangen. Dass Burnout nur Berufstätige treffen kann, ist für die Fachöffentlichkeit so etwas wie ein Axiom, das von Natur aus keines Beweises mehr bedarf.

An diesem Grundsatz habe auch ich nie gezweifelt. Bis eines Tages eine Teilnehmerin erzählte, dass die Elternzeit für sie die stressigste Zeit überhaupt gewesen sei. Nicht der Job, sondern das Jahr allein zu Hause habe sie nicht ertragen. Und sie war keineswegs die Einzige, die diese Erfahrung gemacht hatte.

Schon nach den ersten Seminarrunden hatte sich bestätigt, dass die Frauen an ihren hohen Ansprüchen leiden. Deshalb wollte ich herausfinden, wie sie Erziehung und Arbeitsalltag unter einen Hut bringen. Statt aber die Schwierigkeiten zu beschreiben, die durch die Doppelbelastung entstehen, begann eine Teilnehmerin, nennen wir sie Ilka, von ihrer Elternzeit zu erzählen. Einen Moment lang dachte ich: Nun geht sie am Thema vorbei. Aber als ich merkte, wie gebannt die anderen zuhörten, ließ ich mich auf die Geschichte ein.

»Karriere und Kinder, das war schon immer klar … Mein Mann Hinnerk und ich haben uns schon zu Studienzeiten vorgenommen, bald Kinder zu bekommen: Wir wollten die Familienphase schnell durchziehen. Damals habe ich nicht geahnt, was für ein Kraftakt das ist. Meine Anna ist gerade zwei geworden und ich arbeite seit einem Jahr wieder. Aber seitdem ich wieder berufstätig bin, fällt es mir sogar leichter, mit ihr umzugehen, als während der Elternzeit. Anna war ein Schreikind, sie schläft bis heute kaum eine Nacht durch. Die ersten zwölf Monate nach der Geburt war ich nur gerädert, ich konnte nächtelang nicht zur Ruhe kommen. Und immer, wenn ich mich aufgerafft hatte, sie zu beruhigen, fing sie nach wenigen Minuten von Neuem an. Und gerade in dieser Zeit hat Hinnerk besonders viel gearbeitet. Er musste ja das fehlende Einkommen kompensieren. Wer durfte sich also allein um das Baby kümmern? Manchmal wünschte ich mir, ich wäre ein Mann, der morgens aus dem Haus gehen kann … Ich fühlte mich so angebunden und ausgeliefert.«

Ilka legte eine Pause ein, blickte etwas verunsichert in die Runde, bevor sie fortfuhr: »Um ehrlich zu sein … nach einem halben Jahr fand ich bereits das Windelwechseln so anstrengend, dass ich es nur gemacht habe, wenn es wirklich nicht mehr anders ging. Ich musste schon für Kleinigkeiten Wahnsinnskräfte mobilisieren, ich musste mich aufraffen, nur um die Waschmaschine zu füllen. Einmal bin ich aus der Dusche gekommen und habe am ganzen Körper gezittert, es wollte gar kein Ende mehr nehmen. Aus dem Nichts heraus. Das machte mir wirklich Angst … Gut, dass ich jetzt wieder arbeiten gehen kann. Ich mag Kinder, aber das ausschließliche Leben mit dem Kleinkind war nichts für mich.«

Es war ein hoch emotionaler Moment: Viele Teilnehmerinnen identifizierten sich sofort mit der Mutter. Sie erzählten, dass es ihnen damals mit ihrem Baby ganz ähnlich ergangen sei. Es habe ihnen nicht gutgetan, den ganzen Tag mit dem Kind und dem Haushalt allein zu sein. Sie fühlten sich oft schwach und seien schon wegen Lappalien in Tränen ausgebrochen.

Belastende Erfahrungen, mit denen sie bislang offensichtlich allein waren. Es wirkte ungemein befreiend für die Frauen, davon berichten zu können – und sofort verstanden zu werden. Für mich war es eine besonders interessante Phase des Seminars. Das Thema lautete doch Work-Life-Balance: Wie bringe ich Beruf und Familie unter einen Hut? Und statt über diesen Spagat zu reden, versteiften sich mehrere Teilnehmerinnen ausgerechnet auf die Zeit, in der sie nur zu Hause gewesen waren.

Was sie erzählten, kam mir bekannt vor. Phasenweise aus eigener Erfahrung, vor allem aber aus meiner Arbeit mit stressgeplagten Müttern. Beim Beispiel mit der Waschmaschine hatte ich geradezu ein Déjà-vu: Genau über diesen Horror vor alltäglichen Handgriffen hatte eine ganze Reihe von Frauen geklagt. Allen gemeinsam war, dass sie stark erschöpft waren, auch wenn sie nur mit dem Kind oder den Kindern allein zu Hause waren. Immer für alles bereit sein, einkaufen, kochen, den Hausmeister anrufen, für Mutter einen neuen Staubsauger bei eBay ersteigern, Wäsche waschen, Geburtstagsgeschenk für die Nachbarin besorgen, Staub wischen, aufräumen – das waren nur einige der Tätigkeiten, die dazu führten, dass diesen Frauen schon bei der »Tagesschau« die Augen zufielen. Sie waren immer gefordert, hatten wenig Pausen und waren für alles verantwortlich. Und im Gegenzug gab es weder ein Gehalt noch eine andere Form der Anerkennung: Es schien selbstverständlich zu sein, den Alltag zu bewältigen und diese undankbare Arbeit zu verrichten.

Von diesen Klientinnen erfuhr ich, dass das Hausfrauendasein sogar noch frustrierender als der Job sein kann. Denn im Gegensatz zum Job werden zu Hause nur selten langanhaltende Ergebnisse erzielt. Kaum ist die Küche geputzt, hat das Kind wieder die Milchflasche umgestoßen. Sind die Hausaufgaben endlich gemacht und die Schulranzen gerichtet, startet der Kampf ums Zubettgehen. Wie kann man Halbwüchsigen erklären, dass ein großer Online-Freundeskreis nur die halbe Miete ist? Und warum sie, bitteschön, um zehn Uhr zu Hause sein müssen, ja, auch am Wochenende! Die Erziehung der Kinder ist die viel größere Herausforderung. Denn hier kommen die Mütter mit ihrer Tatkraft und Zielorientierung nicht so voran, wie sie es im Beruf gewohnt sind. Ihrem Baby zum zwanzigsten Mal den dreckigen Schlüsselbund aus dem Mund nehmen – das treibt perfektionistische, leistungsorientierte Frauen in den Wahnsinn.

Die Ähnlichkeiten zwischen den Symptomen der Seminarteilnehmerinnen und jenen meiner ehemaligen Klientinnen sind unverkennbar. Und ich denke, wenn meine Seminarteilnehmerinnen Burnout-gefährdet sind, dann müssen es auch all die Hausfrauen gewesen sein, die in meine Praxis kamen. Schließlich hatten sie genau die gleichen Symptome. Auch wenn bei ihnen »nur« eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert wurde. Sicherlich ist der Druck am Arbeitsplatz groß, das will ich gar nicht abstreiten. Aber warum gehen wir eigentlich davon aus, dass nur Menschen, die mitten im Arbeitsleben stehen, ausbrennen können?

Vorurteil Nr. 3: Stress, Zeitnot und ständige Erreichbarkeit sind schuld am Burnout

In allen Definitionen der Krankheit heißt es, die Ursache für Burnout liege in der Verdichtung der Arbeitswelt. So steht es geschrieben, so wird es gelehrt, und nach diesem Prinzip werden unsere Patienten behandelt. Die Menschen brennen also aus, weil sie immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit leisten müssen, weil Fehler und menschliche Schwächen Tabus geworden sind. Weil die hohen Anforderungen an die Effizienz und die Ergebnisse der Mitarbeiter mit zunehmendem Controlling in allen Bereichen einhergeht. Der Anteil an Verwaltungsarbeit nimmt zu, immer mehr Vorgänge müssen verschriftet werden. Dazu kommt der Sicherheitswahn, Mails in Kopie an viele andere Personen zu schicken, was die Informationsflut weiter erhöht, rasche Antworten fordert und Tagespläne obsolet werden lässt. Denn wenn nur noch reagiert wird, geht das Gefühl verloren, selbst über die eigene Zeit zu bestimmen.

Viele können sich kaum noch konzentrieren, weil ständig Teamkollegen hereinschneien oder das Telefon nicht aufhört zu klingeln. Eine tiefere Beschäftigung mit einem Thema und ein damit verbundenes Erfolgserlebnis sind so kaum noch möglich.

Burnout-Patienten klagen über all diese Phänomene, und die sind real. Aber ich sehe eine weitere Unstimmigkeit im vorliegenden Puzzle: Wenn die Chefs auf die Tube drücken, der Kommunikationsdruck die Mitarbeiter überfordert und die gesamte Arbeitswelt Kopf steht: Warum brennen nicht alle aus? Die Verdichtung der Arbeitswelt ist sicherlich ein Phänomen, das um sich greift. Aber die Handballerin Inga erleidet ein Burnout, andere Spitzensportlerinnen jedoch nicht. Wenn berufstätige Mütter überlastet sind, wieso lässt der Arbeitsdruck die Ministerin und die PR-Frau des Großverlags unberührt?

Ist Stress im Job wirklich der Auslöser für Burnout? Auch in der Geschichte gab es immer Zeiten, in denen die Menschen viel arbeiten mussten. Nach dem Krieg waren viele Tag und Nacht mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Pausen waren die Ausnahme und Erholung oder gar Freizeit noch Fremdwörter. Aber die Menschen hatten trotzdem kein Burnout. Auch heute stehen viele unter hohem Leistungsdruck und fühlen sich dennoch gesund und kraftvoll, gucken abends entspannt Fußball oder kochen. Wir leben in einer Zeit mit unendlich vielen technischen Hilfsmitteln und haben so viel Freizeit, wie sich unsere Großeltern nicht einmal erträumt hätten. Trotzdem: Etwas muss Menschen so erschöpfen, dass sie sich innerlich leer und ausgebrannt fühlen.

Als gemeinsames Merkmal fiel mir aber immer wieder auf, dass die Teilnehmerinnen nicht Nein sagen können. Dass sie sich mehr und mehr aufbürden, bis sie eines Tages zusammenbrechen. Das wurde bei meinen Seminaren und in meiner Coaching-Arbeit bestätigt. Aber wieso?

Wieso gelingt es der erwachsenen Tochter nicht, ihrer Mutter zu sagen, dass sie gerade weder Zeit noch Nerven hat, einen Staubsauger für sie zu ersteigern? Wieso kommt dieser Frau etwas Derartiges nicht einmal in den Sinn? Statt klar zu sagen, dass sie keine Kapazitäten mehr hat, übernimmt sie noch eine weitere Aufgabe. Bis sie am Ende kollabiert. Die gleiche – offensichtlich übertriebene – Hilfsbereitschaft kann ich auch bei den Seminarteilnehmerinnen beobachten.

Jessica, die musikalische Juristin aus meinem Pilotseminar, kam am zweiten Tag zehn Minuten zu spät, sie unterbrach die Morgenrunde mit einer Entschuldigung und überreichte Marion einen Coffee-to-go, bevor sie ablegte und sich setzte. Marion hatte am Vortag geklagt, dass sie bis zur Kaffeepause ihre Augen nicht aufbekommt. Jetzt waren sie weit aufgerissen, allein schon vom Anblick des schwarzen Zaubertrunks. Marion war sprachlos, wie alle anderen auch. Sie hatte nicht einmal um einen Kaffee gebeten, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ihr einer guttun würde. Nette Geste, keine Frage. Aber das Ergebnis: Jessica hatte noch einen weiteren Punkt auf ihrer ohnehin schon vollen To-do-Liste, sie geriet in Hektik und verspätete sich.

Auch im Job haben viele das Gefühl, Überstunden leisten und zusätzliche Aufgaben ganz selbstverständlich übernehmen zu müssen. Damit wollen sie Engagement, Loyalität und Belastbarkeit zeigen. Fast alle Teilnehmerinnen des Seminars gaben an, Angst vor Arbeitslosigkeit zu haben. Aber als wir weiter über diese Ängste diskutierten, stellte sich heraus, dass keine einzige Teilnehmerin finanziellen Druck hatte oder konkret vom Jobverlust bedroht war. Manche waren sogar verbeamtet und damit nahezu unkündbar.

Ich versuchte, hinter diese Geschichten zu sehen und herauszufinden, was sie mir über die Krankheit verraten. Jessica mit ihrem Coffee-to-go, die gestresste Hausfrau und Mutter aus dem Coaching und die übereifrige Mitarbeiterin mit den zahllosen Überstunden. Kommt der Druck wirklich von außen?

Jessica konnte offensichtlich ihrem inneren Drang, Marion etwas Gutes zu tun, nicht widerstehen. Die Frau aus dem Coaching kam gar nicht auf die Idee, ihrer Mutter zu sagen, dass sie keine Zeit für die Staubsauger-Aktion im Internet hatte. Und nicht zuletzt dachten die meisten meiner Teilnehmerinnen, sie seien gezwungen, sich bei der Arbeit zu verausgaben. Andere würden sich über solch starke Pflichtgefühle wundern. Oder sie würden lauthals lachen. Was für manche einfach dazugehört, ist für andere möglicherweise unerhört. Liegt darin ein Schlüssel? Kann es sein, dass der Druck gar nicht von der Arbeit kommt, ob es nun der Job oder die Hausarbeit ist?

Vorurteil Nr. 4: Nach einer Pause sind Burnout-Patienten wieder auf dem Damm

Wenn Sie die Diagnose Burnout erhalten, schickt der Arzt Sie zunächst in Urlaub oder schreibt Sie eine Zeit lang krank: »Nach einer Pause sind Sie wieder auf dem Damm. Ruhen Sie sich aus, strecken Sie alle viere von sich.« Ein geschulter Arzt oder eine Psychologin würde Sie bitten, eine Kosten-Nutzen-Analyse Ihrer momentanen Situation zu erstellen. Also zu überlegen, in welche Tätigkeiten Sie viel Energie investieren, aber wenig zurückbekommen, und welche Tätigkeiten Ihnen wiederum Freude bereiten. Dann wird er oder sie Ihnen raten, die Aufgaben, die einen Nutzen versprechen, zu verstärken, unangenehme Arbeiten zu delegieren und sich jeden Tag Zeit für Entspannung zu nehmen.

Das ist nichts Neues. Und es ist im Grunde auch nicht verkehrt. Diese Strategien zur Selbstsorge wende ich für mich persönlich ebenfalls an. Bücher und Zeitschriften empfehlen sie genau so immer wieder. Ratschläge wie »Ruh dich aus!« oder »Nimm dir Zeit für Yoga oder Sport« oder »Fahr doch mal weg!« hatten die Teilnehmer schon mehrfach gehört. Anfangs hatten sie das auch versucht. Aber die meisten erkannten schnell, dass diese Pausen nur noch mehr Stress verursachten. Ein verlängertes Wochenende hätte den Druck beispielsweise nur noch mehr erhöht, da die gesamte Arbeit nun schon bis Donnerstag geschafft werden musste. Und wenn das Pensum in so kurzer Zeit nicht zu bewältigen war, musste nach dem Kurzurlaub schon wieder alles aufgearbeitet werden. Und selbst wenn sie frei bekommen hätten: Eine Pause allein hätte nichts am Zustand der inneren Leere geändert.

Als ich das hörte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Natürlich, es darf nicht vergessen werden, dass Burnout ein Zustand der seelischen Erschöpfung ist. Damit leuchtet ein, dass körperliche Entspannung allein nicht helfen kann!

Ich muss also tiefer graben, um an die Ebene heranzukommen, auf der sich die Krankheit manifestiert. Dabei fiel mir wieder das Nicht-Nein-Sagen-Können ein. Diese Unfähigkeit war für viele Teilnehmer der Anlass, um sich für das Seminar anzumelden: »Ich möchte ohne schlechtes Gewissen Nein sagen können« ist eine der häufigsten Erwartungen der Teilnehmerinnen. Männer sagen oft: »Ich will mich wieder spüren.« Wenn ich solche Aussagen höre, komme ich als Psychotherapeutin nicht umhin, eine Ich-Schwäche zu vermuten – und ich frage mich, wo der Mut zum Widerstand verloren gegangen ist. Widerstand leisten, Nein sagen, steckt tief in uns Menschen drin. Kinder machen dies ganz natürlich. Wenn ein Zweijähriger Nein sagt, liegt darin eine unheimliche Kraft. Warum ist meinen Teilnehmern diese Entschlossenheit abhandengekommen? Warum schaffen sie es nicht, sich von anderen abzugrenzen? Warum setzen sie sich unter Druck, obwohl es gar nicht nötig ist?

Vielleicht ist diese Energie bei ihnen anderswo gebunden? Angenommen, die Ich-Stärke steht nicht frei zur Verfügung: Dann können sie leicht in die Ecke gedrängt werden.

Das Umfeld kann nicht an allem schuld sein. Nicht das ständige Klingeln des Handys und die tausend Fragen der Kollegen sind das Problem, sondern die Tatsache, dass sie es zulassen, gestört zu werden. Sie könnten genauso gut die Tür schließen und das Handy ausschalten. Der Druck und die Verdichtung der Arbeitswelt sind offensichtlich nur ein Symptom des Nicht-Nein-Sagen-Könnens.

Die spannende Frage ist aber: Warum lassen sich diese Personen so vieles gefallen, obwohl es ihnen gegen den Strich geht? Für irgendetwas anderes müssen sie unverhältnismäßig viel Energie aufwenden, die ihnen dann im Alltag fehlt.

Einen Schlüssel zu diesem Geheimnis lieferte Bettina, die Leiterin des Altenheims aus meinem Pilotprojekt. Bei der Vorstellungsrunde hatte sie gesagt, sie wolle wieder zu sich finden. Und sie war froh, nur unter Frauen zu sein. Was genau sie damit meinte, verstand ich erst später, als von anderen Gruppen ähnliche Aussagen kamen.

Bettina war die Erste, die ihren Partner ins Spiel brachte. Er würde bei der Familienarbeit nicht mitziehen. Jedes Mal, wenn sie mit Freundinnen abends ausgehen wollte, müsse sie alle Details wie Essen und Zubettgehzeiten vorab organisieren und klären. Selbst einfache Dinge wie den Müll wegzubringen oder die Spülmaschine auszuräumen würde ihr Mann konsequent vergessen – obwohl er Freiberufler sei und häufig von zu Hause aus arbeiten würde.

Das Interessanteste an dieser Geschichte war jedoch wieder nicht ihr Inhalt, sondern wie die anderen Teilnehmerinnen darauf reagierten. Kaum hatte Bettina das Thema eröffnet, überschlugen sich die anderen mit ihren Erfahrungen. Beispielsweise Jessica: »Mein Mann geht frühmorgens aus dem Haus, kommt abends zurück und sieht die Wohnung immer nur aufgeräumt und sauber. Dass die Kinder tagsüber alles verschmieren, was in ihrer Reichweite liegt, dass sie alles verlegen, was sie selbst tragen können, dass sie zwischendurch schreien, weil sie sich stoßen oder streiten, Hunger haben oder einfach sauer sind – das alles kriegt mein Partner nicht mit. Selbst wenn er da ist, hat er keinen Blick für das, was notwendig ist. Er macht nur genau das, was ich ihm auftrage, aus eigenem Antrieb packt er nichts an und übernimmt auch keine Verantwortung.«

Viele erzählen ähnliche Geschichten über ihre Beziehungen. »Das Schlimme ist«, sagte Inga, »ich habe ja auch den ganzen Tag gearbeitet, danach noch eingekauft und Abendessen gekocht. Er kann nicht einkaufen, weil er nie weiß, was fehlt – und wenn er kocht, gibt es vor allem ungesunde Fertigkost. Er schafft es nicht einmal, die Kinder ohne Komplikationen ins Bett zu bekommen. Er weiß nicht, welchem Kind welche Zahnbürste gehört und wo die Spange liegt, er weiß nicht, wo frische Wäsche zu finden ist, er checkt einfach nichts von selbst. Also übernehme ich den Abendservice auch noch, weil ich keine Kraft mehr habe, einen Streit anzufangen.« Die Vereinbarungen über die Arbeitsteilung, die viele zu Beginn ihrer Ehe getroffen hatten, scheinen vergessen.

Doch liegt es offenbar weniger an der Unwilligkeit als an der Unfähigkeit der Männer. Aber ist das nur die Schuld der Männer? Oder lassen die Frauen vielleicht gar nicht zu, dass ihnen geholfen wird?

Die sonst so disziplinierten Teilnehmerinnen begannen, sich mit Details zu überbieten. Dieser Ausbruch – so überraschend er auch kam – war von zentraler Bedeutung: Bettina hatte mit ihrer Geschichte einen wunden Punkt getroffen. Und zwar nicht nur jenen einiger Teilnehmerinnen, sondern den wunden Punkt der gesamten Gruppe. Unmissverständlich hörte man die fehlende Anerkennung und Unterstützung durch den Partner heraus. Das war es, was die Frauen in den Wahnsinn trieb.

Doch war das wirklich der wahre Grund?