Warum die Gesellschaft kindisch ist - Armin Nassehi - E-Book

Warum die Gesellschaft kindisch ist E-Book

Armin Nassehi

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Beschreibung

In Werbe- und Unterhaltungsformaten stellt Armin Nassehi eine zunehmende Entwicklung hin zur kindischen Ansprache fest – obwohl die Zielgruppe gar keine Kinder sind, sondern rationale, entscheidungsbegabte Erwachsene. In seinem Essay für Kursbuch 201 fragt er sich daher, ob man an diesen Unterhaltungsformaten nicht auch den derzeitigen Zustand der Gesellschaft ablesen kann, nämlich den Hang zum Kindischen, der – im Unterschied zum Kindlichen – sich in Irrelevanzen verliert. Erstrebenswert wäre dagegen, als Gesellschaft wieder dorthin zu kommen, wo ein kindlicher Zugang zu schwierigen Themen erlaubt wäre, einer, der das Besser-werden-wollen, das Lernenwollen internalisiert.

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Seitenzahl: 26

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Inhalt

Armin NassehiWarum die Gesellschaft kindisch istEine Ehrenrettung des Kindlichen

Der Autor

Impressum

Armin NassehiWarum die Gesellschaft kindisch istEine Ehrenrettung des Kindlichen

Vielleicht sind Unterhaltungsformate und Werbung diejenigen Medien, die am ehesten etwas über den emotionalen Haushalt unserer Zeit verraten. Momentan verbreitet sich in Unterhaltung und Werbung – und zwar in gesprochener wie in Bild- und Tonsprache – der Eindruck, dass das Publikum angesprochen wird, als handle es sich bei ihm um Kinder. Eine auf lustig und leicht getrimmte Intonation lässt nicht nur jede Ernsthaftigkeit vermissen, sondern spricht das Gegenüber nicht als einen Entscheider an, vielmehr als jemanden, bei dem ein bestimmtes Gefühl aktiviert werden soll, eine Stimmung, so, wie man auch von Tieren in Animationsfilmen angesprochen wird.

Danke, Lino!

Als frappierendes, aber keineswegs besonderes Beispiel mag die Werbung für eine Salbe gegen rissige Haut namens Linola dienen. Die Hauptwirkstoffe sind Linolsäuren, die Firma bietet verschiedene Präparate an, die zur Anwendung von einfacher Hautpflege bis zur Behandlung von Psoriasis und Neurodermitis reichen. Beworben wird das Produkt zum Beispiel im Fernsehen mit einer comicartigen Figur, die man aufgrund der Namensgebung womöglich eine einem Rhinozeros nachempfundene beschreiben kann. Sie ist blau, ein wenig unförmig und hört auf den Namen Lino. Die Werbespots lassen dieses Geschöpf in Szenen auftreten, in denen es sich die entsprechenden Körperstellen – mit wohliger Mimik unterlegt – eincremt. Stets endet der Spot mit dem Ausruf: »Danke, Lino!« Es ist wirklich eines der schlimmsten Beispiele, die ich kenne – aber es ist nur eines von unzähligen Äquivalenten.

Man kann diesen Spot für gut oder schlecht halten. Wahrscheinlich werden kreativwirtschaftliche Fachkräfte dafür sogar Kriterien in vollständigen Sätzen formulieren können, ganz ohne Einsatz solcher Comicfiguren und ohne diese kindische Sprache. Ohne diese Kriterien freilich wundert man sich darüber, warum sich ein offensichtlich erwachsenes Publikum bei Sinnen so ansprechen lässt. Und noch mehr: Das Publikum scheint das nicht nur zu ertragen, sondern gar zu wollen, denn solche Kampagnen würden so nicht gestaltet werden, wenn nicht zuvor getestet worden wäre, dass sie bei der Zielgruppe ankommen – einer Zielgruppe, die explizit nicht aus Kindern besteht, denn Kinder kaufen weder Arzneimittel noch Pflegeprodukte. Solche Werbekommunikation und Markenbildung setzen auf maximale Vereinfachung. Die Sache selbst wird dekontextualisiert, letztlich wird auf explizite Thematisierung verzichtet – fast wie die Triggerwarnung vor »explicit language« es nahelegt – und alles wie in einem Spiel aufgelöst. Aus Information wird Unterhaltung, aus einer Sache eine Marke, und (Kauf-)Entscheidungen werden mit kindisch-ästhetischen Mitteln angeregt.

Nun will ich nicht so naiv sein, Werbung mit einer Informationskampagne zu verwechseln und Markenkommunikation mit einem Beipackzettel. Es gibt keine rationale Entscheidung dafür, Produkte mit Linolsäure ausgerechnet von diesem Hersteller zu kaufen. Es würde auch ohne Lino gehen, aber Lino scheint zu helfen. Lino bindet das Bewusstsein – das beweist allein die Tatsache, dass ich mich an einen solchen Clip erinnere, und das angesichts meiner sehr geringen Frequenz von Fernsehkonsum, und dann auch noch in der werbebegrenzten Zeit, was übrigens ein Argument mit starker öffentlich-rechtlicher Schlagseite ist. Aber auch mit dem Phänomen der Markenbildung lässt sich das Kindische nicht erklären. Marken bilden für den Konsumkapitalismus so etwas wie korporative Persönlichkeitsmerkmale, images