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Cur deus homo ("Warum Gott Mensch ist") ist ein theologisches Werk des Benediktinermönches Anselm von Canterbury, das vermutlich zwischen 1094 bis 1098 entstanden ist. In diesem Werk legt Anselm die ausführlichste und in der späteren Theologiegeschichte wirkungsmächtigste Darstellung der Satisfaktionstheorie vor: Es soll mit zwingenden Vernunftgründen bewiesen werden, dass Gott notwendig Mensch werden musste, um die durch die Erbsünde gefallene Menschheit mit Gott wieder zu versöhnen. Die Beweisführung erfolgt in dem zweibändigen Werk in der Form eines Dialoges, den der Autor Anselm mit dem möglicherweise fiktionalen Mönch Boso führt. Während des Dialoges einigt man sich, dass der Mensch Gott gegenüber Genugtuung (Satisfaktion) zu leisten habe, die die begangene Sünde angemessen ausgleicht. Anderenfalls wäre nämlich Gott ungerecht, weil er die Sünde ungestraft ließe. Da der Mensch auf Grund seines gefallenen Status unmöglich diese Genugtuung erbringen kann, müsste Gott die gesamte Menschheit verwerfen, was aber seiner Barmherzigkeit widerspricht. Der Gott-Mensch Jesus hingegen kann die Menschheit mit Gott durch seinen Kreuzestod versöhnen, da er als sündloser Mensch durch seinen Tod eine Genugtuung erbringen kann, die die Erbsünde angemessen ausgleicht. (aus wikipedia.de)
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Seitenzahl: 166
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Warum Gott Mensch geworden
Cur deus homo
Anselm von Canterbury
Inhalt:
Anselm von Canterbury – Biografie und Bibliografie
Warum Gott Mensch geworden
Vorwort
Die Kapitel
Erstes Buch
Zweites Buch
Warum Gott Mensch geworden, Anselm von Canterbury
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849603809
www.jazzybee-verlag.de
Scholast. Philosoph, geb. 1033 zu Aosta in Piemont, gest. 21. April 1109, unter dem Einfluss seiner Mutter Emmerberga religiös, unter dem seines Vaters Gandulf weltlich erzogen, trat er nach einem wilden Jünglingsleben 1060 in das Benediktinerkloster Bec in der Normandie, wurde 1064 Prior und 1093 als Nachfolger seines Lehrers Lanfranc Erzbischof von Canterbury. Als eifriger Vorkämpfer für die Rechte der Kirche und des Papstes geriet er in Streitigkeiten mit Wilhelm II. und Heinrich I. von England, infolge deren er zweimal (1097–1100 und 1103–1106) sein Bistum verlassen musste und erst nach dem Vertrag von Bec, der dem Investiturstreit ein Ende machte, definitiv zurückkehrte. A. ward nach seinem Tode kanonisiert. Er ging davon aus, dass der Glaube unantastbar feststehe, dass aber die Wissenschaft die Aufgabe habe, den Inhalt des Glaubens zu selbständiger Einsicht für die Vernunft zu bringen (fides praecedit intellectum; credo ut intellegam). Indem er so den überlieferten theologischen Lehrstoff mit dem Denken bearbeitete, ist er der Vater der Scholastik geworden. Als Philosoph ist er am einflussreichsten durch den sogen. ontologischen Beweis für das Dasein Gottes geworden, den er in der Schrift »Proslogium« (Alloquium Dei) zuerst aufstellt, während er in einer zweiten, »Monologium« (beide hrsg. von Haas, Tübing. 1863), den Gottesbegriff mehr in kosmologischer Weise gewinnen will. Der ontologische Beweis ist ein Versuch, aus dem Begriff Gottes das Dasein desselben durch die Schlussfolgerung darzutun, dass im Begriff Gottes als des schlechthin Größten, über das hinaus ein Höheres nicht mehr gedacht werden kann, liege, dass derselbe nicht nur im Verstand, sondern außerhalb desselben Wirklichkeit habe. Ein Zeitgenosse Anselms, der Mönch Gaunilo im Kloster Marmoutiers bei Tours hat (wie später Kant) dagegen bemerkt, dass aus dem Denken des Gottesbegriffs ein Sein Gottes in der Wirklichkeit nicht folge. In der Schrift »Cur deus homo« (hrsg. von Fritzsche, 3. Aufl., Zür. 1894; deutsch von Tschirlitz, Quedlinb. 1861) sucht A. aus bloßer Vernunft darzutun, dass und inwiefern Gott sich selbst für die Sünden der Welt Genugtuung gebe, indem er juristische Begriffe auf ethisch-religiöse Verhältnisse anwendet. In dem Streit zwischen Realisten und Nominalisten (s. Nominalismus) stand A. auf Seite der ersteren gegen Roscellinus (s. d.). Die Werke Anselms wurden zuerst 1491 und 1494 in Nürnberg, dann öfter zu Paris (namentlich 1675, hrsg. von Gabr. Gerberon) und im 155. Bande der »Patrologia« von Migne (Par. 1852–54) wieder abgedruckt. Vgl. über ihn die Monographien von Hasse (Leipz. 1843–52, 2 Bde.), Rémusat (Par. 1854), Rule (Lond. 1882, 2 Bde.) und Rigg (das. 1896).
Gegenwärtige Arbeit mußte sich, weil schon von ihrer Vollendung und Sichtung einige ohne mein Wissen die ersten Partieen für sich abschrieben, eiliger als mir gelegen und gedrängter als mir lieb war zum Abschlusse bringen. Ich würde nämlich mehreres, was ich jetzt verschwiegen, hineinverwoben und beigegeben haben, wäre es mir vergönnt gewesen, in Ruhe und längerer Zeit daran zu arbeiten. Aber so habe ich inmitten schwerer Herzensbedrängnis, deren Ursprung allein Gott bekannt, auf fremde Anregung hin in England das Werk begonnen, in der Provinz Capua auf der Reise es vollendet. Ich gab ihm nach seinem Inhalte den Titel: »Warum Gott Mensch geworden?« und teilte es in zwei kleine Bücher. Das erste enthält die Einwürfe jener Ungläubigen, welche die christliche Lehre zurückweisen, weil dieselbe nach ihrem Dafürhalten der Vernunft widerstreitet, sowie die Entgegnungen seitens der Gläubigen; und zuletzt erweist es durch zwingende Vernunftgründe, wie, wenn man Christus auch einen Augenblick hinwegdenken könnte, unmöglich ein Mensch ohne ihn gerettet würde. Im zweiten Büchlein soll auf ähnliche Weise, indem von Christus völlig abgesehen wird, auf eine nicht weniger einleuchtende Art der Begründung gezeigt werden, wie die menschliche Natur dazu erschaffen sei, daß dereinst der ganze Mensch, d.h. mit Leib und Seele, einer seligen Unsterblichkeit sich erfreue; und daß notwendigerweise in Betreff des Menschen das eintrete, um dessen willen er geschaffen worden; daß jedoch ein solches Eintreten nur durch den Gottmenschen herbeigeführt werde, so daß mit Notwendigkeit Alles, was wir von Christus glauben, auch mit der Wirklichkeit sich begegne. Dieses kurze Vorwort nebst Angabe sämtlicher Kapitel wollen alle, die das Buch kopieren werden, demselben an die Spitze stellen, auf daß jeder, der es in die Hand bekömmt, sogleich gewissermaßen an der Stirne sehe, ob ihm der ganze Leib gefallen möge.
I. Die Frage, um welche sich die ganze Abhandlung dreht.
II. Wie man das aufzunehmen habe, was gesagt werden muß.
III. Die Einwendung der Ungläubigen und die Entgegnungen der Gläubigen.
IV. Daß diese Entgegnungen den Ungläubigen willkürlich und gleichsam Vorspiegelungen zu sein scheinen.
V. Daß die Erlösung des Menschen durch niemand andern erfolgen konnte, als durch eine göttliche Person.
VI. Wie die Ungläubigen es rügen, daß wir behaupten, Gott habe durch seinen Tod uns losgekauft und so seine Liebe gegen uns an den Tag gelegt, und er sei gekommen, um statt unser den Satan zu besiegen.
VII. Daß der Satan kein Recht hatte gegenüber dem Menschen, gleichwohl aber ein solches zu haben schien, und weshalb Gott solchergestalt den Menschen befreite.
VIII. Wie es den Ungläubigen nicht schicklich erscheine, daß wir vom Menschen Christus jene Verdemütigungen aussagen, welche ja zu seiner Göttlichkeit außer Bezug stehen; und weshalb ihnen Christus als Mensch nicht freiwillig gestorben zu sein scheint.
IX. Daß er freiwillig starb, und was das bedeute: »Er ist gehorsam bis zum Tode, und darum hat ihn Gott auch erhöht;« sodann: »Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu thun;« ferners: »Seines eigenen Sohnes hat er nicht geschont,« und endlich: »Nicht wie ich will, sondern wie du willst.«
X. Nochmals dieselben Schriftstellen, wie sie auch in anderer Weise richtig erklärbar sind.
XI. Was es heiße, sündigen und für die Sünde genugthun.
XII. Ob es sich für Gott zieme, in Kraft bloßer Erbarmung, ohne jegliche Sühnung, die Sünden nachzulassen.
XIII. Daß in der Ordnung der Dinge nichts mehr unzulässig sei, als daß das Geschöpf dem Schöpfer die gebührende Ehre entziehe, ohne die entzogene zurückzuerstatten.
XIV. Wiefern Gottes Ehre die Strafe des Sünders sei.
XV. Ob Gott nur auch im geringsten seine Ehre verletzt sehen wollte.
XVI. Der Grund, weswegen die Zahl der gefallenen Engel aus den Menschen zu ergänzen.
XVII. Daß nicht hinwieder andere Engel für jene gefallenen eintreten können.
XVIII. Ob es fortan mehr heilige Menschen geben werde, als böse Engel.
XIX. Daß der Mensch nicht erlöst werden kann ohne Genugthuung für die Sünde.
XX. Daß die Genugthuung dem Sündenmaße entsprechend sein müsse, und daß der Mensch aus eigener Kraft sie nicht zu leisten vermöge.
XXI. Welche Bedeutung der Sünde zukomme.
XXII. Welche Beleidigung der Mensch Gott zufügte, da er sich vom Satan überwinden ließ, ohne für diese Beleidigung Genugthuung leisten zu können.
XXIII. Was er, ohne erstatten zu können, durch die Sünde Gott entzog.
XXIV. Daß der Mensch, so lange er Gott seine Schuld nicht abgetragen, unmöglich selig sein könne, und daß auch seine Unvermögenheit ihn nicht entschuldige.
XXV. Daß der Mensch notwendig durch Christus erlöst werde.
I. Daß der Mensch gerecht von Gott erschaffen wurde, um im Genuße Gottes selig zu sein.
II. Daß der Mensch nicht sterben würde, wenn er nicht gesündiget hätte.
III. Daß der Mensch mit demselben Leibe, womit er in diesem Leben bekleidet war, wiederum auferstehen wird.
IV. Daß Gott vollenden wird in betreff der Menschennatur, was er angefangen.
V. Daß er das, wiewohl es geschehen muß, doch nicht infolge zwingender Notwendigkeit thun werde; und welche Notwendigkeit die Gnade aufhebe oder wenigstens schwäche, und welche sie vermehre.
VI. Daß die Genugthuung, wodurch der Mensch erlöst wird, allein der Gottmensch zu leisten vermag.
VII. Daß derselbe notwendig vollkommener Gott und vollkommener Mensch sein müsse.
VIII. Daß Gott notwendig aus Adams Geschlecht und aus einer Jungfrau menschliche Gestalt annehmen mußte.
IX. Daß notwendigerweise das Wort allein und der Mensch zu Einer Person sich zusammenschlossen.
X. Daß dieser selbe Mensch nicht schuldbar sterbe, und inwieferne er sündigen könne oder aber dies nicht könne; und endlich weshalb eben derselbe oder ein Engel in betreff seiner Gerechtigkeit Anerkennung verdiene, nachdem es doch für beide zu sündigen unmöglich.
XI. Daß er aus eigener Machtvollkommenheit sterbe, und daß die Sterblichkeit der reinen Natur des Menschen außerwesentlich sei.
XII. Daß er, wenn schon unserer Gebrechen teilhaft, darum doch nicht unglücklich sei.
XIII. Daß ihm mit unseren übrigen Gebrechen nicht zugleich die Unwissenheit gemein sei.
XIV. Daß sein Tod die Zahl sowohl als auch die Größe aller Sünden überwiege.
XV. Daß dieser selbe Tod sogar die Sünden der Tötenden tilge.
XVIa. Wie Gott aus der Masse der Sünder einen sündelosen Menschen genommen; auch von der Erlösung Adams und Evas.
XVIb. Wie derjenige nicht gezwungen starb, der nicht mehr leben konnte, weil er sterben wollte.
XVII. Davon, daß bei Gott weder ein Müssen, noch ein Nichtkönnen denkbar sei; und was für ein Unterschied obwalte zwischen zwingender und nicht zwingender Nötigung.
XVIII. Wie Christi Leben für die Sünden der Menschen Gott dahingegeben wurde, und inwieweit Christus leiden mußte und inwieweit er nicht leiden mußte.
XIX. Auf welchen Grund hin aus seinem Tode die Erlösung der Menschheit folge.
XX. Wie groß und gerecht die Erbarmung Gottes sei.
XXI. Daß der Satan unmöglich wiederversöhnt werden könnte.
XXII. Daß durch das hier Gesagte die Wahrheit des alten und des neuen Testamentes bestätiget werde.
Oft und angelegentlichst ward ich von vielen angegangen, mündlich wie schriftlich, daß ich die Beweisgründe, welche ich in Bezug auf einen bestimmten Punkt unseres Glaubens den Fragenden gewöhnlich entgegenstellte, durch ein Werkchen noch späteren Zeiten zugänglich mache; denn, so meinen sie, dieselben gefielen ihnen und wären zugleich ausreichend. Indes leitet sie bei ihren Bitten keineswegs die Vorstellung, als ob man mittelst der Vernunft zum Glauben gelange; vielmehr möchten sie bloß durch das nähere Verständnis und die Betrachtung des Glaubensinhaltes erquickt, und soviel möglich gerüstet sein, jedem, der da Rechenschaft fordert über den Gegenstand unserer Hoffnung, Rede zu stehen. Die große Frage pflegen nämlich die Ungläubigen, während sie die christliche Einfalt als Thorheit verhöhnen, aufzuwerfen, und auch die Gläubigen beschäftiget diese Frage in ihrem Innern vielfach: welches die bewirkende oder nötigende Ursache gewesen, um deren willen Gott Mensch wurde und, wie wir glauben und bekennen, durch seinen Tod der Welt das Leben gab; während er das nämliche ja auch durch eine andere Persönlichkeit: durch einen Engel, einen Menschen; oder auch durch seinen bloßen Willen erreichen konnte. Nicht bloß Gebildete, sogar Ungebildete denken viel über diese Frage nach und wünschten ihre Begründung zu kennen. Und da nun also viele an dieser Frage Interesse zeigen, und ihre Beantwortung auch, so erheblich die entgegenstehenden Bedenken scheinen, für alle faßbar und wegen der Förderung und Ausschmückung durch den Vernunftbeweis geradezu anziehend ist, so will ich, wiewohl die heil. Väter bereits Hinlängliches ausgeführt, dennoch auch meinerseits, was Gott mir in Gnaden eingibt, für alle sich Rats Erholenden bekanntgeben. Und weil zumal die Form des Zwiegesprächs namentlich der langsameren Fassungskraft mehr entgegenkömmt, so wähle ich mir aus der Zahl meiner Mahngeister einen besonders Ungestümen heraus, in der Weise, daß Boso frägt und Anselm antwortet.
BOSO: Sowie die rechte Ordnung heischt, daß wir die Geheimnisse des christlichen Glaubens annehmen, bevor wir dieselben mit unserer Vernunft zergliedern; so erschiene es mir auf der anderen Seite als Denklässigkeit, wenn wir, nachdem wir einmal im Glauben befestiget sind, uns nicht die Mühe gäben, das, was wir glauben, nun auch mit der Vernunft anzufassen. Denn eben weil ich gewiß bin, daß die dem Glauben an unsere Erlösung vorauseilende Gnade mich so sicher halte, daß ich in diesem Glauben nicht wanke, auch wenn ich mit keinem Vernunftgrund dessen Inhalt zu fassen vermöchte; so bitte ich dich, wie dir wohlbekannt, zugleich als einer im Namen vieler, sage mir, welche nötigende oder wirksame Ursache konnte Gott, der doch allmächtig ist, haben, daß er die niedrige und schwache Menschennatur behufs deren Wiederherstellung an sich nahm?
ANSELM: Was du mich da frägst, übersteigt meine Fassungskraft; und ich nehme deshalb Anstand, mich an allzu Erhabenes zu wagen, damit nicht ein anderer, wenn ich seine Erwartungen unbefriedrigt lasse, glaube, daß die Wahrhaftigkeit der Thatsache mir nicht zu hinlänglich feststehe, da doch nur mein Verstand zu schwach ist, um selbe zu begreifen.
BOSO: Das hast du weniger zu fürchten; im Gegenteile wirst du dich erinnern, wie Gott uns oftmals bei Besprechung einer Frage Dinge aufdeckt, welche zuvor verborgen lagen; und wirst du darum getrost auf Gottes Gnade bauen, weil, indem du das umsonst Empfangene bereitwillig mitteilst, dich würdig machst, auch noch Höheres zu empfangen, was du bisher noch nicht erlangt.
ANSELM: Sodann obwaltet noch ein anderes Hemmnis, weshalb es kaum oder vielleicht gar nicht zu einer vollständigen Abhandlung über dieses Thema zwischen uns kommen mag, soferne die Vorkenntnis von Möglichkeit, Notwendigkeit, Wille und anderen derartigen Begriffen erforderlich ist, die so innig unter einander zusammenhängen, daß sie sich nicht trennen lassen. Die Behandlung dieser aber fordert wiederum einige, wie ich übrigens gerne glaube, leichte und äußerst nutzbringende Mühewaltung; denn ausgerüstet mit dieser Kenntnis finden wir unschwer, was uns außerdem sehr schwer erschiene.
BOSO: Du wirst auch hierüber gegebenen Ortes dich kurz verbreiten können, indem du das für unseren Zweck Nötige anführst, alles Weitere aber auf gelegenere Zeit versparst.
ANSELM: Auch das noch schreckt mich von Gewährung deiner Bitte ab, daß der Gegenstand unserer Abhandlung nicht allein an sich ein erhabener ist, sondern daß derselbe, wie er (concret gedacht) hinsichtlich des Glanzes der Form die übrigen Menschenkinder übertrifft, so (abstract gefaßt) hinsichtlich der glänzenden Vernunftbegründung den menschlichen Verstand übersteigt. Und wie ich mich selbst über die ungeschickten Maler ärgere, welche unsern Herrn in unschöner Form darstellen, so fürchte ich, könnte es mir ergehen, indem ich einen so erhabenen Gegenstand meinem schmucklosen, unbeholfenen Räsonnement unterwerfe.
BOSO: Auch das dürfte dich nicht abschrecken, weil du ja einem jeden, der es besser machen kann und dem dein Räsonnement nicht genügt, die Möglichkeit offen läß'st, eine vollendetere Darstellung zu veröffentlichen. Uebrigens, um alle deine Einreden abzuschneiden - du hast es ja nicht mit Gelehrten aufzunehmen, sondern mit mir und mit den von mir vertretenen Bittestellern.
ANSELM: Da ich nun einmal dein und deiner Gesinnunsgenossen Ungestüm sehe, welche sich dabei lediglich von Liebe und religösem Eifer leiten lassen, so will ich nach meiner schwachen Kraft versuchen (unter dem Beistande Gottes und im Vertrauen auf euer Gebet, das ihr mir zu diesem Ende so oft versprochen), nicht so fast eure Fragen aufzuzeigen, als zugleich mit dir selbst Fragen zu stellen, indes mit dem Vorbeding, wie ich das zu Sagende aufgenommen wissen möchte: Nämlich sobald ich etwas sage, was nicht eine höhere Autorität bestätiget, so soll es, mag es der Vernunft auch noch so einleuchtend dünken, doch mit keiner anderen Gewißheit aufgenommen werden, als dieses einstweilen meine persönliche Anschauung sei, bis daß Gott auf irgend eine Art mir Vollkommenes offenbaret. Sollte ich daher auch deine Fragen einigermaßen befriedigend lösen können, so bleibt doch immer gewiß, daß einem Einsichtsvolleren das noch besser hätte gelingen können; überhaupt stehe fest, was auch der Mensch äußern oder wissen mag, immer werden noch höhere Vernunftgründe verborgen bleiben.
BOSO: Gestatte denn, daß ich mich der Worte der Ungläubigen bediene! Denn billig müssen wir, wo es die Begründung unseres Glaubens anzustreben gilt, die Einwände derer kennen, welche erst nach dieser Begründung sich unserm Glauben nähern wollen. Wiewohl nun zwar jene eine solche Begründung verlangen, weil sie nicht glauben; wir aber, weil wir glauben; so bleibt es doch ein und dasselbe, was wir gemeinschaftlich verlangen. Im Falle du indes etwas antwortest, was einer heiligen Autorität scheinbar widerstreitet, wird mir diese Autorität vorzukehren gestattet sein, damit du Gelegenheit hast zu zeigen, daß es in Wirklichkeit jener Autorität nicht widerstreitet.
ANSELM: Laß denn hören, was dir auf dem Herzen liegt!
BOSO: Unter Verspottung unserer Einfalt rücken uns die Ungläubigen vor, daß wir Gott ein Unrecht und die Unbill zufügen, wenn wir behaupten, er sei in den Schoß der Jungfrau herabgestiegen, vom Weibe geboren worden, durch Milch und menschliche Speisen ernährt herangewachsen und, um anderes, was sich für Gott nicht ziemt, zu verschweigen, der Erschöpfung, dem Hunger, Durst, den Geißelstreichen und zuletzt dem Kreuztode zwischen Verbrechern unterworfen gewesen.
ANSELM: Wir sind weit entfernt, Gott ein Unrecht oder eine Unbill zuzufügen, da wir vielmehr mit heißestem Herzensdanke die unaussprechliche Tiefe seiner Barmherzigkeit loben und preisen; denn je wunderbarer, je überraschender er uns aus dem schwersten und verschuldetsten Verluste, worin wir waren, zu den größten, unverdientesten Besitztümern zurückführte, welche wir verloren hatten; eine um so größere Liebe und Zuneigung hat uns bewiesen. Würden sie nur sorgfältig erwägen, wie angemessen auf diesem Wege die Wiedereinsetzung des Menschen erfolgt ist; sie hörten wahrlich auf, unsere Einfalt zu belächeln, und vereinigten sich mit uns zum Lobpreis der Weisheit und Güte Gottes. War es ja notwendig, daß, gleichwie durch den Ungehorsam eines Menschen der Tod in das Menschengeschlecht eingebrochen war, so auch durch den Gehorsam eines Menschen das Leben wiederum hergestellt würde; daß, gleichwie die Sünde, die Ursache unserer Verdammnis, vom Weibe ihren Ausgang genommen hatte, so der Urheber der wahren Gerechtigkeit und unseres Heiles vom Weibe geboren würde; daß schließlich der Satan, welcher den Menschen dadurch besiegt hatte, daß er ihn zu überreden vermochte, vom Baume zu genießen, dadurch besiegt würde, daß der Mensch am Baume ein Leiden erduldete, wovon gleichfalls der Satan die Schuld getragen. Übrigens gäbe es noch viel anderes, was näher betrachtet die ganze unsagbare Schönheit unserer auf diesem Wege veranstalteten Erlösung offenbarte.
BOSO: All' das hört sich gut an und mag so zu sagen als Ausmalung sogar wohl gefallen; allein wenn solche Ausmalungen nicht auf fester Grundlage ruhen, so werden sie den Ungläubigen nicht zugänglich erscheinen zum Erweis unseres Glaubens daran, daß Gott all' das Gesagte habe leiden wollen. Wer ein Gemälde entwerfen will, nimmt doch eine feste Unterlage, worauf er malt, damit das, was er malt, bleibe. Denn niemand malt auf das Wasser oder in die Luft, weil alsdann das Gemalte sofort sich verflüchtigte. Und da wir die von dir angezogenen Congruenzgründe den Ungläubigen so zu sagen nur die Ausmalungen einer wirklichen Thatsache entgegensetzen könnten, so glauben diese, um so mehr als sie hierin nicht eine Thatsache, sondern bloß eine Dichtung erblicken, wir malten unsern Glauben gleichsam in die Wolken. Es wird darum vor Allem die Festigkeit der vernunftgemäßen Wahrheit, genauer die Notwendigkeit zu erweisen sein, daß Gott zu dem unsrerseits Behaupteten sich habe erniedrigen müssen oder können. Dann erst, um die volle Wahrheit in desto hellerem Lichte glänzen zu lassen, werden jene Congruenzgründe als ebensoviele Ausmalungen dieser Wahrheit die ihnen gebührende Würdigung finden.
ANSELM: Mithin schiene das kein genugsam nötigender Grund dafür, daß Gott das von uns behauptete thun mußte, weil sonst das Menschengeschlecht, das kostbare Werk seiner Hände, zu Grunde ging, und es sich doch gewiß nicht ziemte, das dasjenige vollends vereitelt würde, was Gott in betreff des Menschen vorhatte; dieses sein Vorhaben jedoch nur zu Ende geführt werden konnte, wenn das Menschengeschlecht durch seinen Schöpfer selbst befreit wurde?