Warum Großprojekte scheitern und unsere Gesellschaft immer dümmer wird - Elias Matteo Jakobsson - E-Book

Warum Großprojekte scheitern und unsere Gesellschaft immer dümmer wird E-Book

Elias Matteo Jakobsson

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Beschreibung

Was läuft eigentlich falsch in unserem öffentlichen Sektor? Statt der versprochenen "Effizienz" erleben wir Chaos, statt Qualität kleinliche Erbsenzählerei, statt Transparenz ein undurchschaubares Dickicht von Zuständigkeiten, in dem die Verantwortung des Managements ganz von selbst verschwindet. Dieses Buch bietet Antworten darauf, warum der öffentliche Sektor durch eine verfehlte Management-Strategie zunehmend ausgehöhlt wird - und gleichzeitig Millionengelder verschwendet werden, ohne dass sich irgendeine Besserung abzeichnet. "Warum Großprojekte scheitern und unsere Gesellschaft immer dümmer wird" erläutert das System des sogenannten New Public Management und zeigt, warum sich Prinzipien aus der freien Marktwirtschaft nicht auf den öffentlichen Sektor anwenden lassen, sondern seine Funktion und seine Leistungen pervertieren. Dieses Buch ist eine Warnung - aber auch ein Trost für diejenigen, die immer noch glauben, dass ihre unerträglichen Arbeitsbedingungen irgendwie ihre eigene Schuld sind. Und es ist eine dringende Mahnung, dass im öffentlichen Sektor endlich wieder Individualität und Menschlichkeit die Arbeit bestimmen müssen - zum Wohle der Gesellschaft und ihrer Bürger.

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Elias Matteo Jakobsson

Warum Großprojekte scheitern und unsere Gesellschaft immer dümmer wird

Das System und seine Prinzipien

© 2019 Elias Matteo Jakobsson

1. Ausgabe 1. Auflage

Umschlagbild: Dumbarton Rail Bridge, San Francisco Bay

© Public Domain (Foto: Howard Paul)

Diese Eisenbahnbrücke wird seit 1982 nicht mehr benutzt. Das drehbare Mittelteil wurde nach der Aufgabe der Brücke in offener Stellung stehengelassen, damit Segelschiffe passieren können. Als Titelbild für dieses Buch dient das querstehende Mitteilteil als Symbol für ein absurdes, zuletzt abgebrochenes Großprojekt, wie es sie im öffentlichen Sektor unzählige gibt – eine Geisterbrücke, die bei Millionenkosten ohne Sinn und Nutzen in die Landschaft gestellt wurde und allmählich verrottet.

Verlag und Druck: tredition GmbH

Halenreie 40–44, 22359 Hamburg

ISBN 978-3-7482-0219-6 (Paperback)

ISBN 978-3-7482-0220-2 (Hardcover)

ISBN 978-3-7482-0221-9 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Emma, Dario und Naomi

Inhalt

Vorspann: Was ist „New Public Management“ – und warum ein Buch darüber?

Ein Beispiel aus dem Alltag

Das Anliegen dieses Buchs

1. New Public Management: Funktion und Definition

Neoliberalismus, Managerialismus – oder New Public Management?

Das Schlüsselprinzip des New Public Management

Das Schlüsselproblem des New Public Management

2. Zwei unterschiedliche Welten: Privatwirtschaft und der öffentliche Sektor

Produkte und Leistungen

Kunden, Klienten, Bürger

Anschaulich gemacht: Grundlegende Unterschiede zwischen der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Bereich

3. Die sieben Faktoren für das Scheitern des New Public Management

Faktor 1: Die Marktillusion und der künstliche Wettbewerb

Faktor 2: Quantität statt Qualität

Faktor 3: Bürokratie um ihrer selbst willen

Faktor 4: Mangel an und Unterdrückung von fachlicher Kompetenz

Faktor 5: Korruption

Faktor 6: Fundamentalismus

Faktor 7: Ein anti-demokratisches Managementsystem

Zusammenfassung: Schöne Prinzipien und die unschöne Realität

4. Die McDonaldisierung des öffentlichen Sektors

Die idealen Voraussetzungen der 1990er Jahre

Der lange Arm der McDonaldisierung

Der Irrationalismus des Rationalismus

5. Haftung ausgeschlossen: Manager und ihre Berater

Die Verantwortungslosigkeit der Führungsriege

Das Beraterspiel: Die Verantwortung wird weggezaubert

Beraterliteratur – die Zauberformel fürs Unternehmen

Quellen

Quellengrundlage

Quellenverzeichnis

Vorspann: Was ist „New Public Management“ – und warum ein Buch darüber?

In den letzten drei Jahrzehnten hat sich in der westlichen Gesellschaft ein Phänomen ausgebreitet, das das Fundament demokratischer Strukturen zerfrisst. Das so genannte „New Public Management“ ist ein politisches und wirtschaftliches Phänomen, das vor allem den öffentlichen Sektor betrifft, doch tritt es auch in vielen Bereichen der Privatwirtschaft auf, aus der die grundlegenden Prinzipien dieser Management- und Verwaltungsstrategie stammen. Das wesentliche Prinzip des New Public Management besteht darin, dass Marktstrategien der Privatwirtschaft auf den öffentlichen Bereich angewandt werden. Das Ziel ist, dass der öffentliche Sektor „effizienter“, „transparenter“ und „rechenschaftspflichtig“ gegenüber den Bürgern und dem Staat wird. Die unüberschaubare öffentliche Verwaltung soll dadurch eine klarere Struktur bekommen, eindeutige Ergebnisse liefern, Gelder und Arbeitszeit effizienter anwenden, weniger Ressourcen für ihre „Produkte“ – also die Leistungen des öffentlichen Sektors für die Bürger – verbrauchen. Das Prinzip der „Rechenschaftspflicht“ (accountability) sorgt gleichzeitig dafür, dass die Verantwortlichen ihre Anwendung öffentlicher Mittel offen darlegen sollen.

Von Politikern wurde die Grundidee des New Public Management seit den frühen 90er Jahren gerne begrüßt und für den öffentlichen Sektor verordnet, versprach es doch, diesen schwerfälligen, teuren Sektor zu modernisieren, ihn effizienter zu machen und sogar Gewinn abzuwerfen. Inzwischen sehen wir jedoch an einer immer größeren Zahl von Skandalfällen – gescheiterten Großprojekten oder auch Fehlentscheidungen mit so katastrophalen Folgen wie den 21 Todesfällen auf der Duisburger Love Parade –, vor allem aber an insgesamt fallenden Standards in der Bildung, im Gesundheitswesen und in anderen wichtigen Bereichen des öffentlichen Sektors, dass die Strategien des New Public Management fatale Folgen für die gesamte Gesellschaft und das Leben des Einzelnen haben. Auch die Finanzkrise, die Millionen von Menschen betrifft, den kommenden Generationen schwere Lasten auflegt und gleichzeitig die Ersparnisse und somit die Altersvorsorge vieler Menschen zunichte macht, ist eine Folge dieser grundlegend verfehlten Managementstrategie.

Ein Beispiel aus dem Alltag

Wie ist es zu einer derartigen Umkehrung der guten Absichten gekommen? Wie genau funktioniert New Public Management in unserem Arbeitsalltag – und was läuft da schief?

Einleitend sei dazu ein authentisches Beispiel gebracht. Es entstammt dem öffentlichen Bereich, überschneidet sich jedoch gleichzeitig mit Aufgaben, die in der Privatwirtschaft anfallen. Deutlich wird hier, dass New Public Management keineswegs nur die effiziente Arbeit des öffentlichen Sektors zerstört, sondern auch wesentliche Prinzipien der Privatwirtschaft angreift.

Ein Tagungszentrum, das einer großen öffentlichen Institution gehört, soll umgebaut und modernisiert werden. Nach mehreren Jahren hartnäckigen Kampfes gegen die drohende Schließung hat der Leiter – nennen wir ihn Andreas Müller – erreicht, den Vorstand seiner Institution davon zu überzeugen, dass

a) das Tagungszentrum konkurrenzfähig ist und sogar Gewinn abwirft,

b) es wirtschaftlich empfehlenswert ist, das Zentrum zu erhalten, es umzubauen und dabei seine 200 Gästezimmer zu modernisieren.

Andreas Müller hat gleichermaßen durchgesetzt, dass er – mit zwanzig Jahren Erfahrung im Betrieb dieses Tagungszentrums – vor Ort die Aufsicht über den Umbau hat und mit einem erfahrenen Architekten zusammenarbeiten kann, der die Bedürfnisse des Hauses kennt. Als langjähriger Leiter geht Andreas Müller das Projekt mit großer Motivation an, denn endlich kann er das Tagungszentrum ganz nach seiner langjährigen Erfahrung im Betrieb eines Gäste- und Tagungshauses gestalten.

Für den Umbau ist ein Jahr vorgesehen. Die ersten acht Monate verläuft alles gut und nach Zeitplan. Doch dann stellt die öffentliche Institution, der das Tagungszentrum gehört, einen neuen Leiter der zentralen Bauabteilung ein. Dieser neue Abteilungsleiter hat kürzlich sein Diplom an einer anerkannten Universität gemacht und besitzt außerdem drei Jahre Praxiserfahrung in einem privaten Unternehmen. Nun übernimmt er die Verantwortung für sämtliche Bauprojekte der öffentlichen Institution. Die neue Organisationsstrategie seiner Institution überlässt ihm als neuem Leiter die volle Entscheidungskompetenz über die gesamte Abteilung mit ihren verschiedenen Unterabteilungen, über das Gesamtbudget und über alle laufenden Projekte. Als neuer, dynamischer Leiter hat er den Wunsch, für „frischen Wind“ zu sorgen, „innovativ“ und „zukunftsorientiert“ zu arbeiten und zu beweisen, dass seine Einstellung eine neue Ära für alle Mitarbeiter der Abteilung einläutet. Seine Dynamik und Tatkraft treffen sofort den laufenden Umbau des Tagungszentrums. Er entlässt den erfahrenen Architekten aus dem Projekt und ersetzt ihn durch einen jungen Architekten, der niemals in der Hotel- und Tagungsbranche gearbeitet hat. Der neue Architekt lässt den laufenden Umbau stoppen und ändert die Pläne. Unter anderem wird die Rezeption in der großen Empfangshalle vom Eingang weg in eine hintere Ecke verlegt – „das schafft einen lichtdurchfluteten Raum“, so die Begründung des Architekten. Die neuinstallierten Lampen in den Gästezimmern werden entfernt und durch Designerlampen ersetzt, die das Dreifache kosten, aber keineswegs hochwertiger aussehen. Für diese Lampen müssen außerdem neue Leitungen gelegt werden. Da die Lampen nicht sofort geliefert werden können, wird die weitere Inneneinrichtung zunächst gestoppt. Für die Terrasse werden inzwischen Gartenstühle von einer Designerfirma bestellt, 200 Euro das Stück.

Zentrumsleiter Andreas Müller hat nichts mehr zu sagen. Seine Einwände, insbesondere im Hinblick auf die Verlegung der Rezeption, werden abgewiesen, und er merkt rasch, dass er in Ungnade gefallen ist. Zuletzt müssen er und sein Mitarbeiterstab sich stillschweigend in alles finden, was über ihren Kopf hinweg entschieden wird – von Personen, die keine Ahnung vom Betrieb und den Bedürfnissen eines Tagungszentrums haben. Die Situation fühlt sich zutiefst demütigend an.

Der Eingriff des neuen Abteilungsleiters und seines Architekten hat folgende Konsequenzen:

■ Die Wiedereröffnung des Zentrums muss um sechs Monate verschoben werden. Das Zentrum muss dadurch mehrere Tagungsbuchungen absagen, zu denen weit über tausend Gäste kommen sollten. Wirtschaftlicher Verlust: 180.000 Euro.

■ Die Kosten für den Umbau sind explodiert. Das genau berechnete Budget war nicht zu halten, als der neue Architekt die Umbaupläne umstieß und seine Änderungen ausführen ließ. Immerhin bekam Zentrumsleiter Andreas Müller hierdurch keine Schwierigkeiten, da der neue Leiter der Bauabteilung alles getan hat, um die zusätzlichen Kosten von 1,8 Millionen Euro zu vertuschen. Das ist ihm gelungen, indem er einfach einige Posten innerhalb der Abteilung umbudgettierte, sodass die enorme Verschwendung von Mitteln nicht sichtbar wurde.

■ Mehrere Mitarbeiter ließen sich krankschreiben; die Diagnose – die dem Arbeitgeber selbstverständlich nicht mitgeteilt wurde – weist darauf hin, dass die deutlich verschlechterten Arbeitsbedingungen psychosomatische Symptome hervorgerufen haben.

Ein Jahr nach der Wiedereröffnung verzeichnet Andreas Müller folgende Bilanz:

■ Er und seine Mitarbeiter haben sich insgesamt an die schlechteren Arbeitsbedingungen gewöhnt, auch wenn diese den täglichen Betrieb mühsam machen und alle unter ständigem Stress arbeiten müssen.

■ Manche Gäste äußern ihre Verwunderung über das seltsame Design der Empfangshalle mit der „versteckten“ Rezeption – aber die meisten zucken nur mit den Schultern, denn sie sind von ihrem eigenen Arbeitsplatz architektonische Fehlentscheidungen „um des modernen Eindrucks willen“ gewohnt.

■ Die neuen Gartenstühle beginnen bereits jetzt zu rosten. Als Andreas Müller dies dem neuen Architekten mitteilt, meint dieser: „Na, dann hätten wir doch lieber das Modell für 300 Euro das Stück kaufen sollen. Die würden nicht rosten.“ Andreas Müller hatte dagegen vorgeschlagen, ein gediegenes Gartenstuhl-Modell aus einem einfachen Möbelcenter zu kaufen. Seiner Erfahrung nach hält dieses Modell zehn Jahre. Und es kostet nur 30 Euro das Stück.

■ Der Reinigungsbetrieb bricht fast zusammen, denn das Reinigungspersonal schafft es nicht, die 200 Zimmer in der vorgesehenen Zeit zu putzen. Das hat einen einfachen Grund: Der neue Architekt hatte darauf bestanden, dass jedes Gästezimmer neue Spiegel haben sollte – die Zimmer sollen nämlich „mit Hotels der Luxusklasse konkurrieren können“. Statt des normalen Badezimmerspiegels wurde im Bad eine ganze Wand verspiegelt, und in jedem der 200 Zimmer wurde ein weiterer, zwei Meter hoher Ankleidespiegel montiert. Dies fordert jeden Tag die vierfache Reinigungszeit, und dazu fehlt dem Tagungszentrum das Personal.

■ Leiter Andreas Müller muss gleichzeitig sowohl Reinigungs- als auch Küchenpersonal entlassen. Der Leiter der Bauabteilung hat eine neue Budgetregelung verabschiedet, die fordert, dass die Personalkosten des Tagungszentrums nicht mehr als 50% des Gesamtbudgets ausmachen dürfen. Darum kann das Zentrum nicht mehr das notwendige Personal bezahlen.

■ Gleichzeitig ist das Zentrum gezwungen, teure Fertigzutaten für die Mahlzeiten einzukaufen. Da nicht mehr ausreichend Küchenpersonal vorhanden ist, können die Mahlzeiten nicht mehr gänzlich aus frischen Zutaten in der Küche des Tagungshauses zubereitet werden – worauf unter anderem die große Beliebtheit dieses Tagungszentrums beruhte. Da aber gleichzeitig 50% des Budgets für Mahlzeiten, Reinigungsmittel und andere Sachkosten vorgesehen sind, muss die Leitung Fertigzutaten für die Mahlzeiten kaufen. Letzten Endes geht damit die Qualität des Essens im Tagungszentrum deutlich zurück.

■ Mehrere Mitarbeiter sind über längere Zeit krankgeschrieben, mit (psychosomatisch bedingten) Rücken- und Magenproblemen sowie depressiven Verstimmungen. Einige haben ihre Stelle gekündigt, weil die Arbeit ihnen keine Freude mehr macht. Andreas Müller ist mittlerweile froh, dass er in zwei Jahren pensioniert wird. Er liebte seine verantwortliche Arbeit als Leiter eines Tagungszentrums, doch nun „erkennt er seinen Arbeitsplatz nicht wieder“.

Kurz gesagt: Eine gut funktionierende Institution mit einem guten Arbeitsklima ist zerstört worden – weil die oberste Leitung einen Abteilungsleiter eingestellt hat, der Arbeitsprozesse „umstrukturiert“, „neuorganisiert“ und „optimiert“, die er selbst nicht kennt, und das mit einer Machtarroganz und Rücksichtslosigkeit, die den Mitarbeitern bislang völlig unbekannt war. Ein Teil der Mitarbeiter ist krank geworden, andere mussten entlassen werden, der Rest hat die Freude an der Arbeit verloren und somit die Motivation, gute Arbeit zu leisten. Die Kunden, das heißt, die Gäste des Tagungszentrums, haben sehr wohl bemerkt, dass die Qualität nicht mehr die alte ist, und allmählich nehmen die Buchungen ab. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Diskussion erneut beginnt, ob man sich das Tagungszentrum noch leisten kann – trotz des teuren Umbaus und der angeblichen „Effizienzsteigerung“ in den täglichen Abläufen.

Das hier ist New Public Management in seiner reinsten Form. Und es ist keine Parodie, sondern ein authentischer Fall.

Mehrere Aspekte dieses Beispiels weisen typische Kennzeichen und Strategien des New Public Management auf:

■ streng hierarchisches Top-down-Management mit geradezu despotischen Zügen;

■ ein neueingesetzer Manager, der zwar ein Universitätsdiplom und eine gewisse Erfahrung in der Privatwirtschaft mitbringt, jedoch keine Erfahrung in der konkreten Arbeit hat, die er nun verwalten soll;

■ die Expertise und Erfahrung derjenigen Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit machen, wird ignoriert;

■ willkürliche Änderungen um der Veränderung willen (eingepackt in Worthülsen wie „frischen Wind“, „Tatkraft beweisen“, „Optimierung“ „Effizienzsteigerung“, „Innovation“, „Synergieeffekte“, „konkurrenzfähig“);

■ eine Kostenexplosion – ohne dass die zusätzlichen Ausgaben irgendetwas verbessern;

■ die Verantwortungsleugnung der Leitung – wobei die Verantwortung notfalls auch mit unrechtmäßigen Mitteln umgangen wird;

■ die Überschreitung von Fristen mit wirtschaftlichem Verlust und Imageschaden als Folge;

■ Regeln und Forderungen von Seiten der Leitung, die gänzlich von der Wirklichkeit der Arbeitsprozesse abgekoppelt sind;

■ Verschwendung öffentlicher Gelder im täglichen Betrieb;

■ Mitarbeiter, die es wagen, Einwände zu machen oder gar Kritik zu äußern, fallen in Ungnade;

■ Zerstörung der Freude an der Arbeit;

■ Krankschreibungen;

■ Entlassungsrunden;

■ eine Managementsprache, die Stereotypen ohne Inhalt und ohne Verankerung in der Wirklichkeit benutzt.

Jeder dieser Aspekte zeugt davon, dass die Strategien des New Public Management nicht zu einer Verbesserung führen – ganz im Gegenteil. Und das ist die Realität in allen Ländern, deren öffentlicher Sektor von dieser „marktorientierten“ Managementphilosophie getroffen worden ist. Es gibt Bereiche, wo die Folgen noch viel ernster sind als im Beispiel mit dem Tagungszentrum: etwa der Bildungssektor, wo die Qualität der Ausbildung und das Recht der jungen Generationen, ihre spezifischen Begabungen in Ausbildung und Beruf entfalten zu können, zerstört werden. Oder das Gesundheitswesen, wo Patienten nicht mehr die Behandlung – und Behandlungsqualität – erhalten, auf die sie ein Anrecht haben. Oder die Polizei, wo immer mehr Bürokratie die Zeit für die eigentliche Polizeiarbeit frisst. Die Folgen solchen Fehlmanagements sind auf lange Sicht zerstörerisch für die gesamte Gesellschaft.

Das Anliegen dieses Buchs

Die Leistungen des öffentlichen Sektors sind Grundwerte und Grundrechte einer demokratischen Gesellschaft: Recht auf eine gute Ausbildung, Recht auf ein funktionierendes Gesundheitswesen, Recht auf die notwendige Infrastruktur und auf eine effiziente Kommunalverwaltung – und Recht auf die Beschützung dieser Rechte durch ein funktionierendes Rechtssystem und eine wirksame Ordnungsmacht. Wenn eine Gesellschaft diese Rechte schützt, hat jeder Bürger die Chance, eines der wichtigsten Grundrechte wahrzunehmen, die der Mensch in der modernen Gesellschaft hat: das Recht, seine Begabungen zu entfalten und sein Leben dadurch zu gestalten – „the right to pursuit of happiness“, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt.

In einer Demokratie ist es die Aufgabe der Regierung und ihrer Ministerien, den Bürgern diese Grundrechte zu sichern. Sie tragen die Verantwortung für die grundlegende Infrastruktur eines demokratischen Staats, nämlich für den öffentlichen Sektor mit Kindergärten, Schulen und Institutionen der höheren Bildung, mit dem Gesundheitswesen, öffentlichen Behörden, Verkehr- und Transport, der Polizei und dem Rechtssystem. Diese Infrastruktur ist für alle zugänglich und wird von allen Bürgern durch ihre Steuern finanziert. Sie ist das entscheidende Fundament für eine funktionierende Gesellschaft.

Unter der Einführung der neuen Managementstrategien im Laufe der 1980er und 90er Jahre ist dieses Fundament in Gefahr geraten. Der öffentliche Sektor ist einer Ideologie unterworfen worden, die die grundlegenden Werte der Infrastruktur unserer Gesellschaft zerstört. Dieses Buch erläutert, warum und durch welche Mechanismen dies geschieht und warum der „lange Arm“ des New Public Management auch noch die kommenden Jahrzehnte prägen wird, obwohl aus wirtschafts- und verwaltungswissenschaftlicher Sicht die Zeit des New Public Management angeblich überwunden ist. Das Buch will auf die Gefahren aufmerksam machen, die in einer unreflektierten Marktorientierung des öffentlichen Sektors liegen – Gefahren, die unsere Gesellschaft und die Generation unserer Kinder betreffen.

Warum Großprojekte scheitern und unsere Gesellschaft immer dümmer wird ist ein Buch in zwei Bänden. Der erste Band, Das System und seine Prinzipien., legt in einem systematischen Überblick dar, was genau New Public Management ist und welche sieben Faktoren zum Scheitern dieses Managementsystems führen. Das Kapitel „Die McDonaldisierung des öffentlichen Sektors“ erläutert, wie die Probleme im öffentlichen Sektor mit ähnlichen Tendenzen in der Privatwirtschaft zusammenhängen. Das abschließende Kapitel über die Verantwortung des Managements und die Heranziehung von Beratern zeigt schließlich, wie ein positives Grundprinzip der Managementtheorie, nämlich Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht, in der Praxis des New Public Management systematisch außer Kraft gesetzt wird – sodass für Fehlentscheidungen, Scheitern von Projekten und die unerhörte Verschwendung von Steuermitteln niemals ein Verantwortlicher zu finden ist.

Der zweite Band, Die Folgen für den Alltag, führt die Leser in die Alltagswelt des New Public Management. Als Beispiele werden Bereiche des öffentlichen Sektors herangezogen, die von den Strategien des New Public Management besonders stark getroffen sind und sämtliche Bürger unserer Gesellschaft betreffen: Gesundheitswesen, Polizei, Bildungssystem. (Freilich werden auch Angestellte in der Privatwirtschaft die geschilderten Probleme aus ihrem eigenen Arbeitsumfeld wiedererkennen.) Deutlich wird, wie das Management mit Hilfe von Verwaltung und ständigen Umstrukturierungen eine allumfassende Kontrolle über die Angestellten ausübt – und dass wichtige Prinzipien des New Public Management eine beklemmende Ähnlichkeit zu typischen Strukturen im Staatskommunismus aufweisen. Ein eigenes Kapitel ist dem typischen Sprachgebrauch des New Public Management gewidmet, der uns alle in Beruf und Alltag begegnet – eine sinnentleerte Sprache, die jedem vertraut ist, der „strategische Pläne“, Berichte und Anträge schreiben muss oder sich auch einfach nur die Webseiten von Unternehmen und öffentlichen Institutionen anschaut. Der Schlussabschnitt „Ausblick“ bietet einige Vorschläge und Hilfestellungen, wie Mitarbeiter und Führungskräfte mit den Problemen des New Public Management an ihrem Arbeitsplatz umgehen können.

Die Grundlage beider Bände sind Erkenntnisse und Erfahrungen mit dem Arbeitsalltag unter dem New Public Management, die in der internationalen Fachliteratur zu finden sind. Sie spiegeln, wie sehr sich die Grundprinzipien der Managementstrategie inzwischen international und in sämtlichen Bereichen des öffentlichen Sektors verbreitet haben, aber auch in vielen Privatunternehmen. Warum Großprojekte scheitern und unsere Gesellschaft immer dümmer wird bündelt diese Erkenntnisse aus der internationalen Literatur in einem klaren, leicht verständlichen Überblick und stellt sie in den kulturhistorischen Kontext der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte.

Die Einblicke in den Arbeitsalltag, die vor allem der zweite Band bietet, entstammen zum Teil meinen eigenen Erfahrungen innerhalb des Universitätssystems in verschiedenen europäischen Ländern, zum Teil sind sie durch entsprechende Fachliteratur aus diesem Arbeitsbereich ergänzt. Für die Kapitel zum Gesundheitswesen und zur Polizei wurden Publikationen von Fachleuten dieser zwei Sektoren herangezogen, die ein bezeichnendes Bild bieten, welche Folgen die Prinzipien des New Public Management in diesen beiden Bereichen haben.

Das Buch in seinen zwei Bänden ist so konzipiert, dass jeder Band unabhängig gelesen werden kann. Wer größeres Interesse an den unmittelbaren Beispielen aus unserem Alltag hat, möge zuerst den zweiten Band, Die Folgen für den Alltag, lesen. Damit die grundsätzliche Frage, was New Public Management ist und wie es funktioniert, auch für Leser dieses zweiten Bandes vorab geklärt wird, ist die Einleitung des ersten Teils zu Beginn von Die Folgen für den Alltag noch einmal abgedruckt. Ansonsten liegt der Schwerpunkt des zweiten Bandes auf der aktuellen Situation unseres Alltags, während der erste Band die Prinzipien des New Public Management vorstellt und erläutert, wie es zu einem so spektakulären Scheitern der verheißungsvollen Managementtheorie in der Wirklichkeit unserer Arbeits- und Alltagswelt kommen konnte.

New Public Management ist nicht einfach eine Managementtheorie. Es ist ein Phänomen, das uns mittlerweile alle betrifft und langfristige Folgen für uns und unsere Kinder hat. Der Sinn dieses Buches ist es, durch eine systematische Darstellung und zahlreiche Beispiele aus dem Alltag die Erkenntnis zu fördern, was uns die Lebens- und Arbeitswirklichkeit heute so schwer macht. Mit der Erkenntnis wächst die Fähigkeit, Abstand zu schaffen: Wir haben es mit einem ungesunden, schädlichen System zu tun und nicht mit unglücklichen Einzelfällen, an denen der Betroffene möglichst noch „selbst schuld“ ist. Ein System lässt sich nicht leicht ändern. Seine Grundstrukturen zu erkennen, ist jedoch ein erster Schritt dazu.

Zwei sprachliche Anmerkungen

Übersetzung der Zitate: Dieses Buch wendet sich an eine breite Leserschaft im deutschen Sprachgebiet, unabhängig von Berufsfeld und Qualifikation. Darum wurden sämtliche Zitate aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt, um die Lesbarkeit für alle zu erleichtern. Die Quelle ist bei den Zitaten im Kürzel angegeben, die Titel zu diesen Kürzeln sind im Literaturverzeichnis am Ende des Buches aufgeführt.

Männliche und weibliche Formen: Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird, wenn allgemein das Handeln von Personen beschrieben wird, das gängige Pronomen „er“ verwendet. Das ist ein Umstand der deutschen Sprache; weibliche Personen sind in diese allgemeine Form ebenso mit einbezogen, ohne dass dies immer wieder mit „er (oder sie)“ oder durch Konstruktionen wie „ManagerIn“ markiert wird. Es gilt also die gängige Gender-Klausel: Die weibliche Form ist in diesem Buch der männlichen Form gleichgestellt; die männliche Form wurde bei diesen allgemeinen Personenbezeichnungen lediglich aus Gründen der leichteren Lesbarkeit gewählt. Dies spiegelt die beschriebene Wirklichkeit in unserer Gesellschaft, denn Frauen und Männer – ob Angestellte, Angehörige des Managements oder Bürgerinnen und Bürger – sind gleichermaßen von den Auswirkungen des New Public Management betroffen.