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Der Autor führt zunächst aus, dass theologisches Systemdenken eine Falle darstellt. Dann beschreibt er Arminianismus und Calvinismus jeweils in ihrer Entstehung, in ihren Hauptaussagen und in ihren Schwächen. Schließlich entfaltet Wilfried Plock einen dritten Weg – sozusagen über die Systeme hinaus. An vielen Beispielen zeigt er, welche Auswirkungen es haben kann, wenn Gemeinden oder Werke einseitig von Systemdenken durchdrungen sind und welche Gefahren damit verbunden sein können. Dieses Buch möchte verbinden. Darum schließt es mit konkreten Ratschlägen, wie Christen mit unterschiedlichen theologischen Ansichten doch fruchtbar zusammenarbeiten können.
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Seitenzahl: 181
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© Copyright der Ausgabe 2017 by CMD
3. überarbeitete und erweiterte Auflage 2021
Christlicher Mediendienst Hünfeld GmbH – CMD
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ISBN: 978–3–945973–15-8
ISBN der gedruckten Ausgabe: 978–3–945973–09–7
Umschlaggestaltung: Andreas Dasch, pier07.de
Erstellung: Digital Design Deubler, Neckargemünd
Bibelzitate werden überwiegend nach der Revidierten Elberfelder Bibel wiedergegeben (1. Auflage 1987). © Copyright 1985 R. Brockhaus Verlag Wuppertal.
Es gibt Themen, die unter Christen seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert werden. Dazu gehört sicherlich auch das Thema Calvinismus – Arminianismus. Mit diesen Schlagworten sind hitzige Debatten, heftigste Polemik und ungezählte verbale Verletzungen verbunden. Arminianismus und Calvinismus verhalten sich oft geradezu wie Erzfeinde. Nicht wenige Vertreter beider Seiten haben ihre jeweilige Sicht der Dinge zum »Schibboleth« des Christentums gemacht und zum »status confessionis« erhoben. D. h. sie erkennen nur den als Bruder an, der exakt ihr Bibelverständnis teilt. Was für eine Rechthaberei!
Die Begriffe »Calvinismus« und »Arminianismus« sind zu Reizworten mutiert. In Amerika scheint es keinen Millimeter Zwischenraum zu geben. Ich hörte einmal einen Amerikaner über Johannes Calvin sprechen. Er malte folgendes Bild: Zuerst sei die Irrlehre des Arminius aufgekommen, dann wäre sie mit den fünf Punkten des Calvinismus in die Schranken gewiesen worden. Nur schwarz oder weiß. Keine Graustufe. Seltsam. Entweder man ist das eine oder das andere. Schlussendlich wird man dann mit diesen lieblichen Etiketten behaftet.
Die Bibel ist ein sehr ausgewogenes Buch. Wir finden darin die Lehre von der Allmacht Gottes. Wir finden aber auch die Wahrheit, dass Gott in seiner Liebe den Menschen nicht zwingt. Unglücklicherweise neigen wir gefallenen Menschen zu Extremen. Für mich sind beide Lehrsysteme – der Arminianismus wie der Calvinismus – echte Extreme. Augustin, Calvin und dessen Nachfolger betonten sehr stark (zu stark?) die Souveränität Gottes, während Arminius auf der anderen Seite vom Pferd herunterfiel und besondere Betonung (zu viel Betonung?) auf die Verantwortung des Menschen legte.
Dieses Buch will einen alternativen Weg aufzeigen. Ich selbst bin weder Calvinist noch Arminianer. Warum sollten wir uns nach irgendwelchen Menschen nennen, selbst wenn sie noch so große theologische Verdienste hätten? Wir sollten uns nicht Lutheraner, Calvinisten, Arminianer, Wesleyaner, Mennoniten oder Darbysten nennen – sondern schlicht und einfach Christen (Apg 11,20)!
Und wir sollten auch nicht theologische Systeme übernehmen, selbst wenn sie noch so überzeugend klingen. Manche nennen sich 4-oder-5-Punkte-Calvinisten, John Piper behauptet, ein 7-Punkte-Calvinist zu sein. Paul Washer bezeichnet sich als 5-Punkte-Spurgeonist – was soll das alles? Warum können wir nicht »Null-Punkte-Bibelchristen« sein? Wozu diese theologischen Grabenkämpfe? Sie richten viele Parteiungen im Volk Gottes an – und draußen gehen währenddessen wertvolle Seelen verloren!
Dr. Fruchtenbaum unterscheidet in seinem Buch Gottes Wille und Menschenwille, das nicht auf Deutsch erhältlich ist, fünf verschiedene Systeme: Arminianismus, Calminianismus (fast wie Arminianismus, nur Glaube an die Sicherheit der Erlösten), Gemäßigter Calvinismus, Strenger Calvinismus und Hyper-Calvinismus (Fruchtenbaum, Arnold G.: God's Will & Man's Will, Ariel Ministries, San Antonio, TX, 2013, E-Book, S. 23–43). Wir beschränken uns in diesem Buch im Wesentlichen auf die beiden Hauptsysteme Arminianismus und Calvinismus.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen systematische Theologie. Es ist gut, wenn die Lehren über Gott, über Israel, über die Gemeinde oder über die Endzeit systematisch dargestellt werden. Aber im Blick auf das Heilsverständnis der Bibel haben die Systeme Arminianismus und Calvinismus großen Schaden angerichtet.
Sollten Sie, lieber Leser, diese Publikation mit der Absicht erworben haben, »Kanonenfutter« für die eine oder andere Seite zu bekommen, so möchte ich Sie aufrichtig bitten, das Buch aus der Hand zu legen. Sie können es an den CMD zurücksenden – selbst, wenn Sie es irgendwo im Buchhandel erworben haben. Die CMD-Adresse finden Sie vorne im Impressum. Senden Sie uns das Buch zurück und fügen Sie Ihre Bankdaten hinzu. Wir erstatten Ihnen den Kaufbetrag.
Dem geneigten Leser wird auffallen, dass ich dem Calvinismus mehr Raum widmen werde als dem Arminianismus. Das war nicht beabsichtigt, ließ sich aber nicht vermeiden. Einerseits gibt es zum Calvinismus viel mehr zugängliche Literatur. Andererseits glaube ich, dass wir in einer Zeit leben, in der eine bestimmte Bewegung aus den USA das calvinistische Systemdenken stark in die konservativ-bibeltreuen Gemeinden des deutschsprachigen Europa gebracht hat und weiterhin bringt. Darum finde ich diese Thematik zurzeit relevanter.
Apropos Literatur. Ich habe manche Bücher aus dem angloamerikanischen Raum verwendet und die zitierten Passagen dazu aus dem Englischen übersetzt (wenn nicht anders angegeben). Auch in Großbritannien und den USA gibt es Bibellehrer, die bestimmte theologische Systeme kritisch sehen. Ich verdanke ihnen einen beträchtlichen Teil dieses Buches.
Der Untertitel dieses Buches lautet: Verbindende Gedanken zu einem trennenden Thema. Die Debatte über Arminianismus versus Calvinismus hat in den vergangenen Jahrhunderten schon genug Familien und Gemeinden auseinandergerissen.
Ich komme nicht umhin, Lehrpositionen auf beiden Seiten zu hinterfragen. Ich werde auch hier und da Ross und Reiter nennen. Aber ich möchte es mit Respekt und möglichst ohne Polemik tun. Wir sprechen über Brüder und Schwestern. In manchen Fällen geht es um Personen, deren Lebensleistung herausragend war. Darum möchte ich hart in der Sache sein, jedoch verbindlich im Ton. Gott kennt unsere Motive – beim Schreiben und beim Lesen.
Wenn man sich bewusst macht, dass die größten Denker und Lehrer der Christenheit nicht vor dem Einfluss der Philosophie gefeit und manchmal – ohne es zu merken – in bestimmten Auslegungstraditionen gefangen waren, dann muss man ganz klein und demütig werden.
Ich selbst beschäftige mich seit ca. 20 Jahren mit dem Thema Arminianismus – Calvinismus und in den letzten zehn Jahren besonders intensiv. Ich habe Dutzende Bücher von Vertretern beider Richtungen dazu gelesen. Ich war ergebnisoffen. Nicht festgelegt. Den heutigen Stand meiner bescheidenen Erkenntnis habe ich hier dargelegt.
Damit mache ich mich angreifbar – von beiden Seiten. Kritik will ich gerne auf mich nehmen, besonders, wenn sie wirklich mit Schriftargumenten und in der Haltung des Respekts vorgetragen wird.
Bitte prüfen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, meine Ausführungen ganz gründlich mit der Bibel in der Hand. Ich kann genauso irren wie jeder andere.
Ich wünschte mir, dass Sie dieses Buch ebenfalls mit einer großen Liebe zur Wahrheit und in einer Haltung der Achtung gegenüber anderen Überzeugungen lesen würden. Dazu von Herzen Gottes Segen!
Hünfeld, im Juni 2021
Wilfried Plock
Folgende fünf Schlüssel halte ich für unverzichtbar, um die Bibel wirklich so zu verstehen, wie Gott, der Autor der Schrift, sie verstanden haben möchte:
Wer das glaubt, geht mit einer absolut bibeltreuen und ehrfürchtigen Grundhaltung an die Schrift heran (Jes 66,2). Wir sind nicht Meister der Schrift, sondern beugen uns unter die Schrift. Unsere Herangehensweise könnte als »Historisch Grammatische Methode« (HGM) bezeichnet werden. Die so genannte »Historisch Kritische Methode« (HKM), die dem kritischen Geist der Aufklärung entsprungen ist, lehne ich als ungeeigneten Auslegungsansatz ab.
»Scriptura sui interpres« lehrten bereits die Reformatoren. D. h. ich brauche nicht unbedingt theologische Hilfsmittel. Letztere können hilfreich sein, sind aber keine Bedingung. Ich habe Menschen kennengelernt, die nie ein theologisches Buch gelesen hatten und dennoch ein fantastisches Bibelverständnis aufweisen konnten. In der Gemeinde Jesu gibt es kein Primat eines »studierten Klerus« wie beispielsweise in der katholischen Kirche.
Wenn ich die Zirkelspitze woanders einsteche, wird alles schief. Bei den Zeugen Jehovas spielt Jesus nur eine untergeordnete Rolle. Wir alle wissen, welches schiefe Lehrgebäude dabei herauskam. Bei den Siebenten-Tags-Adventisten ist der Sabbat im Mittelpunkt ihrer Theologie etc. Christus ist die Mitte der Schrift. Die Bibel spricht auf jeder Seite von ihm. Wenn das übersehen wird, kommt alles in Schieflage.
Gott hat nicht schon alle Wahrheiten der Bibel im ersten Buch Mose enthüllt, sondern wir finden eine fortschreitende (progressive) Offenbarung in der Schrift. Nehmen wir als Beispiel den Satan. Das Alte Testament sagt relativ wenig über ihn. Er kam beim Sündenfall vor und im Buch Hiob, und auch David wurde einmal von Satan gereizt. Aber dann – in den Evangelien –, als Jesus auf die Erde gekommen war, trat er massiv auf. Schließlich haben auch die Lehrbriefe des Neuen Testaments noch einiges über den Teufel zu sagen – bis endlich die Offenbarung des Johannes den völligen Sieg über ihn vorhersagt. Ganz ähnlich verhält es sich mit anderen Lehrpunkten. Sie werden fortschreitend offenbart.
In den Nachrichten der Fernsehsender sehen wir Weltgeschichte – in der Bibel finden wir die Heilsgeschichte. Es gibt einen roten Faden von der Schöpfung über Golgatha bis zur Vollendung. Diesen nennen wir Heilsgeschichte. Sie untergliedert sich in verschiedene Heilszeiten, über deren Zahl man unterschiedlicher Meinung sein kann. Viele folgen Scofields Einteilung in sieben Haushaltungen oder Heilszeiten.
Natürlich ist mir bewusst, dass unser aller Bibelverständnis durch viele Einflüsse geprägt wurde. Wir alle haben so genannte »hermeneutische Vorverständnisse« . Diese gilt es zu erkennen und abzulegen. Mit bestimmten Denksystemen können wir die Komplexität der biblischen Lehre nicht erfassen. Systemdenken steckt Gott unweigerlich in eine Schublade. Zurück zur ganzen Schrift heißt darum die Devise!
Karl-Heinz Vanheiden und Andreas Ebert zeigen in ihrem Buch Systemtreu oder bibeltreu? – Die Auswirkungen von überbetonten Auslegungsprinzipien mit messerscharfer Logik das Wesen des Systemdenkens auf. Auch wenn die Autoren in erster Linie die hermeneutischen Schwächen in der Brüderbewegung aufdecken wollten, so kann man ihre Erkenntnisse durchaus auch auf andere Lehrgebiete anwenden.
Karl-Heinz Vanheiden schreibt:
Unser menschlicher Verstand ist auf systemisches Denken hin angelegt. Wenn wir die Dinge um uns herum nicht in bestimmte Systeme einordnen können, verstehen wir sie nicht. Genauso ist es mit der Bibel. Die Aussagen einzelner Bibelstellen ordnen wir systematisch zusammen. Daraus gewinnen wir biblische Lehre: die Lehre über Gott, die Lehre vom Menschen, über Erlösung, von der Gemeinde usw. Alle diese Lehren könnte man wieder in ein größeres System verschiedener kirchlicher Gruppierungen einordnen; also eine protestantische, katholische, baptistische oder Brüdertheologie. Solch ein System besteht in der Kombination verschiedener biblischer Lehren, die zu einem Ganzen zusammengeschlossen worden sind.
Es gibt nur ein Problem: Diese Systeme sind menschliche Denkkonstruktionen, von denen einerseits eine große Faszination ausgeht, die aber andererseits enge Grenzen setzen, die Schrift verkürzen und das eigenständige Denken einschränken. Ich will nun mit einigen Thesen versuchen, einige charakteristische Merkmale eines Denkens in geschlossenen Systemen dem biblischen Denken gegenüberzustellen.
1. Wer im System denkt, kennt die Ergebnisse des Systems. Er weiß z. B., wann die Entrückung stattfinden wird und wie man das Gleichnis vom Schatz im Acker auslegen muss. Wer versucht, biblisch zu denken, kennt die Grundlage, die Schriftstellen, auf die man sich bei der betreffenden Lehre gründet, und die Regeln, die man bei der Auslegung beachten sollte. Manchmal kommt er zu den gleichen Ergebnissen wie das System, denn die Systeme sind schließlich auch durch Bibelstudium entstanden.
2. Wer im System denkt, findet z. B. die Antworten auf seine Frage nach Scheidung und Wiederheirat, wenn er die Lehrschriften der Väter studiert. Auslegung ist vorgegeben. Wer versucht, biblisch zu denken, weiß vorher noch nicht, was herauskommt. Es kann sogar sein, dass er andere Antworten findet, als das System vorgibt. Auslegungen werden geprüft.
3. Wer im System denkt, arbeitet oft mit Behauptungen. Er sagt etwa: dies ist ein Bild für …, obwohl das durch nichts bewiesen werden kann. Wer versucht, biblisch zu denken, akzeptiert nur klare Schriftbeweise und fragt bei seinem Gegenüber oft vergeblich danach.
4. Wer systemtreu denkt, liest fasst nur die Schriften der Systemväter und verdächtigt jeden, der nicht zu den gleichen Ergebnissen kommt. Wer versucht, biblisch zu denken, liest auch andere bibeltreue Auslegungen und kalkuliert damit ein, dass auch die Väter irren können und prüft alles anhand der Bibel.
5. Wer im System denkt, studiert natürlich auch die Bibel, aber er liest die Bibel mit der Brille des Systems und kommt überhaupt nicht auf den Gedanken, dass es anders sein könnte. Jedes Detail, das er entdeckt, baut er in das vorgegebene System ein. Neue Überlegungen sind ihm suspekt. Wer biblisch denkt, vertieft seine Schriftkenntnis und entdeckt zu seiner Überraschung manches, was er nicht erwartet hätte und was auch nicht in das vorgegebene System passt.
6. Wer im System denkt, kennt manchmal auch Bibelstellen, die nicht ins System passen. Wer versucht, biblisch zu denken, stellt sich auch »unpassenden« Aussagen und versucht nicht, sie mit Gewalt ins System zu pressen. Denn dabei wird fast immer die Schrift vergewaltigt.
7. Wer im System denkt, verkürzt unwillkürlich biblische Wahrheit. Wer biblisch denkt, versucht, die biblische Wahrheit zu erfassen, wie sie ist, auch in ihren scheinbaren Widersprüchen. Er hütet sich davor, die Schrift zu verändern.
8. Wer im System denkt, für den sind Kompromisse kaum möglich. Extreme Vertreter des Systemdenkens sind typische Sektierer. Außerhalb ihres Systems gibt es für sie nichts mehr. Wer versucht, biblisch zu denken, weiß, wie schwer manche Schriftstellen zu erklären und zu vereinbaren sind. Er weiß, dass er manchmal auf Hilfskonstruktionen angewiesen ist. Das macht ihn vorsichtig, aber deshalb sind für ihn auch andere Hilfskonstruktionen denkbar.
9. Wer im System denkt, ist davon überzeugt, ganz auf dem Boden der Schrift zu stehen, aber in Wirklichkeit verteidigt er nur das System. Natürlich stimmt vieles in seinem System mit der Bibel überein, ich glaube sogar, wenn ich an die Brüderlehre denke, das meiste. Trotzdem muss ich mich hüten, dem System zu verfallen und es zu stützen. Ich muss mich immer zu den klaren Aussagen der Schrift stellen.
10. Wer im System denkt, von dem hört man kaum jemals eigene Aussagen, geschweige denn eine neue Sicht, denn er fürchtet, sie könnten nicht systemkonform sein. Er hat immer alles an den Schriften der Väter geprüft. Wer versucht, biblisch zu denken, kann mit Ergebnissen seines Studiums durchaus Schwierigkeiten bekommen, vor allem, wenn er mit systemkonformen Geschwistern zusammenstößt. Er wird schnell verdächtigt, unbiblische Lehren zu verbreiten. Ja, manche sind sehr schnell bereit, den anderen als liberal zu beschimpfen, wenn er mit seinen Ergebnissen nicht ins System passt.
11. Wer im System denkt, denkt z. B. über Bekehrung und Heilsgewissheit nicht mehr nach, weil sie ihm als selbstverständliche biblische Lehren erscheinen, die sich schon Jahrzehnte festgesetzt haben. Wenn er dann gefragt wird, was die Schrift tatsächlich dazu sagt, wird es gewöhnlich sehr dünn und meist sogar falsch. Wer versucht, biblisch zu denken, muss von der Schrift her neu überlegen, was Gott wirklich will, wenn er von Bekehrung spricht oder von Buße und ob es nicht auch eine falsche Heilssicherheit geben könnte.1
Mit diesen Gedanken im Hinterkopf wollen wir uns nun an die unterschiedlichen Systeme von Arminianismus und Calvinismus wagen. Sie stehen sich scheinbar diametral gegenüber. Das eine betont die Verantwortung des Menschen – das andere das Handeln Gottes; das eine ist synergistisch (ein menschlicher Beitrag ist nicht ausgeschlossen) – das andere monergistisch (Gott tut alles) usw. Es ist ja verständlich, dass die Reformatoren nach den Jahrhunderten des finstersten Katholizismus mit all seiner Werkgerechtigkeit mehr die Souveränität Gottes betonten. Aber sie gingen m. E. zu weit.
David Dunlap schreibt von einer Pendelbewegung:
Diese beiden theologischen Richtungen tendierten dazu, soweit wie möglich voneinander weg zu schwingen, anstatt dass sie versucht hätten, die Schrift in ausgewogener und fairer Weise zu behandeln.2
Dunlap zitiert C. H. Mackintoshs Ausspruch: »Der Calvinismus ist ein Vogel mit einem Flügel« und fügt hinzu, dass dasselbe auch vom Arminianismus gesagt werden könnte.3 Das ist die Crux mit allen von Menschen erdachten Systemen: Sie schaffen es nicht, die Lehre der gesamten Schrift ausgewogen darzustellen.4 Wenn man im Denken eines dieser beiden Systeme gefangen ist, könnte es sein, dass man bestimmte Bibelstellen automatisch durch die Brille des Systems liest. Arminianisch geprägte Christen lesen manchmal eine Aussage der Schrift und denken beispielsweise sofort: Hier lehren Paulus, Petrus oder Johannes, dass Gläubige wieder verloren gehen können. Calvinistisch geprägte Christen stoßen auf Begriffe wie Erwählung oder auf »das Ziehen des Vaters« und interpretieren die Aussagen sofort im Sinne ihrer Heilslehre. Genau das ist das Problem: unmerkliche Auslegungstraditionen! Hier gilt es, ein »Anti-Virus-Programm« zu installieren.
Schauen wir uns zunächst das theologische System des Arminianismus an.
Jakob Hermannszoon wurde am 10. Oktober 1560 als Sohn katholischer Eltern in Oudewater/Holland geboren. Die Familie trat zum protestantischen Glauben über. Schon im Alter von 15 Jahren besaß er Grundkenntnisse in Latein, Griechisch und Theologie und wurde zum Studium an der Universität von Marburg/Lahn eingeschrieben. Marburg ist die älteste protestantische Universität Deutschlands. Philipp Melanchthon hatte sie bereits 1527 gegründet. Anschließend wechselte Jakob H. nach Leyden/Holland, wo er weitere fünf Jahre Theologie studierte.
1582 ging Hermannszoon nach Genf und studierte unter Calvins Nachfolger Theodor Beza (franz.: de Bèze) Theologie. Beza hatte inzwischen Calvins Ansichten weiter verschärft; u. a. lehrte er den so genannten »Supralapsarianismus« 5. Nach Bezas Meinung habe Gott die Dekrete zur Erwählung und Verdammnis der Menschen schon beschlossen, bevor er sich überhaupt entschied, Menschen zu erschaffen. Während seiner Zeit an der Universität Genf änderte Jakob Hermannszoon seinen Namen. Wie es damals üblich war, nahm er einen lateinischen Namen an. Er nannte sich fortan nach einem deutschen Heerführer, der die Katholiken besiegt hatte, Arminius.
In Basel wurde ihm eine Professur angeboten, doch er verzichtete wegen seines jungen Alters. Er war ein brillanter Gelehrter, ein eloquenter Redner und galt als Theologe von höchstem Rang. Der junge Arminius liebte den Herrn und sein Wort. Er wurde 1588 zum Hauptprediger jener Kirche in Amsterdam berufen, deren Gottesdienste auch vom holländischen Königspaar besucht wurden. Seine kraftvollen Predigten zogen viele Zuhörer an. Zu jener Zeit waren die jungen holländischen Reformer noch nicht calvinistisch.
Während seines Dienstes dort begann Arminius, das Denksystem des Calvinismus zu hinterfragen. Nach fünfzehn Jahren verließ er das Pastorat und wurde Professor der Theologie an der Universität Leyden. Seine Vorlesungen über Erwählung und Vorherbestimmung sollten später zu einer tragischen Kontroverse führen.