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Bereits mit Inkrafttreten des Grundgesetztes 1949 wurde Kindern eine rechtliche Stimme verliehen, denn eine Altersbeschränkung aller darin verankerten Rechte sieht das Gesetz nicht vor. Die Realität sieht anders aus, denn nach wie vor streiten sich Vertreter der Justitia, ob in dieser Zusicherung bereits alle Rechte vollumfänglich enthalten seien, oder ob es nicht mehr und ausdrücklicher Kinderrechte bedarf. Die Rechtswissenschaftlerin Anne Röthel plädiert in ihrem Beitrag in Kursbuch 201 für den letztgenannten Weg: "Kinderrechte ernst zu nehmen heißt, das Recht des Kindes auf Eigenzuständigkeit in eigenen Angelegenheiten und die Beachtung des Kindeswillens so zu garantieren, dass Kinder dies auch ins Leben setzen können." Und dafür braucht es deutlich formulierte und verankerte Gesetzte.
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Seitenzahl: 20
Inhalt
Anne RöthelWarum Kinder Rechte brauchenÜber die unvollendete Emanzipation im Recht
Die Autorin
Impressum
Anne RöthelWarum Kinder Rechte brauchenÜber die unvollendete Emanzipation im Recht
Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU ist verabredet worden, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Inzwischen liegen dazu mehrere Entwürfe vor. Aus dem Justizministerium stammt der Vorschlag, Artikel 6 des Grundgesetzes um einen neuen Absatz, nämlich 1a, zu ergänzen:
»Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.«
Das klingt gut. Aber brauchen wir so viel neuen, ausmalenden Text in unserem ansonsten eher knapp und nüchtern verfassten Grundgesetz wirklich? Und können wir mit Kinderrechten die reale Lebenssituation von Kindern und ihre existenziellen Gefährdungen durch Armut, Vernachlässigung, Missbrauch, Überforderung, Traumatisierung und Ausgrenzung wirklich verbessern? Ist die Betonung von Kinderrechten vielleicht nur billiger Politikersatz oder sogar ein Rückschritt gegenüber dem geltenden Recht? Diese Fragen werden von vielen Seiten gestellt. Sie sind auch Gegenstand einer lebhaften juristischen Debatte.1
Der folgende Beitrag schließt sich nicht den darin geäußerten Bedenken an, sondern ist ein Plädoyer für mehr sichtbare Kinderrechte. Zwar wird mit der Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung allein noch nichts besser und schon gar nicht »alles gut«. Letztlich entscheidet die Jugend-, Bildungs- und Sozialpolitik, wie ernst es unserer Gesellschaft mit den Lebensbedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern ist. Aber Kinder ernst zu nehmen, heißt in der Sprache des Rechts: ihre Rechte anzuerkennen und die ihnen versprochenen Rechte auch zu gewährleisten. Kinderrechte ausdrücklich in der Verfassung zu verankern bedeutet, ein bislang gebrochenes Versprechen einzulösen. Es gilt, die Emanzipation des Kindes zu vollenden.
Haben Kinder nicht schon längst Rechte?