Was im Bett geschah - Nadia Durrani - E-Book

Was im Bett geschah E-Book

Nadia Durrani

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Beschreibung

Das Bett ist ein politischer Ort – das wussten nicht erst Yoko Ono und John Lennon. Denn im Bett wurde seit jeher nicht nur geschlafen, sondern auch regiert, kommuniziert, Nachwuchs gezeugt und zur Welt gebracht, aber natürlich auch gelitten und gestorben. Was im Bett geschieht, war über Jahrhunderte weitgehend öffentlich und Teil eines gesellschaftlichen Miteinanders. Erst in der jüngsten Vergangenheit scheint sich das Bett ins Private zurückgezogen zu haben … oder doch nicht?

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Nadia Durrani / Brian Fagan

Was im Bett geschah

Eine horizontale Geschichte der Menschheit

Aus dem Englischen übersetzt von Holger Hanowell

Reclam

Titel der englischen Originalausgabe:

What We Did in Bed. A Horizontal History

 

2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: Wilhelm Busch (1832-1908), »Schnaken und Schnurren« (1866), Artokoloro / Penta Springs Limited / Alamy Stock Foto

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962298-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011489-6

www.reclam.de

Inhalt

Abbildung

Für Matt

Einleitung

Freigelegte Betten

Der Schlaf im Spiegel der Zeit

Ein Heidenspaß

Ruft die Hebamme

Tod und Jenseits

Fremde Bettgenossen

Das Bett auf Reisen

Das öffentliche Schlafgemach

Ein privater Rückzugsort

Die Betten der Zukunft

Literaturhinweise

Abbildungsnachweis

Danksagung

Register

Tracey Emin, Mein Bett, Tate Modern, London, 1999

Für Matt

Einleitung

Wie Groucho Marx einst im Scherz sagte: »Alles, was man nicht im Bett tun kann, braucht man gar nicht erst anzufangen.« Vermutlich hatte er recht, da der Mensch im Laufe der Zeit fast alles im Bett getan hat. Für die alten Ägypter stellte das Bett eine bedeutende Verbindung zum Leben nach dem Tod dar, in Shakespeares Zeit war es ein Ort für geselliges Beisammensein und während des Zweiten Weltkriegs regierte Winston Churchill Großbritannien vom Bett aus.

Aber heutzutage hat man das Bett in eine dunkle Ecke verbannt. Schlaftherapeuten erzählen uns, das Bett müsse allein dem Schlaf und dem Sex vorbehalten sein. Vielleicht liegt es an diesem ›privaten‹ Status, dass die meisten modernen Historiker und Archäologen es nicht beachten. Erstaunlich wenig ist über die Geschichte des Betts geschrieben worden oder über die vielen Rollen, die es in unserem Leben gespielt hat. Dabei hat das Bett, in dem wir immerhin ein Drittel unseres Lebens verbringen, großartige Geschichten zu bieten. Was unsere Vorfahren im Bett machten, umfasste alles von der Empfängnis bis zum Tod, und vieles dazwischen. Angesichts der zahllosen Möglichkeiten, wie man ein solches Buch schreiben könnte, haben wir beschlossen, unsere Betten thematisch aneinanderzureihen. Wir haben die besten Bettgeschichten ausgesucht, um einen neuen horizontalen historischen Überblick über all das bieten zu können, was im Bett geschah.

Sex, Geburt, Tod, Speisen, Herrschen, Pläneschmieden, Fürchten, Träumen: Die Bühne des Schlafzimmers hat Künstler in vielerlei Hinsicht inspiriert. Ein wiederkehrendes Motiv im mittelalterlichen Europa sind die drei Weisen aus dem Morgenland, die offensichtlich unbekleidet zusammen im Bett liegen und mit der göttlichen Offenbarung gesegnet werden. Viele Künstler aus besseren Kreisen des 18. Jahrhunderts richteten ihr Augenmerk lieber auf nackte Frauen, die ermattet auf zerwühlten Laken lagen, vielleicht hilflos in der Gewalt von Entführern oder exotischen Tieren, wie die junge Frau auf Johann Heinrich Füsslis Gemälde Der Nachtmahr (1781). Als der französische Künstler Jacques-Louis David 1787 Sokrates auf dem Totenbett malte, stellte er den 70-jährigen Philosophen quicklebendig und muskulös dar – die Verkörperung des gerechtfertigten Widerstands gegen ungerechte Herrschaft am Vorabend der Französischen Revolution. Dann wiederum gab es Darstellungen von leeren Holzbetten, wie etwa van Goghs entwaffnendes, blutrotes Bett auf dem Gemälde Schlafzimmer in Arles (1888) und Robert Rauschenbergs Bett (1955), dessen Steppdecke er mit Nagellack, Zahnpasta und Farbe gemalt hatte. In jüngerer Zeit hat die Installationskünstlerin Chiharu Shiota komplexe, beinahe transzendentale Bilderwelten rund um das Bett geschaffen, wie etwa Während des Schlafs (2002): In Krankenhausbetten liegen schlafende Frauen in weißen Nachthemden, damit verwoben werden Assoziationen von Frauenleiden, weiblicher Schwäche und Frauen in der Mythologie.

Die vielleicht berühmteste Darstellung eines Betts ist Mein Bett (1998) der britischen Künstlerin Tracey Emin. Beflügelt von einer Eingebung stellte Emin ihr zerwühltes, unordentliches Bett nach einer Trennung zur Schau, umgeben von blutverschmierter Unterwäsche, leeren Flaschen, Zigarettenkippen und benutzten Kondomen. Mein Bett löste eine wahre Flut von Häme aus – nicht nur, weil die Leute in Frage stellten, ob das überhaupt noch ›Kunst‹ sei, sondern gerade weil das Bett heutzutage als privater Ort gilt, der in feiner Gesellschaft weder diskutiert noch gezeigt werden sollte. Doch diese Haltung ist jüngeren Ursprungs. In der Frühmoderne, die die Historikerin Carole Shammas scherzhaft das Zeitalter des Betts taufte, wurde die Schlafstatt häufig für jedermann sichtbar in der guten Stube zur Schau gestellt, war sie doch das teuerste und wertvollste Möbelstück, das sich eine Familie zulegen konnte. Aber unsere Obsession mit Betten reicht noch viel weiter zurück.

Wie die Betten unserer frühesten Vorfahren ausgesehen haben, wissen wir nicht. Sie lebten in von Raubtieren bewohnten Gegenden im Herzen Afrikas und schliefen zunächst auf Bäumen, ehe sie sich im Lauf der Zeit in Felsunterkünfte und Höhlen, aber auch in offene Lager zurückzogen, wo sie an großen Feuern eng zusammenrückten. Aber wie konnten sich unsere Vorfahren nachts vor lauernden Tieren schützen? Seit sich der Mensch das Feuer zunutze gemacht hatte, bot es nicht nur Wärme und Aussicht auf gekochte Nahrung, sondern schützte auch die Orte, an denen sich Menschen nach Einbruch der Dämmerung zusammenfanden und schliefen. In der Dunkelheit urzeitlicher Landschaften, durch die nachts große Raubtiere streiften, spendete das Feuer Licht und Sicherheit. Man kann sich gut vorstellen, wie sich eine Gruppe Jäger um ein prasselndes Feuer schart, und die Flammen in die Dunkelheit züngeln. Ab und zu leuchten im Zwielicht die Augen von Tieren auf, die auf Beute aus sind oder mit den Knochen vorliebnehmen, die die Urzeitmenschen am Feuer weggeworfen haben. Nach Einbruch der Dunkelheit spielte sich das menschliche Leben um die Herdstatt und im Schutz der Felsen ab.

Die ältesten bekannten Betten stammen aus einer Höhle in Südafrika. Vor etwa 70 000 Jahren hatte der Homo sapiens sie in den felsigen Boden gehauen. Interessanterweise bezeichnet die urgermanische Wurzel des Wortes ›Bett‹ ›eine in den Boden gegrabene Lagerstätte‹ bzw. den ›Boden, auf dem man ausruht‹. Ziemlich passend, nicht nur, weil bei den Betten der Frühzeit der Aspekt des Grabens deutlich wird, sondern auch, weil das Bett immer schon ein Ort des Ruhens war, auch wenn es noch vielen anderen Zwecken diente.

In unseren gut geheizten Häusern der Neuzeit vergessen wir oft, wie verletzlich und ihrer Umgebung ausgeliefert unsere Vorfahren in der freien Natur waren, aber wie und wo man schlief, war schon immer entscheidend im Hinblick auf Wärme und Schutz. In den frostigen Klimazonen der letzten Kaltzeit oder der kanadischen Arktis zogen sich die Menschen noch vor 200 Jahren ins Bett zurück, sobald die Temperaturen merklich abfielen und die Tage kürzer wurden; sie überwinterten buchstäblich unter stapelweise Fellen und Pelzen. Vor 4000 Jahren verbrachten Schlafende in ihren Winterunterkünften am Independence-Fjord auf der Baffin-Insel die dunklen Monate in einem Zustand des Halbschlafs, sie lagen eng beieinander unter dicken, warmen Häuten von Moschusochsen, mit Nahrung und Brennmaterial in Reichweite.

Heutzutage schlafen Millionen von Menschen immer noch auf dem Boden oder auf Beton- bzw. Holzfußböden, eingehüllt in Decken oder Felle oder mit mehreren Schichten Kleidung am Leib. Aber im Zuge der aufstrebenden Zivilisationen vor über 5000 Jahren gelangten auch die Betten auf eine höhere Ebene – insbesondere bei den Eliten. Im trockenen Klima Ägyptens sind solche erhöhten Ruhestätten aus der Zeit der Pharaonen erhalten geblieben. Zur Zeit von Tutanchamun, etwa Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr., hatte sich bereits die grundlegende Gestalt des Betts entwickelt, wie wir sie heute kennen, wobei die Liegen am Kopfende etwas höher waren und unten ein Fußbrett angebracht war, damit der Schlafende nicht abrutschte. Zunächst scheint es nicht viele Möglichkeiten zu geben, wie eine solche Plattform zum Schlafen aussehen könnte, aber je tiefer wir graben, desto mehr tut sich auf. Es gab Schrankbetten und Hängematten, niedrige Wasserbetten und Hochbetten, knapp fünf Meter über dem Fußboden. Dennoch hat sich die grundsätzlich rechteckige Form der Schlafstatt im Verlauf der letzten 5000 Jahre erstaunlich wenig verändert. Selbst Matratzen haben sich über die Jahrtausende nicht sehr verändert. Gras, Heu und Stroh, das in Säcke oder Leinentaschen gestopft wurde, diente jahrhundertelang als Basismatratze. Wer es sich leisten konnte, schlief auf mehreren Schichten, um dem Ungeziefer des Füllmaterials und dem stachligen Stroh zu entgehen. Ausgeklügelte technische Hilfsmittel, die das Einschlafen fördern oder überhaupt Schlaf ermöglichen sollen, sind erst im 21. Jahrhundert entstanden, samt allerhand Tricks und Scharlatanerie, um Schlaflosigkeit zu bekämpfen.

Zum Schlaf und zur Entwicklungsgeschichte des Schlafs wurde viel Forschung betrieben, speziell erforscht hat man Schlafmuster wie den polyphasischen bzw. mehrphasigen Schlaf, der offenbar weitverbreitet war, bevor das elektrische Licht die Nacht zum Tag machte. Die Menschen schliefen z. B. vier Stunden am Stück, wachten dann auf und vertrieben sich die Zeit, indem sie Sex hatten, Träume analysierten, beteten, Dinge erledigten, sich mit Freunden trafen oder Verbrechen und andere teuflische Taten begingen, ehe sie wieder ins Bett gingen, um noch einmal etwa vier Stunden zu schlafen. Noch im 17. Jahrhundert hallten durch Londons Straßen gegen drei Uhr in der Frühe die Rufe der Händler, die ihre Waren anpriesen, folglich muss es schon zu dieser Stunde bereitwillige Kunden gegeben haben. Manche denken, unser moderner Wunsch, diesen ›natürlichen‹ Schlafrhythmus zu leugnen, habe dazu geführt, dass wir gegenwärtig viele Milliarden Dollar für Schlaftabletten ausgeben. Ob wir wohl imstande wären, unsere Schlafprobleme zu lösen, indem wir begreifen, wie wir die Dinge früher einmal gemacht haben?

Abgesehen vom Schlaf geschah noch vieles andere im Bett. Je nach Kultur und Sitten war es häufig ein Ort für Sex. Wer allerdings mit wem schlief, wann und wie, variierte von Gesellschaftsform zu Gesellschaftsform. Auch wenn es die Prinzen William und Harry bei der Vorstellung gruseln würde, der Sex in königlichen Betten war oftmals genauestens inszeniert. Schreiber führten Buch über das Liebesleben der Pharaonen und der chinesischen Kaiser. Außerhalb des Palasts konnte man seiner Lust sehr viel freier frönen, auch wenn das von den kirchlichen Autoritäten verurteilt wurde, die alles, was den Regeln zuwiderlief, mit besonders missbilligenden Blicken verfolgten.

Oft vergessen wir, wie bedeutsam das gesprochene Wort in Gesellschaften war, die des Schreibens nicht kundig waren, sondern alles mündlich von einer Generation zur anderen weitergaben. In dunklen Winternächten trugen die Stammesälteren und Schamanen Geschichten vor, rezitierten lyrische Gesänge und beschworen übernatürliche Geheimnisse. Die Geschichten mochten vertraut sein und sich wiederholen, aber sie erklärten den Kosmos sowie die Herkunft der Menschen und darüber hinaus, in welcher Beziehung die Menschen zu den gewaltigen Kräften der mystischen und natürlichen Welt standen. Die Zeit im Bett brachte die Menschen oft einander näher, sei es, um sich zu lieben oder voneinander zu lernen. Wo man schlief und seine Zeit verbrachte, war von elementarer Bedeutung für die eigene Existenz.

In der Geschichte der Menschheit existierte keine Privatsphäre, wie wir sie heute kennen. Bettgenossen hatte man viele, gaben sie doch Geborgenheit. Kinder, Eltern, selbst ganze Hausgemeinschaften oder Clans legten sich gemeinsam ins Bett. Die gesellschaftlichen Normen des Betts waren flexibel und änderten sich ständig. Bettgenossen konnten von einer Nacht auf die andere wechseln. Es gehörte zum Reisen, das Bett mit Fremden zu teilen, ob an Land oder auf See, bis ins 19. Jahrhundert war das sowohl in Europa als auch in Amerika üblich. In manchen Ländern ist es noch heute gang und gäbe. Gasthöfe vermieteten entweder Einzelbetten oder berechneten Pro-Kopf-Preise für die Reisenden, die sich mit mehreren Personen eine Schlafstatt teilten. Diese Sitte des Bettenteilens sorgte gewiss nicht immer für Heiterkeit. Andrew Barclay, ein englischer Dichter des 16. Jahrhunderts, beklagte sich: »Einige zucken, andere plappern, einige kommen betrunken ins Bett.«

Das Schlafgemach als separates Zimmer war einst das Symbol des Königtums und des Adels, doch selbst dann diente es oft als öffentliche Bühne. König Ludwig XIV. von Frankreich regierte das Land und verhandelte die Staatsangelegenheiten vom Bett aus. Erst im Verlauf der letzten beiden Jahrhunderte haben wir Bürgerlichen das Schlafzimmer abgetrennt und zu einem Ort der Privatsphäre gemacht. Aber selbst diese Privatsphäre fällt im futuristischen Hightech-Bett weg, das uns nahtlos mit der digitalen Welt verlinkt. Bis zur industriellen Revolution und selbst danach noch waren Betten ein sowohl pragmatischer als auch symbolischer Ort, eine Kulisse sozusagen für das Theater des Lebens.

Und was für eine Bühne die Betten boten! Für gewöhnlich beginnt das Leben im Bett und endet auch dort. Bei königlichen Geburten und Todesfällen stand viel auf dem Spiel, insbesondere dann, wenn die Thronfolge ungesichert war, was oft der Fall war in Zeiten, in denen die Lebenserwartung kurz war und ein Monarch unerwartet sterben konnte. Chinesische und indische Kaiser schliefen stets allein und bewacht, wie übrigens auch Elisabeth I. von England und die ägyptischen Pharaonen. Geburten und Todesfälle der Privilegierten spielten sich vor Zeugen ab. Britische Innenminister waren, bis Prince Charles zur Welt kam, bei königlichen Geburten zugegen, erst danach sah man von dieser Praxis ab. 42 hochrangige Personen des öffentlichen Lebens bezeugten 1688 im St James’s Palace die Geburt des Sohns von König Jakob II. – ein Historiker aus Cambridge bezeichnete dieses Ereignis als den ersten Medienrummel im Zusammenhang mit einer königlichen Geburt.

Auch Sterbebetten waren von symbolträchtiger Bedeutung, genau wie die Totenbahre. In Berel (Kasachstan) fand man einen mongolischen Grabhügel aus der Zeit um 200 v. Chr. mit zwei skythischen Adligen, die auf vornehmen erhöhten Holzbetten ruhten. Außerhalb der Grabkammern lagen elf Pferde auf ›Betten‹ aus Birkenrinde, mit gut erhaltenen Sätteln und Geschirr. Diese Symbolik ist eng verknüpft mit dem Glauben der Mongolen an einen Himmelsgott, der auf einem Pferd sitzt – sinnbildlich für eine Welt, in der das Überleben und die Autorität von der Mobilität zu Pferd abhingen. Im Leben nach dem Tod wären diese Stammesführer ohne ihre Pferde machtlos gewesen.

Noch in der viktorianischen Zeit war es in England ein wichtiges Ritual, sich am Sterbebett zu versammeln, auch wenn Geselligkeit in Schlafzimmern inzwischen kritisch beäugt wurde. Die Trennung von Männern und Frauen wurde mit fanatischem Eifer vorangetrieben, insbesondere in der neuen städtischen Mittelschicht. Für sie war das Schlafzimmer zum privaten Rückzugsort geworden, und dieses Ideal hat sich seither im Westen verbreitet. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten veränderte sich nun auch die grundlegende Beschaffenheit des Betts. Die Ausstattung der Betten wurde komplexer, nach 1826 kamen Sprungfedern aus Metall in Mode und lösten die traditionellen Spanngurte oder Seile ab. Maschinell hergestellte Bettwäsche aus Baumwolle, eine Errungenschaft der industriellen Revolution, wurde in viktorianischer Zeit zum Grundstock des gut ausgestatteten Leinenwäscheschranks. Große Sorgfalt musste darauf verwendet werden, das Bettzeug frisch und trocken aufzubewahren, denn man lebte in einer Ära dauerhafter Feuchtigkeit und fürchtete die damit einhergehende Tuberkulose. Eine viktorianische Hausfrau beklagte sich, dass die Bediensteten die Betten nie richtig machen würden. Den Angestellten falle immer nur ein, das Bett zuzudecken, aber dadurch werde es »muffig und unangenehm«. Heutige Experimente haben gezeigt, dass ein Bediensteter mindestens eine halbe Stunde brauchte, um ein viktorianisches Bett richtig zu machen. Aber erst in den 1970ern ereignete sich die große Revolution im Bettenmachen: Das Oberbett bzw. Federbett verbreitete sich, und von da an war es nicht mehr erforderlich, ständig irgendwelche Decken und Bezüge, also Ober- und Unterlaken, und andere Schichten in Betten zu wechseln und zu reinigen.

Heutzutage ist das moderne Bett ein Spiegel unserer zunehmend technisierten postindustriellen Gesellschaft, in der Multitasking gefragt ist. Betten sind mit USB-Anschlüssen und anderen technischen Finessen ausgestattet, damit man stets mit der Außenwelt in Kontakt bleiben kann. Gleichzeitig sorgen wachsende Einwohnerzahlen in den Städten und exorbitant hohe Immobilienpreise dafür, dass Millionen von Menschen in kleinen Eigentumswohnungen, in beengten Einzimmerappartments und überbelegten Hochhäusern leben. Das Bett verschwindet also entweder in der Wand, oder es hat wieder Einzug gehalten in die öffentlichen Bereiche der Wohnung.

Dieses Buch schlägt sozusagen die Decke zurück, die heute das Bett verhüllt, jene grundlegendste Erfindung des Menschen. Zum Vorschein kommt die eigenartige, bisweilen komische und stets fesselnde Geschichte eines Artefakts des Menschen, das häufig übersehen wird. Von unanständigen Bettgenossen, die in großen mittelalterlichen Hallen ausgelassen herumtollen, bis zu den Schlafgewohnheiten amerikanischer Präsidenten untersuchen wir die vielschichtigen Spielarten eines wenig erforschten Ortes und alles, was dort geschah.

Freigelegte Betten

»In fast jeder Sozialgeschichte und Biographie fehlt jeweils ein Drittel der Story.« Das schrieb der Architekturmaler und Möbelexperte Lawrence Wright in den 1960ern, während er über die bettförmige Lücke in unserem Bild der Vergangenheit nachsann.1 Betten fehlen auch bei den meisten archäologischen Funden. Aber wenn man tief genug gräbt, entdeckt man auch etwas, und für uns Archäologen ist das Bett als Artefakt der logische Ort, um mit unserer horizontalen Geschichtsbetrachtung zu beginnen.

Das Verlangen, sich hinzulegen

Die zeitliche Einordnung, wann wir Menschen zum ersten Mal Betten benutzten, hängt davon ab, wie man ein Bett definiert. Unsere ersten Urahnen schliefen vermutlich hoch über dem Boden, in etwa so wie unsere heutigen Verwandten, die Primaten, und zwar womöglich in Nestern aus Zweigen und Gras. Und das mussten sie auch: Denn in den Landstrichen unserer Urheimat in Ostafrika wimmelte es nur so von gefährlichen Tieren, die uns verspeisen wollten. Sich hoch oben zur Ruhe zu begeben, erwies sich über Millionen Jahre als praktisch, und unsere Vorfahren gediehen ohne schützendes Feuer oder effiziente Jagdwaffen. Da sie am verwundbarsten waren, wenn sie schliefen oder ihren Nachwuchs versorgten, hielten sie Ausschau nach Ruheplätzen auf starken Ästen, die biegsam genug waren, und bauten sich vielleicht Nester aus Gras und Blättern. Natürlich sind diese Nester in den Baumkronen im Lauf der Zeit verlorengegangen.

Bei unseren nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, können wir uns einen Eindruck davon verschaffen, auf welche Weise unsere Vorfahren ihre Betten aussuchten und bauten. Im Semliki-Nationalpark im Westen Ugandas nutzen Schimpansen die starken, weit verzweigten Äste des Eisenholzbaumes; sie verweben die einzelnen Triebe und bauen sich daraus haltbare Schlafstätten.1 Andere Schimpansenpopulationen suchen sich ihr Nestmaterial ebenfalls sehr genau aus, die meisten Tiere bauen sich jeden Tag eine neue Schlafstatt. Das bedeutet, dass ihre Betten erstaunlich sauber sind, da sich dort weniger Fäkalbakterien und Hautbakterien finden als im Durchschnittsbett des Menschen.2 Wir können davon ausgehen, dass unsere Urahnen das genauso handhabten. Hoch über dem Boden werden sie ihre Nester zum Schlafen, zum Ausruhen in der Hitze des Tages und zur Fortpflanzung benutzt haben. Heutzutage gibt es keine Menschen mehr, die gewohnheitsmäßig in Baumnestern schlafen.

Vor etwa zwei Millionen Jahren – der genaue Zeitpunkt ist strittig – domestizierten unsere Vorfahren das Feuer. Feuer brachte Wärme, mit Feuer konnte man Nahrung zubereiten, vor allem aber schützte es vor wilden Tieren. Sobald unsere Urahnen das Feuer gezähmt hatten, gingen sie dazu über, auf dem Boden zu schlafen, an Feuerstellen in offenen Lagern im Freien, unter Felsüberhängen oder in Höhlen. Das Feuer erleichterte gemeinsame Mahlzeiten, und die verführerische Wärme veranlasste die Urmenschen dazu, enger zusammenzurücken. Das Feuer half dabei, enge Beziehungen innerhalb kleinerer Gruppen zu knüpfen. Feste Heimstätten und Familienbande gewannen an Bedeutung. Die Beziehungen zwischen Mann und Frau dürften sich grundlegend geändert haben. Die Nähe zum Feuer und enger Körperkontakt Nacht für Nacht sorgten dafür, dass aus wahllosen, zufälligen sexuellen Begegnungen gewohnheitsmäßiger Sex mit demselben Partner (oder denselben Partnern) wurde, und zwar an gemeinsam genutzten Schlafstätten. Die Paarbindung mag relativ spät in der Evolution des Menschen entstanden sein, und es ist faszinierend, wenn man sich vorstellt, dass technische Errungenschaften – wie das Feuer und das Bett – zu der Entwicklung beigetragen haben. Das Bett, vielleicht nicht mehr als ein Haufen Gräser oder ein Tierfell, wurde zu einem zentralen Element im alltäglichen Leben. Nicht allein der Schlaf stand im Mittelpunkt, sondern auch das alltägliche Teilen und die Fellpflege.

Zugegeben, viele der Beschreibungen urzeitlicher Verhaltensweisen sind nur gelehrte Mutmaßungen. Erst mit den ältesten bekannten Betten erhalten wir konkrete archäologische Beweise, was der Mensch zu tun pflegte. Diese Schlafstätten stammen aus der Sibudu-Höhle bzw. einem Felsüberhang in einer Sandsteinformation oberhalb des Flusses Tongati in Südafrika, 40 Kilometer nördlich von Durban und 15 Kilometer entfernt vom Indischen Ozean.3 Eine Gruppe von Homo sapiens, die uns von den körperlichen und zweifellos auch den geistigen Fähigkeiten her glich, suchte diese Höhle vor etwa 77 000 Jahren mindestens 15-mal auf und schlief dort. Üppige Schichten von Gras, Riedgräsern und Binsen, wie sie noch heute im Uferbereich des Flusses wachsen, zeugen davon, dass sich Homo sapiens darin regelmäßig und mit Bedacht schlafen gelegt hat. Jeder, der in einer Höhle oder unter einem Felsvorsprung schläft, wird feststellen, wie schwierig es ist, diese Stätte sauber und frei von Insekten zu halten. Doch die Sibudu-Menschen waren wahre Experten. Sie schützten sich mit den mit ätherischen Ölen versetzten Blättern der Kap-Quitte – ein Lorbeergewächs der Gattung Cryptocarya woodii –, deren chemische Komponenten Insekten töten können, weshalb sie Moskitos und andere Plagegeister fernhält. Die Höhlenschläfer verbrannten zudem regelmäßig ihre Schlafstätten, um Insekten und Abfälle loszuwerden, ehe sie frische Gräser und Binsen holten, um neue Betten zu bauen. Offenbar bevorzugten sie King-Size-Betten. Die meisten Schlafstätten nehmen eine genutzte Fläche von drei Quadratmetern ein. Somit waren sie weitaus mehr als nur ein Ort zum Schlafen. Die Menschen bereiteten dort Nahrung zu und aßen, während sie auf den Gräsern ruhten, und wie es scheint, kombinierten sie ihre Aktivitäten gern.

Vor 50 000 Jahren schliefen unsere Vettern, die Neandertaler, in der Esquilléu-Höhle südwestlich von Santander im Norden Spaniens ebenfalls auf Grashaufen. Etwa 23 000 Jahre später bewohnten unsere direkten Vorfahren eine Siedlung für die Jagd und zum Fischen, und zwar Ohalo II am Ufer des Sees Genezareth in Israel.4 Die ursprünglich überflutete Siedlung, die erst bei niedrigem Wasserstand sichtbar wurde, wies einen ovalen Hüttenboden auf, der sorgsam bedeckt worden war mit Gräsern vom Ufer des Sees, die weiche, zierliche Stängel besaßen. Die Grassammler durchtrennten diese Stängel mit scharfrandigen Steinwerkzeugen und verteilten die Gräser auf dem Boden. Dann brachten sie eine kompakte Lehmschicht auf, die das Gras schützte, und stellten auf diese Weise eine simple, dünne Matte her. Die weiche Grasschicht bot einen guten Schlafplatz. Die Bewohner dieser Siedlung arrangierten die Grasbüschel wie Fliesen nah an den Wänden und ließen in der Mitte der Hütte eine Fläche für die Herdstatt frei. Die Schlafstätten der Ohalo-Bewohner waren bereits recht ausgereift. Einfache Grasschichten um eine zentrale Feuerstelle dienten der Zubereitung von Nahrung und dem Anfertigen von Werkzeugen. Es handelt sich zwar nicht gerade um ein prähistorisches Bed-and-Breakfast, aber doch um einen Ort, an dem die Menschen den nächtlichen Schlafkomfort ernst nahmen. Die Schlafstellen waren voneinander getrennt, wie in heutigen Jagdlagern.

Über Tausende von Jahren schliefen Menschen Kopf an Kopf, nah bei den Feuerstellen und eng beieinander, um sich gegenseitig zu wärmen. In kälteren Zonen schliefen sie unter Fellen und Tierhäuten. Wärme und Schutz waren Grundbedürfnisse der Schlafenden der Urzeit. Privatsphäre gab es nicht: Die Menschen suchten sich einen Partner, bekamen Kinder, säugten sie an der Brust, wurden krank oder starben – all das spielte sich in unmittelbarer Nähe zu den anderen Mitgliedern der Sippe ab. Nur wenige Fundstellen rufen uns diese Realität in Erinnerung, unter anderem die Hinds-Höhle im Osten von Texas, die in einem Nebencanyon des Flusses Pecos liegt.5 Menschen suchten die Höhle bereits etwa 7000 v. Chr. auf. Drei Raummeter trockener Höhlenfüllung sind eine wahre Fundgrube für Archäologen, erhalten ist so gut wie alles: Pflanzenreste, Überbleibsel von Mattenund Körben bis hin zu Schlafstätten. In kleineren Gruppen von 10 bis 15 Personen suchten die Menschen die Höhle auf und nutzten sie über einen Zeitraum von Tausenden von Jahren immer auf dieselbe Weise. In zwei Bereichen, der eine im hinteren Bereich der Höhle, der andere in einem Alkoven, fanden sich Überreste von grasgepolsterten Schlafgruben und Herdstellen. Zwischen den beiden Schlafbereichen befand sich eine breite Latrine. Die Höhlenbewohner hoben flache Gruben zum Schlafen aus und bedeckten sie mit kleineren, belaubten Zweigen. Darüber kam eine gut gepolsterte Schicht aus verwobenen Mattenfragmenten, manchmal weggeworfene Sandalen, zuletzt eine weiche Grasfüllung und eine Schlafmatte. Diese Schlafgruben müssen recht eng gewesen sein, denn sie waren etwa 90 Zentimeter lang und 60 Zentimeter breit. Zweifellos Schlafplätze, die keine andere Funktion hatten. Die Menschen müssen mit angezogenen Beinen geschlafen haben, vielleicht damit der Körper nicht auskühlte.

Schlafen bei den Urahnen

Springen wir ins Jahr 3200 v. Chr. ans Südufer der Bucht von Skaill auf den Orkneyinseln. Die Bucht ist ein sturmgepeitschter, windiger Ort. Während einer Sturmflut im Jahre 1850 spülte das steigende Wasser die Grassoden auf einem Hügel fort, der unter dem Namen Skerrabra (heute Skara Brae) bekannt war. Zum Vorschein kamen die Mauerreste alter Steingebäude. Der örtliche Laird, William Watt of Skaill, ließ vier Behausungen ausgraben, ehe die Arbeiten eingestellt wurden. An der Fundstelle tat sich erst wieder etwas im Jahre 1925, als eine weitere heftige Sturmflut einige der Gebäude beschädigte. Die Bewohner errichteten einen Wall, um die Stätte zu schützen, und entdeckten dabei weitere Grundmauern. Zwischen 1928 und 1930 legte Vere Gordon Childe von der Universität Edinburgh, einer der bedeutendsten Archäologen seiner Zeit, die Gebäudeüberreste aus ihrer sandigen Umhüllung frei.

Selbst der unermüdliche Childe, der sich wie kaum ein anderer mit antiken europäischen Gesellschaften auskannte, hatte so etwas wie Skara Brae noch nie gesehen.1 Er legte acht gut erhaltene Behausungen frei, die mit niedrigen, tunnelartigen Gängen miteinander verbunden waren. Die Mauern dieser Behausungen stehen bis heute; die steinernen Platten der Gänge waren noch intakt. Viel wichtiger ist jedoch, dass die steinerne Innenausstattung in den Behausungen noch vorhanden war. Jedes Haus besaß einen großen, rechteckigen Raum mit zentraler Herdstelle, je zwei Betten auf beiden Seiten und eine Art Anrichte mit Fächern an der Wand gegenüber dem Eingang. Dank der Radiokarbonmethode wissen wir, dass Skara Brae sechs Jahrhunderte lang bewohnt war, und zwar zwischen 3200 und 2200 v. Chr.: Es handelt sich um eine Siedlung von Bauern der Jungsteinzeit. Zum ersten Mal taucht in Großbritannien das Bett in der Geschichte der Menschheit aus ferner Vergangenheit auf.

Die steinernen Behausungen spiegeln einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft auf den Orkneyinseln wider. Drei Jahrhunderte zuvor hatten die Orkneybewohner noch in Holzbehausungen gelebt, deren Inneres in einzelne Segmente unterteilt wurde. Interessanterweise findet sich diese Einteilung der Wohnhäuser auch in der Form der Grabkammern wieder. Schwer zu erklären, warum diese Menschen das so handhabten, aber in ihrer neuen Welt – in der sie inzwischen das Land bestellten und bewirtschafteten – wollten sie vermutlich klare Bezüge zu ihren verstorbenen Vorfahren behalten. Es handelte sich um überschaubare Siedlungen, wahrscheinlich dienten sie kleinen Sippen, für die der Anspruch auf ein bestimmtes Stück Land einen hohen Stellenwert besaß. Vorrechte der Vorfahren spielten eine bedeutende Rolle im täglichen Leben.

Aber sobald diese Menschen steinerne Häuser errichteten, veränderte sich das Gleichgewicht von Leben und Tod auffallend. Anders als die hölzernen Behausungen dienten die Steinhäuser bei Skara Brae und andere Siedlungen aus jener Zeit mehreren Generationen. Fortan lebten die Menschen dort in den soliden, haltbaren Häusern ihrer Vorfahren und bauten sie teilweise aus. Nach wie vor bestatteten sie ihre Verstorbenen ganz in der Nähe. Über Generationen waren die Bauern nun an ihre Äcker und Weideflächen gebunden. Für eine dauerhafte Landwirtschaft und den Bau von Häusern aus Stein benötigt man viele Personen, die gewohnheitsmäßig zusammenarbeiten und zusammenleben.

In Hütte Nr. 8 befand sich gegenüber vom Eingang eine Art steinerne Anrichte mit Fächern. In der Mitte des Raums lag die Herdstelle. Zwei steinerne Betteinfassungen säumen je eine Wand, parallel zur Herdstelle. Das Bett auf der rechten Seite ist wie in allen Behausungen größer als das auf der linken. Viele haben vermutet, das größere Bett sei für einen Mann und das kleinere für eine Frau, die Verteilung kann aber auch andere Gründe gehabt haben, vielleicht wurden die Betten den Bewohnern je nach Alter zugeteilt. In einem der Häuser lassen höhere Phosphorkonzentrationen in einem Bett nahe der Tür den Schluss zu, dass dort Babies und kleine Kinder geschlafen haben, die noch ins Bett machten. Aber das sind Spekulationen.

Jedenfalls befanden sich die größeren Betten stets auf der rechten und die kleineren auf der linken Seite. Aber im Gegensatz zu den Schlafplätzen der Sibudu- und Ohalo-Fundstätten, die offenbar auf unterschiedliche Weise genutzt wurden, waren die Skara-Brae-Betten klein und deuten klar darauf hin, dass die Bandbreite der Aktivitäten geringer ausfiel. Diese Betten boten nur einem Erwachsenen und eventuell noch einem Kind Platz, insbesondere nachdem die Schlafstatt noch mit Tierhäuten und Fellen ausgepolstert worden war. Zwar mag sich ein unruhiger Schläfer eingeengt gefühlt haben, doch Wärme muss in dieser unwirtlichen, kalten Gegend das Wichtigste gewesen sein. Während der langen dunklen Winter dürften die Bewohner viel Zeit eingehüllt in Decken und Fellen verbracht haben, am Herdfeuer liegend oder sitzend. Dieser zentrale, von Feuer erleuchtete Bereich war der Ort, an dem sich die Menschen Geschichten erzählten, an dem sie plauderten, scherzten, ihre Kinder stillten, aßen und vielleicht auch Sex hatten – wenn man bedenkt, dass die Schlafstätten eng waren und man ohnehin andere Vorstellungen von Privatsphäre hatte.

Ein Haus auf Skara Brae, Orkneyinseln, Schottland, vermutlich mit steinernen Kastenbetten rechts und links

Für die Nacht zog man sich wohl in die behagliche Einsamkeit der Kastenbetten zurück. Löcher im näheren Umfeld des Bettrands lassen vermuten, dass die Betten vielleicht von Stangen eingefasst waren, an denen Vorhänge hingen, die für zusätzliche Wärme sorgten oder das helle Licht der Sommermonate auf den schottischen Inseln abhalten sollten.

Aber ganz in der Nähe, in Hütte Nr. 7, spielte sich etwas anderes ab. Dieses Haus lag abseits der Nachbarbauten und konnte nur über einen Seitenzugang betreten werden. Im Innern fand man die sterblichen Überreste zweier Frauen, die in einer steinernen Grabkammer lagen, und zwar unter dem Bett an der rechten Hauswand. Die Frauen lagen in einem Steinkistengrab mit Verzierungen, das errichtet worden war, bevor das eigentliche Haus entstand. Vermutlich gehörte die Bestattung der Toten zum Ritual der Grundsteinlegung des Hauses. Die Tür von Hütte Nr. 7 konnte man nur von außen verschließen, wahrscheinlich um die Bewohner im Haus zu halten. Archäologen haben gerätselt, was es mit Hütte Nr. 7 für eine Bewandtnis hatte. Handelte es sich bei diesem abseits gelegenen Gebäude um einen Ort, an dem man die Toten vor der eigentlichen Bestattung auf einem Bett aufbahrte? Oder war es ein Geburtshaus, um die Abläufe rund um die Geburt streng vom alltäglichen Leben zu trennen? Spiegeln diese Bestattungen erneut ein Interesse an der Fortdauer des Lebens wider, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Für Gemeinschaften, die vom Ackerbau abhängig waren, prägte der endlose Zyklus der Jahreszeiten bzw. der Kreislauf von Aussaat, Wachsen und Ernte die menschliche Existenz. Die Symbolkraft von Geburt, Erwachsenwerden und schließlich Tod rief einem in Erinnerung, dass das Leben bereits zur Zeit der Vorfahren so verlief, wie es auch für die Nachgeborenen verlaufen würde.

Aber die Menschen, die einst dort schliefen, sind längst von uns gegangen. Die Tierhäute, Stoffe oder Gräser, die ihnen Wärme und Behaglichkeit spendeten, haben sich in den Tiefen der Zeit aufgelöst. Wie können wir uns dann überhaupt sicher sein, dass wir es mit Betten zu tun haben? Selbst bei der gut erhaltenen Fundstelle von Skara Brae war Childe gezwungen, gelehrte Mutmaßungen anzustellen. Entdeckungen jüngeren Datums verraten uns aber, dass er mit ziemlicher Sicherheit recht hatte. In einem anderen Dorf aus der Zeit der Siedlung von Skara Brae fand man 15 freistehende Gebäudereste bei Barnhouse, nördlich von den Stones of Stenness, dem heiligen Steinkreis an der Antaness-Landspitze der Hauptinsel der Orkneys. Zu der steinernen Inneneinrichtung dieser Häuser gehören weitere Kastenbetten. Eins der Häuser weist sechs Nischen auf, die womöglich als Schlafstellen dienten.2

Die Einrichtung auf den Orkneys hat die Zeiten überdauert, weil sie aus Stein besteht – aber was, wenn die Betten aus Holz bestanden, gestützt von Pfosten? In den meisten Fällen ist dann alles längst verschwunden. Gelegentlich kann man bei professionellen Ausgrabungen eine Anordnung von Pfostenlöchern freilegen, die sich in hellen Böden als Verfärbungen zeigen. Auf wundersame Weise entstehen dann vor unseren Augen Betten, zumindest ihre Stützen. Am anderen Ende Großbritanniens, auf einem Untergrund aus weißem Kalk, liegt die große Anlage von Durrington Walls – ein sogenanntes Henge-Monument –, drei Kilometer nordöstlich von Stonehenge. Der Archäologe Mike Parker Pearson und seine Kollegen sind ausgewiesene Experten, wenn es darum geht, unauffällige Bodenverfärbungen zu interpretieren.3 Mit Hilfe von Bürsten und Kellen identifizierten sie die Löcher der Holzpfosten der Hüttenwände sowie die flachen Furchen, in denen einst horizontale Planken oder Stämme ruhten. Es handelte sich um Stützlöcher für Balken: Mehr ist nicht übrig geblieben von den Grundabmessungen der Kastenbetten und Ablagefächer. Parker Pearson musste sofort an die Skara-Brae-Betten denken, aber diese Kästen waren in Holz eingefasst. Doch es gab noch mehr zu entdecken. Ein größeres, rechteckiges Haus neben einem Weg, der von Durrington Walls zum nahe gelegenen Fluss führt, besaß einen Eingang, der nach Süden wies, und einen gepflasterten Boden. An der westlichen Wand fand man die Grundabmessungen eines Kastenbetts, ebenso an der gegenüberliegenden Wand. Weitere drei Häuser wiesen Kastenbetten auf, die um eine zentrale Herdstelle gruppiert waren. Die Betten von Durrington Walls sind heute nichts weiter als schattenhafte Geister in kalkhaltigem Boden.

In den Siedlungen von Durrington Walls und den Orkneys dienten Betten dazu, darin zu schlafen und sich warm zu halten. Aber gemessen an den Funden auf den Orkneyinseln besaßen sogar diese einfachen Schlafstätten eine symbolische Bedeutung: Sie standen sinnbildlich für die Fortdauer des Lebens. Betten auf den Inseln Gozo und Malta im Mittelmeer, die ebenfalls aus der Jungsteinzeit stammen, weisen eine ähnliche symbolische Bedeutung auf. Doch bei diesen Betten findet sich eine entscheidende Innovation: Sie haben Füße.

Zwischen 3500 und 2500 v. Chr., als sich die ersten Zivilisationen in Ägypten und Mesopotamien entwickelten, erfreuten sich kleinere Ackerbaugesellschaften auf Malta und Gozo einer ausgereiften Kunsttradition, die sich in Begräbnisstätten und Tempelbauten manifestierte. Die Menschen dort wohnten in kleinen Gemeinschaften zusammen, die vom Ackerbau lebten, aber was diese Siedlungen verband, waren gemeinsam genutzte Begräbnisstätten und andere Zentren ritueller Handlungen, verteilt über beide Inseln. Diese Gemeinschaften lebten isoliert von der Außenwelt, erreichen konnte man Gozo oder Malta nur mit einfachen Wasserfahrzeugen, aber solche Reisen waren gefährlich. Diese sprichwörtliche Insellage hat offenbar dazu geführt, dass die Bewohner eine außergewöhnlich ausgereifte Vorstellung vom Kosmos hatten, dem sie an geheiligten Stätten huldigten.

Bei den alten Tempeln auf Gozo und Malta handelt es sich um komplexe Anlagen. Über schmale Eingänge gelangte man zu einem vorgelagerten Hof, in dem Zuschauer rituelle Handlungen verfolgen konnten. Die Sichtachsen waren so bemessen, dass man zwangsläufig vom Eingangsbereich in Richtung der Altäre und Stätten blickte, auf denen rituelle Gegenstände wie z. B. kleinere Figuren ausgestellt waren. Die Innenräume der Tempel bestanden aus ovalen Kammern und Gängen, aber wahrscheinlich haben nur wenige Menschen je diese inneren Bezirke betreten, die eigens mit einer Art Sperre abgetrennt waren. Die jeweilige rituelle Bildhaftigkeit der abgetrennten Tempelbezirke und Kunstgegenstände entzieht sich unserem Wissen. Unterirdische Begräbnisstätten oder Hypogäen spiegeln die Ausmaße der oberirdischen Anlage, weisen aber labyrinthische Verzweigungen und Areale auf, die einem noch strengeren Zutrittsverbot unterlagen. An diesen Orten, an denen die Gemeinschaften für rituelle Bräuche zusammenkamen, die mit der Bestattung der Toten in Verbindung stehen, stoßen wir unerwartet auf Betten.

Die reich bemalten Wände der Hypogäen zeigen sowohl männliche als auch weibliche Figuren, die auf einer Bank oder einem Bett sitzen oder liegen.4 Sieben dieser Bettfiguren sind Skulpturen, einige stammen von Begräbnisstätten und vermitteln den Eindruck, als würden sie den Tod als langen Schlaf darstellen. Alle Figuren tragen Röcke, vielleicht um den Status der Person zu betonen. Eine schlafende Frau aus dem Ħal-Saflieni-Hypogäum auf Malta liegt auf der Seite, die Arme vor dem Körper, die Beine lang ausgestreckt. Den Kopf stützt sie dabei auf einen Arm, als würde sie bequem liegen. Die Archäologin Caroline Malone ist der Ansicht, diese liegende Position könnte eine traumhafte Erfahrung darstellen, womöglich eine Reise durch einen vielschichtigen Kosmos, durch die Reiche der Lebenden, der Toten und die Sphäre des Übernatürlichen. Zwei Skulpturen aus dem Brochtorff-Steinkreis auf Gozo sitzen aufrecht auf einer Bettstatt und halten eine kleine Person, vielleicht ein Kind, und einen kultischen Kelch. Es handelt sich um herrschaftliche Figuren auf einem Bett, das mit Spiralmustern verziert ist. Sie wurden nahe bei zahlreichen kleinen Behältern platziert, die roten Ocker enthielten. Malone mutmaßt, dass diese Gefäße und viele der Skelette in unmittelbarer Nähe, die mit rotem Ocker bestrichen sind, womöglich den zeitlosen Kreislauf von Geburt, Leben und Tod darstellen. Zwei Figuren auf Betten, die man auf einem Abfallhaufen außerhalb einer anderen Stätte fand – bei dem Tempel von Tarxien auf Malta –, besaßen Torsos, oder vielleicht nur Köpfe, die man abnehmen bzw. bewegen konnte. Eine dieser Figuren hat dicke Beine, die über die Bettkante ragen, während zwei Figuren darunter durch die Bettstreben nach oben schauen. Vielleicht stellen diese mehrschichtigen Skulpturen Gottheiten der Ahnen dar, die Generationen von Lebenden und Toten beschützten. Die Betten selbst weisen kreuzweise Streben und Einfassungen auf, die mit ihrer Untertassenform bequeme Ruhestätten bilden. Mehrere Schichten aus Binsen oder Stroh waren verflochten und mit dem Bettrahmen verbunden. Diese Betten scheinen kurze Stummelbeine gehabt zu haben.

Die schlafende Frau von Ħal-Saflieni, Malta, etwa 3000 v. Chr.

Die Ausgestaltung der Tempel und der dazugehörigen unterirdischen Begräbnisstätten scheint darauf hinzudeuten, dass die Menschen eine ganz bestimmte Vorstellung von der diesseitigen und der übernatürlichen Welt hatten: Man stellte sich einen vielschichtigen Kosmos vor, der von einer unterirdischen Sphäre des Todes bis in den Götterhimmel reichte. Gewiss war in der frühzeitlichen Welt auf Malta nicht alles ruhig und beschaulich, aber viele der Darstellungen, darunter auch die schlafende Frau von Ħal-Saflieni, vermitteln einen Eindruck von einem ruhigen und behaglichen Dasein. Dort waren Betten weitaus mehr als Orte für alltägliche Aktivitäten. Sie waren kosmologische Plattformen, die eine Verbindung herstellten zwischen den Lebenden und ihren Ahnen.

Niedrig schlafen

Obwohl es frühe Nachweise von Betten mit Füßen gibt, schliefen die meisten Menschen auf dem Boden. Selbst heute haben viele Menschen auf der ganzen Welt, insbesondere selbstversorgende Bauern oder ärmere Leute, nie etwas anderes kennengelernt. Mit einem Bett, das nicht den Boden berührte, setzte man sich von anderen ab, es war ein frühes Statussymbol. Als einfacher Untertan im Ägypten der Pharaonen schlief man fast ausschließlich auf dem Boden, vielleicht auf einer Binsenmatte oder einer simplen Matratze, die mit Stroh oder Wolle gefüllt war, damit man auf hartem Untergrund etwas bequemer lag. Wer heute auf modernen Matratzen ruht, tut sich vielleicht mit der Vorstellung schwer, auf dem Boden zu schlafen, aber es heißt, das sei gut für den Körper.

Der Physiotherapeut Michael Tetley beschäftigt sich schon sein ganzes Leben mit Primaten und Menschen, die direkt auf dem Boden schlafen. Als er 1953–54 eine Einheit afrikanischer Soldaten befehligte, zeigten ihm die Männer, wie man auf dem Boden auf der Seite schläft, aber ohne Kissen, damit man beide Ohren frei hat und Gefahren rechtzeitig hört. Tetley hatte herausgefunden, dass Berggorillas, Schimpansen und Gibbons ohne kissenartiges Hilfsmittel auf der Seite schlafen. Viele Menschen handhaben das auch so, sie benutzen den angewinkelten Arm als Kissen und verschieben die Schulter dergestalt, dass Hals und Nacken abgestützt sind.

Tetley listete alle sicheren Arten des Schlafens ohne Betten auf und stieß dabei auf Schlafpositionen, die bislang noch nicht dokumentiert waren. Tibetanische Nomaden schlafen auf ihren Schienbeinen, während Völker der Sahara bisweilen in der Hocke schlafen. Wer mit derartigen Positionen vertraut ist, für den sind sie offensichtlich sehr bequem.1Tetley, ein Mann, der nicht vor praktischen Fragen zurückscheut, hielt darüber hinaus die verschiedenen Positionen fest, die Männer beim Schlafen im Freien einnehmen können, um zu verhindern, dass der Penis von Insekten gestochen wird. Gleichwohl entscheiden sich nur wenige Menschen dafür, im Freien nackt auf dem Boden zu schlafen: Denn wir fühlen uns in einem solchen Fall zu verletzlich, nicht zuletzt angesichts der Insekten und Kriechtiere, die – ob eingebildet oder real – uns stechen oder in unsere Haut eindringen könnten, ganz zu schweigen von den verschiedenen Körperöffnungen.

Manche Volksgruppen zogen das Schlafen auf dem Boden den Betten vor: eine bewusste kulturelle und ästhetische Entscheidung, ungeachtet von Reichtum oder Status. In Asien war das Schlafen auf dem Boden selbstverständlich, auch dann noch, als in China etwa zwischen 1200 und 1000 v. Chr. die erhöhte Plattform zum Schlafen aufkam. Japaner schliefen bis in die Moderne gewohnheitsmäßig auf dem Boden. Etwa vom 8. Jahrhundert n. Chr. an benutzten sie leichte Decken oder Reisstrohmatten, die sich von der Form her ein wenig dem menschlichen Körper anpassten und den gesamten Fußboden eines Raums bedeckten, bekannt unter dem Namen tatami (abgeleitet von tatamu ›falten‹). Tatamis benutzte man zum Schlafen und zum Sitzen, und bald waren sie so standardisiert, dass man sie zur Erstellung von Wohnraumstatistiken verwendete: Die Anzahl der Tatamis entsprach der Anzahl der Zimmer eines Hauses. Der Futon, eine mit Baumwolle gefüllte Matratze, die man auf den mit Matten ausgelegten Fußboden legte, kam im Verlauf des 17. Jahrhunderts in Mode. Futons haben den großen Vorteil, dass sie transportabel sind. In den heutigen beengten städtischen Apartments werden sie zusammengelegt und verstaut, so dass die eigentliche Schlaffläche für andere Zwecke genutzt werden kann.

Erhöhte Betten waren am osmanischen Hof in Konstantinopel unbekannt. Sogar der Sultan schlief auf einer niedrigen Plattform, die mit Teppichen und Kissen bedeckt war, das Bett war nichts anderes als ein knapp erhöhter Teil des Fußbodens. Man schlief überall dort, wo man sein Bettzeug ablegen konnte. Angehörige von Bettelorden bevorzugten oft den Fußboden, in der Überzeugung, das Schlafen auf hartem Untergrund stelle eine Verbindung her zu den spirituellen Tugenden der Armut. Sobald man allerdings zum Schlafen in einem Bett übergeht und gleichsam vom Boden abhebt, verändert sich die Dynamik des Schlafens. Man benötigt oft Kissen, darüber hinaus wird man anfälliger für Beschwerden im unteren Rücken. Das Schlafen auf dem Boden oder einem anderen harten Untergrund war also nicht notwendigerweise schlecht, aber irgendwann kamen Aspekte des sozialen Prestiges ins Spiel. Betten mit Füßen symbolisierten fast durchweg soziale Erhöhung, für gewöhnlich für die Wohlhabenden und den Adel.

Erhöht schlafen

Wenn man bedenkt, dass soziale Ungleichheit ein Markenzeichen der Zivilisation ist, dann erstaunt es wohl kaum, dass mit dem Aufkommen der Ungleichheit erhöhte Betten auf Füßen in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Die SumererMesopotamiens benutzten hölzerne Bettrahmen auf Füßen. Frühe ägyptische Betten waren im Grunde nichts anderes als Holzrahmen mit Füßen, während Leder- oder Stoffriemen oder sorgfältig verwobene Binsen die eigentliche Schlafplattform bildeten. Viele dieser erhöhten Betten wiesen Füße unterschiedlicher Länge auf, wobei das Kopfende jeweils am höchsten aufragte. Manchmal bildete eine Art Fußbrett das untere Ende dieser Schlafstätten.

Trockenes Klima ist der beste Freund derer, die als Archäologen nach Betten graben, denn oft überdauern Holzobjekte darin die Jahrtausende. Im Wüstenklima Ägyptens sind einige imposante Betten erhalten geblieben. Der Wesir Mereruka lebte am Ende der VI. Dynastie (um 2300 v. Chr.) und diente König Teti. Als zweithöchste Persönlichkeit in Ägypten nach dem Herrscher hatte er große Verantwortung zu tragen, unter anderem fungierte er als »Vorsteher der Königlichen Amtsschreiber«.1Mereruka heiratete Tetis Tochter Seschseschet Watetchethor und wurde somit der Schwiegersohn des Pharaos. Nach dem Tod wurde das Paar in einem Grabbau mit 33 Räumen bestattet, in Sakkara in Unterägypten. Die Gemälde und Reliefs an den Wänden der Grabkammern vermitteln einen farbenfrohen Eindruck von ihren täglichen Aktivitäten – und von ihrem Bett.

Fünf Räume der Nekropole sind der Ehefrau Watetchethor vorbehalten. In einer Szene sitzt der Wesir am Kopfende des Ehebetts, mit dem Ellenbogen stützt er sich offenbar auf der Kopflehne ab, während Watetchethor am Fußende kniet und Harfe spielt. Fein aufgereiht unter dem Bett sieht man Opferschalen, Krüge und andere Behältnisse. In einem anderen Bereich der Wandreliefs sieht man ein großes Bett mit Löwenfüßen. Zwei Männer breiten das Laken aus, während fünf Bedienstete wartend zuschauen, die Hände auf der Brust gekreuzt. All diese Personen tragen den Titel »Aufseher des Leinens«. Mereruka nähert sich dem Bett, hält seine Ehefrau an der Hand, gefolgt von männlichen und weiblichen Bediensteten. In einer weiteren Bildfolge ist das Laken fertig ausgebreitet, die Kopflehne ist in Position. Das Wandgemälde symbolisiert die bevorstehende körperliche Vereinigung des Paars. Mereruka wird »Er des gemachten Bettes« genannt, während Watetchethor »Sie der Kopflehne« heißt. Viel erotischer wurde es nicht, wenn antike ägyptische Künstler die Wände von Grabkammern bemalten. Die Themen Geburt und Wiedergeburt umgaben adlige und königliche Betten. Kopflehnen aus Stein, Ton oder Holz standen in Zusammenhang mit der aufgehenden Sonne und Wiedergeburt und dienten sowohl den Lebenden als auch den Toten.

Tutanchamuns Bestattungsbetten in der Vorkammer seines Grabes, 1922

Als Schwiegersohn des Pharaos besaß Mereruka ein Bett von höchster Qualität. Drei Jahrhunderte zuvor, etwa 2580 bis 2575 v. Chr., war die Königin Hetepheres mit prächtigen Möbelstücken ins Reich der Ewigkeit eingegangen; dazu gehörte auch ein mit Gold überzogenes Himmelbett mit Füßen. Da das Holz längst verrottet war, rekonstruierte der Ägyptologe George Reisner das Bett anhand der losen Bestandteile aus Metall. Viele Jahrhunderte danach hielt der jugendliche König Tutanchamun samt sechs Betten mit Katzenpfoten Einzug ins Reich der Ewigkeit – das spektakulärste Bett bestand aus Ebenholz und war mit einer dicken Schicht Blattgold überzogen.2 Das Blattgold weist Kratzer auf, als wäre das Bett benutzt worden. Drei vorgefertigte Bestattungsbetten standen in der Vorkammer seines Grabes, die höheren Kopfenden waren mit tierköpfigen Figuren verziert. Ein Bett mit Löwenköpfen repräsentiert das »Löwen-Bett«, das benutzt wurde, um den Leichnam zu mumifizieren. Ein anderes Bett war mit Nilpferdköpfen verziert und somit vermutlich Taweret geweiht, der Gottheit der Geburt und Fruchtbarkeit. Ein Bett mit Kuhköpfen wiederum mag der Kuhgöttin Mehet-weret zugedacht gewesen sein, eine weitere Verbindung zu wirkmächtigen Vorstellungen von Wiedergeburt und Schöpfung.