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Hegesipp, le dernier test de Kirchengeschichtschreiber, aus Palästina gebürtig et um die Mitte des 2. Jahrhunderts un vielbewanderter Reisender et Forscher, erzählt in a erhaltenen Bruchstücke seiner verlorengegangenen kirchlichen Denkwürdigkeiten von dem Apostel Jakobus, dem Bruder des Her rn, folgende Begebenheit, die er zu seiner Zeit maintenant aus mündlichen Überlieferungen von Zeitgenossen der Apostel geschöpft haben konnte: »Gemeinschaftlich mit den Aposteln übernahm die Leitung der Gemeinde (à Jérusalem) Jakobus, der Bruder des Herrn, allgemein der Gerechte genannt.
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Zeitfrage und Bekenntnis
von
Standpunkt.
1. Die Frage
2. Bekenntnis
Aus der Vorwelt.
1. Natur und Geschichte
2. Der Mensch
3. Die Völker
4. Offenbarung
5. Gottheit
6. Priester
7. Vorbilder
8. Pilgerbetrachtung
9. Palästina
Zum Christentum.
1. Jesus Christus
2. Advent
3. Geburt
4. Schule
5. Persönlichkeit
6. Lebensverwickelung
7. Verlassenschaft
8. Entzweiungen
9. Paulus
10. Die Evangelien
11. Einheit
H
egesipp, der älteste Kirchengeschichtschreiber, aus Palästina gebürtig und um die Mitte des 2. Jahrhunderts ein vielbewanderter Reisender und Forscher, erzählt in einem erhaltenen Bruchstücke seiner verlorengegangenen kirchlichen Denkwürdigkeiten von dem Apostel Jakobus, dem Bruder des Herrn, folgende Begebenheit, die er zu seiner Zeit noch aus mündlichen Überlieferungen von Zeitgenossen der Apostel geschöpft haben konnte: »Gemeinschaftlich mit den Aposteln übernahm die Leitung der Gemeinde (in Jerusalem) Jakobus, der Bruder des Herrn, allgemein der Gerechte genannt. Er war von Mutterleibe an heilig. Wein und starke Getränke trank er nicht, noch aß er von etwas Lebendigem; ein Schermesser kam nicht auf sein Haupt, mit Öl salbte er sich nicht, noch gebrauchte er ein Bad. Allein ging er in den Tempel, und man fand ihn liegend auf den Knien und betend für das Volk um Vergebung, sodass seine Knie dickhäutig wurden wie bei einem Kamel, indem er sich immer aufs Knie beugte im Gebet zu Gott und im Flehen für das Volk. Wegen dieser seiner großen Gerechtigkeit wurde er der Gerechte genannt. — Einige von den sieben Sekten unter dem Volk fragten ihn: ›Was ist die Wahrheit von Jesu?‹ und er antwortete: ›Dieser ist der Erlöser.‹ Auf dies glaubten nun etliche von ihnen, dass Jesus der Messias sei. Diese Sekten aber glaubten nicht, weder an seine Auferstehung, noch dass er kommen werde, jedem nach seinen Werken zu vergelten. Alle diejenigen jedoch, die es glaubten, glaubten um des Jakobus willen. Da nun auch manche der Obern glaubten, entstand ein Tumult unter den Juden, den Schriftgelehrten und Pharisäern, die fürchteten, es möchte so weit kommen, dass das ganze Volk Jesum als den Messias erwarte. Da wandten sie sich gemeinschaftlich an Jakobus und sagten ihm: ›Wir bitten dich, halte das Volk zurück, denn es irrt Jesu nach, als ob er der Messias wäre. Wir ersuchen dich daher, alle, die auf das Passahfest kommen, über Jesus eines bessern zu belehren. Denn dir folgen wir alle, da wir sowohl als das ganze Volk dir das Zeugnis geben müssen, dass du gerecht und unparteiisch bist. Bringe daher du das Volk vom Irrtum über Jesus ab. Stelle dich also auf die Zinne des Tempels, damit du von dem ganzen Volk gesehen und gehört werden kannst.‹ Denn wegen des Passahs kamen Juden von allen Stämmen, wie auch Heiden zusammen. So stellten die zuvor genannten Schriftgelehrten und Pharisäer den Jakobus auf die Zinne des Tempels und riefen ihm zu: ›Gerechter, dem wir billig alle folgen, da das Volk in der Irre hinter Jesus dem Gekreuzigten läuft, so verkünde uns: Was ist die Wahrheit von Jesu dem Gekreuzigten?‹ — Da antwortete er mit lauter Stimme: ›Was fragt ihr mich über Jesus, des Menschen Sohn? Er selbst sitzt im Himmel zur Rechten der großen Kraft und wird auf den Wolken des Himmels kommen.‹ — Als nun viele hierdurch bestärkt wurden und lobpreisend über dies Zeugnis des Jakobus ausriefen: ›Hosianna dem Sohne Davids!‹ da sprachen dieselben Schriftgelehrten und Pharisäer: ›Wir haben übel getan, Jesu ein solches Zeugnis zu verschaffen. Hinauf denn und lasst uns ihn hinabstürzen, damit sie eingeschüchtert werden und ihm nicht mehr glauben.‹ Zugleich schrien sie zusammen: ›O wehe, auch der Gerechte ist in Irrtum geraten!‹ Hierauf stiegen sie hinauf, warfen den Gerechten hinab und steinigten ihn. — So starb dieser Märtyrer. Er bewies sich als treuer Zeuge für Juden und Heiden, dass Jesus der Messias sei.«
Die Frage nach der historischen Wahrheit Jesu fiel also schon dem hinterbliebenen Bruder des Herrn vor die Füße. Und dass sie heute, nach achtzehn Jahrhunderten, wieder lebhaft erhoben wird, erregt durch die Antwort der historischen Prüfung derselben einen Aufruhr, der unsere theologischen Katheder mit ähnlichen Gefahren bedroht, wie solche bei jenem Passahfeste die Zinne des Tempels trafen. Aber auch den ruhigen Beobachter nahm es wunder, dass diese Frage gerade unter den heißen, tosenden Arbeiten unsers realistischen Werktags plötzlich solches Aufsehen und solche Macht über die Gemüter in katholischen und protestantischen Ländern gewann, — eine Teilnahme freilich sehr ungleicher Art und in Gunst und Widerwillen entgegengesetzt. Allerdings fanden edle Gemüter wie religiöse Seelen sich längst beengt in einem Lebenskreise, der sich mit Erwerben und Genießen, mit Wissen und Begreifen abschloss, da man denn über das Erstaunliche, was hierin geleistet wurde, die Unfruchtbarkeit im sittlichen und religiösen Leben, den Mangel an Ernst der Gesinnung und an Kraft der Charaktere so viel weniger beachtete. Unbefriedigt von dem geistlosen Gebaren einer Gesellschaft, die nur für die Materien des Lebens noch Sinn und Anerkennung zu haben schien und nur mit Stoffen sich breit machte, sahen die Frommen eine Zeit herankommen, in der statt der Offenbarungen von oben nur noch die Entdeckungen der Naturforschung Kanzel und Altar fänden. Und nun brachte die unverhoffte Schwenkung vom materiellen Interesse des Tags zur christlichen Frage doch auch keine erfreulichen Zeichen für sie mit. Denn es war ja mit dieser Frage auf keine Rückkehr zum vernachlässigten Glauben abgesehen; sondern die verwegene Prüfung einer unanfechtbaren Offenbarung führte einen neuen Unglauben an die göttliche Person Jesu mit sich. Der Kummer, den man bisher über die religiöse Gleichgültigkeit der Zeit empfunden hatte, schlug in Verdruss und Ärgernis an der lebhaften Teilnahme um, mit der man sich in ganz Europa den neuen Ergebnissen der geschichtlichen Forschung zuwendete. Natur und Geschichte, die beiden Gebiete stufenweiser Offenbarungen des ewigen Geistes, fielen bei unsern Christlichen in das tiefste Misstrauen. Sie erkannten nicht einmal das Erfreuliche der neuen Bewegung darin, dass unsere so schwer beschuldigte und verworfene Zeit sich in einer Vesperstunde des Ausruhens vom Anbau und Genuss des Irdischen wieder einmal auf die höhern Wertschaften unsers Daseins und auf den wunderbaren Ursprung und Verlauf unserer heutigen Bildung besinnt. Leider fanden sie sich in dieser Verstimmung des Gemüts und Verblendung des Blickes von Seiten ihrer Priester und Pastoren bestärkt, je mehr diese nämlich von der Höhe — dort der päpstlichen Enzykliken, hier der »Evangelischen Kirchenzeitung« — herab eiferten und an die Zeit erinnerten, da der Fanatismus des Aberglaubens, irrer Religionsbegriffe und des Pfaffenwahnsinns die Menschen in Verzweiflung gefetzt hatte. Gewiss fehlte es unter diesen Ehrwürdigen nicht an Männern, die es mit aufrichtiger Seele beklagten, dass die Welt sich allzu ausschließend auf ihre eigensten Angelegenheiten zurückgezogen hatte, — auf Arbeiten ohne Beten, auf Genuss und Prunk ohne Erhebung, auf Wochen ohne Sonntag. Doch ebenso gewiss waren gerade diese Priester und Prediger die letzten unter jenen alten und jungen Eiferern, die das Irdische mit der Religion zu überwinden gedachten, wenn sie diese gerade in ihrer vergänglichsten Gestalt erhöben, — Geistliche, die den Glauben neu zu beleben wähnten, wenn sie ihn auf den alten Boden zurück versetzten, wo er abzusterben angefangen, und die mit zelotischem Auge die Entfremdung und den unfruchtbaren Abstand nicht ermaßen, der entstehen musste, wenn die Welt vergnügt vorwärts und die Kirche scheltend rückwärts sich bewegten. Und so ist es denn gekommen, dass Welt und Kirche, Wissenschaft und Dogma schroffer als jemals einander gegenübertreten. Da wendeten sich denn die unbefriedigten Gemüter, bedürftig und suchend, da- und dorthin. Den einen kamen die Naturwissenschaften, in lebhaftem Bemühen, mit lauter Fassbarem entgegen. Die glänzenden Ergebnisse und wunderbaren Entdeckungen derselben, ihre Sicherheit auf dem Wege der Erfahrung und ihre Dienstfertigkeit für Genuss und Behagen des Alltagslebens, gaben ihnen vollen Siegesübermut und nahmen für sich den Vorrang vor den so genannten moralischen Wissenschaften in Anspruch. Andere dagegen wurden bald genug inne, wie sehr unser Dasein in jener Richtung sich veräußerlicht. Ein schwindelhaftes Ringen und Jagen nach Besitz, Prunk, Genuss und gesellschaftlicher Geltung setzt die Menschen in Unruhe und Verwirrung. An Sammlung des Gemüts, an Einkehr in sich selbst zur Besinnung auf höhere Anliegen des Lebens wird nicht gedacht oder man entflieht ihnen geflissentlich. Wie hätten sie dem guten Fontenelle glauben mögen, wenn er meint: »D’être bien avec Soi, c’est le plus grand secret pour le bonheur!« — Nein, das Glück darf ja kein Geheimnis sein; es versteckt sich höchstens nur zwischen den Herrlichkeiten, die der Tag umher aufhäuft, und neckt bloß, um gesucht zu werden. Und wirklich wird es auch gefunden — unter all dem Tand und Trödel der Zerstreuung, mit dem besonders auch unsere Frauen, — einst die Trägerinnen des Idealen und des Enthusiasmus, sich heut hervortun. Nun liegt es aber im Wesen des Menschen, dass er sich in ernster Stunde einem doppelten Reich der Dinge angehörig empfindet. Und hat er sich eine Zeit lang unter den Ergebnissen der äußern Erfahrung, im Genuss sinnlicher Güter, in der verstandesgemäßen Erkenntnis der Welt wohl und wie heimisch gefühlt, so erwacht oft plötzlich in seiner Seele der Drang, ein oft unverstandenes Verlangen nach dem außersinnlichen Gebiet seiner Abkunft. Eine Unruhe überfällt ihn, ob er von diesen wandelbaren Erscheinungen des Naturlebens nicht ins Irre verlockt werde, und ob er nicht dem Vergänglichen angehöre, mit dem er sich so leicht auf guten Fuß, in ein so vergnügtes Verständnis setzen könne. Er verliert die Zuversicht zu sich selbst, wenn er sein inneres Ewige aufgeben soll. Solche Gemüter trifft nun die erneute christliche Frage wie ein Sursum corda! ein »Empor die Herzen!« und ein Verlangen nach neuer Erkenntnis des Geistes, nach neuer Offenbarung an das Herz ergreift sie. Unverkennbar sammelt sich schon länger und mehrt sich mit jedem Tage zwischen der Geistlichkeit des Dogmas und der Aristokratie der Wissenschaft ein »dritter Stand« der Gebildeten, dem noch die Charte der äußern Anerkennung sowie ein Tempel und eine Kanzel fehlen. Sie bilden eine unbekannte Gemeinde von Glaubensbedürftigen. Der Begriff des Glaubens ist durch sein kirchliches Gepräge und seine dogmatische Legierung im Weltverkehr vielfach in Verruf gekommen. Wir wollen, um uns klarer zu machen, das Glauben als ein Seelenvermögen und Seelenbedürfnis von dem unterscheiden, was der Glaube zumal als Kirchenglaube an bestimmtem Inhalt dar bietet. Dass es eine Wahrheit oder Wahres geben müsse, wird wohl nicht zu bezweifeln sein. Die wechselnden Erscheinungen in allem Leben lassen sich nur durch die Voraussetzung einer außersinnlichen Substanz, als ihrer Grundlage, begreifen. Für den Menschen muss hinter diesen Gaukeleien des Daseins etwas Ewiges, ein heiliger, beseligender Ernst verborgen sein. Ist ihm nicht schon im eigenen, unter allen körperlichen Veränderungen sich gleich bleibenden Selbstbewusstsein ein Hinweis auf jenes Ewige im Wandel der Dinge gegeben, — ein Pfand seines persönlichen Anteils an jenem Ewigen in der Welt? Mit dieser Ahnung belebt sich in unserer tiefsten Seele die Zuversicht auf etwas Zuverlässiges in der Welt. Und diese Voraussetzung nennen wir Glauben.
Dem Wissen gegenüber, das sich auf etwas schon Anerkanntes stellt und dem Verstande das Begreifliche vermittelt, ruht der Glaube auf sich selbst in den Tiefen des Gemüts mit dem Vertrauen, dass die außersinnliche Wahrheit durch Forschung und durch unmittelbare Erkenntnis könne gewonnen werden, — durch jene An von Offenbarung, wie solche auch dem Dichter, dem Künstler als unvermittelte Eingebung verliehen wird. Allerdings lässt die Wahrheit vor dem sinnlichen Auge der Welt sich nie anders als in irdischem Gewand erblicken; sie wechselt nur die Stoffe des Gewandes leichter oder dichter, faltiger oder durchsichtiger nach den Jahreszeiten der Weltgeschichte und den Klimaten der Völker-Bildung. Dieser Betrachtung begegnen wir noch unterwegs, und es gilt hier nur noch der Frage, — wie die Glaubensbedürftigen jener unbekannten Gemeinde sich zwischen Dogma und Wissenschaft einzurichten hätten. Der Verfasser versucht es, durch ein freies Bekenntnis über sein eigenes Verhalten zu beiden einer Lösung der Frage entgegenzukommen.
Z
uvörderst darf er von sich aussagen, dass Religion ihm stets eine stille Lebensbegleiterin gewesen ist. Wer ihn aber aus seinen schon vor Jahren mitgeteilten LebenserinnerungenNote 2) kennt, wird zugestehen, dass wohl nur wenige seiner Zeitgenossen auf solche Gegensätze und Extreme gläubiger Kindheit und überzeugten Alters zurückblicken. Auch die Frage nach der Wahrheit von Jesu hat ihn schon als Studenten des Lyzeums beschäftigt, da er denn aus unmittelbarer Evidenz damit abschloss, das Bild des Menschensohnes für seine eigene Andacht aus dem blendenden Rahmen zu nehmen, in welchem die Kirche es den anbetenden Jahrhunderten ausgestellt hat. Der Weg des untergeordneten Staatsdienstes mit dem Nebenhange zur poetischen Produktion führte dann aber den Verfasser weit ab von gründlichen Forschungen in kirchengeschichtlicher Richtung. Und so nahm er jetzt noch einmal in seinem sechsundsiebzigsten Jahre jene Frage nach der Wahrheit von Jesu auf, — heute, wo ihm nichts übrigblieb, als mit der Anstrengung des Alters und auf ungebahnter Seite die Höhe zu erreichen, von welcher inzwischen unsere theologisch-historischen Forscher einen aufgeräumten Ausblick nach dem See Genezareth und dem heiligen Golgatha eröffnet haben. Diese Forschungen beziehen sich hauptsächlich auf die Evangelien und Apostelbriefe im Zusammenhalt mit andern kirchlichen und historischen Schriften aus jener Zeit der Ausbreitung des Christentums und der Gründung der Kirche.
Werke einer staunenswerten Geistesarbeit, die Ausbeute einer wahrheitsmutigen Vertiefung, liegen zutage, von Männern umfassender Bildung, die ein ausgebreitetes Wissen mit spekulativem Denken verknüpfen und durch divinatorischen Scharfsinn fruchtbar machen. Ihre Forschungen stimmen nicht in allen Einzelheiten des Ermittelten überein, sowenig als die Evangelisten in ihren Überlieferungen. Diese gingen auf Verklärung einer neuen Offenbarung für den Glauben ihrer Zeitgenossen aus; unsere Forscher kehren zur Enthüllung derselben Wahrheit für die richtige Erkenntnis ihrer Mitlebenden zurück. Hierher sah sich der Verfasser mit allen gewiesen, die ohne eigene Forschungen nach der Wahrheit des Christentums und der geschichtlichen Person des Stifters suchen, — jeder mit seinem individuellen Fassungsvermögen für sein besonderes Erkenntnis- und Herzensbedürfnis. Denn die Wahrheit eignet sich jedem aus besondere Weise an; sie sucht, wie die Liebe, allen alles zu sein. Und da bietet sich an der offenen Ausbeute der Forschung über das historische Christentum ein reiches Material, aus welchem ein jeder sich mitten ins Leben hinein seine eigene Kapelle christlicher Religiosität erbauen kann. Nicht, als ob die Ausscheidenden den hohen Wert und die Wohltaten kirchlicher Gemeinschaft verkennten: sie schließen sich ja nicht aus, sondern finden sich vielmehr von Seiten der Gemeinschaft selbst, wenn auch unbeabsichtigt, ausgeschlossen.
Allerdings bringt das christliche Leben, ob ursprünglich auch in höherm Sinne ein geistiges, rein innerliches, doch — wenn es sich als wirkliches Leben erweisen will — das Bedürfnis mit sich, äußerlich, seiner Natur angemessen sich darzustellen und zu betätigen. Soll dies nun innerhalb oder vermittels einer kirchlichen Gemeinschaft geschehen, so muss dieselbe als äußere religiöse Gemeinschaft ebenso weit reichen, als sie selbst auch eine innerliche des religiösen Gefühls, der religiösen Vorstellung, der religiösen Gesinnung und religiösen Zwecke ist; sie muss zum Organ einer einheitlich gemeinsamen religiösen äußern Lebenstätigkeit entwickelt sein. Sie ist aber hinter dieser Vollendung für die ungleich fortschreitende Bildung ihrer Angehörigen zurückgeblieben. Richard Rothe, dieser hochverehrte Theolog, dem wir die eben angeführte Erklärung entnommen haben, findet daher in dem um sich greifenden Gefühl der Gebildeten, die für ihr eigenstes religiöses Bedürfnis in der Kirche die volle Befriedigung nicht mehr finden, nichts Beklagenswertes. Ein Verfall der Kirche macht ihm keine Sorge, sondern erscheint ihm nur als die Folge des Selbständigerwerdens des christlichen Lebens. Seit der Reformation findet sich die unselbständig gewordene Kirche immer tiefer mit dem sittlichen Leben des Staats verflochten, und der vollendete Staat, der von religiösen Prinzipien an allen Punkten durchdrungen und von ihnen befruchtet wird, ist für Rothe eben das vollendete Gottesreich. Allerdings erscheint uns dies im Werden begriffene Gottesreich noch weit aussehend. Mögen daher unsere Sonderkapellen einstweilen für jene Hütten angesehen werden, die da zu entstehen pflegen, wo ein großer Neubau im Werk ist. Mit dem Fundament des Gottesreichs, mit dem Rechtsstaat, ist unsere Gegenwart schon in voller Arbeit. —
Ursprünglich wollte der Verfasser dieses Büchleins, im Bewusstsein seiner Jahre, nur sein Testament zu Papier bringen, — nicht über Besitztümer, die ihm hinterblieben, sondern, in der Art eines compte rendu anderer Könige, als einen Rechenschaftsbericht darüber, wie er im Laufe der Jahre, unter schweren und heitern Erlebnissen, unter Pflichten und Bestrebungen bemüht gewesen, im Bereich des Religiösen so manchen ihm anerzogenen und angeflogenen Aberglauben mit den Errungenschaften der Wissenschaft auszugleichen. Indem er das Büchlein nun doch hinausgibt, will er es für nicht mehr als ein bloßes Bekenntnis; angesehen wissen — für eine Konfession, eine Aussage über seine religiöse Weltanschauung. Aus diesem Gesichtspunkt überhebt er sich auch aller Nachweisung, aller Beweisführung für die Wahrheit des Inhalts. Diese ist in solcher Fassung vielleicht nur für ihn selbst da. Er will nicht belehren, noch weniger bekehren, sondern höchstens als Beispiel dienen, wie man durch Teilnahme und Beflissenheit aus dem Gemeingut der Wissenschaft sich ein Sondergut zu seinem geistigen Auskommen erwerben mag. Seine Jahre werden ihm wohl gutsagen für den Ernst, womit er zu Werke gegangen, für die Freiheit seines Gemüts von Nebenabsichten oder Ansprüchen für seine noch laufenden Tage, sowie für die Unbefangenheit des Bewusstseins, womit er lächelnd rückwärts und mit Zuversicht hinüber schaut. Dabei stützt er sich gegen wohl- oder übelwollende Anfechtungen auf die Überzeugung, dass man in den höchsten Angelegenheiten der Menschheit, in Dingen, auf die es im Leben ankommt, den Mut seiner Meinung haben muss, und dass es Fragen der Zeit, Bedürfnisse, Forderungen der Zeit gibt, die man nicht im Ton der »guten Gesellschaft« durch Vermeidung alles Auffälligen beantworten kann, und gegen die man sich nicht in den Bann der Klugheit zurückziehen darf. Am Ende möchte wohl jeder sich gern mit dem Bekenntnis unsers großen Kant beruhigen können, wenn er sagt: »Ich habe meine Seele von Vorurteilen gereinigt; ich habe eine jede blinde Ergebenheit vertilgt, welche sich jemals einschlich, um manchem eingebildeten Wissen Eingang in mir zu verschaffen. Jetzt ist mir nichts angelegen, nichts ehrwürdig, als was durch den Weg der Aufrichtigkeit in einem ruhigen und für alle Gründe zugänglichen Gemüte Platz nimmt.« Uns Nachstrebenden aber, und bis wir ebenso weit wie er kommen, ruft ein noch früherer Philosoph, Franz Bacon, den auch die »gute, christliche Gesellschaft« unsers Adels als ehemaligen Kanzler von England und Baron von Verulam gelten lassen wird, das herrliche Wort zu: »Wahrlich, es ist der Himmel auf Erden, wenn ein menschliches Gemüt in Liebe sich tätig erweist, im Vertrauen auf die Vorsehung Ruhe findet und sich um die Angelpunkte der Wahrheit bewegt!«
Note 2
»Auch eine Jugend« und »Ein Stillleben. Erinnerungen und Bekenntnisse von H. Koenig« (Leipzig 1861).
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