Was ist "gute" Demenzpflege? - Christoph Held - E-Book

Was ist "gute" Demenzpflege? E-Book

Christoph Held

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Beschreibung

Das neuartige und erfolgreiche Praxishandbuch für Pflegende versteht eine fortgeschrittene Demenz nicht einfach als geistige Leistungseinbusse, sondern als ein verändertes Erleben des Selbst, bei dem das Gehirn vorübergehend oder für längere Zeit seine integrative Fähigkeit verliert. Die Betroffenen verhalten sich wechselhaft und werden von ihren Angehörigen und den Pflegenden oft als "zerrissen" erlebt. Infolgedessen können die Wahrnehmung und die Beurteilung der eigenen Befindlichkeit verloren gehen - der Film des Lebens bekommt Risse. Diese Zustände veränderten Selbsterlebens sind häufig mit Angst, Unruhe oder Gereiztheit verbunden. Im Dialog mit Pflegenden entwickelte der erfahrene Altersmediziner Christoph Held einen Ansatz, um Menschen mit einer Demenz und ihrem veränderten Selbsterleben beschreiben, erkennen, verstehen und wirkungsvoll unterstützen zu können. Anschaulich beschreibt es das veränderte Selbsterleben in alltäglichen Situationen, wie beim Ausscheiden, Essen und Trinken, Kommunizieren, Sich-Bewegen, Sprechen mit Angehörigen, Waschen und Ankleiden. Ausführlich erläutert er die Folgen veränderten Selbsterlebens für die Gestaltung von Lebensräumen und den Sterbeprozess von Menschen mit Demenz. Die zweite Auflage bietet aktualisierte Beiträge über Lügen und Täuschungen in der Pflege von Menschen mit Demenz und eine vertiefende Darstellung von neuropathologischen Prozesse hinter dem veränderten Selbsterleben. Ein neues Kapitel stellt herausforderndes und schwieriges Verhalten bei behavioralen und psychologischen Symptomen der Demenz (BPDS) dar.

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Was ist „gute“ Demenzpflege?

Christoph Held

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Pflege:

Jürgen Osterbrink, Salzburg; Doris Schaeffer, Bielefeld; Christine Sowinski, Köln; Franz Wagner, Berlin; Angelika Zegelin, Dortmund

Christoph Held

Was ist „gute“ Demenzpflege?

Verändertes Selbsterleben bei Demenz – ein Praxishandbuch für Pflegende

2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

unter Mitarbeit von

Markus Biedermann

René Buchmann

Doris Ermini-Fünfschilling

Elisabeth Jordi

Reto W. Kressig

Thomas Leyhe

Bernadette Meier

Geri Meier

Andreas Monsch

Silvia Silva Lima

Bettina Ugolini

Dr. med. Christoph Held. Heimarzt und Gerontopsychiater, Lehrbeauftragter an der Universität Zürich sowie an verschiedenen Fachhochschulen und Autor von Büchern zum Thema Demenz

E-Mail: [email protected]

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Pflege

z.Hd.: Jürgen Georg

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel: +41 31 300 45 00

E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.ch

Lektorat: Jürgen Georg, Martina Kasper

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: Michael Uhlmann, Wanzleben-Börde

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Illustration (Innenteil): Angela Kramer

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Printed in Czech Republic

2., vollst. überarb. u. erw. Auflage 2018

© 2018 Hogrefe Verlag, Bern

© 2013 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95655-8)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75655-4)

ISBN 978-3-456-85655-1

http://doi.org/10.1024/85655-000

Nutzungsbedingungen

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Anmerkung

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhalt
Danksagung
Geleitwort
Vorwort zur zweiten Auflage
1 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Was bedeutet „gute“ Demenzpflege?
1.1 Demenz und „Lebensqualität“
1.2 Demenz, Selbsterleben und dissoziatives Erleben
1.3 Paradoxe Pflegesituation
1.4 Demenz und Würde
1.5 Medizinische Diagnostik und Pflegekonzepte
1.6 Das „dritte“ Auge und Ohr entwickeln
1.7 Kann die Qualität der Demenzpflege erfasst werden?
1.8 Auf das (schwierige) Zusammenleben kommt es an
1.9 Wirklichkeit der Betroffenen versus Kosten ihrer Pflege
1.10 Zitierte und weiterführende Literatur
2 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Dissoziatives Erleben
2.1 Warum hat der Bewohner seinen Kaffee trotzdem getrunken?
2.2 Was bedeutet „Selbst“?
2.3 In welchen Hirnregionen „wohnt das Selbst“?
2.4 Was geschieht mit dem „Selbst“ in der Demenz?
2.5 Was bedeutet „Dissoziation“?
2.6 Konsequenzen von dissoziativem Erleben
2.7 Glücklich ist, wer vergisst?
2.8 Dabei sein, ohne etwas zu erklären und zu wollen
2.9 Zitierte und weiterführende Literatur
3 Neuropathologie und Diagnostik der Demenz
3.1 Was bedeutet Demenz?
3.2 Demenz ist kein einheitliches Krankheitsbild
3.3 Wie entstehen Demenzen?
3.4 Worin unterscheidet sich Demenz von „normalem“ Altern?
3.5 Müssen Pflegende unterschiedliche Demenzformen kennen?
3.6 Die Alzheimer-Krankheit
3.7 Die frontotemporale Demenz
3.8 Die Lewy-Body-Demenz
3.9 Die vaskuläre Demenz
3.10 Wie wird die Demenz heute und morgen behandelt?
3.11 Wie wird Demenz diagnostiziert?
3.12 Welche Schweregrade von Demenz gibt es?
3.13 Wie wird die Urteilsfähigkeit bei fortgeschrittener Demenz bestimmt?
3.14 Zitierte und weiterführende Literatur
4 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Erkennen und Beschreiben
4.1 Was bedeutet „Selbst-Erleben“?
4.2 Was ist normales „Selbst-Erleben“?
4.3 Was sind „Ich-Störungen“?
4.4 Normales „Selbst- oder Ich-Erleben“
4.5 Ich-Identität
4.5.1 Ausmass autobiografischer Desorientiertheit
4.5.2 „Ich-schonende“ Pflege
4.6 Ich-Vitalität
4.6.1 Scheinbare Erstarrung bei fortgeschrittener Demenz
4.6.2 Abgrenzung zur Depression
4.7 Ich-Aktivität
4.8 Ich-Demarkation
4.8.1 Virtuelle Medien und Demenz
4.8.2 Das Anlügen Demenzkranker
4.8.3 Übergang zu wahnhaften Gedanken
4.9 Ich-Konsistenz
4.10 Ich-Störungen: Nutzen von Beschreibung und Erfassung
4.11 Zitierte und weiterführende Literatur
5 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Waschen und Ankleiden
5.1 Auch alltägliche Rituale bestimmen das Selbsterleben
5.2 Retrogenese
5.3 Körperhygiene unnötig, weil nicht selbstbezogen
5.4 Angepasste Alltagsbewältigung und Diskretion
5.5 Körperpflege als Basale Stimulation® gestalten
5.6 Vereinfachte Pflegeabläufe durch Kreativität
5.7 Zitierte und weiterführende Literatur
6 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Kommunikation
6.1 Perspektivenwechsel
6.2 Nicht verstehen? Nicht verstanden werden?
6.3 Blicke von demenzkranken Menschen
6.4 Spirituelle Unterstützung in existenziellen Krisen
6.5 Zitierte und weiterführende Literatur
7 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Essen und Trinken
7.1 Interview mit dem Esskümmerer
7.2 Genaues Beobachten der Essvorgänge
7.3 Essen als basale Stimulation
7.4 Biografiebezogene Verpflegung
7.5 Fingerfood und Food-Tankstellen
7.6 Ich muss ein Esskümmerer sein!
7.7 Zitierte und weiterführende Literatur
8 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Ausscheidung
8.1 Verlust der Blasen- und Darmkontrolle
8.2 Als Kind trocken und sauber – bei Demenz nass und schmutzig?
8.3 Ausscheiden – eine diplomatische Gratwanderung
8.4 Zitierte und weiterführende Literatur
9 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Sich-Bewegen
9.1 Gehen-Lernen ist ein langer Prozess
9.2 Die geteilte Aufmerksamkeit
9.3 Demenz und Sturzgefahr
9.4 „Wachwandeln“
9.5 Verhindern von Stürzen
9.6 Kinästhetik
9.7 Musik- und Bewegungsinterventionen
9.8 Wege ohne Ziel für Wanderer ohne Ziel?
9.9 Zitierte und weiterführende Literatur
10 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Herausforderndes und schwieriges Verhalten
10.1 Was sind „BPSD“?
10.2 Warum kommt es zu BPSD?
10.3 Wie werden BPSD erfasst und diagnostisch beurteilt?
10.4 Medikamentöse Behandlung von BPSD
10.5 Psychopharmaka verantwortungsvoll einsetzen
10.6 Medikamentenabgabe bei demenzkranken Patienten
10.7 Angepasster Umgang mit den Betroffenen
10.8 Gezielte Interventionen bei BPSD
10.9 Eine Beziehung herstellen
10.10 Zitierte und weiterführende Literatur
11 Verändertes Selbsterleben: Sterben
11.1 Pflegende werden alleingelassen
11.2 Verändertes Erleben des „eigenen“ Sterbens
11.3 Das „stumme“ Sterben bei Demenz
11.4 Pflegerische Sterbebegleitung
11.5 Spirituelle Sterbebegleitung
11.6 Zitierte und weiterführende Literatur
12 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Mit Angehörigen sprechen
12.1 Beziehungen zwischen Angehörigen und Pflegeteam
12.2 Einladung zu Gesprächen und zum Austausch
12.3 Angehörige und verändertes Selbsterleben der Betroffenen
12.4 Vorbereitete und strukturierte Besuche von Angehörigen
12.4.1 Vorbereitung und Ankommen
12.4.2 Verweilen
12.4.3 Aufbruch
12.5 Loslassen des Partners als besondere Herausforderung
12.6 Zitierte und weiterführende Literatur
13 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Lebensraumgestaltung
13.1 Leben im Pflegeheim oder zu Hause?
13.2 Hat die Wohnform Einfluss auf Demenz?
13.3 Was bedeutet demenzfreundliche Architektur?
13.4 Betreut zu Hause oder im Heim leben?
13.5 Gibt es in Zukunft noch „Demenzabteilungen“?
13.6 Wird es in Zukunft „Demenzdörfer“ geben?
13.7 Die Zukunft „demenzgerechter“ Betreuung
13.8 Zitierte und weiterführende Literatur
Anhang
Menschen mit Demenz begleiten, pflegen und versorgen
Das Dementia-Care-Programm des Verlages Hogrefe
Autoren- und Mitarbeiterverzeichnis
Sachwortverzeichnis

Danksagung

Mein Dank gilt den Co-Autoren dieses Buches, die ihr Wissen mit mir geteilt haben. Danken möchte ich auch Irene Bopp und Martin Heinze für ihre Anregungen bei der zweiten Auflage.

Ebenso gilt mein Dank zahlreichen MitarbeiterInnen, die mich auf Wesentliches bei der Pflege demenzkranker Menschen aufmerksam gemacht haben, insbesondere danke ich Antonio Gouveia.

Dank auch an Sabine Duschmalé, die mich stets unterstützt hat.

Danken möchte ich Herrn Jürgen Georg, Frau Martina Kasper und Herrn Michael Hermann vom Hogrefe Verlag sowie meiner Schwester Theres Held für die Anregung zu diesem Buch und ihre Begleitung.

Mein spezieller Dank gilt natürlich den Betroffenen und ihren Angehörigen, deren Vertrauen ich genießen durfte.

Geleitwort

Demenz verwirrt – sie verwirrt nicht nur die Betroffenen, sondern alle, die mit ihnen zu tun haben: die Angehörigen, die Pflegenden, die Ärztinnen und Ärzte, die zuständigen Führungspersonen und Politiker, ja die gesamte Öffentlichkeit. Demenz macht Angst, ist unheimlich, bedrohlich. In unklaren, verwirrten Situationen sehnen wir uns nach Halt und klarer Führung. So ist es nicht erstaunlich, dass viele Akteure in der Demenzbetreuung ihr Heil in Pflegesystemen suchen, die einfache Erklärungen und standardisierte Lösungen für die Alltagsprobleme der Menschen mit Demenz anbieten.

Christoph Held geht mit dem vorliegenden Buch einen anderen Weg. Er sucht nicht nach dem „Magic Bullet“, der Wundermethode, mit der man die Demenz in den Griff bekommt. Er verlässt sich auf das, was Angehörige, Pflegeteams und andere Fachleute mit ihm zusammen über viele Jahre beobachtet und erfahren haben. Diese Erfahrungen verknüpft er mit neuropsychologischem und psychiatrischem Wissen, damit wir uns besser in die Erlebniswelt der Menschen mit Demenz versetzen können und mit individuell angepassten Maßnahmen die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können.

Verlieren Menschen durch eine Demenzerkrankung die integrierende Funktion ihres Gehirns – die zentrale Kontrolle – dann kommt es häufig zu einem dissoziativen Erleben. Für Christoph Held ist die Dissoziation der Kernbegriff, mit welchem er demenzielles Erleben deutet. Auch uns Gesunden ist die Dissoziation nicht fremd: Wer ist nicht schon in einer fremden Stadt im Hotelzimmer erwacht und wusste nicht mehr, wo er oder sie ist? Oder vielleicht wurde man von einem Gefühl der Entgrenzung überfallen, alles schien plötzlich unwirklich, ausgelöst von zu wenig Schlaf, zu wenig Trinken, zu niedrigem Blutdruck o. ä. (von Experimenten mit gewissen Substanzen gar nicht zu reden). In diesen Zuständen bekommen wir Gesunden eine Ahnung davon, was es heißen könnte, dauernd mit solchen Erlebnissen konfrontiert zu sein.

Viele Verhaltensstörungen von Menschen mit Demenz entstehen dann, wenn wir die Betroffenen durch unsere Handlungen überfordern, weil wir ihr dissoziatives Erleben nicht beachten. Geschickte Pflegende wissen um die Dissoziation, sie kompensieren sie diskret und vermeiden es, die Betreuten zu überfordern. Eine solche Haltung lässt sich nicht in ein Schema einpassen, nicht standardisieren. Es geht um die Qualität der Wahrnehmung und der Kommunikation. Es geht darum, aufmerksam zu sein, zu individualisieren, darum, geduldig warten zu können. Unsere heutige Zeit jedoch will alles messen und quantifizieren; nur das, was in Zahlen ausgedrückt werden kann, ist gültig.

Christoph Held fordert deshalb als Schlussfolgerung eine Leistungserfassung und Finanzierung einer Pflege, die die Komplexität und den hohen Aufwand der Betreuung von Menschen mit Demenz angemessen und mit wenig administrativem Aufwand berücksichtigt. Einer solchen Forderung kann ich mich vorbehaltlos anschließen.

Mit dem Autor verbindet mich die jahrzehntelange Aufgabe der Betreuung von Menschen mit Demenz. Wir haben uns immer wieder im Zwischengebiet zwischen Psychiatrie und Geriatrie getroffen, und es hat mich jedes Mal überrascht, wie wir in grundlegenden Fragen übereinstimmen. Wir sind uns einig, wie wichtig die Gespräche mit den Angehörigen und die Kommunikation im interdisziplinären Team sind. Mich hat berührt, wie sehr Christoph Held die Arbeit des Pflegepersonals wertschätzt, gerade auch von Personen, die nicht aus unserem Kulturkreis stammen. Ich wünsche, dass sein Buch dazu beiträgt, eine aufmerksame und respektvolle Betreuung von Menschen mit Demenz zu verbreiten.

Jean-Luc Moreau-Majer

Belp, im Februar 2013

Vorwort zur zweiten Auflage

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage sind fünf Jahre vergangen. In den ersten beiden Jahren wurde das Buch – nach einem überwältigend guten Echo – von so vielen Pflegenden und Angehörigen gelesen, dass es bald einmal vergriffen war.

Nun hätte eine zweite Auflage folgen sollen – aber ich spürte einen inneren Widerstand dagegen. Der Begriff des „dissoziativen Erlebens“ bei Demenz hatte zwar das Verständnis der Pflegenden für manche unerklärliche Verhaltensweise von Menschen mit Demenz geebnet, aber es fehlte eine psychopathologische Sprache, mit der diese Verhaltensweisen beschrieben werden konnten. Es dauerte zwei weitere Jahre, bis wir begannen, die wichtige Gruppe der „Ich-Störungen“, wie sie Christian Scharfetter in seiner Psychopathologie für Krankheiten aus dem schizophrenen Formenkreis entwickelt hat, auf Bewohner mit mittelschwerer und fortgeschrittener Demenz anzuwenden und sie unter dem Sammelbegriff eines veränderten Selbsterlebens bei Demenz einzuordnen.

Die Anwendung dieser psychopathologischen Hilfskonstruktionen im praktischen Pflegealltag gelang überraschend gut und half beim Überwinden von Schwierigkeiten in der Kommunikation und Pflege mit demenzkranken Menschen. Zahlreiche von den Pflegenden angewendete Pflegeinterventionen erhielten auf einmal einen tieferen Hintergrund. Die Pflegenden verfügten nun zudem über ein Vokabular, mit dem sie diese Interventionen gegenüber Angehörigen oder Vorgesetzten erklären und legitimieren konnten.

Im letzten Jahr vor dem Erscheinen dieser zweiten und stark erweiterten Auflage von „Was ist gute Demenzpflege?“ haben wir also nicht nur die Begriffe der Ich-Störungen bei Demenz in einem neuen Kapitel 4 systematisch dargestellt, sondern können auch von Erfolgen bei ihrer Anwendung berichten.

Eine früher erschienene zweite Auflage wäre somit unvollständig gewesen und ich danke dem Hogrefe Verlag, insbesondere aber Herr Jürgen Georg, herzlich für seine grosse Geduld.

Christoph Held

Zürich, im Sommer 2018

1 Verändertes Selbsterleben bei Demenz: Was bedeutet „gute“ Demenzpflege?

Silvia Silva Lima, Geri Meier und Christoph Held

Während früher ausschließlich Schreckensbilder des Zerfalls und des Verlustes den Zustand von Patienten mit Demenz beschrieben, wissen wir heute, dass auch bei schweren Gedächtnis-, Denk- und Sprachstörungen eine einigermaßen geglückte Kommunikation mit den Betroffenen möglich ist – wenn auch in veränderter Form. Es käme vor allem darauf an, dass die Umgebung den Ausdruck und das Verhalten der Betroffenen deuten und verstehen kann.

Tag für Tag erleben Pflegende und Angehörige Demenz bei ihren Bewohnern als wechselhaftes und wenig vorhersagbares Geschehen.

Im vorliegenden Buch versuchen wir, den psychiatrischen Hintergrund dieses Geschehens zu beleuchten und pflegerische Maßnahmen davon abzuleiten. Fest steht: Die Pflege von Bewohnern mit Demenz erfordert im Alltag viel Zeit, anstrengende Überlegungen, einschneidende Anpassung, intensive Einfühlung und strapazierte Geduld. Sie widersetzt sich einer normiert ablaufenden Pflege-„Planung“.

1.1 Demenz und „Lebensqualität“

Demenz ist eine Begleiterscheinung einer älter werdenden Gesellschaft. Ein Teil der älteren und alten Menschen muss sich in dieser Lebensphase auf körperliche und geistige Beeinträchtigungen einstellen. Wenn wir davon ausgehen, dass alle pflegerische und betreuerische Unterstützung und Anstrengung dem Ziel dienen sollen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, so muss zunächst dieser Begriff diskutiert werden. Zu Recht wird in zahlreichen ambulanten und stationären Pflegeinstitutionen die Lebensqualität mit einem subjektiven Wohlbefinden derjenigen, die mit einer Demenz leben, in Verbindung gebracht. Der britische Demenzforscher Tom Kitwood (2016) stellt in diesem Zusammenhang vier globale subjektive Zustände vor, welche die Grundlagen allen menschlichen Wohlbefindens ausmachen und auch bei Demenzbetroffenen – zumindest teilweise – gelebt werden können:

das Gefühl, etwas wert und für andere wichtig zu sein,das Gefühl, etwas tun zu können,das Gefühl, mit andern noch in Kontakt treten zu können, sie zu erreichen und eine Antwort zu erhalten,das Gefühl der Hoffnung oder des Urvertrauens.

Von diesen Grundgefühlen ausgehend sollten demenzkranke Menschen – wie alle anderen Menschen auch – ermutigt und unterstützt werden, in ihrem Leben noch so viel wie möglich für sich selbst und auch für andere zu tun, ihren Tagesablauf selbst zu bestimmen und am Geschehen teilzuhaben.

1.2 Demenz, Selbsterleben und dissoziatives Erleben

An der schwierigen Erfüllung dieser Forderungen für die Lebensqualität bei Demenz setzen die Schwierigkeiten ein. Denn zerstörerischer als der Verlust des Gedächtnisses, der Orientierung und der Sprache wirken sich die Veränderungen im Selbsterleben der Betroffenen aus. Diese Veränderungen, die wir in den folgenden Kapiteln ausführlicher beschreiben werden, führen bei Demenz nicht nur zum allmählichen Vergessen der autobiografischen Zusammenhänge, also „wer man war“ und „was man im Leben gemacht hat“, sondern oft auch zum Verlust einer zentralen Kontrolle über eigene Wahrnehmung und Handlungen. Es kommt zu einer Art „Filmriss“ im eigenen Gedankenstrom.

In einem solchen Zustand, der in der Psychiatrie als dissoziativer Zustand bezeichnet wird, können keine Entscheidungen über sich selbst getroffen werden – in sehr späten Phasen der Krankheit können Betroffene kaum mehr entscheiden, ob sie aufstehen oder sitzen bleiben, weiterkauen oder schlucken wollen. Ganz allgemein können durch einen allmählichen Verlust einer zentralen Kontrolle zuerst die komplexeren Aufgaben des täglichen Lebens (z.B. die finanziell-administrativen Angelegenheiten) und später die basalen Aktivitäten des täglichen Lebens (z.B. Sich-Ankleiden, Sich-Waschen) nicht mehr von selbst erledigt werden.

Dauern dissoziative Zustände an oder häufen sie sich, wird dem Selbsterleben der Betroffenen langsam der Boden entzogen, sodass sie ihre eigenen Veränderungen häufig nicht wahrnehmen, sozusagen nicht in die Demenz mitnehmen können, über weite Strecken gleichsam ahnungslos sind. Die Wesensveränderung des Betroffenen bleibt dann paradoxerweise eine Feststellung, die nur noch Angehörige oder Pflegende machen können.

1.3 Paradoxe Pflegesituation

Wegen diesen Gegebenheiten führt Demenz zu einer völlig anderen Pflege- und Betreuungssituation als bei Krankheiten geistig intakter Menschen, die ihre Symptome und die daraus resultierenden Bedürfnisse reflektieren und ihre Entscheidungen, welche Unterstützung sie annehmen oder ablehnen möchten, selber treffen können. Menschen mit fortgeschrittener Demenz dagegen können darüber oft keine eindeutigen und zuverlässigen Angaben machen.

In solchen Situationen bekommt der Begriff Lebensqualität eine zusätzliche Dimension. Die Befragung der Betroffenen um ihre Befindlichkeit, die oft vergebliche Ergründung ihres eigentlichen „Willens“, das Anbieten zahlreicher Auswahlmöglichkeiten können bei den Betroffenen Angst und Leiden noch verstärken. Lebensqualität würde für den Bewohner in dieser Situation bedeuten, dass seine Bedürfnisse durch andere Menschen wahrgenommen, erraten, gedeutet und möglichst erfüllt werden.

1.4 Demenz und Würde

Von außen betrachtet kann eine solche Unterstützung als Übergriffaufgefasst werden, als ethischer Fehler, indem die Würde des Betroffenen tangiert sein kann. Gerade bei demenziellen Erkrankungen ist der Appell an die Würde der Betroffenen zwar wichtig und notwendig, hilft aber dem um eine Entscheidung seines Handelns ringenden Helfer im pflegerischen Alltag oft recht wenig. Wenn eine Hilfestellung für einen Menschen mit fortgeschrittener Demenz vor dem Hintergrund der krankheitsbedingten Gegebenheiten geschieht, kann die Würde des Betroffenen aber durchaus gewahrt werden. Würdelos – weil Leid verstärkend – hingegen ist es, ihn zu überfordern.

1.5 Medizinische Diagnostik und Pflegekonzepte

Medizinische Erfassungsskalen, wie z.B. der häufig verwendete Minimentalstatus nach Folstein, das Zeichnen einer Uhr oder eine Erfassung von Alltagsressourcen, mit denen versucht wird, aufgrund von Ressourcendefiziten einen „Schweregrad“ der Krankheit zu erfassen, helfen bei der alltäglichen Betreuung und Pflege oft nicht weiter.

Auch bestimmte Pflegekonzepte, die das oft rätselhaft wirkende Verhalten der Betroffenen vor einem bestimmten Hintergrund zu deuten und in ein bestimmtes Schema zu zwängen versuchen, z.B., dass ein Bewohner ausschließlich in der „Vergangenheit“ lebt und seine Umgebung und Betreuung entsprechend gestaltet werden sollten, müssen hinterfragt werden.

Jeder demenzbetroffene Mensch erlebt seine veränderte Wahrnehmung und fragmentierte Erinnerung nämlich unterschiedlich und verknüpft seine oftmals zerrissenen Gedanken immer wieder neu. Darum erleben Pflegende und Angehörige das Bild der mittelschweren bis fortgeschrittenen Demenz als sehr wechselhaftes Geschehen. Geistige Höchstleistung zeigt sich dann gleichzeitig neben geistiger Fehlleistung. Die Gewissheit über sich selbst und den eigenen Körper kann von einem Moment zum anderen verloren gehen.

1.6 Das „dritte“ Auge und Ohr entwickeln

Viele Pflegende und Angehörige von Patienten mit einer Demenz sind über die Jahre der Betreuung wahre Künstler einer hilfreichen, aber diskreten