Was ist Psychoanalyse – Eine Einführung - Alfred Rink - E-Book

Was ist Psychoanalyse – Eine Einführung E-Book

Alfred Rink

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Beschreibung

Seit ihrer Entdeckung gehört die Psychoanalyse zu den prägenden Einflüssen des 20. Jahrhunderts. Nachhaltig hat sie auf Geistes- und Sozialwissenschaften eingewirkt. In der Öffentlichkeit wird sie aber im Regelfall mit den Erkenntnissen ihres Begründers, des Wiener Nervenarztes Sigmund Freud, gleichgesetzt. Die weitere Entwicklung der Psychoanalyse, insbesondere durch die Arbeiten von Joseph Sandler oder auch Melanie Klein, sind der Öffentlichkeit deutlich weniger bekannt. In dieser, für den interessierten Laien geschriebenen Einführung, wird versucht, diese Lücke zu schließen. Elemente der psychoanalytischen Theorie werden um viele praktische Behandlungs- und Therapiebeispiele ergänzt.

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Seitenzahl: 188

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 3

Widmung 4

Danksagung 5

Vorwort 6

Genderhinweis 7

1 Einleitung 8

2 Das Unbewusste 10

3 Die Triebe 12

4 Die Entwicklung der inneren Welt 15

4.1 Unbewusste Fantasien 15

4.2 Spaltung, Introjektion, Projektion 17

4.3 Paranoid-schizoide Position 20

4.4 Depressive Position 24

5 Zur Konflikttheorie der Psychoanalyse 26

5.1 Psychoanalytische Modelle 26

5.2 Von der Triebtheorie zur Motivationstheorie 34

5.3 Die Abwehrmechanismen 35

6 Zur Entwicklung der Psychosexualität 39

6.1 Vorbemerkung 39

6.2 Infantile Sexualität 40

6.3 Geschlechtsidentität 45

6.4 Ödipuskomplex 49

6.5 Schlussbemerkung 54

6.6 Und was ist mit der Liebe? 57

7 Weitere zentrale Elemente der psychoanalytischen Theorie und Praxis 60

7.1 Vorbemerkung 60

7.2 Neid 60

7.3 Eifersucht 70

7.4 Narzissmus 73

7.5 Freie Assoziation 77

7.6 Traum und Traumdeutung 78

7.7 Fehlleistungen 85

8 Psychoanalyse als Therapie 87

8.1 Psychische Erkrankungen 87

8.2 Der Behandlungsrahmen 91

8.3 Übertragung und Gegenübertragung 94

8.4 Darstellung einer psychoanalytischen Behandlung 99

8.4.1 Vorbemerkung 99

8.4.2 Behandlungsbericht 99

8.4.3 Zur Essstörung 121

9 Weitere Anwendungen der Psychoanalyse 124

9.1 Vorbemerkung 124

9.2 Psychoanalytische Filminterpretation („Taxi Driver“) 126

10 Zur Ausbildung 136

11 Zum Leib-Seele-Problem 138

12 Literatur 144

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-172-1

ISBN e-book: 978-3-99130-173-8

Lektorat: Dr. Annette Debold

Umschlagfoto: Pop Nukoonrat | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Alfred Rink

www.novumverlag.com

Widmung

Für

Lisa-Marie,

Sarah-Sophie,

Eva-Lotta,

Max und

Nele

Danksagung

Dieses Buch ist das Ergebnis eines unabgeschlossenen Lernprozesses. Viele Menschen haben mich dabei unterstützt und begleitet. Mein Dank gebührt insbesondere meinen psychoanalytischen Lehrer*innen und Kolleg*innen. Meiner Ehefrau Christiane danke ich für ihre Geduld und Offenheit, und schließlich gilt mein Dank allen Patient*innen, dass ich so viel von ihnen lernen durfte.

Vorwort

Seit ihrer Entdeckung gehört die Psychoanalyse zu den prägenden geistigen Einflüssen des 20. Jahrhunderts. Sie hat die Geistes- und Sozialwissenschaften nachhaltig beeinflusst. Viele ihrer Konzepte und Begriffe sind, wenngleich häufig leider allzu verwässert oder verzerrt, in den allgemeinen Sprachschatz aufgenommen worden.

Und recht häufig war und ist die Psychoanalyse Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher sowie wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, was sicherlich auch mit den unangenehmen Wahrheiten oder Hypothesen zu tun hat, mit denen die Psychoanalyse die Menschen konfrontiert.

Es gibt daher neben den vielen wissenschaftlichen, also für ein Fachpublikum veröffentlichten Artikeln und Büchern auch eine umfangreiche Bibliothek an sogenannter populärwissenschaftlicher Literatur, die sich eher an den interessierten Laien wendet. Darunter fallen eine ganze Reihe von Beiträgen, die sich mehr oder weniger kritisch mit Sigmund Freud befassen. In vielen Fällen besteht dann die eigentliche Absicht darin, über die „kritische Würdigung“ der Person des Gründers, die Psychoanalyse selbst zu treffen.

Auch das hier vorliegende Buch wurde in erster Linie für den interessierten Laien geschrieben. Denn obwohl sich seit Sigmund Freuds Entdeckungen die Psychoanalyse so wie jede andere Wissenschaft natürlich weiterentwickelt hat, wird in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit die Psychoanalyse allerdings noch im Regelfall mit den Erkenntnissen Sigmund Freuds gleichgesetzt. Insbesondere die Arbeiten Melanie Kleins, vielleicht der bedeutendsten Psychoanalytikerin nach Freud, sind eher unbekannt geblieben.

In dieser Einführung in die Psychoanalyse wird sich daher auf die Darstellung dieser Linie von Freud zu Freuds Nachfolgern (Brenner 1981; Sandler 1987; Sandler und Sandler 1999) und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse Melanie Kleins (Caper 2000; Frank und Weiß 2002; Segal 1994) beschränkt. Dies entspricht auch im Prinzip der Hauptlinie der Psychoanalyse, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass sich die Psychoanalyse an ihrer wissenschaftlichen Front, wie z. B. auch die theoretische Physik, in eine Reihe von teilweise doch recht unterschiedlichen Richtungen differenziert hat.

Genderhinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Formulierungen oder Darstellungen gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.

1 Einleitung

Die Psychoanalyse ist eine wissenschaftliche Disziplin, die Ende des 19. Jahrhunderts von dem Wiener Nervenarzt Sigmund Freud begründet wurde und auch heute noch unlösbar mit seinem Namen verbunden ist.

Freud sah in der Psychoanalyse erstens ein Verfahren zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind, zweitens eine Behandlungsmethode psychischer Erkrankungen und drittens eine Reihe von Theorien hinsichtlich Struktur, Entwicklung und Funktionsweise der menschlichen Psyche (Freud 1940).

Im Zentrum der psychoanalytischen Theorien steht dabei die Vorstellung des unbewusst psychischen Funktionierens der normalen als auch der weniger normalen psychischen Prozesse, sodass man vereinfacht unter Psychoanalyse auch die Wissenschaft vom Unbewussten verstehen kann.

Die Psychoanalyse ist damit keine philosophische Schule, sondern vielmehr ein empirischer Zugang zur Seele mit einer eigenen spezifischen klinischen Methode.

Sie verfügt über eine eigene Untersuchungsmethode, eine differenzierte Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie, eine daraus abgeleitete Krankheitslehre und eine umfassende Behandlungsmethode.

Das Ziel einer psychoanalytischen Untersuchung ist also das Verstehen der vor allem unbewussten Bedeutung von Handlungen, Gedanken, Fantasien, Gefühlen, Träumen, Fehlleistungen, Wahnvorstellungen oder künstlerischen wie auch wissenschaftlichen Leistungen.

In diesem Sinn repräsentiert die Psychoanalyse eine spezifische Form der unaufhörlichen Wahrheitssuche, wie Freud es einmal ausdrückte, und folglich besitzt sie ein ruhestörendes, unbequemes und sogar angstmachendes Element, wenn sie die Menschen mit ihren individuellen und kollektiven Selbsttäuschungen, Illusionen, Wahrnehmungsstörungen, Tiefen und Untiefen konfrontiert.

2 Das Unbewusste

Wie schon in der Einleitung ausgeführt, finden alle psychischen Vorgänge, dazu gehören Gefühle, Vorstellungen, Gedanken, Wünsche, Erinnerungen, Wahrnehmungen, Träume und Fantasien, nicht nur auf einer bewussten, sondern auch und sogar überwiegend auf einer unbewussten Ebene statt.

Eine dazu häufig verwendete Illustration ist der Vergleich mit einem Eisberg, der nur zu etwa 15 % sichtbar und zu etwa 85 % unterhalb der Wasseroberfläche, in der Tiefe des Ozeans, nicht sichtbar für die Seefahrer, dahintreibt.

Aber auch wenn die Existenz unbewusster psychischer Vorgänge heutzutage nicht mehr bestritten wird und die Begriffe„Das Unbewusste“bzw.„unbewusst“ihren festen Platz in der Umgangssprache eingenommen haben, so zeigt ihre alltägliche Verwendung, dass die populäre und umgangssprachliche Vorstellung des Unbewussten doch ziemlich weit von dem entfernt ist, was die Psychoanalyse darunter versteht.

Für die Psychoanalyse bedeutet unbewusst, dass Gefühle (z. B. Liebe, Angst, Hass, Neid usw.) unbewusst erlebt werden können, ohne dass das Individuum auf der bewussten Ebene davon etwas weiß, dass Wünsche, Gedanken und Fantasien in seinem Unbewussten existieren, die dem Bewusstsein völlig unbekannt sind und deren Bewusstwerdung in der Regel sogar unbewusst verhindert wird.

Dies bedeutet, dass eigentlich nur ein Teil des Inhalts des menschlichen Unbewussten direkt bzw. bewusst erfasst werden kann, z. B. mithilfe der Psychoanalyse, und dass der weitaus größere Teil dieses Inhalts eigentlich nur erschlossen – wiederum z. B. mithilfe der Psychoanalyse – werden kann, und auch da gibt es Grenzen.

Aber selbst wenn das Unbewusste in diesem Sinn gegenüber dem bewussten Erleben verschlossen ist, so zeigt es gleichwohl Wirkung. Damit ist gemeint, dass wie in der uns umgebenden physischen Umwelt auch in der Psyche nichts zufällig oder aufs Geratewohl geschieht, sondern dass jedes menschliche Handeln, Denken und Fühlen durch den gerade aktuellen bewussten – aber auch und manchmal überwiegend unbewussten – psychischen Zustand des Menschen bestimmt wird, wobei der aktuelle Zustand natürlich immer auch von vergangenen Zuständen, Strukturen und Erfahrungen beeinflusst ist. Und wenn Geschehnisse im psychischen Leben gleichwohl zufällig und mit nichts Anderem verknüpft zu sein scheinen, so scheint das eben nur so.

Und wer hat nicht schon die Macht des Unbewussten erfahren, in Form von unerklärlicher Angst, Niedergeschlagenheit und Selbstzweifeln, in der Unfähigkeit, sich zu entscheiden, im Rahmen irrationaler Schuldgefühle, in psychischen Symptomen und Fehlhandlungen (Vergessen, Versprechen usw.).

Eine weitere wesentliche Erkenntnis der Psychoanalyse ist, dass unbewusste Wünsche und Fantasien sich in einem Konflikt befinden können, dass z. B. ein und dieselbe Person nicht nur geliebt, sondern auch gehasst werden kann, und während die Liebe bewusst ist, bleibt der Hass unbewusst oder auch umgekehrt. Konflikte dieser Art, also z. B. zwischen Liebe und Hass, können von großer Tragweite sein und u. a. auch zu psychischen Erkrankungen führen. Und dass die menschliche Psyche sich mit ihren komplexen und komplizierten unbewussten und bewussten Wünschen und Empfindungen im Konflikt befindet, ist eher die Regel als die Ausnahme, d. h. nach Auffassung der Psychoanalyse impliziert menschliches Leben eine Kette von zu lösenden Konflikten.

3 Die Triebe

Triebe stellen Verallgemeinerungen oder theoretische Konstruktionen dar, die sich aus der Erforschung der menschlichen Wünsche ergeben.

Triebe entstammen dem Unbewussten und sind mit Beginn des Lebens wirksam. Inwieweit Triebe eine biologische Grundlage haben bzw. wie umfassend diese biologische Grundlage ist, wird zurzeit noch kontrovers diskutiert. Freud selbst hat seine Triebtheorie im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit mehrfach überarbeitet. Ist ein Trieb wirksam, so ist die (motorische) Reaktion, die zur Befriedigung des Triebs führen würde, nicht fest vorgegeben. Dies unterscheidet den Trieb u. a. vom Instinkt, der angeborenen Notwendigkeit, auf eine Gruppe von Reizen in stereotyper oder gleichbleibender Weise zu reagieren. Ein Trieb kann durch innere und/oder auch äußere Reize aktiviert werden. Die Aktivierung eines Triebes führt zu einer unlustvollen Empfindung, während die Befriedigung des Triebes mit einer lustvollen Empfindung verbunden ist.

Insbesondere die Tatsache, dass die Befriedigung eines Triebes mit einer lustvollen Empfindung verbunden ist, führt zu einer Art Verstärkung des Triebes, was sich in Form drängender Wünsche nach Wiederholung dieses Befriedigungserlebnisses äußert. Dabei spielen die konkrete Situation bzw. der konkrete Umstand als Erfahrungselement eine große Rolle. Denn aus diesen konkreten Befriedigungserfahrungen resultieren die konkreten Wünsche, die nun die zugrunde liegenden Triebe im Unbewussten repräsentieren.

Die psychoanalytische Erfahrung hat gezeigt, dass diese triebhaften Wünsche in 2 Kategorien aufgeteilt werden können.

Die eine Kategorie ist die Kategorie der erotischen Wünsche. Den entsprechenden Trieb, aus dem diese Wünsche entspringen, nannte FreudLebenstriebbzw. die damit verbundene psychische KraftLibido. Die erotischen Wünsche hängen sehr stark mit den sogenannten erogenen Zonen zusammen und können durch diese auch aktiviert werden. Zu den erogenen Zonen gehören natürlich die Genitalien, Anus, Mund und auch die Haut, aber eben auch die Sinne wie Augen, Ohren und die Riechorgane. Dass Berührungen, Sehen und Riechen sexuell stimulierend sein können, ist allgemein bekannt. Für die Psychoanalyse umfasst der Begriff„sexuell“im Grunde dieselben Erlebnisse, die umgangssprachlich als sinnlich bezeichnet werden, d. h. die Psychoanalyse versteht unter Sexualität oder Erotik etwas viel Umfassenderes, als dies üblicherweise der Fall ist. Dazu aber später mehr.

Die andere Kategorie umfasst die aggressiven Wünsche, also Wünsche nach Zerstörung und Vernichtung. Da diese Wünsche sich auch gegen das eigene Selbst richten können, nannte Freud den zugrunde liegenden TriebTodestrieb.

Während aber Sigmund Freud versuchte, auch den Todestrieb biologisch zu begründen, verzichtete Melanie Klein darauf, da sie der Auffassung war, dass der Konflikt zwischen dem Lebenstrieb und Todestrieb in rein psychologischen Begriffen formuliert werden kann. Für sie wurzelt der Todestrieb von Beginn an in dem Drang, alle Bedürfnisse (nach Wärme, Gehaltensein, Sättigung) bzw. die Wahrnehmung dieser Bedürfnisse zu tilgen bzw. zu vernichten. Oder, da jeglicher Schmerz im Bedürfnis zu leben wurzelt, das Leben selbst zu vernichten.

Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Todestrieb nicht nur nach innen, sondern in abgelenkter Form als Aggressionstrieb auch nach außen wirkt. Und derjenige Teil des Todestriebs, der nach außen gerichtet ist, kann wiederum zwei unterschiedlichen Absichten dienen. Einmal, wie schon erwähnt, dient dieser der Zerstörung und Vernichtung, aber eben auch der Verteidigung und letztlich damit der Lebenserhaltung, insbesondere bei Mischung mit dem Lebenstrieb.

Lebenstrieb und Todestrieb können sich also mischen oder auch wieder entmischen. So stellt z. B. der Akt des Essens für Freud eine solche Mischung dar, denn das, was vielleicht lustvoll gegessen werden soll, muss dazu zerstört werden. Dieses Mit- und Gegeneinanderwirken der beiden Grundtriebe ergab für Freud die ganze Buntheit der Lebenserscheinungen, wobei mit Gegeneinanderwirken gemeint ist, dass sich die Grundtriebe im Konflikt miteinander befinden. Vereinfacht formuliert sind übrigens Hass und Liebe die beiden zentralen Abkömmlinge dieser Grundtriebe, die sehr wohl auch völlig unbewusst bleiben können.

Aber auch wenn die Triebe bzw. die daraus resultierenden konkreten Wünsche für die menschliche Psyche zentrale Motivatoren darstellen, sollte schon jetzt darauf hingewiesen werden, dass diese nicht die alleinigen Motivatoren sind (siehe Kap. 5.2).

4 Die Entwicklung der inneren Welt

4.1 Unbewusste Fantasien

Von Geburt an lebt der Mensch in zwei Welten, einer äußeren, realen Welt und einer inneren Welt, einer Fantasiewelt, die aber überwiegend, insbesondere zu Anfang, zutiefst unbewusst ist.

Während die äußere Welt quasi vorgefunden wird, entwickelt sich die innere Welt als Niederschlag der unbewussten Fantasien, die die inneren und äußeren Reize, denen der Säugling von Beginn an ausgesetzt ist, begleiten.

Zu den inneren Reizen gehören natürlich auch die Triebe. Der psychische Ausdruck der Triebe sind die unbewussten Fantasien, also mit Empfindungen aufgeladene Vorstellungen. Beispielsweise kann die schmerzliche Empfindung des Hungers mit der Vorstellung (Fantasie) beantwortet werden, dass es jemanden gibt, der diesen Hunger beseitigt.

Oder der Säugling, der zufrieden Nuckelgeräusche von sich gibt oder an den Fingern lutscht, drückt damit vielleicht die unbewusste Fantasie aus, tatsächlich gestillt zu werden und das ihn stillende Objekt zu besitzen. Da Triebe von Geburt an wirksam sind, dürfen auch von Geburt an unbewusste Fantasien vermutet werden, wobei diese frühen Fantasien eher als somatische denn als psychische Empfindungen erlebt werden.

Aber nicht nur die Triebe lösen unbewusste Fantasien aus, sondern auch alle anderen inneren Erfahrungen und Empfindungen (Gefühle), z. B. Angst und natürlich auch die Erfahrungen, die sich aus den Beziehungen zu den Eltern, Geschwistern usw. (Umwelt) ergeben.

Ja selbst Fantasien können wiederum Fantasien auslösen, z. B. im Dienste der Abwehr von Zumutungen der inneren oder äußeren Realität. Während die frühen Fantasien sensorisch noch wenig strukturiert sind und sich eher diffus zeigen, kommt es im Laufe der Entwicklung zu immer komplexeren und differenzierten Fantasiebildungen, die schließlich auch sprachlich ausdrückbar sind und beispielsweise über künstlerische Leistungen auch in das Bewusstsein dringen können, wobei diese späteren Fantasien die früheren nicht ersetzen, sondern nur überlagern und zum Beispiel im Rahmen intensiver Angsterfahrungen jederzeit wieder aktiviert werden können.

Bezogen auf das zuvor vorgestellte Konzept des Unbewussten könnte man sagen, dass der gesamte psychische Inhalt des Unbewussten aus unbewussten Fantasien besteht. Es gibt keinen Impuls, kein triebhaftes Bedürfnis, das nicht als unbewusste Fantasie erlebt wird, d. h., der Gehalt aller augenblicklich vorherrschenden Bedürfnisse oder Gefühle (Wünsche, Befürchtungen, Ängste, Siegesgefühle, Liebesregungen usw.) wird über unbewusste Fantasien ausgedrückt.

Unbewusste Fantasien befinden sich in einer ständigen Wechselwirkung mit der Umwelt (Realität). Das heißt, während die gerade vorherrschenden unbewussten Fantasien, also der gerade akute Zustand der inneren Welt, die Wahrnehmung der äußeren Welt mehr oder weniger stark unbewusst beeinflusst – ein verliebter Mensch nimmt die Welt anders wahr als ein Mensch, der trauert –, so beeinflusst natürlich auch die reale Erfahrung die unbewusste Fantasie. Ein Kind, das vielleicht aufgrund seines inneren Zustands sehr wütend, womöglich voller Hass ist, dessen unbewusste Fantasie wird durch eine verständnisvolle Umwelt anders modifiziert als durch eine Umwelt, die selbst voller Hass ist.

Und insbesondere im Säuglings- und Kleinkindalter besitzt die Umwelt eine außerordentlich nachhaltige Wirkung. Daraus folgt aber nicht, dass es ohne eine schlechte Umwelt keine aggressiven und verfolgenden Ängste und Fantasien gäbe.

Unbewusste Fantasien, und dies gilt besonders für die unbewussten Fantasien des Säuglings- und Kleinkindalters, werden häufig nicht nur als real, sondern auch als allmächtig erlebt. So können z. B. feindselige Wünsche gegenüber einem Bruder oder einer Schwester, sollte diesem Bruder oder der Schwester tatsächlich etwas zustoßen, psychisch so erlebt werden, als hätten die feindlichen Wünsche dieses Unglück bewirkt, was dann entsprechend zu intensivsten Schuldgefühlen führen kann.

Daraus ergibt sich auch die lebenslange Aufgabe, zwischen Fantasie und Realität unterscheiden zu lernen. Letztlich auch eines der Ziele jeder psychoanalytischen Therapie. Im besten Sinne stellen dann unbewusste Fantasien Hypothesen dar, die mithilfe der Realität getestet werden können.

Schließlich bleibt noch nachzutragen, dass unbewusste Fantasien nahezu immer in Form einer Beziehung zu einem Objekt (einem bedeutsamen Anderen) gebildet werden, d. h. das Erleben von Angst z. B. wird immer als Bedrohung durch ein Objekt fantasiert, in welch mehr oder weniger rudimentären Form auch immer. Eine Fantasie, die einen sexuellen Wunsch repräsentiert, wird nicht nur die Art des Begehrens gegenüber einem Objekt, sondern ebenso auch die erwünschte Reaktion des Objekts enthalten.

4.2 Spaltung, Introjektion, Projektion

Unter den mannigfaltigen unbewussten Fantasien, die im Laufe der Entwicklung der inneren Welt des Individuums gebildet werden, sind 3 Typen hervorzuheben, die vor allem zu Beginn des Lebens eine große Rolle spielen. Zuvor macht es aber Sinn, die Unterscheidung zwischen einem Mechanismus und einer Fantasie einzuführen.

Mechanismenstellen Abstraktionen konkreter Fantasien dar und gehören als solche nicht zum erlebnishaften Bereich. Mechanismen dienen in der Regel der Abwehr von Störungen des psychischen Gleichgewichts und werden daher üblicherweise als Abwehrmechanismen bezeichnet. Einer der umgangssprachlich populärsten psychischen Abwehrmechanismen ist die sogenannte Verdrängung.

Fantasienwiederum repräsentieren gegenüber den abstrakten Mechanismen die konkrete Gestalt, stellen also den konkreten Inhalt dar und gehören damit zum erfahrbaren psychischen Bereich. So könnte der unbewusste Abwehrmechanismus der Verdrängung beispielsweise durch die unbewusste Fantasie eines Staudamms konkretisiert werden.

Wenn also weiter oben von Fantasietypen gesprochen wurde, so sind damit eigentlich entsprechende Abstraktionen, also Mechanismen gemeint, und die 3 Mechanismen, die vor allem in der ersten Phase des Lebens eine große Rolle spielen, sind die Spaltung, Introjektion und Projektion.

Spaltungbedeutet, dass im psychischen Erleben Dinge, die eigentlich zusammengehören, getrennt bzw. auseinandergerissen werden. Spaltungen bewirken zum Beispiel, dass Personen des Umfelds, die über gute und auch weniger gute Seiten verfügen, temporär oder auch dauerhaft in nur gute oder nur böse Personen gespalten werden. Spaltungen betreffen aber nicht nur die Umwelt, auch die eigene Persönlichkeit kann unbewusst in einen nur guten Teil und einen entsprechenden bösen Teil gespalten werden.

Für den Säugling und auch das Kleinkind stellen Spaltungen aber notwendige Hilfen dar, denn sie geben der frühen, konflikthaften inneren Welt eine erste Struktur, in der die „guten“ Erfahrungen vor den „bösen“ Erfahrungen geschützt werden. Kinder zeigen diese Tendenz oft in ihrem Spiel, wo die Welt in Räuber und Gendarm, Cowboys und Indianer gespalten ist.

Erwachsene wiederum sollten idealerweise weniger darauf angewiesen sein. Gleichwohl greifen auch Erwachsene immer wieder im Rahmen innerer oder äußere Krisen auf diesen Abwehrmechanismus zurück. Pathologische Spaltungen stellen andererseits ein grundlegendes Charakteristikum jeglicher Form von Terrorismus oder Fanatismus dar.

So weit wie religiöse Radikalismen und politische Heilslehren inhaltlich auch auseinanderliegen, immer findet sich die Aufspaltung der Welt in Gut und Böse und in letzter Konsequenz die Fantasie, durch die Vernichtung der entsprechenden religiösen, politischen oder nationalen Menschengruppe, auf die das Böse bzw. Minderwertige projiziert wird, lasse sich mit einem Schlag wieder eine gerechte, ideale und reine Welt herstellen.

Überall, wo Menschen zutiefst von Angst oder Hass überflutet werden, spalten sie die Welt in Gut und Böse. Alles Gute wird im Binnenraum der eigenen Gemeinschaft beschworen, alles Widersprüchliche und Bedrohliche wird hasserfüllt auf das Fremde projiziert.

Und damit sind wir bei der sogenannten Projektion. Bei derProjektionhandelt es sich um einen Mechanismus, dem die Fantasie zugrunde liegt, dass etwas psychisch oder auch körperlich ausgestoßen und in die Umwelt bzw. eine Person der Umwelt hineingebracht wird. Dabei kann zwischen verschiedenen Ebenen und Zielen unterschieden werden. Auf einer höheren oder auch reiferen Ebene geht es mehr darum, eine unerwünschte, als quälend empfundene Eigenschaft loszuwerden, z. B. Neid, nach dem Motto:„Nicht ich bin neidisch, er oder sie ist es.“

Auf einer tieferen oder auch ursprünglicheren Ebene werden weniger Eigenschaften, sondern Teile der Persönlichkeit projiziert, mit den unterschiedlichsten Absichten. Diese Art der Projektion wird in der Regel alsprojektive Identifizierungbezeichnet, da es dabei nicht nur darum geht, einen unerwünschten Persönlichkeitsanteil loszuwerden, in jemanden hineinzuprojizieren, sondern auf subtile Weise dafür zu sorgen, dass sich dieser Jemand mit dem Projizierten auch identifiziert. Die projektive Identifizierung hat mannigfache Ziele. Sie kann dazu dienen, böse Anteile loszuwerden, aber auch das Objekt, dem die Projektion gilt, in der Fantasie auf diese Weise zu kontrollieren, anzugreifen oder auch zu zerstören.

Fantasierte gute Persönlichkeitsanteile wiederum können projiziert werden, um sie auf diese Weise vor inneren Gefahren zu schützen oder um das schmerzliche Gefühl von Getrenntsein zu vermeiden, d. h., das gute Objekt ist verschmolzen mit dem Subjekt, ist Teil des Subjekts, und es gibt daher keine Abhängigkeit mehr.

DieIntrojektionwiederum ist ein Mechanismus, dem die Fantasien zugrunde liegen, dass etwas in die innere Welt oder sehr konkret in den eigenen Körper hineingenommen wird und dort evtl. ein Eigenleben führt.

Introjektionsfantasien haben ebenfalls unterschiedliche Ziele. So kann einmal fantasiert werden, dass gute Aspekte der Außenwelt ein Teil der inneren Welt werden, um diese dann zu besitzen, mit ihnen zu verschmelzen oder auch um diese vor fantasierten Bedrohungen zu schützen. Ebenso, wenn auch vielleicht seltener, dient die Introjektion der Absicht, äußere Gefahren in die innere Welt hineinzunehmen, um diese dann auf solche Weise kontrollieren zu können.

Die Ausbildung bzw. Entwicklung insbesondere der psychischen Funktionen Introjektion und Projektion geschieht in Anlehnung an die ersten Körperfunktionen, d. h., in Anlehnung an das Auf- und Hineinnehmen über Mund, Augen und Nase entwickelt sich die Introjektion, während sich die Projektion in Anlehnung an das Ausscheiden über Mund und insbesondere auch Anus bildet.

4.3 Paranoid-schizoide Position

Auch wenn zurzeit angenommen wird, dass die Differenzierung des menschlichen Organismus in eine körperliche und psychische Funktionsweise schon vor der Geburt stattfindet und damit der Säugling von Geburt an über eine rudimentäre psychische Organisation namensIchverfügt, so wird gleichwohl noch darüber gestritten, inwieweit der Säugling nach seiner Geburt zwischen sich und seiner Mutter (Umwelt) unterscheiden kann. Wahrscheinlich trifft beides zu, d. h., in Zuständen von Geborgensein und Sattsein wird der Säugling eher die Mutter als ungetrennt, als Teil von sich selbst erleben, während in Situationen von Schmerz und Verzweiflung der Säugling sich eher als von ihr getrennt erleben wird.

In diesem Zusammenhang spielen natürlich die von Beginn an wirksamen Triebe, also der Lebenstrieb und der Todestrieb eine bedeutsame Rolle.

Denn ebenso wie der Säugling einer einerseits angstmachenden Umwelt (Schmerz, Kälte, Hunger) als auch andererseits einer lebensspendenden Umwelt, wie der Liebe und Wärme, dem Versorgtwerden durch die Eltern, ausgesetzt ist, ist er auch mit dem angeborenen Konflikt von Lebens- und Todestrieb konfrontiert, wobei der Todestrieb in Form von unbewussten Fantasien, von verfolgenden, bedrohlichen Objekten erlebt wird.

Dies führt dazu, dass insbesondere in den ersten Monaten der Säugling starken Stimmungsschwankungen ausgesetzt ist. Augenblicke des Gesättigtseins und Wohlbehagens, auf die der Säugling mit freudigem Glucksen und anderen Anzeichen von Zufriedenheit reagiert, werden von Fantasien begleitet, mit einem nur guten wunscherfüllenden Objekt (Mutter) verschmolzen zu sein, während in Phasen von Hunger, Schmerz und damit verbundener Verzweiflung der Säugling den guten Zustand oder das gute Objekt für immer verloren zu haben glaubt bzw. sich einem bösen Objekt ausgeliefert zu sein fantasiert.