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Lebenskünstler nutzen die "Ressource Ich", um vital, ausgeglichen und rundum zufrieden zu bleiben. Dieses Buch regt an, die eigenen Glücksquellen zu finden und zu nutzen. In einem ganz besonderen ABC der wichtigsten Begriffe der Lebenskunst gibt es Anstöße zur Selbstreflexion, um diese Quellen anzuzapfen: • Wie Sie mit Achtsamkeit aus wenig viele glückliche Momente erschaffen. • Durschauen und durchbrechen Sie Ihre Denkgewohnheiten! • Erkennen Sie Ihre Energiespender, entlarven Sie Energieräuber. • Wie Sie Burnout vorbeugen und resilienter werden. • Warum es nie zu spät ist, sich eine schöne Kindheit zu erschaffen. • Wie Sie mit Kränkungen und Verletzungen umgehen und souverän bleiben. • Wie produktive Unruhe Ihre Zufriedenheit fördert. Diese konkrete und alltagstaugliche Form der Selbstsorge ist dabei keinesfalls egoistisch, sondern bezieht auch andere mit ein. Sie basiert auf den langjährigen Erfahrungen des Autors in seiner Beratungs- und Seminarpraxis und auf neuesten Forschungserkenntnissen. Lesen Sie, wie Sie den Lebenskünstler in sich erwecken – konkret, alltagsauglich und realistisch!
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Seitenzahl: 418
Harald Görlich
Was Lebenskünstler richtig machen – von Achtsamkeit bis Zufriedenheit
Mit einem Geleitwort von Jörg Fengler
Professor Dr. Harald Görlich
E-Mail: [email protected]
www.harald-goerlich.com
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Internet: www.schattauer.de
Printed in Germany
Lektorat und Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani
Umschlagabbildung: © 2008 johny schorle, photocase.de
ISBN 978-3-7945-9043-8
Marie-Kristin und Stefan.
Für eine wirklich gute Reise durch das Leben!
Der Autor dieses Buches, Prof. Dr. Harald Görlich, hat sich ein anspruchsvolles Ziel gesetzt.
Er will von A wie Achtsamkeit bis Z wie Zufriedenheit seine spürbar über Jahre hinweg gesammelten Erkenntnisse zum Thema Lebenskunst darstellen. Er lädt Leserinnen und Leser kontinuierlich dazu ein,
die Angebote zur Lebenskunst-Gestaltung zu untersuchen,
die eigene Praxis auf diesem Gebiet neugierig zu reflektieren,
sich von manchen Gewohnheiten und Illusionen zu verabschieden und
eine gesellschaftsverträgliche Form der Selbstfürsorge zu entwickeln.
Dabei spricht er auch Kontraindikationen aus: Bei seelischen und körperlichen Erkrankungen sind psychotherapeutische und medizinische Behandlungen erforderlich, die über die Pflege der Lebenskunst erheblich hinausgehen. Bei beiden geht es um Heilung, Prävention, Rehabilitation und Nachhaltigkeitssicherung.
Der Autor verbindet in seinen Kapiteln Erkenntnisse aus Pädagogik und Sozialer Arbeit, Medizin und Psychologie, Soziologie und Geschichte, Philosophie und Theologie. Diese Multiperspektivität wird dem Gegenstand in besonders erfrischender, zum Nachdenken anregender Weise gerecht und vermittelt eine Haltung heiterer Gelassenheit. Die Verantwortung liegt dabei nicht beim Autor, sondern bei der Leserschaft. Diese entscheidet in jedem Kapitel, welche dieser Angebote sie annehmen, ablehnen oder variieren will.
Jeder Abschnitt des Buches beginnt mit einem Fallbeispiel. Danach folgen Tatsachen und Reflexionen über Chancen und Grenzen, Empfehlungen, Risiken und Entwicklungsmöglichkeiten, Licht und Schatten sowie Handlungsoptionen. Die Darstellung endet jeweils mit einem pointierten Satz, also Aphorismus, Zitat, Gedichtzeile usw., die wir als Bestätigung des zuvor Gesagten, aber auch als dosierte Verstörung eines eigenen Denkmusters auf diesem Gebiet verstehen können.
In einigen Passagen setzt sich der Autor sehr dezidiert mit Fehlhaltungen und Fehlentwicklungen auseinander, z.B. bei Wünschen und Angeboten zur Leistungs-„Optimierung“ und Schönheits-Steigerung, in der Werbung, der Kommunikation von TV- ModeratorInnen und dem Einsatz von MotivationstrainerInnen. Aber danach kehrt er stets zu Alternativen zurück, die authentische Lebenskunst ermöglichen.
Ich empfehle, an jedem Tag nur ein Kapitel dieses klugen, besonnenen Textes zu lesen – am besten am Morgen, um dann den Tageslauf als Beobachtungs- und Reflexionsstrecke zu nutzen. Dadurch wird das Buch zu einer wohltuenden Selbstkonfrontation, die sich über einen ganzen Monat hin erstreckt und somit eine nachhaltige Wirkung auf unsere gelebte Lebenskunst entwickeln wird.
Während der Lektüre stiegen in mir immer wieder Bilder und Erlebnisse des Wiedererkennens und des Dankes auf.
Der Autor bezieht sich leichtfüßig auf die griechische Mythologie wie auch den von Buddha und Aristoteles beschriebenen Mittleren Weg. Er zitiert aus der Bibel und spricht über Meditationspraxis in Europa. Er beruft sich auf Viktor Frankl, der als Gegen-Position zu Freud die Sinnpsychologie entwickelt hatte. Frankl betont die Unsicherheit der menschlichen Existenz, die aller Planung Grenzen setzt und zur Selbstversöhnung in der Gegenwart einlädt.
Harald Görlich tritt trivialen Erfolgsrezepten ebenso energisch entgegen wie er Sprachkritik an allzu optimistischen Sprüchen übt („Man kann alles erreichen, wenn man nur will“). Stattdessen lädt er dazu ein, nicht nur das Glück zu suchen, sondern sich auch mit den eigenen Unzulänglichkeiten zu versöhnen. Diesen Aspekt der Reifung hat C.G. Jung in seinen Werken ausführlich behandelt. Er nannte dies die Auseinandersetzung mit dem Archetypus des eigenen Schattens und betonte: „Es geht nicht darum, ein vollkommener, sondern ein vollständiger Mensch zu werden.“
Im Blick auf das ganze Leben nimmt Harald Görlich also eine korrigierende Haltung der verbreiteten Chancenliteratur gegenüber ein und wirbt für eine Haltung vorsichtiger Zuversicht.
Dieses Buch ist ein wirkliches Geschenk. Ich wünsche allen Lesenden, dass sie ihre Praxis der Lebenskunst durch die Lektüre erweitern und diese auch anderen Menschen vermitteln können.
Prof. Dr. Jörg Fengler
em. Professor der Psychologie der Universität zu Köln
Arbeitsschwerpunkte: Klinische und pädagogische Psychologie
Die Zusammenarbeit mit meiner Lektorin, Frau Dr. Nadja Urbani, war ganz ausgezeichnet und ermutigend. Ihre große Sorgfalt beim Bearbeiten des Textes, ihr Fingerspitzengefühl und ihre wohlwollenden Anregungen sind für mich Zeichen bester Kompetenz und Unterstützung gewesen, für die ich mich nachdrücklich bedanke.
Nicht wenige Menschen haben mich – neben meiner Familie natürlich – in meinem Denken und damit in meiner Arbeit beeinflusst; ich habe von ihnen lernen können und oft genug andere Sichtweisen erfahren als die bisherigen, womit sich mir durchaus „neue Welten“ erschlossen. Sie alle unterstützten mich, und nach all den vielen Jahren und Jahrzehnten möchte ich mich bei diesen bedanken, die wahrscheinlich oft genug gar nicht einschätzen können, welch wichtigen Beitrag sie für mich geleistet haben. An erster Stelle und mit allergrößter Wertschätzung nenne ich meinen wichtigsten akademischen Lehrer an der Universität Mannheim, em. Professor Dr. Günther Groth, der mir die Philosophie erschloss und meine Pädagogik bis heute beeinflusst. Ebenso erwähne ich den leider allzu früh verstorbenen Neuhistoriker der Universität Mannheim, Professor Dr. Manfred Schlenke, der als Persönlichkeit und Wissenschaftler einfach beeindruckend wirkte.
Auf meinem beruflichen Weg hatte ich das Glück, in jungen Lehrerjahren auf den damaligen Schulleiter des Wirtschaftsgymnasiums West in Stuttgart, Oberstudiendirektor Dr. Gernot Kugler, zu treffen, dem ich viel verdanke. Mit beeindruckenden Persönlichkeiten durfte ich später im baden-württembergischen Kultusministerium zusammenarbeiten. So vor allem mit dem ehemaligen Leiter des Referats für überregionale und internationale Angelegenheiten, Leitender Ministerialrat Horst Jansen, und vor allem dem ehemaligen Leiter des Grundsatzreferats, Ministerialrat Klaus Happold, der mir eines meiner erfahrungsreichsten und schönsten Berufsjahre ermöglichte. Während meiner Zeit als Politikberater im Landtag von Baden-Württemberg traf ich auf den früheren Landtagsabgeordneten und Staatssekretär im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium, Josef Dreier, der mir bis heute als Vorbild eines Volksvertreters gilt und dessen Arbeit ich einige Zeitlang begleiten durfte. Praktische Menschenführung auf der Basis eines ethischen Fundaments habe ich von diesen Personen lernen können.
In Fort- und Weiterbildungen haben dieses Lernen vor allem Dr. Diana Drexler vom Wieslocher Institut für systemische Lösungen und em. Professor Dr. Jörg Fengler von der Universität zu Köln unterstützt; meine psychologischen Studien haben durch sie eine hervorragende Fundamentierung erhalten. Erwähnen muss ich auch Wolfgang Stabentheimer, der Gründer von Future und Führungskräftetrainer, der mich vor etlichen Jahren mit seinen ungewöhnlichen, unorthodoxen, jedoch sehr fundierten Führungsseminaren nachhaltig in Erstaunen versetzt hat.
Auch der ehemalige Staatssekretär im baden-württembergischen Staatsministerium, Hubert Wicker, den ich gerne viel früher kennengelernt hätte, setzte beeindruckende Akzente; ebenso der von mir sehr geschätzte Süßener Allgemeinmediziner Dr. Matthias Albani.
Zum Schluss will ich sehr weit zurückgreifen. In meiner Kindheit war ein Hauptschullehrer in meinem Heimatort Donzdorf von größter Bedeutung für mich: Franz Escher. Für meine Jahre auf der Realschule Süßen muss ich Karl Schenk und Karl Schäfer neben dem Schulleiter Lothar Bidlingmaier hervorheben. Später – als Schüler am Wirtschaftsgymnasium Göppingen – war es der Mathematiklehrer Kurt Weber, der, wie die Vorgenannten, meinen Wunsch, Lehrer zu werden, beförderte. Und am allerwichtigsten behalte ich den früheren katholischen Pfarrer von Süßen, den vor wenigen Jahren verstorbenen Kilian Hönle, in bedeutungsvoller Erinnerung. Er hat einen Umgang mit allen Menschen „gelebt“, der beispiellos vorbildhaft gewesen ist.
All die genannten Persönlichkeiten, so unterschiedlich und vielfältig ihre Charaktere und ihr Temperament auch gewesen sein mögen, waren und wirkten wertvoll für mich und mein Leben. Beim Schreiben des Buches hatte ich immer wieder erlebte Situationen mit ihnen vor Augen und über jedes der damit verbundenen Bilder konnte ich mich freuen. Auch im Nachhinein kann ich wertschätzend und respektvoll im übertragenen Sinne vor diesen „nur den Hut ziehen“.
Anstelle einer Einleitung:Einige in guter Absicht provozierende Vorbemerkungen
Achtsamkeit oder:Wie wenig es doch braucht, um sich zu freuen, zu staunen und sich gut zu fühlen!
Burnout oder:Ein beschönigendes Modewort, das der zugrunde liegenden Erkrankung kaum gerecht wird
Courage oder:Was die vier Kardinaltugenden mit einer Türangel zu tun haben. Und warum sie, obwohl uralt, aktueller denn je sind
Denkgewohnheiten oder:Im Guten wie im Schlechten – von der Macht der Gewohnheit
Energie oder:Energiespender erkennen, Energieräuber entlarven
Freude oder:Die Grundlage der Lebensfreude ist die Selbstannahme
Grundbedürfnisse oder:Was ist eigentlich die Basis seelischer Gesundheit?
Hedonismus oder:Auf der Suche nach dem Glück
Identität oder:Ein starkes Selbst und eine gesunde Eigenwertschätzung schützen den Menschen und machen ihn souveräner
Jugendwahn oder:„Optimierung bitte! Koste es, was es wolle.“
Krisen oder:Was uns niederwerfen kann und wie man wieder gestärkt aufsteht
Lifebalance oder:Weshalb die Rede von einer Work-Life-Balance ziemlicher Unsinn ist
Motivation oder:Wenn’s nur so einfach wäre, hätten wir ein paar Probleme weniger
Narzissmus oder:Wie man sich das Leben und vor allem das der anderen ziemlich schwer machen kann
Oxytocin oder:Neurobiologie und Hirnforschung erklären vieles, doch sollte für ein gutes Leben Philosophieren nicht vergessen werden
Pläne oder:Was soll man machen mit seiner Lebenszeit? – Von Lebenszielen und wie man sich selbst sabotieren kann
Quacksalberei oder:Mit den Dummen treibt man die Welt um und verdient sich dabei eine goldene Nase
Resilienz oder:Was ein gutes Leben in herausfordernden, gar bedrohlichen Umwelten befördert
Sinn oder:„Wer ein Warum zu leben weiß, erträgt fast jedes Wie.“
Tod oder:Worüber viele Menschen lieber nicht nachdenken wollen
Unsicherheit oder:Bitte Selbstsorge und Gestalten und kein Resignieren oder eine Flucht in idyllisch-biedermeierliche Umwelten
Verletzungen oder:Es ist nie zu spät, sich eine schöne Kindheit zu erschaffen
Wut oder:Vom klugen Umgang mit einem stürmischen Gefühl
Xanthippe oder:Über Neid, Eifersucht, Streitsucht und sonstiges allzu Menschliches bzw.:Zeit, dass wir uns mit dem Thema „Angst“ beschäftigen
Yoga oder:Ein reichhaltiges Methodenbuffet der Entspannungs- und Erholungstechniken ist angerichtet
Zufriedenheit oder:Sie steht im Schatten des großen Glücks und benötigt doch auch produktive Unruhe als Gegenpol
Anstelle eines Schlusswortes:Die Geschichte von der Raupe und dem Schmetterling
Wenn Sie ein Buch zur Lebenskunst in die Hand nehmen, kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Sie vielleicht etwas in Ihrem Leben anders machen wollen, wahrscheinlich verbessern möchten oder eben mehr oder weniger bestimmt das Gefühl haben, dass es Zeit für eine Änderung ist. Irgendwie ist etwas nicht so, wie Sie es sich vorstellen. Das Lebensgefühl könnte ganz allgemein einfach besser sein. Oder es gibt einen klar erkannten Aspekt in Ihrer Lebensführung, der nicht gut ist und (endlich) geändert werden sollte. Die Gründe für eine solche Unzufriedenheit, Defiziterfahrungen oder einfach Unpässlichkeiten können ausgesprochen vielfältig sein. Manchmal sind es die Beziehungen zu anderen Menschen, die uns zu schaffen machen. Mitunter sind es sachliche Umstände, die – so glaubt man häufig – wir nicht beeinflussen können. Vielleicht liegt „die Schuld“ bei uns selbst. Es kann jedoch gut sein, dass andere uns das Leben schwer machen und die Ursache für unser Unwohlsein oder gar Unglücklich-Sein sind. Soweit Sie nun der Meinung sein sollten, Sie wollen oder müssen sich bzw. irgendein Verhalten ändern, darf ich die Frage stellen: „Sie wollen sich ändern?“ Und Ihnen eine (nur vorläufig) freche Antwort geben: „Dass ich nicht lache!“
Bitte jetzt nicht gleich das Buch zur Seite legen. Geben Sie mir und vor allem sich eine Chance. Denn tatsächlich ist damit bereits zu Beginn etwas angesprochen, das für ein korrektes und verantwortungsbewusstes Vorgehen unabdingbar ist: nämlich Ehrlichkeit!
Sie müssen dieses Buch nicht lesen, es gibt genügend Ratgeberliteratur, die nicht „unverschämt“ daherkommt. Sie bietet Ihnen eine „Beratung light“, wird doch in vielen Fällen das Blaue vom Himmel versprochen und so getan, als wäre alles für jeden, wenn er nur möchte, machbar. Zumeist ist eine derartige Lektüre nett zu lesen, Mühe muss man sich kaum geben. Derartiges dürfen Sie i.d.R. vergessen. Es wird Ihnen nicht helfen und Sie werden kaum einen Schritt vorankommen. Wenn zum Beispiel – was anscheinend besonders erfolgreich verkauft wird – Ihnen aufgegeben wird, Sie sollen möglichst andauernd positiv denken, dies Ihnen aber allein persönlichkeitsbedingt gar nicht gelingen kann, wird die Enttäuschung nicht lange auf sich warten lassen. Solche zwar gut gemeinten, aber häufig kurzgreifende Empfehlungen weisen ein grundsätzliches Manko auf: Sobald es konkret wird, ist eine solchermaßen daherkommende Literatur mit dem recht allgemein gehaltenen Latein ziemlich rasch am Ende. Deswegen sei Ihnen an dieser Stelle nichts vorgemacht: Ratschläge sind das eine (soweit sie überhaupt fundiert sind und sich nicht in einem Blabla und Allerweltsweisheiten erschöpfen), ihre Umsetzung das andere. Veränderungen oder besser: Entwicklungen stellen Herausforderungen für den Menschen bereit. Es ist grundsätzlich schwierig, Gewohnheiten zu verändern, selbst wenn offenkundig erkannt wird, dass die bisherigen wirklich schlecht sind für die Lebensführung und die Lebensqualität. Anders: Es ist häufig genug harte Arbeit angesagt, wenn man sein Leben wirklich ein wenig anders leben und es besser haben möchte. Einfach wird es also nicht, wenn ein gutes Leben angestrebt werden soll.
Wenn ich von „ein wenig anders leben“ spreche, hat das seinen Grund. Man muss das Leben wahrlich nicht grundlegend verändern – auch so ein Trugschluss, den manche Ratgeberliteratur suggeriert. So eine Vorgabe führt nur dazu, dass man sich unter einen ziemlichen Veränderungsdruck setzt. Und mit Druck kann es eigentlich nur schiefgehen. Erstrebenswert sind folglich nicht unbedingt ganz neue Wege, gewissermaßen ein „Umstürzen“ des Bisherigen. Es ist nicht das Schlechteste, sich von „der Macht der kleinen Schritte“ leiten zu lassen. Schon diese werden Mühe bereiten, sie werden aber zielführender sein als ein überdimensioniertes Aussteigerprojekt oder sonstige radikale Lösungen.
Schauen Sie sich nur einmal an, was aus solchen radikalen Maßnahmen geworden ist. Es gibt genügend Beispiele, sicherlich auch in Ihrem Nahbereich. Bekannt sind die Aussteigermodelle der 1970er-Jahre oder in denselben Zeiten die Begründung einer neuen (Zusammen-)Lebensform: sogenannte Kommunen. Wen haben diese Experimente glücklich oder – gehen wir auf eine gemäßigtere Stufe – auch nur zufrieden gemacht? Die Anfangseuphorie verfliegt bei einer solchen Projektemacherei ziemlich schnell. Ernüchterung und letztlich Enttäuschung machen sich breit.
Dafür gibt es Gründe. Vieles liegt an und in uns selbst. Selbstreflexion ist deshalb unabdingbar. Wieder so ein Sachverhalt, mit dem man sich auseinanderzusetzen hat und der anstrengend ist. Sich mit sich selbst auseinandersetzen, sich (kritisch) befragen und nach eigenen Anteilen suchen, die das Leben belasten können – da gehört schon etwas dazu! Es geht nicht um einen Billigtarif, wenn die Frage, die jeden Menschen umtreibt, beantwortet werden soll: Wie werde ich glücklich oder doch zufrieden oder einfach ausgeglichener?
Wer möchte das denn nicht? Glücklich, zufrieden, ausgeglichen sein! Offensichtlich scheint das alles andere als einfach zu gelingen. Dazu sei einmal ein Phänomen ins Spiel gebracht, das unsere (Lebens-)Zeit unter einer ausgewählten Perspektive gut beschreibt:
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Wir leben in einer ausgesprochenen Wohlstandsgesellschaft. Auch wenn unbedingt die Menschen gesehen werden müssen, die mit schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen konfrontiert sind, die am Rande der Armutsgrenze irgendwie zurechtkommen müssen oder gar auf der Straße leben: Im Ganzen betrachtet geht es uns jedoch überaus gut. Allein ein Vergleich mit den Zuständen vor 50 Jahren macht deutlich, welcher (materielle) Fortschritt erreicht worden ist, der sich auf viele Lebensbereiche günstig auswirkt. Ob das ein riesiges kulturelles Angebot ist, ein ungemein gut aufgestelltes Schul-, Hochschul- und Bildungsangebot, Reisemöglichkeiten bis in den letzten Winkel der Welt, eine – im Vergleich auch zu anderen Ländern – ziemlich hervorragende Gesundheitsversorgung usw. – wir stehen sehr gut da. Shopping als Hobby, zum Abendessen ins Restaurant gehen, sich den neuesten PKW anschaffen, nicht nur im Sommer, sondern auch selbstverständlich im Winter in den Urlaub aufbrechen – für viele von uns ist das alles selbstverständlich. Wir sind ein ungemein reiches Land und eigentlich müsste es uns recht gut gehen. Jedoch: Es scheint trotz des immer weiter fortgeschrittenen Wohlstands eine doch ungute Entwicklung zu gegeben.
Die von den Krankenkassen und den Gesundheitsbehörden veröffentlichten Zahlen weisen eine schmerzhafte Faktenlage nach. Es geht um den „erschöpften Menschen“, um die Zunahme psychischer Erkrankungen, nicht nur um Müdigkeit, sondern um Depressionen, um – ein nicht ungefährliches Modewort – Burnout. Alles in allem anscheinend eine steigende Zahl von Menschen jeder Altersgruppe, deren Seelenleben eine Schieflage aufweist.
Schon im Jahr 2004 hat dieses Phänomen der französische Soziologe Alain Ehrenberg mit dem „erschöpften Selbst“ zu beschreiben und zu erklären versucht. Seither ist es nicht besser geworden, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Es kann eine parallele (Auseinander-)Entwicklung festgehalten werden: Der Wohlstand schreitet fort, die Zahl psychisch angeschlagener und erkrankter Menschen ebenso. Was stimmt da nicht? Für eine Beantwortung dieser Frage müssen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zwingend in den Blick genommen werden, sonst geht es möglicherweise in eine einseitige und damit unzulängliche Richtung. Dann wäre der Einzelne nämlich selbst schuld, nicht stark genug, nicht clever genug, nicht cool genug, vielleicht sogar nicht hart genug, um in einer zunehmend beschleunigenden, auf Effizienz und Effektivität ausgerichteten Gesellschaft bestehen und das Siegertreppchen besteigen zu können. Vielleicht läuft doch etwas aus dem Ruder, was mit einer durchgehenden Ökonomisierung der Gesellschaft umschrieben werden kann! Darauf wird im weiteren Verlauf zurückzukommen sein. Für den Moment gilt es festzuhalten, dass es verkehrt wäre oder zumindest verkürzend, bei den Fragen nach der Lebenskunst nur den Einzelnen in den Blick zu nehmen, der schließlich immer Teil der Gesellschaft ist und von dieser „Umgebung“ beeinflusst wird. Damit wird es aber noch einmal schwieriger. Die Frage, inwieweit gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen, neben ihren Beiträgen zu Prosperität, eben auch ihre unguten Wirkungen für den Menschen entfalten, muss aufgenommen und eine Beantwortung versucht werden.
Eine weitere Ernüchterung, die allerdings Anlass zu Hoffnung und Optimismus geben kann: Nicht weniges von dem, was Sie lesen werden, ist Ihnen irgendwie bekannt. Manches mag sogar trivial erscheinen. Tatsächlich muss nicht immer tiefschürfend nach dem gesucht werden, was gut für den Menschen ist. In meinen Seminaren habe ich oft genug bemerken können: Wir wissen an und für sich gut Bescheid über das, was uns gut tut oder eben nicht. Da ist ein Gespür vorhanden oder auch ein Wissen, das nur verschüttet oder nicht mehr bewusst ist. Es macht dann kaum oder gar keine Mühe, sich auf diese Gedankengänge einzulassen. Man nickt unwillkürlich dazu, wusste man es doch insgeheim bereits seit Langem, nur ist das alles im Tagesgeschäft untergegangen oder zurückgedrängt worden. D.h. es geht nicht unbedingt um völlig neue Erkenntnisse, um unwahrscheinlich Überraschendes, um Richtungsweisungen, die in maßloses Erstaunen versetzen. Natürlich wird so etwas auch vorkommen, und ich hoffe sehr, manch neue Erkenntnisse motivieren Sie zu einem intensiven Nach- und Überdenken der ein oder anderen Lebensweise. Aber schrauben Sie die Erwartungen jeweils nicht allzu hoch. Sie werden in dem Buch auf Umstände aufmerksam gemacht, die Ihnen nicht unbedingt fremd sein werden. Es dürfte dabei vielleicht eher so sein, als würden Sie nach langer Zeit wieder einmal einen Raum betreten, den Sie an und für sich gut kennen. In dem Augenblick, in dem die Tür geöffnet wird, ist die Erinnerung rasch wieder präsent und ein Wissen um die Dinge und Umstände ergibt sich nahezu automatisch wieder von selbst.
Das zunehmende Ausmaß psychischer Erkrankungen führt noch zu einer dritten Ernüchterung (neben dem Argument, dass es Anstrengung bedarf, um Änderungen zu erreichen und dem bereits vorhandenen Wissen, das nur aufgefrischt und wieder ans Tageslicht geholt werden muss): Das in diesem Buch ausgebreitete Repertoire an Denkanstößen, Empfehlungen, Wegweisungen und Anregungen hilft denjenigen nicht oder nur in einem bestenfalls impulsgebenden Sinne, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Z.B. gehe ich auf das Thema „Angst“ ein, da dieses Gefühl eine anthropologische Grundkonstante ausmacht. Dadurch wird hoffentlich manches aufgeklärt und verstehbar gemacht werden. Wer jedoch unter einer Phobie leidet oder von Panikattacken, die als vernichtend erlebt werden können, malträtiert wird, oder wer sich selbst die Haut ritzt, um so etwas wie Erleichterung zu erfahren oder den inneren Druck aushalten zu können, oder wer der Spielsucht verfallen ist, der sei ausdrücklich an professionelle Hilfe verwiesen. Mit diesem Buch kann keine therapeutische Hilfestellung geleistet werden, das wäre ein vermessener Anspruch und käme der Quacksalberei gleich, von der später noch die Rede sein wird. Ärzte und Psychotherapeuten sind dafür die weitaus besseren, weil richtigen Ansprechpartner.
Und noch zwei weitere Aspekte, die zunächst einmal ernüchternd wirken können: Zunächst gehe ich von einer vielfach gemachten Erfahrung aus. Es wird einiges geben, da reagieren Sie etwa mit dem Satz „Der hat gut reden“ oder „Das funktioniert doch in der Praxis nicht“ oder „In der Theorie ganz nett, aber im konkreten Alltag?“ oder gar „Von solchen Sprüchen kann ich mir nichts kaufen.“ Nun, in der Tat, kaufen müssen Sie sich bestimmt nichts. Das allermeiste, das in diesem Buch angesprochen, vorgeschlagen, zur Empfehlung gegeben wird, hat keinen (üblichen) Preis, d.h. es kostet nichts oder nur sehr wenig. Es kann überhaupt nicht darum gehen, große finanzielle Investitionen vorzunehmen, und in dem ein oder anderen Ausnahmefall verweise ich bestenfalls auf die Teilnahme an einem Volkshochschulkurs oder an das Kursangebot einer Krankenkasse, was wenig oder vielleicht einmal 50 bis 60 € kosten mag. Die Investition oder der Preis ist tatsächlich ein anderer: Es geht um Geduld, Ausdauer, Selbstdisziplin und ein Arbeiten an eigenen Entwicklungsmöglichkeiten, das zumindest etwas Zeit und einen Energieaufwand erforderlich macht. Sie sollten nicht reflexartig die Vorschläge zurückweisen, sondern sie einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Beim Buchstaben D wie Denkgewohnheiten werde ich den notwendigen Hintergrund ausführlich darstellen. An dieser Stelle sollen nur eingefahrene Bahnen, Bequemlichkeit und wenig Lust auf Neues, gar Unbekanntes erwähnt sein, um auf erhebliche Stolpersteine für eine Verhaltensänderung hinzuweisen. Wiederum sind wir bei dem Thema Kraft, Anstrengung und oft genug auch Geduld. Diese sind die Investitionen, die unabdingbar vorgenommen werden müssen, wenn ein Ertrag oder eine Rendite in Form einer Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden soll. Des Weiteren mahne ich eher zu Bescheidenheit. Unterstellt, Sie finden manches, wozu Sie in dem Buch angeregt werden, gut, können es sogar akzeptieren und denken an eine baldige Inangriffnahme und Umsetzung. Gemach, kann ich nur empfehlen. Oder anders: Nehmen Sie sich nicht allzu viel vor. Um es mit einem übertriebenen Beispiel auszudrücken: Gleichzeitig mit dem Rauchen aufhören, sich entschieden gesünder ernähren, dabei auf Süßes und Fleisch verzichten und selbstverständlich keinen Alkohol mehr anrühren und dann sogar noch dreimal in der Woche im Sportstudio trainieren – das kann mit größter Wahrscheinlichkeit nur aus dem Ruder laufen. Anders: Eines der schwierigsten Dinge für uns Menschen ist eine Verhaltensänderung. Nimmt man sich zu viel vor, ist die Gefahr eines Scheiterns besonders groß. Es käme einer ungemeinen Überforderung gleich, an möglichst vielen Stellschrauben zu drehen und gar radikal alles Mögliche anders machen zu wollen. So etwas wird selten funktionieren. Besser ist es, Schritt für Schritt vorzugehen (ich erinnere: „Die Macht der kleinen Schritte“). Sich zunächst einmal ein oder zwei Sachen vornehmen und dann an den damit verbundenen Notwendigkeiten arbeiten – mehr sollten Sie sich nicht zumuten. „Weniger wäre mehr gewesen“ ist ein schlauer und berechtigter Grundsatz der Pädagogik. Überfordern wir uns also bitte nicht, ein diesbezüglicher Ehrgeiz dürfte in den meisten Fällen kontraproduktiv sein, und freuen wir uns lieber an den kleinen, aber stetigen Fortschritten, die im Zeitablauf doch zu einer ansehnlichen Veränderung hin zu einem guten oder besseren Leben führen werden.
Eine letzte Ernüchterung möchte ich Ihnen zumuten. Sie hängt mit dem Begriff „Lebenskunst“ zusammen. Dieser hört sich gut an, man verbindet damit etwas Schönes, Leichtes. Wenn man aber nur Positives erwartet, werden diese Erwartungen sicher enttäuscht. In dem Zusammenhang ist auf einen nicht zu ignorierenden Umstand hinzuweisen: Ein Prinzip des Lebens ist dessen Polarität. Es sind die Gegensätze, die unser Leben kennzeichnen. Gewissermaßen zwei Pole, zwischen denen Spannung herrscht. Es gibt Freude und Leid, Mann und Frau, Tag und Nacht, ein Ja und ein Nein oder – um es sehr trivial anzuführen mit dem Titel einer Fernsehsendung – gute und schlechte Zeiten (in der Bibel lesen Sie von sieben mageren und sieben fetten Jahren). Worauf will ich hinaus? Lebenskunst heißt nicht, dass – so ich diese überhaupt beherrsche – alles immer gut ist, alles einfach bestens läuft, meine Stimmung immerzu fröhlich und fidel daherkommt. Das wäre ein Missverständnis und würde die Polarität des Lebens verkennen. Lebenskunst bedeutet auch die Anerkennung des Negativen, ein guter Umgang mit Ereignissen, die alles andere als zur Freude beitragen. Es geht um die Fähigkeit, unabänderliche Dinge zu akzeptieren, nicht daran zu verzweifeln, nicht in eine Depression zu verfallen und nicht zu schimpfen und jammern, weil etwas nicht so gelingt oder so eintritt, wie ich mir das erhoffe. An dieser Stelle etwas verkürzt gesagt: Es geht in jeder Situation darum, das Beste daraus zu machen. Das ist etwas anderes, als immer nur das Beste zu wollen oder – wie es in einem ordinären Werbespruch eines bedeutenden Wirtschaftsunternehmens zum Ausdruck gebracht wird – „Das Beste oder nichts“. Dann kann der Mensch eigentlich nur hadern, dann ist bereits das Zweitbeste uninteressant und wertlos. Die Vermessenheit, die mit einer solchen Einstellung einhergeht, kann für die meisten von uns nur in einer Unzufriedenheit münden, vielleicht letztlich sogar krankmachen. Mit dem, was gegeben ist, muss ich leben lernen. Ein gut gelebtes Leben erkennt die Spannungen an, das Auf und Ab, die Freude und das Leid, den Erfolg und den Misserfolg. Das Leben in seiner Ganzheit annehmen hat viel mit Lebenskunst zu tun, und schon an dieser Stelle wird es nicht wenige geben, deren erste Aufgeschlossenheit oder gar Begeisterung für ein Buch zum Thema Lebenskunst ziemlich nachlässt. Es muss aber ausgesprochen sein, denn ich will Ihnen nichts vormachen. Das wäre unanständig und würde nur zu Enttäuschungen führen. Wer jedoch Lust auf vielfältige Anregungen hat, wer nicht ein sogleich wirkendes Zaubermittel erwartet, wer sich nicht scheut, sich Selbstreflexionsprozesse zuzumuten und kritisch Bilanz zu ziehen und wer ernsthaft mögliche Entwicklungen angehen möchte, den lade ich herzlich gerne zum Weiterlesen ein. Die Motivation zur Verbesserung der Lebenskunst sollte bei diesen Bedingungen zur Genüge gegeben sein. Bei der hoffentlich langen Reise durch das Leben werden Sie dann davon mit großer Wahrscheinlichkeit profitieren.
Bei allen Kapiteln, die nun aufgeschlagen werden, fließt viel Wissenschaftswissen, aber auch viel an Erfahrung ein. Damit kommt ein subjektives Element ins Spiel, das sich vor allem dann zeigt, wenn ich Position beziehe. Eine solche Position kann selbstverständlich zur Disposition stehen. Kein Mensch hat irgendeine Weisheit für sich gepachtet und jeder Mensch kann irren. Deshalb: Ich gehöre nicht zur Gattung der Besserwisser und womöglich täusche ich mich bei der einen oder anderen Stellungnahme oder Bewertung. Sie dürfen aber davon ausgehen, dass jeder Gedankengang nachdrücklich auf dessen ideologische Implikationen geprüft ist und dann nach bestem Wissen und Gewissen formuliert wurde. Es geht keineswegs um Einseitigkeiten, schon gar nicht um rigorose Positionen oder um Dogmen. Wer so daherkommt, blendet seine Umwelt, er handelt als Scharlatan, weckt Hoffnungen, die zwangsläufig enttäuscht werden, und manipuliert den Mitmenschen. Eine solche „müde Mark“ möchte ich nicht machen. Ich kann allerdings zusichern, dass in allen beruflichen Bereichen, in denen ich bislang unterwegs war, trotz der ganz und gar unterschiedlichen Aufgaben und der ganz und gar verschiedenen Menschen, sehr oft und sehr viel Gemeinsamkeit auszumachen ist. Ob im Rahmen der Politikberatung seit Ende der 1980er-Jahre, der äußerst intensiven Beratungsarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern oder der Beratung von Industrie- und Handelskammern, Kranken- und Unfallkassen oder Industrieunternehmen – es zeigen sich Problemlagen, die offensichtlich nicht viel mit dem Status, der Vorbildung, der Macht und der Berufsarbeit zu tun haben. Diesen Gemeinsamkeiten bin ich mit besonderem Interesse und einer besonderen Neugier nachgegangen. Es zeigen sich bei aller Verschiedenheit der Menschen Schnittmengen, die alle von uns betreffen können und die uns – ganz gleich, ob ich nun sehr reich, sehr mächtig, sehr einflussreich oder nichts von alledem bin – belasten und niederdrücken können.
Mit anderem Vorzeichen: Es gibt auf alle Fälle Umstände, Gegebenheiten und Entwicklungen, von denen jeder Mensch profitiert, mit denen alle ein besseres Leben führen und ein wenig oder auch ein wenig mehr glücklich und zufrieden sein können. Deshalb noch einmal zum Schluss: Wer will das nicht, glücklich, zufrieden und ausgeglichen sein? Falls Sie sich angesprochen fühlen unter Beachtung der in diesem einführenden Kapitel gemachten einschränkenden Bedingungen, scheuen Sie bitte nicht die Mühe der Lektüre der nachfolgenden Seiten, die vielleicht zu einer anregenden und hilfreichen und unterstützenden Reise durch Ihr (bisheriges) Leben wird mit voraussichtlich vielen guten Impulsen und Wirkungen für die Lebenszeit, die vor Ihnen liegt. Sollten Sie allerdings spätestens jetzt das Buch endgültig zur Seite legen, gilt auf jeden Fall: Ich wünsche Ihnen in der Tat eine solche gute Reise durch das Leben und drücke fest beide Daumen, damit möglichst viel von dem gelingt, was Sie sich beruflich und privat vornehmen.
An einem Freitag Anfang März 2014 ging es mir richtig gut. Am Spätnachmittag trainierte ich im Sportstudio, später nahm ich ein leckeres Abendessen zu mir, und noch etwas später saß ich vor dem Fernseher und freute mich an der Heute-Show. Gegen Mitternacht ging ich zu Bett, nichts deutete auf irgendeine Misslichkeit hin. Alles gut!
Gegen vier Uhr am Morgen wachte ich auf. Mir war leicht übel, Bauchschmerzen plagten mich. Jedoch: noch kein allzu großer Grund zur Sorge. Wird schon wieder werden. Gegen halb sechs Uhr musste ich mich erstmals übergeben, mir wurde im wahrsten Sinne des Wortes kotzübel. Weitere zwei Stunden später konnte ich nicht mehr stehen. Massive Schmerzen im Bauchbereich ließen mich förmlich zu Boden gehen. Alles wurde noch schlimmer. Um kurz nach acht Uhr kam der Notarzt, drei Stunden später waren die Schmerzen erträglich, die Übelkeit fast vorbei. Medikamente und ärztliches Können hatten mich stabilisiert. Als ich allerdings gegen Abend aus dem Aufwachraum wieder in mein Krankenzimmer gefahren wurde, lag eine zweieinhalbstündige Operation hinter mir und drei verschiedene Schläuche führten in meinen Körper hinein oder heraus. Erst Ende März konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Und zwar auf zwei Beinen, was einer nachdrücklichen Erwähnung wert ist. Zwar abgemagert, ein wenig schwach, aber geduscht und hergerichtet und vor allem selbstständig. Der Schritt aus dem Krankenhaus an die frische Luft (es nieselte und war kalt) schien mir paradiesisch (das Krankenhaus ist so gebaut, dass kein Fenster geöffnet werden kann, alles wird über eine Klimaanlage gesteuert). Ich habe den Kopf nach oben genommen, die Augen geschlossen, spürte den Nieselregen, atmete tief ein und aus, lächelte dazu, und wahrscheinlich haben diejenigen, die mich beobachtet haben, gedacht, da ist jetzt einer übergeschnappt. Was für ein herrliches Gefühl! Welches Glück! Ich konnte gehen, ich konnte Luft und Regen spüren und genießen. Die ansonsten so selbstverständliche frische Luft einatmen wie ein Geschenk. Unvergessliche Minuten. Unwahrscheinlich schön.
Natürlich muss berücksichtigt werden, dass all dies nach fast vier Wochen Krankenhausaufenthalt geschah, mit den damit verbundenen Sorgen, Ängsten und Nöten. Dann wird eine solche Situation, der ansonsten keine Bedeutung zugemessen werden würde, intensiv wahrgenommen und geschätzt. Das allerdings führt uns zum springenden Punkt. Vieles nehmen wir tagtäglich als normal hin, schenken dem allem keine Beachtung, halten es für selbstverständlich und bemerken nicht die ungemein gewichtigen und grundsätzlichen Fundamente eines guten Lebens. Diese Fundamente werden nicht wiedergegeben durch Reichtum, durch einen schnittigen Sportwagen, durch die Villa in Halbhöhenlage oder durch Macht und Einfluss. Das alles will ich nicht gering reden. Aber wir sollten uns auf das besinnen, was wichtig und ausschlaggebend ist. Auf diese Frage gebe ich eine fast furchtbar einfache Antwort, die jedoch – weshalb wohl? – ganz selten eine Rolle spielt: Das Wichtigste und Ausschlaggebende ist das Hier und Jetzt! Nur jetzt und nur hier kann ich sorglos arbeiten, zum Essen gehen, Gespräche führen, eine Akte bearbeiten, einen Vortrag halten, mit meiner Familie spazieren gehen usw. Jetzt geht es mir gut. Gerade eben – in diesen Minuten – fehlt mir nichts. Keine Krankheit, nichts Böses, kein Krawall trübt den Moment. Nein, ich kann vielmehr leben, leben, leben. Damit ist nichts Besonderes verbunden. Im Augenblick schreibe ich diese Zeilen, auf meinem Tisch liegen verschiedene Fachzeitschriften, vollgeschriebene Notizblätter, mein Jahreskalender, zwei Stifte, eine halbvolle Kaffeetasse. Alles normal, wie üblich eben, nichts Besonderes. Wer denkt darüber nach, welch hervorragende Situation das doch ist? Wer weiß das zu schätzen, dass jetzt gearbeitet werden kann, eventuell sogar mit etwas Mühe? Zu erkennen, diese gerade gegebene Situation darf gewürdigt werden, weil sie so viel Gutes umfasst, ist wahrscheinlich für viele Menschen zu viel verlangt. Leben tue ich jetzt, in dieser Minute. Jetzt und hier fehlt mir nichts. Ob das in zwei Stunden auch noch so der Fall sein wird, ob das am Abend ebenso sein wird? Wer weiß das schon? Das Leben ändert sich womöglich in einem Augenblick! Das im Moment Normale kann im Chaos versinken, kann schlagartig aufgerieben und unwiederbringlich vorbei sein. Deshalb: Versuchen Sie dem Hier und Jetzt etwas abzugewinnen. Ein wenig Zufriedenheit oder gar ein wenig Freude, weil einem nichts fehlt, weil ein gutes Mittagessen bevorsteht, weil ein nettes Gespräch mit dem Büronachbar möglich ist, weil eine Aufgabe zu Ende gebracht werden kann! Alles ganz normale Dinge und Umstände. An und für sich nicht der Erwähnung wert. Achtlos gehen wir weiter und wenden uns dem nächsten zu. Achtsamkeit heißt eben auch, sich nicht durch die Stunden, durch den Tag treiben lassen. Kaum mehr bemerken, was vor sich geht. Oder am Ende eines Arbeitstages gar fragen, was habe ich heute eigentlich getan? Achtsamkeit bedeutet, ein Gespür für sich und seine Umwelt bewahren, sehen und bemerken, was vor sich geht, dabei dann wertschätzen, wenn nichts Ungutes geschieht und sich an Kleinigkeiten freuen, die geschehen, aber sonst gar nicht mehr wahrgenommen oder als etwas Gutes erkannt werden: Der freundliche Guten-Morgen-Gruß der Kollegin, die fünfzehnminütige Frühstückspause, die Besprechungsrunde mit zwei Kollegen und dem Vorgesetzten über ein in Angriff zu nehmendes Projekt, das Lesen eines Artikels in einer mich interessierenden Fachzeitschrift und vieles, vieles andere mehr.
Achtsamkeit wird verhindert oder zumindest behindert durch alltägliche Beschleunigungsfallen. Neben dem Telefon „fliegen“ E-Mails auf uns herein, es klopft an der Tür und die nächste Besprechung steht an. Möglichst alles gleichzeitig und alles noch schneller. Unsere gut gefüllte Tretmühle gibt keine Chance für einen Rückzug, für Stille und Abschalten. – Wirklich nicht? Lassen Sie uns an dieser Stelle doch einmal innehalten. Was kann man tun, um der zunehmenden Beschleunigung und Arbeitsverdichtung etwas entgegenzusetzen?
Lassen wir zunächst den eigentlichen Arbeitstag einmal aus dem Auge. Schauen wir auf den Weg zur und den Weg von der Arbeit. Wie wäre es, wenn Sie eine oder zwei Haltestellen vor dem eigentlichen Ziel aussteigen und die letzten fünfhundert Meter zu Fuß gehen? Falls Sie mit dem eigenen PKW zur Arbeit kommen: Man muss nicht zwingend in der Tiefgarage unter dem Bürokomplex das Fahrzeug abstellen. Auch in einem solchen Fall können fünfhundert Meter genutzt werden für einen Spaziergang, für ein Augen-und-Ohren-Aufmachen. Wie wäre es, an einem Kiosk ein Brötchen oder eine Brezel zu kaufen und dann fünf Minuten einfach dazustehen und einen Bissen nach dem anderen zu genießen? Wie wäre es, den Feierabend einzuläuten, indem man nicht zur S-Bahn oder zur Buslinie hetzt und stattdessen erst einmal spazieren geht? Entschleunigung ist dafür das Stichwort. Wenn das Verhalten davon geleitet wird, entspannt sich mancher Druck, die Hektik fällt in sich zusammen, und es entsteht ein anderes Gefühl, das Raum lässt für Aufmerksamkeit und damit auf ein Sehen und Hören, das untergegangen erscheint. Noch ein Wort zur Mittagspause: Natürlich ist der Weg zur Kantine oft sinnvoll. Aber die Hetze zur nächsten Wurstbude? Das schnelle Hinunterschlingen der Mahlzeit, die nicht umsonst „Fast Food“ genannt wird? Noch schnell das Glas Mineralwasser hinuntergestürzt und rasch wieder zurück ins Kampfgetümmel. Das muss beileibe nicht sein, schon gar nicht als Wiederholungsspiel an jedem Werktag. Es geht ohne große Mühe auch anders. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Sie eine Kirche aufsuchen? Sie müssen nicht Christ oder religiös veranlagt sein. Sie müssen sich nur in einen Schutzraum zurückziehen wollen, der die trubelige und hektische Welt draußen lässt, für eine fast unnatürliche Ruhe sorgt und noch Gelegenheit zu einer Meditation bietet. Die Ruhe überträgt sich auf unser Inneres, sie kann in unserem Innern wachsen. Damit haben wir einen Energiespender, der noch nicht einmal etwas kostet. Wir achten auf unseren Körper, halten mögliche schädigende Einflüsse fern und tun wahrscheinlich sogar unserem Seelenleben etwas Gutes. Einen Kirchenraum als Ruhe- und Meditationsraum nutzen – die lärmende Welt wenigstens für zehn oder fünfzehn Minuten hinter sich zu lassen! Es ist so einfach. Jedenfalls in der Theorie. Und in Ihrer Praxis?
Im stressigen Tagesverlauf ist es vermutlich nicht so einfach. Aber es gibt Nischen oder Lücken, die sich auftun oder die jeder auftun kann. Wie wäre es mit Ritualen, die sehr wenig Zeit beanspruchen, aber eine hilfreiche Strukturierung bedeuten? Rituale können als Achtsamkeitsübung verstanden werden. Gönnen Sie sich z.B. nach Möglichkeit immer um dieselbe Zeit eine Tasse Kaffee oder Tee. Oder stellen Sie eine mitgebrachte Blume immer eine Stunde nach Arbeitsbeginn in eine Vase: frisches Wasser holen, den Blumenstiel neu anschneiden, die Blume ein wenig drapieren in der Vase. Oder gönnen Sie sich am Nachmittag eine Banane oder einen Joghurt oder einfach zwei Stückchen Schokolade. Nicht einfach in den Mund nehmen und schnell, schnell wegschlucken. Sondern eine Mini-Auszeit, vielleicht drei oder fünf Minuten, während der Sie nicht auf einfliegende E-Mails oder Telefongeklingel reagieren, sondern bewusst die Tasse Kaffee riechen und schmecken, die Blume bestaunen oder den Joghurt genießen. Eine Mini- Auszeit als Achtsamkeitsübung! Ein Arbeitgeber, der sich daran stört, sollte sich am besten selbst entlassen. Er hat sicherlich wenig verstanden von Mitarbeiterführung und Mitarbeitermotivation.
Das Ausüben von Achtsamkeit außerhalb des Berufs muss hier nicht weiter ausgebreitet werden. Nur für diejenigen, die selbst in ihrer Freizeit nicht zur Ruhe kommen können/wollen, sei kurz das Thema Freizeitstress angeschnitten. Manche von uns hat die Unruhe und die Hast in einer Weise erfasst, die auch dann nicht zur Ruhe kommen will, wenn außerhalb des Berufslebens eigentlich Chancen für Ruhe, Ausgeglichenheit und Langsamkeit gegeben wären. Es geht dabei nicht darum, den lieben langen Tag im Bett zu verbringen oder sich abzukapseln und gar nichts zu tun. Bei dem Tun sollte aber nicht nur ein Gang zurückgeschaltet werden. Bei den vorzunehmenden Tätigkeiten – vom Frühstücken über das Zeitunglesen bis zum Einkaufen, der kleinen Reparaturarbeiten in der Wohnung, dem Schauen einer Sportsendung bis zum Kneipenbesuch am Abend oder wie auch immer Ihr Tag abläuft – sollte wach, präsent und sehr bewusst jeder Augenblick ausgekostet werden. Und bei diesem Auskosten sollten die Gedanken nicht bereits wieder abschweifen und sich möglichst nicht auf die nächste Stunde oder den kommenden Tag mit all den damit verbundenen Aufgaben und Pflichten ausrichten. Das Genießen der Gegenwärtigkeit kann geübt werden, indem man sich mit den Worten von Jon Kabat-Zinn, dem Begründer der MBSR (Stressreduktion durch Achtsamkeit), verdeutlicht: „Die Vergangenheit ist schon vorbei, die Zukunft noch nicht eingetreten. Die Gegenwart ist das Einzige, was wir wirklich zur Verfügung haben, um uns lebendig zu fühlen.“ Es sollte das Nichtselbstverständliche wenigstens ab und an gesehen werden, damit vor allem die kleinen Dinge eine Wertschätzung erfahren, denen man ansonsten eher achtlos begegnet. Sie erinnern sich? Was war das für ein Gefühl, nach Wochen in einem Krankenzimmer einfach wieder an die frische Luft zu gehen und sogar den Regen als Glück zu empfinden und diesen zu genießen, was unter anderen Umständen vielleicht sogar als lästig abgetan worden wäre.
Achtsamkeit kann außerordentlich anspruchsvoll eingeübt werden. Im Buddhismus spielt sie eine bedeutende Rolle, und wer sich diesen Ansätzen aufgeschlossen zeigt, wird an den Beispielen, die Mönche geben, kaum vorbeikommen. Hier rate ich zur Vorsicht. Es mag auf den ersten Blick faszinierend erscheinen, wie diese Menschen ihr Leben leben und welche Praktiken sie lernen und studieren. Gerade aus der Position eines in der hektischen westlichen Welt sich abkämpfenden Individuums heraus mag das Beispiel eines in sich ruhenden buddhistischen Mönchs, der eine ganz andere Daseinsform verkörpern kann, sehr reizvoll sein. Doch bedenken Sie: Erstens leben wir in einem anderen Umfeld, zweitens ist ein religiöses Motiv, das aller Ehren wert ist, anzuerkennen, aber ebenso muss man anerkennen, dass dieses für uns eventuell ganz und gar nicht passt und wir schon deshalb von völlig anderen Voraussetzungen ausgehen müssen. Und drittens gehört das Meditieren und die Übungen zur Achtsamkeit zu deren ureigenen Aufgaben, die für uns in dieser Breite und Ganzheit voraussichtlich überhaupt nicht lohnenswert sind. Ein unreflektiertes Nacheifern oder eine im Falle einer Krise vorzunehmende harsche und enthusiastische Umorientierung dürfte in der Mehrzahl der Fälle zu Enttäuschungen führen. Vorsicht bedeutet, sich die Frage zu stellen, was von all dem ein Teil ist, der sich genauer zu prüfen lohnt. Achtsamkeit in einem nicht überfordernden und verträglich-hilfreichen Sinne richtet sich auf zwei Fragen aus:
Zum einen: Möchte ich das, was mir aufgetischt wird, auch essen? Im übertragenen Sinne ist damit gemeint: Wie sehr ich Getriebener sein werde, ist abhängig von den Befehlen und Wünschen anderer, aber auch abhängig von meinen eigenen Antreibern und Energieräubern, die da befehlen „Sei perfekt“, „Sei stark“, „Mach’s allen recht“ usw. Ein anzustrebendes Ziel muss sein, so oft wie möglich zu entscheiden, welches Essen (welche Einladung, welchen Termin, welche Aufgabe) ich annehme. Damit ist eine Chance gegeben, die mich vor der kräftezehrenden Hyperaktivität schützt oder einfacher formuliert: Ich rase nicht mehr auf Kosten meiner Ressourcen durch die Gegend.
Zum zweiten: Ich muss immer wieder einmal eine Mindestdistanz zu meiner Umgebung und zu meinen Gefühlen erreichen. Ein schwieriges Unterfangen, weil damit gleichzeitig der Anspruch verbunden ist, etwas zu sehen und zu beschreiben, jedoch nicht zu bewerten. Achtsamkeit hat mit Nicht-Bewertung zu tun. Es geht darum, erst einmal gelten zu lassen, was ist. Konkret heißt das z.B. in einem Meeting, ich rege mich nicht über die Beiträge der anderen auf, sehe zwar die damit verbundenen Probleme und werde mich trotzdem nicht sofort zur Gegenargumentation hinreißen lassen. Nein, nur schauen und hören, was ist. Mehr nicht. Also sehen, da ist jemand sehr eifrig oder es verschafft sich jemand Luft oder es geht gerade um eine Terminfrage. Keine Erwiderungen konstruieren, nicht Ärger über einen vermeintlichen Blödsinn aufkommen lassen, nicht schon das eigene Bekenntnis formulieren, nicht angespannt darauf warten, dass man selbst zum Zuge kommt. Ich befinde mich in einer Art Zuschauerfunktion und fühle mich nicht, schon gar nicht emotional, verwickelt.
Wenn ich mich zu einer Mindestdistanz zu meinen Gefühlen bringe, bin ich nicht mit diesen „verklebt“. Dieses hinderliche „Verkleben“ kann ein Stück weit überwunden werden, wenn ich lerne zu schauen, was ist, ohne gleich wieder Bewertungen vorzunehmen. Vielleicht hilft noch ein Bild zur Unterstützung einer für viele wahrscheinlich schwierigen Einübung: Ein Mensch steht auf einer Brücke, unter der ein Güterzug mit vielen Waggons durchfährt. Jeder Waggon – und das kann gesehen und gehört werden – lädt zu einer Arbeit und Verpflichtung ein. Da ist der Chefwaggon, der zuruft, arbeite noch energischer, dann klappt es mit der Beförderung in ein, zwei Jahren. Dann kommt der Mitarbeiterwaggon, in dem ein Projektleiter heftig mit seinem Team diskutiert, das heftig gestikulierend nach oben winkt und den Brückenmenschen zur Mitfahrt (sprich zur Mitarbeit) auffordert. Als dritter Waggon rauscht der Vereinswagon durch. Wieder rufen drei, vier Mitglieder, der Brückenmensch soll für den Vorsitz kandidieren, nur er wäre in der Lage, den Verein in die Zukunft zu führen. Und schon schließt sich der vierte Waggon an: Der bietet einen Zusatzverdienst an, was ja nicht schlecht wäre zur Finanzierung des nächsten Urlaubs, der, weil es schon ein Fünf-Sterne-Hotel sein sollte, recht teuer ausfallen wird. D.h. dann eben Abend- und Wochenendarbeit, aber was soll’s? Es wartet schließlich eine Entschädigung in Form von zwei Luxuswochen, da lohnt sich doch das Malochen vier Monate lang! Oder etwa nicht? Noch während des Nachdenkens über Vor- und Nachteile rattert bereits der nächste Waggon heran und dort sitzt der Nachbar, der schon lange an dem Brückenmenschen herummacht, er möge doch der Partei beitreten und bei der nächsten Gemeinderatswahl kandidieren.
Es wird nicht wenige Menschen geben, die springen in jeden Waggon. Das Spektrum der Motive kann von der Angst, abgelehnt oder nicht befördert zu werden über ein Leistungsmotiv bis zu einem Hilfemotiv reichen. Ein auf sich achtender Mensch bleibt auf der Brücke als Zuschauer. Der Achtsame springt nicht, er beobachtet, beschreibt, was da ist und (!) bewertet nicht. Achtsamkeit lässt gelten, was gerade ist. Schwierig umzusetzen? Versuchen Sie es an einem Beispiel. Probieren Sie einen ersten kleinen Schritt bei nächster Gelegenheit.
Zum Schluss ein Witzchen, ein Aphorismus oder sonst ein kluger Spruch
„Jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte und zugleich der erste in einem langen Leben.“
Sören Kierkegaard, 1813–1855, Hervorhebung durch H.G.
Ein Mann ging im Wald spazieren. Er traf dort auf einen Waldarbeiter, der Baumstämme zersägte. Er schaute ihm eine Weile zu, sah, wie er sich ungemein mühte und nur langsam vorankam. Dann ging er weiter. Als er nach zwei Stunden seinen Rückweg antrat, begegnete er wieder dem Waldarbeiter, der noch immer die Baumstämme zersägte, der aber trotz großer Anstrengung kaum vorwärts kam. Wieder beobachtete der Wanderer eine Zeit lang die anstrengende Arbeit, dann sagte er zu dem Arbeiter: „Es wäre doch besser, sie würden erst einmal aufhören und das Sägeblatt schärfen. Danach würde Ihnen die Arbeit doch viel leichter von der Hand gehen.“ Der Waldarbeiter unterbrach daraufhin die Sägerei. Erstaunt und unwillig schaute er den Ratgebenden an und meinte: „Sie haben keine Ahnung. Dafür habe ich doch gar keine Zeit.“
Es ist Ihnen sicherlich klar, was der Waldarbeiter versäumt. Das ist so offenkundig, dass mancher voraussichtlich nur den Kopf schütteln kann. Es bedürfte gar nicht viel, und schon würde sich der Mann leichter tun. So aber bleibt er gefangen in seinem Denken und Verhaltensmuster und macht sich das Leben unnötig schwer. Er kann nur noch an das Sägen denken, Ratschläge sind unakzeptabel, ein Nachdenken über eine noch so kleine Änderung kommt ihm nicht in den Sinn. Geradezu stur macht er weiter. Noch mehr Anstrengung, noch mehr Kampf, kein Nachgeben, keine Pause, immer weiter, Alternativen sind unvorstellbar, gefangen in einem engen Denken, einem Tunnelblick, macht man sich das Leben zur Last, Aufhören geht schon gar nicht. Es geht einem zwar schlecht, man spürt, wie die Kraft nachlässt, die Energie immer weniger wird, es artet förmlich zu einem Kampf aus, der letztlich nicht zu gewinnen ist, weil die „Batterien“ unerbittlich leerlaufen und man nicht mehr in der Lage ist, sie aufzuladen. Am Ende dieser Entwicklung kommt es zum Nerven- und Kreislaufzusammenbruch. Plötzlich wird Realität, was man sich bisher nicht vorstellen konnte: Man hat auf einmal Zeit! Viel Zeit zum „Über-sich-Nachdenken“, sich ein anderes Leben vorzustellen, zu sehen, wo und welche Fehler gemacht wurden. Nur, die Zeit hat man, weil es einem furchtbar schlecht geht. Der Zusammenbruch führt häufig zu einem Klinikaufenthalt, der unabdingbar ist, um wieder im wahrsten Sinne des Wortes auf die Beine zu kommen. Auf diese Zeiterfahrung könnte man gerne verzichten, zumal es in der Regel viel Zeit bedarf. Wer in dieser Weise hingeworfen wird, benötigt nicht nur ein oder zwei Wochen Auszeit. Wochen und Monate, durchaus auch einmal Jahre sind häufig notwendig, bis Körper und Seele wieder soweit stabilisiert und im Gleichgewicht sind und Vitalität und Freude zurückkehren.
Wer einen derart unguten Weg geht – und es müssen ungemein viele sein nach den zur Verfügung stehenden Daten – ist zunächst ein Kämpfertyp. Eine Fassade wird aufrechterhalten, niemand soll gefälligst merken, dass es einem schlecht geht oder man kaum mehr in der Lage ist, seine Aufgaben wie gewohnt gut zu erledigen. Kommt dann ergänzend noch ein Perfektionsanspruch ins Spiel und ein hoher Maßstab für die Qualität der eigenen Arbeit, dann beginnt irgendwann eine Leidenszeit. Das Verrückte ist, man bemerkt dieses Leiden sehr wohl. Morgens kommt man nur mit Mühe aus dem Bett, die Fähigkeit zur Erholung ist einem abhanden gekommen, zumeist meldet sich nicht nur ein Unwohlsein, sondern es plagen einen Magen-, Kopf-, Rücken- oder gar Herzschmerzen. Vielleicht gesellen sich Verdauungsstörungen hinzu, man wird unkonzentriert, regt sich rasch auf und spürt beständig einen Druck im Nacken, Brust- oder Bauchbereich, dem man kaum Herr zu werden scheint. Schlafstörungen muss ich nicht extra erwähnen. Sie sind nicht nur eine lästige Begleiterscheinung, sondern zermürben einen mit der Zeit mehr und mehr und zerstören den letzten Rest an Kraft und Energie.
Diese Menschen wissen, es geht ihnen nicht gut. Die Zeichen sind unübersehbar oder besser: auf jeden Fall spürbar, und weil diese anhaltend das Leben schwer machen, gehen die meisten auch zum Arzt, bei dem dann über Herz-, Kopf-, Rücken- oder Magenschmerzen geklagt wird. Der Arzt stellt alle möglichen Untersuchungen an, kommt in den meisten Fällen jedoch zu dem (nur für den Moment beruhigenden) Urteil, organisch sei alles in Ordnung. Der Patient geht dahin, um zwei, drei Wochen später den nächsten Arzt aufzusuchen, da sich die Schmerzen längst wieder eingestellt haben und ihn ziemlich beunruhigen. Daraus kann eine Ärzteodyssee werden. Im Ergebnis ist es aber oft dasselbe. Keine organische Schädigung. Keine entzündete Magenschleimhaut, keine verengten Herzkranzgefäße, alles schön durchblutet und noch nicht einmal die Darmspiegelung hat einen Grund für den andauernden und lästigen Durchfall zutage gefördert. Nach außen spielt man weiterhin den starken Mann oder die starke Frau. Nur ja niemanden bemerken lassen, was da in Wirklichkeit mit mir geschieht. Die „eiserne Maske“ bleibt aufgesetzt, bloß keine Schwäche zeigen. Alles in bester Ordnung.
Wer bei einem guten Arzt landet, bemerkt dessen ganzheitlichen Blick, er stellt Fragen zur Lebensführung, zum privaten und beruflichen Umfeld und möglicherweise ist die Rede von einer Psychosomatik. Psycho?! Das geht ja gar nicht! Bei mir doch nicht. Auf gar keinen Fall. Die Abwehrreaktion lässt nicht lange auf sich warten. Ärzten ist aber das Phänomen einer Konversionsneurose wohl vertraut. Dahinter steckt ein seelisches Leiden, das sich nicht anders Ausdruck zu verleihen vermag, als den Schmerz über ein Körperorgan zu signalisieren, das an und für sich gesund ist. Was es doch alles gibt in unserem menschlichen Dasein?! Ein empfohlenes Überdenken der Lebenssituation, ein gewisses Maß an Verhaltensänderung? Fehlanzeige. Das geht anscheinend nicht. Völlig unmöglich. Dafür habe ich keine Zeit! Das zumindest glaube ich, bis ich im Krankenhaus liege und zu meiner eigenen Überraschung anerkennen muss, dass es sehr wohl anders und vor allem auch ohne mich ganz gut geht im Büro, auf der Baustelle oder im Klassenzimmer.