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Was Resilienz stärkt E-Book

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Beschreibung

Das Konzept der Resilienz hat in der Psychologie und Pädagogik, aber auch im öffentlichen Diskurs eine erstaunliche Karriere gemacht. Die einen verknüpfen damit hohe Erwartungen an eine Verbesserung der seelischen Gesundheit durch die systematische Förderung der psychischen Abwehrkräfte. Von anderen wird es als individualisierendes Konzept heftig kritisiert, das die Verwundbarkeit von Kindern übersieht und von der Verbesserung belastender Lebensverhältnisse eher ablenkt. Das Buch prägt der Anspruch, sowohl die Fortschritte und Chancen der Resilienzforschung und -förderung angesichts aktueller Krisen und Transformationsprozesse in unseren Gesellschaften konstruktiv zu erörtern als auch die Risiken und Grenzen des Ansatzes kritisch zu reflektieren.

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Inhalt

Cover

Titelei

Einleitung: Resilienz – Chancen und Risiken eines boomenden Konzepts

1 Chancen und Perspektiven des Resilienzkonzepts im pädagogischen Feld

Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen und Schulen – Perspektiven über das Individuum hinaus

1 Zum Konzept der Resilienz und der Resilienzfaktoren

2 Über das Individuum hinaus: Resilienzförderung in Kita und Schule

3 Schluss

Literatur

Aufarbeitung von Gewalt in der Kindheit. Was aus der Zeugenschaft von Betroffenen über Resilienz gelernt werden kann

1 Einleitung: Von Vulnerabilität zu Resilienz

2 Zur Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

3 Zugang und Auswertung von Berichten

4 Wissen aus der Zeugenschaft über Resilienz

5 Exploratives Fazit: Resilienz und Sinnstiftung

Literatur

Was heißt eigentlich »Prozess«? Bemerkungen zu den Implikationen des Prozesscharakters für das Verständnis von Resilienz und Vulnerabilität

1 Einleitung

2 Prozessphilosophie

3 Eine prozessphilosophische Perspektive auf menschliche Entwicklung

4 Resilienz und Vulnerabilität aus prozessphilosophischer Perspektive

5 Prozessethische Implikationen

Literatur

Das Resilienz-Paradox in Forschung und Prävention

1 Einleitung

2 Das Resilienz-Paradox der Forschung

3 Das Resilienz-Paradox der Prävention

Literatur

2 Probleme und Widersprüche des Resilienzkonzepts im pädagogischen Feld

Resilienz und Bildung – eine (macht-)‌kritische Perspektive auf die Verhältnisbestimmung von Anpassung und Widerstand in bildungsprogrammatischen Texten

1 Anpassung und Widerstand zwischen Ermächtigung und Unterwerfung

2 Zur Legitimation und Ausformung des Verhältnisses von Bildung und Resilienz

3 Zur Kritik der Anpassung im Widerstand

4 Zum Schluss: Kritik der Kritik

Literatur

Diskreditierungen »sozioökonomisch benachteiligter« Schüler*innen in einer Pisa-Sonderauswertung zum »Erfolgsfaktor Resilienz«

1 Einleitung

2 »Erfolgsfaktor Resilienz«

3 Resilienz und Chancen‍(un)‌gerechtigkeit

Literatur

Der Resilienz widerstehen – der Vulnerabilität auch? Überlegungen mit Blick auf verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche

1 Einleitung

2 Resilienz im Modus der Verfügbarkeit

3 Vulneranz – Bindeglied zwischen Vulnerabilität und Resilienz?

4 Der Resilienz widerstehen – der Vulnerabilität auch?

Literatur

Wer von Resilienz redet, darf von Vulnerabilität nicht schweigen. Und wer von Vulnerabilität schweigt, redet nicht von Resilienz. Eine Perspektivierung materialistischer (Behinderten-)‌Pädagogik

1 Materialistische (Behinderten-)‌Pädagogik – ein Abrégé

2 Resilienz? Vulnerabilität! ... und (Behinderten-)‌Pädagogik

3 Wenn Leben übergreift: Behinderung, Resilienz und Vulnerabilität

Literatur

Aggressives Verhalten als Ausdruck psychischer Widerstandskräfte

1 Einleitung

2 Aggression als abweichendes Verhalten

3 Das anpassungsfähige Kind in defizitären, ressourcenarmen Strukturen

4 Der Blick auf das Bewältigungskapital

5 Erlernte Hilfslosigkeit vs. aggressives Verhalten

6 Funktionelle Aspekte aggressiven Verhaltens

7 Haltung und Umgang

8 Fazit

Literatur

Pädagogik außerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse? Eine soziologische Hegemoniekritik an Resilienz am Beispiel eines sexualisierten Übergriffes in einer Schule

1 Einleitung

2 Ein sexualisierter Übergriff und die Resilienz eines Mädchens

3 (Macht-)‌Kritik der Resilienz

4 Leerstellen der Resilienzforschung – ein Fazit

Literatur

3 Herausforderungen und Möglichkeiten der Förderung von Resilienz im pädagogischen Feld

Resilienz mit Introvision: Gelassenheit fördern zur Stärkung innerer Widerstandskräfte

1 Resilienz und Introvision – eine Einordnung

2 Zwischen Gelassenheit und Panik

3 Strategien zur Bewältigung von Konflikten

4 Fazit und Ausblick

Literatur

Familiale Resilienz bei chronischer Erkrankung als Thema von Lernen und Bildung

1 (Familiale) Resilienz zwischen Bewältigung und Anpassung

2 Familiale Resilienz als systemische Betrachtung

3 Familie als Ort von Bildungs- und Carebeziehungen

4 Lernen und Resilienz im Bürgerforschungsprojekt FamGesund

Literatur

Darf das vulnerable Subjekt sein? Resilienz und Vulnerabilität als Leitkategorien für pädagogisches Handeln

1 Einführung

2 Resilienz als Antwort

3 Vulnerabilität und Vulnerantialität

4 Vulnerable Subjekte oder diskriminierende Strukturen?

5 Pädagogische Implikationen

Literatur

Kinder aus bildungsfernen Milieus in der Corona-Pandemie – Einstellungen und Resilienz

1 Einleitung

2 Theoretische Rahmung und Stand der Forschung: Lernen in bildungsfernen Familien vor und während der Pandemie

3 Methoden und Ergebnisse

4 Diskussion

5 Fazit

Literatur

Wenn Widrigkeiten nicht zur Sprache kommen. Weiße Flecken auf der kognitiv-evaluativen Landkarte und Resilienz

1 Einleitung

2 Kognitiv-evaluative Landkarten

3 Über weiße Flecken sollte man nicht schweigen

4 Konstellationen kognitiv-evaluativer Landkarten: Draußenspielen

Literatur

Resilienz im Spiegel ausgewählter Kinderbilderbücher

1 Einleitung

2 Resilienz – ein kurzer Überblick

3 Ausgewählte Kinderbilderbücher im Spiegel von Resilienzdynamiken

4 Fazit

Literatur

4 Rückblicke und Bilanzierungen im Hinblick auf die Bewältigung risikobehafteter Kindheiten

Müssen uns die Dichter sagen, was Resilienz ist? Drei verschiedene »Risikokindheiten« und drei verschiedene Bewältigungsstrategien in autobiografischer Perspektive

1 Einleitung

2 Resilienz als »Erziehungsinkompetenzkompensationskompetenz«?

3 Exemplarisches Verstehen von Entwicklungs- und Erziehungsprozessen. Zum Erkenntnispotential autobiografischer Texte für die Erziehungswissenschaft (und die Resilienzforschung)

4 »Resilienz durch Renitenz«: Andreas Altmann und seine Abrechnung mit dem autoritären Vater in dem Buch »Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend« (2012)

5 »Resilienz durch Rückzug und Reflexion«: Julia Franck und ihr Versuch, in dem Buch »Welten auseinander« (2021), die Erziehungsverweigerung ihrer Mutter zu verstehen

6 Eine verzweifelte Mischung aus Rebellion und Resignation statt Resilienz: Fritz Zorn und sein Versuch, sich in dem Buch »Mars« (1977) sein persönliches Scheitern trotz des Aufwachsens in der vermeintlich »besten aller Welten« zu erklären

7 Was kann man aus diesen autobiografischen Texten lernen – über Erziehung? Über menschliche Entwicklungsprozesse? Über Resilienz?

Literatur

Festschreiben, Umschreiben, Sich-Freischreiben: Resiliente Kindheitsbewältigung durch autobiografische Selbstreflexion

1 Einleitung

2 Bewältigung einer Kindheit in bitterster Armut – Frank McCourt (1930 – 2009)

3 Lebenslange autobiografische Auseinandersetzung mit den Kindheitstraumata – Peter Härtling (1933 – 2017)

4 Eine traumatische Kindheit mit schweren Langzeitfolgen – Natascha Wodin (*1945)

5 Festschreiben, Umschreiben, Sich-Freischreiben

Literatur

Erzählungen Jugendlicher mit Sehbeeinträchtigung im Spannungsfeld von Resilienz und Verwundbarkeit

1 Einleitung

2 Sample, Theorie und Methode

3 Kai Schuhmann

4 Felix Brandenburg

5 Mögliche Schlussfolgerungen und offene Fragen

Literatur

Verzeichnisse

Die Autorinnen und Autoren

Die Herausgebenden

Rolf Göppel, Prof. Dr., Pädagogische Hochschule Heidelberg, Erziehungswissenschaft/Allgemeine Pädagogik.

Ulrike Graf, Prof. Dr., Pädagogische Hochschule Heidelberg, Erziehungswissenschaft/Grundschulpädagogik.

Rolf Göppel, Ulrike Graf (Hrsg.)

Was Resilienz stärkt

Chancen und Risiken einesboomenden Konzepts

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-043259-8

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-043260-4epub: ISBN 978-3-17-043261-1

Einleitung: Resilienz – Chancen und Risiken eines boomenden Konzepts

Rolf Göppel & Ulrike Graf

Der Titel für diesen Band ist bewusst doppelsinnig gewählt: Er knüpft einerseits an den Titel des Sammelbandes »Was Kinder stärkt« von Opp, Fingerle und Freytag (1999) an, der zurecht als »Auftakt zum Resilienzdiskurs in den Erziehungswissenschaften« eingestuft wurde (Frindt 2020, S. 84). Somit zielt er auf die Frage nach dem heutigen Wissen darüber, was Resilienz von Kindern und Jugendlichen unterstützt, was ihre seelischen Widerstandskräfte aufbaut und stärkt. Zweifellos ist es eine pädagogisch hochbedeutsame Frage, wie man seelische Widerstandskraft, also Selbstvertrauen, Zuversicht und Lebensmut, gerade bei jenen Kindern und Jugendlichen fördern kann, die mit erheblichen Entwicklungsrisiken aufgewachsen sind oder aktuell mit besonders belastenden Lebensumständen oder Lebensereignissen zurechtkommen müssen.

Der Titel kann aber auch noch anders verstanden werden, nämlich als Frage danach, welche gesellschaftlichen Tendenzen und welche Konstruktionen von Kindheit und Jugend durch die forcierte Betonung der Resilienz-Thematik, wie sie in den letzten Jahren zu beobachten ist, gestärkt werden. Sind es eventuell Tendenzen der (Selbst-)‌Optimierung? Phantasmen der Stress-Immunisierung? Trends der Verleugnung von Vulnerabilität, Abhängigkeit und Angewiesenheit von Kindern und Jugendlichen?

Der sperrige, aus dem Amerikanischen eingedeutschte Begriff Resilienz, der ursprünglich aus der Materialforschung stammt, hat seit jenem »Auftakt« eine erstaunliche, damals kaum vorauszusehende Karriere gemacht. Von daher kann man in der Tat von einem »boomenden Konzept« sprechen. Die Verwendung des Begriffs in der deutschsprachigen Literatur verzeichnet laut Googles Ngram Viewer seit Anfang der 2000er Jahre ein exponentielles Wachstum und der Trend dürfte sich gerade in den letzten Jahren unter dem Einfluss der multiplen Krisen (Göppel, Gstach & Wininger 2023) noch einmal deutlich beschleunigt haben. Es scheint, dass jener Begriff der Resilienz, der in Deutschland als exotischer Fachterminus lange nur in entsprechenden Insiderkreisen Verwendung fand, nun endgültig in die populärwissenschaftlichen Journale, die Feuilletons, die Lebenshilfebücher und damit in die Alltagssprache diffundiert ist. Eine kaum mehr zu überblickende Zahl von populären Ratgebern zum Thema kommt zumeist mit ziemlich simplen Erklärungen und großen Verheißungen daher. Die Symbolik, die sich auf den entsprechenden Buchcovern findet, ist in diesem Sinne bezeichnend: Meist ist es das berühmte »Stehaufmännchen«, das als Symbol gewählt wird, häufig aber auch der Schirm, der alle Widrigkeiten des Schicksals und des Alltags abhält, oder das Pflänzchen, das unaufhaltsam aus dem unwirtlichen Asphalt hervorsprießt. Oder aber der Lenkdrachen, mit dem man geschickt die Kräfte des Sturmes für eigene Zwecke nutzen kann, bzw. der Fels oder der Leuchtturm, der den heftigsten Brandungswellen standhält.

Gerade in den Zeiten der Corona-Krise hat das Resilienz-Konzept noch einmal deutlich an Popularität zugelegt. Denn die Frage nach den seelischen Abwehrkräften, die den Menschen helfen, mit all den Verunsicherungen und Ängsten sowie mit den Einschränkungen und Belastungen des Alltagslebens zurechtzukommen, trotz alledem gelassen und zuversichtlich zu bleiben, ist natürlich gerade in Pandemiezeiten besonders bedeutsam. Und wer konnte nicht beobachten, dass unterschiedliche Menschen diese gemeinsame Krise sehr unterschiedlich erlebten? Auch im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Klima-Krise tauchen immer häufiger Bezugnahmen auf das Resilienzkonzept auf. Sowohl im Hinblick auf die Menschen, die Resilienz benötigen, um mit den entsprechenden Zukunftsszenarien und den Vorboten des Klimawandels (Hitzewellen, Extremwetterereignisse) zurechtzukommen, als auch im Hinblick auf die Natur selbst, wenn etwa von der Resilienz von Ökosystemen die Rede ist und danach gefragt wird, wie Wälder, Felder und Weinberge verändert werden müssen, damit sie den veränderten klimatischen Bedingungen trotzen können.

Und mit Krieg und Flucht in Europa und dem, was dies an Verlusten, an seelischen Belastungen und Traumata für die Betroffenen, insbesondere für Kinder und Jugendliche mit sich bringt, hat wiederum das Thema Resilienz, also die Frage danach, warum unterschiedliche Menschen mit ähnlichen Konstellationen durchaus unterschiedlich umgehen, warum es manchen gelingt, sich trotz alledem erstaunlich gut und gesund im Leben zu behaupten, derzeit noch einmal eine besondere Aktualität gewonnen.

Doch nicht nur als faszinierendes (entwicklungs-)‌psychologisches Phänomen findet das Thema der Resilienz immer größere Beachtung, sondern auch als (sonder-)‌pädagogische Aufgabe. Denn es stellt sich beim Thema Resilienz natürlich die Frage, was Eltern, was Erzieher/innen und was Lehrkräfte tun können, um jene Widerstandskraft bei den Kindern zu stärken, und ob es sinnvoll und möglich ist, dass Bildungsinstitutionen den Auftrag der Resilienzförderung gezielt und systematisch in ihr Programm aufnehmen. Inzwischen wurde das Resilienzkonzept tatsächlich auch in diverse pädagogische Förderprogramme umgesetzt. Diese machen z. T. sehr weitreichende Versprechungen. So ist z. B. auf dem Cover des Buches »Resilienz. Widerstandsfähigkeit stärken – Leistung steigern« von Annie Greef (2008), das »praktische Materialien für die Grundschule mit Kopiervorlagen« bietet, zu lesen:

»Mithilfe der sechs ausgearbeiteten Einheiten des Bandes stärken Sie das Vertrauen der Kinder und Heranwachsenden in die eigenen Fähigkeiten. Die Übungen [...] fördern und festigen gezielt das Selbstbewusstsein, die Durchsetzungskraft, Widerstandsfähigkeit und Toleranz der Kinder. Das positive Resultat ist eine kontinuierliche schulische Leistungssteigerung.«

Und auf dem Trainingsbuch »Die sieben Säulen der Resilienz« wirbt Emilia Morel (2021) mit dem Versprechen, den erwachsenen Leser/innen Anleitung zu geben, »Wie Sie mit den Powermethoden eiserne Resilienz trainieren, absolut stressresistent werden und eiserne Widerstandskraft aufbauen«.

Dabei ist freilich keineswegs klar, inwiefern die immer stärkere Popularisierung des Resilienzkonzepts und die Aufladung mit immer größeren Ambitionen und Verheißungen im Hinblick auf die pädagogische Machbarkeit von seelischer Widerstandskraft tatsächlich in direkt proportionalem Verhältnis zu substantiell neuen und spektakulären Erkenntnissen im Feld der Resilienzforschung stehen. Immer noch wird nämlich vor allem auf die »Mutter aller Resilienz-Studien«, die Kauai-Studie von Emmy Werner verwiesen, die bereits im Jahr 1955 gestartet ist und deren letzte Erhebungswelle inzwischen schon mehr als 30 Jahre zurückliegt (Werner 1992). Immer wieder werden in der aktuellen Literatur Kataloge von »personalen« und »sozialen Schutzfaktoren« präsentiert, die denen von Werner weitgehend gleichen (vgl. Werner 1997, S. 203).

Von Ann S. Masten wurde inzwischen eine Abfolge unterschiedlicher Phasen der Resilienzforschung beschrieben und damit die Verlagerung der Interessens- und Forschungsschwerpunkte seit jener »Initial-Studie« von Werner nachgezeichnet. Grundsätzlich ist im Zusammenhang mit Resilienz heute kaum mehr von »Invulnerabilität« die Rede, also von Kindern mit ganz besonderen, quasi »magischen« Persönlichkeitseigenschaften, welche sie gegen die Unbillen des Schicksals feien, sondern es wird zumeist anerkannt, dass alle Kinder eine Belastungsgrenze haben und dass gravierende Defizite unweigerlich ihre Spuren hinterlassen. Unter dem Stichwort »Ordinary Magic« (Masten 2014) wird weiterhin darauf hingewiesen, dass jene Kinder und Jugendliche, die als besonders resilient auffallen, in der Regel eben doch einfach etwas mehr Unterstützung hatten und diese wiederum etwas besser nutzen konnten als andere. In dem Sinne heißt es: »Widerstandskraft geht aus den adaptiven Systemen hervor, wie sie für die Kindesentwicklung gang und gäbe sind« (Masten 2016, S. 25). Zudem wird im Hinblick auf die Idee der Resilienzförderung neben der Stärkung individueller Ressourcen zunehmend die Notwendigkeit gesehen, auch auf politisch-struktureller Ebene präventiv zu steuern und dafür zu sorgen, dass bestimmte Belastungen erst gar nicht entstehen (Hart et al. 2016).

Neben dieser Entmystifizierung des Resilienzbegriffs ist in jüngerer Zeit auch dessen weitreichende Entgrenzung zu beobachten. Denn inzwischen wurde dieser Begriff aus seiner ursprünglichen Heimat in der Materialforschung und seiner »Zweitheimat« in der Psychologie herausgelöst und immer häufiger auf komplexe Systeme ganz unterschiedlicher Art bezogen. Als abstrakter Systembegriff lässt er sich dann gleichermaßen auf Lieferketten, Unternehmensstrukturen, Finanzinstitute, Armeen, Gesundheitssysteme, Computernetzwerke und auf kindliche Entwicklungsverläufe sowie auf menschliche Bewältigungsprozesse im weiteren Lebenslauf anwenden. Allerdings fordert Masten: »Idealerweise sollte Resilienz so definiert werden, dass man sie auf vielen Ebenen anwenden kann, von der molekularen bis zur planetaren« (2016, S. 281). Inwiefern man dann mit demselben Begriff noch von denselben Phänomenen und Prozessen spricht, dies ist freilich die Frage.

Mehr als 40 Jahre nach dem Erscheinen des ersten »Resilienz-Buches« von Emmy Werner und Ruth Smith mit dem Titel »Vulnerable but Invincible. A Longitudinal Study of Resilient Children and Youth« (1982) und 25 Jahre nach dem oben erwähnten deutschen Auftakt-Sammelband »Was Kinder stärkt« von Opp, Fingerle und Freytag (1999) scheint es an der Zeit für eine kritisch-würdigende Bilanz. Zeit dafür, die Frage zu stellen, welche markanten Erkenntnisfortschritte im Bereich der Resilienzforschung und welche konzeptionellen Entwicklungen im Bereich der Resilienzförderung es seitdem gab. Immerhin könnte es ja auch sein, dass der Boom des Konzepts weniger mit spektakulären Erkenntnisfortschritten, sondern eher mit Erlösungssehnsüchten und mit entsprechenden pädagogisch-psychologischen Verheißungstendenzen und Vermarktungsfortschritten zu tun hat. Inwiefern wissen wir heute mehr über die Risiko- und Schutzfaktoren der (kindlichen) Entwicklung? In welchen Punkten und in welchen Hinsichten haben wir heute tatsächlich ein klareres, differenzierteres, gesicherteres Wissen darüber, worauf es zentral ankommt, damit Kinder, Jugendliche und Erwachsene in belasteten Lebensverhältnissen sich zu »starken«, »widerstandsfähigen«, »resilienten« Menschen entwickeln können? Worauf ist somit zu achten, wenn pädagogische Personen, Institutionen und Programme eine solche Entwicklung gezielt und systematisch unterstützen wollen? Es geht also um eine kritisch-würdigende Bilanz und um konstruktive Überlegungen im Hinblick auf sinnvolle Formen der Weiterentwicklung der Resilienzforschung und -förderung angesichts aktueller Krisen- und Transformationsprozesse in unseren Gesellschaften.

Die Beiträge des Bandes lassen sich dabei vier großen Themenfeldern zuordnen:

(1) Chancen und Perspektiven des Resilienzkonzepts im pädagogischen Feld: In diesem Kapitel versammeln sich zum einen Beiträge, welche die multi-systemische Perspektive des Resilienzkonzepts betonen (Fröhlich-Gildhoff) und der Frage nachspüren, was im Rahmen von Resilienzförderung und Prävention einerseits erprobt ist und andererseits widersprüchlich bzw. paradox bleibt (Fröhlich-Gildhoff, Helmreich). Zum anderen werden Resilienz und Vulnerabilität in ihrer grundsätzlichen Bezogenheit aufeinander prozesstheoretisch diskutiert (Fingerle) und insbesondere die Bedeutung der Zeugenschaft für Resilienz im Rahmen der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt herausgearbeitet (Andresen).

(2) Probleme und Widersprüche des Resilienzkonzepts im pädagogischen Feld: In diesem Kapitel werden (Miss-)‌Verständnisse und Widersprüchlichkeiten von Resilienz anhand von Dokumentenanalysen aus dem bildungspolitischen Bereich (Kirschner) und der Bildungsforschung (Puhr) thematisiert, resilienzorientierte Perspektiven auf Vulnveranz/Vulnerantialität eröffnet (Müller, Schramm) und das Verhältnis von Resilienz und Vulnerabilität aus der Perspektive der materialistischen (Behinderten-)‌Pädagogik (Schneider-Reisinger) vorgestellt. Weiterhin wird an einem schulischen Beispiel gezeigt, wie durch die normative Anrufung des Resilienzkonzepts pädagogische, institutionelle und gesellschaftliche Verantwortungshorizonte in den Hintergrund geraten können (Götsch & Bliemetsrieder).

(3) Herausforderungen und Möglichkeiten der Förderung von Resilienz im pädagogischen Feld: Unter dieser Überschrift sind Beiträge gebündelt, die um das Thema erweiterter Handlungsmöglichkeiten kreisen. Diese werden am Beispiel der Introvision zur Förderung von Gelassenheit (Iwers & Rohde) sowie einer Analyse ausgewählter Kinderbilderbücher und den dort modellierten Entwicklungsprozessen und Problembewältigungen (Graf) thematisiert. Daneben wird ein erweiterter Blick auf Resilienz nicht nur in Familien, sondern auf Resilienz von Familien als System, also familiale Resilienz vorgeschlagen, die anhand eines Projekts mit Familien mit chronischer Erkrankung entwickelt wurde. Darüber hinaus erhellt eine Studie zur Einstellung von Kindern aus bildungsfernen Milieus in der Pandemie (Klopsch & Rohlfs) vier Cluster von Einstellungen der Schüler/innen aus bildungsfernen Kontexten zur Handlungsfähigkeit in Bezug auf Lernprozesse. Letztere werden auch unter den Vorzeichen von Vulneranz einerseits und unabänderlichen Vulnerabilitäten, die in das Leben integriert werden müssen, in den Blick genommen, wobei u. a. die Bedeutung der Habitussensibilität der Lehrkräfte betont wird (Thümmler & Bartz). Schließlich wird anhand des Themas »weiße Flecken« darauf aufmerksam gemacht, dass es im Leben von Personen »objektiv« vorhandene Themen geben kann (etwa Leben in sogenannten »sozialen Brennpunkten«), die in der eigenen subjektiven Wahrnehmung aber ausgeblendet bleiben, wie es sich bspw. in Interviews mit betreffenden Personen zeigen kann. Diskutiert wird dies im Anschluss an das Konzept kognitiv-evaluativer Landkarten (Kohlscheen & Struck).

(4) Rückblicke und Bilanzierungen im Hinblick auf die Bewältigung risikobehafteter Kindheiten: In den Beiträgen zu diesem Themenfeld wird gefragt: Was können wir aus der Analyse von Lebensgeschichten über die unterschiedlichen Weisen der Verarbeitung von Belastungen, über hilfreiche und weniger hilfreiche Formen (pädagogischer) Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen lernen? Die Beiträge beziehen sich auf autobiografische Literatur sowie Erzählungen Jugendlicher (Göppel, Zander, Bödicker).

Im Folgenden werden die einzelnen Beiträge in der Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses vorgestellt.

Chancen und Perspektiven des Resilienzkonzepts im pädagogischen Feld

Klaus Fröhlich-Gildhoff erörtert in seinem Beitrag Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen und Schulen – Perspektiven über das Individuum hinaus zunächst den Resilienzbegriff in seinen unterschiedlichen Varianten, wobei die bekannten Resilienzfaktoren und ihr Zusammenwirken in einem Überblick dargestellt werden. Der Autor betont die Notwendigkeit, Resilienzförderung nicht durch eine Fokussierung auf das Individuum und dessen Stärkung zu verengen, sondern im Sinn der Entwicklung struktureller Faktoren Belastungen zu reduzieren. Am Beispiel von evaluierten Förderprogrammen und -maßnahmen für Kindertagesstätten und Schule erfolgt eine Aufgliederung von vier Ebenen – Arbeit mit Kindern, Zusammenarbeit mit Eltern, Fortbildungen für professionelle Akteur/innen und Netzwerkbildung –, auf denen Resilienzfördermaßnahmen im Rahmen eines intermodalen Konzepts stattfinden sollten. Hinweise auf wesentliche Ergebnisse aus den Evaluationsstudien münden in das Plädoyer, die überindividuelle Resilienzförderung weiter zu befördern.

Sabine Andresen diskutiert in ihrem Artikel Aufarbeitung von Gewalt in der Kindheit. Was aus der Zeugenschaft von Betroffenen über Resilienz gelernt werden kann anhand von Erkenntnissen aus der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und Erfahrungen der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs den Zusammenhang von Zeugenschaft und Resilienz. Die Autorin geht dabei von der kindheitstheoretischen Perspektive aus, nach der allgemein Menschen und insbesondere Kinder als Menschen vulnerabel und zugleich autonomiefähig sind. Im Zusammenhang der vulnerablen Bedingungen, die Kinder beispielsweise in von ihnen vorgefundenen Beziehungs- sowie Erziehungs- und Sorgekonstellationen vorfinden, wird anhand von Beispielen aus der Forschung zur Aufarbeitung sexuellen Kindsemissbrauchs die Bedeutung der Zeugenschaft Dritter, also von Personen, die keine Gewalt ausübten, aber zum Umfeld des Kindes gehörten, als einer hilfreichen Bedingung für Resilienz beleuchtet.

Michael Fingerle geht in seinem Beitrag Was heißt eigentlich »Prozess«? Bemerkungen zu den Implikationen des Prozesscharakters für das Verständnis von Resilienz und Vulnerabilität dem Verhältnis von Vulnerabilität und Resilienz prozesstheoretisch nach. Der Autor beleuchtet dabei sowohl entwicklungspsychologische Zugänge zu Resilienz und Vulnerabilität kritisch wie er Zustandsbeschreibungen oder gar ontologische Aussagen zu der Begriffsdoublette als »conditio humana« infrage stellt und ebenso normative und politische Dimensionen als nicht hinreichend diskutiert. Vom Prozesscharakter von Resilienz ausgehend plädiert Fingerle dafür, dass Resilienz und Vulnerabilität nicht per se zur menschlichen Existenz gehören, sondern sekundäre Kategorien darstellen, wobei sie irreduzibel aneinander gekoppelt sind. Vielmehr können Vulnerabilitäten und Resilienz aus der dem menschlichen Leben eigenen Endlichkeit und Ungewissheit hervorgehen. Dabei ist es dem Autor ein Anliegen, die diskursive Dichotomie von Resilienz und Vulnerabilität in ein integratives Verständnis zu transformieren, in dem normative Fragen sozialer Gerechtigkeit aufrechterhalten werden.

Isabella Helmreich thematisiert in ihrem Beitrag Das Resilienz-Paradox in Forschung und Prävention verschiedene Widersprüche: Einerseits gilt Resilienz als dynamisches, multi-systemisches Entwicklungsgeschehen, das beeinflusst werden kann, andererseits bleibt die Definitionslandschaft zur Resilienz unscharf, was ebenso wie die Dynamik von Resilienzverläufen eine Operationalisierung erschwert. Im Feld der Prävention spürt die Autorin der Paradoxie nach, dass eine erhöhte Belastbarkeit als Ziel kontextstabilisierend wirken kann und risikoreiche Umfeldfaktoren stabilisiert.

Probleme und Widersprüche des Resilienzkonzepts im pädagogichen Feld

Anne Kirschner analysiert in ihrem Beitrag Resilienz und Bildung – eine (macht-)‌kritische Perspektive auf die Verhältnisbestimmung von Anpassung und Widerstand in bildungsprogrammatischen Texten drei bildungspolitische Dokumente aus diskursanalytischer Perspektive: den aktuellen Baden-Württembergischen Bildungsplan, die OECD-Sonderauswertung »Erfolgsfaktor Resilienz« sowie das vom Verein der bayrischen Wirtschaft herausgegebene Gutachten »Bildung und Resilienz«. Im Zentrum der diskursanalytischen Betrachtung Kirschners steht dabei das in den Texten für pädagogisches Denken konstituierte Verhältnis von Autonomie und Fremdbestimmung. Die Autorin spürt im Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand der Frage nach, wie Schüler/innen im Hinblick auf Resilienz in den genannten bildungspolitischen Dokumenten »adressiert« werden.

Kirsten Puhr übt in ihrem Beitrag Diskreditierungen »sozioökonomisch benachteiligter« Schüler/innen in einer Pisa-Sonderauswertung zum »Erfolgsfaktor Resilienz« anhand der OECD- und Vodafone-Studie (2018) Kritik an der Adressierung von »sozioökonomisch benachteiligten« Schüler/innen als »bildungsfern« im Bildungssystem wie der empirischen Bildungsforschung. Die Autorin geht der Frage nach, inwiefern die strukturellen Bedingtheiten von Bildungserfolg zum einen ins psychosoziale Umfeld verlegt würden und zum anderen ausgeblendet würde, dass der Staat in der Verantwortung für deren Änderung stünde. Statt dessen würden vergleichbare Bildungsvoraussetzungen fingiert und der Anspruch erhoben, diese seien durch Resilienzförderung pädagogisch ›machbar‹. Puhrs Analysen münden in der Frage, wie die Orientierung an Resilienz und Chancen‍(un)‌gerechtigkeit im Bildungssystem zusammenhängen. Ihre Ausführungen sekundiert die Autorin mit Passagen aus dem Bildungsroman »Streulicht« von Denniz Ohde (2021), in denen Erfahrungen des Bildungsweges einer Ich-Erzählerin aus sog. ›bildungsfernem‹ Kontext zur Sprache kommen.

Thomas Müller verfolgt in seinem Beitrag Der Resilienz widerstehen – der Vulnerabilität auch? Überlegungen mit Blick auf verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche das Anliegen, die Dichotomie von Resilienz und Vulnerabilität zu überwinden, indem der Begriff der Vulneranz (Verletzungsmacht) aufgegriffen wird. Mit besonderem Blick auf den sonderpädagogischen Bereich von Verhaltensauffälligkeit wird zur Geltung gebracht, inwiefern vulnerantes Verhalten aus schwerwiegenden eigenen Verletzungen durch andere Personen bzw. Institutionen erwächst und als Ausdruck von Ohnmachtserleben gelesen werden sollte. Der Autor schlägt vor, Resilienz, Vulnerabilität und Vulneranz stets in Verbindung miteinander zu thematisieren und damit den Resilienzdiskurs einmal mehr aus der Ecke seiner Selbstoptimierungs- und Verfügbarkeitsverengungen zu lösen.

Robert Schneider-Reisinger stellt in seinen Überlegungen unter dem Titel: Wer von Resilienz redet, darf von Vulnerabilität nicht schweigen. Und wer von Vulnerabilität schweigt, redet nicht von Resilienz. Eine Perspektivierung materialistischer (Behinderten-)‌Pädagogik vor. Dabei werden systemische Gedanken von Handlungsgeweben in menschlichem Miteinander auf der direkten Ebene von Praktiken wie der Ebene von organisationalen Vorstrukturierungen menschlicher Praxisfelder entfaltet, in denen das Verhältnis von Resilienz und Vulnerbilität dialektisch ausgeleuchtet wird. Die Argumentation mündet in die Forderung, Verletzlichkeit und gegenseitige Angewiesenheit als eine conditio humana im Geflecht von Resilienz und Vulnerabilität (nicht nur) in der (Behinderten-)‌Pädagogik zur Geltung zu bringen.

Jennis Schramm blickt in seinem Beitrag Aggressives Verhalten als Ausdruck psychischer Widerstandskräfte aus therapeutischer Sicht auf ein Verhalten von Kindern und Jugendlichen, das im Sinn gesellschaftlicher Normativität eigentlich nicht als Resilienz eingestuft werden kann. Aus einer sozio-ökologischen Perspektive von Lernerfahrungen in gewaltaffinen Aufwachskontexten allerdings plädiert er dafür, auch aggressives Verhalten angesichts erlittener Ohnmachtsgefühle als Ausdruck von subjektiver Agency zu lesen und darin Widerstandsfähigkeiten zu erkennen, die mindestens als ein Teilaspekt von Resilienz gewürdigt und als ein möglicher Schritt in ihrer weiteren Ausbildung gewertet werden könne, wobei darauf geachtet werden muss, dass durch so adressierte Aggressivität nicht weitere Opfer in Kauf genommen werden.

Monika Götsch und Sandro Bliemetsrieder analysieren in ihrem Beitrag Pädagogik außerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse? Hegemoniekritik an Resilienz am Beispiel eines sexualisierten Übergriffes in der Schule aus machtkritischer Perspektive einen Vorfall sexualisierter Gewalt gegen eine Schülerin auf dem Schulhof, den diese unter dem Einsatz körperlicher Gewalt abgewehrt hat. Problematisiert wird dabei vor allem, dass keine weitere Thematisierung in der Schule stattgefunden hat. Die Reaktionen der Schule werden kritisch daraufhin beleuchtet, inwiefern sie Resilienz individualistisch, zur alleinigen Angelegenheit individueller Fähigkeiten verengen, ohne dabei auch die Frage nach den Ursachen von sexualisierter Gewalt zu stellen und damit den Weg für die Veränderung begünstigender Faktoren missbräuchlichen Verhaltens zu öffnen.

Herausforderungen und Möglichkeiten der Förderung von Resilienz im pädagogichen Feld

Telse Iwers und Angela Rohde befassen sich in ihrem Beitrag Resilienz mit Introvision: Gelassenheit fördern zur Stärkung innerer Widerstandskräfte mit der Frage, inwiefern Gelassenheit als ein individueller Aspekt von Resilienz gelten bzw. als individuelle Ressource zur Resilienzförderung beitragen kann. Die Autor/innen zeigen anhand eines Fallbeispiels aus dem Studienalltag, wie mittels der Psychotonusskala, die Grade von Gelassenheit kategorisiert und über die Konstatierende Aufmerksame Wahrnehmung (KAW) mehr Gelassenheit eingeübt werden kann. Die KAW ist eine Methode, die eigene Aufmerksamkeit (auf Sinneswahrnehmungen, Gedanken oder Gefühle) eng- und weitstellen zu können, also auf eine Sache konzentriert zu sein und gleichzeitig die weitere Umgebung zu realisieren. Die Methode wird im Rahmen von selbst- oder fremdangeleiteten Introvisionsprozessen eingesetzt, um bei Unruhe und Stress mögliche Introjekte – im Lauf des Lebens erworbene ›innere Sätze‹ – entschlüsseln zu können, wie z. B. »Ich muss alles gut machen«. Denn Introjekte verengen den Blick und verstellen damit die Wahrnehmung auf eine Bandbreite von angemessenen Handlungsmöglichkeiten bei Problemen und Belastungen.

Birgit Behrisch thematisiert in ihrem Beitrag Familiale Resilienz bei chronischer Erkrankung als Thema von Lernen und Bildung den Unterschied von Resilienz in Familien und familialer Resilienz in systemischer Hinsicht. Dabei wird Familie als Ort von Care- und Bildungsprozessen beleuchtet und das Bürgerforschungsprojekt Familiengesundheit (FamGesund), ein gemeinsames Projekt des Kompetenzzentrums für Familiengesundheit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin mit dem Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe, vorgestellt. Erste Auswertungen von Familieninterviews anhand der Grounded Theory geben Einblick in die Lernprozesse von Familien im Zusammenhang mit dem Auftreten einer chronischen Erkrankung, verbunden mit der Frage, inwieweit das partizipative Design des Projekts, in dem Wissenschaftler/innen, Praktiker/innen und Bürger/innen kooperieren, selbst zur Resilienzförderung beizutragen vermag.

Ramona Thümmler und Janieta Bartz setzen sich entlang der Frage Darf das vulnerable Subjekt sein? Resilienz und Vulnerabilität als Leitkategorien für pädagogisches Handeln mit dem Verhältnis von Vulnerabilität, Vulnerantialität und Resilienz bei Kindern aus benachteiligten Lebenslagen auseinander. Im Zusammenhang eines Spannungsverhältnisses von Reslienzförderung und der Akzeptanz von Vulnerabilitäten fokussieren die Autorinnen einerseits auf strukturelle Benachteiligungsbedingungen und verweisen andererseits auf unabänderliche Vulnerabilitäten, die die Herausforderung der Integration in das eigene Leben stellen und in pädagogischen Kontexten entsprechend sensibel zu begleiten sind. Am Ende des Beitrags werden pädagogische Maßnahmen auf Selbstoptimierungsaspekte hin kritisch befragt und es wird auf die Habitussensibilität der pädagogisch Handelnden verwiesen, die vonnöten ist, damit Kinder, die Vulneranz zeigen, in ihrer vorgängigen Verletztheit gesehen werden können.

Britta Klopsch und Carsten Rohlfs stellen in ihrem Beitrag Kinder aus bildungsfernen Milieus in der Corona-Pandemie – Einstellungen und Resilienz quantitative Ergebnisse einer Mixed-Methods-Studie zu schulbezogenen Einstellungen von 207 Kindern an vier Grundschulen aus bildungsfernen Milieus im Lockdown (Frühjahr 2021) während der Pandemie vor. Auf dem Hintergrund der fachöffentlichen Deutung von Schulerfolg von Schüler/innen aus benachteiligter sozialer Herkunft als Resilienz fokussiert die vorliegende Studie Einstellungen und Lernerfahrungen. Das Augenmerk wird besonders auf Benachteiligung und Selbstorganisation gerichtet, indem die Fähigkeit der Selbststeuerung des Lernens auf das Konstrukt der Student Agency bezogen wird. Die Autor/innen können anhand der Daten vier Cluster zur Handlungsfähigkeit in Bezug auf Lernprozesse bilden. Diese reichen von ausgeprägtem Durchhaltevermögen über ein statisches sowie dynamisches Selbstkonzept bis zur geringen Lernfreude. Am Ende werden die Ergebnisse hinsichtlich der Herausforderungen für das Schulsystem diskutiert, das in der Studie identifizierte Potenzial für schulischen Erfolg nutzen zu können.

Jörg Kohlscheen und Ronja Struck fragen in ihrem Artikel Wenn Widrigkeiten nicht zur Sprache kommen. Weiße Flecken auf der kognitiv-evaluativen Landkarte und Resilienz nach Aspekten des Lebens, die – wie etwa Armutsbetroffenheit – objektiv zur Lebenslage eines Menschen gehören, in dessen eigener Wahrnehmung aber z. B. in Interviewsituationen nicht thematisiert werden. Die Autor/innen nehmen dabei Bezug auf kognitiv-evaluative Landkarten (Rosa 2016), in denen die interpretierende Welt-Beziehung der jeweiligen Person sichtbar wird. In dem Begriffspaar Vulnerabilität und Resilienz sehen Kohlscheen und Struck eine Parallele zu Rosas Begriffspaar Angst und Begehren, worunter eine grundlegende Beziehungsqualität in der Selektion eigener Weltwahrnehmungen verstanden wird (Rosa 2016). Am Ende des Artikels werden Zwischenergebnisse aus dem Projekt »Konstellationen der Resilienz von Kindern« (KoReKi) in der Förderlinie »Abbau von Bildungsbarrieren: Lernumwelten, Bildungserfolg und soziale Teilhabe« (Bundesministerium für Forschung und Bildung) aus qualitativen Erhebungen mit Eltern und Kindern vorgestellt, anhand derer die Frage der Definitionsmacht von Subjekten in ihrer Weltwahrnehmung thematisiert wird: am Beispiel weißer Flecken zum Thema »Draußenspielen«.

Ulrike Graf befasst sich in ihrem Beitrag Resilienz im Spiegel ausgewählter Kinderbilderbücher mit Longlisttiteln und prämierten Bilderbüchern des Huckepackpreises, dem einzigen explizitem Kinderbilderbuchpreis, sowie einem »Buch des Monats«, welches das Bremer Institut für Bilderbuchforschung regelmäßig vorstellt. Nach einem Kurzüberblick darüber, was in der Forschung unter Resilienz verstanden wird, werden Herausforderungen sowohl aus dem allen Kindern bekannten Erziehungsalltag, unvorhergesehenen Risikosituationen wie Flucht oder Armutsbetroffenheit und existenzielle Phänomene wie die Traurigkeit beispielhaft aus der Perspektive der Resilienzförderung beleuchtet. Fragen gesellschaftlicher Werte können mit Blick auf Resilienzprozesse und -ergebnisse dabei nicht außen vor bleiben

Rückblicke und Bilanzierungen im Hinblick auf die Bewältigung risikobehafteter Kindheiten

Rolf Göppel geht in seinem Beitrag Müssen uns die Dichter sagen, was Resilienz ist? Drei verschiedene »Risikokindheiten« und drei verschiedene Bewältigungsstrategien in autobiografischer Perspektive von der These aus, dass sich sowohl über Resilienz als auch über Vulnerabilität nur in biografischen Zusammenhängen sinnvoll sprechen lässt. Man muss auf konkrete Lebensgeschichten und die darin beschriebenen Lebensumstände, Erziehungsverhältnisse und Milieubedingungen schauen, auf das, was Personen dort erlebt und erlitten haben und auf das, was diese Erfahrungen mit ihnen gemacht bzw. was die Personen mit diesen Erfahrungen gemacht haben, um solche Einschätzungen treffen zu können. Wenn von Resilienz die Rede ist, schwingt immer das Überraschungsmoment des »trotz alledem« mit, also die Vorstellung, dass eine Person, die im Laufe ihrer Entwicklung so viele Härten, Entbehrungen, Widrigkeiten zu bewältigen hatte, irgendwie gebrochen, innerlich deformiert, seelisch verletzt sein müsste. In dem Beitrag werden drei literarische Autobiografien vergleichend präsentiert und analysiert, in denen SchriftstellerInnen zurückblicken auf die Irrungen und Wirrungen, die Sorgen und Sehnsüchte, die Ängste und Ärgernisse ihrer Kindheit und Jugend, in denen sie aber auch über die subjektiven Strategien reflektieren, mittels derer sie damals versucht haben, sich selbst zu behaupten, den Härten und Zumutungen ihrer familiären Situation etwas entgegenzusetzen. Die zugeordneten Strategien sind dabei sehr unterschiedlich und werden beschrieben als »Resilienz durch Renitenz«, »Resilienz durch Rückzug und Reflexion« und schließlich als »verzweifelte Mischung aus Rebellion und Resignation«.

Margherita Zander bietet in ihrem Beitrag Festschreiben, Umschreiben, Freischreiben: Resiliente Kindheitsbewältigung durch autobiografische Selbstreflexion Einblicke in die autobiografischen Werke der drei Autor/innen Frank McCourt, Peter Härtling und Natascha Wodin, die alle zwischen 1930 und 1945 geboren sind und bis ins 21. Jahrhundert hinein leb‍(t)‌en. Zander legt den Fokus ihrer Analyse in historischer Kontextualisierung auf die in den gesichteten Werken zugänglichen Belastungsfaktoren und die Bewältigungsprozesse sowie -erfolge der drei Autor/innen. Dabei kommen sowohl gelungene Bewältigungsprozesse wie auch das Ringen um Resilienz zur Sprache, wie es sich etwa in verschiedenen Bearbeitungsstufen in zeitlich aufeinander folgenden schriftstellerischen Werken spiegelt.

Anne Bödicker widmet sich in ihrem Artikel Erzählungen Jugendlicher mit Sehbeeinträchtigung im Spannungsfeld von Resilienz und Verwundbarkeit der Frage des Zusammenhangs von Resilienz und Vulnerabilität anhand einer ableismuskritischen Studie nach dem Ansatz der Disability-Studies. Jugendliche mit Sehbeeinträchtigung auf einer Förderschule erzählen von ihren Erfahrungen in inklusiven wie segregativen Settings, die sie während ihrer bisherigen Schulbiografie besucht haben. Die Auswertung der leitfadengestützten Interviews, aus denen beispielhaft zwei Auszüge vorgestellt werden, erfolgte narrationsanalytisch und stellt die Frage des Erlebens einer Adressierung als »resilient« bzw. »vulnerabel« in den Mittelpunkt.

Eine Publikation lebt von kooperativer Arbeit. Wir danken Frau Angelina Begasse für ihre zuverlässige Unterstützung bei den Redaktionsarbeiten.

Seit Jahren überlagern und verschärfen sich vielfältige globale, geopolitische und gesellschaftliche Krisenszenarien. Von daher ist in den Zeitdiagnosen nicht selten von der »Erschöpfung des Selbst« (Ehrenberg 2008) oder von der »Überforderung des Subjekts« (Fuchs, Iwer & Micali 2018) die Rede. Gleichzeitig erlebt das Resilienzkonzept im öffentlichen Diskurs einen nie dagewesenen Boom. Mit pädagogischen Bemühungen um Resilienzförderung wird den globalen Spannungen und Bedrohungen und den gesellschaftlichen Krisen und Konflikten kaum beizukommen sein. Dennoch bleibt die Stärkung von Selbstvertrauen, Zuversicht und Widerstandskraft bei Kindern und Jugendlichen ein wichtiges und ehrenwertes Ziel. Wenn die Texte dieses Bandes zu einem tieferen Verständnis für die menschlichen Grundphänomene von Vulnerablilität und Resilienz beitragen, wenn von ihnen Anregungen ausgehen, wie in unterschiedlichen pädagogischen Feldern Entwicklungsumgebungen und Beziehungen so gestaltet werden können, dass sich gerade für Kinder und Jugendliche aus Risikolagen Chancen auftun und Lebenssinn und Lebensmut gestärkt werden, dann würden wir uns freuen. Andererseits aber auch, wenn die Texte einen Beitrag dazu leisten, Skepsis gegenüber den großen Verheißungen und den überzogenen Erwartungen und Machbarkeitsphantasien zu wecken, die oftmals mit dem Resilienzkonzept verknüpft werden.

Heidelberg, im März 2024

Rolf Göppel und Ulrike Graf

Literatur

Frindt, A. (2020): Ambivalente Bewältigungsaktivitäten beim Aufwachsen unter ungünstigen Bedingungen. Resilienztheoretische Abstraktionen eines Entwicklungs- und Hilfeprozesses in der aufsuchenden Familienarbeit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.

Furchs, T., Iwer, L. & Micali, S. (2018): Das überforderte Subjekt. Zeitdiagnosen einer beschleunigten Gesellschaft. Berlin: Suhrkamp.

Greef, A. (2008): Resilienz. Widerstandsfähigkeit stärken – Leistung steigern. Donauwörth: Auer.

Göppel, R., Gstach, J. & Winninger, M. (2023): Aufwachsen zwischen Pandemie und Klimakrise. Pädagogisches Arbeiten in Zeiten großer Verunsicherung. Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 29. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Hart, A., Gagnon, E., Eryigit-Madzwamuse, S., Cameron, J., Aranda, K., Rathbone, A. & Heaver, B. (2016): Uniting Resilience Research and Practice With an Inequalities Approach. SAGE Open, 6‍(4). https://doi.org/10.1177/2158244016682477.

Masten, Ann S. (2014): Ordinary Magic. Resilience in Development. New York, London: Guilford Press.

Masten, A. S. (2016): Resilienz: Modelle, Fakten und Neurobiologie. Das ganz normale Wunder entschlüsselt. Paderborn: Junfermann.

Opp, G., Fingerle, M. & Freytag, A. (1999): Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resilienz. München: Ernst Reinhardt.

Werner, E. & Smith, R. (1982): Vulnerable but Invincible: A Longitudinal Study of Resilient Children and Youth. New York: Adams, Bannister and Cox.

Werner, E. & Smith, R. (1992) Overcoming the Odds. High Risk Children from Birth to Adulthood. Ithaca/London: Cornel University Press.

Werner, E. (1997): Gefährdete Kindheit in der Moderne: Protektive Faktoren. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 66 (1997) 2, S. 192 – 203.

1 Chancen und Perspektiven des Resilienzkonzepts im pädagogischen Feld

Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen und Schulen – Perspektiven über das Individuum hinaus

Klaus Fröhlich-Gildhoff

Abstract

Das Konzept der Resilienz findet auch in den Bildungsinstitutionen eine zunehmende Resonanz. So wurden einerseits Programme zur Stärkung psychischer Gesundheit und seelischer Widerstandskraft für einzelne Schüler*innen entwickelt, die jedoch in der Regel auf die Ebene des Individuums fokussiert sind. Dabei wird oftmals unzureichende Resilienz und letztlich das Scheitern als Eigenschaft oder Fähigkeit der einzelnen Person zugeschrieben und strukturelle Bedingungen bleiben außerhalb der Betrachtung.

Im Unterschied dazu beziehen systematische Konzepte zur Entwicklung von Kitas und Schulen zu resilienzförderlichen Institutionen alle Mitglieder des Systems (Kinder/Jugendliche, Pädagog*innen/Lehrer*innen, Eltern und weitere Beteiligte) ein und arbeiten an der Veränderung von Strukturen. Der Beitrag stellt nach einer allgemeinen Einführung diese Konzepte und deren Evaluation in den Mittelpunkt und benennt Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementation.

Schlüsselwörter: Resilienzförderung, Implementation, Organisationsentwicklung

1 Zum Konzept der Resilienz und der Resilienzfaktoren

Seit dem zunehmenden Boom der Resilienzforschung zu Beginn dieses Jahrhunderts finden sich zahlreiche konzeptionelle Begriffsbestimmungen. Unstrittig ist dabei, dass Resilienz an die Bewältigung von herausfordernden, kritischen oder traumatischen Situationen gekoppelt ist – in diesen Situationen spielt die Balance von außerpersonalen wie personalen Risiko- und Schutzfaktoren eine wesentliche Rolle. Bengel und Lyssenko (2012) beschreiben drei Perspektiven auf den Resilienzbegriff: 1. Resilienz als Resistenz gegenüber einem Stressor, d. h . es werden keine oder nur geringe Belastungsreaktionen beim Auftauchen von belastenden Ereignissen gezeigt; 2. Resilienz als (schnelle) Regeneration, d. h. es kommt zu einer kurzfristigen Belastung, dann aber schnellen Erholung und Rückkehr in den Alltag, und 3. Resilienz als Rekonfiguration, d. h. die Anpassungsfähigkeit von Verhaltensweisen und sozialen Kognitionen nach einem (meistens) traumatischen Ereignis.

Die verschiedenen Definitionen von Resilienz lassen sich auf einem Kontinuum von sehr eng bis weit gefassten Begriffsauslegungen einordnen. Bei einer engen Fassung wird die positive Bewältigung vor allem auf dem Hintergrund der Risikosituation bewertet. Resilienz liegt also nur dann vor, wenn eine Hochrisikosituation besser bewältigt wird, als erwartet wurde bzw. erwartbar ist (vgl. Diskussionen in Opp, Fingerle & Suess 2020; Zander 2011). In einer weitergefassten Definition wird Resilienz als eine Kompetenz verstanden, die sich aus verschiedenen Einzelfähigkeiten (z. B. den Resilienzfaktoren, s. u.) zusammensetzt (z. B. Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2020). Dabei geht es nicht nur um die Bewältigung von extremen Krisensituationen, sondern darum, dass entsprechende Kompetenzen auch notwendig sind, um z. B. Entwicklungsaufgaben und weniger kritische Alltagssituationen zu bewältigen. Fingerle (2011, S. 213) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des »Bewältigungskapitals«.

In unterschiedlichen Studien wurde eine stabile, unterstützende und zugewandte Beziehung als stabilster Prädiktor für eine resiliente Entwicklung identifiziert. Luthar (2006) stellt in ihrer Synthese der letzten Jahrzehnte der Resilienzforschung fest: »Resilience rests, fundamentally, on relationship« (S. 780). Die Ergebnisse der Mannheimer Risikokinderstudie (Hohm et al. 2017) verweisen auf die positiven Zusammenhänge zwischen einer frühkindlichen erlebten positiven Eltern-Kind-Beziehung und der Resilienz im frühen Erwachsenenalter. Auch von vielen anderen Forschungsrichtungen, wie der Entwicklungspsychologie (z. B. Dornes 2009), der Psychotherapieforschung (z. B. Grawe, Donati & Bernauer 2001) und der Bindungsforschung (z. B. Grossmann & Grossmann 2015) wird die zentrale Bedeutung des Erfahrens stabiler, feinfühliger und wertschätzender, Resonanz und Halt gebender Beziehungen für eine gesunde seelische Entwicklung hervorgehoben. Dabei gilt die Bedeutung sogenannter kompensatorischer Beziehungen, also z. B. von Fürsorgepersonen aus dem erweiterten Familienkreis, Freunden, (Ehe-)‌Partnern oder pädagogischen/pflegerischen Fachkräften, als empirisch gesichert. Es zeigt sich, dass es nicht entscheidend ist, zu wem diese Beziehung besteht, sondern wie diese Beziehung gestaltet ist, damit sie sich positiv auswirkt.

Neben diesem wichtigen außerpersonalen Schutzfaktor kann aus bestehenden (Langzeit-)‌Studien ein Bündel von personalen Fähigkeiten, die sogenannten Resilienzfaktoren, identifiziert werden (Rönnau-Böse 2013), die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Krisen und Belastungen so zu bewältigen, dass langfristige Folgen ausbleiben bzw. seelische Gesundheit aufgrund positiver Bewältigungserfahrungen gestärkt wird (Abb. 1).

Abb. 1:Resilienzfaktoren (modifiziert und ergänzt aus: Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2020, S. 20)

Diese sechs bzw. sieben Resilienzfaktoren1 sind nicht voneinander unabhängig: So steht soziale Kompetenz in einem engen Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Selbstregulation und zum Problemlösen. Der siebte Faktor der »Sinnfindung« wird in einer Reihe von Studien als bedeutsam für die Entwicklung seelischer Gesundheit gesehen und hat im Salutogenese-Konzept von Antonovsky (1997) eine prominente Stellung. Andere Studien (Übersicht: Brunstein, Maier & Dargel 2007) belegen allerdings, dass eine zu enge Sinn- oder Zielorientierung eher die nötige Flexibilität beim Bewältigen von Herausforderungen einschränken kann. Daher wurde dieser Faktor in der Abbildung 1 ,gestrichelt' umrandet.

Die Entwicklung von Resilienz ist ein lebenslanger, dynamischer Prozess, abhängig von Individuum-Umwelt-Interaktionen und -Erfahrungen (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2020). Dies bedeutet, dass Resilienz keine Charaktereigenschaft, sondern eine variable Größe ist, die sich abhängig von Bewältigungserfahrungen verändern kann. Resilienz steht damit immer in Verbindung zu den jeweiligen Umweltbedingungen, die ein Individuum vorfindet. So unterstreichen Ungar et al. (2013, S. 3) die Bedeutung von verfügbaren Ressourcen, die den Individuen zugänglich gemacht werden müssen: »Individuen sind wahrscheinlich dann resilienter, wenn die Umwelt viele Ressourcen bietet.« Soziale Faktoren, wie z. B. eine sichere Nachbarschaft, eine gute Schule, ein anregender Arbeitsplatz und sichere Bindungen zu Bezugspersonen leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, wie und ob personale Ressourcen als solche erkannt und genutzt werden können (Fingerle 2011).

Dies bedeutet zum einen, dass Resilienz in Organisationen – und im Besonderen in Bildungsinstitutionen – gefördert werden kann. Zum anderen geht es aber auch darum, Belastungsfaktoren zu reduzieren und z. B. überfordernde (Arbeits-)‌Anforderungen zu mindern. Im Vordergrund steht dabei also nicht in erster Linie die Frage »Wieviel Leid soll ausgehalten werden (und wie sollen Menschen dafür ›fit‹ gemacht werden)?«, sondern es muss das Ziel professioneller (und politischer) Interventionen sein, Leid erzeugende Strukturen zu verändern.

2 Über das Individuum hinaus: Resilienzförderung in Kita und Schule

Resilienzförderung ist ein Thema für Kindertageseinrichtungen und Schulen geworden, und es wurden Programme entwickelt, bei denen einzelne Resilienzfaktoren – etwa soziale Kompetenzen (z. B. Hillenbrand et al. 2010) – auf individueller oder Gruppenebene adressiert werden. Die gesamte Organisation Kita oder Schule als Lebenswelt (oder »Setting«2, Hartung & Rosenbrock 2022) für Kinder/Jugendliche, Eltern und Lehrer*innen wird hingegen nur in sehr wenigen Konzepten berücksichtigt.

Das Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg hat in den vergangenen 15 Jahren entsprechende multimodale Projekte zur Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen sowie Grund- und weiterführenden Schulen entwickelt, praktisch erprobt und evaluiert (Überblick: Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2013; Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2020). Das Grundkonzept wurde auch im Rahmen einer kommunalen Präventionsstrategie als bedeutender Baustein eingesetzt (»Präventionsnetzwerk Ortenaukreis«; Fröhlich-Gildhoff & Böttinger 2018). Im Folgenden werden die Grundkonzeption, Evaluationsergebnisse und wesentliche Implementationsfaktoren vorgestellt.

2.1 Grundkonzept

Das Resilienzkonzept wurde in der »Lebenswelt« Kita bzw. Schule implementiert; Adressat*innen waren unmittelbar die pädagogischen Fachkräfte und dann mittelbar Kinder, Eltern und weitere Netzwerkpartner. Die damit verbundene Mehrebenen-Strategie der Entwicklung der Institutionen zu resilienzförderlichen Organisationen lässt sich folgendermaßen darstellen (Abb. 2):

Abb. 2:Mehrebenansatz der Resilienzförderung in den Institutionen Kita und Schule (eigene Darstellung)

Auf den hier dargestellten vier Ebenen wurden im Einzelnen folgende Interventionen realisiert:

Ebene 1: Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte: Hier standen a) die (Weiter-) Entwicklung einer ressourcenorientierten Haltung und b) der Erwerb von Kompetenzen zur Förderung der Resilienzfaktoren in Kursen/Klassenstunden sowie im pädagogischen Alltag im Mittelpunkt.

Ebene 2: Zusammenarbeit mit Eltern: In den Projekten war die Zusammenarbeit mit Eltern unterschiedlich niedrigschwellig – orientiert an den Möglichkeiten und der Motivation der Eltern – aufgebaut. Wesentliche Elemente waren: a) Informationen über das Projekt und dessen Hintergründe, b) Beratungsangebote vor Ort, z. T. in Kooperation mit Erziehungsberatungsstellen, und c) Elternkurse zur Stärkung elterlicher Erziehungskompetenz (analog Fröhlich-Gildhoff et al. 2008).

Ebene 3: pädagogische Arbeit mit den Kindern/Schüler*innen: Die pädagogische Arbeit mit den Kindern zielte darauf ab, den Alltag in der Einrichtung insgesamt resilienzförderlich zu gestalten. Dieser Ansatz fand sich in verdichteter Form in den Kinderkursen (Fröhlich-Gildhoff, Dörner & Rönnau-Böse 2021) bzw. den Resilienzstunden im Klassenverband wieder (Spiralcurricula für Grundschulen: Fröhlich-Gildhoff, Kerscher-Becker & Fischer 2020; für weiterführende Schulen: Fröhlich-Gildhoff, Reutter & Schopp 2021). Die Kursprogramme umfassen 10 bis 20 Bausteine für unterschiedlliche Alters-/Klassenstufen, die sich auf die gezielte Förderung o.g. Resilienzfaktoren beziehen. Die Kursprogramme müssen dabei immer an die jeweilige Gruppe angepasst werden.

Ebene 4: Vernetzung: Stabile Vernetzungsstrukturen zu Vereinen, Verbänden, Stadtteilorganisationen etc. können eine hilfreiche Unterstützungsleistung für Kinder und ihre Familien sein und Entlastung im Erziehungsalltag ermöglichen. Bei Anliegen, die eine tiefergehende sozialrechtliche oder psychosoziale Beratung erforderlich machen, sind Kitas und Schulen auf eine gute Vernetzung mit entsprechenden Einrichtungen – von den Beratungsstellen bis zum Jugendamt und Therapeut*innen – im Sozialraum angewiesen. Entsprechende Netzwerkstrukturen müssen fallunabhängig aufgebaut und gepflegt werden.

2.2 Evaluation

Die Umsetzungen des o. g. Konzepts sind in mehreren Forschungsprojekten in einem Mixed-Methods-Design über mehrere Messzeitpunkte hinweg im Sinne einer Ergebnis- und Prozessevaluation wissenschaftlich untersucht worden (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2012, 2013; Rönnau-Böse 2013; Fröhlich-Gildhoff et al. 2014; Weltzien & Lorenzen 2016; Fröhlich-Gildhoff & Böttinger 2018). Die Ergebnisse aus den verschiedenen Studien lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Kinder/Schüler*innen: Bei den Kindern, die an den Programmen teilnahmen, zeigten sich positive Veränderungen im Selbstkonzept über die Zeit und im Vergleich zur Kontrollgruppe. Sie profitierten außerdem im Bereich der kognitiven Entwicklung (standardisierte Tests) und zeigten nach Aussage der Eltern weniger auffälliges und mehr prosoziales Verhalten.

Eltern: Auf der Ebene der Eltern konnten deutliche Zuwächse in der Zufriedenheit mit den (weiter-)‌entwickelten Formen der Zusammenarbeit zwischen den pädagogischen Fachkräften und den Eltern festgestellt werden. Eltern, die an den angebotenen Elternkursen teilgenommen haben, fühlten sich ausnahmslos sicherer in ihrer Elternrolle. Sie erlebten sich gelassener im Erziehungsalltag, konnten mehr Vertrauen in ihre Erziehungskompetenz entwickeln, konnten achtsamer auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen und ihre eigenen Bedürfnisse besser wahrnehmen. Niedrigschwellige Beratungsangebote vor Ort wurden ausnahmslos positiv eingeschätzt.

Fachkräfte/Lehrkräfte: Die Weiterqualifizierungen hatten nach Aussagen der teilnehmenden Fach-/Lehrkräfte zu einer veränderten Haltung und einer verbesserten Reflexionskompetenz gegenüber der eigenen pädagogischen Praxis geführt. Stärken und Ressourcen der Kinder wurden deutlicher gesehen und waren Ausgangspunkte für Begegnungen und pädagogisches Handeln. Die angebotenen Weiterbildungen müssen dabei allerdings auf die Situation und den ›Stand‹ des jeweiligen Teams/Kollegiums angepasst werden. Die pädagogischen Fachkräfte beschrieben zudem eine gesteigerte Arbeitszufriedenheit und eine bessere Zusammenarbeit im Team.

Vernetzung und Kooperation: Deutliche Fortschritte im Bereich Kooperation und Vernetzung konnte in jenen Einrichtungen festgestellt werden, deren Vernetzung zum Projektstart noch nicht oder nur schwach aufgebaut war. Besonders positiv wurden die Kooperationen mit den zuständigen Erziehungsberatungsstellen bewertet.

2.3 Implementationsfaktoren

Projektübergreifend konnten Faktoren identifiziert werden, die für eine erfolgreiche Implementation des Resilienzkonzepts im Rahmen der Organisationsentwicklung in Kitas und Schulen bedeutsam sind und die bisherigen Ergebnisse der Implementationsforschung (z. B. Petermann 2014) bestätigen bzw. ergänzen:

(1)

Akzeptanz der Intervention bei den Beteiligten/Zielgruppen; hierzu gehören auch die wahrgenommene Attraktivität (Beelmann & Karing 2014) und der wahrgenommene bzw. erwartete Wert der Intervention (Hasselhorn et al. 2014).

(2)

»Merkmale der einzelnen Einrichtung« (Hasselhorn et al. 2014, S. 144). Folgende relevante Institutionsfaktoren lassen sich identifizieren: das Institutionsklima, Offenheit für den Wandel, Kooperation und Unterstützung im Team, die Unterstützung und enge Begleitung durch die Leitung, relevante unterstützende Akteur*nnen im Team (»change agents«, Hasselhorn et al. 2014, S.146), ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen, Transferunterstützung durch das Umfeld (z. B. den Träger), dauerhafte Information und Transparenz über die Maßnahmen sowie die Zentrierung auf die jeweilige Intervention/Maßnahme (keine »Parallelprojekte«) (Beelmann & Karing 2014; Fröhlich-Gildhoff et al. 2014; Gräsel & Parchmann 2004).

(3)

Damit verbunden sind auch »Merkmale der pädagogischen Fachkräfte