Wasser ist sicherer als das Land, Mama - Musa Karbadag - E-Book

Wasser ist sicherer als das Land, Mama E-Book

Musa Karbadag

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Beschreibung

Der Autor Musa Karbadag kam Ende 2019 als politischer Flüchtling aus der Türkei nach Deutschland. Er ist Kurde, der als Jugendlicher zu 12 Jahren Gefängnishaft verurteilt wurde, weil er sich für die Rechte seines Volkes eingesetzt hat. Nach der Haftentlassung hat er seinen Kampf für Demokratie und Freiheit für alle Völker in der Türkei fortgesetzt - auch weiterhin nur mit politischen Mitteln. Dabei standen die Rechte der Kinder und Frauen in den türkischen Haftanstalten im Mittelpunkt seiner Arbeit. Das hat sein Leben nicht sicherer gemacht. Als er erneut von Haft bedroht wurde, gelang ihm im dritten Versuch die Flucht über das Meer nach Griechenland. Alle diese Erfahrungen inspirierten ihn zu den drei vorliegenden Erzählungen, die den Blick der Leser auf verschiedene Aspekte von Flucht und Vertreibung lenken: auf Opfer, Täter und Profiteure, auf Unterdrückungsgeschichte in Vergangenheit und Gegenwart; auf die Gefühle von Desorientierung, angstvollem Ausgeliefertsein und Leere, denen die Flüchtenden ausgesetzt sind, und auf die tröstenden Lichtblicke der Hilfsbereitschaft und lebenserhaltende Solidarität.

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»Ihr müsst verstehen,

dass niemand

seine Kinder in ein Boot lädt,

bevor nicht das Wasser

sicherer als das Land ist.«

Warsan Shire*

Inhalt

Vorwort

Zum Geleit:

Rahsan Anter

Meral Şimşek

Drei Erzählungen

Wasser ist sicherer als das Land, Mama

Rahmatov

Şamkat

Anhang:

Worterklärungen

Der Autor Musa Karbadağ

Dank an den Autor

Vorwort zu der Entstehung der deutschen Übersetzung

Musa ist Kurde aus der Türkei.

Musa ist seit früher Jugend nach einer Erkrankung an Kinderlähmung gehbehindert und trägt an einem Bein eine Orthese.

Beides prägte sein Leben und machte ihn früh zum Außenseiter.

Musa erreichte Ende 2019 Frankfurt am Main wenige Wochen vor Ausbruch der Corona Pandemie. Er kam aus Griechenland, wo er in einem Flüchtlingslager provisorisch Aufnahme gefunden hatte, direkt zu seiner Frau, einer Kurdin, ebenfalls aus der Türkei, die seit den 90er Jahren Frankfurterin ist und in einem großen Sozialverband arbeitet. Das ersparte Musa zwar die aufwändige Prozedur eines langwierigen Asylverfahrens, schloss aber zugleich alle zusätzlichen Hilfen aus: Krankenkassenleistungen nur bei akuter Erkrankung, keine Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt, keinen Anspruch an das Wohnungsamt bei der Suche nach einer behindertengerechten Wohnung. Musa hatte sich vor Verfolgung und tödlicher Bedrohung in der Türkei retten können, aber der Weg zur Sicherheit in Frankfurt führte durch ein Labyrinth mit unzähligen Sackgassen, Stoppschildern und Umleitungen.

In dieser Situation wandte sich Musas Frau an den Ehrenamtlichen sozialen Dienst der Stadt Frankfurt - und so lernten wir uns im Dezember 2019 kennen.

In der Folge wurde die Wohnung im 4. Stock ohne Aufzug durch eine ebenerdige ersetzt, der Landeswohlfahrtsverband Hessen erklärte sich zur Gewährung einer Eingliederungshilfe bereit, ein deutsch-türkischer Sozialarbeiter erwies sich als Lotse und Begleiter im Sozialstaatsdschungel. Ein echter Glücksfall.

Zu diesem Zeitpunkt begann Musa, seine Fluchtgeschichte aufzuschreiben, und etwa ein Jahr später hielt ich ein schmales Büchlein in der Hand, Musas Werk mit dem Titel »Su Karadan Güvenli Anne«, Wasser ist sicherer als das Land, Mama. Wie sie das geschafft hatten, ist ein kleines Wunder.

Natürlich spreche ich kein Türkisch, aber die Idee einer deutschen Übersetzung stand sofort im Raum. Wer könnte helfen? Meine türkischen Kontakte beschränkten sich auf die Eltern im Fußballverein meines Enkelsohnes. Also fragte ich wirklich jeden im Familien-, Kollegen- und Freundeskreis, ob er oder sie jemanden kenne, der mir bei dem Projekt in irgendeiner Weise weiterhelfen könnte. Ein unglaublicher Glücksfall führte mich mit Jutta von Freyberg zusammen, die, mit einem Kurden verheiratet, sich freiwillig „kurdisiert“ hatte. Darüber hinaus pflegt sie seit viel Jahren Freundschaften mit Kurdinnen und Kurden, befasst sich intensiv mit der kurdischen Kultur und Geschichte und ist überdies auch von einer tiefen Zuneigung zum gedruckten Wort geprägt.

Sie würde herausfinden, so hoffte ich, ob Musas Text eher eine Reportage, ein Erfahrungsbericht, ein politisches Manifest, eine Abrechnung mit seinem Herkunftsland oder was sonst ist. Jutta verteilte die digitale Fassung des Büchleins unter ihren Freunden und wartete auf Rückmeldungen. Einer sagte: ein kleines literarisches Kunstwerk, aber vermutlich nicht interessant für ein größeres Publikum. Mehr erfuhren wir nicht, aber das reichte uns. Wir waren hoch motiviert und gingen auf die Suche nach Übersetzern.

Natürlich schlugen einige vor, digitale Übersetzungshilfen zu nutzen, mit grotesken Ergebnissen. Profis könnten übernehmen, aber Honorarvorstellungen von mehreren Tausend Euro überstiegen unser Budget, das wir uns aus privaten Mitteln gesetzt hatten, bei weitem.

Die Geschichte der anschließenden Suche verdiente eigentlich eine eigene Erzählung über ein sich immer weiter entfaltendes wunderbares Netzwerk von Tipps, Hinweisen, Nachfragen, Absagen und dann doch einigen Zusagen. Schließlich teilten sich mehrere Personen den Text untereinander auf und machten sich an die Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt kannten Jutta und ich uns noch nicht persönlich, wir kannten beide fast niemanden von den Freiwilligen persönlich. Keiner wollte für seine Arbeit Geld.

Die Corona bedingten Einschränkungen und einige gesundheitliche Probleme verzögerten immer wieder den Fortgang des Projektes, aber alle blieben dabei, niemand gab auf. Im Laufe der 2. Jahreshälfte 2022 erhielt Jutta erste Übersetzungsergebnisse und begann, daraus einen stimmigen Text zu produzieren. Auch diese Arbeit wäre eine Geschichte für sich.

Ende 2022 hatte Jutta dann aus den verschiedenen Rohfassungen den nun vorliegenden Text gezaubert und zur ersten Lektüre an uns verschickt. Ich war tief bewegt. Bis heute beschäftigen mich Musas Bilder, bei jeder Lektüre entdecke ich neue Facetten.

Inzwischen hatten wir uns zu fünft in Frankfurt getroffen und kennen gelernt. Emre, der deutschtürkische Sozialarbeiter, übersetzte Juttas Fragen und Musas Antworten, Jutta mobilisierte im Laufe des Gespräches erstaunliche Erinnerungen an ihre kurdischen Sprachkenntnisse und Reisen. Sie verfasste danach Musas Biographie, die im Anhang zu lesen ist.

Unsere Suche nach einem sachkundigen Vorwortschreiber und, ungleich aufwändiger, nach einem Verlag blieb erfolglos und so beschlossen wir, auch diese Aufgaben selbst zu übernehmen – mit einer Do-it-yourself-Methode für die Buchproduktion: book on demand.

Barbara Huebner, Frankfurt am Main

Geleitwort von Rahsan Anter*

Für Musa

Musa ist für mich wie ein Sohn, ein Genosse. Er ist ein Mensch, der zwölf Jahre im Gefängnis zugebracht hat und gefoltert worden ist, aber trotzdem keinen Zentimeter von dem abgerückt ist, woran er glaubt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis kämpfte er mit aller Kraft dafür, die Stimme all jener Gefangenen zu sein, die nach seiner Entlassung im Gefängnis bleiben mussten. Er allein schaffte es, ihre Stimme zu sein.

Als opferbereiter und hingebungsvoller Mensch war Musa die erste Adresse und der erste Kontakt von Dutzenden von Familien, deren Kinder in Izmir im Gefängnis waren. Ich habe miterlebt, wie er – gleich ob am Tag oder in der Nacht, ob bei Regen oder Schnee - Familien an den Busbahnhöfen begrüßte und eine Unterkunft für sie fand, wie er Geld in die Taschen derer steckte, die kein Geld hatten und all sein Hab und Gut für diese Aufgabe ausgab.

Als ob es nicht genug gewesen wäre, dass er so viele Jahre im Gefängnis verbringen musste, folgten danach ständig neue Verhaftungen und Gerichtsverfahren. Ich war traurig, als ich erfuhr, dass er eines Tages mit einem Boot in See stach und mit Flüchtlingen auf eine Todesfahrt ging. Als ich das hörte, war es mir für lange Zeit unmöglich, auf die Ägäis zu blicken, die sich in einen riesigen Flüchtlingsfriedhof verwandelt hatte, auf dem sich täglich Leichen ansammelten.

»Wird mein Sohn Musa das sichere Ufer erreichen?«

Tagelang habe ich voller Sorge gewartet. Zum Glück hat er das Ufer erreicht.

Da ich selbst erlebt habe, dass ein Neuanfang in Europa nicht leicht ist, weiß ich, dass dort, wo sie gelandet sind, neue Herausforderungen auf Musa und Tausende Seinesgleichen warten. Ich wusste aber, dass Musa nicht aufhören würde zu kämpfen, dass er, wo immer er sich aufhält, alle Schwierigkeiten überwinden würde und dass aus allen diesen Schwierigkeiten schöne Werke hervorgehen würden.

Nun, dieses Buch ist die Geschichte des Kampfes von Musa und aller anderen, die wie er gehen mussten.

Lieber Musa, möge der Weg für dich und dein Buch erfolgreich sein.

Rahsan Anter

Meral Şimşek*

Seit der Entdeckung, dass die grausamste Art des Tötens darin besteht, Menschen das ihnen Eigene zu rauben, haben alle Herrschaftssysteme damit begonnen, diese Form des Tötens anzuwenden – und seit Jahrhunderten werden diejenigen, die sich gegen diese bestehenden Systeme auflehnen, zu Migration und Exil gezwungen.

Leider sind etliche von denen, die diesen Bedingungen ausgesetzt waren, vor der Erreichung ihrer Ziele gestorben, was die Herrschenden mit Genugtuung erfüllte. Doch immer gab es Menschen und wird es auch künftig geben, die dieser Art des Tötens Einhalt gebieten.

Musa Karbadağ ist einer von Tausenden, die man zu töten versuchte, indem man ihnen ihre Identität nahm, die es aber nicht zuließen und sich entschlossen zeigten zu kämpfen.

In diesem Ihnen vorliegenden Buch hat sich der Autor nicht damit begnügt, Migration, Exil und Asyl aus der Sicht seiner persönlichen Erfahrung, seiner Identität, zu bewerten. Er hat auch die Auswirkungen des Exils, das von allen bisherigen Herrschenden erzwungen wurde, aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht. Er versuchte, uns all dies über gelebte Geschichten in einer literarischen Erzählweise zu vermitteln.

In diesem Sinne wird das Buch, das sowohl die Erlebnisse von Geflüchteten als auch die von ihnen geschaffenen Werke reflektiert, einen wichtigen Platz in den Archiven des Exils einnehmen.

1. Wasser ist sicherer als das Land, Mama

Sie hatten tagelang gewartet und nächtelang kein Auge zugetan. In der Ecke eines Hauses, das einem verfallenen Gebäude glich, waren ihre Rucksäcke wie Fische aufeinander gestapelt. Diese Taschen waren alle ihre Besitztümer. Die Zeit war eingefroren, das Leben floss nicht. Sie standen auf einer dünnen Scheidelinie, an der Hoffnung und Verzweiflung wie an einem seidenen Faden hingen. Jeden Moment konnten ihre Hoffnungen den Bach hinuntergehen und ihr Abenteuer konnte enden, bevor es überhaupt begann.

Was war all das, was sie erlebten? Was war der Grund für diese Spirale aus Hoffnung, Trauer und Unbehagen? Was war der Grund für die Schlaflosigkeit, die weichen Knie und für den Willen, ihre Lieben zurückzulassen? Welche finstere Zeit mussten sie durchmachen? Sollte nicht alles schön werden und Frieden in die Heimat einkehren? Hatten das die Politiker nicht noch bis vor einigen Monaten gesagt? Warum wurde das Schwert des Krieges erneut aus der Scheide gezogen?

In dem Gemenge aus all diesen Fragen stand vor Alans Augen die Leiche von Mutter Taybet, einer alten Kurdin, die auf offener Straße erschossen worden war. Ihre Kinder waren tagelang der Hilflosigkeit ausgesetzt, den leblosen, im Blut liegenden Körper ihrer Mutter nicht bergen zu können. Sie konnten lediglich verzweifelt aus dem zersplitterten Fenster ihres von Einschusslöchern übersäten Hauses blicken.

Und was war mit Cemile? Die Gott zur Weißglut bringende kleine Cemile! Cemile mit ihrem Grübchenlächeln war von einer Polizeikugel erschossen worden, die nichts als Schmerzen hinterlassen hatte. Für sie wurden Gedichte geschrieben und ihr Name wurde in Klageliedern besungen. Die Mutter konnte den zierlichen Leib ihrer Tochter nicht einmal waschen und nach religiösen Pflichten bestatten. Sie hatte ihren winzigen und zarten Körper tagelang im Kühlschrank aufbewahrt, damit dieser nicht verweste. Doch als Cemile geboren worden war, hatte ihre Mutter sie mit dem Himmel kleiden wollen. Jedes Mal, wenn sie auf den weißen Kühlschrank blickte, den sie zu einem Sarg zweckentfremdet hatte, fiel sie wie eine am Stiel geknickte Nelke auf ihre Knie. Nicht Cemile, sondern sie fror. Nicht Cemile, sondern sie war gestorben.

Warum hat Gott Kinder geschaffen, wenn er sie nicht beschützen kann? Und warum nahmen diejenigen, die sich als Mensch bezeichneten, diesen Engeln das Leben? Ich dachte, alle Wesen seien ein Abbild Gottes auf Erden. War dann nicht all diese Brutalität ein Eingriff in die Reinheit Gottes?

Alans Glaube an Gott war wie ein altes Gebäude zusammengestürzt. Die Ordnung der Existenz, die Existenz der Ordnung - sie soll mit Gewalt geschützt und geheiligt werden, sagte er zu sich selbst. Das war die Ursache für all die Todesfälle und Albträume. Er fühlte sich so einsam und erschöpft wie Jesus. Er wollte nichts wissen, denn ein tiefer Schmerz drang aus seiner Seele bis ins Knochenmark. Er wusste nun, dass die Gegend, aus der sie stammten, für ihn und seinesgleichen nicht mehr sicher war.

Das Land erinnerte an den Roman »1984« von George Orwell. Big Brother und die Gedankenpolizei waren überall. Alles, was mit dem Menschen und dem Leben zu tun hatte, wurde beiseitegeschafft. Big Brother hatte das Manifest der Angst mit Blut und Tod zu schreiben begonnen. Politiker, Intellektuelle, Gewerkschafter, Journalisten, Universitätsprofessoren und Studenten verließen einer nach dem anderen das Land, als würden sie aus Nazi-Deutschland fliehen.

Fast fünfzehn Prozent der Bevölkerung befanden sich in Untersuchungshaft oder in Gefängnissen. Nachbarn bespitzelten Nachbarn, Väter denunzierten ihre Söhne. Menschen wurden entführt, gefoltert, am helllichten Tage getötet und verschwanden.

Alan schreckte aus seiner Gedankenmühle auf und schaute aus dem kleinen Fenster der Hausruine, in der sie Schutz gesucht hatten. Die Morgenröte schwebte bereits über den Armenhäusern der Kadife Kale*. Er sah auf seine Uhr, die Zeit der Abreise rückte näher, doch der Schleuser, der sie führen sollte, war nicht in Sicht, nur die Ruinen der Agora, deren eine Seite der Kadife-Burg zugewandt war, blickten Alan mit einer über die Jahrhunderte nicht erschöpften Gelassenheit an.

Einem Gerücht zufolge wurde die Kadife Kale von Alexander dem Großen erbaut. Es ist nicht bekannt, ob es die Liebe der Kurden zur Idealisierung war, - jedenfalls machten sie Kadife Kale zu ihrer Heimat. Die Kurden, die in den neunziger Jahren infolge der staatlichen Politik der Niederbrennung ihrer Dörfer und Vertreibung hierhergekommen waren, gaben Kadife Kale eine neue kulturelle und politische Bedeutung. Die im Inneren der Burg errichteten Tandur-Backöfen und die bunten archaischen Teppichwebstühle erinnerten an Mardin.

Die Agora war ohne Zweifel der wichtigste Teil der Kadife Kale. Diese historische Anlage, die ein weitläufiges Areal unterhalb der Burgbastionen umfasste, stand wie eine unzertrennliche Geliebte bei den Burgbastionen. Aneinandergereihte behauene Säulen, aus Marmorstein gemeißelte Löwenfiguren, Weinkeller, Aquädukte sowie die Altarreliefs des Gottes Zeus krönten diese antike Stätte. Die Stahltreppen auf dem Schotterweg, auf dem die Kieselsteine für den Abstieg ins Erdgeschoss aufgeschüttet waren, sahen recht provisorisch aus. Dieser Notbehelf erinnerte Alan an die Worte des sumerischen Dichters Lodingira*:

»Unsere Zivilisation wird vielleicht an Menschen weitergegeben werden, die Tausende von Jahren später leben. Sie werden auf dem Fundament aufbauen, das wir gelegt haben. Wenn sie sich doch nur an uns erinnern und uns für das kulturelle Erbe danken könnten, das wir ihnen hinterlassen haben!«

Doch der Dank des modernen Menschen an Lodingira besteht darin, dass er diese großartige historische und kulturelle Stätte mit riesigen Einkaufszentren und riesigen Betonpfeilern verschandelt.

Endlich war der Führer, dem sie ihr Schicksal überlassen sollten, eingetroffen. Er sah Alan in die Augen und wandte seinen Blick ab. In Alans Augen lag eine Angst, die sich dem Unbekannten öffnete. Sein fragender Gesichtsausdruck hatte den Führer vom ersten Moment an beunruhigt. Er zog seine Hose, die ihm immer wieder über den Hintern rutschte, bis zur Hüfte hoch und zeigte vom Balkon des an die Burg angrenzenden Hauses auf das Meer von Konak und von dort auf den Horizont, wo sich Meer und Himmel fast berührten, auf das, was im Westen des herrlichen Meeres lag und sich wie ein Schleier vor ihnen ausbreitete.

Er sagte: »Seht, Brüder, ich werde euch als Geleitschutz zu dem Punkt bringen, an dem sich das Meer und der Himmel treffen, und von dort aus werdet ihr in See stechen. In zehn bis fünfzehn Minuten erreicht ihr die Eselsinsel, und in einer weiteren Viertelstunde erreicht ihr die Ortschaft Virgin Oinousses.«

Die Lockerheit des Führers bei seinen Anweisungen und seine Selbstsicherheit führten dazu, dass sie, anstatt sich zu beruhigen, noch unruhiger wurden. Sie wechselten weder die Stadtteile noch die Stadt. Sie wollten die Grenze illegal überqueren und die Sonne in einem anderen Land begrüßen. War es so einfach, die von der NATO geschützte und vom MIT* bewachte Ägäis zu überqueren? Gegen jeden von ihnen war ein Ausreiseverbot verhängt und sie waren zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verurteilt worden. Wenn sie erwischt würden, kämen sie sofort ins Gefängnis. Ganz zu schweigen von der Folter, der sie ausgesetzt wären.