Weg der Hoffnung - Linda Lael Miller - E-Book

Weg der Hoffnung E-Book

Linda Lael Miller

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Beschreibung

Der Abschluss der historischen Western-Romance-Serie um die Corbin-Geschwister

Port Hastings, Washington, 1891: Natürlich ist es ein unglaublicher Skandal, als Melissa ihren Bräutigam einfach am Altar stehen lässt. Aber das ist ihr egal. Soll sie deshalb einen Mann heiraten, der sie schon vor der Hochzeit betrügt? Doch schon bald fragt sie sich, ob sie nicht vom Regen in die Traufe geraten ist - denn ihre Flucht führt sie direkt in die Arme eines anderen Mannes. Der ist zwar aufregend, zärtlich und sinnlich, aber sein Leben wird von einem düsteren Geheimnis überschattet ...

Diese Western Romance ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Wer dem Weg seines Herzens folgt" erschienen.

Weitere historische Liebesroman-Reihen von Linda Lael Miller bei beHEARTBEAT:

Die McKettrick-Cowboys-Trilogie. Springwater - Im Westen wartet die Liebe. Die McKenna-Brüder. Die Orphan-Train-Trilogie um die Chalmers-Schwestern.

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Inhalt

Cover

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Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

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Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Die Corbin-Saga

Band 1: Paradies der Liebe

Band 2: Zauber der Herzen

Band 3: Lächeln des Glücks

Die McKettrick-Saga

Band 1: Frei wie der Wind

Band 2: Weit wie der Himmel

Band 3: Wild wie ein Mustang

Die Orphan-Train-Trilogie

Band 1: Die Chalmers-Schwestern: Lily und der Major

Band 2: Die Chalmers-Schwestern – Emma und der Rebell

Band 3: Die Chalmers-Schwestern: Caroline und der Bandit

Die McKenna-Brüder

Band 1: Wie der Glanz des silbernen Mondes

Band 2: Wie das helle Feuer der Sterne

Springwater – Im Westen wartet die Liebe

Band 1: Wo das Glück dich erwählt

Band 2: Wo Träume dich verführen

Band 3: Wo Küsse dich bedecken

Band 4: Wo Hoffnung dich wärmt

Über dieses Buch

Der Abschluss der historischen Western-Romance-Serie um die Corbin-Geschwister

Port Hastings, Washington, 1891: Natürlich ist es ein unglaublicher Skandal, als Melissa ihren Bräutigam einfach am Altar stehen lässt. Aber das ist ihr egal. Soll sie deshalb einen Mann heiraten, der sie schon vor der Hochzeit betrügt? Doch schon bald fragt sie sich, ob sie nicht vom Regen in die Traufe geraten ist – denn ihre Flucht führt sie direkt in die Arme eines anderen Mannes. Der ist zwar aufregend, zärtlich und sinnlich, aber sein Leben wird von einem düsteren Geheimnis überschattet ...

Über die Autorin

Linda Lael Miller wurde in Spokane, Washington geboren und begann im Alter von zehn Jahren zu schreiben. Seit Erscheinen ihres ersten Romans 1983 hat die New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin über 100 zeitgenössische und historische Liebesromane veröffentlicht und dafür mehrere internationale Auszeichnungen wie den Romantic Times Award erhalten. Linda Lael Miller lebt nach Stationen in Italien, England und Arizona wieder in ihrer Heimat im Westen der USA, dem bevorzugten Schauplatz ihrer Romane. Neben ihrem Engagement für den Wilden Westen und Tierschutz betreibt sie eine Stiftung zur Förderung von Frauenbildung.

Mehr Informationen über die Autorin und ihre Bücher unter http://www.lindalaelmiller.com/.

Linda Lael Miller

Weg der Hoffnung

Aus dem amerikanischen Englisch von Katharina Braun

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1990 by Linda Lael Miller

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »My Darling Melissa«

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1992/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Wer dem Weg seines Herzens folgt«

Lektorat: Katharina Woicke

Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde

unter Verwendung von Motiven © ALETA RAFTON

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-8222-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

Port Hastings, Washington, 7. März 1891

Sie tauchte aus dem strömenden Regen auf. Sie rannte, was das Zeug hielt, und versuchte, ihr im Sturm flatterndes Hochzeitskleid zu raffen. Ein Kranz aus welken Blumen bedeckte ihr schwarzes Haar, dessen nasse Flechten ihr bis auf die Hüften reichten. Ihr Kleid war ruiniert: ihre zierlichen Schuhe aus weißem Satin vom Regen durchweicht und schmutzig.

Quinn Rafferty stand auf der Plattform seines privaten Eisenbahnwaggons und war so fasziniert, dass er weder auf den strömenden Regen achtete noch den schrillen Pfiff hörte, der die bevorstehende Abfahrt des Zuges ankündigte. Er sah nur das junge Mädchen, das nun die Schienen erreichte und blindlings auf ihn zu rannte.

Ihr fester, sehr weiblicher Busen war für Quinn von seinem erhöhten Standpunkt aus deutlich zu sehen, und er lächelte anerkennend. Als der Zug sich ratternd in Bewegung setzte, presste die junge Braut die Lippen zusammen und begann, noch schneller zu laufen.

»Hey, Sie ... helfen Sie mir doch!«, keuchte sie und streckte eine Hand aus.

Quinn beugte sich wie ein Schlafwandler vor, packte ihren Arm und zog sie auf die Plattform.

Ihr kleiner, schlanker Körper prallte gegen ihn, und obwohl es kein harter Zusammenstoß war, verschlug es Quinn den Atem, als wäre er plötzlich in eine Lawine geraten.

Das Mädchen keuchte vor Erschöpfung, ihre blauen Augen funkelten zornig. Als Quinn sich von seiner Verblüffung erholt hatte, zog er lächelnd den Hut vor der jungen Frau, musterte sie neugierig und hatte dabei wieder das seltsame Gefühl, zwischen Naturgewalten geraten zu sein ...

»Das kam sehr überraschend«, sagte er schroff, um seine Verwirrung zu verbergen.

Das Mädchen drehte sich um und schaute mit einer Spur Wehmut in ihrem Blick nach Port Hastings zurück. Eine Gruppe aufgeregter Hochzeitsgäste hatte sich auf dem Bahnsteig versammelt und starrte dem Mädchen durch den Regen nach. Einige von ihnen versuchten, ihr etwas zuzurufen, andere schwenkten die Arme und winkten.

»Verzeiht mir«, flüsterte sie, hob ihre zierliche, behandschuhte Hand an die Lippen und warf ihnen eine Kusshand zu.

Drei Männer bildeten die Vorderfront der kleinen Gruppe. Derjenige von ihnen, der einen Priesterkragen trug, hob grüßend die Hand und lächelte nur traurig, aber die anderen beiden sahen aus, als würden sie am liebsten die Schienen aufreißen, um den Zug auf diese Weise anzuhalten.

Quinn fragte sich, wer von ihnen der sitzengelassene Bräutigam sein mochte. Und obwohl er sich nie vor einem Mann gefürchtet hatte – mit Ausnahme seines eigenen Vaters –, war er froh, diesen beiden Männern keine Erklärung abgeben zu müssen. Doch dieser Gedanke löste ein Gefühl trotzigen Stolzes in ihm aus.

»Gehen wir hinein?«, fragte er das Mädchen und reichte ihr galant den Arm.

Sie nahm ihn würdevoll und erlaubte Quinn, sie in den Waggon zu führen.

Dort schaute sie sich um, völlig unbeeindruckt von dem Luxus, für dessen Erlangung Quinn sein Leben lang gearbeitet hatte, und setzte sich mit ihrem nassen Kleid auf eine samtbezogene Bank. Während Quinn zum eingebauten Barschrank ging und zwei großzügig bemessene Brandys für sich und die entlaufene Braut einschenkte, streifte sie gelassen die Schuhe ab.

»Wie heißen Sie?«, fragte er dann.

Sie nahm das Glas ohne das mädchenhafte Sträuben an, das Quinn erwartet hätte, und schaute für einen Moment nachdenklich über seine linke Schulter. »Pullman«, sagte sie nach einem fast unmerklichen Zögern. »Melissa Pullman.«

Quinn nahm ihr gegenüber Platz. »Nun?«, fragte er auffordernd, als Miss Pullman nach mehreren kräftigen Schlucken Brandy noch immer keine Erklärung abgegeben hatte.

»Nun was?«, entgegnete sie spitz.

»Ich möchte wissen, was Sie hier machen«, erwiderte Quinn gereizt. »So viel sind Sie mir schuldig – oder etwa nicht?«

Das Mädchen seufzte und ließ die Schultern hängen. »Mag sein«, gab sie zu, und plötzlich tat sie Quinn leid.

Doch dieses Gefühl war nur von kurzer Dauer.

»Aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen alles erzählen werde«, fügte sie hinzu und sah ihn prüfend an. »Sie sind ein Mann.«

»Danke sehr.«

»Nichts zu danken«, versetzte sie. »Es war kein Kompliment. Wie ist Ihr Name, Sir?«

»Rafferty«, antwortete ihr Gastgeber verärgert. »Quinn Rafferty.« Obwohl er unbestrittenerweise der beste Pokerspieler in vier Distrikten war, fiel es ihm schwer, eine unbewegte Miene zu bewahren. Und was er jetzt empfand, war sehr viel mehr als Neugier – eher schon ein verzweifeltes Verlangen, mehr über dieses geheimnisvolle Mädchen zu erfahren. »Welcher dieser drei Giganten war eigentlich Ihr Bräutigam?«

Sie lächelte, und Quinn sah zum ersten Mal, wie schön sie war. Selbst in diesem Aufzug, in ihrem schmutzbespritzten Kleid, mit tropfnassem Haar und verweintem Gesicht war sie die bezauberndste Frau, die er je gesehen hatte. »Keiner«, antwortete sie belustigt. »Es waren meine Brüder.«

Quinn durchforstete sein Gedächtnis nach drei Brüdern mit dem Namen Pullman aus Port Hastings, aber ohne Erfolg. »Und der Bräutigam?«

»Ich bezweifle, dass Ajax sich dazu herablassen würde, mir nachzulaufen«, gestand sie seufzend. »Wissen Sie, er ist nämlich ein Aristokrat. Seine Familie lässt sich bis in die Zeit von Wilhelm dem Eroberer zurückverfolgen.«

Quinn zuckte die Schultern. »Wir stammen alle von Adam und Eva ab, oder?«

Zu seinem Erstaunen lächelte sie. »Richtig, Mister Rafferty. Sehr richtig.« Dann reichte sie ihm das Glas. »Könnte ich bitte noch einen Brandy haben?«

Quinn wollte schon ablehnen, aber dann tat ihm das Mädchen wieder leid. Sie war aus der Kirche geflohen, durch den strömenden Regen gelaufen und von einem ihr völlig Fremden auf die Plattform dieses Zuges gezogen worden. Trotz ihrer zur Schau getragenen Tapferkeit vermutete er, dass Miss Pullman nervös und auch ein bisschen ängstlich war.

Er stand auf und füllte das Glas. Als er es ihr zurückgab, trank sie einen großen Schluck, und erst, nachdem das Glas fast leer war, schien sie zu einer vernünftigen Unterhaltung fähig.

»Warum haben Sie Ajax vor dem Altar stehenlassen?«, fragte Quinn sanft.

Melissa strich ihre Röcke glatt und wich Quinns Blicken aus. Sie biss sich auf die Lippen und stürzte den Rest ihres Brandys hinunter. Erst dann sagte sie leise: »Weil ich ihn nicht liebe.«

Quinn war nicht sicher, ob er ihr glauben durfte. »Wäre es nicht einfacher gewesen, es ihm zu sagen?«, wandte er ein.

»Das hätte ich nicht gewagt.«

»Warum haben Sie Ihre Brüder nicht gebeten, es zu tun? Sie hätten doch bestimmt Verständnis dafür gehabt.«

Melissa schüttelte den Kopf und stellte das Glas auf den Tisch. »Für sie bin ich eine alte Jungfer«, gestand sie. »Ihrer Ansicht nach war Ajax meine letzte Chance.«

Noch kurz vorher war Quinn froh gewesen, nichts mit ihren beeindruckenden Brüdern zu tun zu haben, doch nun hätte er gern ein Wörtchen mit ihnen geredet. »Sch…, so ein Unsinn!«, murmelte er. »Eine alte Jungfer! Ich müsste ein Esel sein, um nicht zu sehen, dass sie noch keine zwanzig sind.«

Melissa nahm kichernd ihren welken Blütenkranz vom Kopf. »Ich bin zweiundzwanzig – und da Sie ein Esel sind, dürfte Ihre starrsinnige Haltung mich eigentlich nicht verwundern, oder?«

Quinn hätte beleidigt sein müssen, aber zu seinem Erstaunen erfüllte ihn Melissas Anwesenheit nur mit freudiger Erregung. »Wie kommen Sie darauf, dass ich starrsinnig sein könnte?«, erkundigte er sich schmunzelnd.

Melissa gähnte. »Es steht Ihnen im Gesicht geschrieben«, antwortete sie freundlich, bevor sie langsam auf die Seite rutschte und mit einem herzzerreißenden Seufzer die Augen schloss. »Ich bin so müde«, murmelte sie noch.

Quinn ging zu seinem Bett, das hinter einem geschnitzten Wandschirm verborgen war, und kam mit einer dicken, weichen Felldecke zurück, die im Allgemeinen für einen ganz anderen Gebrauch vorgesehen war. Mit einem bedauernden Lächeln deckte er Melissa zu und wandte sich ab.

Dabei fiel sein Blick auf das Wort »Pullman«, das diskret an der Decke des Waggons angebracht war. Und da wusste Quinn Rafferty, dass er zum Narren gehalten worden war. Sein Ärger darüber war so groß, dass jegliches Mitleid mit dem Mädchen verflog.

Plötzlich wünschte er, Melissa – wie immer sie auch heißen mochte – nie gesehen und vor allem nicht in seinen Waggon gebracht zu haben. Sein Instinkt sagte ihm, dass er einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen hatte, der vielleicht sein ganzes Leben ändern würde.

Und Quinn Rafferty liebte sein Leben, so wie es war ...

Es war stockfinster, als Melissa verwirrt und auch ein bisschen verängstigt erwachte. Das gleichmäßige Rattern und die Bewegung, die sie spürte, verrieten ihr, dass sie sich in einem Zug befand, der in weiß Gott welche Richtung fuhr.

An die Ereignisse des Vortages erinnerte sie sich nur bruchstückhaft – ihre Familie und ihre Freunde, die sich in der Kirche versammelt hatten, dann Ajax’ gelassenes Geständnis und ihr überwältigender Schmerz darüber, der sie in die Flucht getrieben hatte, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre, etwas erklären zu können.

Bevor dieser Schmerz von neuem ihr Bewusstsein ergreifen konnte, dachte Melissa an den Mann, der sie auf die Plattform dieses Zuges gezogen hatte. Er sah gut aus, dieser Mister Rafferty, mit seinem goldbraunen Haar und diesen fast karamellfarbenen Augen ... Auch seine Zähne waren hübsch, ganz gleichmäßig und sehr weiß, das war Melissa sofort aufgefallen.

Sie vermutete, dass er Mitte dreißig und recht wohlhabend sein musste, wenn er sich einen derart luxuriösen Salonwagen erlauben konnte.

Plötzlich unterdrückte sie ein Schluchzen. Es interessierte sie nicht im Geringsten, wer Quinn Rafferty war oder was er im Leben erreicht hatte ...

Es war Sir Ajax Morewell Hampton, den sie liebte, und zu versuchen, nicht an ihn zu denken, war unmöglich.

Hätte Melissa ein Kissen gehabt, hätte sie ihr Gesicht hineingepresst, um ihre Tränen zu ersticken, aber sie hatte eben keins. Deshalb legte sie beide Hände vors Gesicht und überließ sich ihrer Verzweiflung, schluchzte und weinte und steigerte sich in einen Zustand hinein, der sie ihren Stolz und ihre Eitelkeit vergessen ließ.

Das Licht einer Laterne flackerte auf, schimmerte rotgolden zwischen Melissas Fingern hindurch: ein unterdrückter Ausruf, und dann Mister Rafferty, der neben ihr saß und sie ungeschickt in die Arme zog.

Seine Brust war breit und muskulös; in Mister Raffertys Armen zu liegen, war fast so, wie von einem ihrer Brüder gehalten zu werden – und doch auf merkwürdige Weise anders.

»Sie lieben ihn«, stellte Rafferty ruhig fest.

»Nein!«, widersprach Melissa erschauernd. »Ich hasse ihn ... ich schwöre es! Ich hasse ihn!«

Er erwiderte nichts. Er hielt Melissa einfach fest, und dafür war sie dankbar, denn sie hatte das Gefühl, dass sie auseinanderfallen würde, wenn seine starken Arme nicht wären.

Rafferty begann, verhalten zu fluchen.

Melissas Schluchzen hatte nachgelassen, und nun hob sie erschrocken den Kopf. »Was ist?«

Anstatt zu antworten, stand er auf – er trug einen seidenen Morgenmantel mit einem aufgestickten Drachen auf dem Rücken – und stürmte um eine reich geschnitzte Trennwand herum. Einen Moment später kam er zurück und drückte Melissa ein weißes Herrenhemd in die Hand.

»Ziehen Sie das an!«, befahl er schroff.

Sie schluchzte verwirrt und starrte ihn an. Eben hatte er sie noch beruhigen wollen; nun verlangte er etwas Unmögliches von ihr.

Rafferty ging zum Barschrank und schenkte sich einen Drink ein. Diesmal bot er Melissa nichts an, und sie hatte nicht den Mut, ihn darum zu bitten. Auch seine gemurmelten Worte ergaben keinen Sinn für sie – sie hörte nur mehrmals den Ausdruck »dumm«.

Irgendwann fand Melissa ihre Stimme wieder. »Nein«, sagte sie klar und deutlich.

Die braunen Augen musterten sie ungeduldig. »Sehen Sie sich an – Sie sind bis auf die Haut durchnässt. Wenn Sie an Lungenentzündung sterben wollen, na bitte, dann ist es nicht meine Schuld.«

Melissa merkte nun zum ersten Mal, wie nass und kalt ihr Kleid war. Jetzt warf sie einen fragenden Blick auf die hölzerne Trennwand.

Quinn spreizte die Hände. »Sie können gern das Bett haben, und ich schaue auch nicht zu, wenn Sie sich umziehen. Also machen Sie schon – ich möchte wirklich gerne weiterschlafen.«

Melissa schlüpfte hinter die Wand – mehr aus Neugierde als aus Angst – und blieb verblüfft vor einem ungewöhnlich breiten Bett stehen. Eine flüchtige Untersuchung ergab, dass es mit seidenen Laken bedeckt war und die Bettdecke aus echtem Chinchillafell bestand.

Mit einem leisen, anerkennenden Pfiff verdrängte Melissa ihr Herzweh um den verlorenen Bräutigam und begann mit den zahllosen kleinen Knöpfen am Rücken ihres Kleides zu kämpfen. Morgens waren Mama und Banner und Fancy und Tess ihr zu Hilfe geeilt und hatten scherzhaft bemerkt, es seien zu viele Knöpfe für eine einzige Frau, aber gerade genug für einen Mann.

Von neuem wurden Melissas Augen feucht, aber sie zwang sich, ein Lächeln in ihre Stimme zu legen. »Sie leben beschämend luxuriös, Mister Rafferty«, rief sie ihrem Gastgeber zu.

Rafferty ignorierte es. »Sagen Sie mir, was dieser Schuft getan hat, um Sie vom Altar zu vertreiben und so unglücklich zu machen.«

Dankbar für die Trennwand, die sie vor seinen Augen verbarg, kämpfte Melissa weiter mit den Knöpfen und antwortete leise: »Sie würden es ja doch nicht glauben, Mister Rafferty. Wirklich nicht.«

»Erzählen Sie es mir doch einfach«, beharrte Rafferty.

Es wäre eine Erleichterung, mich jemandem anzuvertrauen, dachte Melissa, einem Menschen, der objektiv war und nichts mit ihrem bisherigen Leben zu tun hatte. »Er hatte eine Mätresse«, gestand sie so verlegen, als hätte sie diese Sünde selbst begangen. »Er hat sie aus München mitgebracht, sie in einem Haus in Port Hastings untergebracht und sogar die Unverschämtheit besessen, sie zu unserer Hochzeit einzuladen!«

Schweigen hinter der Trennwand – die Art von Stille, die einem Sturm vorangeht. Aber dann kam Mister Rafferty ganz unvermutet um den Wandschirm herum und half Melissa schweigend beim Aufknöpfen ihres Kleids.

Die Bewegungen seiner Finger waren echt ungeschickt und langsam, aber es lag etwas so Zärtliches darin, dass Melissa wieder Tränen in ihren Augen spürte. Dabei hatte sie für heute doch wirklich genug geweint! Es wurde Zeit, damit aufzuhören, sich zusammenzunehmen und ihr Leben fortzusetzen.

Sie hob entschlossen das Kinn und holte tief Luft.

»Wohin fährt dieser Zug?«, fragte sie.

»Ich dachte mir schon, dass Sie irgendwann die Frage stellen würden. Er ist auf dem Weg nach Spokane.«

Melissa schnappte nach Luft, wirbelte herum und raffte das Kleid vor ihrer Brust zusammen. »Spokane! Das ist ja am anderen Ende dieses Staates!«

Mister Rafferty lächelte mutwillig und vielleicht sogar eine Spur überheblich. »Das kann doch für Sie nicht wichtig sein ... Miss Pullman?«, fragte er gedehnt.

Melissa errötete verlegen. Sie konnte es sich nicht leisten, ihn zu verärgern. Sie war ganz allein mit diesem Mann in einem Eisenbahnwaggon, der aussah, als wäre er von einer verschwendungssüchtigen Bordellbesitzerin eingerichtet worden. Im Übrigen war es mitten in der Nacht ...

»Ich heiße nicht Pullman«, gab sie zu und senkte beschämt den Blick.

»Nein!«, rief er in gespielter Überraschung und legte eine Hand auf die Brust.

Melissa stampfte mit dem Fuß auf. »Ich bin Melissa Kate Corbin«, verkündete sie wütend. »Wissen Sie, was das bedeutet, Mister Rafferty?«

Seine Überraschung verwandelte sich in einen Ausdruck theatralischen Entsetzens. »Nein, war denn, um Gottes willen?«

Melissa war fassungslos und plötzlich gar nicht mehr sicher, ob ihr Name unter den gegebenen Umständen etwas zu bedeuten hatte oder ihr Schutz verleihen konnte.

»Ach, nichts«, sagte sie schließlich leise.

Rafferty lachte, half ihr, den Rest der Knöpfe zu öffnen und ließ sie dann allein.

»Sie sind besser dran ohne diesen Ajax«, bemerkte er nach einiger Zeit, als das Licht ausgegangen war und Melissa in seinem weichen Bett lag, während er sich vermutlich auf die schmale Bank im Salon gelegt hatte.

»Wahrscheinlich«, antwortete Melissa seufzend.

»Ich begreife dennoch nicht, warum Sie fortgelaufen sind. Sie hätten es Ihrer Familie doch bestimmt erklären können ...«

»Nein, unmöglich«, wandte Melissa ein. »Mama konnte Ajax nie leiden, und wenn ich es meinen Brüdern erzählt hätte ... Nun ja, Keith hätte sicher nicht sehr aggressiv reagiert, weil er Prediger ist, aber Adam und Jeff? Nein, nein, unmöglich. Wer weiß, was sie Ajax angetan hätten!«

Mister Rafferty seufzte ergeben. »Und so beschlossen Sie, auf den nächsten Zug zu springen, der Port Hastings verließ.«

»Natürlich nicht. Ich bin einfach davongerannt, das ist alles. Plötzlich war ich auf dem Bahnsteig, und da ...«

Ein tiefes, raues Lachen klang in der Dunkelheit.

»Leben Sie in Port Hastings?«, wechselte Melissa rasch das Thema. »Ich kann mich nicht entsinnen, Sie je gesehen zu haben.«

»Ich lebe auf der anderen Seite der Halbinsel, Miss Corbin. In Port Riley.«

Melissa kuschelte sich tiefer zwischen die seidenen Laken. Es bestand eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Städten, und das vermittelte dieser ohnehin schon etwas ungewöhnlichen Situation noch einen zusätzlichen Reiz. »Meine Brüder sagen, Port Riley wäre in fünf Jahren nichts als eine Geisterstadt.«

»Oh, tatsächlich?«

»Ja. Um Jeffs Worte zu gebrauchen, gibt es dort nichts als eine armselige Sägemühle.«

»Eine armselige Sägemühle?« Raffertys Ton verriet, dass Melissa einen Nerv getroffen hatte. »Dann sollen Sie wissen, Miss Corbin, dass dieses armselige Unternehmen mir gehört und ich der Eigentümer der größten Holzfirma des ganzen Staates bin. Es gibt vier Banken in Port Riley, eine Konservenfabrik, eine Bibliothek und ein Krankenhaus. Bis vor sechs Monaten gab es auch eine Zeitung.« Er machte eine Pause, bevor er triumphierend schloss: »Und sechzehn oder siebzehn Saloons.«

»Oh«, entgegnete Melissa spöttisch.

»Das ändert natürlich alles. Jede Stadt, die über siebzehn Saloons verfügt, hat ihren Platz auf der Landkarte verdient.«

»Schlafen Sie, Miss Corbin. Sie haben morgen einen langen Tag vor sich.«

Daran wollte Melissa nicht denken, weder an morgen noch an die Tage, die darauf folgten. Aber schlafen wollte sie auch nicht.

»Was ist aus der Zeitung geworden?«

Rafferty seufzte. »Die Redaktion ist ausgebrannt.«

»Durch Zufall?«

»Nein, absichtlich. Jemand hatte andere politische Ansichten als die Herausgeber.«

»Wer?«

»Ich habe keine Ahnung, Miss Corbin.«

»Na, das ist ja nett. Haben Sie denn keinen Marshal in der Stadt?«

»Selbstverständlich haben wir einen Marshal in der Stadt«, erwiderte Rafferty spöttisch. »Er hat wohl einen Verdacht, aber Beweise hat er leider nie erbracht. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, Ihren reizenden Mund zu halten, Miss Corbin ...«

»Ich muss reden.«

Wieder seufzte Rafferty. »Ich glaube, Sir Ajax Wieauchimmer ist einer wohlverdienten Strafe entkommen.«

»Was soll das heißen?«

»Nichts. Verzeihen Sie«, sagte er trocken. »Meine Phantasie ist für einen Moment mit mir durchgegangen.«

»Warum fahren Sie nach Spokane?«

»Weil ich dort etwas zu erledigen habe«, stöhnte Quinn.

»Was?«

Ein kurzes, bedrohliches Schweigen, dann die Antwort: »Ich werde Sie in einem Hotel unterbringen und mich mit Ihrer Familie in Verbindung setzen, damit sie wissen, dass Ihnen nichts zugestoßen ist. Danach treffe ich mich mit einem Geschäftspartner ...«

»Ich lasse mich nicht in einem Hotel unterbringen«, fiel Melissa ihm empört ins Wort und richtete sich auf. Sie würde nicht eher nach Hause zurückkehren, bis sie aus eigener Kraft etwas erreicht hatte. Etwas anderes ließ ihr Stolz nicht zu, denn sie wollte nicht für den Rest ihres Lebens wie eine exzentrische alte Jungfer von ihrer Familie behandelt werden.

Die Vorstellung war schon beschämend genug, aber die Wirklichkeit würde noch viel unerträglicher sein ...

Melissa kniete sich aufs Bett und schob die Fensterblenden beiseite, um die vorüberziehende Landschaft zu betrachten.

»Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst«, sagte sie betont, um ihre zunehmende Unsicherheit zu verbergen.

Dann legte sie sich wieder hin, schloss die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Als Melissa erwachte, war der Waggon in helles Sonnenlicht getaucht, und ein Elefant schien mit einem Fuß auf ihrer Brust zu balancieren. Ihre Nase war verstopft, und die Hitze, die von ihrem Körper ausging, unerträglich.

Ein Fremder mit weißem Schnurrbart und einem Stethoskop am Hals beugte sich über ihr Bett. »Sie werden sich bald wieder besser fühlen, Miss«, sagte er.

Melissa war überzeugt, dass sie an einer geheimnisvollen, bis dahin noch unbekannten Krankheit litt, und bemühte sich, es zu sagen. Aber nichts als ein Krächzen kam aus ihrer Kehle.

»Sie braucht viel Zitronensaft«, bemerkte der Arzt jovial, bevor er sich zum Gehen wandte.

Quinn brachte ihr eine Schale mit einem dampfend heißen Getränk. Er sah atemberaubend gut und aufreizend gesund aus in einem eleganten Rock und mit seinem noch feuchten, frisch gekämmten Haar.

Es gelang Melissa, sich aufzurichten und die Schale in die Hand zu nehmen. Der heiße Zitronensaft war großzügig mit Brandy versetzt.

»Tut mir leid, dass Ihr neues Leben auf diese Weise beginnt«, bemerkte Quinn heiter. »Vielleicht wären Sie doch besser bei Ihrem alten geblieben.«

Melissa schaute ihn aus schmalen Augen an. Sobald sie das Jenseits erreichte, würde sie sich in ein Gespenst verwandeln und diesen Mister Rafferty so gnadenlos verfolgen, bis er weißes Haar bekam oder kahlköpfig wurde vor lauter Schreck.

Rafferty lachte, als hätte er ihre hilflosen Überlegungen erraten, und streichelte ihre fieberheiße Wange. »Wenn Sie brav sind, bringe ich Ihnen ein Geschenk«, sagte er in herablassendem Ton. »Tun Sie, was Eloise sagt. Ruhen Sie sich aus.«

Eloise, eine mürrische Frau in einem strengen, schwarzen Kleid, stand am Fußende des Bettes, eine Bibel an ihrem breiten Busen und eine Brille auf der Nase, durch deren dicke Gläser sie Melissa missbilligend betrachtete. Ganz offensichtlich hatte sie völlig falsche Vorstellungen davon, was Melissas Anwesenheit in Mister Raffertys Luxuswaggon betraf.

Melissa schloss die Augen. Wir müssen in Spokane sein, dachte sie ergeben, aber nicht einmal der Gedanke regte sie auf, dazu war sie viel zu krank.

Es wurde ein sehr anstrengender Tag. Ab und zu gelang es ihr, Schlaf zu finden, aber das Fieber und ihre schmerzende Kehle weckten Melissa immer wieder auf.

Sie war froh, als Mister Rafferty abends wiederkam und Eloise fortschickte. Wie versprochen, hatte er Melissa ein Geschenk mitgebracht.

Mit ihrer letzten noch verbleibenden Kraft – Melissa war ganz sicher, am nächsten Morgen tot zu sein – packte sie das Geschenk aus. Es war ein Buch, und Melissa hätte laut gelacht, wenn sie sich besser gefühlt hätte, denn sie hatte den Roman selbst geschrieben – wenn auch unter einem Pseudonym.

»Sie bringen uns Gulasch aus dem Speisewagen«, sagte ihr Wohltäter, während er seine Krawatte abnahm. »Absoluter Schwachsinn«, fügte er mit einem Blick auf das Buch hinzu. »Aber der Buchhändler meinte, Frauen liebten so etwas.«

Er war vollkommen fassungslos, als Melissa ihm das Buch an den Kopf warf.

2

Quinn zog sich einen Sessel an Melissas Bett, entschlossen, ihr Gesellschaft zu leisten, ob er nun erwünscht war oder nicht. Um sie zu unterhalten, begann er ihr aus dem Buch vorzulesen, das sie ihm gerade an den Kopf geworfen hatte. »Phoebe Wilkin war eine Frau, die das Schicksal dazu bestimmt hatte, zerstört zu werden.« Quinn brach ab und warf einen nachdenklichen Blick auf den Bucheinband, bevor er sich umständlich räusperte und weiterlas.

Melissa machte es sich in ihrem Bett bequem und war ganz Ohr. Obwohl sie Phoebes gefährliche Entscheidung selbst geschrieben hatte, hörte sie gespannt zu. Ihre so sorgfältig gewählten Worte klangen aus Mister Raffertys Mund völlig anders. Und irgendwie noch besser.

Er hatte erst zwei Seiten gelesen, als es leise an der Tür klopfte.

Das Essen war gekommen. Quinn ließ Melissa das Tablett benutzen, während er selbst auf der Bettkante aß.

»Benehmen Sie sich«, warnte er sie. »Ein Buch lasse ich mir vielleicht noch ungestraft an den Kopf werfen, aber einen Teller mit Gulasch ganz sicher nicht!«

Trotz ihrer unglücklichen Lage musste Melissa lächeln. Sie probierte das Gulasch und fand es genauso schmackhaft wie die Mahlzeiten, die Maggie McQuire zu Hause zubereitete.

Quinn betrachtete sie stirnrunzelnd. Er selbst hatte sein Essen noch nicht angerührt. »Wir haben ein Problem«, sagte er, als handelte es sich um eine großartige Entdeckung.

»Wir haben eine ganze Reihe von Problemen«, entgegnete Melissa mit krächzender Stimme.

Rafferty musterte das gerüschte Hemd, das ihm gehörte und das Melissa trug, seit sie ihr nasses Hochzeitskleid abgelegt hatte. »Sie haben nichts anzuziehen«, stellte er fest.

»Eine skandalöse Situation – bestens dazu geeignet, den guten Ruf einer Dame zu zerstören.«

»Und was ist mit Ihrem Ruf, Mister Rafferty?«, wandte Melissa zaghaft ein.

Er lachte und zeigte seine weißen Zähne. »Der kann nur verbessert werden.«

Melissa überlegte, ob sie ihm nicht doch den Teller mit Gulasch an den Kopf werfen sollte, hielt es jedoch für vernünftiger, sich zu beherrschen. Sie hatte großen Hunger – anscheinend war der Tod doch noch nicht so nahe – und wollte sich keinen Bissen entgehen lassen.

Quinns Blick fiel auf das Buch neben Melissas Bett. »Es tut mir leid, dass mein Geschenk Ihnen nicht gefallen hat.«

Melissa kaute langsam und schluckte, was bei ihrem schmerzenden Hals nicht ganz einfach war. »Es war nicht das Geschenk, Mister Rafferty, sondern was Sie darüber gesagt haben.«

Er wirkte aufrichtig verblüfft. »Und was war das?«

»Sie haben mein Buch ›absoluten Schwachsinn‹ genannt«, antwortete Melissa ruhig. »Ich habe lange und hart an dem Manuskript gearbeitet, und wenn Phoebe auch zugegebenermaßen keine Emma Bovary oder Jane Eyre ist, habe ich mir die größte Mühe mit ihr gegeben.«

Quinn starrte Melissa an. Sein Mund war leicht geöffnet, und sie war versucht, einen Löffel Gulasch hineinzuschieben. Aber wieder war der Gedanke, dass sie ihr Essen selber brauchte, stärker.

»Sie haben dieses Buch geschrieben?«, fragte Quinn entgeistert.

Melissa nickte stolz. »Ja. Dieses und drei andere, wenn man die Groschenromane zählt, die ich unter dem Pseudonym Marshal S. Whidbine geschrieben habe.«

»Nicht zu fassen«, murmelte er.

»Mag sein«, stimmte Melissa seufzend zu. »Aber das ist Ihr Problem.« Gähnend schloss sie die Augen. »Lesen Sie weiter.«

»Nein«, antwortete Quinn, dann hörte Melissa Geschirr klappern, und nach einer Weile schlief sie ein.

Als der Zug sich von neuem ratternd in Bewegung setzte, erwachte sie wieder. Anscheinend befanden sie sich auf dem Weg zurück nach Westen.

»Quinn?«, rief Melissa leise.

Da keine Antwort kam, stand sie auf und spähte um die Trennwand herum.

Quinn saß stirnrunzelnd am Schreibtisch. Melissas Roman vor sich. Er schaute missbilligend auf, als er sie bemerkte.

Melissa errötete. Obwohl sie sich selbst nicht erklären konnte, warum, wollte sie, dass ihr Roman Quinn gefiel. Doch seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er ihn höchstens kurios zu finden.

»Sie hätten mir sagen können, dass wir Spokane verlassen«, bemerkte sie vorwurfsvoll. »Ich wollte nämlich hierbleiben.«

Quinn zuckte mit den Schultern. Auf dem Schreibtisch lag ein Päckchen, das er Melissa jetzt zuwarf. »Hier. Mit den besten Wünschen Ihrer Krankenschwester.«

Das Päckchen war recht schwer. »Was ist es?«

Wieder zuckte Quinn die Schultern. »Ein Beweis christlicher Nächstenliebe, nehme ich an, Eloise und der Arzt machten sich große Sorgen um ihr Seelenheil.«

Melissa wusste bereits, dass Eloise die Schwester des Arztes war, der sie behandelt hatte, und im Hinblick auf die offene Missbilligung der Krankenschwester war Melissa gar nicht sicher, ob sie wissen wollte, was in dem Paket war. »Ich glaube, ich gehe wieder ins Bett«, sagte sie.

»Tun Sie das«, antwortete Quinn, während er das Buch zuklappte und aufstand. »Ich gehe in den Barwagen und spiele eine Runde Poker.«

Melissas Knie zitterten so, dass sie wohl oder übel zu ihrem Bett zurückkehren musste. »Ich kann auch Poker spielen«, sagte sie rasch, weil die Vorstellung, allein zurückzubleiben, sie bedrückte.

Sie hörte eine Schreibtischschublade aufgehen, dann stand Quinn vor ihrem Bett. »Schlafen Sie«, befahl er lächelnd. Dann war er fort.

In Melissas Augen standen Tränen: Sie wischte sie ab und weigerte sich, noch mehr zu vergießen. Zum Teufel mit Mister Rafferty, wenn er keinen Poker mit ihr spielen wollte! Er wäre wahrscheinlich sowieso ein viel zu leichtes Opfer für sie gewesen.

Nach einer Weile öffnete Melissa Eloises Päckchen und fand zwei schlichte Baumwollkleider, einen leicht gestopften Unterrock, zwei Unterhemden und -hosen und ein Umschlagtuch aus dunkler Wolle. Die Schnürstiefelchen in dem Paket kamen Melissa etwas zu groß vor.

Sie starrte auf die Sachen und wusste nicht, ob sie empört aufschreien oder lachen sollte. Als Mitglied einer der reichsten und mächtigsten Familien des ganzen Staates hätte sie nie erwartet, einmal in den Genuss christlicher Nächstenliebe zu kommen ...

Sie biss sich auf die Lippen und ermahnte sich zu Ruhe. Die harte Wirklichkeit sah anders aus. Obwohl sie Zugang zu dem Familienvermögen hatte und es kein noch so teures Kleid gab, das sie sich nicht leisten konnte, brauchte sie diese Sachen hier. Das einzige andere Kleidungsstück, das ihr im Moment zur Verfügung stand, war ein schmutziges Hochzeitskleid mit einem breiten Riss im Saum.

Sie drängte resolut die Tränen zurück und lachte plötzlich. Niemand konnte ein neues, unabhängiges Leben in einem schmutzigen Hochzeitskleid beginnen ...

Melissa stand auf und probierte die Kleider an. Sie passten ganz gut, aber die Schuhe waren wirklich zu groß. Sie schritt im Waggon auf und ab, um sich an sie zu gewöhnen, als Quinn zurückkam und einen Schwall Luft mit sich hereinbrachte.

»Was machen Sie denn da?«, fragte er stirnrunzelnd. Seiner gereizten Miene nach musste er beim Poker verloren haben.

»Ich übe«, entgegnete Melissa. »Wenn das meine Schuhe werden sollen, muss ich lernen, darin zu gehen.«

»So«, erwiderte er geistesabwesend. Dann öffnete er eine Schublade in seinem Schreibtisch und ließ seine Geldbörse hineinfallen. Dann, als er Melissas abgetragenes Kleid sah, erschien ein Ausdruck höflichen Entsetzens auf seinem Gesicht. »Mein Gott, das ist ja abscheulich, dieses Kleid!«

Melissa machte einen angedeuteten Knicks vor ihm. »Danke für das Kompliment, Sir«, sagte sie spöttisch.

Quinn nahm ihren Arm und führte sie zum Bett. »Legen Sie sich hin«, befahl er und begann ihr die Schuhe abzustreifen. »Ein Kellner bringt gleich heißen Zitronensaft für Sie.«

Als Quinn ihr den Rücken zukehrte, zog Melissa rasch ihr Kleid aus und schlüpfte in Hemd und langer Unterhose unter die Decken.

»Ich habe es mir überlegt«, verkündete sie dann mit einer Zuversicht, die sie nicht empfand. »Ich werde meiner Familie beweisen, dass ich imstande bin, allein für mich zu sorgen.«

Es klopfte, und der Kellner brachte eine Kanne heißen Saft. Als er fort war, schenkte Quinn ein Glas für Melissa ein. »Ich kann es kaum erwarten, Ihre Pläne zu erfahren. Miss Corbin«, bemerkte er mit nachsichtigem Lächeln.

Sie nippte an dem heißen Getränk. »Ich werde keinen Pfennig von meinem Treuhandfonds anrühren und auch nicht das Konto meiner Mutter in Anspruch nehmen.«

»Drastische Maßnahmen«, bemerkte er schmunzelnd.

»Allerdings besitze ich ein bisschen eigenes Geld, das ich mir mit dem Schreiben verdient habe.«

Quinn seufzte. »Was denkt eigentlich Ihre Familie über Ihren ... schriftstellerischen Ehrgeiz?«

Melissa senkte den Kopf. »Sie wissen nichts davon«, gestand sie leise. »Außer Banner.«

»Banner?«

»Meine Schwägerin.« Melissa war sehr stolz auf Adams Frau. »Banner ist Ärztin – keine Krankenschwester oder Hebamme, sondern eine richtige Ärztin. Meine andere Schwägerin, Fancy, war Zauberkünstlerin, und Keith’ Frau Tess ist Fotografin.«

Quinn pfiff anerkennend durch die Zähne, aber dann zerstörte er alles, indem er sagte: »Die Ärztin ist bestimmt so hässlich, dass selbst ein Grizzlybär bei ihrem Anblick tot umfallen würde.«

Melissa lächelte. »Ich werde meinem Bruder erzählen, was Sie gesagt haben«, erwiderte sie mit drohendem Unterton.

Ein anzügliches Lächeln spielte um Quinns Lippen. »Tun Sie das ruhig, Melissa. Ich habe keine Angst vor Ihren Brüdern.«

»Was nur beweist, wie dumm Sie sind. Aber das ist unwichtig. Hält der Zug in Seattle, Mister Rafferty?«

»Ja, ganz kurz. Warum?«, erkundigte er sich stirnrunzelnd.

»Weil das Geld, von dem ich sprach, dort auf einem Konto liegt.«

Quinn räusperte sich und beugte sich mit ernster Miene vor. »Hören Sie, Melissa ... ich finde, Sie sollten sich das alles noch einmal gründlich überlegen. Immerhin sind Sie nur eine Frau und ganz allein auf der Welt ...«

»Allein? Wieso?«, unterbrach sie ihn heiter. »Ich habe doch Sie, Mister Rafferty.«

»Mich?«, entgegnete er verdutzt.

Melissa nickte. »Natürlich. Und obwohl Sie meinen guten Ruf in Gefahr gebracht haben, bin ich Ihnen etwas schuldig. Ich werde mit Ihnen nach Port Riley fahren, mir ein Zimmer nehmen, einen Job suchen und mich bemühen, ein neues Leben zu beginnen.«

Quinn war so entgeistert, dass ihm die Worte fehlten. Als er endlich die Sprache wiederfand, protestierte er heftig: »Das können Sie nicht machen!«

Melissa musterte ihn erstaunt. »Warum denn nicht?« Doch dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. »Sind Sie verheiratet?«

»Nein, nein, das nicht«, erwiderte Rafferty. »Aber es gibt eine Frau, die ich ...«

Dieses Eingeständnis verletzte Melissa, obwohl Mister Raffertys Privatleben sie ja eigentlich gar nichts anging. Sie biss sich auf die Lippen und zwang Tränen in ihre Augen: ein Trick, der bei Jeff und Keith noch nie seine Wirkung verfehlt hatte.

»Gillian würde es nicht verstehen.«

»Gillian?«, wiederholte Melissa.

Quinn sprang auf. »Verdammt! Hören Sie auf, mich so anzusehen! Das halte ich nicht aus.«

»Ich kann nicht nach Hause zurück«, flüsterte sie.

Quinn ließ die Arme hängen. »Sie könnten nach Seattle gehen«, schlug er mit leiser Verzweiflung in der Stimme vor.

»Nein, da kenne ich zu viele Leute.«

»Das kann doch nur von Vorteil sein!«

Melissa schob trotzig das Kinn vor. »Nein, das ist es nicht. Meine Familie würde sehr schnell erfahren, wo ich bin, und bevor ich wüsste, wie mir geschieht, säße ich wieder am heimischen Kamin!«

Quinn holte tief Luft und steckte eine Faust in die Rocktasche. »Hören Sie mich an«, bat er mit erzwungener Ruhe. »Ich habe nichts mit dieser Geschichte zu tun. Melissa, und ich habe mich bisher wie ein wahrer Kavalier verhalten. Ich habe Ihnen mein Bett überlassen, Sie gepflegt und die Situation nicht ausgenutzt, wie es viele andere Männer an meiner Stelle getan hätten. Aber wenn Sie jetzt versuchen, alles zu zerstören, was ich mir mühsam aufgebaut habe, ist es mit meiner Gutmütigkeit vorbei.«

Melissa schaute ihn mit unschuldiger Miene an. »Wie sollte ich das?«, erkundigte sie sich freundlich.

»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht verheiratet bin, und das stimmt. Aber ich habe eine Verlobte. Gillian und ich wollten diesen Sommer heiraten.«

Die Neuigkeiten brachten Melissa beträchtlich aus der Fassung, obwohl sie nicht begriff, warum. »Aha. Aber das erklärt nicht, warum Sie sich so aufregen, Mister Rafferty.«

»Gillian und ich haben ein Abkommen getroffen. Wenn wir unser Vermögen zusammenlegen ...«

Melissa hob die Hand. »Bitte, hören Sie auf. Jetzt ist mir alles klar. Sie heiraten diese Frau nur ihres Geldes wegen.«

Quinn wollte etwas entgegnen, doch dann wandte er sich kopfschüttelnd ab und verschwand hinter der Trennwand.

Melissa kam sich einsam und verlassen vor. Sie kuschelte sich noch tiefer unter die Decken und fragte sich, was sie nun tun sollte.

Dann kam ihr ein Gedanke. »Wenn Sie Geld brauchen«, rief sie, »könnten Sie mich heiraten. Ich habe eine Menge Geld.«

Quinns Stimme klang rau vor Ärger. »Nein, danke.«

Merkwürdigerweise schmerzte seine Zurückweisung mehr als Ajax’ Verrat. »Ich bin noch Jungfrau«, fügte sie schüchtern hinzu.

Sie hörte ihn seufzen. »Indem Sie sich einen Mann angeln, beweisen Sie Ihrer Familie noch lange nicht, dass Sie imstande sind, allein für sich zu sorgen.«

»Das ist wahr«, gab Melissa widerstrebend zu und schloss die Augen. Und nach einiger Zeit gelang es ihr tatsächlich einzuschlafen.

Als sie wieder erwachte, fühlte sie sich schon viel besser und beschloss aufzustehen. »Quinn?«, rief sie leise.

Da keine Antwort kam, schlüpfte Melissa in den winzigen Raum am Ende des Waggons, wo sich das Badezimmer befand, und stellte überrascht fest, dass die Wanne bereits bis an den Rand gefüllt war.

Melissa betrachtete das dampfend heiße Wasser sehnsüchtig.

»Sie können es haben«, ertönte Quinns amüsierte Stimme hinter ihr.

Als Melissa sich bewusst wurde, dass sie nur Unterwäsche trug, schnappte sie nach Luft und zog sich dann blitzschnell in die kleine Toilette zurück.

»In einer Stunde sind wir in Seattle«, rief Quinn ihr warnend zu. »Wenn Sie baden wollen, sollten Sie es jetzt tun. Ich gehe in den Speisewagen, um zu frühstücken.«

Melissas Magen knurrte. Sie konnte nur hoffen, dass Quinn ihr etwas mitbringen würde, wenn er zurückkam. Sie wartete, bis sie die Außentür hörte, und schlich sich ins Bad zurück.

Der Waggon war leer, und Melissa zog sich rasch aus und stieg in das heiße Wasser. Es war wunderbar entspannend, aber sie wagte nicht, allzu lange darin zu verweilen.

Sie trug eines ihrer beiden Baumwollkleider und frottierte gerade ihr langes schwarzes Haar, als Quinn zurückkam. Warum hat er nicht angeklopft? dachte sie und stellte verwundert fest, dass er sie auf ganz eigenartige Weise musterte.

»Sie haben sicher Hunger«, sagte er schließlich.

Melissa bürstete ihr hüftlanges, schwarzes Haar. »Mag sein«, entgegnete sie schnippisch, »aber das ist nicht Ihr Problem. Wenn wir in Seattle sind, kaufe ich mir etwas zu essen.«

»Melissa.« Er lehnte sich an die Trennwand und schaute zu, wie sie ihr feuchtes Haar zu einem dicken Zopf flocht.

»Was?«

»Ich heirate nicht des Geldes wegen.«

Melissa wusste selber nicht, woher sie den Mut nahm, ihn anzuschauen. »Dann ist es also eine Liebesehe«, sagte sie. »Sie lieben Gillian, und sie liebt Sie.«

Quinn räusperte sich und wandte den Blick ab. »Nicht unbedingt.«

Seine Antwort erfüllte sie mit unbegreiflicher Freude. »Dann lieben Sie Gillian also nicht?«

»Ich mag sie sehr.«

Melissa unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. »So.«

»Was soll das heißen?«, wollte Quinn wissen.

»Ich hoffe, dass Sie mit Gillian glücklich werden«, log Melissa lächelnd. »Sie mögen sie, und sie mag Sie. Sicher werden Sie auch Ihre Kinder mögen.«

Quinns Nacken wurde feuerrot, und er presste für einen Moment die Lippen zusammen. Aber bevor er etwas entgegnen konnte, erklang ein schriller Pfiff, und der Zug stoppte abrupt. Das Wasser spritzte zu beiden Seiten aus der Wanne, aber Quinn und Melissa standen nur da und starrten sich an. Melissa erholte sich als Erste. Sie band eine Schleife von ihrem Hochzeitskleid um ihren Zopf und rollte das teure Kleid mit dem zweiten Baumwollkleid zu einem Bündel.

»So«, meinte sie dann tapfer, »jetzt werde ich mir einen Namen machen.«

»Das befürchte ich auch«, knurrte Quinn. Seine braunen Augen funkelten vor unterdrückter Erregung. Mit grimmiger Miene legte er Melissa die Hände auf die Schultern. »Sie brauchen niemanden etwas zu beweisen. Gehen Sie nach Hause zurück. Kleines – es ist eine große, brutale Welt dort draußen.«

»Glauben Sie, ich wäre ein Kind? Ich verfüge über ein abgeschlossenes Universitätsstudium, Mister Rafferty, und hätte fast geheiratet!«

Wieder flackerte Ärger in seinen Augen auf. In einer spöttischen Geste legte er eine Hand auf seine Brust. »Ich gebe zu, dass ich für einen Moment vergessen hatte, wie welterfahren Sie schon sind, Miss Corbin!«

In diesem Augenblick stoppte der Zug, und die Bewegung warf Melissa und Quinn aufs Bett zurück.

Melissa schnappte überrascht nach Luft, aber Quinn lachte und rollte sich auf den Bauch, um sie zu betrachten. Als sein Blick über ihre rosig angehauchten Wangen glitt, wurde er ernst.

»Verdammt«, murmelte er, bevor er beinahe widerstrebend seine Lippen auf Melissas Mund presste.

Ein heißes Sehnen erfüllte sie, als der Kuss intensiver wurde, und ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Ihr ganzer Körper sehnte sich plötzlich danach, Quinns Gewicht zu spüren, während ihr Geist sich mit aller Macht dagegen auflehnte.

Als Quinn sich von ihr löste, versetzte Melissa ihm eine schallende Ohrfeige und versuchte sich aufzurichten.

Er starrte sie verwundert an. »Was ...?«

»Lassen Sie mich aufstehen!«, schrie Melissa.

Er gehorchte sofort. »Mit Vergnügen«, sagte er lächelnd, und irgendwie machte das Melissa noch wütender, als sie gewesen wäre, wenn er sie den ganzen Nachmittag auf dem Bett festgehalten hätte.

Ihr Gesicht brannte vor Scham. Sie richtete sich auf, strich sich übers Haar und griff nach ihrem Kleiderbündel. »Tausend Dank!«, zischte sie, während sie auf das Ende des Waggons zustürmte. »Auf Wiedersehen!«

Sie riss die Tür auf und trat auf die Plattform hinaus.

Der Bahnhof war ein lauter, betriebsamer Ort. Die seltsame Mischung aus Gerüchen und Geräuschen hätte Melissas Aufmerksamkeit unter anderen Umständen erregen können, aber jetzt hatte sie nichts anderes im Sinn, als aus Mister Raffertys Nähe zu kommen. Eilig durchquerte sie die Bahnhofshalle und trat durch die Eingangstür auf die Straße hinaus.

Doch sie war noch keine zwei Blocks weit gekommen, als Quinn auch schon an ihrer Seite war und ihren Ellenbogen ergriff. Unter der breiten Krempe seines eleganten schwarzen Huts schaute er schmunzelnd auf Melissa herab.

»Sie könnten mir wenigstens gestatten, Sie zum Frühstück einzuladen, Miss Corbin – zum Dank, dass ich Sie vor dem ewigen Mitleid Ihrer Familie und vor einem schrecklichen Tod bewahrt habe.«

»Ich will nichts von Ihnen, nicht einmal ein Frühstück«, antwortete Melissa unfreundlich.

»Gehen Sie und lassen Sie mich in Ruhe, bevor ich die Polizei rufe.«

»Das würden Sie nicht tun.« Sie hatten ein Hotel erreicht, und Quinn schob Melissa in die Halle, wobei er ihr mit verschwörerischer Miene zuflüsterte: »Denn dann wären Sie gezwungen zuzugeben, dass Ihre berühmte Familie überall nach Ihnen sucht. Ich wäre übrigens gar nicht überrascht, wenn sie bereits eine beachtliche Belohnung ausgesetzt hätte.«

Melissa dachte an die Zeit nach dem Tod von Keith’ erster Frau. Sein Schmerz war so groß gewesen, dass er einfach fortgegangen war, und Adam und Jeff hatten eine Belohnung ausgesetzt und Bilder von Keith veröffentlicht, um ihn wiederzufinden. Nun schaute sie Quinn, der sie zu einem Tisch am Fenster führte, flehend an.

Er nickte ihr freundlich zu. »Ich habe über Ihren Antrag nachgedacht«, verkündete er heiter.

Melissa errötete, ihr Herz schlug schneller. »Das habe ich nicht ernst gemeint«, sagte sie und dachte an den Kuss auf Quinns Bett und an die verwirrenden Emotionen, die er in ihr ausgelöst hatte. Wenn sie mit Quinn verheiratet wäre, besäße sie die Möglichkeit – und das Recht –, diese unbekannten Freuden, die sein Körper zu versprechen schien, zu genießen ...

»Das glaube ich aber doch«, widersprach Quinn gelassen.

Eine Kellnerin kam, brachte Kaffee und nahm die Bestellung auf. Dann waren sie wieder allein.

»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte Melissa, als habe es keine Unterbrechung dieser lächerlichen Unterhaltung gegeben. »Lieber würde ich einen behaarten Affen heiraten als Sie, Quinn Rafferty!«

Er besaß die Frechheit, eine ihrer Hände zu nehmen und mit dem Daumen über Melissas Handgelenk zu streichen, was eine angenehme, prickelnde Wärme in ihr auslöste. »Heiraten Sie mich, Melissa«, sagte er in einschmeichelndem Ton.

Melissa hätte fast ihren Kaffee umgestoßen, so heftig zog sie ihren Arm zurück. »Wie unbeständig Sie sind!«, meinte sie gereizt. »Und was soll aus Gillian werden?«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass es sich nur um ein ... geschäftliches Abkommen handelte.«

»Wohingegen Sie für mich eine tiefe, unsterbliche Zuneigung hegen«, höhnte Melissa.

»Natürlich empfinde ich etwas für Sie«, pflichtete Quinn ihr bei. »Und ich würde sehr gern genauer herausfinden, was es ist.«

Wären sie an einem weniger belebten Ort gewesen, hätte Quinn sich dafür wieder eine Ohrfeige eingefangen. Aber so senkte Melissa nur den Kopf, starrte auf ihren Teller und konzentrierte sich auf ihr Essen, so gut es ging.

Obwohl sie sehr hungrig war, brachte sie vor Aufregung und Verwirrung kaum einen Bissen herunter. Obwohl Melissa Ajax geliebt hatte, war es ihm nie gelungen, zärtliche Gefühle in ihr zu erzeugen, wie es Quinn mit einer Bemerkung oder einem Kuss gelang.

»Ich heirate Sie nicht«, erklärte sie resolut. »Ich würde mich nie an einen Mann binden, der mich nur mag.«

»Wer hat gesagt, dass ich Sie mag?«, entgegnete Quinn.

Melissa wollte aufspringen, doch Quinn hielt sie sanft, aber entschieden am Handgelenk zurück.

»Essen Sie Ihr Frühstück auf«, befahl er.

Und Melissa stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass sie widerspruchslos gehorchte.

3

Quinn verstand sich plötzlich selbst nicht mehr. Es war ihm völlig unbegreiflich, warum er auf einmal so versessen darauf war, Melissa zu heiraten, nachdem er sein Leben lang eine feste Bindung vermieden hatte. Auch der Verlobung mit Gillian hatte er nur in dem Bewusstsein zugestimmt, sie jederzeit wieder lösen zu können, falls es ihm zu viel wurde. Und nun saß er da und gab sich die größte Mühe, eine ihm völlig fremde Frau zur Heirat mit ihm zu überreden.

»Betrachten Sie es einmal anders«, forderte er Melissa auf. »Wenn Ihre Brüder nach Port Riley kommen und sie zwingen, nach Hause zurückzukehren, werden Sie keine Gelegenheit mehr haben, irgendjemandem etwas zu beweisen.«

Melissas schöne blaue Augen weiteten sich erschrocken, dann wandte sie den Blick ab. »Das ist wahr«, gab sie leise zu.

Quinn nahm ihre Hand, und als er ihre zarte Haut unter seinen Fingern spürte, begriff er endlich, warum er Melissa Corbin heiraten wollte.

Weil er sie begehrte, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte ...

»Wenn Sie mich heiraten, wären Sie meiner Verantwortung unterstellt«, fuhr er beschwörend fort.

»Ich wäre Ihre Frau«, erwiderte Melissa trocken und entzog ihm ihre Hand. »Das gäbe Ihnen Rechte über mich, die ich Ihnen nicht einräumen möchte, Mister Rafferty.«

Es würde die Hölle auf Erden sein, mit diesem entzückenden Wesen verheiratet zu sein und nicht ihr Bett teilen zu können, das war Quinn klar, aber er war auch überzeugt, sie mit der Zeit umstimmen zu können. Bisher war es noch keiner Frau gelungen, sich seinem Charme zu entziehen.

Er spreizte die Hände. »Als ich die Gelegenheit dazu besaß, habe ich Sie zu nichts gezwungen, oder?«