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Die Journalistin Anna besucht nach dreißig Jahren das kleine, ehemals deutsche Dorf in Polen, in dem sie aufgewachsen ist. Die Fahrt nach Niederschlesien führt sie in ein fremdes Land und auch in ihre eigene Vergangenheit. Anna begegnet vertrauten Menschen aus ihrer Kindheit, ihrer alten Liebe Ludwik, dem Vater ihrer Tochter, und der neuen politischen Wirklichkeit. Ein bewegender, poetischer Roman über die jüngere deutsche Geschichte.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
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Alle Personen und Handlungen des Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig.
Für Ludwik
ISBN 978-3-492-97208-6
April 2017
© Piper Verlag GmbH, München 1976
Covergestaltung: Cornelia Niere, München, nach einem
Entwurf von Büro Hamburg
Covervorderseite: ZEFA
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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Wenn Suszko durchs Dorf fährt, hat er stets eine Mütze auf, eine verbeulte Postmütze.
Ohne Mütze ist er nur die Hälfte wert, denn ohne sein Amt wären Suszko alle Möglichkeiten genommen, mehr zu wissen als die anderen im Dorf. Deshalb nimmt er die Mütze nie vom Kopf. Und fragt man die Bewohner von Ujazd, wer denn den Suszko schon einmal ohne Mütze gesehen hätte, könnte das niemand außer der Sabina behaupten.
Aber auch Sabina hat Suszko nur ein einziges Mal ohne Mütze gesehen und das sehr kurz, weil er sie sofort wieder aufsetzte, obwohl er versuchte, es mit ihr zu machen. Bei Tag – im Kuhstall des Kombinats, wo sie beide im Grunde nichts zu suchen hatten.
Hinterher hatte der Suszko ein Stückchen Kuhfladen auf der Amtsmütze, was aber Gott sei Dank niemandem weiter auffiel.
Das Licht scheint gelbweiß vom Himmel. Kein Lüftchen in den Pappeln. Perkas Enten liegen flach auf der Straße, als wären sie bereits überfahren. Das Grün der Dorfstraßenbäume hat einen Blaustich. Die alte Jula sitzt auf einer Bank an der Stelle, wo früher das deutsche Kriegerdenkmal stand.
Unbeweglich blinzelt sie in die Sonne, und das kann sie nur, weil sie fast blind ist.
Suszko rückt die Mütze zurecht, schwingt sich auf sein Rad und verläßt das Postgebäude.
Dreißig Jahre früher, als Ujazd noch deutsch war und Rohrdorf hieß, verließ täglich um die gleiche Zeit ebenfalls ein bemützter Mann mit Fahrrad das Haus. Nur war die Mütze nicht blau, sondern grün, und es war auch keine richtige Mütze, eher ein sich nach oben verjüngender Helm, dessen Abzeichen, eine Handbreit über der Augenpartie, den Dorfpolizisten kennzeichnete. Das Haus beherbergte damals auch nicht die Post, sondern die Gendarmerie.
An die Gendarmerie erinnern sich heute noch einige Bewohner von Ujazd, wie Jacek Staszak, Elka Perka, die Pawlakowa vom Kombinat und natürlich Jula. Aber die schlimmsten Erfahrungen hatte wohl Staszak gemacht – später auch Ludwik Janik. Aber niemand spricht mehr darüber. Staszak sagt, es hat keinen Zweck, und die anderen geben ihm recht.
Suszko weiß, was in seiner Posttasche ist. Da wird es eine Menge zu reden geben. Es juckt ihm schon die Zunge, als er an Perkas Gartentor vorbeifährt.
Co nowego, Suszko? ruft Elka, was soviel heißt wie: Was gibts Neues? Umständlich sammelt sie die ersten Äpfel aus dem Gras in ihre Schürze.
Suszko steigt von seinem Rad.
Dem Lenart Marek gehts an den Hof, sagt er schließlich, obwohl er das dem Marek eigentlich zuerst mitteilen wollte. Aber Suszko geht es nicht viel anders als seinem Freund Jodko, dem Magaziner vom Kombinat. Ewig bleibt es bei den Vorsätzen, er kann den Mund nicht halten und tut manches, was er lieber nicht tun sollte.
Elka steht mit den Äpfeln in der Schürze am Zaun.
Meinst du, die nehmen ihm jetzt den Hof?
Suszko wirft den Kopf nach hinten und schlägt mit der flachen Hand gegen die Kehle. Wenn er das – er tippt nochmals mit der Handkante an den Hals –, wenn er das so weitermacht, wird er nicht mehr viel zum Wohnen haben und schon gar nichts zum Wirtschaften. Jesusmaria, sagt Elka und wirft die wurmigen Äpfel in den Graben. Früher war die auch hübscher, denkt Suszko, als er ihr so zusieht. Elkas Brust ist groß und schlaff, wie ein gemolkenes Kuheuter, ihre Beine sind dick, und der Leib hat den Umfang eines Ölfasses. Und sonst? Elka nickt zu Suszkos Posttasche hin. Suszko fummelt an seiner Mütze und setzt sie gerader auf.
Die Niemka vom Schloß kommt – er schiebt sein Kinn Richtung Tasche –, Telegramm an den Direktor vom Kombinat.
Elkas Augen werden rund wie Stachelbeeren. In ihren Mund, in dem nur sonntags Zähne zu sehen sind, könnte der Suszko jetzt einen ganzen Mohnkloß stecken.
Welche Niemka?
Na, eben die vom Schloß!
Aber da gibt es zwei. Die eine heißt Lora, die andere Anna! Suszko bezieht sich auf das Postgeheimnis und fährt davon. In Wirklichkeit weiß er nicht, ob die Niemka, die nach Ujazd kommt, nun die Lora oder die Anna ist.
Im Grunde genommen gehen ihn ja auch die Leute, denen einmal das Schloß gehört hat, nichts an.
Er, der Suszko, ist nicht von hier und auch nicht von drüben, vom Polnischen, wie man früher sagte. Er, der Suszko, ist ein Zabuzak, ein sogenannter Hinterbugler oder, wie Suszko es lieber hört, ein Abenteurer, der in den Wilden Westen gezogen ist, um etwas zu erleben. Im Jahre 1946 war hier auch genug los.
Sicherlich, heute ist er nicht mehr als der Postbote von Ujazd. Und schließlich ist es heute gar nicht mehr so gut, wenn man über all das spricht, was damals hier geschah.
Die alte Jula hält ihr Ohr dem Geräusch von Suszkos Fahrrad entgegen.
He, Suszko, co nowego? krächzt sie und fuchtelt mit ihrem weißen dünnen Stöckchen in seine Richtung.
Nic nowego, brummt er ärgerlich, weil er nicht weiß, ob nun die Anna oder die Lora nach Ujazd kommt.
Geh mir aus dem Weg, ich bin im Dienst!
Aber Jula geht nicht aus dem Weg. Die Frauen am Kiosk holen schon das Brot. Und wenn sie das Brot holen, dann ist es Julas Sache, etwas zu erzählen, was die anderen noch nicht wissen.
Julas Nachrichten sind frischwarm wie die in die Schürzen gewickelten Brotlaibe.
Wenn der Tag wie jeder andere beginnen soll, muß Jula etwas aus dem Suszko herausbekommen.
Im Dienst? Sie fältelt ihr Gesicht in ein blindes Grinsen. Deinen Dienst kenn ich!
Suszko steigt ab. Immer steigt er ab, wenn ihn die Jula anquatscht – weiß der Himmel, warum, aber es ist so.
Nichts kennt ihr, alte Hexe, mault Suszko, die Hände fest über der Posttasche. Seht zu, daß die Frauen die Milchkannen nicht zudecken, wenn Ihr an den Ställen vorbeischleicht. Jula fältelt ihr Gesicht noch kleiner zusammen. Ihr Greisenzünglein zwischen den randlos gewordenen Lippen glitzert feucht in der Sonne.
Dich haben die guten Geister verlassen – ich fühls!
Suszko fährt der Schreck durch die Glieder. Jula tippt mit ihrem krüppeligen Zeigefinger auf den Leberfleck mitten zwischen ihre blinden Augen.
Es sticht, Suszko, sagt sie. Paß auf, daß es dich nicht erwischt!
Wie ein Auge ist Julas Leberfleck auf seine Posttasche gerichtet.
Suszko fühlt sich in der Klemme zwischen Amtlichkeit und Julas Leberfleck. Er rückt an der Mütze herum, als brauchte er Luft auf der Kopfhaut.
Dem Lenart Marek wirds an den Kragen gehen!
Dem wird so sein, antwortet Jula, der Herr hat das Korn zum Brotbacken gegeben und nicht zum Schnapsbrennen!
Jawohl, sagt Suszko froh und glaubt, damit Julas Neugierde befriedigt zu haben. Aber sie ist nicht zufrieden.
Was noch?
Die Niemka vom Schloß kommt – ein Telegramm!
Suszko fummelt wieder an seiner Mütze. Verflucht, knurrt er, ich bin im Dienst!
Aber Jula ist schon aufgesprungen, hurtig wie ein Kaninchen, und glotzt Suszko mit ihren milchigen Augäpfeln an. Lora oder Anna?
Das hat Euch nichts anzugehen. Ein hundsgemeiner Fluch liegt ihm auf der Lippe, aber er verschluckt ihn. Sicher ist sicher. Mit Hexen wie Jula muß man sein Auskommen finden.
Er schwingt sich auf sein Fahrrad, stemmt sich ins Pedal und radelt schnurstracks an Kirkors Laden vorbei. Kirkors Neugier hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt.
Er nimmt nicht etwa den Weg geradeaus zur Stadt, sondern rechts herum über das Kopfsteinpflaster an der Kirche, dem Pfarrhaus vorbei, wo Hochwürden in seinem Garten herumfuhrwerkt, als hätte er das Paradies zu jäten.
Suszko fährt zwischen den herrschaftlichen Pfeilern hindurch über schwarzen Kies, rechts den Springbrunnen, links das, was der Direktor jetzt Sattelkammer nennt und was früher ein ganz normaler Schuppen war, bis vor das Portal. Die eingegitterten Hunde bellen aus Gewohnheit, und Suszko sagt schschsch! Da hören sie auf. Und während sie sich wieder friedlich in die Sonne lungern, macht sich Pani Pawlakowa auf, Suszko entgegenzugehen. Die Post ist da. Suszko räumt für Sekunden die Mütze vom Kopf. Das heißt, er wischt sie egentlich mehr über seinem Schädel auf und ab.
Dzień dobry, Pani.
Pani Pawlakowa sagt nichts. Sie nickt nur und steht in der feudalen Haustür des ehemaligen Kavaliershauses vom Rohrdorfer Gutshof.
Wie die da steht, denkt Suszko und kramt das Päckchen mit der Kombinatspost aus der Tasche, als wenn alles ihres wäre!
Ein Telegramm, sagt er, obwohl das Pani Pawlakowa selbst sehen kann.
Immer mit der Zigarettenspitze im Mund, denkt Suszko, wie eine Gräfin.
Pani Pawlakowa pafft blaue Wölkchen und macht das Telegramm vor Suszko so auf, daß er kein Wort lesen kann.
Lora oder Anna, wie soll er das nur herausbekommen? Es bleibt ihm nichts übrig, als zu fragen. Die Lora oder die Anna?
Pani Pawlakowa faltet das Telegramm wieder zusammen und sieht Suszko an. Durch und durch geht dem der Blick. Vorne herein und hinten heraus, wie ein Schuß. Jeder im Kombinat weiß, daß die Pawlakowa einen so ansehen kann.
Da ist es am besten, man macht sich davon. Suszko schwingt sich auf sein Rad, daß der schwarze Kies spritzt, diesmal den Springbrunnen rechts liegen lassend und links die Sattelkammer.
Pani Pawlakowa steht noch eine Weile mit dem Telegramm in der Hand auf der Treppe.
Tatsächlich, die Niemka kommt her. Aber wen interessiert das?
Plötzlich rutscht Pani Pawlakowa in die alten Erinnerungen und besonders in jene Zeit, in der ihre Jugend zwischen Nowawies und Ujazd von Kowalek begraben wurde.
Jawohl – Kowalek, der heute auch nicht mehr der Jüngste ist. Die Gedanken zappeln in ihrem Kopf wie Fliegen an einem Fliegenfänger. Süß und tot zugleich. Dabei ist die ganze Geschichte an die dreißig Jahre her.
Damals, wenn sie sich aufmachte, um nach der Sperrstunde Stefan Kowalek zu treffen, Kowalek, den damaligen Forstgehilfen vom Rittergut Rohrdorf, dann hatte Wanda Pawlakowa jedesmal ein Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte. Weder damals noch heute.
Da war zum Beispiel die Angst, nach der Sperrstunde erwischt zu werden. Das konnte ebensogut eine Geldstrafe wie die Abschiebung in ein Arbeitslager zur Folge haben. Selbst heute kommt sie noch nicht mit dem Grauen zurecht, welches sie bei nächtlicher Finsternis befällt.
Außer Kowalek hat das niemand gewußt, und der hat es längst vergessen.
Nacht für Nacht, wenn sie atemlos durch die Wälder rannte, um hinter den Eichen am Sperlingswinkel auf Kowalek zu warten, hatte sie es anfangs immer mehr mit der Angst als mit der Liebe zu tun gehabt. Das änderte sich erst mit Kowaleks Erscheinen, der hin und wieder auf sich warten ließ.
Da wurden aus Geräuschen Schatten, aus Schatten Licht, und wenn der Nebel in einzelnen Bündeln über das Kartoffelkraut zog, fing Wanda Pawlakowa an zu weinen. Kowalek gefielen Wandas Tränen, weil er dachte, daß sie seinetwegen geweint wurden, und er darin einen hinreichenden Grund sah, Wanda mit außerordentlicher Männlichkeit zu trösten.
Mit der Zeit hatte das zu Mißverständnissen geführt und Stefan Kowalek in die Arme von Friedel getrieben. Wanda Pawlakowa kostete das die Fähigkeit zu lieben. Sie wurde berechnend und mißtrauisch. Sie überlegte sich ihre Beziehungen zu den Männern von nun an zweimal. Aber trotz allen Mißtrauens und aller Berechnung in Herzenssachen fiel sie auf einen zweiten Mann herein.
Auf Adam Banaś, den heutigen Direktor des landwirtschaftlichen Kombinats Ujazd – Ordensträger und hochgeachteter Politiker der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei.
Gemeinsam mit ihm hatte sie vor dreißig Jahren mit fünf klapprigen Pferden, ein paar kaputten Maschinen und Banaś’ außerordentlichem Geschick eine staatliche Landwirtschaft begonnen. Aus den paar Äckern von damals ist eines der angesehensten Kombinate Polens mit viertausend Hektar Land geworden. Das Verdienst – wie es hieß – von Banaś und Wanda Pawlakowa, für das beide Orden, Ehren und lobende Erwähnungen erhielten.
Pani Pawlakowa? Die Stimme von Pan Banaś ist herrisch.
Wanda schlüpft aus ihren Erinnerungen, als hätte Banaś sie im Unterrock erwischt. Sie glättet Post, Telegramm und betritt das Büro.
Die Niemka hat ihre Ankunft telegrafiert!
Unterkunft im Gästehaus, Kaminfeuer in der Sattelkammer, später Essen im Klubhaus, dazwischen Besichtigung des Kombinats, sagt Banaś.
Es ist Sonntag, wendet die Pawlakowa vorsichtig ein, das Küchenpersonal ist nicht da, und ein Kaminfeuer – jetzt im Sommer?
Unbeweglich und schwerfällig hockt Banaś in seinem Drehsessel, den Oberkörper nach vorn gebeugt, den Kopf seitlich, als höre er schwer, den Blick gesenkt, mit seinen Gedanken längst wieder woanders. Man könnte meinen, er wäre eingenickt, und die Pani denkt, daß sie Adam Banaś in den vergangenen dreißig Jahren nie schlafend sah. Die Feststellung kommt spät für die lange Zeit, die sie sich kennen.
Stehen Sie nicht herum, Wanda, sagt Banaś mit unbeholfener Freundlichkeit. Ich möchte, daß die Niemka den notwendigen Empfang bekommt. Es ist mir egal, ob es Sommer oder Winter ist. Muß ich Ihnen das denn erklären?
Nein, sagt Wanda, mir nicht!
Da Suszko immer noch nicht weiß, ob es sich bei dem Besuch der Niemka um Lora oder Anna handelt, radelt er schneller als sonst am Haus des Kaufmanns Kirkor vorbei. Suszko verzichtet sogar auf Kirkors Wodka, den dieser hin und wieder ausgibt. Das Ausschenken von Alkohol in Lebensmittelgeschäften ist zwar gesetzlich nicht erlaubt, aber Kirkor sagt, was niemand sieht, kann niemand verbieten, und kippt mit Suszko einen Roten von der billigen Sorte. Sie stoßen an und trinken auf die Gesundheit, auf die Frauen und auf ihr Junggesellenleben. Heute ist nichts damit.
Jula ist aus der Sonne gegangen und hat sich auf den Weg zur Kirche gemacht, wo sie unter allerlei Pflichten, die sie sich selbst auferlegt hat, ihren Gebeten nachkommt.
Wispernd wischt sie den Staub von den Bänken, der Bibel Gottes und den Füßen des gekreuzigten Herrn Jesus.
Sie lüftet die Sakristei, sie zieht die Uhr des Pfarrers auf, was sie eigentlich nicht soll, und gießt die Blumen. Sie füllt den Kerzenstand vor dem Altar der Mutter Gottes auf und kratzt das vertropfte Wachs von den Fliesen.
O Mutter Gottes, flüstert Jula, weil ihr die seit eh und je vertrauter ist als Jesus Christus, laß den alten Sawko nicht in den Himmel einfahren. Es würde mir Schwierigkeiten bringen! Jula murmelt zahnlos, tonlos ein paar Aves, erhebt sich, küßt die von ihr abgestaubten Füße des Herrn, schließt die Kirche ab und wartet zwischen Gräbern und Kräutern im Schatten der Kastanien auf die Zeit, wo sie im alten Holzturm neben der Kirche, zwischen zwei Ketten hängend, mit zähen Greisenarmen die Glocken zum Zwölfuhrläuten bringt.
Dann reißt, zuckt und zerrt es in Julas Knochen. Vom Augenblick des Geläuts an hebt sich ihr kleiner Körper im Rhythmus der pendelnden Glocken schräg in die Luft und abwärts zurück auf die Bohlen, daß ihr die Latschen von den Füßen fliegen.
O Josef und Maria, keucht sie im Hin und Her der Glockenketten, laßt mir den Sawko nicht unters Gras kommen, nicht heute und, wenn es geht, auch noch nicht morgen! Es könnte mir schaden!
Doch es sieht ganz so aus, als würde sich der Sawko ans Sterben machen. So kommt es jedenfalls Suszko vor, als er dem Alten die bunte Postkarte aus Amerika auf die Bettdecke legt.
Von den Enkelkindern, sagt Suszko.
Sawko rührt sich nicht. Er starrt auf die Fliegen an der Wand, als seien es die himmlischen Heerscharen, die eigens auf Erden gekommen wären, um ihn zu holen.
Suszkos Meinung nach machts der Alte nicht mehr lange.
Na, fragt er die Adomskowa mehr aus Höflichkeit als aus Interesse, was hat der Doktor gesagt?
Ach der – der gibt dem Sawko keine Hoffnung. Ich hab die Jula geholt!
Und?
Sie hat den Sawko behandelt und gesagt, er wird noch leben!
Wie lange?
Wie lange! Leben wird er halt! Oder lebt er vielleicht nicht?
Da muß man aber schon zweimal hinsehen, brummt Suszko und denkt sich seinen Teil.
Vor Jahr und Tag hat der alte Sawko seinen Hof den jungen Adomskis überschrieben.
Denen kann es also egal sein, wann der Alte an die Reihe kommt. Was der aß, war nicht der Rede wert. Selbst neue Pantoffeln wollte Donat Sawko nicht mehr haben. Die alten reichen mir bis zum Friedhof, hatte er geantwortet, was soll ich mir jetzt noch neue Pantinen einlaufen.
Nein, der alte Sawko kostete die Adomskis nicht das Schwarze unterm Nagel.
Suszko legt die Hand an die festsitzende Mütze und fährt zum Lenart. Suszko will aus zweierlei Gründen zuerst beim Lenart vorbei. Einmal hat er Unangenehmes lieber hinter sich als vor sich, und zum zweiten würde der Inhalt des amtlichen Schreibens an Lenart in jedem Fall die Frage, ob nun Lora oder Anna käme, in den Hintergrund stellen.
Bisher hatte Marek Lenart noch keinen Brief bekommen, den Suszko ihm nicht vorgelesen hätte. Allein deshalb, weil Lenart von früh bis abends besoffen ist und ihn das Leben verdammt schwer ankommt.
Auch Suszko kann nicht lesen, wenn er den Kanal voll hat. Seines Erachtens kann das überhaupt niemand.
He, Marek, schreit Suszko und wirft das Hoftor hinter sich ins Schloß, daß der Riegel hüpft.
Nichts!
Bei Lenarts auf dem Hof ist es mucksmäuschenstill wie bei anderen Leuten am Sonntag. Nicht einmal der klapprige Köter will bellen. Er glotzt Suszko an – müde, hungrig und teilnahmslos.
Hinterm Hof rupft Lenarts ausgemergelter Schimmel ein paar Grasbüschel aus dem Sand.
Das ist kein Pferd mehr, sagt sich Suszko, während er das Fahrrad abstellt, das ist gerade noch ein verschissenes Stück Fell mit Knochen drin!
He, Marek?
Suszko geht in den Stall. Da hilft kein Schreien, das sieht er gleich. Marek liegt mit dem Gesicht im Mist und schnarcht, daß es dampft. Wirklich, es dampft und das bei der Hitze.
Da wird Lenart wieder Denaturat gesoffen haben. Tintenblauen Brennspiritus, aus dem Marek mit Zahnpasta das Blau herausholt.
Einmal Spiritus – einmal Zahnpasta.
Marek Lenart drückt die halbe Tube in das leuchtende Blau, schüttelt mächtig und mit Ausdauer die Flasche, deren Vorderseite mit einem warnenden Totenkopf gekennzeichnet ist, wartet, bis sich die Zahnpasta vergißmeinnichtfarben auf den Boden der Flasche senkt, und hebt an zu trinken. Schluck für Schluck.
He, Marek?
Suszko stößt Lenart den Fuß in den Hintern. Lenarts Gesicht rutscht ein Stück weiter in den Mist hinein.
Suszko reibt sich das Kinn. Er hätte Marek gern den Brief von der Behörde vorgelesen. Aber so?
Marek wird später nicht wissen, daß Suszko hiergewesen ist, und erst recht nichts wird er von dem Brief wissen.
Dienst ist Dienst, seufzt Suszko, vielleicht ist Genowefa da.
Er geht durch die offene Haustür in die Küche. Aber Genowefa ist auch nicht da, und die Kinder sind wohl in der Schule. Nur diese klägliche Stille überall.
Suszko ist nicht wohl. Einerseits möchte er gehen, andererseits muß er sich als Postbote des Briefes entledigen. Und so entschließt er sich doch noch, im Garten nachzusehen. Da entfährt ihm ein ungewolltes Jesusmaria. Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen, und auch sonst kommt bei Suszko einiges unvorhergesehen in Bewegung.
Das ist zu verstehen, wenn man Sabina dort im Garten zwischen den Schoten in der Sonne liegen sieht.
Wer im Dorf legt sich schon so mitten am Tag und mitten in der Woche in die Sonne?
Ganz nackt ist sie nicht, das könnte Suszko nicht behaupten. Aber mit was sie sich ihre Blöße bedeckt, das macht Suszko verrückt, das hat er einfach noch nicht gesehen. Er paßt sich der Mucksmäuschenstille an, gafft sich die Augen feucht, und es fehlt nicht viel und er nähme auch noch die Mütze vom Kopf.
Sabina liegt zwischen den halbhohen Schotenreihen in der Sonne, den Schoß mit einer der mickrigen Lenartschen Katzen bedeckt, während sie über ihre Brustspitzen zwei lila Malvenblüten gestülpt hat. Wie kleine Tüten sitzen die auf den Brustknospen, als gäbe es keinen Wind. Und die Katze, die sich gähnend und krallenlos zwischen Sabinas Beinen streckt, die tut so, als könnte sie nichts vertreiben.
Suszko bückt sich nach einem Kieselstein.
Laß das, sagt Sabina, ich habe dich längst gehört!
Sie zieht ein Handtuch aus den Schotenreihen und legt es über die Malvenblüten und die Katze. Das sieht im Gegensatz zu vorher lächerlich aus und ärgert Suszko.
Was hast du schon noch zum Zudecken, sagt er anzüglich und überlegt sich, wo er es mit ihr machen könnte. Hier zwischen den Schoten, in der Scheune oder gar im Haus?
Marek würde die nächsten Stunden nicht zu sich kommen, Genowefa mochte in der Stadt sein, die Kinder, wie gesagt, in der Schule.
Suszko geht auf Sabina zu. Fauchend springt die Katze unterm Handtuch hervor.
Du geiler Briefträger, schreit Sabina in die Stille hinein, daß es ohne weiteres auf der Dorfstraße zu hören ist und Suszko zur Besinnung bringt.
Du bist vielleicht eine, sagt er.
Ich habe einen Brief von der Behörde für euch, aber dein Vater liegt besoffen im Kuhstall mit dem Gesicht im Mist.
Ich weiß, sagt Sabina, den kriegt niemand wach!
Suszko holt den Brief aus der Tasche. Soll ich ihn dir vorlesen?
Sabina schüttelt den Kopf. Ihre Haare sind schön blond. Ihre schräggestellten Augen, ähnlich denen der mickrigen Katze, die jetzt wieder unter das Handtuch kriecht, diese Augen sind blau wie Suszkos ausgeblichene Postmütze.
Ich kann selber lesen, du Trottel, und ich kanns dir auch unterschreiben, wenns was Behördliches ist!
Suszko reicht ihr den Kugelschreiber, das Papier, den Brief. Die Katze rollt sich unterm Handtuch zurecht. Sabina unterschreibt mit großen, steilen Buchstaben die Empfangsquittung.
Weißt du denn, was das ist? will Suszko wissen.
Ja, ich weiß es. Du weißt es doch auch – alle wissen es im Dorf, was fragst du? Mach dich fort und tratsch herum, daß den Lenarts der Hof genommen wird.
Sabina!
Hau ab!
Suszko macht sich davon. Als Beamter will er keinen Ärger, immerhin ist er noch im Dienst.
So sieht er auch nicht die Tränen in Sabinas Augenwinkeln. Sie zieht das Handtuch weg und legt es zurück zwischen die Schotenreihen.
Suszko radelt wieder die Dorfstraße entlang, diesmal in Richtung von Staszaks Wirtschaft, wo heute eine Menge los ist.
Es ist das letzte Fuder Heu, das Jacek Staszak von seiner Wiese nach Hause fährt. Hochgeladen, von Jacek eigenhändig gestapelt, ein wahres Meisterwerk, schwankt der Wagen auf dem von Regenpfützen zerlöcherten Weg dem Dorf zu. Die Zügel reichen gerade noch zu ihm hinauf. Jacek Staszak muß sogar ein wenig krumm sitzen, wenn er Pferde und Weg übersehen will.
Lauft lieber nebenher, hatte eben noch Jurek geraten. Wenn die Ladung ins Rutschen kommt, werdet Ihr Euch den Hals brechen!
Was ich lade, kommt nicht ins Rutschen, hatte Jacek Staszak gebrummt, blieb, wo er war, oben auf dem Fuder, und knallte mit der Peitsche. Hüüüüüh – vorwärts!
Soll er sich doch das Genick brechen, der alte Dickschädel, und Jurek war mit dem Rad davongefahren, ohne Staszak noch einen Blick zu gönnen. Verrückt genug, daß die Dorfjugendorganisation dem Alten die Ernte einbrachte!
Alleingelassen weiß Staszak, daß Jurek recht hat. Wenn die Ladung ins Rutschen kommt, wird er sich die morsch gewordenen Knochen brechen. Der Weg ist schlecht genug, und er muß sich mehr auf die Pferde verlassen als auf sich selbst.
Aber es hat seinen Grund, warum Staszak ausgerechnet auf diesem miesen Weg nicht neben dem Wagen läuft.
Niemand außer Staszak kennt diesen Grund, und er erzählt auch niemandem davon. Allein schon deshalb, weil er sich lange Zeit seines Lebens bemühte zu vergessen. Aber selbst nach dreiunddreißig Jahren ist ihm das nicht gelungen.
Es gibt eben Erinnerungen, die sitzen fest im Hirn wie das Haus auf der Schnecke. Man muß es bis zum Sanktnimmerleinstag mit sich herumschleppen. Jacek Staszak weiß das inzwischen. Er weiß es, wie es Wanda Pawlakowa weiß, Ludwig Janik oder Elka Perka.
Damals waren es nicht Pferde, mit denen er hier entlangfuhr, sondern Ochsen. Er saß auch nicht auf dem Wagen, sondern er lief nebenher. Und auf dem Wagen lag kein Heu, sondern ein halbes Dutzend Eggen, die er vom Feld geholt hatte.
Weder Ochsen, Wagen noch Eggen gehörten ihm, sondern dem Rittergut von Rohrdorf, genau wie Jacek selbst auch.
Mit einem lila P auf gelbem Grund war Staszak, wie seine Landsleute, als Eigentum des Deutschen Reiches gekennzeichnet. Staszak hatte genau wie Ludwik Janik seine eigentliche Ausbildung verleugnet, um so der sicheren Einweisung in eine Munitionsfabrik zu entgehen.
Ochsenknecht, hatte Staszak gesagt und kam als solcher 1939 nach Rohrdorf, ohne daß seine Aussage genauer überprüft worden wäre. Was sollte ein Pole schon anderes sein!
So lief er winters wie sommers, Jahr für Jahr, zwei Ochsen als dritter hinterdrein. Er pflügte, eggte, fuhr Mist, Steine, Grünfutter und Jauche. Jacek grüßte, schuftete, hungerte, fror und wartete von einem Tag zum anderen auf Gerechtigkeit und Freiheit.
Nachts lag er bei fünfundzwanzig Grad Wärme wie bei fünfundzwanzig Grad Kälte in seiner Kammer unterm Dach, ohne Licht und Heizung, zwischen Stroh und Brettern. Da hatte er vor Schlottern und Schwitzen das Schlafen verlernt.
Noch heute kommt Jacek mit fünf Stunden Schlaf aus. Nur hin und wieder half ihm unverhofftes Glück von Stroh und Brettern in Barbaras Kammer und in deren Arme. Barbara, Polin wie Staszak, auch aus dem Posischen und gleichfalls seit 1939 Eigentum des Deutschen Reiches, hatte es auf die Straußmannwirtschaft verschlagen. Dort ging es ihr gut, und sie wurde – wie sie noch heute sagt – wie des Straußmannsbauern seinesgleichen behandelt.
So schlief Jacek Staszak hin und wieder, auch wenn es verdammt eng war, bei Barbara, die dann nicht etwa vor Liebe zu Jacek kein Auge zumachte, sondern vor Angst. Jacek aber schlief wunderbar tief. Dabei hielt er sie wie ein Lamm oder eine kleine Ziege in den Armen. Nicht zu fest, aber so zärtlich und mit solch einem Lächeln im schlafenden Gesicht, wie es überhaupt nicht zu dem Ochsenknecht Staszak passen wollte. Wenns der Straußmannbauer also nicht merkte, auch nicht die Bäuerin, wenn der Dorfpolizist ihnen nicht auf die Schliche kam und sonst ihnen keiner weiter eins auswischen wollte, verbrachten sie die Nacht zusammen.
Darauf bekam Barbara ein Kind und war schon im dritten Monat, als Jacek das passierte, was ihm heute noch und für alle Zeiten in der Erinnerung sitzt.
Da Barbara damals noch keine einundzwanzig Jahre zählte, durfte sie als Polin nach deutschem Gesetz Jacek nicht heiraten. Sie arbeitete weiter als Magd, und die Straußmannbäuerin war gut zu ihr.
Ein Tag, lange nicht so heiß wie heute, aber ein Tag, an dem man bei der Arbeit ins Schwitzen kam. Staszak hatte das halbe Dutzend Eggen von den Feldern auf den Gutshof zu fahren.
Die Ochsen trotteten gleichmäßig dahin, unberührt von der Sonne und von Jaceks Zurufen. Ochsen schwitzen nicht. Aber Jacek schwitzte, und das wurde sein Unglück. Der Dorfpolizist – überall und nirgends – stand plötzlich vor ihm.
Jacek hatte seine Jacke mit dem auf genähten P ausgezogen und auf den Wagen gelegt. Sein ausgemergelter Oberkörper leuchtete weiß in der Sonne.
Von jetzt auf gleich kam der Dorfpolizist in Rage. Er brüllte etwas von Polackenschwein, von Pflicht und der dazugehörigen Schuldigkeit. Er regte sich über die Maßen auf und drohte Jacek, den er schon seit langem für einen Volksfeind hielt. Jacek sagte kein Wort.
Er nahm die Jacke vom fahrenden Wagen und hängte sie sich um. Aber Jacek Staszak nahm mit der Jacke auch den Ochsenziemer vom Wagen. Fest hielt er ihn im Griff und holte mit unbeweglichem Gesicht aus.
Pfeifend sauste das Lederstück an des Dorfpolizisten Nase vorbei auf die Hinterbacken des linken Ochsen.
Hüüüh, schrie Jacek, blaß vor Zorn, es ist noch nicht aller Tage Abend!
Das war dem Polizisten zuviel. Er stellte sein Fahrrad an den nächsten Baum, zog seinen Notizblock hervor und schrieb sorgfältig und in Sütterlinschrift auf, was sich zugetragen hatte.
Die Ochsen legten an Tempo zu und gelangten schneller als üblich an die Gastwirtschaft vom Hoffmann.
Ein guter Mann, der Wirt, der nicht darauf achtete, wer seinen Schnaps trank. Ob Pole oder nicht, das war ihm, auf deutsch gesagt, scheißegal. Die Hauptsache, der Selbstgebrannte kam schnell unter die Leute und brachte dem Hoffmann Gewinn.
Jacek, der wußte, daß er weder am Abend noch am hellichten Tage eine Gastwirtschaft betreten durfte, ließ die Ochsen im Schatten der alten Linde halten.
Bereitwillig und wie angewurzelt blieben die Tiere stehen. Ihre Kiefer malmten stetig. Nicht einmal die Fliegen in ihren Augenwinkeln schienen sie zu stören.
Einen Doppelten, sagte Jacek zum Hoffmannswirt.
Der aber sah Jacek Staszak nur an.
Einen Doppelten, wiederholte Jacek.
Der Wirt machte keinerlei Anstalten, Jacek zu bedienen. Ähnlich unbeweglich wie die Ochsen vor der Tür stand er hinter seinem Tresen.
Ich zahls dir morgen, sagte Staszak schließlich.
Morgen, morgen und nicht heute, sagen alle faulen Leute, antwortete der andere. Ohne Bargeld ging bei ihm nichts über die Theke. Allein schon wegen des Risikos, das sich seiner Meinung nach für ihn bei Polen verdoppelte. Einmal war das Ausschenken von Alkohol an Zwangsarbeiter verboten, zum anderen wußte man nie, ob diese armen Teufel nicht plötzlich verschwanden. Verschluckt, wie vom Erdboden, und er konnte dann sehen, wo seine Penunzen blieben.
Nein, nein, sagte er, ohne Geld kein Schnaps!
Jacek wollte sich gerade aufmachen, als er durchs Fenster Anna von ihrem kohlrabenschwarzen Wallach absteigen sah. Die Anna vom Schloß, sagte der Wirt.
Jacek sagte nichts.
Anna trat ein, und Jacek Staszak zog grußlos die Mütze.
Guten Tag, Fräulein Anna, sagte der Wirt.
Guten Tag! Der Gruß galt beiden, auch der Blick.
Ein Gehabe hat die, dachte Staszak, als wenn sie kein Wässerchen trüben könnte.
Augen hat die, dachte der Hoffmannswirt, als wenn der ganze Tag zum Lachen da wäre.
Anna aber dachte nur daran, wie sie dem Staszak eine Nachricht für Ludwik zustecken könnte.
Eine Runde, sagte sie, und der Wirt setzte sich, jetzt auch ohne Geld zu sehen, in Bewegung.
Wieviel?
Soviel wie wir hier sind!
Während sich der Hoffmannswirt stöhnend nach dem Selbstgebrannten bückte, nutzte Anna die Gelegenheit. Eine Schachtel Zigaretten rutschte in Jaceks ausgefranste Jackentasche. Sie beugte sich dicht zu ihm, so dicht, daß er sie riechen konnte. Ein feiner Geruch und ganz anders als der von Barbara. Ihre Hand legte sich auf seinen Arm. Ganz leicht war diese Hand. Auch anders als die von Barbara. Deren Hände waren schwer von Hornhaut, außen rot und zerrissen, die Finger von der Arbeit breit, die Nägel kurz und ständig schwarz.
Annas Fingernägel waren weiß und lang gefeilt wie bei den Mädchen in den Illustrierten. Jacek hätte ihre Hände gern von innen gesehen, allein weil er solche Hände noch nie von innen gesehen hatte.
Sag dem Ludwik, flüsterte sie in sein Ohr, morgen – morgen soll er kommen!
Staszak nickte. Der Ludwik, der wußte sicher, wie die Hände der Anna innen aussahen.
Geben Sie nur anständig einen aus, Fräulein Anna, sagte Staszak laut und kippte einen nach dem anderen.
Keiner der drei – weder der Wirt noch Anna, am allerwenigsten aber Staszak – hatte bemerkt, daß plötzlich der Dorfpolizist in der Wirtschaft stand.
Heil Hitler!
Heil Hitler, grüßte der Hoffmannswirt hilflos zurück, während Anna ihr Schnapsglas in die Tasche ihrer Reithose gleiten ließ.
Heil Hitler!
Wie es dann weiterging, weiß Jacek Staszak heute nicht mehr so genau. Ob er den Dorfpolizisten oder der Dorfpolizist ihn zuerst am Schlawittchen gehabt hat – in jedem Fall waren durch Jaceks Griff an des Polizisten Kragen ein paar Knöpfe von der Uniform gesprungen und durch die Wirtschaft gekullert.
Anna – daran kann sich Jacek noch gut erinnern –, Anna war auf einmal rückwärts gegangen, kalkweiß im Gesicht, immerfort rückwärts, bis ihre Stiefelabsätze die Türschwelle erreicht hatten. Sprachlos, mit aufgerissenen Augen, ohne Jacek zu helfen oder ein Wort der Besänftigung für den Polizisten zu finden, machte sie sich auf ihrem Pferd davon, als wäre nichts geschehen.
Jacek kam damals nicht mehr dazu, die Eggen auf den Gutshof zu fahren. Weiß der Himmel, wie lange die Ochsen unter des Hoffmannwirts Linde gestanden haben mochten. Auch dem Ludwik hatte er Annas Nachricht nicht mehr mitteilen können, und Barbara sah er erst lange nachdem sie ihren Sohn geboren hatte, wieder, und als der Krieg zu Ende war.
Barbara Staszak hat Streuselkuchen gebacken, Wurst und eingelegte Gurken auf den Tisch gestellt, der des schönen Wetters wegen in den Hof getragen wurde. Zu trinken gibt es Kaffee und für den einen oder anderen eingemachten Obstsaft mit Wodka. Das Heu ist bis auf die letzte Fuhre in der Scheune.
Ohne euch, sagt die Staszakowa und muß dabei schlucken, ohne euch hätte Jacek das Heu nicht eingebracht!
Sie sieht in die Runde, und es kommt sie schwer an. Keines der eigenen Kinder hat sie hier zu bewirten. Weder die Tochter noch die Söhne, die sie dem Staszak geboren hat, sind auf dem Hof geblieben.
Barbara seufzt.
Willst du noch Kuchen, Basiu, oder du, Bolko? Kommt, nehmt von dem Eingemachten – es war ein gutes Schwein – eßt, eßt! Ohne euch – sie winkt ab, weil sie es schon so oft gesagt hat, setzt sich und seufzt abermals.
Euer Mann ist ein Dickschädel, sagt Jurek, warum gebt Ihr den Hof nicht gegen Rente an den Staat?
Ach, Jurek, du stellst Fragen! Du kennst doch den Jacek. Was der einmal hat, gibt er nicht wieder her!
Und er meint, wir von der Jugendorganisation, wir bringen ihm Jahr für Jahr die Ernte ein?
Klugscheißer!
Jurek trifft ein Streuselkuchenklümpchen, das hast du doch nicht zu bestimmen. Sieh lieber zu, daß Lenarts Sabina bei uns mitmacht!
Jurek wird rot. Schließlich ist es kein Zwang mitzumachen! sagt er. Aber Bolko ist anderer Meinung: Sie soll es sich überlegen, wenn sie nichts anderes zu tun hat!
Und soll ich euch sagen, ruft Suszko, der sein Fahrrad direkt vor dem Tisch zum Stehen bringt, soll ich euch sagen, was sie macht?
Ja, schreien Basiu, Bolko, Renata und die kleine Jolka wie aus einem Mund.
Sie liegt nackt im Garten, sagt Suszko mit lüsternem Blick und Schweiß unter der Mütze, zwischen den Schotenreihen in der Sonne. Auf dem Schoß eine Katze und hier, er tippt sich auf die Brust, hier hat sie zwei Malvenblüten verkehrtherum, damit ihr die Sonne die Zitzen nicht verbrennt, haha …
Gelächter, während sich Jurek auf die Socken macht.
Und, sagt Suszko in die fröhliche Runde, der Lenart Marek, der hat einen Brief von der Behörde!
Werden sie ihm den Hof nehmen? Barbara Staszakowa schlägt die Hände zusammen, was wird da aus ihm?
Na, was wird werden, Suszko hebt verächtlich die Schultern, er wird dahin kommen, wo der alte Sawko schon auf halbem Weg ist. Nicht einmal die Postkarte aus Amerika wollte er sich ansehen. Hat immer nur auf die Fliegen an der Wand gestarrt. Die Adomskowa hat sogar Jula geholt.
Und?
Jula meint, er wird leben!
Jawohl, schreit die achtjährige Jolka. Ich war dabei. Er wird nicht sterben!
Jesusundmaria, seufzt Barbara über das Enkelkind, wo treibst du dich bloß überall herum, statt deine Schularbeiten zu machen!
Jolka, froh, des Großvaters Kopf über dem Hoftor auftauchen zu sehen, läßt der Großmutter Frage unbeantwortet.
Sieh mal, Babcia, zwitschert sie, sieht es nicht aus, als wenn der Großvater den Himmel entlangfährt?
Barbara Staszakowa seufzt. Mach ihm auf, Jolka, was redest du nur für dummes Zeug!
Jacek hat sein Fuder Heu heimgebracht, ohne daß es ins Rutschen gekommen ist.
Der Anblick der jungen Erntehelfer, die in seinem Hof um seinen Tisch sitzen, Barbaras Streuselkuchen und Eingemachtes essen, Kaffee und Wodka trinken, bringt ihn in keine bessere Stimmung.
Jolka hüpft um den Wagen, Dziadek, ruft sie, und ihr möhrenroter Pferdeschwanz pendelt im Takt ihrer Worte, Dziadek, eben hast du wie der liebe Gott ausgesehen!
Dummes Zeug!
Jacek rutscht vorsichtig vom Heufuder, bis seine Fußspitzen auf der Deichsel zu stehen kommen.
Aber es ist wahr, beharrt Jolka, immer sagen Babcia und du, daß ich dummes Zeug rede. Dann sag ich eben gar nichts mehr! Jolkas von Sommersprossen überzogenes Gesicht wird ganz klein. Ihre Unterlippe schiebt sich zum Zeichen äußersten Willens, ab jetzt zu schweigen, über die Oberlippe. Jacek nimmt seine Enkelin auf den Arm. Die grauen Bartstoppeln stehen kreuz und quer in seinem Gesicht herum. Er riecht nach Heu, Schweiß und Tabak.
Du willst mir also ab jetzt gar nichts mehr erzählen, Jolku?
Jolkas Unterlippe zittert. Wenn es doch immer dummes Zeug ist?
Jacek lächelt. Nicht immer, sagt er.
Da fährt Jolkas Unterlippe herunter. Der alte Sawko stirbt, sagt Suszko, aber, Dziadek, der alte Sawko stirbt nicht.
Jolka sieht den Großvater prüfend an. Weißt du, flüstert sie, Jula war nämlich bei ihm. Sie hat mich mitgenommen. Er wird bestimmt nicht sterben!
Soso, meinst du?
Ja – er kann gar nicht sterben, wenn es Jula sagt!
Was hat sie denn mit dem Sawko gemacht?
Jolka zögert. Sagst dus auch niemandem weiter, Dziadek?
Nicht einmal dem Teufel!
Jolka gleitet von Jaceks Arm und hockt sich auf die Deichsel, während er die Pferde ausspannt.
Der alte Sawko lag im Bett auf dem Rücken und hat immer nur auf ein und dieselbe Stelle geguckt. Auf die Wand gegenüber. Aber nicht, wo das Kruzifix hängt, sondern dahin, wo nichts ist. Er hat der Jula keine Antwort gegeben. Er hat nur mit den Händen am Laken herumgezupft, so, als wollte er Streusel vom Kuchen bröckeln. Aber Pani Adomskowa hat gesagt, der Sawko würde Totenblumen pflücken, und jetzt ginge es dem Ende zu. Dabei hatte der gar keine Blumen auf der Bettdecke. Die Jula ist dann um das Bett herumgeschlichen, weißt du, so – Jolka ahmt Julas greisenhafte Humpelschrittchen nach – und hat dabei gewispert. Dann hat sie ein Spiegelchen aus der Tasche geholt und dem Sawko die Bettdecke vom Bauch gezogen.
Jolka lacht –
Da hat er mit den Händen in der Luft herumgemacht!
Sterbende sind nicht zum Lachen, Jolku!
Aber er stirbt nicht, Dziadek. Jula hat das Spiegelchen auf Sawkos Bauch gehalten und dann selber hineingesehen. Das hat sie ein paarmal gemacht, obwohl sie blind ist – und dann …
He, Jacek, schreit Suszko von der Tischrunde her, willst du nicht deine Post lesen?
Die Pferde gehen von allein in den Stall.
Später, Jolku, unterbricht Jacek seine Enkeltochter, später kannst du mir die Geschichte weitererzählen!
Jolka bleibt sitzen. Wieder wird ihr Gesicht klein und böse. Ihre Unterlippe schiebt sich nun weit mehr über die Oberlippe als vorhin. Jetzt wird sie keinem Menschen mehr erzählen, wie Jula den Sawko geheilt hat.
Post? fragt Jacek.
Suszko reicht ihm einen Brief. Von deinem Sohn aus Katovice! Barbara Staszakowa holt die Brille. Lies, Jacek, lies vor, es wird eine gute Nachricht sein!
Liebe Eltern, liest Jacek langsam, es freut mich, Euch mitteilen zu können, daß ich meine Prüfung als Zootechniker als Bester mit der Note fünf bestanden habe. Euer Sohn Kazek.
Gratuliere – bravo – seid stolz, Pan Staszak, tönt es rund um den Tisch. Die Staszakowa wischt sich heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Aber Jaceks Gesicht verfinstert sich. Er haut ganz plötzlich zwischen Teller und Gläser, daß die Gurken aus dem Topf fliegen und der Kaffee in den Tassen schwappt.
Eine fatale Stimmung macht sich breit. Jedermann starrt Staszak an. Wenn er sich schon so benimmt, sollte er auch etwas sagen. Aber er macht keinerlei Anstalten dazu.
Er sieht nur einen nach dem anderen von der Jugendorganisation an, die ihm das Heu eingebracht haben und den Raps und die das Korn und die Kartoffeln noch einbringen werden, weil er es allein mit Barbara nicht schafft.
Für Sie, Pan Staszak, hatte Bolko schon im Frühjahr gesagt, für Sie machen wir das gern!
Das geht Jacek durch den Kopf. Für mich machen sie es gern, die Jungen und Mädchen aus dem Dorf. Aber die eigenen Kinder? Die machen es nicht gern. Die sind lieber Staatsknechte wie Jozef oder sein Schwiegersohn Franek Jodko, Jolkas Vater. Magaziner im Kombinat, mehr ist er nicht. Rennt mit einem großen Schlüsselbund herum und verwaltet andrer Leute Saatgut. Aber hier, auf dem väterlichen Hof, den Jacek dreißig Jahre lang bewirtschaftet hat, wo er eine Scheune gebaut hat, einen Zuchteber im Stall hat und eine Milchleistung seiner Kühe vorweisen kann, die nur noch vom Kombinat übertroffen wird, hier ist keines seiner Kinder zu sehen. Studieren, Staatsknechte spielen, drüben im Schloß wohnen und Jolka ein weißes Röckchen anziehen, das können sie.
Jacek spuckt gezielt und trifft die Mitte eines Kuhfladens. Nein, er hat keine Kinder, die ihm die dreißig Jahre Schufterei danken. Er ist auf fremde Hilfe angewiesen, wenn er seine Ernte einbringen will. Bitterkeit kommt ihm hoch. In dem Schweigen ringsum hört er das Knacken seiner alten Knochen, als er vom Tisch aufsteht. Er reißt Kazeks Brief in kleine Fetzen.
Jacek, schreit Barbara, das hat der Kazek nicht verdient! Nicht verdient? Jacek Staszak lacht. Und wie er lacht. Bolko hält das Lachen für böse, andere finden es eher unheimlich, weil Staszak im allgemeinen nie lacht. Er kann höchstens grinsen und dabei seinen Atem heraushecheln wie ein Hund.
So ist es auch jetzt wieder. Er hechelt seine Lacher über den Tisch hinweg, daß den Anwesenden der Streuselkuchen samt Kaffee in der Kehle zum Stocken kommt. Warum – verhöhnt Staszak sich selbst – warum hab ich mich mit Barbara dreißig Jahre für den Hof krumm gelegt?
Und weil er ohne Antwort bleibt, fährt er fort: Weil es unser Eigenes ist. Das Haus, die Ställe, die Felder, das Vieh!
Staszaks Rede wird jetzt flüssiger, mit dem Lachen hat er aufgehört.
Wir polnischen Bauern haben selten genug Eigenes gehabt. Auch unsere Väter nicht, die sind an Armut und Frondienst krepiert. Was aber ist ein Bauer wert, der keine Kinder hat, denen er seinen Hof vermachen kann? Wozu ist der noch gut, wozu?
Das letzte Wort brüllt Staszak so laut heraus, daß die Spatzen aus den Holunderbüschen fliegen.
Pan Staszak, sagt Bolko besänftigend, es geht doch nicht um Euren Hof. Kazek und Józef geht es um die Ausbildung. Sie wollen eben mehr erreichen, als nur ein Bauer sein.
Er hat recht, mischt sich Suszko ein, der dem Wodka inzwischen zuspricht, als wäre lediglich ihm das Einbringen der Heuernte zu verdanken.
Ein Bauer ohne Erben ist heutzutage einen Scheißdreck wert. Wenn du die Arbeit nicht schaffst, Jacek, bringen deine Felder eine schlechte Ernte. Aber eine schlechte Ernte schadet dem Staat, und da werden sie dir von der Behörde sagen, du sollst deinen Hof gegen Rente abgeben!
Suszkos Reden macht Jacek noch grimmiger. Und wenn ihr mich tot aus den Rüben holt, ich geb nicht her, was mir einmal gegeben wurde, ich nicht!
Du wirst selber sehen, wie es dir geht, sagt Suszko, wie dem Lenart Marek. Der hat heute einen Brief von der Behörde. Die werden ihn fortjagen wie das Karnickel aus dem Bau!
Suszko greift nach der Flasche und läßt den Wodka so lange im Mund, bis die Schleimhäute taub werden. Dann schluckt er, schnalzt mit der Zunge und fährt fort:
Wenn du keine vernünftige Ernte bringst, bist du wie Lenart dran. Überleg dir, was mehr Spaß macht, dreißig Jahre zu schuften oder dreißig Jahre zu saufen!
Sagts und fährt haarscharf durchs kleine Hoftor davon.
Dem Lenart nehmen sie den Hof?
Ja, nickt Barbara, Suszko hats erzählt!
Dann sollen die Jungen und Mädchen dem Lenart auch helfen. Wer mir hilft, muß auch Lenart helfen. Jedem sein Recht. Wir arbeiten nicht für einen wie Lenart, sagt Bolko.
Die Stimmung ist verdorben. Barbara räumt das Geschirr ab. Staszak geht in den Stall.
Einer nach dem anderen gehen sie nach Hause.
Auch Jolka verdrückt sich, sagt weder Dziadek noch Babcia auf Wiedersehn. Sie rückt ihr weißes Röckchen zurecht und läuft hinterm Dorf entlang dem Schloß zu. Papa und Mama sehen es nicht gern, wenn sie allein bei den Großeltern ist.
Hallo, Jolka, ruft Piotr Perka, der Pfirsichperka, wie sie ihn im Dorf nennen.
Ja?
Komm, ich zeig dir meine Pfirsichbäume, du kannst die Früchte schon anfassen. Das ist wie ein Wunder. Ich habe dem Frühjahrsfrost eins übers Ohr gehauen. Willst du mitkommen?
Jolka lächelt, und dem Pfirsichperka wird es warm ums Herz. Nein, sagt sie, deine Pfirsiche sind langweilig. Ich sage dir etwas anderes: Dem Lenart Marek wird die Behörde den Hof nehmen, Suszko hat die Sabina nackt gesehen und der alte Sawko liegt im Sterben. Aber ich weiß, daß Pan Sawko nicht stirbt.
Sie läßt den enttäuschten Piotr stehen und rennt über den Gutshof zum Schloß.
Suszko hat also wieder einmal eine seiner miesen Geschichten verbreitet.
Im Lenartschen Hof ist allerhand zu hören, und Jurek möchte nichts lieber als sich davonmachen, aber er bringt es nicht fertig.
Zwischen den Schotenreihen hat er das Handtuch entdeckt und zwei Kuhlen gefunden. In die obere paßt seiner Meinung nach Sabinas Kopf, während ihr Hinterteil bequem in der unteren Mulde Platz haben könnte.
Sabina, ruft Jurek.
Seine Stimme verheißt nichts Gutes. Es macht ihm nichts aus, daß sich der klapprige Köter zum Bellen entschließt.
Sabina?
Vom Haus her Musik, vom Stall her klatschende Schläge, aber keine Antwort.
Noch immer liegt Marek Lenart dampfend im Mist, das Gesicht rot und starr wie ein Ziegelstein.
Breitbeinig, mit einem Knüppel in der Hand, steht Genowefa über ihm. Ihre Hiebe fallen wie Steinschlag über seinen Körper hin.
Der Knüppel knallt auf den Kopf, fährt zwischen die Beine, ins Kreuz, trifft unversehens den Magen, so daß sich Marek krümmt und gurgelnd in den Mist kotzt.
Pani, ruft Jurek entsetzt, Ihr schlagt ihn ja tot!
Aber Genowefa hört nicht auf.
Ha, sagt sie verächtlich und außer Atem, eher brennt den der Spiritus aus, als daß ich ihn totschlage! Hol mir lieber einen Eimer Wasser aus der Küche!
Eine schäbige, dunkle Küche. Die Kacheln voll Fliegendreck lassen den deutschen Sinnspruch über dem Herd kaum noch erkennen. Es riecht nach sauer gewordenem Essen. Die mickrige schwarze Katze pißt in den Kohlenkasten, und auf dem Tischrand brennt eine liegengelassene Zigarette ein Loch ins Wachstuch.
Mit angezogenen Beinen hockt Sabina auf der kalten Herdplatte, ein Ohr fest am Kofferradio, während sie zu Jureks Verwunderung das andere in kurzen Abständen mit der Hand zuhält. Idiotisch, denkt er.
Sabina trägt nichts weiter als eine Kittelschürze. Nicht einmal ein Höschen, das sieht er mit einem Blick.
Hat Suszko also recht gehabt!
Jurek fällt ein, daß er einen Eimer Wasser holen soll. Aber Sabina, so wie sie sich da auf der Herdplatte wiegt, so schön, so traurig, so sehnsüchtig nach irgend etwas, was er nicht begreift, bringt ihn in zornige Verzweiflung.
Mit einem Satz reißt er ihr den Transistor aus der Hand und den Kittel vom Leib.
Jurek, schreit sie. Mehr nicht, nur seinen Namen. Bewegungslos, ohne sich zu bemühen, ihren Körper wieder zu bedecken, starrt sie ihn ausdruckslos an.
Er hat ihren Körper noch nie unbekleidet gesehen. Schön ist sie, wunderschön, wie sie da so in dieser verkommenen Küche vor ihm steht.
Plötzlich schämt er sich und wird rot.
Entschuldige, sagt er, bückt sich nach dem Kittel, hängt ihn ihr unbeholfen um und beginnt ein paar Knöpfe zu schließen.
Einer riecht den Atem des anderen. Sie stehen so dicht beieinander, daß sie sich küssen könnten. Aber sie küssen sich nicht. Jurek berührt nur die Knöpfe der Schürze.
Schlägt die Mutter den Vater immer noch?
Nein – ich soll einen Eimer Wasser holen.
Du brauchst das nicht zu machen, Jurek, geh lieber! Sie läßt einen Eimer am Ausguß randvoll laufen. Jurek kann ihr Gesicht nicht sehen. Das Radio und das Plätschern des Wassers sind so laut, daß sie kaum versteht, was er sagt.
Ich möchte dich gern hier herausholen!
Was willst du?
Ich möchte dich hier herausholen!
Noch einmal könnte er es nicht sagen. Sabina nimmt den Eimer. Ihre Haltung ist die der jungen Mädchen vom Land, die gewohnt sind, schwer zu tragen.
Das Kreuz durchgedrückt und die Knie, die zwischen kleinen Schritten das Gewicht ausbalancieren und die ganze Gestalt auf und nieder wippen lassen, so geht sie an ihm vorbei zum Stall hin, aus dem jetzt Mareks Flüche zu hören sind.
Deswegen bist du hier vorbeigekommen, fragt sie ihn, sich umdrehend, dafür hast du dich ziemlich komisch benommen, findest du nicht?
Für eine Antwort läßt sie ihm keine Zeit. Als ihm etwas einfällt, ist sie im Stall verschwunden, um mit Wucht das kalte Wasser über den Vater zu gießen.
Gleißendes Mittagslicht über Ujazd. Suszko ist wieder in seiner Post und ruht sich aus. Die guten Geister haben ihn allem Anschein nach nicht verlassen, denn Pech ist ihm heute nicht widerfahren.
Des alten Sawkos Blick hängt nach wie vor an der Wand. Seine Hände rupfen Unsichtbares von der Bettdecke. Totenblumen oder, wie Jolka meint, Streusel vom Kuchen.
Was Jula um diese Tageszeit treibt, weiß niemand im Dorf. Die Läden vor ihrem Fensterchen sind verschlossen, die Türe ist zu, und selbst die Katzen dürfen nicht herein. Sie wird sich mit dem Teufel besprechen, sagen die einen, sie wird beten, sagen die anderen, denn soviel wie der Pfarrer kann sie noch lange mit ihrer Hexerei.
Der Pfirsichperka geht bedächtig seine Baumreihen entlang und prüft rechts und links die Zweige nach Früchten. Wird er dieses Jahr Früchte ernten oder wieder nur den Hohn des Stiefvaters?
Polen ist nicht Kalifornien, ist dessen stete Redensart. Pfirsiche, fügt er oft noch hinzu, wachsen bei uns ebensowenig wie Datteln!
Aber der alte Dzitko aus Tarnopol, Piotrs Schwiegervater, ist da anderer Meinung. Er hatte dem Piotr die Bäume zur Hochzeit geschenkt. Selbst wenn sie nur alle drei bis vier Jahre tragen, hatte er am Hochzeitstag zu Piotr gesagt, kannst du so guten Schnaps brennen, daß dir ganz Ujazd nachläuft.
Und weil Piotr erst ein Jahr verheiratet ist, der Schwiegervater sich aber schon zwanzig Jahre lang mit den Bäumen abgemüht hat, hält er die diesjährige Ernte wirklich für ein Wunder.
Staszak sitzt im Schatten der Scheune auf einem Steinhaufen und horcht in die Mittagsstille. Obwohl der Steinhaufen unbequem ist, sitzt er gern hier. Die übereinandergehäuften Feldsteine hat er Jahr für Jahr mit Barbara von seinem Feld gesammelt und hierhergeschleppt. Es ist ein großer Berg geworden, auf dem er jetzt sitzen kann. Im Stall schmatzen die Ferkel an den Zitzen der stöhnenden Muttersau. Er hört es bis hinter die Scheune.
Barbara tischt im Haus das Essen auf. Aber Jacek bleibt auf seinen Steinen sitzen, als müßte er sie ausbrüten.
Barbara seufzt in der Küche vor sich hin, denn die Suppe ist dabei, kalt zu werden. Jacek kommt nicht ins Haus.
Und da er ihrer Meinung nach auf einem Steinhaufen keine Suppe essen kann, bringt sie ihm Wurst und Brot.
Komm, Jacek, nimm!
Mit dem Taschenmesser schneidet er schmale Streifen und schiebt sie sich in den Mund. Er kaut, er schluckt und blickt auf das Korn seiner Felder.
Wie der Weizen wächst, sagt er, um etwas zu sagen.
Ja, sagt Barbara, er wächst gut.
Sie sieht Jacek zu, wie er das Brot auf dem Steinhaufen ißt, statt ihre Suppe in der Küche zu löffeln.
Wenn der Weizen nur schon vom Halm wäre, fährt Jacek fort und wischt sein Messer an der Hose ab.
Vielleicht kommen diesmal Józef oder Franek. Soll ich mal bei Halina fragen, ob sie uns helfen wollen?
Jacek springt polternd vom Steinberg.
Das wirst du nicht machen! Eher hol ich mir den Weizen mit der Sense vom Feld. Ich lauf den Kindern nicht nach. Wenn sie Knechte sein wollen, sollen sie Knechte bleiben. Auf meinem Grund und Boden haben sie nichts mehr verloren.
Barbara sucht nach Worten. Immer sucht sie nach Worten, wenn Jacek in dieser Weise über die Kinder spricht. Nicht einmal beruhigen kann sie ihn.
Ludwik, sagt er, dem haben wirs zu verdanken …
Ja, sagt sie, unser Ältester hat Lehrer studiert, der Kazek ist Zootechniker, Józef als Diplomlandwirt Schafmeister auf dem Kombinat, und die Halina arbeitet in der Buchhaltung – das haben wir Ludwik zu verdanken!
Sie nimmt ihren Mut zusammen und sagt ihm ins Gesicht, was ihr seit Jahren auf der Zunge liegt: Bei dir wären sie Knechte gewesen – deine Knechte!
Das fährt ihm ins Herz, und er tastet drei Schläge lang mit der Hand unters Hemd. Seine Gesichtsmuskeln drücken sich aus der Haut. Die Mundwinkel zucken auf und ab, und seine Augen erst …
Barbaras Schreck ist nicht zu beschreiben. Warum hat sie nur so etwas Dummes gesagt? Jetzt wird er ein schönes Donnerwetter loslassen.
Du weißt genau, brüllt er auch schon los, was wir für einen Hof hätten, wenn Józef und Kazek bei uns geblieben wären. Wir hätten mehr Vieh, mehr Schweine und statt der Pferde einen Traktor. Später hätten wir für Józef einen zweiten Hof gekauft.
Aber, sagt Barbara leise, du hast sie immer herumkommandiert. Wenn nicht alles so gemacht wurde, wie du wolltest, gab es Streit!
Und, brüllt Jacek, weiß ich vielleicht nicht, was richtig und was falsch ist? Hab ich nicht genau deshalb drei Jahre Lager überstanden?
Jacek nimmt sich zusammen. Er will nicht brüllen. Vor dreißig Jahren war ich in diesem Dorf auf dem Gut ein mieser Ochsenkutscher, und du warst bei Straußmanns eine Magd! Heute ist das unser Hof! Das Haus, die Felder, die Ställe nimmt mir niemand mehr weg. Ich bin mein eigener Herr!
Aber nur solange du arbeiten kannst. Wenn du das nicht mehr kannst, bist du auch nicht mehr dein eigener Herr, wie du das nennst!
Jawohl, sagt Jacek, und das hab ich dem Ludwik zu verdanken!
Ist der vielleicht nichts? Barbara legt eine Beharrlichkeit an den Tag, die Jacek ärgert.
Ludwik war bei den Deutschen ein Knecht wie ich. Nur hat er keine Ochsen gefahren, sondern einen Traktor. Und heute ist er auch Knecht – Staatsknecht! Stellvertretender Direktor vom Kombinat! höhnt Jacek weiter, da muß er auch für andere arbeiten.
Aber er hat ein Auto und fährt mit der Kutsche, wenn er will. Die Finger braucht er sich auch nicht schmutzig zu machen, und erst die Wohnung, Jacek, warst du mal in der Wohnung?
Für mich ist und bleibt der Ludwik ein Knecht, basta!
Józef – Barbara gibt nicht auf –, Józef ist mit seinen viertausend Schafen kein Knecht! Unser Ältester ist Lehrer und Kazek Zootechniker!
Mit den Händen wühlt Jacek jetzt Erde aus dem Boden, knetet sie und drückt sie zu Klumpen. Es sieht fast so aus, als wollte er sie seiner Frau ins Gesicht werfen.
Hier, sagt er und hält ihr die Erde unter die Nase, das hat Ludwik mit seinem Geschwätz unseren Kindern genommen. Das Eigene, verstehst du? Nur das Eigene bedeutet Freiheit!
Nein, lächelt Barbara vorsichtig, und es ist ihr unheimlich, Jacek zu widersprechen, nein, ich verstehe das wirklich nicht mit der Freiheit!
Jaceks Augen werden schwarz: Weil du immer eine Magd geblieben bist, eine armselige Magd!
Seine Worte tun weh. Ebensogut könnte er sie mit einem seiner Steine getroffen haben, und es dauert eine Zeit, bis sie antwortet. Leise spricht sie, langsam und deutlich. Ja, ich war immer eine Magd, aber auch deine Frau, Jacek, und die Mutter deiner Kinder!
Ihre leicht gebeugten Schultern richten sich auf. Kein Ärger ist ihr anzumerken, wie sie da vor ihm steht, nicht einmal Verachtung, obwohl Jacek Häßliches gesagt hat. Ihre Augen, durchsichtig und blicklos, sind auf ihn gerichtet.
Der Glaskugelblick, den er gut kennt, den er gerne vergessen möchte, wie er so viele Erinnerungen an früher vergessen möchte. Barbara, sagt er mit komisch spröder Stimme, guck mich nicht so an, nicht so!
Mich kann niemand kränken, Jacek, auch du nicht!
Unter ihren leblos blickenden Augäpfeln beginnt um Mund und Nase ein Lächeln zu kriechen, daß es Jacek ganz anders wird.
Barbara, würgt er hervor, so hab ich das nicht gemeint!
Als ihr unbeschreibliches Lächeln nicht aufhört und sie ihn immer noch ansieht oder eben nicht ansieht, hebt Jacek die Hände.
Im ersten Augenblick denkt Barbara, er wird sie von beiden Seiten zugleich ohrfeigen. Aber sie bleibt bewegungslos stehen, zuckt nicht einmal mit der Wimper, auch nicht mit dem Kopf.
Barbara, sagt Jacek zum zweiten Mal, und seine Arme sind nicht auf Schläge aus, vielmehr auf Zärtlichkeit.
Sperrig läßt sie sich hochheben, weiß, so dicht vor Jaceks Gesicht, nicht, wohin mit ihrem Kopf, ihren Händen, selbst ihre Fußspitzen scharren hilflos auf der Erde herum.
Da stehen sie beide ganz nah beieinander vor ihrem Steinhaufen hinter der Scheune, zitternd und sprachlos.
Ist ja gut, sagt Barbara schließlich und ist wieder die alte.
Wenn die Suppe warm ist, erwidert Jacek, komm ich ins Haus! Ich denke, sie wird noch warm sein!
In der Küche sitzen sie sich gegenüber. Barbara sieht Jacek zu, wie er Löffel für Löffel in den Mund schiebt.
Die Niemka vom Schloß kommt, hat Suszko erzählt, sagt sie.
Die Anna?
Das weiß Suszko nicht.
Wenn es Anna ist, sagt Jacek, dann möcht ich wissen, was Ludwik sagen wird!
Ach, was soll er sagen, Jacek, nichts wird er sagen!
Vielleicht nicht, daß er sich heimlich mit ihr getroffen hat, aber vielleicht etwas anderes!
Was?
Daß sie mitgemischt hat, als er ins KZ geschickt wurde!
Ach, Jacek, Barbara seufzt in gewohnter Weise, vielleicht wird er gar nichts sagen!
Vielleicht, sagt er und wischt sich die Mundwinkel mit dem Handrücken aus, vielleicht sag ich es dann!
Jesusmaria, Jacek, was geht uns das an? Und nach einer Pause fügt sie begütigend hinzu, vielleicht ist es auch die Lora, die kommt!
Das Telegramm, mit dem der Besuch der Niemka angekündigt wurde, enthielt zwar kein Ankunftsdatum, aber es war mit Annas Namen unterzeichnet.
Diejenige hingegen, die jetzt in der sommerlauen Nacht die Silhouette des etwas ramponierten Jugendstilschlosses betrachtet, ist Lora. Schon zu unserer Zeit hat es nachts besser ausgesehen als am Tag, sagt sie.
Sieh mal, die Lampe, Lora zeigt auf einen Blechtellerschirm, der über dem zweiflügeligen Portal des Mittelbaus im Wind hin und her weht, die ist neu, und die Kronen über den Initialen meiner Urgroßeltern sind alle abgeschnitten.
Merkwürdig, sagt Georg, was der eine oder andere für wichtig hält. Längst hat er die Nervosität seiner Frau beobachtet und erwartet Tränen.
Die Veranda ist abgerissen, der Eingang dort ist auch neu, flüstert Lora, und sieh mal, hier im Park sind die Wege aus Beton! Überhaupt der Park – Lora bleibt stehen – er wirkt schrecklich klein!
Er ist so groß wie früher, warum sollte er kleiner geworden sein?
Das kannst du nicht beurteilen!
In der Tat kann er es nicht beurteilen, da er weder vor dreißig Jahren noch jemals später in Ujazd war.
Dort, sagt Lora und zeigt auf ein dunkles Fenster, dort war mein Zimmer. Mehr länglich als breit, irgendwie übriggeblieben zwischen den großräumigen Zimmerfluchten des ganzen Stockwerkes und dort …
Sie zeigt auf einen anderen Gebäudeteil, dort hat Anna mit ihrem Mann gewohnt und da …
Sie verstummt. Georg hat nicht zugehört, sondern sich den Ulmen zugewandt.
Sie sind krank, sagt er trotz der Dunkelheit und gibt sich fachmännisch. Sie haben die Seuche. Man müßte sie umhacken!
Umhacken? Lora kommen die Tränen.
Wir fahren zurück ins Hotel, sagt Georg, willst du?
Ja!
Am nächsten Morgen ist das Wetter schön. Ostwind, Sonne und fliegende Wolken am Himmel.
Höflich und distanziert empfängt Wanda Pawlakowa die Gäste. Lora, die jetzt im ehemaligen Arbeitszimmer ihres Vaters steht, bekommt außer einem Guten Tag auf polnisch kein Wort heraus.
Sie können deutsch sprechen, sagt Wanda, im übrigen wußten wir, daß Sie kommen!
Du lieber Gott, denkt Lora, die sind ja noch schneller als wir in der DDR. Sie reicht der Pawlakowa einen in polnischer Sprache aufgesetzten Brief.
Hier steht alles drin, was Sie wissen müssen!
Lora möchte gern mehr dazu sagen. Sie will ihren Besuch erklären, vor allem ihren Wunsch, das Elternhaus nach dreißig Jahren wiederzusehen. Sie möchte ihre unendliche Neugierde zur Sprache bringen, was aus allem geworden ist.
Aber das einzige, was ihr gelingt, ist, diesen vorgeschriebenen Brief über den Schreibtisch zu reichen.
Wanda Pawlakowa liest. Was da steht, scheint sie zu beruhigen.
Sie wollen sich hier alles ansehen?
Ja, antwortet Lora, wenn das möglich ist?
Bitte – die Pawlakowa führt Lora und Georg in das angrenzende Konferenzzimmer.
Ein großer ovaler Raum, zu Loras Zeiten der sogenannte zweite Salon, ein schon immer ungemütliches Zimmer und nur für Feste brauchbar.
Dort, erzählt Lora, sobald sie allein sind, stand die Vitrine mit den Urkunden Friedrich des Großen und dem berühmten Liebesbrief von Katharina II., und dort – Lora weist in das obere Oval – dort standen die Putten aus dem Besitz des letzten polnischen Königs, der es mit irgendeiner Vorfahrin von uns getrieben hat.
Weißt du, wie der hieß, der letzte polnische König?
Stanislaw August Poniatowski!
Und der …?
Ja, der – das weiß ich auch nicht. Hier an dieser Stelle hing das Bild meiner Urgroßmutter, die war böse und hatte einen Sauberkeitsfimmel. Einmal in der Woche ließ sie den ganzen Turm von oben bis unten schrubben, obwohl kein Mensch die Treppen benutzte.
Während Lora ihren Mann über ihre Familie aufklärte, versuchte Wanda Pawlakowa mit Direktor Banaś, den Dingen auf den Grund zu gehen.
In dem Telegramm der staatlichen Agentur Interpress war Anna aus der Bundesrepublik angekündigt, gekommen aber war Lora aus der DDR.
Beruf? will Banaś wissen.
Architektin, aber der Mann arbeitet an einem landwirtschaftlichen Institut in Dresden.