Weihnachten auf Wulverton Hall - Emmanuelle de Maupassant - E-Book
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Weihnachten auf Wulverton Hall E-Book

Emmanuelle de Maupassant

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Beschreibung

Romantik zu Weihnachten Devon, 1903. In der wilden Heide von Dartmoor heulen die Winde, und der Nebel kriecht über die dunklen Klippen, als sich der rätselhafte Mallon und die hinreißende Geneviève auf Wulverton Hall begegnen. Die verwitwete und skandalumwitterte Gräfin Rossaline will ihre Zukunft sichern, ohne ihre Geheimnisse preiszugeben. Mallon de Wolfe, der Master of the Moor, will das Mysterium um die unerhört sinnliche Geneviève lüften. Unterwegs finden sie mehr, als sie sich vorgestellt haben: die Fähigkeit zu vergeben und die Chance auf Liebe. WARNUNG: Freuen Sie sich darauf, einen reichen, grüblerischen, gutaussehenden Helden und eine gerissene Heldin zu treffen, die alles tun werden, um sich eine gute Partie zu sichern. WAS SIE ERWARTET: Ein herzerwärmender weihnachtsroman, eine Landschaft, so wild wie die Leidenschaft, die zwischen unserem Helden und unserer Heldin brennt, und ein Geheimnis, das die Moore durchstreift. Halten Sie Ausschau nach weiteren spannenden Geschichten in dieser Gothic-Romance-Reihe, die bis 2024 und darüber hinaus veröffentlicht wird.

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WEIHNACHTEN AUF WULVERTON HALL

Ins Deutsche übertragen von Corinna Vexborg

Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu

IMPRESSUM

Dieser Roman erschien ursprünglich in englischer Sprache unter dem Titel „Master of the Moor“ und in Deutsch unter dem Titel „Das Geheimnis von Wulverton Hall“

Copyright © 2018 Emmanuelle de Maupassant

Übersetzt von Corinna Vexborg

Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu

Dark Castle Press : Inverurie, Scotland, UK

www.emmanuelledemaupassant.com

Kontact : [email protected]

Bei diesem Roman handelt es sich um eine fiktive Geschichte. Die Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden auf fiktive Art und Weise integriert. Mit Ausnahme bekannter historischer Figuren und Orte ist jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Geschäftsbetrieben, Ereignissen oder Orten vollkommen zufällig.

* * *

Diese Arbeit wurde durch eine Sondergenehmigung durch das Verlagsprogramm der Wolfe Pack Connected World und Dragonblade Publishing, Inc. ermöglicht. Alle Charaktere, Szenen, Ereignisse, Handlungen und zugehörigen Elemente, die in der ursprünglichen Connected-Serie World of de Wolfe Pack von Kathryn Le Veque Novels, Inc. vorkommen, bleiben das ausschließliche urheberrechtlich geschützte und/oder markenrechtlich geschützte Eigentum von Kathryn Le Veque Novels, Inc. oder den verbundenen Unternehmen oder Lizenzgebern.

Alle vom Autor dieses Romans erstellten Charaktere bleiben urheberrechtlich geschütztes Eigentum des Autors.

VORWORT

In der wilden Heide von Dartmoor heulen die Winde, und der Nebel kriecht über die dunklen Klippen, aber die Geschichte von Mallon und Geneviève wartet darauf, dein Herz zu erwärmen.

Meine Heldinnen kämpfen gegen viele der gleichen Herausforderungen wie heute – das Streben nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, während sie sich nach wahrer Liebe sehnen.

Wie die Frauen (und Männer) in diesen Geschichten bist auch du stärker, als du vielleicht glaubst, einfallsreicher und entschlossener.

Was das Happy End angeht, so müssen wir alle daran glauben, dass die Dinge besser werden können, wenn wir durchhalten. Und dass es Hoffnung und die Chance gibt, ein Leben in Liebe, Freundschaft und Zufriedenheit zu beginnen.

Mit den herzlichsten Grüßen an dich.

KAPITELEINS

Marseille, Ende November 1903

Lord Mallon de Wolfe, Viscount Wulverton, zog seinen Flachmann hervor und rief dem Fahrer zu, er solle endlich einen Zahn zulegen. Er hatte das Glück gehabt, am Hafen von Marseille eine Mietkutsche zu finden, und hatte den doppelten Fahrpreis versprochen, wenn sie den Bahnhof vor zehn Uhr erreichten. Mallon hatte ein Schlafabteil in der ersten Klasse gebucht und wollte es gut nutzen.

Es war ein verdammter Tag, eine verdammte Woche und eine verdammte Reise gewesen. Da auf dem einzigen Passagierschiff, das Konstantinopel verließ, keine Kabinen mehr zur Verfügung standen, hatte er sich einem Frachtschiff anschließen müssen. Nicht, dass ihm der Mangel an Komfort nicht egal gewesen wäre – auch nicht der Gestank von Schweiß und Latrinen –, aber das verfluchte Schiff war kaum seetüchtig gewesen.

Sie hatten das Marmarameer überquert, vorbei an den griechischen Inseln und der Spitze Italiens, bevor das Wasser, das auf das Unterdeck schwappte, es erforderte, dass alle Hände – einschließlich seiner – Schichten an der Bilgenpumpe übernahmen. Sie hätten vielleicht zur Reparatur nach Korsika ausweichen können, aber er hatte darauf bestanden, dass sie weiterfuhren. Gemeinsam war ihre Mannschaft in der Lage gewesen, das Boot über Wasser zu halten, und er war begierig darauf gewesen, weiterzukommen. Ein paar Tage Verspätung hätten nach dreiundzwanzig Jahren vielleicht belanglos erscheinen können, aber Mallon war ein Mann mit plötzlichen Launen, und er war fest entschlossen, das Land zu erreichen, das er vor so langer Zeit verlassen hatte.

In mancher Hinsicht hatte er die körperliche Anstrengung begrüßt und es durchaus genossen, seine Hemdsärmel hochzukrempeln. Er hatte viel mehr Muskeln als die meisten Männer seines Alters, dank seiner Soldatenzeit und seiner Vorliebe für den Faustkampf. Nichts beruhigte die Stimmung besser als ein paar hitzige Runden im Ring.

Es dauerte nicht lange, bis er sein Hemd völlig abgelegt und sich wie die anderen angestrengt hatte, indem er abwechselnd in diesem Hochofen von Maschinenraum schwitzte, um zu verhindern, dass das verdammte Schiff sie in Neptuns Umarmung versenkte.

Die Reise hatte ihn an seine Armeezeit erinnert, als er am Speisetisch hockte, die Zigaretten von denen teilte, die trockene hatten, und heiße Würstchen aus der Pfanne gegessen hatte, gepaart mit der Standardration Trockenkekse und einem Becher Rum.

Nicht, dass er der Nostalgie frönte. Nach all den Jahren, die er bei der Kabul-Kandahar Field Force Ihrer Majestät gedient hatte, hatte er nichts weiter vorzuweisen als eine Schulter, die jeden Tag schmerzte! Sie hatten den größten Teil des Schrapnells herausgeholt, aber etwas war geblieben – ein Souvenir, das ebenso unerwünscht war wie die damit verbundenen Erinnerungen.

Es hatte ihm überhaupt nichts gebracht, in Depeschen für »herausragenden Mut unter Beschuss« erwähnt zu werden. Die Auszeichnung brachte diejenigen nicht zurück, die neben ihm gefallen waren. Er hatte zugesehen, wie die Knochen der Männer zerschmetterten und wie sie bluteten und starben. Was den Mut betraf, so hatte er nichts weiter getan, als sich selbst am Leben zu erhalten – und andere, so gut er konnte.

Mallon trank den letzten Rest aus seiner Flasche und zuckte zusammen, als der scharfe Anis des Arraks seinen Hals traf. Es war eine Sache, an der es ihnen auf dem Boot nicht gefehlt hatte – unter zweihundert Kisten hatte niemand ein paar Flaschen vermisst.

Er lehnte seinen Kopf gegen die Kühle des Fensters und beobachtete die vorbeiziehenden Straßenlaternen, während die Kutsche die Anhöhe des Boulevard Voltaire hinaufraste. So viel Zeit war vergangen, seit er sein Erbe hinter sich gelassen hatte, und die vergangenen zehn Jahre waren eine schäbige Ausrede für ein Leben gewesen. In Konstantinopel war es manchmal schwer gewesen, aber die Stadt bot Anonymität. Dort war er niemand und nichts, und es war leicht, sich in den Opiumkaschemmen in Vergessenheit zu berauschen, um seinem Bedauern und seiner Wut zu entfliehen.

All das sollte sich nun ändern. Er würde sich ändern. Dafür hatte der Tod seines Vaters gesorgt. Die Nachricht von seinem Tod, wie auch der seines Bruders Edward mehr als zwei Jahre zuvor, war für Mallon zu spät gekommen, um an Beerdigungen teilzunehmen. Er wäre vielleicht früher zurückgekehrt, um Edwards Grab seine Aufwartung zu machen, aber sein Stolz hatte ihn davon abgehalten, die Reise anzutreten.

Die Wunden seiner Entfremdung von seinem Vater blieben offen, aber trotz der quälenden Assoziationen des Moors war es sein Zuhause. Er hatte Verpflichtungen zu erfüllen und Unrecht zu korrigieren. Wie konnte er mit sich selbst leben, wenn er sich weigerte, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

Er war schließlich ein de Wolfe. Wie seine Vorfahren hatte er die Hölle auf dem Schlachtfeld erlebt. Er hatte den Tod angestarrt, um seiner Königin und seinem Land zu dienen.

Nachdem sein Vater nun tot war, waren die einzigen Dämonen, die ihm blieben, die, die in ihm lauerten. Mallon wollte sich erneuern, wie ein Moorginster, der nach dem langen Winterfrost erwacht. Vielleicht machte er sich selbst etwas vor, aber die Anziehungskraft des Ortes, zu dem er wirklich gehörte, war zu stark, um sie zu ignorieren.

Was die Trauer um seinen Vater betraf, so war Mallons Trauer stark von Groll gefärbt. Der verstorbene Viscount war nach dem Verlust seiner Frau nie mehr derselbe gewesen; hatte sich zu tief in seinen eigenen Schmerz zurückgezogen, um zu erkennen, dass seine Söhne die Liebe ihres Vaters brauchten. Sie hätten ihn nach dem Tod ihrer Mutter mehr denn je gebraucht. Edward war damals noch nicht viel mehr als ein Säugling gewesen, zu jung, um viel zu bemerken, aber Mallon hatte von Anfang an gewusst, dass etwas nicht stimmte.

Seine Mutter war am Tag zuvor vollkommen gesund gewesen. Danach verschwand jede Spur von ihr. Innerhalb weniger Tage war jedes Kleidungsstück der Vicomtesse aus dem Haus entfernt worden. Es war, als hätte sie nie existiert. Wann immer Mallon versucht hatte, mit seinem Vater über sie zu sprechen, hatte dies die schärfsten Rügen hervorgerufen.

Und dann hatte Mallon das Flüstern der Diener gehört.

Sie hatte einen Liebhaber gehabt und war weggelaufen. Zuerst war Mallons Herz voller Hoffnung gewesen. Wenn sie weggegangen wäre, könnte sie zurückkommen. Es war ein Fehler gewesen, ihn zurückzulassen.

Außer, dass sie nicht zurückkehren konnte. Sie hatte vorgehabt, weit weg von Wulverton Hall ein neues Leben zu beginnen, war aber nur bis zu dem tödlichen Sumpf unterhalb von Fox Tor, einer plötzlich aufragenden Felsformation, vorgedrungen.

Der Mann, der auf sie gewartet hatte, hatte Alarm geschlagen, aber sie hatten ihre Leiche nie gefunden.

Mallon war nicht erlaubt worden, der Beerdigung beizuwohnen, aber er hatte aus einem der oberen Fenster des Herrenhauses zugesehen. Der Sarg wurde auf einem einfachen Karren in Begleitung des Priesters zur Kapelle gebracht. Ein Sarg, der leer war. Sein Vater hatte zumindest einen Grabstein erlaubt, der in der hintersten Ecke des Friedhofs versteckt war.

Mallons Mutter hatte ihn nicht genug geliebt, um zu bleiben. Sein Vater hatte kaum gewusst, wie man überhaupt liebt. Mallon konnte sich nicht erinnern, dass der Viscount jemals irgendeine körperliche Zuneigung zu ihm oder Edward gezeigt hatte. Er hatte es selten auch nur geduldet, sie im selben Raum zu haben. Dieser Schmerz blieb, egal, welche Ablenkung er versuchte.

Sobald es ihm möglich gewesen war, hatte er versucht, zu fliehen und sein Leben weit weg vom Moor und diesen qualvollen Erinnerungen zu leben. Er hatte bei der Armee eine neue Heimat gesucht und war in die Fußstapfen seiner allseits verehrten Vorfahren getreten. Und es war ihm gelungen, ein gewisses Maß an Frieden zu finden, zumindest für eine Weile.

»Nous sommes ici, Monsieur!« Der Fahrer brachte die Pferde zum Stehen und sprang herunter. Es gab kein Gepäck, um das sich jemand kümmern müsste, da Mallon lediglich einen Reisekoffer mitgebracht hatte, den er leicht selbst tragen konnte. Das war auch gut so, denn der Zug fuhr in zwanzig Minuten ab, und die Fahrkarte musste noch abgeholt werden.

Mallon stopfte dem Franzosen die versprochenen Francs in die Hand und machte sich auf den Weg zum großen Torbogen des Bahnhofs Marseille-Saint-Charles.

* * *

Es kostete Mallon all seine Selbstbeherrschung, dem Schaffner nicht auf die Nase zu schlagen.

»Regarde mon billet!« Es war das fünfte Mal, dass er verlangte, dass sich der Mann seine Fahrkarte ansah. Zweimal auf Französisch und dreimal auf Englisch, geschmückt mit immer heftigeren Schimpfworten.

»Je ne peux pas vous aider, Monsieur.« Der Schaffner zuckte die Achseln. »Vous devrez partir.«

Es war verdammt hoffnungslos! Wenn das so weiterging, würde er am Ende im Korridor schlafen müssen, und das alles nur, weil irgendein verdammter Idiot am Fahrkartenschalter es geschafft hatte, sein Abteil doppelt zu buchen und es einem anderen Passagier vollständig zu überlassen.

Die Glühbirne im Inneren flackerte und gab ein leises Summen von sich. Sie strahlte kaum genug Licht aus, um die Anwesenden zu sehen. Die Fülle an Röcken deutete auf eine Frau hin, aber ihr Schleier hinderte ihn daran, mehr zu erkennen.

Seine letzte Salve von Kraftausdrücken ließ den Schaffner davonhuschen, und Mallon ließ seinen Kopf in die Hände sinken. Er war schlicht zu müde für das alles. Seine einzige Hoffnung bestand darin, Platz im Speisewagen zu finden. Wenn er den Serveurs den letzten Rest seines Bargelds gab, könnten sie einfach über ihn hinwegsehen, wie er dort auf den Sitzen lag.

Er warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick in das Abteil. Viel Platz und die Bettwäsche ordentlich gestapelt. Der Anstand würde es ihnen nie erlauben, diesen Platz zu teilen, aber er fragte sich, ob die Frau ihm vielleicht eines ihrer Kissen leihen würde.

Er wollte nicht fragen. Obwohl er es geschafft hatte, sich zu waschen, bevor er das Schiff verließ, hatte sich Mallon seit mehreren Tagen nicht mehr rasiert, und ein Haarschnitt war ebenfalls längst überfällig. Sein Anblick, von seinem aggressiven Verhalten ganz zu schweigen, hätte kaum einen guten Eindruck hinterlassen. Er murmelte seine Entschuldigung und wandte sich zum Gehen.

»Arrêtez, Monsieur.« Sie bedeutete ihm, einzutreten.

Mallon musste nicht zweimal gefragt werden. Er nahm die Bank gegenüber ein und lehnte sich gegen die Samtpolsterung zurück. Nach all dem Herumeilen und seiner lächerlichen Arbeit auf dem Schiff schmerzte ihn die Schulter.

Er beäugte erneut die Kissen und fragte sich, ob er vielleicht doch eines erbetteln würde. »Vous voyagez seul, Madame?«

Zu seiner Erleichterung antwortete sie in seiner Sprache. »Ja, aber mit meiner Zofe. Sie hat ein Abteil weiter unten.«

Mallon wurde ein wenig munterer. »Ich nehme nicht an, dass …« Er hasste es, um Gefälligkeiten zu bitten, aber er hatte keine Lust auf eine weitere schlaflose Nacht, in der er mit dem auskommen musste, was er an stillen Plätzen irgendwo im Zug finden konnte. »Könnte sie mit Ihnen die Kabine teilen, und ich nehme ihre Kabine? Ich kann einen Wechsel auf meine Bank schreiben, um Ihren Ärger zu kompensieren. Natürlich das Doppelte der ursprünglichen Kosten.«

Sie schien amüsiert. Der Spitzenschleier machte es ihm schwer, sich zu vergewissern, aber seine Augen gewöhnten sich langsam an das schwache Licht. Ein wenig konnte er ihre Züge erkennen: große Augen, ein zartes Kinn und nach oben gebogene Lippen.

»Warum sollte ich so etwas tun?«

Der Zug fuhr mit einem Ruck vom Bahnsteig weg und gewann langsam an Fahrt. Mit den Händen im Schoß saß sie völlig regungslos da und musterte ihn von seinen Stiefeln aufwärts.

»Nehmen Sie Ihren Mantel ab, Monsieur. Machen Sie es sich bequem.« Sie erhob sich und zog zuerst die Jalousie am äußeren Fenster herunter und dann an der kleineren Glasscheibe in der Tür, die zum Korridor führte. Sie klickte das Schloss zu.

Als sie neben ihm saß, nahm er ihren Duft wahr – eine erregende Mischung aus Orchideen und Orangenblüten mit einem rauchigen, holzigen Unterton. Sein Herz setzte einen Schlag aus, bevor es schneller schlug.

Als sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte, flackerte die Glühbirne erneut und verpuffte.

KAPITELZWEI

Dartmoor, 1. Dezember

Es war kaum verwunderlich, dass sich die Frau von Reverend Wapshot auf ihre wöchentliche Einladung nach Wulverton Hall freute. Lady Marguerite de Wolfe, die Witwe des jüngeren Sohns des verstorbenen Viscounts, Lord Edward, war großzügig in ihrer Versorgung mit Nachmittagstee, und Griselda Wapshot liebte alle Arten von Kuchen sehr.

Das heutige tête-à-tête erwies sich zweifellos als besonders lohnend, da Lady Marguerite gleich zwei Briefe erhalten hatte, die jeweils eine ausländische Briefmarke trugen.

»Der neue Viscount kehrt endlich zurück«, schniefte Marguerite. »Er hat anscheinend erst vor wenigen Wochen vom Tod seines Vaters erfahren, nachdem das Telegramm geraume Zeit in seiner Bank auf ihn gewartet hat.« Sie legte den Brief beiseite, legte einen Butterkeks auf ihren Teller und zerbröselte ihn zu Staub. »Er muss jedenfalls sparsam mit seinen Ausgaben sein, da er so selten an seine Konten geht.«

Marguerite war sich bewusst, dass jede Meinung, die sie geheim halten wollte, nicht vor Griselda diskutiert werden sollte, aber heute Morgen konnte sie ihren Ärger nicht zurückhalten.

»Und reist er alleine?« Griselda warf ihr einen fragenden Vogelblick zu.

»Es gibt jedenfalls keine Ehefrau, von der ich wüsste.« Marguerite fügte ein Stück Zucker in ihre Tasse und rührte kräftig um, bevor sie ein Dienstmädchen mit weißer Haube herbeirief.

»Noch mehr heißes Wasser, Betsy.« Sie wedelte mit der Hand über die immer leerer werdenden Platten. »Und mehr davon. Erdbeermarmelade statt Himbeere, bitte.«

»Wenn er verheiratet ist, wird das nicht die Erwartungen Ihres Hugos zunichtemachen?« Griselda legte ihren Löffel auf die Clotted Cream; ein Scone war des Namens nicht würdig, wenn nicht genügend von der buttrigen Sahne darauf gehäuft wurde.

Hugos Position als mutmaßlicher Erbe war weithin bekannt. Er war der Nächste in der Reihe, sollte der neue Viscount es nicht schaffen, zu heiraten und einen Sohn zu zeugen, der einmal den Titel tragen würde. Die bevorstehende Rückkehr des Viscounts war besorgniserregend. Selbst wenn er es all die Jahre vermieden haben sollte, sich zu verehelichen, so war es doch immer überraschend, einen Junggesellen kennenzulernen, der ein gewisses Alter überschritten hatte. Er könnte die Vorstellung haben, endlich zu heiraten und eine ganze Kinderstube zu zeugen.

Sie würden zweifellos alle klatschen, in der Erwartung, dass Hugos Hoffnungen zunichtegemacht werden. Ihr Sohn wurde zwar durchaus respektiert, aber es fehlte ihm an Charakterstärke. Sein Vater war genauso gewesen.

Schon in jungen Jahren hatte sich der älteste Sohn Mallon, nach allem, was Marguerite wusste, großen Respekt unter den Moorbewohnern erworben – und das nicht nur, weil er das traditionelle dunkle Haar und die grünen Augen der de-Wolfe-Linie trug. Er hatte dafür gesorgt, dass die Wohnungen jedes Pächters neu gedeckt und mehrere Brunnen und Steinmauern auf dem Anwesen repariert wurden.

Er war jedoch, nachdem er vom Balliol College heimgekommen war, kaum sieben Monate lang unter dem Dach seines Vaters geblieben, bevor er seinen Eintritt in die Feldstreitkräfte Ihrer Majestät unter Generalmajor Roberts ankündigte.

Marguerite empfand ein gewisses Maß an Sympathie. Ihr verstorbener Schwiegervater war ein kalter Fisch gewesen. Selbst die Geburt von Hugo hatte wenig dazu beigetragen, die Froideur seines Herzens zum Schmelzen zu bringen.

Sie strich ihre Röcke glatt. »Aber natürlich hat Hugo einen eigenen Titel und Reichtum, da er der Hauptbegünstigte des Testaments meines Bruders ist.« Sie lud Mrs. Wapshot ein, sich noch eine Makrone zu nehmen. »Ich habe vor über einem Jahr geschrieben, um seine Witwe einzuladen. Ohne eigene Familie wird es für sie einsam im Schloss, so schön es auch ist.«

Mrs. Wapshot nickte und saugte jedes Detail auf, und Marguerite wusste nur zu genau, dass das nur geschah, um es sorgfältig zu wiederholen.

Natürlich war Marguerite wählerisch in dem, was sie preisgab. Die Frau des Pfarrers brauchte zum Beispiel nicht von den bescheidenen Anfängen ihrer Schwägerin Geneviève zu hören. Marguerites Bruder Maxim war über dreißig Jahre älter als sie gewesen, und es bestand kein Zweifel, dass Genevièves körperliche Reize die Ehe inspiriert hatten. Ihre familiären Verbindungen wurden am besten übersehen, und sie hatte keinen Penny in die Verbindung eingebracht.

Als sie als Gefährtin von Marguerites Mutter, der Gräfinwitwe, das Haus betreten hatte, hatte sie wenigstens gelernt, sich zu benehmen. Sollte sich das Mädchen als geeignet erweisen, könnte Hugo gut daran tun, sie zu heiraten und so die Einkünfte aus dem Familienbesitz zu festigen.

Was hatte sich Maxim eigentlich dabei gedacht, seiner jungen Frau für die Dauer ihres Lebens einen so bedeutenden Teil der Einnahmen des Weinguts zu vererben? Sie könnte den Nutzen davon für weitere fünfzig Jahre beanspruchen!

Marguerite stellte sich vor, wie sie das feuchte und triste Moor verließ und in den herrlichen Sonnenschein ihres Heimatlandes zurückkehrte, zu langen Picknicks und zum Pflücken frischer Feigen und Zitronen vom Baum.

Über solche Dinge sollte man sich kaum freuen, aber der Tod ihres Bruders könnte als Segen angesehen werden. Sein verruchtes Verhalten hatte den Familiennamen in Verruf gebracht. Unter ihrer Führung würde Hugo Wiedergutmachung leisten. Außerdem würden ihre Enkel als das zur Welt kommen, was Generationen vor ihnen gewesen waren, als echte kleine Franzosen, unter dem Dach von Château Rosseline geboren.

Sobald die Festtage vorbei waren und sie das Kennenlernen zwischen dem Viscount und seinem Neffen beaufsichtigt hatte, würde sie Pläne schmieden.

Es klopfte an der Tür, und eine gebückte Gestalt schlurfte herein und verbeugte sich leicht. »Entschuldigen Sie, Mylady. Da ist ein Herr, der Sie sehen will. Ich habe ihn in die Bibliothek gebracht, um dort auf Sie zu warten.«

Marguerite seufzte. »Du weißt, dass ich keine Gelegenheitsbesucher empfange, Withers.«

»Das ist Sergeant Hawky, Mylady.« Als er ihr die Karte des Besuchers in die Hand legte, zitterte seine eigene ein wenig.

Mrs. Wapshot schluckte ihr restliches Stück Walnusskuchen hinunter. »Es ist doch alles … in Ordnung?«

»Überhaupt nicht, Griselda!« Marguerite erhob sich von ihrem Platz, um ihren Gast zum Aufbruch zu ermutigen.

Nicht zum ersten Mal beklagte Marguerite, dass das Leben sie an einen so abgelegenen und einfachen Ort geführt hatte. Leider fehlte es hier an genug höflicher Gesellschaft, was bedeutete, dass sie sich mit Menschen herumschlagen musste, die sie sonst gemieden hätte.

KAPITELDREI

Geneviève, Gräfin Rosseline, hatte die meiste Zeit der Reise geschlafen, eingehüllt in ihren grünen Samt-Reisemantel. Sie war seit spät in der Nacht zuvor mit dem Zug von Dover unterwegs, und die Überfahrt von Calais aus hatte ihr heftige Übelkeit beschert, sodass an Ausruhen nicht zu denken gewesen war.

Sie hatte erwogen, einen Aufenthalt in London einzulegen, es aber nach einigen Tagen in Paris für unnötig gehalten. Was gab es in London zu sehen, zu tun oder zu kaufen, was in der französischen Hauptstadt nicht mit unendlicher Überlegenheit erreicht werden konnte? Paris war ein bezaubernder Ort, Geneviève war begeistert von seinen Restaurants, Ateliers und Galerien. Sie hatte sogar la Tour Eiffel bestiegen, um über die großartige Stadt zu blicken. Bedauerlich, dass sie nur ihr Dienstmädchen Lisette als Gesellschaft hatte.

Viele Male hatte sie Maxim gebeten, sie nach Paris zu bringen, aber es gab immer eine Ausrede. Er hatte es vorgezogen, sie im Schloss zu lassen, wenn er auf Reisen ging, von denen er behauptete, dass sie rein geschäftlich waren. Geneviève hatte gewusst, dass Jammern nichts nützen würde.

Natürlich, so schön Paris auch war, es war nicht ihr Zuhause. Wenn irgendein Ort diesen Namen verdiente, dann war es Château Rosseline.

Genevièves früheste Jahre waren ein Kaleidoskop von buntem Aufruhr gewesen, von Theaterumkleidekabinen und den lebendigen Charakteren, die sie bewohnten. Versteckt in den Röcken ihrer Mutter, Antoinette Villiers, dem Liebling der Marseiller Bühne, lernte die junge Geneviève nicht nur zu tanzen und zu singen und die italienische und englische Sprache zu sprechen, sondern auch zu bezaubern. Es gab Blumen und Pralinen und Champagner, die von verschiedenen hoffnungsvollen Männern geliefert wurden, und dann gab es noch einen, der Juwelen anstelle von Kleinigkeiten schickte.

Geneviève war erst acht Jahre alt gewesen, als ihre Mutter sie zu den Nonnen von Santa Clotilde Magdalena gebracht hatte. Vorbei waren die knalligen Köstlichkeiten und die sanften, duftenden Umarmungen der schönen Antoinette. Geneviève vergoss Nacht für Nacht Tränen um ihre abwesende Maman, bis sie erkannte, dass Tränen verschwendet wurden, wenn es niemanden gab, der sie beachtete. Als sie im Alter von fünfzehn Jahren in den Haushalt des Comte Rosseline eintrat, hatte sie den Akt des Weinens längst aufgegeben.

Es war nicht das erste Mal, dass das Schloss seiner Bürgerpflicht nachkam, indem es dem Kloster eines seiner Findelkinder abnahm. Bei den Nonnen hatte Geneviève gelernt, sanftmütig zu wirken, um den Stock auf ihren Handflächen zu vermeiden – eine Fähigkeit, die sie während ihrer Jahre als Begleiterin der Witwe Gräfin Rosseline verfeinert hatte. Genevièves Manieren waren tadellos, und im Gegensatz zu so vielen jungen Damen plapperte sie nicht.

Nach einigen Jahren der Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber der alternden Comtesse, einschließlich einer angemessenen Zurschaustellung von Trauer an ihrem Grab, hatte sich Geneviève damit abgefunden, eine neue Reihe von Pflichten im Dienst des Grafen zu erfüllen. Nach dem Tod seiner Mutter hatte es niemanden gegeben, der seine Exzesse hätte zügeln können. Erst eine besorgniserregende Lungenentzündung hatte das erreicht.

Maxim hatte sie als schmackhafte Abwechslung gesehen, mit genau der Art von Verhalten im Bett, nach der er sich sehnte. Wer sonst würde ihm so exquisit aus den Büchern vorlesen, die er einst vor seiner Mutter versteckt hatte, und dann die Szenen darin nachspielen?

War es so falsch von ihr gewesen, dem Grafen zu sagen, dass er einen Erben gezeugt hatte? Eine Freundlichkeit, denn versuchten nicht alle Männer sich einzureden, wenn sie sich dem Sensenmann stellten, dass ihr Vermächtnis gesichert war? Da sie weder einen Vater hatte, der sie beschützte, noch eine Mutter, die die heikle Angelegenheit einer Ehe für sie regelte, war sie gezwungen gewesen, ihren Weg so gut wie möglich zu gehen. Wenn Täuschung das Ergebnis einer Notwendigkeit war, wie konnte man sie dann als falsch ansehen?

Selbst wenn es so wäre, schloss Geneviève, könnte es kaum ihre Schuld sein, da alle Menschen Sklaven niederer Instinkte waren. Seit der ersten schicksalhaften Verbindung zwischen der Schlange und dem Apfel war es so gewesen. In diesem Fall war es nur natürlich, ab und an zu sündigen.

So war Geneviève die Comtesse geworden und hielt sich für die glücklichste aller Frauen. Château Rosseline hatte keine Konkurrenz, was Pracht betraf. Seine Gärten waren ein üppiges Paradies. Seine Weinberge reichlich. Trotz Maxims Vorliebe für Glücksspiele blieben die Kassen voll.

Als Begleiterin der Witwe hatte Geneviève ihre niedrige Position angenommen. Als Ehefrau des Grafen hatte sie sich vorgestellt, Pastisund Makronenmit dem Adel von Marseille und Avignon zu sich zu nehmen. Ja, ihre Herkunft war bescheiden, aber sie war Comtesse! Es war eine bittere Erkenntnis gewesen, dass sie weiterhin als unverhohlener Emporkömmling angesehen wurde. Die Männer hatten zumindest eine gewisse Höflichkeit gezeigt, obwohl sie zu oft gezwungen war, irrende Hände zurückzuschlagen.

Die Frauen waren eine ganz andere Sache. Als Maxim noch lebte, hatte sie festgestellt, dass sie geneigt waren, ihr den Rücken zu kehren. In der Witwenschaft, selbst nachdem eine angemessene Trauerzeit vergangen war, wurden Genevièves Soireen höflich abgelehnt, und diejenigen, die sie zuvor toleriert hatten, weigerten sich, sie in ihren Häusern zu empfangen.

Herrin des Schlosses zu werden, war ein Traum gewesen. Die Realität hatte sich in Asche in ihrem Mund verwandelt.

Geneviève hatte darüber nachgedacht, ihre Koffer zu packen und alles hinter sich zu lassen, um ein neues Leben im glitzernden Paris zu beginnen. Aber warum sollte sie den Platz verlieren, den sie auf der ganzen Welt am meisten liebte?

Auf die eine oder andere Weise werde ich Maxims Erben heiraten und als Comtesse zurückkehren, als doppelte Comtesse! Sie denken, dass sie gewonnen haben, und vertreiben mich von meinem Zuhause, von dem sie glauben, dass ich es nicht verdiene – den Ort, der mein einziger wahrer Hafen war –, aber ich werde mich nicht vor diesen herablassenden Harpyien ducken.Ich werde mit erhobenem Haupt zurückkehren, und sie mögen an ihrer Zunge ersticken!

* * *

Lisette weckte sie in Exeter, wo sie den wartenden Kutscher fanden. Nachdem Regen die Straße mit Schlamm verstopft hatte, musste Geneviève über eine Pfütze springen, um die Stufe zu erreichen, und ihren Koffer praktisch in die Kutsche hineinwerfen.

Zu Beginn hielten die Pferde ein flottes Tempo aufrecht und fuhren zwischen Ernte und Aussaat an geschorenen Feldern vorbei nach Westen. Jetzt ging es bergauf, und die Pferde mussten ordentlich ziehen, während das letzte Licht des Nachmittags verblasste.

Die sinkende Sonne verlieh der kargen Landschaft eine Weichheit, gab den entfernten Wasseradern, die die Berghänge überzogen, einen Tizian-Farbton und brachte die tieferen rostroten Töne des Farns hervor. Es gab wenig Vogelgezwitscher, da die Hecken und Bäume spärlicher wurden, Eberesche und Weißdorn wichen dem Ginster und den knorrigen Haselsträuchern.

Lisette schlummerte, ihr Kopf wippte mit der schaukelnden Bewegung der Kutsche gegen ihre Schulter. Wie glücklich war es gewesen, dass Geneviève sie an jenem Abend im Zug bereits weggeschickt hatte. Geneviève schaute weiterhin aus dem Fenster, aber ihre Gedanken waren bei der Erinnerung.

Mit Stoppeln im Gesicht und dunklen Haaren, die sich über seinem Kragen kräuselten, hatte der Mann, der in ihr Abteil gestiegen war, mehr wie ein Zigeuner als ein Gentleman ausgesehen, obwohl sein Akzent das widerlegt hatte. Er hatte sich nichts dabei gedacht, dass sie seine Flüche hörte, als er feststellte, dass sein gebuchtes Abteil bereits besetzt war. Sie kannte Männer wie den Fremden unter den Bekannten ihres Mannes Maxim. Es hatte den einen oder anderen Baron mit einer Stimme von ähnlicher, flotter Kadenz gegeben.

Geneviève wusste, dass ein Mann gern die Unschuld einer Jungfrau eroberte, und hatte sich als solche präsentiert, als Maxim sie schließlich in sein Bett genommen hatte. Der hübsche Junge aus dem Weinkeller im Schloss hätte natürlich eine andere Geschichte erzählen können, und der Fremde im Zug könnte bezweifelt haben, dass sie jemals so unschuldig gewesen war.

Er hatte ausgesehen wie ein Mann, der wusste, wie man eine Frau erfreute. Seit ihrer Witwenschaft hatte sie eine Handvoll Liebhaber genommen, aber keiner von ihnen hatte ihren Ansprüchen genügt. Und dann war er erschienen, als ob er geschickt worden wäre, um ihre gierige, rücksichtslose Seele zu beruhigen.

Sie hatte zuallererst seine Stiefel bemerkt, lang und schwarz, aus teurem Leder. Dann das Wildleder seiner Hose und die Länge seiner Jacke. Nichts von der aktuellen Mode. Dennoch war er auf kühne Weise attraktiv, mit einer geraden Nase und hohen Wangenknochen.

Ihre Wahl war ein Impuls gewesen, und seitdem konnte sie an wenig anderes denken. Wie sie auf seinem Schoß gesessen hatte, wie das weiche Haar ihres Geschlechts über seinen Schwanz strich, wie sie ihn lockte, während er sich an ihrer Kehle entlangküsste, dann an ihrem Ohr. Er hatte den Musselinstoff ihres Leibchens hinuntergedrückt und ihre Brust ganz in den Mund genommen. Er hatte so heftig gesaugt, dass sie es in ihrem Schoß gespürt hatte – wo sie sich verkrampfte mit einem Hunger, den sie nicht unter Kontrolle hatte. Er hatte sie auf sich hinuntergezogen, und sie hatte vor Freude geweint.

Seine Zunge, seine Hände hatten jeden Ort des Vergnügens gefunden, hatten sie mitgezogen, bis sie vor Begierde gedankenlos war, geschmeidig unter seinem schweißnassen Körper. Er hatte sich an ihr gesättigt und sich dann wieder aufgerichtet, um es noch einmal zu tun.

Endlich hatten sie geschlafen, er auf der einen Seite der Bank und sie auf der anderen. Als sie vom Pfeifen des am Pariser Gare de Lyon ankommenden Zuges aufgewacht war, war er verschwunden. In vielerlei Hinsicht war es eine Erleichterung gewesen. Die Begegnung war spontan gewesen, und solche Verbindungen passten am besten zum Mysterium der Nacht.

Trotzdem verfolgte sie die Erinnerung an sein Liebesspiel – oder doch eher daran, wie er sie gevögelt hatte. Geneviève nannte die Dinge gern beim richtigen Namen. Für Romantik hatte sie wenig übrig. Es war auch ein Akt des Trotzes gewesen, ihre Verbindung mit einem Fremden – eine köstliche Kapitulation. Unterwerfung an dunkle Augen und große und zielstrebige Hände und an diesen sehnsüchtigen, hungrigen Mund, der ihre Lippen verletzt hatte. Haut zerkratzt von den feinen Stoppeln seines Kiefers. Wie er sie gekostet hatte, Stück für Stück.

Die Kutsche ruckte, die Straße wurde noch steiler, und die Landschaft veränderte sich. Der Mond stand an einem klaren Himmel, tiefstes Schwarz und übersät mit blendenden Nadelstichen. Darunter lag das kahle Moor. Eine graue Fläche, die von sanften Hügeln und den Umrissen dunkler Felsen unterbrochen wurde.

Sie kamen an kleinen Dörfern vorbei, die immer noch kleiner wurden, bis Hütten irgendwann nur noch sehr vereinzelt standen, und sie fragte sich, ob der Kutscher sie an den richtigen Ort brachte. Irgendwo in der Luft schwebte das Rascheln von fallenden Blättern, obwohl es nur wenige Bäume zu geben schien, um ein solches Geräusch möglich zu machen.

Und dann verlief die Straße in einer Kurve, tauchte ab, und das Mondlicht verschwand fast, denn sie durchquerten einen plötzlich beginnenden, dichten Wald – ein strangulierendes Gewirr aus zu vielen Ästen, die gegeneinander kämpften, deformiert und entstellt. Es roch nach Verwesung, uralte Blätterhaufen säumten den Weg, und verrottende Stümpfe ragten wie geschwärzte Zähne hervor.

Der Wind, irgendwo über ihnen, ritt melancholisch über die dunkle Masse, es knarrte und rauschte, als sich die Bäume aneinanderrieben.

Geneviève zog sich vom Fenster zurück, wollte nicht mehr hinschauen und fürchtete plötzlich, was ungesehen zurückblicken könnte.

Es war eine Erleichterung, wieder ins Freie zu kommen und eine Brücke zu überqueren, bevor die Strecke erneut anstieg.

Lisette erwachte mit einem Zusammenzucken, als sie durch eine Reihe besonders großer Schlaglöcher polterten.

»Sommes-nous presque là, Comtesse?« Lisette erstickte ihr Gähnen und fragte, ob ihr Ziel noch weit weg sei.

»Nous arriverons bientôt«, antwortete Geneviève und hoffte, dass es wahr wäre, dass sie bald ankommen würden.

Schließlich verlangsamte die Kutsche und fuhr in Richtung eines hohen, schmiedeeisernen Tores, das zu einer langen Eibenallee führte. Die Äste hatten sich aufeinander zubewegt und zu finsteren Armen verschlungen, die wie aus einem Gruselmärchen wirkten und sich unter einem bedrohlichen Himmel abzeichneten. Wind war aufgekommen und jagte Wolken vor dem Mond vorbei.

Wulverton Hall brütete unter einem Schleier aus Efeu. Es gab insgesamt vier Türme, die geradezu schauerlich in den Himmel ragten. Licht schwappte über den Kies. Es kam aus den schmalen Fenstern auf beiden Seiten des großen Eingangs. In den Torbogen war vor langer Zeit ein Wappen eingraviert worden, obwohl der Stein zu stark verwittert war, als dass Geneviève sein Emblem zu erkennen vermochte. Ein Löwenkopf? Nein, natürlich ein Wolf, Wulverton Hall war der Sitz der Devonshire de Wolfes.

Was werde ich da drinnen entdecken? Keine Liebe, denn was nützt das? Ein Mann mit Position und Reichtum? Nun, für den hätte ich Verwendung. Ein Ehemann, der so verliebt ist, dass er sich jeder meiner Launen beugt? Umso besser.

Der Kutscher deponierte ihr Gepäck, und Geneviève stampfte mit den Füßen gegen die Kälte und wartete darauf, dass sich die Tür öffnete.

* * *

Der Butler, der sich als Withers vorstellte, war groß und dünn, ging gebückt und war so düster im Aussehen wie das Haus selbst. Die Familie hatte sich offensichtlich bereits zurückgezogen und ließ den alten Gefolgsmann auf ihre Ankunft warten.

Gut, dachte Geneviève, denn sie fühlte sich faltig und zerknittert vom Reisen.

Er schloss die Tür mit einem verhängnisvoll klingenden Poltern und drehte den großen Schlüssel im Schloss. Alles war still, bis auf das knarrende Ticken einer Standuhr und das mühsame Keuchen des Butlers.

»Hier entlang, Madam.« Das zerbrechliche Licht seiner Lampe flackerte an den Wänden der höhlenartigen Halle, von der längst verstorbene de Wolfes herabblickten, dunkel und missbilligend. So prachtvoll die Gipsdecken einst auch gewesen sein mochten, die Feuchtigkeit war an sie gelangt. Wulverton Halls Ruhm war nicht nur verblasst, sondern schälte sich an den Rändern ab und blätterte auf die Teppiche. Ein Eindruck, der sich verfestigte, als Geneviève dem Schlurfen des Butlers die Treppe hinauf und entlang des oberen Korridors folgte, getäfelt in dunkler Eiche unter zeitgeschwärzten Sparren.

Ein staubiger Wandteppich, dessen Fäden sich entlang der unteren Kante lösten, erstreckte sich über die Länge des Korridors. Eine maritime Szene, soweit Geneviève das beurteilen konnte, obwohl es schwer zu sagen war, solange man auf die begrenzte Beleuchtung von Withers’ Lampe angewiesen war. Eine seltsame Wahl, da sie hier auf dem Hochplateau dieses abgelegenen Moores weit vom Meer entfernt waren.

Da waren definitiv Schiffe, majestätisch aufgetakelt, und jedes trug einen Namen: Uriel, Raphael, Ramiel … Der größte Teil des gestickten Schriftzugs war zu verblasst, als dass sie ihn richtig lesen konnte, aber das waren Namen von Engeln, nicht wahr?

Und oben auf dem Wandbehang, noch mehr Wörter, in Silberfäden, Gold und Grün gestickt: de Winter, St. Hèver, de Russe, du Bois. Weitere Namen schlossen sich an. Namen von la noblesse. Der Sohn des Marquis de Winter hatte eines Nachts zehntausend Francs von Maxim am Kartentisch gewonnen. Und Geneviève hatte Bilder von der Duchesse St. Hèver auf den Seiten von La Nouvelle Mode gesehen. Ihre Hüte, so elegant, waren unvergleichlich.

Was für eine Seltsamkeit! Denn war dies nicht die Residenz einer englischen Familie? Eine alte Verbindung in der französischen Linie zu haben, war üblich genug, aber es schien bizarr, die Namen anderer Dynastien in seinem Haus anzuzeigen. Es würde dazu natürlich eine Geschichte geben, und sie wäre gezwungen, zuzuhören und hübsch darüber zu kommentieren, wie wunderbar es war, dass die Familie de Wolfe so gut vernetzt war. Marguerite, Maxims Schwester, würde zweifellos das Beste daraus machen. Vielleicht war sie es gewesen, die dieses zerfetzte Stück Stoff gefunden und an der Wand platziert hatte.

Als sie das Ende des Korridors erreichten, hielt Withers an, um den Griff einer Tür zu drehen.

»Ihr Zimmer, Madam.«

Glücklicherweise war ihr Schlafzimmer viel charmanter. Die Vorhänge an jeder Ecke des Bettes passten zu denen am Fenster und zur Polsterung auf dem kleinen Sofa am Kamin – elfenbeinfarben und mit rosafarbenen Rosen gemustert. Sie war erleichtert, als sie sah, dass das Feuer bereits brannte und zusätzliche Scheite bereitlagen.

Als der Butler sie zu einem Tablett mit Erfrischungen führte, das auf einem Tisch an der Seite des Raumes stand, schenkte Geneviève ihm ihr süßestes Lächeln und eine Guinee aus ihrer Handtasche. Altersschwach mochte er sein, aber sich mit ihm gut zu stellen, erwies sich sicherlich als nützlich. Ein komfortabler Aufenthalt hing nicht zuletzt von der Gunst solcher Diener ab. Die Alternative war lauwarmes Wasser zum Waschen und ewiges Warten, wenn sie Tee bestellte.

Mit Erleichterung entledigte sich Geneviève schließlich ihrer Reisekleidung. Obwohl sie Lisette aufgetragen hatte, ihr das Korsett nur lose zu schnüren, blieb es ein Kleidungsstück, das sie gern ins Feuer geworfen hätte.

Gähnend zog sie die bestickte Decke zurück und stieg die Stufen hinauf, um in ihr Bett zu gelangen. Es beschwerte sich laut und sackte in der Mitte durch, aber sie hatte schon schlimmer geschlafen.

Im Kloster Santa Clotilde Magdalena war Genevièves Bett eine einfache, lattenförmige Angelegenheit gewesen und ihre Matratze mit Rosshaar gefüllt.

Wie weit sie gekommen war! Und wie weit sie noch aufsteigen wollte. Sie würde Maxims Erben sicherlich dazu verleiten, ihr noch vor der zwölften Nacht der Weihnachtszeit einen Heiratsantrag zu machen. Es hatte ihr nie Schwierigkeiten bereitet, Männer zu verführen. Sie bezweifelte, dass dieser junge Mann anders sein würde.

Mit diesem Gedanken legte sie ihren Kopf auf das Kissen und frönte der Fantasie, die mit jedem Tag stärker geworden war.

Mit Hugo, dem neuen Comte Rosseline, an ihrer Seite, würden diejenigen, die sie gemieden hatten, sicherlich ihre Melodie ändern. Die Baroness de Boulainville mag einmal die Damen ihres Kreises ermutigt haben, mir das Gefühl zu geben, in der Gesellschaft, die Teil meines Hauses ist, unwillkommen zu sein, aber ich werde ihr zeigen, dass man mich nicht so leicht besiegen kann. Ich werde meinen Platz unter ihnen einnehmen, und sie werden um meine Einladungen betteln! Ich werde die größten Bälle veranstalten, und ich werde alle außer ihr willkommen heißen!

Zum immer stärker werdenden Heulen des Windes schloss Geneviève die Augen und träumte von essiggesichtigen Matronen, die sich wanden, wenn sie an ihnen vorbeiflanierte.

KAPITELVIER

»Schwarzbeer-Honigtüre und Stechginster-Blütenrolle«, erklärte Lisette und stellte das Frühstückstablett auf das Bett. »Madame Fuddleby lerne mich!« Sie ging zu den Fenstern, zog kräftig an den Vorhängen und erzeugte einen Wirbel von Staub, der sie zum Husten brachte.

»Sehr gut, Lisette – allerdings heißt das Konfitüre und Blütenhonig!«

Ihr etwas Englisch beizubringen, schien eine vernünftige Idee zu sein, denn wer wusste, wie lange sie in Wulverton sein würden. Es wäre schrecklich für Lisette, wenn sie die Sprache überhaupt nicht beherrschen würde.

Geneviève wählte den wärmsten ihrer Morgenmäntel, bevor sie aus dem Bett kletterte. Sie ertränkte eine Scheibe Toast in Butter und Konfitüre und nahm sie mit ans Fenster. Große Regenspritzer verdeckten die Sicht und schlugen stetig gegen die Scheiben, die sich vernebelten, als Geneviève versuchte, hindurchzublicken.

»Schneeregen kommt«, sagte Lisette. »Dann Schnee, sagt Madame Fuddleby.«

»Das kann ich mir denken«, sinnierte Geneviève. Wenn es draußen auch nur annähernd so kalt war wie in ihrem Schlafzimmer, dann überraschte es sie, dass nicht das ganze Moor vereist war.

Sie beendete ihr kleines Frühstück und kleidete sich dann in einen smaragdgrünen Rock aus fein gewebter Wolle und eine passende taillierte Jacke, mit Falten auf der Rückseite und schwarzen Perlen auf der Vorderseite. Es gehörte zu den Artikeln, die sie zuletzt in Paris gekauft hatte, elegant und dezent.

Geneviève nahm an, dass ihre Schwägerin jedes Detail ihres Hintergrunds kannte, aber der erste Eindruck war wichtig. Marguerites Einladung für Geneviève war eine sehr höfliche Angelegenheit gewesen. Tatsächlich war sie von allen Verwandten Maxims die Einzige gewesen, die ein Glückwunschtelegramm zu ihrer Hochzeit geschickt hatte. Jetzt war es an der Zeit, sich ihr zu stellen und zu beurteilen, mit welcher Art von Frau sie es zu tun hatte. Wäre Lady Marguerite ein Hindernis für Genevièves Pläne oder eine Verbündete?

Als Geneviève aus ihrem Zimmer schlenderte und wieder einmal den langen und zugigen Korridor durchquerte, bemerkte sie, dass der Schiffsteppich bei Tageslicht nicht weniger schäbig aussah. Mehrere Abschnitte waren fadenscheinig, obwohl der Name de Wolfe repariert und deutlicher sichtbar gemacht worden war und einen Ehrenplatz oben nahe der Kante einnahm.

Wulverton Hall war weder ein Ort der Wärme noch des besonderen Komforts. Marguerites Briefe versprachen jedoch einen gnädigen Empfang.

Geneviève fand die Tür des Morgenzimmers offen und wurde von leuchtenden Farben und einer Menge Unordnung empfangen, als ob niemand jemals etwas weggeworfen hätte. Die de Wolfes hatten seit Langem eine Schwäche für Hunde und Pferde und Kombinationen aus beidem, nach den Gemälden und Figuren zu urteilen, die reichlich verstreut waren. Sogar die Familienporträts schienen alle das eine oder andere Tier zu beinhalten, deren Gesichter oft charmanter waren als die Gesichter der Besitzer.

»Putain de feu diabolique!«, kam eine Stimme von jenseits des Sofas. Eine Frau war auf den Knien, stocherte in den brennenden Scheiten im Kamin herum und stieß dabei die einfallsreichsten Flüche aus. Der Grund war klar, Rauch quoll in den Raum.

»Essaie ceci«, rief Geneviève und rannte mit einer Zeitung hinüber. Als sie zu Boden ging, wedelte sie heftig mit den Armen und hatte dann die Idee, das Fenster zu öffnen. Der Durchzug funktionierte sofort und zog den Rauch in den Schornstein.

»Cheminéedémoniaque!« Die Frau lehnte sich auf ihre Fersen zurück und legte den Handrücken über die Stirn. »Dieser Kamin wird eines Tages mein Untergang sein!«

»Ich hoffe nicht«, sagte Geneviève und half ihrer Gastgeberin auf die Beine. »Ich hoffe sehr, Sie besser kennenzulernen.«

»Ah! Geneviève!«, rief Lady Marguerite und zog sie an sich, um sie auf beide Wangen zu küssen.

Geneviève sah die Ähnlichkeit mit Maxim sofort. Ihre Gastgeberin hatte die gleichen blassblauen Augen, die vor Intelligenz leuchteten. Ihr Haar war heller als das von Maxim und ihre Haut blasser, aber die schlanke Rosseline-Nase war da und die gleiche hochmütige Haltung.

»Mon Dieu! Der Ruß! Verzeihen Sie mir, was für ein Anfang. Und ich hatte gehofft, den café au lait für Sie bereit zu haben, wenn Sie nach unten kommen.« Lady Marguerite zog an dem Bändchen neben dem Kamin. »Oder würden Sie eher un chocolat chaud bevorzugen? Die nehme ich um diese Tageszeit oft selbst.«

»Beides wäre entzückend«, sagte Geneviève und setzte sich auf einen Platz. »Es ist so wunderbar, hier zu sein und Sie endlich kennenzulernen. Ich muss Ihnen vor allem für Ihre gedankenvollen Briefe danken. Meine Ehe mit Ihrem Bruder muss eine Überraschung gewesen sein …«

Geneviève hatte ihre kleine Rede viele Male geübt, aber jetzt, da sie damit konfrontiert war, sie zu halten, errötete sie dennoch. Ihre Gastgeberin war eine der wenigen, die Geneviève gegenüber Nachsicht gezeigt hatten. Die Herstellung kleiner Lügen war für Geneviève zur zweiten Natur geworden, aber es schien eine Schande zu sein, ihre Beziehung zu Marguerite unter einem Schleier der Künstlichkeit zu beginnen. Bis sie jedoch mehr von ihrer Schwägerin wusste, war es am sichersten, sich an ihr vorbereitetes Drehbuch zu halten.

»Es war auch eine Überraschung für mich. Sie wissen natürlich, wie ich auf das Schloss gekommen bin, und ich hätte nie damit gerechnet …«

»Aber, aber«, sagte Lady Marguerite und tätschelte Genevièves Hand. »Wir sind Frauen von Welt und brauchen uns nicht zu erklären. Sie haben Maxim glücklich gemacht, glaube ich, und dafür danke ich Ihnen.«

In diesem Moment kam ein Dienstmädchen, und ihre Ladyschaft bedeutete ihr, das Tablett auf den kleinen Tisch zwischen ihnen zu stellen. »Wir sind beide Witwen und werden unsere Ehemänner in unseren Herzen behalten, während wir alles annehmen, was das Leben als Nächstes für uns bereithält.«

»Wunderschön formuliert«, sagte Geneviève und nahm ihre Tasse entgegen. »Sie sind wirklich sehr freundlich.«

»Nur einige von uns, und bitte nennen Sie mich Marguerite, da wir jetzt Schwestern sind. Unser Treffen ist längst überfällig, und ich versichere Ihnen, dass ich meine Gründe habe, Sie aus dem Sonnenschein unseres lieben Château Rosseline an diesen trostlosen Ort zu bringen.«

Geneviève setzte ihre Tasse auf die Untertasse zurück. »Ich bin mir sicher, Maxim hätte sich gefreut, mitzuerleben, wie wir Freundinnen geworden wären. Ich kann mir keinen anderen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre, besonders wenn die Weihnachtszeit beginnt. Ich habe keine eigene Familie – zumindest keine, die sich darum kümmert, wo ich bin oder was mit mir passiert.«

Obwohl es nur das war, was sie eingeübt hatte, spannte sich Genevièves Herz, denn in der sentimentalen kleinen Rede steckte Wahrheit. Sie schüttelte jedoch ihr momentanes Selbstmitleid ab. »Es berührt mich sehr, dass Sie mich in Ihrer Familie willkommen geheißen haben.«

»Ich fürchte, es wird nicht viel Aufregung geben. Es ist am besten, bescheidene Erwartungen zu haben.« Lady Marguerite seufzte. »Sie und ich haben wahrscheinlich allein mehr Verstand und Charme als die kollektive Gesellschaft des gesamten Moores.«

»Dann werden wir uns selbst amüsieren«, räumte Geneviève ein. »Und ich freue mich natürlich darauf, Ihren Sohn kennenzulernen.«

»Ah ja. Ich habe das Gefühl, dass Hugo sehr angetan von Ihnen sein wird.« Lady Marguerite lächelte wissend. »Und ein anderer wird sich uns anschließen. Mit dem Tod des verstorbenen Viscounts erwarten wir die Ankunft seines älteren Sohnes aus dem fernen Ausland.« Sie beugte sich vertrauensvoll nach vorn. »Eine Entfremdung, müssen Sie wissen, wie sie zwischen eigensinnigen Männern passieren kann.«

Geneviève wollte sich gerade weiter erkundigen, als plötzlich eine Flut von wedelnden, zotteligen Schwänzen, lallenden Zungen und heißem Atem über Marguerite und sie hereinbrach. Zwei große graue Wolfshunde waren eifrig auf das Feuer zugestürmt und tauchten ihre Köpfe auf der Suche nach Krümeln in das Tablett und den Teppich und in ihren Schoß.

»Tootle! Muffin! Hört sofort auf damit!«

Lord Hugo hatte den Raum betreten, groß und schlank und so blauäugig und blond wie ein Baby, mit einem glatten Kinn. Es schien, als hätte er das Äußere seiner Mutter geerbt, denn er hatte keine Ähnlichkeit mit einem der de-Wolfe-Vorfahren in den Porträts, die sie betrachtet hatte.

Geneviève erhob sich, um seinen Begrüßungskuss anzunehmen, schüchtern auf ihre Hand gelegt.

»Was für eine Freude, Sie kennenzulernen … Tante … Gräfin … Tante Geneviève.« Hugo wirkte nervös.

»Nur Geneviève, bitte, und schon gar nicht Tante, da ich kaum fünf Jahre älter bin als Sie.«

»Natürlich, Geneviève.« Hugo nahm neben ihr Platz, und die Hunde trotteten herüber, um sich zu seinen Füßen zu legen. »Ich bin so froh, dass Sie hier sind. Ich habe meinen Onkel nie kennengelernt, aber ich hoffe, Sie werden mir alles über ihn erzählen.« Er kraulte die beiden Wolfshunde hinter den Ohren. »Meine Mutter erwähnt, dass er den Ruf hatte, ein bisschen verrückt zu sein, aber sie ist viel zu anständig, um die Details preiszugeben.«

Geneviève bemerkte, dass sich Marguerites Augen abwandten, um irgendwas von mildem Interesse hinter dem Fenster zu betrachten.

»Maxim lebte das Leben in vollen Zügen.« Geneviève nahm einen verlorenen Gesichtsausdruck an, da sie hoffte, dass er für eine trauernde Witwe angemessen war. »Mein einziges Bedauern ist, dass wir nicht genügend Zeit hatten, damit ich ihm den Sohn geben konnte, den er sich gewünscht hatte.« Sie zog ihr Taschentuch heraus und drückte es sich in den Augenwinkel. »Doch da ich nun Sie kennenlernen darf, sehe ich, dass wir uns beruhigt zurücklehnen können. Das Anwesen wird in guten Händen sein.«

Hugos Wangen röteten sich. »Ich werde mein Bestes geben.« Dankbar nahm er eine Tasse von Withers entgegen und vergrub seine Nase im Tee.

»Der Anwalt meines Bruders hat die Bedingungen vor einigen Monaten an uns weitergeleitet, kurz nachdem Ihr Brief angekommen ist«, sagte Lady Marguerite und verriet keinen Widerwillen, das Thema anzusprechen. »Maxim war sehr großzügig darin, für Sie zu sorgen.«

»Das war er.« Geneviève schüttelte den Kopf, als ein Dienstmädchen einen Teller mit winzigen Sandwiches anbot. »Selbst wenn ich wieder heiraten sollte, behalte ich meinen Anteil am Einkommen des Weinbergs. Mein Mann war so gedankenvoll.«

Und sie konnte nicht anders, als in Gedanken hinzuzufügen: Und das zu Recht. Natürlich war sie dankbar für seine Rücksichtnahme auf ihre Zukunft und ihr Glück, aber die Einigung war das, was sie verdiente, nachdem sie sie mit ihrem Körper bezahlt hatte.

Marguerite schien den Wunsch zu haben, das Thema weiter zu verfolgen, aber Hugo unterbrach sie mit einem Husten.

»Und wie gefällt Ihnen das Moor?«

»Oh! So wild und schön!« Geneviève hatte eine besondere Art gelernt, ihre Augen zum Funkeln zu bringen (der Gedanke an die Diamanten in ihrem Schmuckstück erwies sich als am wirksamsten), und wandte sie jetzt an. »Und gleichzeitig ist Wulverton Hall so gemütlich und voller Geschichte. Ziemlich erstaunlich.«

Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Wie diplomatisch Sie sind, und ich nehme an, Sie haben noch gar nicht den Durchzug bemerkt, der durch Ihr Schlafzimmerfenster hereinkommt, und der ermüdenden grauen Landschaft dahinter.«

Geneviève lachte charmant über Hugos Witz. »Wir nehmen das, was wir jeden Tag sehen, als selbstverständlich hin. Es kann die Neuheit neuer Erfahrungen und neuer Gesichter erfordern, um in uns neue Leidenschaft für das Leben zu erwecken.« Mit einem verführerischen Flattern ihrer Wimpern ließ sie die volle Breitseite ihres Charmes auf ihn los.

»Hier gibt es nicht viel, worüber man leidenschaftlich werden könnte«, erwiderte Hugo. »Das Land ist nur gut für Hammel und Wolle, und ich sehe mich nicht als Schafzüchter.«

»Aber es ist ein uralter Ort, dieses Moor? Und die de Wolfes von Wulverton Hall sind hoch angesehen. Ich möchte alles lernen.« Geneviève kam ein wenig näher heran und sorgte dafür, dass Hugos Knie Gefahr lief, ihres zu berühren.

Er hustete wieder und veränderte seine Haltung, was Muffin (oder vielleicht war es Tootle) dazu inspirierte, seinen großen, pelzigen Kopf auf das Knie seines Herrn zu legen.

»Ich habe gehört, dass Ihr Kutscher gestern Abend die alte Turnpike Road durch Postbridge genommen hat, vorbei an Wistman’s Wood.« Hugo legte ein Schinkensandwich auf seinen Teller. »Eine wagemutige Seele, in der Tat, denn nur wenige würden nach Einbruch der Dunkelheit die Brücke überqueren.«

»Der Fahrer hielt ein flottes Tempo aufrecht, aber ich glaubte, es war nur sein Wunsch, sein Ziel zu erreichen.«

Hugo brach das Sandwich in zwei Hälften, woraufhin jedes Stück zwischen speichelnden Hundekiefern verschwand. »Vielleicht haben Sie recht. Er war schließlich ein Mann aus Exeter. Sie kennen sich mit unserem Aberglauben hier nicht so gut aus.«

»Aberglaube sind nur Bauernängste, nicht wahr? Als moderner Mann glauben Sie doch nicht an sie, da bin ich mir sicher.« Geneviève nahm ihren ernstesten Gesichtsausdruck an.

»Nun, ich schenke solchen Geschichten im Allgemeinen keinen Glauben.« Hugo straffte seine Schultern. »Aber Wistman’s Wood ist der Ort, an dem der alte Dewer, der Teufel, seine Hundezwinger beherbergen soll. Es heißt, es sind riesige zottelige Hunde – wie Wölfe, mit blutroten Augen, riesigen gelben Reißzähnen und einem unersättlichen Hunger nach menschlichem Fleisch und Seelen. Seine Wisht Hounds erschnüffeln diejenigen, die durch das Moor gehen, um die Chance zu haben, sie von der Spitze des großen Felsens von Dewerstone in den Tod zu jagen.«

»Meine Güte!« Geneviève benetzte ihre Lippen und teilte sie dann in einem Ausdruck des Erstaunens.

»Also wirklich, Hugo!«, warf Lady Marguerite ein. »Du redest Unsinn.«

»Du magst recht haben, Mama, aber ich habe versucht, mit Muffin und Tootle in der Nähe spazieren zu gehen, und sie waren völlig stur. Keiner von ihnen wollte auch nur eine Pfote auf die Grenze legen.« Er sah beunruhigt aus und griff nach unten, um jedem Hund einen tröstenden Klaps zu geben. »Ich mag es auch nicht, mit dem Auto diese Richtung zu nehmen.«

Dann, als würde die Sonne hinter den Wolken auftauchen, hellte sich sein Gesicht genauso schnell wieder auf. »Es ist ein raffiniertes kleines Ding. Zehn Pferdestärken, müssen Sie wissen. Ein Wolseley-Zweizylinder. Fährt wie eine Schönheit!«

Geneviève widmete sich der entsprechenden Bewunderung. »Wie wagemutig Sie sind, das Steuer einer dieser aufregenden Maschinen zu übernehmen!« Sie hoffte, dass sie nicht zu dick auftrug. »Ich glaube nicht, dass irgendetwas Sie erschrecken könnte, Hugo. Was auch immer die Leute über diese Brücke oder den Wald oder diese schrecklichen Hunde sagen.«

Hugos Gesicht nahm rapide wieder Farbe an. »Man kann nicht vorsichtig genug sein. Es gab Fahrzeuge, die von der Straße gedrängt wurden, und man fühlt etwas Seltsames – als ob versteckte Augen einen beobachten würden. Höchst unheimlich.« Er rutschte auf seinem Sitz herum.

»Ich bin erst neulich von Moretonhampstead zurückgefahren und war spät dran, wissen Sie. Da ich die Glocke zum Abendessen nicht verpassen wollte, nahm ich den direktesten Weg, obwohl es bedeutete, durch Postbridge zu fahren. Frost lag in der Luft, also hatte ich meine dicken Handschuhe und meinen schweren Pelzmantel an. Als ich mich der Brücke näherte, wurde es viel kühler.«

Geneviève nickte und berührte seine Hand mit ihrer. Hugo schien begierig darauf zu sein, seine Geschichte zu erzählen, war aber blass geworden.

»Die Scheinwerfer des Wolsey sind überhaupt nicht schlecht. Acetylen, wissen Sie, und viel besser bei dem düsteren Wetter, das wir hier bekommen. Aber man muss jederzeit wachsam bleiben. Ich bog um die Kurve und sah ein Paar feuriger Augen mitten auf der Straße leuchten. Es hat mich fast zu Tode erschreckt, verdammt noch mal … wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen wollen.« Er runzelte die Stirn und strich sich mit einer Hand durch sein Haar.

»Ich habe nach der Bremse gegriffen, und das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich auf dem Eis wegrutschte. Es hat mich alle Anstrengung gekostet, die Kontrolle nicht komplett zu verlieren.«

»Aber es war nur ein Reh, Hugo Darling«, mischte sich Lady Marguerite ein. »Du hast es mir selbst gesagt. Es floh durch das Gras in Richtung Archerton Bog.«

»Das war es, aber da war auch noch etwas anderes.« Hugo wirkte für einen Moment unsicher. »Ich wollte es vorher nicht sagen, aber als das Auto auf die Brüstung der Brücke zusteuerte, hätte ich schwören können, dass ich Hände am Steuer sah. Die Hände eines anderen, meine ich.« Hugo sah plötzlich ziemlich krank aus. »Ich habe immer wieder versucht, umzudrehen, aber es hat nichts genützt. Ich kann sie immer noch sehen, diese Hände. Grässliche Dinger!«

»Wie scheußlich!« Geneviève umklammerte Hugos Arm. »Was für ein Segen, dass Sie unversehrt davongekommen sind!« Sie tat ihr Bestes, um ihre Miene aufrechtzuerhalten. Hugo war gut aussehend genug, und er hatte angenehme Manieren, aber er war so leicht zu beeinflussen. Ein perfekterer Kandidat für ihren zukünftigen Ehemann hätte sich nicht präsentieren können. »Sie sind ja so tapfer! Und zu denken, dass ich diesen Weg selbst gefahren bin, ohne mir seiner Gefahren bewusst zu sein!«

Hugo schüttelte sich und lächelte. »Ignorieren Sie meinen Unsinn. Zu viel Fantasie, und die Dunkelheit macht jeden nervös, nicht wahr?« Er blickte aus dem Fenster. »Der Regen scheint nachzulassen, und ich habe irgendwo eine zusätzliche Fahrbrille.« Die Farbe war ein wenig in sein Gesicht zurückgekehrt. »Wenn ich Sie in Versuchung führen kann, könnten wir den Wolseley vor dem Mittagessen für eine Runde aus der Garage holen.«

»Was für eine großartige Idee.« Lady Marguerite strahlte. »Aber zieht euch bitte warm an, meine Lieben. Wir wollen doch nicht, dass Sie sich erkälten, besonders bei all den Feierlichkeiten, die vor uns liegen.«

Geneviève verschwendete keine Zeit, um aufzustehen.

Ha!Vielen Dank, Lady Marguerite. Ihre Hilfe wird neben Ihrem Interesse an meinem Anteil am Weinberg zur Kenntnis genommen. Hugo wird es sehr gut gehen, und die Baronin de Boulainville und der Rest ihres Zirkels können mir ein Loblied singen, wenn ich an seinem Arm zu meinem geliebten Schloss zurückkehre.

KAPITELFÜNF

Da Geneviève eine Diät aus Kutteln und gekochtem Hammelfleisch befürchtet hatte, war sie erleichtert, dass die Verpflegung auf Wulverton Hall in den vergangenen Wochen recht schmackhaft gewesen war. Mrs. Fuddleby war eine geschickte Bäckerin und servierte eine besonders feine, gewürzte Obsttorte, dampfend heiß aus dem Ofen, begleitet von Devonshire-Creme.

Da sie in den vergangenen Jahren die Herrin ihres eigenen Haushalts gewesen war, war es ein bisschen anstrengend, wieder Gast zu sein, gezwungen, sich den Gewohnheiten anderer anzupassen, obwohl Geneviève in dieser Hinsicht jahrelange Erfahrung vorweisen konnte.

Sie hatte nie gut geschlafen oder gar friedliche Träume genossen. Zu viele Erinnerungen drängten sich auf, und gelegentlich ein schlechtes Gewissen, vermutete sie. So war es immer gewesen, und ihre Nächte in Wulverton Hall waren nicht anders.

Manchmal war es die Mutter Oberin gewesen, die ihre Ruhe durcheinandergebracht hatte, indem sie ihr befahl, auf dem Steinboden der Klosterkapelle zu knien und zehn Ave Maria für ihre Sünden zu beten. Andere Male sah sie ihre Mutter, die ihr einen Gutenachtkuss gab, bevor sie aus dem Zimmer fegte, um nie wieder zurückzukehren.

Geneviève dachte selten an Maxim, außer um sich an seinen Gesichtsausdruck zu erinnern, als sie ihm gesagt hatte, dass sie sein Kind erwarte. Von allen Betrügereien, die Geneviève angestellt hatte, beunruhigte sie diese eine am meisten. Er hatte sich so sehr gefreut, was es noch schlimmer gemacht hatte, als sie so tun musste, als hätte sie das Baby verloren. War es eine göttliche Strafe, dass dieses monatelange Teilen der Matratze zu keiner echten Schwangerschaft geführt hatte?

Es war ihre Angewohnheit, aufzustehen, wenn sie keine Ruhe finden konnte. Entweder tat sie irgendwas, das ihr Freude bereitete, oder sie holte sich einen beruhigenden Trunk aus der Küche. Lisette wäre natürlich für sie gegangen, aber es war das Aufstehen, das half.

Mehr als einmal war sie Withers auf ihren Zwielichtwanderungen begegnet. Erst am Abend zuvor hatte sie auf Mrs. Fuddlebys Herd in einem Töpfchen warmer Milch gerührt, als jemand mit einer Lampe am Fenster vorbeigegangen war.

»Ich schaue nur nach, dass alles ums Haus herum sicher ist, Madam«, hatte er gesagt und sich tatsächlich getraut, sie dafür zu schelten, dass sie aufgestanden war. »Sie werden sich erkälten.«

»Sie ebenfalls, Withers. Oder nicht?« Sie hatte ihre Verärgerung nicht verbergen können.

»Nein, Madam, denn ich bin für das Klima des Moors geboren, und seine Feuchtigkeit schadet mir nicht. Meine Familie lebt seit so vielen Generationen auf diesem Land wie die de Wolfes. Ich wette, es gibt niemanden sonst mit so viel Nebel in seinem Blut.«

Er hatte einfach dagestanden und darauf gewartet, dass sie ging, und sie hatte gehört, wie er die Tür hinter sich schloss. Wie unverhohlen! So hatte sie es in jenem Moment gedacht und ihm im Stillen zugetraut, sich heimlich an dem Sherry gütlich zu tun, der zum Kochen vorbehalten war. Es war jedoch nicht ihr Haus, und das waren nicht ihre Angestellten.

Tagsüber waren Dr. und Mrs. Hissop häufige Besucher und Reverend Wapshot und seine Frau. Ihre liebenswürdige Tochter Beatrice hatte von Kindheit an mit Hugo gespielt und war zweifellos in ihn verliebt. Sie passten offensichtlich so gut zusammen, dass Geneviève beinahe ein schlechtes Gewissen verspürte, weil sie um den schönen, engelsgleichen Hugo buhlte. Sie bezweifelte, dass eine Verbindung zwischen ihm und Beatrice Marguerites Zustimmung finden würde, aber wenn sich Hugo behauptete, würde die Werbung sicherlich Früchte tragen.

Leider war Beatrice’ Herz ein notwendiges Opfer von Genevièves Aspirationen, für die sie sich nach wie vor eifrig einsetzte.

Sie schlug vor, den Weihnachtsbaum gemeinsam zu schmücken, und hatte darauf bestanden, zierlich die Leiter hinaufzuklettern und Hugo einen Blick auf ihre schlanken Knöchel zu erlauben. Dann, wie es der Zufall wollte, hatte ein unerwarteter Schwindel ihn gezwungen, ihr hinunterzuhelfen und sie auf verlockende Weise auf Augenhöhe zu halten. Genevièves Lippen waren bereit gewesen, ihre Nähe zu seinen auszunutzen, aber Hugo war nur rot geworden und hatte nach Tee gerufen.

Dank ihrer Bemühungen war nun die Balustrade der großen Treppe mit Efeu geschmückt, und Girlanden hingen in jedem Zimmer. Es gab keinen Kaminsims, der nicht mit Stechpalmenzweigen, reich an hellroten Beeren, geschmückt war. Sie hatte die Möglichkeit eines Kusses mit jedem neuerlichen Mistelzweig heraufbeschworen, aber Hugo blieb ein absoluter Gentleman, egal, wie sehr Geneviève versuchte, ihn zu locken.

Er hatte sie in weißer Spitze und bedruckter Seide gesehen, in flotter Reitkleidung und in prächtigen Abendkleidern. Wenn er eine Präferenz hatte, war sie nicht offensichtlich.

»Oh, dieser Duft!«, hatte sie ausgerufen und sich gebückt, um den Duft der Zitronen einzuatmen, die im Wintergarten wuchsen. Was ihm einen unerhörten Blick auf ihr rundes Hinterteil ermöglicht hatte. »Wie sehr ich mich danach sehne, Ihnen diejenigen zu zeigen, die auf dem Rosseline-Anwesen wachsen.« Sie hatte sich zu ihm herumgedreht, war ihm skandalös nahe gekommen, hatte ihre Zunge an den Saum ihrer Lippen gedrückt und dabei einen Ausdruck angenommen, der unschuldiger war als der der Jungfrau Maria – eine Haltung, die sie während ihrer Tage mit Maxim bis zu erhabener Wirksamkeit perfektioniert hatte. »Alles, was mit diesem Ort der Schönheit zu tun hat, gehört Ihnen, wie Sie wissen.«

Hugo hatte es immer noch nicht gemerkt.

Er hatte sie auf drei Fahrten durch die nahen Felder mitgenommen, um Grün für ihre Kränze zu sammeln, jedes Mal ohne den geringsten Versuch, sich unangemessen zu verhalten.

Heute hatte Geneviève beschlossen, eine Ouvertüre einzuleiten. Ein versehentlicher Sturz gegen seinen Schoß könnte ausreichen, wenn ihre Lippen seine berührten, während sie sich aufrichtete. Selbst Hugo – so naiv und schüchtern – würde kaum umhin kommen, darauf zu reagieren. Die Reise würden sie unternehmen, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, obwohl Geneviève ihre schon in Paris gekauft hatte.

Das Wetter war herrlich, die schroffen Hänge unter einem klaren Himmel in Licht getaucht. Auf der Rückfahrt von Princetown deutete Hugo an, dass er etwas für Geneviève gekauft hatte, und sie begann ein kokettes Ratespiel.