Wie bezaubert man einen Highlander zu Weihnachten - Emmanuelle de Maupassant - E-Book
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Wie bezaubert man einen Highlander zu Weihnachten E-Book

Emmanuelle de Maupassant

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Beschreibung

In den wilden Mooren Schottlands, Weihnachten 1904 Auf der Flucht vor einer unerwünschten Ehe schlüpft Ursula in die Rolle einer Gouvernante, die auf einer entlegenen schottischen Burg erwartet wird. Was findet sie? Einen gutaussehenden Laird, der Erbe einer Grafschaft ist und fünf Bräute zur Auswahl hat! WAS SIE ERWARTET: Witziges Geplänkel, ein heißblütiger Held und eine hitzköpfige Heldin, knisternde Anziehungskraft und Leidenschaft in den wilden schottischen Mooren. Lust auf mehr Geschichten voller Romantik, Mysterien, Witz und Spannung? Der Reihe „Handbuch einer Lady“ der Autorin Emmanuelle de Maupassant : Wie bringt man einem Highlander die Liebe bei Wie gaukelt man eine Verlobung vor Wie täuscht man einen Lord Wie man in der Südsee die Liebe findet Wie verführt man einen transsilvanischen Grafen Wie angelt man sich einen Duke Diese Titel können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden, da es sich immer um eine allein stehende Geschichte handelt.

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WIE BEZAUBERT MAN EINEN HIGHLANDER ZU WEIHNACHTEN

EMMANUELLE DE MAUPASSANT

Handbuch einer Lady, Buch 2

Ins Deutsche übertragen von Daphne Evans

Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu

IMPRESSUM

Dieser Roman erschien ursprünglich in englischer Sprache unter dem Titel „The Lady’s Guide to Mistletoe and Mayhem“.

Copyright © 2019 Emmanuelle de Maupassant

Archivfotografie von Chris Cocozza

Übersetzt von Daphne Evans

Dark Castle Press : Keith Hall, Inverurie, Scotland, UK

www.emmanuelledemaupassant.com

Kontact : [email protected]

Bei diesem Roman handelt es sich um eine fiktive Geschichte. Die Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden auf fiktive Art und Weise integriert. Mit Ausnahme bekannter historischer Figuren und Orte ist jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Geschäftsbetrieben, Ereignissen oder Orten vollkommen zufällig.

Es dürfen keine Auszüge dieses Buches, die zum jetzigen Zeitpunkt bereits existieren oder zu einer späteren Zeit veröffentlicht werden, ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder auf elektronischem oder maschinellem Wege vervielfältigt werden, einschließlich in Informationsspeicherungs- und Datenabfragesystemen, mit Ausnahme kurzer Zitate, die Teil einer Kritik oder Buchrezension sind.

Inmitten der wilden schottischen Berge fällt der Schnee, aber die Geschichte von Rye und Ursula wird dein Herz erwärmen.

Meine Heldinnen werden von ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, wie jenen, denen wir uns noch heute stellen müssen – und zwar dem Streben nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, während sie sich gleichzeitig nach wahrer Liebe sehnen.

Genau wie die Frauen (und Männer) in meinen Geschichten bist auch du stärker, einfallsreicher und entschlossener als dir vielleicht bewusst ist.

Hinsichtlich Happy Ends … Wir alle vertrauen darauf, dass sich eine Situation zum Besseren wenden kann, solange wir durchhalten, und halten an der Hoffnung fest, dass die Chance besteht, ein Leben voller Liebe, Freundschaft und Zufriedenheit zu führen.

Fröhliches Lesen 

Alles Liebe

Em

PROLOG

Arrington Hall, Buckinghamshire

25. Dezember 1887

„Also wirklich, Eustace, es gibt keinen Grund, deswegen zu weinen!“

Ursula seufzte laut auf. Sie hatte Eustace doch nur darauf hingewiesen, dass sein hölzerner Wachmann nicht die richtigen Stiefel trug und seine Jacke nicht die richtige Anzahl von Knöpfen besaß. Es war lediglich eine Feststellung gewesen. Er musste ja nicht gleich losheulen! Manchmal war er genauso schlimm wie seine kleinen Schwestern.

„Hör zu, er kann meine Penelope trotzdem heiraten. Es macht ihr nichts aus. Stell ihn hin, damit sie ihre Gelübde ablegen können.“

Eustace schniefte, während er machte, was ihm gesagt wurde.

„Was für Stiefel sollte er denn tragen?“ Er berührte den Filz und runzelte die Stirn.

„Natürlich welche aus Leder, die bis zu den Knien reichen. Man braucht mindestens zwei Kilo Bienenwachs, um sie zu polieren.“ Ursula war stolz, dass sie solche Dinge wusste. „Ich werde Papa fragen, ob du uns begleiten kannst, wenn du das nächste Mal in der Stadt bist und wir in die Kaserne gehen. Das Haus am Eaton Square ist nicht weit vom Hyde Park entfernt.“

Sie leckte sich den Finger und wischte einen Fleck von Penelopes Wange. „Ich habe schon einmal auf einem der Pferde gesessen, obwohl ich hochgehoben werden musste, weil sie alle so groß sind. Wir können ja mal fragen, ob du auch eine Runde reiten darfst, wenn du magst.“

Eustace schaute sie entsetzt an. „Das … das möchte ich lieber nicht. Um ehrlich zu sein, ich habe immer noch ein bisschen Angst, seit ich von dem Pony runtergeworfen wurde.“

Ursula drückte seine Hand. „Es tut mir leid. Das hatte ich vergessen.“

Sie fand vieles an ihm ziemlich nervig, aber sie vermutete, dass er nichts dafürkonnte. Schließlich konnte nicht jeder immer tapfer sein, und sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie Papa an alle möglichen interessanten Orte begleiten durfte.

Ihre Gouvernante, Fräulein Scratchley, war vor einigen Monaten gegangen, und so hatte Papa beschlossen, Ursula vorübergehend mit in die Fabrik zu nehmen. Sie hatte alle möglichen Dinge gelernt, und Papa hatte ihr gezeigt, wie das Leder geschnitten wurde und mit welchen Maschinen die verschiedenen Arten von Schuhen, die dort angefertigt wurden, geformt und genäht werden konnten.

Anschließend hatte er ihr versprochen, ihr das Auftragsbuch zu zeigen, damit sie lernen konnte, wie man mithilfe der verschiedenen Spalten die Anschaffungskosten und den Verkaufspreis der Waren ausrechnete. Er hatte ihr erklärt, dass dies nützlich sei, wenn sie eines Tages ihren eigenen Haushalt führen werde.

Sie fand das alles sehr spannend. Papa hatte vor, ihr bald eine neue Gouvernante zu suchen, aber sie wollte viel lieber mit ihm in die Fabrik gehen.

Mama – die jetzt im Himmel war – würde sich darüber freuen. Daran hatte Ursula keinen Zweifel. Auch wenn Großvater Arrington dagegen war. Beim Weihnachtsessen hatte er zu Papa gesagt, dass er nichts von seiner „unwürdigen Arbeit“ bei Fairbury und Berridge hören wolle. Ihr Onkel hatte dem zugestimmt und es „vulgär“ bezeichnet.

Ursula konnte das nicht verstehen. Als Tante Philippa einst zu Besuch war, hatte sie gehört, wie sie ihre Mutter als eine „willkommene Partie“ beschrieben hatte, weil Fairbury und Berridge „sehr erfolgreich“ seien. Daher fand sie es seltsam, dass sich Großpapa und Onkel Cedric derart aufgeregt hatten.

Das Geschäft befand sich seit mehr als zwei Jahrhunderten im Familienbesitz ihrer Mutter, und Ursula konnte sich nicht erklären, warum es verwerflich sein sollte, wenn man mit der Herstellung von etwas so Nützlichem sein Geld verdiente. Darüber hinaus waren es nicht bloß irgendwelche Stiefel! Die Königin höchstpersönlich hatte Papa einmal die Hand geschüttelt und ihm dafür gedankt, dass er dem königlichen Hofstaat, zu dem auch ihr geliebtes berittenes Wachregiment gehörte, das Schuhwerk lieferte.

Erwachsene ärgerten sich über die seltsamsten Dinge.

Außerdem gab es keine männlichen Fairburys, die den Familienbetrieb hätten weiterführen können, da ihre Mutter keine Brüder oder Onkel gehabt hatte. Was hätte es also für eine Wahl gegeben? Und Papa war scheinbar sehr gut in dem, was er tat.

„Komm schon, Penelope.“ Sie küsste die Puppe auf die Stirn. „Es ist an der Zeit, deinen Wachmann zu heiraten, und dann könnt ihr gemeinsam in ein Abenteuer reiten.“

Sie holte zwei Sahnebonbons aus ihrer Tasche und reichte Eustace eines davon. „Stell ihn jetzt aufrecht hin.“

Eustace steckte sich das Bonbon in den Mund und lutschte nachdenklich daran. „Ich glaube, sie wollen auch, dass ich später einmal heirate. Wenn ich muss, kann ich dann dich heiraten, Ursula? Ich hätte nicht so viel dagegen, wenn du es wärst.“

„Aber ich weiß nicht, ob ich es tun werde.“ Ursula sah Eustace von der Seite an. „Heiraten, meine ich.“ Sie zupfte die Spitzenrüsche an Penelopes Hals zurecht. „Damen nehmen sich Ehemänner, damit sie jemanden haben, der sich um sie kümmert, aber ich kümmere mich lieber um mich selbst. Papa sagt, ich erbe seine Hälfte des Familienunternehmens und kann machen, was ich will.“

„Oh!“ Eustace schaute bedrückt zu Boden und zog den Hut des Wachmanns ab. „Ich glaube, dass ich das falsch verstanden hatte. Ich dachte, du würdest dich um mich kümmern.“

Ursula beugte sich vor und küsste ihren Cousin auf die Wange. „Keine Sorge, Eustace. Was auch passiert, wir werden immer aufeinander aufpassen.“

„Versprochen?“ Eustace wirkte unsicher.

„Ja. Und wir werden niemals irgendetwas tun, was wir nicht wollen.“

„Niemals?“

„Nicht, wenn ich es verhindern kann.“ Sie grinste und nahm sich ein weiteres Bonbon.

KAPITEL EINS

Burg Dunrannoch

23. November 1904

„Wach auf, Lachlan!“

Lady Balmore schüttelte ihren Mann an dessen Schulter.

Er richtete sich schnaufend auf. „Was ist los, Mary? Was ist denn passiert?“

„Die Tür!“, flüsterte Lady Balmore. „Da ist jemand.“

„Dann mach das verdammte Ding doch auf!“ Viscount Balmore warf die Bettdecke wieder über sich und grummelte ein paar sorgfältig ausgewählte Worte.

„Lachlan!“ Sie schüttelte ihn erneut. „Ich glaube nicht, dass es Murray oder Philpotts sind. Es war ein merkwürdiges Klopfen … nicht ihre übliche Art.“

„Was redest du denn da, Weib! Ein merkwürdiges Klopfen! Das sind bestimmt nur die Rohrleitungen. Schlaf weiter und lass mich in Ruhe.“

Lady Balmore legte ihren Kopf wieder auf das Kissen, blieb jedoch weiterhin wachsam.

Schon in der Nacht zuvor hatte Lachlans Großmutter, die Witwe des Viscounts, geschworen, sie habe eine verschleierte Gestalt gesehen, die durch ihr Ankleidezimmer geschwebt sei. Sie war allerdings verschwunden, bevor ihr Dienstmädchen das Zimmer betreten hatte.

Angeblich waren in der Burg bereits mehrere dieser Erscheinungen gesichtet worden. Es war die Rede von einem enthaupteten Krieger, der sich auf den Burgzinnen herumtrieb, einem bedauernswerten Zimmermädchen, das wimmernd durch die Sängerempore rannte, und der Angst einflößenden Erscheinung von Camdyn Dalreagh, dem ersten Oberhaupt des Clans. Ihm wurde nachgesagt, dass er immer dann, wenn ein Mitglied des Clans sein Ende finden sollte, ein schauriges Lied auf dem Dudelsack spielte.

Lady Balmore hatte das Moor noch nie gemocht, genauso wenig wie die Burg. Sie war auch nicht besonders angetan von dessen Bewohnern. In ihrem schönen Stadthaus in Edinburgh hatte sie sich viel wohler gefühlt. Die Läden waren dort wirklich ausgesprochen schön, und sie hatte Freunde, mit denen sie sich immer treffen konnte. Dort hätten sie und Lachlan eigentlich sein sollen – nicht hier, mitten im Nirgendwo, wo sie in Brodies Fußstapfen treten mussten.

Aber was blieb ihnen anderes übrig? Es hieß, dass ein ausgefranster Riemen unter seinem Sattel die Ursache gewesen sei – und plötzlich war sein Bruder nicht mehr da, und Lachlan war gezwungen, seinen Platz einzunehmen.

Der alte Lord war seit fünf Jahren bettlägerig und würde nicht mehr lange leben. Danach würde Lachlan der Earl von Dunrannoch sein. Sie wusste, dass sie sich darüber freuen sollte, aber das Einzige, woran sie denken konnte, war die Tatsache, dass sie den Rest ihres Lebens in diesem feuchten und windigen Granitblock verbringen musste. Es war zum Heulen!

Sie seufzte und schloss die Augen. Sie musste das Beste aus der Situation machen – und bis zum Weihnachtsfest waren es schließlich nur noch ein paar Wochen. Sie würde Bonnie mitnehmen und unter dem Vorwand, Geschenke kaufen zu müssen, einen ausgedehnten Aufenthalt in den Stadtwohnungen in der Princes Street planen. Die jüngeren Mädchen könnten nach Abschluss ihres Herbstsemesters an der Miss McBrides Akademie für Damen nachkommen, und sie würden alle eine herrliche Zeit miteinander verbringen.

Ja, sie würde die Stadt besuchen. Um Himmels willen, sie hatte sich eine Auszeit von diesem trostlosen Ort verdient.

Sie war schon fast wieder eingeschlafen, als es erneut klopfte. Fünf langsame Schläge und eine längere Pause dazwischen.

So hatte sich noch nie jemand angekündigt.

„Lachlan!“ Lady Balmore schüttelte ihn ein weiteres Mal. „Die Tür!“

„Ah, du törichtes Weib! Gibst du mir keine Ruhe, bis du mich endlich aus dem Bett gejagt hast?“

Der Viscount zündete die Kerze an, die sich neben seinem Bett befand, und schlüpfte mit den Füßen in seine Pantoffeln. Er tastete nach dem Hausmantel und schimpfte weiter.

„Ich schau jetzt nach, und dann will ich nichts mehr davon hören!“

* * *

Als er den Gang betrat, war bis auf das schwache Kerzenlicht, das ihn umgab, alles dunkel. Die wenigen Fenster waren schmal und tief in das Gemäuer eingelassen. Lediglich bei Vollmond und klarem Himmel wurde dieser Abschnitt der Burg beleuchtet.

Balmore hielt die Kerze nach oben. „Hier ist keine Menschenseele, Mary. Das ist nur deine Fantasie, die dir einen Streich spielt.“

Er schüttelte den Kopf und machte kehrt, doch genau in diesem Moment ertönte in der Ferne das klägliche Geräusch. Balmore erstarrte an Ort und Stelle.

Das konnte nicht sein. Nicht schon wieder!

Es waren ganze sechs Monate vergangen, seitdem der schaurige Dudelsack das letzte Mal gehört worden war, und Brodie war am folgenden Morgen verstorben. Camdyn Dalreagh war zurückgekehrt, um sie ein weiteres Mal zu warnen.

Balmores Hand zitterte, als er sich dem Balkon des Treppenhauses näherte und seinen Blick in den finsteren Abgrund richtete, von dem das jämmerliche Geheul ausging.

Vaters Zeit ist wohl gekommen. Möge der Herr sich seiner Seele annehmen und ihn zur ewigen Ruhe begleiten.

Balmore entsandte ein stilles Gebet an den Himmel.

Es wäre angebracht, sich an sein Bett zu begeben und die Hand des alten Mannes zu halten, während dieser zur nächsten Welt hinübergeht.

Das Schlafgemach seines Vaters befand sich im unteren Stockwerk. Er tastete sich am Geländer entlang bis zur kalten Steinwand und nahm die ersten Stufen nach unten.

Balmore spürte den Windhauch einer Bewegung hinter sich viel zu spät. Ein kräftiger Stoß in den Rücken schleuderte ihn in die Luft. Auf der fünften Stufe schlug sein Schädel auf der steinernen Kante auf.

Die dumpfen Schritte entfernten sich, und mit ihnen verstummte auch der Dudelsack. Die Kerze, die vor ihm gelandet war, erlosch und tauchte den Gang in Dunkelheit.

KAPITEL ZWEI

Santa Maria Ranch, in der Nähe von San Antonio, Texas

3. August 1905

Rye blickte auf, als sich die Tür öffnete. José Luis und Antonio nickten ihm zu, als sie eintraten, dicht gefolgt von Alejandra.

„Es wird nicht lange dauern.“ Mit geröteten Augen blickte sie zu Rye und überlegte anscheinend, ob sie noch mehr sagen sollte, doch berührte schließlich nur seinen Arm. „Ich lasse dir Kaffee und etwas heißes Wasser zum Waschen bringen.“

Rye hatte sich sofort auf den Weg gemacht und nicht einmal seine Kleidung gewechselt. Der Staub haftete noch immer auf seinem Gesicht. Er war die ganze Zeit über fort gewesen, um das Vieh zum Bahnhof zu treiben.

Er hätte nicht gehen sollen. Er wäre nicht gegangen. Nicht, wenn er es bemerkt hätte.

Hatte Alejandra es gewusst?

Nicht, dass es irgendeine Rolle spielte.

Nichts davon spielte eine Rolle.

„Ich bin hier, Pa.“

Rory Dalreagh wandte sich seinem Sohn zu. Bis auf zwei farbige Stellen auf seinen Wangen war er vollkommen bleich. Rye griff nach dem Stuhl neben dem Bett und nahm die Hand seines Vaters.

„Ich muss dir etwas zeigen, Rye.“ Ein gefaltetes Blatt Papier lag auf der Bettdecke. „Ich hätte es dir geben sollen, als es gekommen ist, aber ich war nicht bereit gewesen. Noch nicht. Ich dachte, wir hätten mehr Zeit.“ Er schenkte Rye das kleine Lächeln, das er so gut kannte, bevor er anfing zu röcheln und sich hustend abwandte.

Rye richtete seinen Vater auf und legte die Arme um die Schultern des älteren Mannes. „Du hast Zeit, Pa.“ Rye strich ihm über den Rücken. „Trink langsam.“

Er sah Blutflecken auf der Bettwäsche und weitere auf dem Kopfkissen. Auch auf dem Taschentuch, das sich sein Vater vor den Mund hielt, war Blut.

„Nur ein wenig … kurzatmig.“

Sein Vater nahm das Glas Wasser, das Rye ihm reichte, und trank einen Schluck, obwohl er offensichtlich Schwierigkeiten beim Schlucken hatte.

Ryes Brust krampfte sich schmerzhaft zusammen. In den vergangenen Monaten hatte sich der Zustand seines Vaters deutlich verschlechtert. Der Schmerz zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, und unter seinem dünnen Nachthemd bestand er nur noch aus Haut und Knochen. Dabei war Rory Dalreagh stets stark gewesen und hatte an der Seite seines Partners Pedro auf der Ranch gearbeitet – und das noch härter, nachdem Pedro vor vier Jahren verstorben war.

„Lies ihn.“ Die Finger seines Vaters fuhren über das taubengraue Briefpapier. Seine Stimme klang eindringlich.

Der Brief war mit einer eleganten Handschrift versehen, die beide Seiten bedeckte, und trug ein goldenes Wappen.

Burg Dunrannoch

Perthshire

18. Dezember 1904

Mein lieber Rory,

ich hoffe, dass es dir gut geht und dass du so gütig bist, alles zu lesen, was ich dir mitteilen muss. Glaube mir bitte, dass ich auch weiterhin deine hingebungsvolle Stiefmutter bin, ungeachtet der Schwierigkeiten, die die Vergangenheit mit sich brachte.

Dein Vater wollte diesen Brief eigenhändig verfassen, aber er ist derzeit verhindert, da er unter Arthritis und einer schweren Depression, die wir alle miteinander teilen, leidet.

Er hat mich darum gebeten, dir in seinem Namen zu schreiben, doch sei dir bitte bewusst, dass auch ich dir aus tiefstem Herzen schreibe. Ich bete darum, dass dieser Brief dich erreicht, wenngleich er dafür eine so weite Entfernung zurücklegen muss.

Trotz der Entfremdung, die seit dreißig Jahren zwischen dir und deinem Vater bestanden hat, hat er nie aufgehört, die bösen Worte und deine überstürzte Abreise zu bedauern. Es ist sein sehnlichster Wunsch, dass du ihm seine verletzenden Worte vergibst und ihr euch wieder versöhnt.

Ich habe vor einiger Zeit herausgefunden, dass du mit Mrs. Middymuckle Briefkontakt gehalten hattest. Aufgrund der gegebenen Umstände, unter denen ich dir schreibe, war ich imstande, die freundliche Dame zu überreden, mir deine Adresse mitzuteilen und mir zu erzählen, was sie von deinem Leben in der Neuen Welt zu teilen bereit war.

Ich habe von ihr erfahren, dass deine Frau kurz nach deiner Ankunft in Texas und der Geburt deines Sohnes verstorben war. Ich hoffe, dass du mein Beileid entgegennimmst. Hoffentlich kann die Nachricht, die ich dir auf diesem Wege überbringe, sie erfreuen, während sie vom Himmel aus über dich wacht. Und vielleicht wird die Zukunft die Ungerechtigkeit der Vergangenheit ein Stück weit wiedergutmachen.

Mit Bedauern muss ich dir mitteilen, dass deine beiden Brüder, Brodie und Lachlan, während der vergangenen zwölf Monate von uns gegangen sind. Die Einzelheiten ihres Ablebens müssen wir nicht im Detail besprechen. Es genügt zu sagen, dass ihr Tod unerwartet kam – durch ein Unglück anstatt durch Krankheit – und dass die Familie zutiefst erschüttert und betrübt ist. Der Kummer deines Vaters war, wie du dir sicher vorstellen kannst, enorm.

Wenn ich diesen Brief korrekt adressiert hätte, so müsste ich dich Balmore nennen, denn der Titel des Viscounts gebührt nun dir, als Erbe deines Vaters.

Du hast dir fernab deines Stammsitzes ein neues Leben geschaffen, aber Dunrannoch braucht dich.

Ich ersuche dich, nach Hause zurückzukehren, um deinen Titel anzunehmen und unsere größten Hoffnungen zu verwirklichen.

Mit größter Hochachtung und tiefster Liebe

Lavinia Dalreagh

Komtess von Dunrannoch

Rye legte den Brief stirnrunzelnd beiseite. Er kannte die Geschichte, warum sein Vater Schottland verlassen hatte – er wusste, dass es an der Wahl seiner Braut lag, die zur Entfremdung geführt hatte.

Ailsa war eine Gefährtin von Rorys Großmutter, Flora Dalreagh, gewesen – und in den Augen des Earls war sie unter ihrer Würde. Obwohl Rory lediglich der dritte Sohn war, wurde von ihm dennoch erwartet, dass er innerhalb der Oberschicht heiratete. Ailsa war die Tochter eines Pfarrers gewesen. Zwar vornehm, aber nicht gut genug positioniert, um die Dalreaghs zufriedenzustellen.

Rye hatte sich schon immer über die Art und Weise geärgert, wie seine Mutter behandelt worden war – und natürlich auch sein Vater.

„Sie werden ohne dich auskommen müssen“, sagte Rye mit schroffer Stimme. „Sie haben dich vor so vielen Jahren einfach aufgegeben. Warum solltest du also jetzt zurückkehren, nur weil es ihnen gerade gelegen kommt?“

„Die Pflicht.“ Rory ließ den Kopf zurück in das Kissen sinken. „Das ist der einzige Grund, der von Bedeutung ist.“

„Ich werde ihnen eine Antwort schreiben. Ich werde es erklären. Was sie von dir verlangen, ist zu viel. Sollen sie sich doch jemand anderen suchen.“ Rye nahm das Papier an sich, faltete es zusammen und verstaute es in seiner Tasche.

„Sie brauchen bereits jemand anderen.“

Rye legte seine Hand auf die seines Vaters. Seine Finger waren abgemagert und die Haut hauchdünn. Er wollte ihm sagen, dass er auf diese Weise nicht sprechen sollte – dass er sich nur ausruhen musste, um wieder zu Kräften zu kommen.

Aber das wäre eine Lüge gewesen.

Er hatte sich das einreden können, bevor er sich mit dem Vieh auf den Weg gemacht hatte – aber er war kein Narr.

„Du bist es, den sie brauchen.“ Sein Vater sah Rye weiterhin mit festem Blick an. „Ich kann dich nicht zu etwas zwingen, das du nicht willst. Ein Mann muss seinen eigenen Weg gehen. Ich weiß das besser als jeder andere. Aber ich wünsche mir, dass du gehst, Rye. Ich möchte, dass du zu dem wirst, was sie brauchen. Es ist mehr als nur ein Titel. Es gibt ein Anwesen, das man leiten muss – ähnlich wie diese Ranch, aber mit viel mehr Menschen, um die sich gekümmert werden muss. Deine Pächter, die darauf angewiesen sind, dass du alles am Laufen hältst.“

Rorys Gesicht war blass und von Schweiß bedeckt, seine Stimme klang rau. Aber er hielt Ryes Hand fest umschlossen. „José Luis und Antonio haben mein Testament bezeugt, Rye. Ich vermache Alejandra und den Jungs die Ranch. Juan wird bald zweiundzwanzig, und die anderen sind nicht viel jünger. Sie wissen, was sie zu tun haben.“

Rye verspürte einen Schmerz in seiner Brust. Er war auf der Ranch geboren worden – war hier aufgewachsen und zu einem Mann geworden. Die Landschaft, das Vieh, die Pferde, die Menschen – sie waren ein Teil von ihm.

Und sein Vater verlangte von ihm, dass er all das hinter sich ließ?

„Die Ranch befand sich im Besitz von Pedros Familie, lange bevor ich als Partner einstieg. Es ist nur rechtens, dass seine Söhne sie übernehmen. Geh nach Osten, nimm den Zug, buche dir eine Überfahrt von New York. Mach dich auf den Weg nach Dunrannoch. Sie werden sich um dich kümmern. Und ich wette, sie finden auch gleich eine Frau für dich! Du wirst bald siebenundzwanzig, Rye. Ein Mann kann nicht für immer ledig bleiben. Schick vor deiner Ankunft ein Telegramm, und sie werden dir eine junge Schönheit präsentieren, die dein Herz schneller schlagen lässt als eine Herde Langhornrinder!“ Rorys Lachen war nur von kurzer Dauer und ging in einen Hustenanfall über.

Rye führte das Wasser wieder an die Lippen seines Vaters.

„Ich bin nur ein einfacher Rancher aus Texas, und das ist eine ganz andere Welt. Ich befürchte, dass ich einen jämmerlichen Viscount abgeben werde.“

„Du bist ein Dalreagh. Wir sind dickköpfig und stolz, aber wir kommen unserer Pflicht nach.“ Er drückte Ryes Finger. „Du wirst das schon schaffen.“ Er schenkte ihm erneut ein kleines Lächeln. „Außerdem klingt es so, als würde es nicht mehr lange dauern, bis das ganze Kabuff dir gehört. Mein Vater ist ein zäher, alter Bock, aber du wirst bald in seine Fußstapfen treten. Du wirst mehr als nur ein Viscount sein. Du wirst ein Earl sein.“

Und ich will das alles nicht. Ich will nur, dass du bei mir bleibst – und alles so weitergeht wie bisher. Du und ich auf der Ranch, Pa. Das ist alles, was ich kenne. Es ist mein Zuhause.

Konnte er das überhaupt?

Die Augen seines Vaters schlossen sich bereits. Er war erschöpft von dem, was ihn im Inneren zerfraß.

Eines war jedoch sicher: Rye war der Sohn seines Vaters. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde er es auch tun.

Er würde den Dalreaghs schon zeigen, dass sein Vater gute Arbeit bei seiner Erziehung geleistet hatte.

„Das klingt wirklich großartig, Pa.“

Die Worte beruhigten Rory, und er fiel in einen unruhigen Schlaf.

Rye wischte sich Gesicht und Hände sauber, trank seinen Kaffee und lehnte sich in dem Stuhl neben dem Bett seines Vaters zurück. Durch die geöffneten Vorhänge fiel ein silbriges Licht auf das Fußende des Bettes – ein heller Streifen, der in die Nacht führte.

Rye blieb wach und hielt die Hand seines Vaters, während er seinen röchelnden Atemzügen lauschte.

Schließlich lag der Körper, der so gebrechlich geworden war, still und ruhig da.

Rory Dalreagh überwand seinen Schmerz und folgte dem Pfad des Mondscheins.

KAPITEL DREI

Arrington House, Eaton Square, Belgravia

Nachmittag, 12. Dezember 1905

Tilly, Ursulas Dienstmädchen, betrat das Schlafgemach. Wie es in letzter Zeit zur Gewohnheit geworden war, saß Ursula mit einem Buch am Fenster, wobei sie sich weder auf die Aussicht noch auf den Text in ihrem Schoß konzentrieren konnte.

Tilly zog die Tür hinter sich zu, räusperte sich leicht und knickste, als Ursula ihren Blick auf sie richtete. „Seine Lordschaft wünscht, Sie in der Bibliothek zu sehen, Fräulein.“

Ursula legte den Roman seufzend beiseite. Sie hatte ihn vor einigen Tagen begonnen, war jedoch nicht weiter als bis zur zwanzigsten Seite gekommen. Es gelang ihr nicht, ihre Aufmerksamkeit mehr als ein paar Minuten auf etwas zu richten.

Es waren gerade einmal drei Monate seit der Beerdigung ihres Vaters vergangen. Sie brauchte Zeit – so wurde es ihr jedenfalls von allen mitfühlend versichert.

Sie war nicht die Erste, die den Menschen verloren hatte, der ihr am meisten am Herzen lag. Es gab zu diesem Zeitpunkt vermutlich Tausende von jungen Frauen in London, die ihre Eltern verloren hatten und sich auf eine völlig ungewisse Zukunft einstellen mussten.

Man blicke einfach nach vorn und schlage sich tapfer durch. Derartige Bemerkungen sollten sie eigentlich trösten. Aber das war natürlich nicht der Fall.

Sie hatte ihren Vater an jenem letzten Morgen noch mit einem Kuss verabschiedet und ihn daran erinnert, dass sie zur Mittagszeit vorbeikommen werde, um die neueste Lederlieferung zu prüfen. Obwohl er anfangs Bedenken hatte, Ursula zu erlauben, volle Tage in der Fabrik zu verbringen, hatte er mittlerweile begonnen, ihren Wunsch, mehr über den Betrieb zu lernen, endlich ernst zu nehmen. Sie hatte ihn allmählich davon überzeugt, sie in die Arbeitsabläufe von Fairbury und Berridge einzuweisen und ihr die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen.

Sie hatte gerade ihren Hut gebunden, als der Kurier aufgeregt am Haupteingang geklopft hatte, noch völlig außer Atem, nachdem er über die Victoria Bridge geeilt war. Sie hatte ihn in ihre Kutsche gedrängt, und sie machten sich auf den Weg durch den dichten Verkehr, während Ursula die gesamte Zeit über versuchte, mehr Informationen aus Mr. Berridges Laufburschen herauszubekommen.

Als sie jedoch angekommen waren, war es bereits zu spät gewesen. Der Doktor war dabei, seine Tasche zu packen. Er hatte ihr versichert, dass es sich um ein schnelles Ende gehandelt hatte – ein einfacher Herzinfarkt. Lediglich ein flüchtiger Augenblick des Schmerzes. Mehr nicht.

Ursula stand auf und glättete ihre Röcke. Eine Audienz bei ihrem Onkel, Viscount Arrington, war zwar keine erfreuliche Angelegenheit, aber sie war sich bewusst, dass sie höflich auf seine Wünsche eingehen musste.

Sie war ihm dankbar dafür gewesen, dass er die erforderlichen Vorkehrungen getroffen und Ursula angewiesen hatte, bei der Familie am Eaton Square zu wohnen. Er hatte unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass das Haus in Pimlico, das aufgrund seiner Nähe zu den Werkstätten in Battersea gekauft worden war, nicht angemessen sei – vor allem nicht für eine alleinstehende junge Dame wie sie.

Sie war froh über den Umgebungswechsel, da jedes Zimmer in dem Haus, das sie mit ihrem Vater geteilt hatte, ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte.

Doch nun brannte sie darauf, etwas zu tun und irgendwo hinzugehen, um diesem schrecklichen Gefühl zu entkommen, dass alles falsch lief.

Ihre Tage bestanden aus einer Abfolge von Belanglosigkeiten, deren Höhepunkt der Nachmittagsausflug durch den Hyde Park war – eingepfercht zwischen Tante Phillippa und Lucy, während Amelia, Harriet und Eustace ihnen gegenübersaßen.

An anderen Tagen fuhren nur Eustace und sie in Begleitung von Tante Phillippa, was einfach nur unangenehm war.

Gestern hatte sie Onkel Cedric gegenüber erwähnt, sie wolle Fairbury und Berridge besuchen, um zu sehen, wie man dort ohne ihren Vater zurechtkam, aber dieser hatte die Idee abgetan und vorgeschlagen, sie solle ihre Cousinen auf einen Einkaufsbummel durch die Burlington Arcade begleiten.

Also hatte sie ihm eine Nachricht geschrieben, in der sie ihren Wunsch klar zum Ausdruck brachte, in das Haus in Pimlico zurückkehren zu wollen und ihrem gewohnten Tagesablauf wieder nachzugehen.

Sie erstickte hier im Arrington House. Es war, als wäre ein Teil von ihr zusammen mit ihrem Vater gestorben und der Teil, der noch verblieben war, wollte verzweifelt nach Luft schnappen.

* * *

„Dein Vater hat dir viel zu viel durchgehen lassen.“

Onkel Cedric saß hinter seinem Schreibtisch und musterte Ursula mit einem scharfen Blick. „Da bist du nun, nicht mehr weit von deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag entfernt, und trotzdem hast du den Bund mit Eustace immer noch nicht offiziell gemacht.“

Ursula rutschte auf ihrem Stuhl und seufzte innerlich. Mit siebzehn hatte Eustace ihr den Vorschlag gemacht, ihn zu heiraten, wenn sie keinen anderen finde, den sie haben wolle. Sie sahen sich nur bei Familientreffen, und sie hatte gehofft, er hätte mittlerweile gemerkt, dass es sich dabei nur um eine kindische Idee handelte. Es verband sie nichts Besonderes. Sie mochten einander, aber mehr auch nicht.

Eustace hatte ihr seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr auf Drängen seines Vaters – dessen war sie sich sicher – dreimal einen Heiratsantrag gemacht, und es war ihr jedes Mal gelungen, einer angemessenen Antwort aus dem Weg zu gehen. Von Liebe konnte keine Rede sein – und auch nicht davon, dass sie ihm das Herz gebrochen hätte. In den vergangenen Jahren schien er jedes Mal beinahe erleichtert zu sein, nachdem sie ihm ausgewichen war.

Ehrlich gesagt, es war nicht nur Eustace, an dem sie nicht interessiert war. Es gab niemanden, mit dem sie sich niederlassen wollte – oder für den sie sich niederlassen wollte – und es hatte genug Kandidaten gegeben, aus denen sie hätte wählen können.

Während der Ballsaison, in der Tante Phillippa sie bei Hofe vorgestellt hatte, waren mindestens drei junge Männer zu Besuch gekommen. Selbst Mr. Berridges Sohn hatte ihr ein Angebot gemacht – samt einer Rede darüber, wie weise es doch wäre, ihre beiden Häuser zu vereinen. Als wären sie Figuren in einem Stück von Shakespeare.

Sie hatte kein Interesse. Jeder von ihnen war ein Schnösel gewesen.

Falls sie Eustace oder irgendjemand anderen heiratete, würde er ihr dann gestatten, ihre eigenen Ambitionen zu verfolgen? Oder würde er wie Onkel Cedric sein und betonen, dass die Frau ihren Platz im Haus habe und dass es vulgär sei, außerhalb nach einer Tätigkeit zu suchen?

Wie sollte sie ihre eigenen Interessen verfolgen, wenn sie ihrem Mann die ganze Zeit über Gehorsam leisten musste?

Fairbury und Berridge war Teil der Männerwelt. Es war die Welt des Handels und des Kommerzes, in der Entscheidungen getroffen wurden und Dinge geschahen. Sie war nicht bereit für ein Leben bestehend aus morgendlichen Appellen und musikalischen Nachmittagen, die durch Dinnerpartys und Soireen unterstrichen wurden.

„Das Dasein als Ehefrau und Mutter!“ Onkel Cedric schlug mit der Faust auf den Mahagonitisch. „Das sind die Aufgaben, die für dich von Belang sein sollten, Ursula. Dieser Unsinn darüber, den Betrieb deines Vaters übernehmen zu wollen, muss endlich ein Ende haben. Es würde den edlen Namen Arrington durch den Dreck ziehen.“

Er trat an das Kaminfeuer und betrachtete sie einige Augenblicke, als überlegte er, was er als Nächstes sagen sollte, da sie ihm eine Antwort schuldig blieb. Ursula saß kerzengerade. Ihr Onkel hatte ein Anrecht auf seine Meinung, und da sie sich in seinem Haus befand, würde sie ruhig bleiben und zuhören, während er seinen Standpunkt äußerte. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie deswegen ihre Stellung in dieser Angelegenheit ändern würde. Er strich sich über seinen Schnurrbart und runzelte die Stirn. „Schlimm genug, dass dein Vater sich dazu überhaupt hinreißen ließ, in ein derart widerwärtiges Geschäft verstrickt zu werden.“

Ursula blinzelte.

Widerwärtig?

Ihr Onkel hatte die Gewinne dieses Geschäfts nicht so scheußlich gefunden, als er im vergangenen Jahr Gelder zur Reparatur des Daches von Arrington Hall beantragt hatte. Und dies war kein Einzelfall gewesen, wie die Bücher ihres Vaters belegten.

Ihr Onkel fuhr fort. „Die Heirat deines Vaters mit deiner Mutter erfolgte aus Zweckmäßigkeit, da er kein eigenes Vermögen besaß und keine Aussichten auf den Titel hatte, den ich heute trage. Deine Mutter war von niedriger Geburt, und nur ihr Reichtum sprach für sie.“

Ursula schnappte nach Luft.

Wie konnte er es wagen! Dieser abscheuliche, aufgeblasene, unverschämte Heuchler.

Doch Onkel Cedric war noch nicht fertig. Seine Lippen verzogen sich zu einem hässlichen Grinsen. „Es ist zwar sehr schade, dass du aus solch bedauerlichen Verhältnissen stammst, aber ich habe dich stets wie eine von uns behandelt und über diesen Missstand deiner Geburt hinweggesehen. Du bist eine von uns, und deine Heirat mit Eustace wird dir einen Platz in der Gesellschaft sichern. Ganz gleich, was andere insgeheim denken, sie werden es nicht wagen, es in deiner Gegenwart auszusprechen, sobald du dich an der Seite meines Erben befindest.“

Ursula biss die Zähne zusammen und konnte ihre Wut kaum unterdrücken. „Großvater zeigte sich mehr als zufrieden damit, über den ‚Missstand‘ meiner Mutter hinwegzusehen, als er der Verlobung und der damit verbundenen stattlichen Mitgift zustimmte, während die ‚bedauerliche‘ Quelle von Mutters Vermögen dich nicht davon abgehalten hat, davon Gebrauch zu machen.“ Sie brodelte förmlich vor Wut, nachdem sie nun begonnen hatte.

„Was für eine Unverschämtheit!“ Das linke Auge des Viscounts zuckte, während das andere erschreckend hervorquoll. „Du bist es, Nichte, die es versäumt, den Anstand zu wahren! Wenn ich nicht so ein würdevoller Mann wäre, würde ich dich sofort aus diesem Haus verweisen. Aus diesem Grund bitte ich dich, dein Zimmer aufzusuchen und dort zu bleiben, bis du bereit bist, dich zu entschuldigen und deine Zunge im Zaum zu halten.“

Ursula war ebenfalls aufgestanden und hatte sich zu ihrer vollen – wenn auch bescheidenen – Größe aufgerichtet. Sie hatte jedoch nicht die Absicht zu gehen.

Ihr lag noch so einiges auf der Zunge.

„Wenn dich meine Offenheit beleidigt, Onkel, dann empfehle ich dir, dich um die Ursache zu kümmern. Und was mein Auszug aus diesem Haus angeht, so würde mir nichts mehr Freude bereiten.“ Sie hob ihr Kinn an. „Morgen früh werde ich in der Kanzlei von Mr. Bombardine einen Antrag auf Einsicht stellen, um mir die Papiere meines Vaters anzusehen. Des Weiteren werde ich auch unverzüglich ein Treffen mit Mr. Berridge arrangieren. Du brauchst dir keine Sorgen mehr darüber zu machen, dass der Name Arrington in Verruf geraten könnte, denn ich werde jede Annahme widerlegen, dass wir verwandt sind.“

„Widerwärtiges, undankbares Mädchen.“ Die Nasenlöcher des Viscounts blähten sich auf. „Wie auch immer, suche Bombardine gerne auf. Er wird dir nicht nur mitteilen, dass ich bis zu deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag die Vormundschaft über dich sowie sämtliche Vermögenswerte in deinem Besitz habe, sondern auch, dass das Haus in Pimlico verkauft wurde …“

„Verkauft?“ Die Hitze in Ursulas Brust rauschte in ihren Kopf. „Du kannst nicht wirklich …“

„Doch.“ Er ging zum Fenster und sah sie nicht einmal an. „Der gesamte Hausrat wurde letzten Monat versteigert. Deine persönlichen Sachen wurden hierher gebracht und befinden sich auf dem Dachboden.“

Ursula griff nach der Tischkante und war völlig sprachlos.

Er wandte sich ihr zu, sein Blick funkelte bösartig. „Deine Anteile an Fairbury und Berridge wurden aufgelöst.“

Das sagte er mit spürbarer Genugtuung.

Aufgelöst?

Ihre Kehle schnürte sich zusammen.

Unmöglich! Das konnte nicht sein.

„Du hast die Geschäftsanteile meines Vaters verkauft?“ Es fiel ihr schwer, die Worte überhaupt hervorzubringen, aber er konnte sie durchaus hören.

Ein triumphierendes Grinsen breitete sich langsam auf dem Gesicht ihres Onkels aus. „Wie ich sehe, verstehen wir uns. Als dein Vormund lag die Entscheidung bei mir, und Mr. Berridge war äußerst entgegenkommend. Er hatte nicht nur Verständnis dafür, dass du nicht weiter mit dem Betrieb in Verbindung stehen wolltest, sondern bot auch einen sehr angemessenen Preis, um dich von der Partnerschaft zu entbinden. Da ich natürlich meinen Pflichten nachkommen wollte, willigte ich in deinem Namen ein.“

Ursula stotterte, war jedoch nicht in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren.

Ihr Onkel begutachtete seine Fingernägel. „Selbstverständlich sehen die Bedingungen des Testaments deines Vaters vor, dass du erst nach deinem bevorstehenden Geburtstag in den Genuss der Zinserträge aus diesem Kapital kommst.“

Er warf Ursula einen bösen Blick zu. „Um vollen Anspruch zu haben, musst du warten, bis du heiratest … oder ein Alter von dreißig Jahren erreicht hast, falls du nicht den Bund der Ehe eingegangen bist.“ Er neigte den Kopf. „Grund genug, dich für deine unbedachten Worte zu entschuldigen und ein Datum für deine Verlobung mit Eustace festzulegen.“

„Und bis zu meinem Geburtstag?“, fragte sie flüsternd.

„Die Zinsen stehen mir zur freien Verfügung, und ich kann sie nach eigenem Ermessen verwenden. Mehrere Räume in Arrington Hall sind renovierungsbedürftig, und du kannst dagegen keinen Einspruch erheben. Das Haus wird eines Tages Eustace gehören.“ Er schenkte ihr ein schmales Lächeln. „Dann wirst du endlich davon profitieren, und deine Kinder werden es im Gegenzug erben.“

Obwohl sich ihre Beine komplett taub anfühlten, gelang es ihr dennoch, über den dicken Perserteppich zur Tür zu gelangen. Sie wusste, dass sein Blick ihr folgte, in der Annahme, dass er gewonnen hatte, weil sie aufgrund ihrer momentanen Mittellosigkeit unter seinem Dach bleiben würde. Und das nicht nur für die nächsten Wochen, sondern auch darüber hinaus, da der Gedanke, sich ins Ungewisse aufzumachen, sie entmutigen würde.

Da kannte Viscount Arrington sie jedoch schlecht.

KAPITEL VIER

Der Highland Caledonian Overnight Sleeper nach Fort William

Am frühen Morgen, 13. Dezember

Durch das Rütteln des Zuges wurde Ursula auf die Seite geworfen und wäre beinahe von der kleinen Liege in ihrem Abteil gefallen. Sie war sich zwar ziemlich sicher, dass sie in den vergangenen Stunden größtenteils wach gewesen war, aber der Ruck hatte sie auf jeden Fall aufgeschreckt.

Sie befand sich nicht in ihrem eigenen Bett – weder in Pimlico noch am Eaton Square – und es war unglaublich kalt. Zum Glück hatte sie den Großteil ihrer Kleidung anbehalten.

Sie zog eine Strickjacke über, schwang ihre mit Strümpfen bekleideten Füße aus dem Bett und zog die Vorhänge hoch. Das erste Tageslicht war bisher nur schwach erkennbar, während der Mond langsam vor dem sanften violettgrauen Himmel verblasste, wobei die Landschaft weiß schimmerte.

Und sie konnte Berge sehen!

Sie ragten so majestätisch auf, dass man den Hals verrenken musste, um ihre scharfen Spitzen bestaunen zu können. Ihre Gipfel sowie die oberen Kuppen waren bedeckt mit Schnee, während das darunter gelegene Moorland mit einer dicken Frostschicht überzogen war.

Es gab keinen Zweifel. Sie war in Schottland – und es führte nun kein Weg mehr zurück.

Da es kurz vor Tagesanbruch war, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie Fort William erreichten.

Sie kämpfte gegen einen Anflug von Übelkeit an.

Was hatte sie nur getan?

Gestern hatte es noch den Anschein gehabt, als wäre dies ihre einzige Möglichkeit – eine große Reisetasche zu packen und Tilly zu absoluter Verschwiegenheit zu verpflichten. Ursula hatte nicht viel Geld, aber es reichte für die Fahrkarte sowie ein Transportmittel, sobald der Zug sein Ziel erreicht hatte.

Die Notiz, die sie Eustace hinterlassen hatte, würde ihn davon abhalten, sich Sorgen zu machen. Er war ihr stets ein guter Freund gewesen und würde wollen, dass sie glücklich ist. Er würde es verstehen.

Und er würde ihren Aufenthaltsort geheim halten. Bis zu ihrem Geburtstag waren es nur noch dreizehn Tage. Danach würde sie genug Geld haben, um davon leben zu können. Zwar bescheiden, aber ausreichend. Und sie würde unabhängig sein, ohne um etwas bitten zu müssen.

Bei der Frage, wohin sie bis dahin gehen könnte, hatte Ursula sofort an Daphne gedacht. Es verging kaum ein Monat, in dem sie nicht miteinander kommunizierten, und sie hatte bereits mehrfach erwähnt, wie sehr sie sich darüber freuen würde, wenn Ursula zu Besuch käme.

Sie hatten sich an der Ventissori Akademie kennengelernt. Ursula galt nicht als Musterschülerin, trotzdem hatte ihr Vater darauf bestanden, dass sie die Akademie besuchte, und sie wollte ihn glücklich machen. Daphne und sie hatten gemeinsam geübt, wie man eine Auster auf elegante Weise schluckte und einen Hummer aus dessen Panzer befreite, welche Gabel für Obst und Fisch verwendet wurde und wie man Servietten zu kunstvollen Kreationen faltete.

Da Ursula das alles schrecklich langweilig fand, hatte sie sich lieber damit beschäftigt, die anderen Mädchen zum Lachen zu bringen, indem sie Monsieur Ventissoris steifen Gang und sein typisch französisches Gehabe imitierte. Daphne hatte dies zwar missbilligt, sie aber stets in Schutz genommen, und als ihre gemeinsame Zeit an der Akademie zu Ende ging, hatte sie darauf bestanden, dass sie in Kontakt blieben.

Daphne verbrachte Weihnachten bei ihren Eltern, gerade mal zwanzig Kilometer östlich von Fort William.

Sobald ich dort ankomme, werde ich mir einfach eine Droschke oder notfalls jemanden mit einem Karren suchen.

Es würde wunderbar sein, Daphne endlich wiederzusehen.

Warum verspürte Ursula dann das Gefühl, sich übergeben zu müssen?

Sie zog ihre Strickjacke enger um sich und suchte nach ihren Schuhen.

Frühstück. Das war es, was sie jetzt brauchte.

Nach dem Essen ließ sich alles wesentlich besser meistern. Sie musste nur den Speisewagen aufsuchen und etwas Leckeres bestellen.

Ihr Leben war das reinste Chaos, aber wenn sie es in Ordnung bringen wollte, dann wären Porridge – heiß und süß – sowie eine dampfende Kanne Tee ein guter Anfang.

* * *

Eine ordentliche Portion Würstchen und gegrillte Tomaten beflügelten Ursulas Laune. Nicht zu vergessen die getoasteten Muffins. Und der Porridge, zu dem Sahne und Honig gereicht worden waren.

In der Zwischenzeit ging die Sonne auf und zeigte sich zwischen den östlichen Bergen.

Und dennoch krampfte sich noch immer etwas in ihrer Brust zusammen.

Ursula seufzte und fragte sich, ob sich der Kellner dazu überreden lassen würde, ihr noch mehr Tee zu bringen, aber er schien spurlos verschwunden zu sein.

Das Abteil war erstaunlich leer, abgesehen von ihr, einer älteren Dame und einer Gruppe von drei Geistlichen, die sich am anderen Ende befanden.

Ursula schaute betrübt in ihre leere Tasse.

„Ich habe noch reichlich in meiner Kanne, falls Sie noch etwas zum Aufwärmen brauchen.“

Die Frau, deren freundliche Stimme in Ursulas Ohr drang, neigte das Kinn, um sie über ihre Lesebrille hinweg anzuschauen.

„Ich würde mich über die Gesellschaft freuen.“ Sie neigte den Kopf zu dem gegenüberliegenden Sitz, woraufhin Ursula mit einem dankbaren Lächeln ihre Habseligkeiten zusammenraffte.

„Urania Abernathy“, sagte die Dame und reichte ihr eine runzlige Hand, die jedoch ruhig genug war, um Tee einzuschenken. Sie kramte in der großen Handtasche an ihrem Ellbogen, holte ein Fläschchen hervor und gab ein Schlückchen von einer dunklen und stark riechenden Flüssigkeit in den Darjeeling.

„In meinem Alter braucht man etwas Hilfe, um sich aufzuwärmen.“ Miss Abernathy nahm einen herzhaften Schluck und wühlte erneut in den Tiefen ihrer Tasche. Sie zauberte eine Tafel Fry’s Schokoladencreme hervor und brach zwei Stücke ab.

Eine Weile saßen sie in geselliger Stille zusammen und beobachteten durch die Fenster, wie die Landschaft der Highlands an ihnen vorbeizog.

„Besuchen Sie Ihre Familie?“, fragte Ursula, nachdem sie den restlichen Fondant gelutscht hatte.

„Jemandes Familie, ja, aber nicht meine eigene.“ Miss Abernathy hielt sich ein Stück Notizpapier vor die Nase und schielte auf die fein säuberlich geschriebene Schrift. „Ich hatte eigentlich geplant, etwas Zeit mit meiner Schwester an der Küste von Dorset zu verbringen, aber das hier kam vor zwei Wochen an. Eine Empfehlung seitens Lady Forres. Sehr ungewöhnlich und ein äußerst großzügiges Honorar. Mein kleiner Urlaub wird also bis zum neuen Jahr warten müssen.“

Ursula lächelte höflich und trank ihren Tee. Natürlich, Miss Abernathy war bestimmt eine Gouvernante. Nicht nur ihre Kleidung, die aus schlichter Kammwolle bestand, sondern auch ihr Verhalten ließ darauf schließen.

Ohne mein Erbe wird das auch mein Los sein.

Ursula erschauderte innerlich. Kinder waren nicht gerade ihre Stärke. Allein der Gedanke, ihr Leben der Aufgabe zu widmen, ihnen beizubringen, aufrecht zu sitzen und sich zu benehmen, war ihr ein Gräuel.

„Der Enkel des Earls von Dunrannoch.“ Miss Abernathy faltete den Brief zusammen und legte ihre Hände in den Schoß. „Ich habe darum gebeten, dass der Zug in Gorton, am Rande des Moors, hält. Ich hoffe nur, dass die Kutsche dort wartet. Im Stehen kann einem so kalt werden.“

Miss Abernathy beobachtete Ursula mit ihren hellblauen Augen. „Und Sie? Haben Sie Familie in den Highlands? Ich kenne einen Großteil der älteren Herrschaften.“

„Eine Freundin.“ Ursula verspürte einen Anflug von Panik. „Und ihre Familie lebt sehr zurückgezogen.“ Sie schenkte ihr ein verkrampftes Lächeln. „Fast schon wie Einsiedler.“

Urania Abernathy zog die Augenbrauen nach oben, sodass sie beinahe ihr silbernes Haar streiften.

„Wie ungewöhnlich.“

Mehr sagte sie nicht und lehnte sich stattdessen mit geschlossenen Augen zurück.

Der Inhalt des Fläschchens war wohl ziemlich stark gewesen, da sie bereits im nächsten Moment begann, leise zu schnarchen.

Ursula richtete ihren Blick wieder auf die freie Landschaft. Sie hatte schon immer den Wunsch gehabt, die Highlands zu besuchen, und jetzt war sie endlich hier – und alles sah genauso verweht aus, wie sie es sich vorgestellt hatte. Weit und breit nichts als Leere. Einzig das Moor, die Berge und der unendliche, offene Himmel. War doch mal ein Haus zu sehen, dann wirkte es recht bescheiden. Die Hütten, mit ihren roten Dächern und weißen Fassaden, sahen gerade groß genug für ein einziges Zimmer aus.

Wie hieß Daphnes Anwesen doch gleich? Kintochlochie? Sie hatte es viele Male beschrieben und über Kamine geklagt, die sich nicht anzünden ließen oder Rauch ausstießen, über windige Flure sowie Fenster, die bei starken Windstößen klapperten. All das klang unfassbar romantisch – abgesehen von den Haggis, die ihr überhaupt nicht zusagten.

Daphnes letzter Brief hatte von einem neuen Verehrer berichtet – dem Erben eines Imperiums im Bereich der Truthahnzucht, noch dazu in Norfolk. Keine Rede von irgendwelchen Bedenken. Sie hatte sich offenbar sehr über diese Aussicht gefreut und verlor kein Wort der Reue darüber, diese wilde Pracht zurücklassen zu müssen.

Ursulas Magen drehte sich und drohte damit, ihr Frühstück erneut zum Vorschein zu bringen.

Auf der Burg Kintochlochie gab es noch kein Telefon, aber vielleicht hätte sie Tilly bitten sollen, ein Telegramm zu schicken. Zumindest würde sie dann nicht völlig unangemeldet erscheinen. Bei jemandem einfach so vor der Haustür aufzutauchen, war schon eine ziemliche Zumutung – und das auch noch so kurz vor Weihnachten. Sie hatte gehandelt, ohne zu überlegen, und steuerte nun geradewegs auf ein Problem zu. Von dem Wetter, das einem Frostbeulen bescherte, ganz zu schweigen. Wenn Daphnes Familie sie überhaupt ins Haus ließ, was würde sie dann wohl erwarten? Wahrscheinlich Haggis ohne Ende und Männer, die auf Dinge schossen. Sie würde womöglich nicht einmal spazieren gehen können, aus Angst, fälschlicherweise für eine arme Kreatur gehalten zu werden, deren Haupt dazu bestimmt war, an einer Wand zu hängen.

Aber was blieb ihr anderes übrig? Der Zug würde in Kürze in Fort William eintreffen, und sie hatte keinen anderen Ort, zu dem sie gehen konnte.

Vielleicht sollte sie sich Miss Abernathy anvertrauen und sie um Rat fragen. So alt, wie sie war, hatte sie sicher schon viel erlebt und war unbeschadet ihres Wegs gegangen.

Sie schlief jedoch weiterhin, und ihr Kopf schwankte mit der Bewegung des Zuges.

Wo wollte sie noch gleich aussteigen, Gorton?

Der Zug passierte das offene, tief in Nebel gehüllte Heideland. Ursula versuchte, sich an die Karte zu erinnern. Rannoch Moor lag südlich von Glen Coe, nicht wahr? Und es folgten mehrere private Stationen, bevor man Fort William erreichte.

„Miss Abernathy.“ Ursula lehnte sich nach vorn. „Es ist Zeit, aufzuwachen.“ Sie berührte ihren Arm. „Wir sind gleich da. Sie müssen noch Ihre Sachen einpacken.“

In diesem Augenblick stellte sie fest, dass Miss Abernathy nicht mehr schnarchte. Stattdessen war die ältere Frau völlig regungslos.

Ursula rückte zur anderen Seite des Tisches und legte eine Hand auf die ihrer Begleiterin.

Sie war ganz kalt.

„Urania!“ Ursula schüttelte Miss Abernathy sanft, bevor sie vor Schreck quietschte, als die alte Dame nach vorn sackte.

Ursula drückte sie zurück in den Sitz und wuchtete sie in die Ecke.

Miss Abernathy schlief nicht nur.

Und sie würde auch nicht in Gorton aussteigen.

Vom vorderen Ende des Zuges ertönte ein Pfeifen. Sie wurden langsamer, als die Bremsen auf den Gleisen knarrten.

War das hier die Station?

Ein mulmiger Schauder überkam Ursula.

Der Zug würde anhalten, doch Miss Abernathy würde nicht aussteigen. Dann würde man nach ihr suchen und sie finden – tot.

Aufgrund natürlicher Ursachen selbstverständlich, aber der Wachmann würde Ursula dennoch sprechen müssen. Er würde ihr Fragen stellen. Würde die Polizei dies nicht auch tun müssen, sobald sie Fort William erreichten? Sie würden von Ursula verlangen, mehr über Miss Abernathy zu erfahren. Sie würden Ursula womöglich nach ihrem Wohnsitz fragen. Und vielleicht Onkel Cedric kontaktieren.

Ursula stand auf.

Die Geistlichen am anderen Ende des Speisewagens waren noch immer in ein Gespräch vertieft.

Auch der Kellner war weiterhin nirgends zu sehen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, griff Ursula nach Miss Abernathys riesiger Handtasche.

Es tut mir leid, aber mir bleibt nichts anderes übrig.

Ursula eilte zurück in ihr Abteil und stopfte ihre eigenen Sachen in die Reisetasche. Sie warf sich ihren Mantel über, setzte sich den Hut tief auf den Kopf und erreichte die Außentür, als der Zug schließlich ratternd zum Stehen kam.

Ihre Finger zitterten, als sie den Griff nach unten drückte und hinaus in den grauen Nebel trat. In kurzer Entfernung lugte eine schemenhafte Gestalt neben dem Zug hervor und winkte ihr zu. Ursula zögerte zunächst, winkte dann aber zurück, und das Pfeifen ertönte erneut.

Sie blieb auf dem schmalen Bahnsteig stehen und beobachtete, wie der Zug wegfuhr, an Geschwindigkeit zulegte und schließlich verschwand. Nach Fort William. Zu Daphne und Kintochlochie.

Und weg von Ursula.

Was hatte sie nur getan?

KAPITEL FÜNF

Am Rande von Rannoch Moor

Ursula realisierte erst, wie kalt ihr war, als ihre Zehen anfingen zu pochen und die Nasenspitze taub wurde. Ihr marineblauer Mantel, der aus feinster Wolle bestand, reichte ihr zwar fast bis zu den Knöcheln, war aber eher für modische Zwecke als gegen die Kälte gedacht. Ihre Handschuhe und ihr Schal erwiesen sich ebenfalls als nutzlos, und der Hut konnte nicht einmal ihre Ohren bedecken.

Der Nebel umhüllte sie – ein sich windender, milchiger Dunst, durch den die Sonne nur schwach durchdringen konnte. Dort, wo der Bahnsteig endete, kam Gestrüpp zum Vorschein, aber weiter konnte sie nicht sehen.

Keine Droschke. Niemand, der auf sie wartete.

Oder genauer gesagt, niemand, der auf Miss Abernathy wartete.

Ursula stellte ihr Gepäck ab und verzog den Mund. Es war wirklich ein Jammer. Einer Frau in so fortgeschrittenem Alter war es doch kaum zuzumuten, ewig an einem solch abgelegenen und ungeschützten Ort zu warten. Ursula verspürte große Empörung an ihrer Stelle – nicht zu vergessen für sich selbst.

Eigentlich sollte jemand kommen, um Miss Abernathy abzuholen, aber dieser Jemand war offensichtlich zu spät.

Ursula schämte sich plötzlich für das, was sie getan hatte, indem sie Miss Abernathy einfach so im Zug zurückgelassen und ihre persönlichen Sachen mitgenommen hatte. Hatte sie bei ihrer Flucht auch ihre Integrität zurückgelassen? Ihre Prinzipien? Sie trat nach dem wallenden Nebel, der sich lediglich um ihren Saum schlängelte, bevor er sich wieder zusammenzog.

Eine kleine, leise Stimme in ihr flüsterte ihr zu, dass sie sich falsch verhalten hatte.

Ursula lief die Länge des Bahnsteigs entlang und ärgerte sich über sich selbst. Sie legte ganze zwanzig Schritte zurück, bevor sie sich umdrehen und zurückgehen musste. Es spielte keine Rolle, wie weit sie lief, es würde nichts ändern.

Wie schlimm die Situation auch war, sie musste das Beste aus ihr machen.

Aber ich werde etwas Gutes tun, um meine Fehler wiedergutzumachen. Ganz gleich, wie abscheulich das Kind auch sein mag, ich werde freundlich zu ihm sein.

Ein unwegsamer Pfad führte durch das gefrorene Gestrüpp. Es war keine Straße, aber immerhin so etwas wie ein Weg. Ursula konnte keinen anderen entdecken. Der Fahrer würde sicherlich aus dieser Richtung kommen.

Sollte sie sich in diesem Fall nicht einfach auf den Weg machen? Wenigstens würde die Bewegung ihr Blut in Schwung bringen. Sie konnte nicht länger hier herumstehen, während es immer kälter wurde.

Allzu weit konnte es nicht mehr sein, oder?

Außerdem waren es noch Stunden, bis die Sonne untergehen würde, auch wenn sie nur mühsam durchdringen konnte.

Wohin musste sie gehen?

Ursula kniete sich über Miss Abernathys Handtasche. Sie war robust, auch wenn das Leder an den Ecken Risse aufwies und die Schnalle abgenutzt war. Es handelte sich um eine Handtasche, die ihrer Besitzerin gute Dienste geleistet hatte.

Ursula biss sich auf die Lippe und zog den Metallbügel weit auseinander. Das Innere der Tasche offenbarte ein heilloses Durcheinander, aber der Brief lag ganz oben: Ein hellgrauer Umschlag, adressiert an Miss U. Abernathy in Kilmarnock Manor.

Was für ein glücklicher Zufall, dass sich ihre Namen so sehr ähnelten.

Ursula bereitete sich darauf vor, zu tun, was sie tun musste, und überflog den Brief. Man erwarte sie am Vierzehnten des Monats auf Burg Dunrannoch, um Nachhilfe in Sachen Etikette und Manieren zu geben, die für den zukünftigen Grafen erforderlich seien, einen jungen Mann, der sich in den Kreisen, in denen er sich bewegen werde, nicht auskenne.

Allem Anschein nach hatte es mehrere Todesfälle gegeben, sodass der Titel einem ahnungslosen Enkel zukommen würde. Ein Kind, für das die Familie Miss Abernathy eingestellt hatte.

Nur, dass es nicht Miss Abernathy war, die auftauchen würde. Sondern Ursula.

Und es war auch nicht der Vierzehnte des Monats. Dieser war erst morgen.

Und obwohl sich der dichte Nebel noch immer nicht gelegt hatte, war sie sich ziemlich sicher, dass es angefangen hatte zu schneien.

Sie stieß ein ersticktes Lachen aus.

Es war einfach so unglaublich absurd.

So unfassbar lächerlich.

Wenn sie nicht lachen würde, dann müsste sie sich an Ort und Stelle hinsetzen und anfangen zu heulen.

Ihr Schutzengel, der über sie wachen sollte, hatte bestimmt gerade seinen Spaß. Ursula konnte nur hoffen, dass er vor lauter Lachen Seitenstechen bekommen würde, denn sie war sich nicht sicher, ob sie noch viel mehr von diesem himmlischen Humor ertragen konnte.

Ursula stand auf und nahm die Taschen.

Eigentlich sollte der Weg zur Burg führen, sodass sie einfach weitergehen musste, bis sie schließlich auf Zivilisation stieß. Oder zumindest auf das, was in dieser Gegend als Zivilisation bezeichnet wurde.

Sie ignorierte das Zittern in ihrer Brust, als sie den Bahnsteig hinter sich ließ und dem Pfad folgte. Sie lief zügigen Schrittes, während ihr Blick stets auf den Weg gerichtet blieb. Sie schenkte weder dem Schnee, der sich auf ihren Wimpern niederließ, noch ihren klappernden Zähnen jegliche Beachtung. Die Burg war sicherlich nur noch zwei oder drei Kilometer entfernt.

Es sah auf eine unheimliche Art und Weise schön aus, alles war weiß und still und ruhig.

Jeder Schritt brachte sie näher an ein wärmendes Feuer heran, an dem ihr Gebäck, Obstkuchen und brühend heißer Tee angeboten würde.

Und in Bezug darauf, dass sie sich als Miss Abernathy ausgab, so glaubte Ursula fest an die Wirkung von Charme. In diesem Moment fühlte sie sich zwar nicht sonderlich charmant, aber sobald ihr wieder wärmer war, würde sie ihn schon aufbringen können.

Sie ging weiter, während sie den kalten Atem des Moors auf ihrer Wange spürte. Ihre raschelnden Röcke, die mit jeder Bewegung die Beine streiften, bildeten einen rhythmischen Takt zu ihren Schritten. Sie versuchte, den Schmerz in ihren Armen zu ignorieren, den die Taschen verursachten.

Alles war still und leise gewesen, doch nun hörte sie Geräusche, deren Ursprung ihre Augen nicht vernehmen konnten. Das Tröpfeln von Wasser in der Nähe. Gekrächze. Der schwache Ruf einer Eule.

Dann irgendetwas anderes.

Ein sich wiederholendes, dumpfes Aufschlagen in der Ferne, das sich ihr jedoch näherte, auch wenn sie nicht sagen konnte, aus welcher Richtung es kam. Das Geräusch wurde durch den Nebel und den Schnee gedämpft, während ihr eigener Atem lauter zu werden schien.

Ursula erschauderte.

„Ist da jemand?“ Ihre Stimme klang schwach.

Sie trat an den Rand des Weges und spähte durch den trüben Dunst.

Etwas befand sich im Nebel. Ein Schnauben ertönte und etwas scharrte auf dem Boden.

Ein Hirsch? Sie hatte noch nie einen gesehen, aber es hieß, sie seien riesig, oder nicht?

Mit Geweihen.

Ursula war sich nicht sicher, was sie machen sollte. Wenn sie stehen blieb, würde sie womöglich von einem Geweih aufgespießt werden. Wenn sie sich jedoch zu Boden warf, könnte sie von Hufen zertrampelt werden.

Noch ehe sie die Gelegenheit hatte, sich zu entscheiden, ragte die Kreatur über ihr auf. Sie sah aufblähende Nüstern und wilde Augen, während das zurückgezogene Zahnfleisch riesige Zähne offenbarte.

Es war kein Hirsch, sondern ein Hengst, dessen Hufe sich über ihrem Kopf aufbäumten.

Ursula schrie.

* * *

„Ruhig, Charon!“

Der Mann riss sein Ross mit einem Ruck herum.

„Was zur Hölle?“ Eine tiefe, markante Stimme ertönte laut über ihr. „Ich hätte dich fast umgebracht!“

Ursula schreckte vor dem stürmischen Pferd und dessen verärgertem Reiter zurück, nicht in der Lage, ihre Stimme zu finden.

Der Mann sprang von seinem Pferd herunter und blieb vor ihr stehen.

„Warum in Gottes Namen irrst du hier wie ein Gespenst durch die Gegend? Du hast mich zu Tode erschreckt.“

Ursula starrte den Mann an, der größer war als alle, die sie bisher gesehen hatte. Groß, breitschultrig und muskulös.

Und dazu noch gelenkig.

So wie er seine Fersen aus den Steigbügeln gestemmt und das Bein über den Kopf des Pferdes geschwungen hatte, um abzuspringen, wirkte er wie ein Akrobat.

Sie blinzelte. „Du bist ja riesig!“ Hatte sie das wirklich gerade laut gesagt?

Er lächelte leicht.

„Ich meine groß! Sehr groß!“ Ihr war eiskalt, ihre Zähne klapperten krampfhaft, dennoch spürte Ursula die kribbelnde Hitze, die ihr in die Wangen stieg.

„Ein Meter achtundneunzig, Ma’am. Echte Maiszucht im Herzen von Texas.“

Er streckte seine Hand aus. „Ich heiße Rye und freue mich gewaltig, Sie kennenzulernen.“

Ursula starrte seine Hand einen Moment an, bevor sie sie schüttelte. Das war wirklich alles sehr sonderbar.

Texas? Lebten dort nicht die Cowboys? Das würde zumindest seine Garderobe erklären: ein völlig alberner Hut und eigenartige Stiefel, bestickt und mit Absatz. Seinen Mantel trug er trotz der Eiseskälte offen, sodass ein kariertes Hemd und eine weiche Hose zum Vorschein kamen. Um seinen Hals hatte er ein hellrotes Tuch mit Mustern, und er war unrasiert und sonnengebräunt, so wie ein Räuber.

Seine starken und festen Hände legten sich um ihre Schultern, und ihr wurde klar, dass er sie vermutlich stützte. Sie war nicht sicher, ob es an der Kälte lag oder an der schockierenden Tatsache, beinahe zertrampelt worden zu sein, aber sie konnte ihre Beine nicht mehr spüren. Sie bestanden nur noch aus Gelee.

Sie zitterte, als sie ihren Blick auf ihn richtete. Seine Augen waren quarzgrau, mit kurzen Wimpern und schweren Lidern, und starrten sie direkt an.

„Miss Abernathy“, sagte sie schließlich.

„Nun, Miss Abernathy, hier draußen ist es kälter als bei einem Blue Norther.“ Wieder dieser markante Unterton, als ob er ihre Haut mit jedem seiner Worte streichelte. „Falls Sie sich verirrt haben, dann sind wir schon zu zweit. Alles wegen diesem verdammten Nebel.“

Ihr Atem stockte beim Anblick seines Mundes. Er war so wunderbar männlich.

„Da der Schnee immer dichter wird, sollten wir am besten von hier verschwinden. In der Nähe befindet sich eine Bothy. Der Nebel bewegte sich, kurz bevor ich auf Sie stieß, und ich bin mir verdammt sicher, dass ich da draußen ein rotes Dach gesehen habe.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, schnappte er sich die Taschen und befestigte sie an beiden Seiten des Sattels.

„Vorne sind Sie sicher, während ich hinter Ihnen bin. Ich werde Sie nicht fallen lassen.“

Ursula warf einen Blick auf seine ausgestreckte Hand.

Er wollte, dass sie mit ihm auf das Pferd stieg?

War er verrückt?

Sie kannte ihn doch gar nicht.

Und er wollte sie zu einer Bothy bringen – was auch immer das sein sollte – wo sie allein sein würden.

Er hatte ihr Zögern anscheinend wahrgenommen. „Sie haben nichts zu befürchten, Ma’am. Charon wird zum Teufel, wenn er sich erschreckt, aber er wird sich jetzt ruhig verhalten. Und was mich betrifft, ich wurde dazu erzogen, respektvoll zu sein. Ich werde meinen Arm um Ihre Taille legen, aber ich werde mir keinerlei Freiheiten erlauben, ganz gleich wie verlockend es auch sein mag.“ Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln.

Kaum hatten ihre Finger seine berührt, wurde sie in die Luft gehoben, wobei ihre Zehen zum Steigbügel geführt wurden und ihr Hintern in den Sattel plumpste.

Sobald er sich hinter ihr niedergelassen hatte, konnte sie spüren, wie sich seine gespreizten Oberschenkel um ihre legten. Während eine Hand die Zügel nahm, legte er die andere um ihre Mitte, zog sie fest an seine Brust und gab Charon einen sanften Tritt.

Sie hatte ihn zwar gerade erst kennengelernt, aber er war genau das, was sie brauchte.

Eine Hitzequelle!

KAPITEL SECHS

Er schwang sich vom Pferd und umfasste ohne Umschweife ihre Taille, um sie hinunterzuheben. Zitternd blieb sie im Schnee stehen und beobachtete ihn dabei, wie er ihre Taschen abschnürte, bevor er das Pferd in einen Unterstand am Ende der Hütte führte.

Er legte seine Stirn einen kurzen Augenblick auf die Nase des Hengstes und murmelte ihm zum Abschied einen letzten liebevollen Ausdruck zu, bevor er das Gatter schloss.

Die Hütte selbst war feucht und urig, wobei der Boden nicht mehr als festgestampfte Erde war. In dem kleinen Raum befanden sich eine Pritsche, ein Tisch mit Stuhl, ein gusseiserner Holzofen und ein paar Regale – größtenteils leer. Drinnen war es kaum wärmer als draußen, aber es gab zumindest einen Vorrat an Brennmaterial. Keine Kohle, sondern Torf, der in dicke, dunkle Ziegel geteilt und in der Ecke zur trockenen Lagerung aufbewahrt wurde. Jemand hatte eine Zunderbüchse und ein paar Anzündhölzer hinterlassen.

Rye beugte sich vor, schichtete das Holz zu einer Pyramide auf und entfachte eine Flamme, bevor er einen Torfblock auf beide Seiten legte.

„Kommen Sie ruhig näher.“ Während sie ihren Hut löste, zog er den Stuhl für sie direkt neben das Feuer und streifte dann die Decke vom Bett ab. „Die wird bestimmt besser sein als Ihr feuchter Mantel.“

Ursula nickte, fingerte an ihren Knöpfen herum und legte ihn auf den Tisch.