Wie täuscht man einen Lord - Emmanuelle de Maupassant - E-Book
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Wie täuscht man einen Lord E-Book

Emmanuelle de Maupassant

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Beschreibung

Eine Einladung vom Duke, ein Geheimnis hinter den Mauern von Studborne Abbey – und die Hoffnung auf eine große Liebe England, 1883. Rosamund muss ein passendes Gegenstück finden, bevor bekannt wird, dass sie mittellos ist. Ihre Gebete scheinen erhört zu werden, als der Herzog von Studborne in sie vernarrt zu sein scheint. Der Herzog hat jedoch seine eigene Agenda, und Rosamund ahnt nicht, in welcher Gefahr sie sich befindet. WAS SIE ERWARTET: Ein schneidiger junger Held, eine geniale Heldin, ein schelmischer Hund, eine aufdringliche Mutter und ein altes Herrenhaus voller Geheimnisse. Das dritte Buch der Reihe „Handbuch einer Lady“ der Autorin Emmanuelle de Maupassant. Wie bringt man einem Highlander die Liebe bei Wie bezaubert man einen Highlander zu Weihnachten Wie täuscht man einen Lord Wie gaukelt man eine Verlobung vor Wie man in der Südsee die Liebe findet Wie verführt man einen transsilvanischen Grafen Wie angelt man sich einen Duke Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.

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WIE TÄUSCHT MAN EINEN LORD

EMMANUELLE DE MAUPASSANT

Handbuch einer Lady, Buch 3

Ins Deutsche übertragen von Stefanie Kersten

Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu

IMPRESSUM

Dieser Roman erschien ursprünglich in englischer Sprache unter dem Titel „The Lady’s Guide to Deception and Desire“.

Copyright © 2022 Emmanuelle de Maupassant

Übersetzt von Stefanie Kersten

Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu

Bucheinbanddesign von Victoria Cooper

Dark Castle Press : Keith Hall, Inverurie, Scotland, UK

www.emmanuelledemaupassant.com

Kontact : [email protected]

Bei diesem Roman handelt es sich um eine fiktive Geschichte. Die Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden auf fiktive Art und Weise integriert. Mit Ausnahme bekannter historischer Figuren und Orte ist jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Geschäftsbetrieben, Ereignissen oder Orten vollkommen zufällig.

Es dürfen keine Auszüge dieses Buches, die zum jetzigen Zeitpunkt bereits existieren oder zu einer späteren Zeit veröffentlicht werden, ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder auf elektronischem oder maschinellem Wege vervielfältigt werden, einschließlich in Informationsspeicherungs- und Datenabfragesystemen, mit Ausnahme kurzer Zitate, die Teil einer Kritik oder Buchrezension sind.

Vielen Dank an alle meine Leserinnen und Leser in meiner Facebook-Gruppe „Emmanuelles Boudoir“, deren Begeisterung und liebe Kommentare mir jeden Tag weiterhelfen.

Besondere Küsschen gibt es für Alix Boswell (die dem kleinen Pom Pom seinem Namen gegeben hat) und für Elaine und ihre texanische Gramma Jack (die dabei geholfen hat, Rosamund mehr wie eine echte texanische Miss klingen zu lassen).

PROLOG

Studborne Abbey

Januar, 1882

Eine knappe Stunde, nachdem sein Sohn das Licht der Welt erblickte, hielt der Duke of Studborne ihn zum ersten und letzten Mal in den Armen.

„Algernon.“ Die Duchess versuchte, den Kopf zu heben, um zu der Gestalt vor dem prasselnden Kaminfeuer hinüberzublicken. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. „Es tut mir so leid. Ich dachte … dieses Mal …“

Studborne legte den reglosen, stummen Säugling in die Wiege am Fußende des Bettes. Der Schmerz in seiner Brust nahm ihm die Luft zum Atmen, als wollte er das Leben auch aus ihm herauspressen. Zorn und Trauer pochten dort; Ungeheuer, gegen die er schon früher angetreten war und es auch wieder tun würde, wenn er allein war. Für den Moment musste er Stärke zeigen.

„Unser Sohn hat Frieden gefunden, meine Liebste.“ Er setzte sich neben sie und verschränkte ihre Finger miteinander.

Sie scherzten oft darüber, dass sie ständig fror und sich in der Nacht die Behaglichkeit seiner Körperwärme suchte. Aber noch nie zuvor war ihre kleine Hand so kalt gewesen, ihr Gesicht so bleich. Sie blutete noch immer, hatte der Arzt ihm mitgeteilt, und ihr Herzschlag war schwach und unregelmäßig.

Studborne zwang sich zum Sprechen. „Der Junge ist jetzt bei seiner Schwester und seinem Bruder, drei Engel vereint.“

„Mein Liebling, wie sollen wir dieses Leid ertragen?“ Das flackernde Licht der Kerze schickte tiefe Schatten über ihre Augen. „Ich habe mir so sehr gewünscht … aber ich habe dich enttäuscht …“

„Du bist perfekt, meine Liebste. So perfekt. Alles, was ich mir je erträumt habe. Vom Tag, an dem wir uns zum ersten Mal gesehen haben, bis zu diesem Moment.“ Der Verzweiflung nah strich er ihr das blonde Haar aus der Stirn. „Ich würde nichts ändern.“

Das war die Wahrheit. Sie war gerade einmal zwanzig Jahre alt gewesen und er doppelt so alt wie sie, als er sie zu seiner Duchess gemacht hatte. Noch nie in seinem Leben hatte er eine solche Liebe verspürt. Nur für sie.

Es hatte nie eine andere gegeben. Es würde nie eine andere geben.

„Ich werde auf dich warten, mein Liebling.“ Tränen schwangen in ihren Worten mit, und ihre Atemzüge wurde immer schwächer und angestrengte, je mehr ihre Kraft schwand. „Die Kinder und ich. Warten auf dich.“

Er drückte die Lippen auf ihre Stirn und küsste sie dann auf den Mund.

Ich habe genug Lebenskraft für uns beide. Bleib bei mir, meine kleine Viola. Ich kann dich nicht gehen lassen. Noch nicht. Deine Zeit ist noch nicht gekommen.

Aber ihre weichen Lippen erwiderten die Liebkosung nicht.

Kein Atem war zu spüren.

Ihr Kopf fiel zur Seite.

Violettas Herz, das immer so erfüllt gewesen war von Hingabe, tat seinen letzten Schlag.

Mit einem gepeinigten Aufschrei vergrub der Duke sein Gesicht an ihrem Hals und drückte ihren Körper fest an sich.

Das darf nicht sein. Ich werde es nicht zulassen. Die Kinder soll Gott mir nehmen, wenn das sein Wille ist, aber nicht meine Liebste!

Sanft wiegte er sie hin und her und tat dabei einen stummen Schwur.

Wir werden uns wiedersehen, meine Duchess, meine Violetta. Du wirst zu mir zurückkehren. Und ich werde auf dich warten.

KAPITEL1

In der Nähe von Osmington, Dorset

Anfang September, 1883

„Ich bin deinem Vater davongelaufen“, offenbarte Rosamunds Mutter ihr endlich schluchzend beim letzten Drittel der Sherryflasche.

Das erklärte, warum Rosamunds Vater Männer geschickt hatte, um Ethan zu holen und zurück in die Staaten zu bringen. Ihre Mutter und sie waren nicht in der Position gewesen, etwas dagegen zu tun. Rosamund dagegen hatte niemand mitnehmen wollen. Sie wurde als Komplizin und daher als persona non grata betrachtet.

Sie goss sich einen kleinen Schluck aus der Flasche ein und führte ihre Mutter dann zu dem besseren der beiden Stühle am Ofen. Das Cottage an der Küste war das, was die Briten „gemütlich“ nannten. Wenn man den muffigen Geruch, die Spinnen im Wasserklosett draußen und den abgewetzten Zustand des Mobiliars außer Acht ließ, könnte man es wohl als erträglich bezeichnen.

Lang ausgestreckt auf dem Teppich lag ein selbstvergessen schnarchender Hector – auch Pom Pom genannt. Rosamund konnte sich immer noch nicht entscheiden, was besser zu ihm passte. Ihre Mutter hatte sie erst am Abend zuvor mit dem Welpen beglückt. Er stammte aus einem Wurf, der vor drei Monaten geboren worden war. Mrs Appleby, die einmal die Woche zu ihnen kam, um im Cottage Ordnung zu machen und ihre Wäsche mitzunehmen, war mehr als glücklich gewesen, ein neues Zuhause für den kleinen Satansbraten zu finden, wie sie ihn genannt hatte.

Er hatte weiches weißes Fell, große, dunkle Augen und war das schönste Geburtstagsgeschenk, dass Rosamund je bekommen hatte. Allerdings musste man auch immer ein Auge auf ihn haben. Sie hatte ihn auf ihrem Bett schlafen lassen, und als sie erwacht war, hatte der niedliche Terrier mit auf ihrem Kissen gelegen, den Bauch gegen ihren Kopf gedrückt.

Rosamund streichelte ihm über die Ohren und ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Egal, wie besorgt sie war, das würde es ihrer Mutter in ihrem aufgelösten Zustand nur noch schwerer machen. Schon jetzt schien sie nicht mehr ein noch aus zu wissen.

„Wie sah dein Plan aus, Ma? Ich nehme an, du hattest einen, der zum Erfolg führen sollte?“

„Natürlich.“ Ihre Mutter rümpfte empört die Nase. „Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen, in der ich erklärte, dass ich euch beide zu einem Besuch bei meiner Schwester in Pennsylvania mitnehme und ich zum Ende des Monats zurück sein werde.“

Naiverweise hatte Rosamund angenommen, dass ihr Vater die Reise über den großen Teich erlaubt hatte. Ihre Mutter hatte ihr versichert, dass Rosamund würdige Heiratskandidaten kennenlernen würde – die Sorte mit Adelstitel, die eine Amerikanerin heiraten würde, sofern die Mitgift großzügig genug ausfiel.

Nicht, dass das Vermögen ihrer Familie das Einzige war, was Rosamund einem Zukünftigen zu bieten hatte, aber hübsche Gesichter gab es wie Sand am Meer, und Charme allein brachte eine junge Frau auch nicht sehr weit.

Sie atmete tief durch. „Nichts darüber, dass wir an Bord eines Schiffs gehen und den Atlantik überqueren?“

„Sei nicht albern.“ Ihre Mutter nahm einen kräftigen Schluck des süßen Aperitifs. „Wenn ich ihm das erzählt hätte, hätte er uns aufgehalten, noch bevor wir an Bord gegangen wären.“

Himmel, hilf!

Rosamund versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Natürlich war sie misstrauisch gewesen. Von Anfang an war es ihr seltsam vorgekommen, dass sie die Suche nach einem passenden, englischen Ehemann dadurch begannen, dass sie im Nirgendwo auf dem Land unterkamen. Sicher hielten sich die Junggesellen doch in London auf. Vielleicht noch in Bath. Oder möglicherweise in Brighton.

Höchstwahrscheinlich verbrachten sie ihre Tage aber nicht in einer recht langweiligen Ecke der Britischen Inseln. Tatsächlich schien niemand diesen speziellen Ort zu favorisieren – außer ihnen und den exzentrischen Misses Everly, die ein Cottage in der Nähe bewohnten. Blanche und Eustacia waren sehr nett, schienen aber keinerlei Verbindungen zu besitzen, und ihre Nichte (gerade einmal sechs Jahre alt), war noch weit von ihrem Debüt entfernt.

Rosamund hatte den Sommer damit vergeudet, am Strand zu picknicken und auf den Klippen spazieren zu gehen. Sie war nicht in Eile, zu dem Teil zu gelangen, in dem sie sich auf die Jagd nach jemandem mit strotzender Manneskraft machen musste. Bisher hatte sie nur einen Gentleman gesehen, und das auch nur aus der Ferne. Ein schlaksiges Exemplar mit Brille, das sich am Fuß der Klippen herumtrieb.

Er war vor einer Woche aufgetaucht, wahrscheinlich auf der Suche nach Fossilien, hatte Miss Everly gesagt. Rosamund hatte nicht den Wunsch verspürt, sich ihm zu nähern und sich damit einen Vortrag darüber einzuhandeln, was er dort unten ausgrub. Die Gesellschaft anderer Frauen genügte ihr vollkommen, nach der Anspannung, einen Mann in ihrer Nähe zu haben, der alles kontrollierte.

Nicht, dass ihr Vater je die Hand gegen sie erhoben hätte, aber das wohl auch nur deshalb, weil sie sich ihm gegenüber stets still und gehorsam gab und nie etwas tat, das seinen Zorn heraufbeschwor.

Bis jetzt.

Vermutlich dachte er, dass Rosamund an dieser Sache aktiv beteiligt gewesen war und ihrer Mutter zur Flucht verholfen hatte. Das konnte sie ihm jedoch nicht zum Vorwurf machen. Was hätte sie denn getan, wenn ihre Mutter sie eingeweiht hätte? Sie in diesem wahnwitzigen Vorhaben unterstützt. Gott allein wusste, wie oft sich Rosamund in den Schlaf geweint hatte, ihr Kissen über die Ohren gedrückt, um die erstickten Schreie ihrer Mutter nicht mehr zu hören.

Das Burnell-Ölimperium wurde nicht von einem Mann geführt, der viel Geduld besaß. Unglücklicherweise ließ Meribelle Burnells Ehemann nur allzu oft sein Temperament an ihr aus.

„Ich brauchte etwas Zeit, um mich wieder zu sammeln.“ Rosamunds Mutter schniefte leise. „Außerdem weiß doch jeder, dass die Saison erst im Herbst beginnt. Ich hatte vor, uns bald ein Haus zur Miete zu suchen. In einem der besseren Viertel – Mayfair oder Belgravia vielleicht. Wir hätten uns bei den Nachbarn vorgestellt, und schon bald wären die ersten Einladungen an uns verschickt worden.“

„Du wolltest ihnen erzählen, dass ich die Erbin eines Ölunternehmers bin, aber weglassen, dass ich vermutlich enterbt werde.“ Rosamund rieb sich über die Schläfen. Sie liebte ihre Mutter wirklich sehr, aber diese war noch nie sehr praktisch veranlagt gewesen.

„Ich hatte gehofft, dass es nicht dazu kommen wird. Dein Pa ist ein stolzer Mann. Ich dachte, dass er die erhobene Mitgift schon begleichen wird, wenn ich dir einen Ehemann verschaffe, mit dem er prahlen kann. Weil er sein Gesicht nicht verlieren will.“

„Und was ist mit dir, Ma?“ Rosamund lehnte sich ein wenig nach vorn und drückte die Hand ihrer Mutter. „Du hattest nicht vor, zu ihm zurückzugehen, oder?“

Mrs Burnells Unterlippe zitterte. „Ich hatte überlegt, bei dir zu bleiben, wenn du in dein neues Zuhause übergesiedelt bist. Deinem Pa würde das nicht gefallen, aber er hätte es vielleicht akzeptiert.“

Rosamund musste zugeben, dass das bis zu einem gewissen Punkt Sinn ergab. Mr Burnell regierte seinen Haushalt mit eiserner Hand. Ihre Mutter hatte recht, er hätte ihr nie genug Freiheit gelassen, um so weit zu reisen. Sie hatte eine Möglichkeit gesehen und sie beim Schopf ergriffen. Eine Gelegenheit, von dem Mann fortzukommen, der ihr täglich nur Grausamkeit zuteilwerden ließ. Gott bewahre, dass sich Rosamund je in eine Ehe wie diese begab.

„Ich will dir etwas zeigen, Rosamund, und ich hoffe, dass du nicht zu böse auf mich sein wirst.“ Niedergeschlagen zog ihre Mutter einen Brief aus der Tasche ihres Rockes. „Es tut mir so leid. Wirklich. Ich wollte dich nie in so eine Lage bringen, aber ich konnte nicht länger bleiben. Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Und ich wollte nicht ohne dich und Ethan gehen.“ Die Erwähnung ihres Sohnes war offensichtlich zu viel für sie. Sie vergrub das Gesicht in ihrem Taschentuch und schluchzte erneut.

Mit zitternden Händen entfaltete Rosamund den Brief und las.

Lass dich hier nie wieder blicken, Meribelle. Und dein Mädchen ebenso. Ihr habt euch die Suppe eingebrockt, nun werdet ihr sie auslöffeln. Mein Sohn wird deinen Namen nie wieder hören. Ich werde ihm beibringen, was rechtens ist und wie man eine Frau auf ihren Platz verweist. Glaub ja nicht, dass du Geld von mir bekommen wird. Du hast mir genug genommen.

Rosamund drehte das Papier um, doch das war alles. Nichts weiter. Keine weitere Erwähnung von ihr. Sie war nur noch das „Mädchen“, die Tochter ihrer Mutter. Ihre Mutter und sie waren auf sich allein gestellt. Ob sie ihren Bruder wohl je wiedersehen würde? In zehn Jahren würde er ein Mann sein, der seine eigenen Entscheidungen treffen konnte. Nur, wie viel Gift hatte ihr Vater ihm bis dahin eingeflüstert?

Sie schloss die Augen und kämpfte nun ebenfalls mit den Tränen. Ihre Mutter hatte davon genug für sie beide. Sie musste stark sein.

Zum Glück hatte Mrs Burnell es geschafft, ihren Schmuck mitzunehmen. Der Verkauf dieser Stücke, so vermutete Rosamund, würde ihnen ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch verschaffen. Aber was würde geschehen, wenn ihnen das Geld ausging? Sich in der gehobenen Gesellschaft zu bewegen, würde teuer werden. Wie lange würden ihre Mittel dafür ausreichen? Und was, wenn sie sich keine Verehrer einstellten?

Selbst wenn sie jemanden fand, den sie womöglich als Ehemann ertragen könnte, würde er sie ohne Mitgift heiraten? Es musste doch eine andere Lösung geben? Sicherlich residierten wohl einige Familien von Stand in Dorset? Wenn sie dort vorgestellt werden könnte, würde das vielleicht zu etwas führen …

Ihr Gefühl sagte ihr, dass ein Gentleman, der das Landleben bevorzugte, womöglich besser zu ihr passte, als ein Stadt-Geck. Was hatte Miss Everly doch gleich über den jungen Mann gesagt, der mit seinem kleinen Spaten am Fuß der Klippe im Boden grub? Irgendetwas darüber, dass er zum Haushalt eines Klosters gehörte.

Allerdings hatte Rosamund bisher nie davon gehört, dass Mönchen Zeit gewährt wurde, um so nutzlosen Tätigkeiten nachzugehen. Also war er womöglich kein Mönch. Eins wusste sie jedoch: Miss Everly hatte von ihm als „gewichtiger Person“ gesprochen. Sicher konnte sie um mehr Einzelheiten bitten, aber ein Teil von ihr scheute sich vor dem Gedanken, den Anschein zu machen, einem wildfremden Mann am Strand nachzustellen.

Dennoch würde sie die Sache selbst in die Hand nehmen müssen. Sie wusste bereits, wo er sich gern aufhielt. Morgen würde sie diese Orte also aufsuchen und sich ihm vorstellen. Sie würde so tun, als sammelte sie selbst Muscheln und ihn nach seiner Meinung fragen. Sicher kannte er die Namen der unterschiedlichen Arten. Er wirkte wie so ein Mensch. Damit erregte sie seine Aufmerksamkeit. Und dann würde sie herausfinden, was es mit dem Kloster auf sich hatte.

Rosamund reckte das Kinn. Es war erniedrigend und beschämend, aber sollte er irgendwelche nennenswerten Verbindungen besitzen, würde sie einen Weg finden, diese für sich zu nutzen.

Die Aussicht erfüllte sie mit Angst, aber sie hatte keine andere Wahl. Sie musste sich sowohl um ihre Mutter als auch um sich selbst kümmern, von dem kleinen Pom Pom einmal ganz abgesehen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass London nicht die Lösung des Problems war. Stattdessen würde sie sich kundig machen, was Osmington ihr zu bieten hatte.

Sie stand auf, schnappte sich die Sherryflasche und teilte den Rest auf ihre Gläser auf.

„Hör auf zu weinen, Ma. Ich habe einen Plan.“

KAPITEL2

Ein Strand nahe Osmington

Rosamund nahm das Bratwürstchen, das sie vom Frühstück mitgenommen hatte, und warf es hoch in die Luft. Pom Pom legte den kleinen Kopf ein wenig schief und schaute von ihr zu der Stelle, an der der Leckerbissen in ein paar Metern Entfernung auf einem Felsvorsprung gelandet war. Rosamund legte den Kopf in den Nacken. Ihr Wurfarm war deutlich kräftiger, als sie selbst vermutet hatte.

„Ab mit dir.“ Rosamund schnalzte auffordernd mit der Zunge. War Hunden der Wille zum Apportieren nicht angeboren? Zugegeben, die Klippen waren recht einschüchternd.

Ein Schweißtropfen rann in ihrem Dekolleté über ihre Haut. Sie sollte irgendwo mit einem Glas gekühltem Eistee an einem schattigen Plätzchen sitzen und nicht hier draußen in der Sonne braten. Der englische Sommer hatte sich als deutlich wärmer entpuppt, als sie erwartet hatte – wenn auch natürlich nicht vergleichbar mit der Hitze in Texas.

Es herrschte Ebbe, die das Meer zu einem weit entfernten Silberstreif jenseits einer riesigen Sandfläche hatte zusammenschrumpfen lassen. Jedes Körnchen schien die Hitze aufgesogen zu haben und diese nun an Rosamund abzustrahlen. Selbst die Möwen hatten entschieden, dass es zu heiß war, um ihr übliches Geschrei anzustimmen. Ein paar hockten in schattigen Felsnischen, der Rest segelte draußen über den Wellen.

„Was für ein leckeres Würstchen, Pom Pom.“ Sie schmatzte mit den Lippen und deutete auf die gelben und terrakottafarbenen Klippen.

Ihr sturer Hund kam offenbar zu dem Schluss, dass er vorzog, sich zu setzen, anstatt die Anstrengung zu unternehmen. Seufzend hob Rosamund den Welpen vom Boden auf.

Der Mann aus dem Kloster hatte sich bis eben in der nächstgelegenen Höhle befunden, kaum nun jedoch in ihre Richtung – wie Rosamund ein vorsichtiger Blick an den Felsen vorbei verraten hatte, die über die Küstenlinie hinausragten. Sie war sich sicher, dass das hier der Ort war, mit dem er sich am Tag zuvor schon beschäftigt hatte, unweit der Höhlen, in denen Ethan und sein kleiner Freund so viel Zeit mit ihrer Erforschung verbracht hatten.

Beim Gedanken an ihren Bruder ergriff Rosamund ein banges Gefühl. Inzwischen war er sicher in Southampton angelangt. Innerhalb des nächsten Tages würde er sich wieder auf den Weg zurück über den Ozean machen. Er hatte die Männer seines Vaters nicht freiwillig begleitet, auch wenn er sich große Mühe gegeben hatte, sich zusammenzunehmen, nachdem ihm klar geworden war, dass Rosamund und seine Mutter es nicht verhindern konnten. Vermisste er sie? Fragte er sich wohl auch wie Rosamund, ob sie sich je wiedersehen würden?

Sie vergrub das Gesicht in Pom Poms Fell und zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Ethan, dem geliebten Sohn und Erben des Burnell-Imperiums, würde es gut gehen. Ihre Mutter und sie dagegen steckten in großen Schwierigkeiten. Und dieser Mann, der jeden Moment in Sicht kommen konnte, würde ihnen vielleicht helfen, mit der feinen Gesellschaft in Kontakt zu kommen, in der sie sich bewegen wollten. Sie musste all ihre Sinne beisammenhalten.

Wenn Pom Pom nicht von allein dort hinaufkam, würde sie ihn eben tragen. Es gab mehrere Stellen auf dem Abhang, an denen sie sich festhalten konnte, auch wenn ein richtiger Pfad fehlte. Weit klettern würde sie auf jeden Fall nicht müssen. Nur weit genug, dass es plausibel den Anschein machte, Hilfe zu benötigen.

Sie raffte ihre Röcke und machte sich auf den Weg. „Siehst du, Pom Pom, so schlimm ist es gar nicht.“

Sie hatte jedoch nicht mehr als ein Dutzend Schritte getan, als ihr Hund bereits genug davon hatte, getragen zu werden.

„Oh! Verflixt und zugenäht! Halt still!“ Sie verlor ein wenig den Halt und drückte Pom Pom fester an sich. Als sie sich an einem Felsvorsprung festhalten wollte, bröselte dieser jedoch unter ihren Füßen weg, wodurch sie recht schmerzhaft auf ihren Knien landete.

Mit einem Kläffen sprang ihr der Welpe aus dem Arm und rannte zu dem Würstchen, das immer noch ein Stück weiter oben lag. Zum Glück schien er sehr trittsicher dabei zu sein, und seinen Mut hatte er auch wiedergefunden.

„O du liebes bisschen! Was machen Sie denn da oben?“, ertönte auf einmal eine Stimme irgendwo unterhalb ihrer Position. Unverwechselbar aristokratisch, unverwechselbar männlich.

Er war es tatsächlich, der hochgewachsene, schlanke Mann. Er schob seine Brille höher auf die Nase und spähte mit zusammengekniffenen Augen zu ihr empor.

„Guten Tag.“ Rosamund kauerte noch immer auf allen vieren und reckte ihre Kehrseite in die Luft. Nicht gerade würdevoll. Rasch setzte sie sich auf die Fersen zurück.

„Mein Hund. Er ist dort hinaufgeklettert, wohl um einen Vogel zu jagen, und nun schafft er es nicht mehr herunter. Ich muss ihn retten.“

„Das sollten Sie lassen. Ich meine, das ist gefährlich. Der Kalkstein ist nicht sehr stabil. Wenn Sie weiter herumklettern, könnten Sie einen Steinschlag auslösen.“

Rosamund runzelte die Stirn. Jetzt, wo er es sagte … Der Untergrund war in der Tat sehr staubig. Doch Mr Missbilligend stand trotzdem nur da und schaute zu ihr hoch.

„Ich bin so froh, dass Sie uns gefunden haben.“ Sie setzte einen Gesichtsausdruck auf, der hoffentlich zur „Jungfrau in Nöten“ passte. „Wären Sie so freundlich, mir zu helfen? Ich habe schreckliche Höhenangst.“

Das stimmte nicht. Es war zwar eine Weile her, dass sie den alten Kirschbaum im Garten ihres Elternhauses erklommen hatte, aber früher hatte sie sich dabei recht geschickt angestellt.

„Ich glaube nicht, dass ich es alleine schaffe.“

Als ob!

Der Mann schien einen Moment nachzudenken. „Es wird Ihnen wahrscheinlich nicht helfen, wenn ich zu Ihnen klettere.“ Er betrachtete den Abhang. „Sie haben den Stein schon an einigen Stellen gelockert. Besser, wenn Sie alleine wieder nach unten kommen.“

Toll! Danke für nichts.

Rosamund schaute zu Pom Pom hinüber. Dieser hatte inzwischen das Würstchen vertilgt und sich vollkommen unbeeindruckt hingelegt.

„Aber mein armer Hund!“ Rosamund rang die Hände. „Ich kann ihn doch nicht einfach hierlassen.“

„Er wird wieder herunterkommen, wenn er bereit dazu ist. Ihm wird nichts passieren. Und wie schon gesagt: Sie selbst verursachen das Problem. Sie sind viel schwerer als der Hund.“

Rosamund verkniff sich eine bissige Erwiderung. Offenbar hatte sie es geschafft, den einzigen Engländer ohne einen Funken Anstand zu finden. Vorsichtig stemmte sie sich hoch und stand auf. Ihr weißes, geblümtes Kleid war unlängst frisch gewaschen worden, doch nun war der Saum mehr orangefarben. Auch bis zur Höhe ihrer Knie zeigten sich zwei entsprechende Streifen auf dem Rock.

Missmutig schüttelte sie den Stoff aus und klopfte ihn ab. Zu spät erkannte sie, dass der bronzefarbene Staub ihr ebenso an den Händen klebte. Mrs Appleby würde nicht erfreut sein.

„Kommen Sie.“ Der Mann stellte den Segeltuchbeutel ab, den er über der Schulter getragen hatte, und streckte ihr die Hände entgegen. „Immer schön langsam. Greifen Sie nach meiner Hand, sobald Sie sie erreichen.“

Rosamund lächelte in sich hinein.

Ich kann noch etwas viel Besseres.

Sie hoffte nur, dass ihre Bemühungen nicht umsonst sein würden.

Auf dem Weg hinauf war ihr eine steilere Stelle aufgefallen. Dort wäre es ein Leichtes, so zu tun, als würde sie das Gleichgewicht verlieren, um Mr Kommen-Sie-allein-wieder-Runter zielgerichtet in die Arme zu stolpern.

Wie sich jedoch herausstellte, musste sie gar nicht viel vortäuschen. Auf den letzten Metern lösten sich mehrere Steine. Sie rutschte aus, und wahrscheinlich hätte sie ihren Fall nicht einmal aufhalten können, wenn sie es ernsthaft versucht hätte. Ihr Aufschrei, als sie den Halt verlor und unelegant auf dem Fremden landete, war reichlich echt.

Der Mann taumelte mit einem hörbaren „Uff!“ ein paar Schritte nach hinten, blieb aber auf den Beinen. Wie selbstverständlich legte er die Arme um sie, als Rosamund an seiner Brust nach unten glitt, und kurz kamen seine Hände mit ihrer Kehrseite in Kontakt, bevor sie wieder terra firma unter den Füßen hatte.

Als sie den Kopf in den Nacken legte, bemerkte sie, dass seine Brille schief saß und sie ihm den Strohhut vom Kopf gestoßen hatte. Ihr eigener war ebenfalls gefährlich ins Rutschen geraten, trotz der Sicherung mit drei Haarnadeln. Einzelne Strähnen hatten sich aus der Frisur gelöst.

Mit einiger Befriedigung betrachtete sie den Schmutzstreifen auf seiner Wange und die beiden auf seinem Hemd. Locker sitzendes weißes Leinen, und schockierenderweise waren die obersten Knöpfe nicht geschlossen, was den Blick auf etwas Brusthaar freigab. Von einem Krawattentuch oder einer Fliege war weit und breit nichts zu sehen.

Mr Wissen-Sie-nicht-wie-gefährlich-das-Ist schien sich wieder zu fassen, ließ sie los und wich einen Schritt zurück. Sichtlich nervös richtete er seine Brille, während er sie erschrocken anstarrte.

„Geht es Ihnen gut?“ Er blinzelte zweimal. „Ich meine, sind Sie verletzt?“

Seine Augen blickten sehr freundlich drein. Sie waren braun, wie sein Haar, und hatten einen weichen Ausdruck.

Etwas atemlos antwortete Rosamund: „Mir ist nichts geschehen – dank Ihnen.“

Als würde er die Worte auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, musterte der Mann sie von oben bis unten. Rosamund musste sich davon abhalten, eine finstere Miene zu ziehen. Sicher war er der Meinung, dass sie nicht gerade eine Augenweide war in ihrem Zustand, doch zumindest war sie vollständig bekleidet.

Mr Sie-sind-das-Problem hatte es nicht nur versäumt, seine Hemdsknöpfe zu schließen, seine Ärmel waren zudem bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt und ebenso seine Hosenbeine. Seine nackten Füße waren halb im Sand versunken.

Über ihren Köpfen ertönte ein lautes Kläffen, als wäre das dritte Mitglied ihrer kleinen Gesellschaft empört darüber, von ihnen ignoriert zu werden. Im nächsten Moment schoss ein weißer Blitz den Abhang hinunter. Als sich der Hund etwa auf Höhe ihrer Köpfe befand, wagte er einen riesigen Satz und landete neben der Leinentasche auf dem Sand. Innerhalb von Sekunden steckte Pom Pom die Nase hinein.

„Böser Pom… Hector! Böser Hector! Lass das sein!“ Sie war gezwungen gewesen, den Part der hilflosen Frau zu spielen, aber Rosamund wollte nicht, dass der Fremde sie als dümmlich abstempelte. Sie kannte sich mit altgriechischer Geschichte und Mythologie aus, auch wenn sie selbige nur in Übersetzung gelesen hatte.

„Mein Sandwich!“ Die Aufmerksamkeit des jungen Mannes richtete sich prompt auf sein Mittagessen, mit dem Pom Pom gerade in der nächsten Höhle verschwand.

KAPITEL3

Der junge Mann setzte dem Hund mit einem Fluch nach, der nun wirklich nicht für die Ohren einer Dame gedacht war. Definitiv kein Mönch. Sie war sich recht sicher, dass diese nicht so fluchen durften.

Aus der Höhle war ein vergnügtes Bellen zu hören. Als Rosamund die beiden schließlich einholte, schien der Kampf bereits gewonnen zu sein. Im Inneren war es gerade hell genug, um Pom Pom zu sehen, der auf einer Scheibe Brot stand. Ein Salatblatt war offenbar gekostet und für unzureichend befunden worden. Der Rest des Belags hatte deutlich mehr Zustimmung gefunden.

„Das tut mir so leid.“ Rosamund versuchte, zerknirscht auszusehen. „Er weiß noch nicht, wie er sich zu benehmen hat.“

„Er ist nur ein Welpe, der sich einen Spaß erlaubt. Davon gibt es im Leben ohnehin zu wenig, denke ich manchmal.“ Der Mann reichte ihr eine Hand. „Benedict Studborne. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“

Sie schüttelte seine Hand kräftig. „Miss Burnell.“

Der Hund schnüffelte eine Weile umher, bevor er sich eine Stelle auswählte und begeistert zu graben begann. Rosamund fühlte sich reichlich unbehaglich. Die englische Etikette war ihr vielleicht nicht in allen Einzelheiten vertraut, aber sie war sich sicher, dass es nicht gern gesehen wurde, wenn man sich mit einem Fremden an einem derart menschenleeren Ort aufhielt. Er wirkte zwar nicht wie jemand, der im nächsten Moment zudringlich werden würde, aber man wusste ja nie.

Immerhin war es hier kühler, dafür der Geruch nach Seetang wesentlich kräftiger. In diesem Moment erinnerte sie sich an die Muscheln, die sie sich zuvor in die Tasche gesteckt hatte, und holte sie heraus. „Ich habe die aus einem kleinen Felsenteich gesammelt, als Hector die Klippe hinaufgeklettert ist.“ Sie zeigte Mr Studborne die Schalen. „Sie ergeben sicher ein hübsches Arrangement für ein Gemälde.“ Im Moment improvisierte sie, allerdings steckte auch ein Funken Wahrheit darin. Sie hatte die Küstenlandschaft schon zu unterschiedlichen Tageszeiten mithilfe ihrer Aquarellfarben festgehalten. Doch ihr ging erst jetzt auf, dass die Muscheln ein durchaus interessantes Motiv darstellten.

„Sie haben einige Gerippte Purpurschnecken und ein paar Wellhornschnecken gefunden. Die Wellhornschnecken sind Fleischfresser, die sich durch die Schalen anderer Tiere bohren, um das weiche Innere der Mollusken auszusaugen.“ Er stupste die Schalen mit einem Finger an. „Wie es aussieht, sind einige von ihnen noch am Leben.“

Rosamund war nicht zartbesaitet, aber die Vorstellung, eine Handvoll Raubschnecken in der Hand zu halten, war ihr doch zu viel. Hastig kippte sie die Tiere in einen Tümpel in der Höhle und wischte sich die Hand an der Rückseite ihres Rockes ab.

„Beim nächsten Mal sollten Sie sie umdrehen, um das zu überprüfen. Oder Sie gehen weiter oben am Strand auf Schatzsuche. Dort ist es unwahrscheinlicher, auf lebende Exemplare zu treffen.“ Er nahm seine Brille ab und putzte die Gläser mit einem Taschentuch.

Ja, er hatte wirklich hübsche Augen, dachte Rosamund bei sich.

„Sie scheinen viel darüber zu wissen.“

Er zuckte leicht die Schulter. „Fossilien interessieren mich mehr, aber man muss über das eine Bescheid wissen, um Kenntnis vom anderen zu erlangen. Wussten Sie, dass Napfschnecken bis zu fünfzehn Jahre alt werden können? Sie ernähren sich von Algen, kehren jedoch immer wieder in dieselbe kleine Kuhle zurück, die sie sich selbst in den Fels gebaut haben.“

„Sie sind wohl häuslich veranlagt?“ Rosamund konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, auch wenn ihr der Gedanke an Napfschnecken, die sich einen Weg zurück zu einem festen Platz suchten, an dem sie sich sicher und zufrieden fühlten, einen Stich ins Herz versetzte. Auf gewisse Weise taten das alle, nicht wahr? Jeder verbrachte sein Leben mit der Suche nach einem solchen Ort.

„Mir ist Ihr Akzent aufgefallen, Miss Burnell.“ Mr Studborne klang beinahe schüchtern. „Ich verfolge die paläontologischen Anstrengungen in Como Bluff und die beeindruckenden Funde, die dort gemacht wurden. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie schon einmal dort waren?“

Rosamund wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Natürlich hatte sie von den Dinosaurierknochen gehört, die in Wyoming in der Wüste gefunden worden waren. Das hatte doch jeder. Aber die Ausgrabung besuchen? Selbst wenn sie das Interesse daran oder die Möglichkeit dazu gehabt hätte, war das immer noch knapp eintausend Meilen von ihrem Zuhause in Texas entfernt.

Sie entschied sich für eine zurückhaltende Antwort. „Nein, leider nicht. Auch wenn es sicher faszinierend wäre.“

Von einer Sekunde auf die andere wirkte Mr Studborne überaus aufgeregt.

„Man kann es natürlich schlecht miteinander vergleichen, aber dieser Teil der Küste ist berühmt für seine Funde. Haben Sie von Mary Anning und ihrem Ichthyosaurus gehört?“

Das konnte Rosamund nun nicht behaupten, aber sie nickte höflich.

Er senkte die Stimme, als würde er sie in ein großes Geheimnis einweihen. „Der Magen enthielt sichtbar Überreste von prähistorischen Fischen, ist das zu glauben?“

Rosamund gab einen interessierten Laut von sich, auch wenn sie nicht viel Begeisterung für Dinge aufbringen konnte, die schon seit Millionen von Jahren tot waren.

Er sprach trotzdem weiter: „Das hier ist einer der ergiebigsten Abschnitte, von Osmington Mills aus Richtung Westen. Hier am Strand gibt es viele Steine aus der Kreidezeit, und bei Black Head beginnt dann der Korallenabschnitt. Unweit von hier konnte ich ein Fossil skizzieren, das in die Felswand eingebettet ist. Man findet am Fuß der Klippen und vergraben im Sand unzählige Fragmente, aber man benötigt ein gutes Auge, um die besten Exemplare zu finden. Wenn Sie möchten, könnte ich es Ihnen zeigen.“

Nun kam die Sache endlich in Fahrt. Sie würde sich von ihm seine Steine vorführen lassen und begeistert darüber tun, wie großartig sie waren, bevor sie mit ihrer Befragung begann. Dadurch könnte sie herausfinden, wo sich dieses Kloster befand und was er damit zu schaffen hatte.

Sie wollte gerade vorschlagen, dass sie wieder hinaus in die Sonne gingen und den Rundgang zu „Dorsets aufsehenerregendsten Steinen“ begannen, als Pom Pom davon abließ, Sandmassen zu bewegen, und stattdessen laut aufjaulte.

„Oh, P… Hector! Was ist denn los, Schatz?“ Rosamund umfasste seinen Kopf mit den Händen. „Hast du dir beim Graben an den Pfoten wehgetan?“

„Es scheint, als hätte er einen Krebs gefunden und wäre dafür gezwickt worden.“ Mr Studborne beugte sich hinunter und hob etwas aus dem Loch auf. „Nein, kein Krebs. Schauen Sie nur, Ihr Hund hat einen Fund gemacht – ein hübscher Ammonit, nur leider ein wenig recht klein, fürchte ich.“

Er wusch das Objekt in der gleichen Pfütze, in die Rosamund zuvor die Schneckenhäuser geworfen hatte, ehe er es ihr hinhielt. Dann griff er nach ihrer Hand und führte ihren Zeigefinger über die harten, gebogenen Rillen und die immer enger werdende Spirale.

„Einfacher Aufbau, aber sehr effizient. Die Abschnitte verleihen der Schale Stabilität, damit sie nicht vom Wasserdruck zermalmt wird. Das eigentliche Tier lebt nur im letzten Abschnitt. Frühe Arten waren in Antrieb und Bewegung Unterseebooten nicht unähnlich. Sie pressten Wasser oder Luft heraus, wie sie es gerade brauchten.“

Ihr Finger gelangte ans Zentrum der versteinerten Schale. Und sein leicht behaarter, nackter Unterarm berührte ihr Handgelenk.

Rosamund schaute auf. Fossilien waren ihr vollkommen gleichgültig, aber die Art, wie Mr Studborne sie ansah, ließ sie ein wenig schwindelig werden.

„Miss Burnell?“, fragte er leise und umfasste ihre Hand nun vollständig mit seiner.

„Ja?“ Ihr Blick fiel auf seine Lippen.

Plötzlich machte er einen Satz von ihr weg. Pom Pom hatte sich an den Knöchel des Gentlemans geklammert und schien …

„Oh, wie ungezogen! Lass das sein!“ Rosamund unterdrückte ein Kichern. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Er scheint Sie zu mögen.“

Die rhythmischen Beckenbewegungen des Terriers waren unmissverständlich. Vielleicht hätte es weniger ungebührlich ausgesehen, wenn Mr Studborne seine Hosen nicht aufgekrempelt hätte. Er schüttelte sein Bein, doch der Welpe machte keine Anstalten, von seinen Liebesbekundungen abzulassen.

So sehr Rosamund ihren Pom Pom auch liebte und in diesem Fall einschreiten sollte, verspürte sie jedoch kein Bedürfnis, ihn hochzuheben, wo er doch voller nassem Sand war. Stattdessen griff sie in ihre Rocktasche. Zum Glück hatte sie noch ein Stück Würstchen. Sie holte es hervor und schwenkte es unter Pom Poms Nase, bevor sie es in Richtung Höhleneingang warf. Der Plan ging wunderbar auf. Mit einem begeisterten Kläffen rannte der Hund hinterher. Mr Studborne hüstelte verlegen und bedeutete ihr, voranzugehen.

Was auch immer er zu sagen oder tun vorgehabt hatte, war von seinem Sinn für Anstand in die Schranken gewiesen worden und er kehrte wieder zur Förmlichkeit zurück. „Was bringt Sie denn an die Jurassic Coast, Miss Burnell?“ Er schob die Hände tief in seine Hosentaschen, als müssten die verräterischen Körperteile rasch versteckt werden.

Wenn sie ehrlich zu ihm sein wollte, war jetzt die Gelegenheit dazu. Er wirkte durchaus nett. Vielleicht würde er ihr helfen, Zugang zur gehobenen Gesellschaft zu bekommen, auch wenn er von ihrem Schicksal erfuhr. Durfte sie das Risiko eingehen?

Ihr Gewissen machte sich bemerkbar. Die Lügen vertrugen sich nicht gut damit, aber es stand einfach zu viel auf dem Spiel.

„Mein Vater kam auf die Idee. Ich habe kürzlich meinen Geburtstag gefeiert, und das war sein Geschenk.“ Sie tat ihr Bestes, um möglichst fröhlich zu klingen und nichts von der Traurigkeit durchscheinen zu lassen. „Er ist sehr großzügig, und ich wollte schon immer einmal das England besuchen, von dem ich bisher nur in Romanen gelesen habe.“

„Und Sie wollten ausgerechnet hier anfangen?“, erkundigte sich Mr Studborne amüsiert.

„Nun, unsere Wahl fiel eher für meinen kleinen Bruder auf den Strand.“ Als sie wieder ins Freie traten, bemerkte Rosamund erleichtert, dass die Meeresbrise aufgefrischt hatte und Wolken über den Himmel trieb, die für ein wenig Schatten sorgten. Sie konnte nur hoffen, dass ihr nicht ein Blitzschlag drohte, der sie für ihre Lügen niederstreckte.

„Aber er ist inzwischen auf dem Rückweg zu meinem Vater. Meine Mutter und ich sind geblieben, um nun unsere Rundreise zu beginnen.“ Das war zumindest nicht ganz unwahr. „Ich nehme nicht an, dass Sie eine Empfehlung hätten, wo wir beginnen könnten? Meine Mutter hegt große Leidenschaft für die Romane von Miss Austen und wird sicher nicht eher Ruhe geben, bis Sie etwas gesehen hat, das Pemberley oder Mansfield Park gleichkommt, oder … Northanger Abbey.“ Sie hielt für einen Moment die Luft an.

Mr Studborne schwieg und grub die Zehen in den Sand, sodass sie schon Angst hatte, das Falsche gesagt zu haben.

Rosamund räusperte sich. „Soweit ich weiß, kann man einige Häuser zu dieser Jahreszeit besichtigen.“

„Ja, das stimmt. Es gibt zumindest einige Familien, die ihre Heimstätten auf diese Weise der Öffentlichkeit zugänglich machen.“ Weiter schien er nicht ins Detail gehen zu wollen, aber er betrachtete den Ammoniten kurz, bevor er ihn Rosamund reichte.

„Den sollten Sie mitnehmen, nachdem es Ihr Hund war, der ihn gefunden hat.“

Ihre Finger berührten sich beinahe, als sie das Fossil entgegennahm. Der verkalkte Stein, oder wie auch immer man das nannte, war nun wärmer. Sie steckte ihn in ihre Tasche und schloss die Hand darum.

Mr Studborne atmete ein paarmal tief durch. „Und vielleicht möchten Sie sich den Landsitz meines Onkels anschauen. Er ist alt genug, um für Sie von Interesse zu sein. Sie könnten einen Tagesausflug machen, aber ich bin mir sicher, dass Sie dort auch für länger willkommen wären. Mein Gedanke war immer, dass man erst ein richtiges Gefühl für ein Haus bekommt, wenn man unter seinem Dach geschlafen hat und den heranbrechenden Morgen aus seinen Fenstern beobachtet.“

„Nun, das klingt in der Tat wundervoll.“ Rosamunds Herz schlug ein wenig schneller. „Ich hoffe, dass wir Ihnen damit keine Umstände bereiten. Es wäre wirklich sehr nett. Meine Mutter kann oft gar nicht aufhören zu reden, fürchte ich, aber es würde ihr wirklich sehr viel Freude bereiten.“

„Die Freude wäre ganz auf unserer Seite, da bin ich mir sicher.“

Sie kamen zurück zu der Stelle, wo seine Leinentasche im Sand lag, und er schwang sie sich über die Schultern.

„Verraten Sie es meinem Onkel nicht, aber das Haus ist viel zu still, seit dem Tod meiner Tante. Es wird ihm guttun, etwas muntere Gesellschaft zu haben.“

„Dann werden wir uns bemühen, dem gerecht zu werden.“ Rosamund schlang die Arme um sich selbst. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden.

Es klang, als würde Mr Studbornes Onkel zurückgezogen leben, aber alteingesessene Familien kannten alles und jeden. Mit ein bisschen geschickter Konversation würde Rosamund ihm sicher nützliche Informationen für ihr Vorhaben entlocken können.

Pom Pom war inzwischen weit vorausgelaufen in Richtung des kleinen Dorfs oberhalb des Strands. Die Flut hatte eingesetzt, und der Wind nahm an Stärke zu. Plötzlich fröstelte Rosamund. Wie schnell sich doch alles veränderte. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, und selbst der hellste Sonnenschein musste sich den bereits lauernden Wolken beugen.

Aber sie hatte ihr Ziel erreicht. Es jetzt noch weiterzutreiben, würde nichts bringen.

„Bitte entschuldigen Sie.“ Sie schenkte dem Gentleman ein kleines Lächeln. „Ich sollte ihm besser folgen. Vielleicht können Sie mir die Fossilien ein andermal zeigen.“

„Natürlich.“ Ihr neuer Bekannte verbeugte sich, als würden sie sich in einem Ballsaal gegenüberstehen und gleich miteinander tanzen.

Rosamund wandte sich um und ging zügig los, als er ihr noch nachrief: „Sie wohnen in einem der Cottages dort oben? Ich kläre die Angelegenheit mit meinem Onkel und lasse Ihnen eine Nachricht zukommen. Wir sehen uns sicher bald wieder.“

„Und wohin sollen wir dann kommen?“ Rosamund dreht sich noch einmal um. Erst jetzt kam sie darauf, danach zu fragen.

Er legte die Hände an den Mund, und sie hörte seine Antwort klar und deutlich über den Wind und die Schreie der Möwen hinweg, die sich aus ihren schattigen Nischen hervorwagten.

„Studborne Abbey.“

Abbey. Also kein Kloster.

KAPITEL4

„Das war sehr klug von dir, Honey.“ Mrs Burnell lehnte sich in der Kutsche nach vorn, um Rosamunds Hand zu drücken. „Und sogar eine Einladung von einem Duke!“

Rosamund zwang sich zu einem Lächeln, es fiel jedoch eher schwach auch. „Nicht vom Duke, Ma. Sein Neffe hat uns eingeladen.“

Sie konnte immer noch nicht fassen, dass das wirklich passierte. Selbst als Mr Studbornes Brief eingetroffen war, in dem er ihnen vorschlug, Zeit mit seiner Familie auf dem Landsitz zu verbringen, hatte sie die Bedeutung des geprägten Papiers noch nicht erkannt. Erst als das schicke schwarze Gespann vor ihrem Haus gehalten hatte, war ihr durch das große Wappen auf der Kutschentür bewusst geworden, wie groß die Ehre war, die ihnen zuteilwurde.

Mrs Appleby, die ihnen beim Packen der Truhe geholfen hatte, war herbeigeeilt, um ein paar Worte mit dem Kutscher zu wechseln und der Köchin und Haushälterin in der Abbey die besten Grüße auszurichten. Außerdem erkundigte sie sich nach der Gesundheit Seiner Gnaden.

Das hatte die Aufmerksamkeit ihrer Mutter erregt.

„Vielleicht findet ja der Duke selbst Gefallen an dir, Liebes.“ Ganz offensichtlich schmiedete Mrs Burnell bereits große Pläne.

Rosamund beobachtete die vorbeiziehende Landschaft. Das Meer hatten sie inzwischen hinter sich gelassen, und nun wurde die Aussicht auf Heide und Dünen durch sattgrüne Hügel ersetzt.

Waren Jugend und Schönheit genug, um das Herz eines Mannes zu gewinnen? Darüber hinaus hatte Rosamund auf den ersten Blick nichts zu bieten. Keine Verbindungen. Keine Mitgift. Ihr Vater würde seine Meinung in dieser Sache sicher nicht ändern.

Vielleicht brauchte der Duke keine reiche Braut, aber er konnte wahrscheinlich jede Lady haben, die er wollte. Ein amerikanischer Emporkömmling wie sie entsprach sicher nicht seiner Vorstellung von einer passenden Ehefrau.

Sie befreite die Hand aus dem Griff ihrer Mutter und streichelte Pom Pom, der sich neben ihr auf der Sitzbank zusammengerollt hatte.

Neben der leicht abschüssigen Straße wand sich ein Bach entlang, der durch den ausbleibenden Regen nicht viel Wasser führte. Sie durchquerten ein Wäldchen, wo dichte Baumkronen das Licht aussperrten, doch ab und an fielen immer wieder Sonnenstrahlen in die Kutsche.

Es geschah ihr natürlich nur recht. Rosamund hatte einen Wunsch in die Welt geschickt, auf dass das Schicksal ihnen Rettung senden möge, und nun war sie da – in Form eines älteren Witwers, der vielleicht Gefallen an ihr finden würde, wie ihre Mutter es so schön ausgedrückt hatte.

Und was dann? Sollte sie all ihre eigenen Gefühle außer Acht und sich von ihm den Hof machen lassen, wenn es ihm beliebte?

„Wir müssen dich im besten Licht dastehen lassen.“ Mrs Burnell strahlte Rosamund an. „Du bekommst das Rubincollier meiner Großmutter mit den passenden Ohrringen. Leg das zum Abendessen an.“

Mrs Burnell war dazu übergegangen, die Kette immer unter ihrer Bluse zu tragen, damit sie nicht gestohlen werden konnte, aber zu Ehren ihres Geburtstags hatte sie die Kette Rosamund zusammen mit den Ohrclips übergeben.

Natürlich würde der Schmuck verkauft werden müssen. Ihnen sollten genug Mittel zur Verfügung stehen, um sich in der feinen Gesellschaft zu bewegen. In der Zwischenzeit würden die Juwelen Rosamunds Status als reiche Erbin untermauern, die sie vor nicht allzu langer Zeit noch gewesen war.

Ihre Mutter plapperte munter weiter. „Offenbar war der Duke seiner verstorbenen Frau sehr zugetan. In solchen Fällen braucht ein Herz Zeit, um zu heilen, also sucht er vielleicht für den Moment nicht nach einer Ehefrau.“ Sie tippte sich gegen das Kinn. „Womöglich musst du ihn daran erinnern, inwiefern diese eine Bereicherung für sein Leben sein kann. Sei dabei nicht so subtil, Rosamund. Mrs Appleby hat mir berichtet, dass er noch nicht Vater eines Erben geworden ist, also stell sicher, dass du zügig in anderen Umständen bist, sobald er sich dir nähert. Natürlich wäre es besser, wenn das erst nach der Heirat der Fall wäre, aber es gibt mehr als einen Weg zum Altar.“

„Ich bitte dich, Ma.“ Sie verdrehte die Augen. Es war kein Geheimnis, dass Rosamund gerade einmal sechs Monate nach der Hochzeit ihrer Eltern zur Welt gekommen war, aber sie war sich ziemlich sicher, dass man so etwas in Adelskreisen nicht tat. Zumindest konnte sie sich nicht erinnern, darüber etwas in Miss Austens Romanen gelesen zu haben.

„Man sollte auf alles vorbereitet sein.“ Mrs Burnell faltete die Hände mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck im Schoß. „Vergiss das Buch nicht, das ich dir zum Geburtstag geschenkt habe, Liebes. Darin steht viel Nützliches, und gerade über die Tischetikette kann man gar nicht genug wissen. Diese Engländer haben so viele Regeln.“

Gehorsam holte Rosamund das Buch aus der Tasche neben sich. Es war in rosafarbenes Leder gebunden und mit Goldschrift geprägt. Alles Wissenswerte für die Lady. Mrs Burnell hatte eine persönliche Note auf das Vorsatzblatt geschrieben.

Für meine geliebte Rosamund,

zu deinem einundzwanzigsten Geburtstag.

Ich wünsche dir ein Leben voller Glück.

In Liebe

Mutter

Glück. Was bedeutete das überhaupt? Ehe. Kinder. Status. Sicherheit. Das waren die Dinge, die Frauen angeblich zufrieden machten.

Rosamund blätterte durch die Seiten vor und zurück. Mut. Mitgefühl. Kleidung. Fächer. Vergebung. Gabeln! Ah, Buchstabe G. Und da war er, der Eintrag zum Thema Glück.

Unser Leben ist so bedeutungsvoll und schön, wie man es sich gestaltet. Schauen Sie nicht wehmütig auf das zurück, was Sie einst hatten, und haben Sie auch keine Angst davor, was Sie noch erwartet. Suchen Sie Ihr Glück dort, wo Sie sich gerade befinden. Der Spatz in der Hand ist ebenso lohnend wie die Taube auf dem Dach.

Das war kein schlechter Rat. Ihre Mutter würde wohl anmerken, dass sie den Duke praktisch schon in der Hand hatte – ein leicht zu fangender Spatz. Bei den Tauben auf dem Dach wusste man nie, ob sie auch wirklich lohnenswert waren.

Da gab es natürlich auch noch den Neffen des Duke. Allerdings hatte ihre Mutter bereits von Mrs Appleby erfahren, dass der junge Mann nur über ein geringes Vermögen verfügte und überwiegend auf die Großzügigkeit Seiner Gnaden angewiesen war. Rosamund konnte nicht leugnen, dass sie Mr Studborne mochte, auch wenn er ein rechter Bücherwurm zu sein schien. Aber ihre Situation erforderte es, sich auf einen größeren Fang zu konzentrieren, egal, wie wenig ihr das auch gefallen mochte.

„Du solltest dir die Hinweise zur Ehe durchlesen.“ Mrs Burnell lehnte sich erneut ein wenig nach vorn und senkte die Stimme. „Und die Kapitel über das Schlafzimmer.“

Das letzte Wort formte sie nur noch mit den Lippen, als könnte der Kutscher sie über das Rattern der Räder und Klappern der Pferdehufe hinweg hören.

Rosamund musste jedoch zugeben, dass ihre Mutter recht hatte. Alle siegreichen Soldaten zogen vorbereitet in die Schlacht. Wenn in diesem Buch etwas Nützliches stand, sollte sie sich darüber informieren. Es war ein guter Anfang.

Die Zuneigung von Männern und Frauen wird gleichermaßen schnell gewonnen. Ein nettes Lächeln und eine freundliche Miene verschaffen selbst dem gewöhnlichsten Gesicht mehr Charme. Dann muss man nur noch zuhören und auf das Gesagte reagieren. So fühlt sich das Gegenüber gehört und ernst genommen.

Rosamund hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass Zuhören besser war als Sprechen. Nach ihrer Meinung wurde nur selten gefragt, und sie wurde auch nicht für wert befunden. Doch wie antwortete man ehrlich? Und wie wurde sie selbst „gehört und ernst genommen“?

Wenn noch mehr solcher Unfug in diesem Buch stand, würde das ihrer Laune nicht zuträglich sein. Verstimmt klappte sie es wieder zu.

Eines hatte sie sich fest vorgenommen: Sie würde ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Im Moment befand sie sich in einer Zwangslage, aber das bedeutete nicht, dass sie das nicht ändern konnte. Selbst wenn Unangenehmes vor ihr lag, könnte sich daraus etwas Gutes entwickeln. Immerhin winkte ihr Sicherheit und ein eigenes Zuhause. Und eines für ihre Mutter.

Wenn sie dafür Opfer bringen musste, würde sie das in Kauf nehmen.

* * *

Endlich lichteten sich die dicht an dicht stehenden Bäume. Sie bogen von der Straße ab, und der Torwächter eilte ihnen entgegen. Als sie durch das große schmiedeeiserne Tor fuhren, starrte der Mann die Kutsche offen an. Rosamunds Blick traf seinen, doch er wandte sich nicht ab.

Wie dreist! Aber vermutlich bekommen Dukes nicht so viel Besuch, wenn man sich an einen derart abgelegenen Ort zurückgezogen hatte, dachte Rosamund. Seine Neugierde kann man dem Torwächter wohl kaum verübeln.

Pom Pom regte sich und kletterte auf Rosamunds Schoß, um aus dem Fenster zu sehen, sodass nun sein Gesicht anstatt das seiner Herrin zu sehen war. Er wedelte unsicher mit dem Schwanz angesichts des starrenden Fremden, aber dann waren sie vorbei und fuhren durch ein Wäldchen aus Eichen, Birken und Kastanien.

Wenig später wichen die Bäume einer gepflegten Allee aus Linden, hinter denen Rasenflächen erkennbar waren. Die lang gezogene Auffahrt führte an Obstwiesen und einem mit Steinmauer eingefassten Garten vorbei. Schließlich eröffnete sich ihnen ein atemberaubender Ausblick: ein See, ein kleines Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite, das an einen griechischen Tempel erinnerte, und das Haus selbst, das sich auf der Spitze des Hügels befand.

Ihre Mutter reckte den Hals. „Ach, Liebes. Wenn dich das nicht ermutigt, die Aufmerksamkeit des Dukes zu erregen, weiß ich auch nicht.“

Die Abbey war aus honigfarbenem Stein errichtet worden und herrlich anzusehen. Kleine Türmchen reckten sich über den Zinnen gen Himmel. Hier hatten einmal Mönche gelebt? Das Haus wirkte seltsam pompös für ein Zuhause der Diener Gottes, aber möglicherweise war das ursprüngliche Gebäude einst kleiner gewesen. Rosamund hatte gelesen, dass es durchaus üblich war, diese Bauten im Laufe der Zeit zu erweitern und dass jede Generation von Eigentümern ihre Spuren durch Anbauten und Verbesserungen hinterlassen wollte.

Das Sonnenlicht brach sich in den schmalen, bleiverglasten Koppelfenstern, die tief in den Stein eingebettet waren. Ob dort jemand zu ihnen herausschaute, konnte Rosamund nicht sehen.

Kies knirschte unter den Rädern, als die Kutsche hielt und der Kutscher vom Bock stieg. Er klappte die Stufen aus, bevor er erst ihrer Mutter und dann Rosamund hinaushalf.

Rosamunds Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie würde Mr Studborne wiedersehen. Sicher war er doch anwesend, um sie zu begrüßen. Immerhin hatte er sie eingeladen. Die Tür wurde jedoch nicht von ihm geöffnet.

Auf der Türschwelle erschien ein älterer, etwas gebeugter, schwarz gekleideter Mann mit schütterem Haar und eingefallenen, fahlen Wangen. Einen schrecklichen Moment lang befürchtete Rosamund, dass es sich dabei um den Duke handelte. Aber natürlich war es der Butler. Nachdem er sie begrüßt hatte, gab er den Weg ins Innere des Hauses frei.

Zu beiden Seiten der Eingangshalle hingen große Wandteppiche mit Jagdszenen und darüber Furcht einflößende Hirsche – deren Köpfe auf Holzplatten angebracht neben gefährlich aussehenden Klingenwaffen ihren Platz gefunden hatten. In dem riesigen Kronleuchter über ihren Köpfen flackerten Kerzen.

Über der breiten Treppe waren hohe Fenster und ein großzügiger Treppenabsatz in Form einer Galerie zu sehen, und doch herrschte eine bedrückende Atmosphäre, als würde die Eichenholzvertäfelung immer näher rücken. Das Geräusch der Tür, die hinter ihnen ins Schloss fiel, verstärkte das Gefühl noch.

Der Butler nahm ihre Mäntel mit zitternden Fingern entgegen. Die Blutgefäße traten an seinen Händen deutlich sichtbar hervor, und die Haut war bläulich verfärbt, die Gelenke geschwollen. Dieser Mann war ganz offensichtlich zu alt, um noch arbeiten zu müssen. Aber diese loyalen Familienangestellten blieben oft, bis sie tot umfielen. Ein Segen oder auch ein Graus, je nachdem, wie man es sehen wollte.

Der Blick seiner wässrigen Augen traf Rosamunds, dann neigte der Butler den Kopf. „In der Bibliothek, Madam. Der Hausherr erwartet Sie.“

KAPITEL5

Der durchdringende Geruch von Leder stieg ihnen in die Nasen. Die Wände waren mindestens dreißig Meter lang und gesäumt von Bücherregalen, die vom Boden bis zur Decke reichten und vollgestopft waren mit den unterschiedlichsten Ausgaben. Dazu gab es zwei Kamine, und am vorderen lehnte ihr Gastgeber und starrte in die lodernden Flammen. Ein großer Hund lag zu seinen Füßen, und erst, als sich der Duke aufrichtete, trat seine imposante Statur zutage.

Er besaß ein scharf geschnittenes Gesicht mit einer markanten Nase, auf die Cäsar stolz gewesen wäre, einer hohen Stirn und tief liegenden Augen. An seinen Schläfen und in seinem Schnurrbart zeigte sich erstes Grau, aber das tat seiner Vitalität keinerlei Abbruch.

„Willkommen in meinem Heim.“ Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Dukes aus, und er musterte Rosamund und ihre Mutter von oben bis unten.

Das Feuer warf in dem eher schummrigen Raum einen rötlichen Schein auf sein Gesicht. Der Hund hob den Kopf, und unvermittelt hatte Rosamund das Gefühl, Hades höchstselbst gegenüberzustehen – der König der Unterwelt, flankiert von Zerberus.

Nun war Rosamund froh, dass der Butler vorgeschlagen hatte, Pom Pom mit in die Küche zu nehmen, wo einige Leckerbissen auf ihn warteten. Der arme Kleine würde sicher vor Angst erzittern, wenn er die Deutsche Dogge erblickte.

„Oh, Euer Gnaden. Wir wissen dieses Privileg sehr zu schätzen.“ Mrs Burnell machte einen wackeligen Knicks und zupfte an Rosamunds Ärmel, damit sie ihrem Beispiel folgte.

„Bitte, für solche Formalitäten gibt es doch keinen Grund.“ Mit einer ausladenden Geste bot der Duke ihnen an, sich zu setzen. „Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Es war ein höchst glücklicher Zufall, dass mein Neffe Sie kennenlernen durfte.“ Er ließ sich im Sessel neben dem Kamin nieder. „Cornwort wird sich um Ihr Gepäck kümmern, und Sie wollen sich sicher etwas ausruhen, aber erst sollten Sie eine kleine Erfrischung zu sich nehmen.“

Beinahe auf den Punkt öffnete sich die Tür, und ein Dienstmädchen kam herein. Das Porzellan auf ihrem Tablett klapperte laut, als sie es vor ihnen abstellte, und zwei der Tassen rollten von den Untertassen. Der Duke sagte nichts dazu, aber das Mädchen hatte trotzdem sichtlich Angst. Ungeschickt versuchte sie, das Geschirr zu richten.

„Genug.“ Der Tonfall des Dukes war knapp, sein Missfallen offensichtlich.

Das Dienstmädchen vergrub die Hände in der Schürze und machte einen Knicks, bevor sie die Bibliothek fluchtartig verließ. Der Duke stellte die Tassen wieder ordentlich auf und griff nach der Teekanne. Der Anblick war befremdlich, aber er füllte ihre Tassen geübt.

„Wo Sie schon einmal hier sind, müssen Sie unbedingt einige Tage bleiben und Ihren Aufenthalt in der Abbey genießen. Mein Neffe sagte mir, dass Ihr Vorhaben noch nicht fest geplant ist, also ist ein Protest vollkommen zwecklos.“

„Wie überaus freundlich von Euch.“ Strahlend nahm Mrs Burnell ihre Tasse entgegen.

Rosamund musterte den Inhalt, als sie ihre in den Händen hielt. Die Flüssigkeit war sehr dunkel, roch aber nicht nach Kaffee.

„Oh, wie köstlich!“, rief Mrs Burnell aus. „Ihr verwöhnt uns sehr. Sicher wisst Ihr, wie sehr die Damenwelt Schokolade liebt, Euer Gnaden.“

„In der Tat.“ Er hob seine Tasse an die Lippen und atmete genießerisch ein, bevor er den Inhalt kostete. „Und sie besitzt so viele gesundheitsförderliche Eigenschaften. Sehr kraftspendend.“

„Das muss ich meinem Ehemann erzählen. Er ist eher ein Mann des Bourbon, obwohl er sich auch von Zeit zu Zeit eine Tasse Kaffee gönnt.“ Rosamunds Mutter gab sich bewusst einfältig. „Er arbeitet so viel. Vielleicht haben Sie ja schon von den Burnells aus Texas gehört? Das größte Ölvorkommen des ganzen Staates. Aber selbstverständlich geht man mit so etwas nicht hausieren …“

Der Duke ignorierte die unfeine Erwähnung von Reichtum und wandte sich stattdessen an Rosamund. „Wie gefällt Ihnen England denn bisher, Miss Burnell? Es ist grüner als Texas, möchte ich meinen.“

„Überaus gut.“ Rosamund ließ die Tasse samt Untertasse auf ihrem Knie ruhen. „Und umso mehr jetzt, wo ich in den Genuss Ihrer herrlichen Abbey komme. Ich freue mich schon sehr darauf, mehr über die Geschichte des Hauses zu erfahren.“

„Dann werde ich Ihnen gerne etwas darüber erzählen.“ Der Duke lehnte sich ein wenig in seinem Sessel nach vorn, und seine Aufmerksamkeit war allein auf Rosamund gerichtet. „Das Haus wurde auf den Grundmauern eines alten Klosters errichtet, allerdings existiert nur noch ein kleiner Teil des ursprünglichen Baus. Das Kloster wurde von einem Franziskanermönch, einem Vasco de Benevente, gegründet, der eine unglaubliche Reise nach Mexiko unternommen hat. Aber während der Reformation wurde das Kloster aufgelöst und ist in Privatbesitz übergegangen, wie viele andere heilige Stätten zu dieser Zeit. König Heinrich VIII. verlieh meiner Familie damals den Herzogtitel.“

„Faszinierend.“ Rosamund ließ den Blick durch die Bibliothek schweifen. Hier gab es mehr Bücher, als sie je zuvor irgendwo gesehen hatte, aber das musste nicht viel heißen. Ihr Vater war kein großer Freund des Lesens.

In diesem Moment bemerkte sie die Porträts. Über jedem der beiden Kaminsimse hing ein großes Gemälde. Das auf ihrer Seite zeigte eine Frau in einem eleganten blauen Reitkleid mit Gerte in der Hand. Ihr Haar hatte einen ähnlichen Blondton wie Rosamunds und war unter einem mit purpurfarbener Spitze besetzten Hut hochgesteckt. Die Farbe stand ihr ausgezeichnet, da ihre Augen einen tiefen Saphirton besaßen, und in ihnen tanzte der Schalk, was sie selbst auf dem Porträt sympathisch wirken ließ.

Das andere Bild konnte sie nicht so gut erkennen, aber sie vermutete, dass es sich dabei um die gleiche Frau handelte – in hellgelbem Chiffon und mit unbedecktem Haar, sodass ihre Schönheit noch mehr zur Geltung kam.

Als Rosamund wieder zum Duke schaute, wurde ihr bewusst, dass er sie beobachtete und mitbekommen hatte, wie sie die Gemälde betrachtete. Zuvor war er ihr einschüchternd vorgekommen, auf eine anziehend gefährliche Art. Nun sah er vollkommen anders aus: wehmütig und traurig.

„Glauben Sie daran, dass die Menschen, die wir lieben, im Jenseits auf uns warten, Miss Burnell?“

Aus dieser Frage schloss sie, dass es sich bei der Frau um die verstorbene Duchess handelte, die Mr Studborne neulich am Strand erwähnt hatte. Dem Gesichtsausdruck des Dukes entnahm sie, dass er ihr sehr zugetan gewesen war. Rosamunds Mitgefühl für ihn stieg angesichts von so viel Zuneigung. Sie war noch nie verliebt gewesen und konnte über die Bindung zwischen Eheleuten, die über die Jahre wuchs, nur mutmaßen. Wie traurig es sein musste, wenn der Tod das trennte.

„Man muss sich den Glauben daran bewahren“, erwiderte sie schlicht.

Er nahm ihre Anteilnahme mit einem Nicken entgegen. Den Ausdruck in seinen Augen konnte sie nicht umfassend deuten, aber die Emotionen – unausgesprochene Trauer und Einsamkeit – gingen ihr ans Herz.

Ihre Gedanken verweilten kurz bei seinem Neffen. Der eine Mann begann gerade erst seine Reise, und sein ganzes Leben lag noch vor ihm. Der andere war von Liebe und Verlust geformt worden, und der Schmerz zeigte sich in den feinen Linien in seinem Gesicht.

Der Duke of Studborne war ganz anders, als sie erwartet hatte.

* * *

Sie stiegen die Treppe im Schneckentempo empor, und Cornwort war so unsicher auf den Beinen, dass Rosamund ihn schon rückwärts die Stufen hinunterfallen sah, wo er jedoch recht weich auf ihrer Mutter landen würde. Mrs Burnell war damit beschäftigt, sich emsig umzuschauen. In kleinen Nischen entlang der Treppe standen exquisit gearbeitete Statuen, und wo man auch hinblickte, fanden sich Gemälde über Gemälde, eins schöner als das andere. Die Wandbehänge wirkten etwas ausgeblichen, aber das konnte verziehen werden. Immerhin waren sie sicher echt und damit vermutlich sehr alt.

„Wie teuer hier alles ist! Und was für eine Pracht! Denk nur, du könntest die Herrin dieses Anwesens werden, mein Schatz!“ Mrs Burnell drückte den Arm ihrer Tochter. „Hast du gesehen, wie der Duke dich angeschaut hat?“

„Nicht doch, Ma.“ Rosamund warf ihr einen warnenden Blick zu. Der Butler war vermutlich schwerhörig, aber es wäre mehr als peinlich, wenn die Worte ihrer Mutter in den Dienstbotenquartieren verbreitet werden würden.

Mrs Burnell senkte die Stimme ein wenig. „Und das Porträt. Du hast es doch sicher bemerkt. Alle Männer haben Präferenzen, und ihr seht euch ähnlich. Es wird sich alles fügen, wie ich es gehofft hatte. Er wird innerhalb einer Woche vor dir auf die Knie gehen!“

Im nächsten Stockwerk angekommen bog der Butler in einen schmalen, mit dunklem Holz vertäfelten Korridor ab, der von Kerzen in Wandhalterungen erhellt wurde. Der Rauch ließ Rosamunds Augen tränen. Schließlich blieb der Butler kurz vor Ende des Flurs stehen und öffnete eine der Türen.

„Ihre Räumlichkeiten, Madam.“ Er bedeutete Mrs Burnell, einzutreten. „Die Verbindungstür führt in ein Zimmer für die junge Dame. Sie werden hier alles finden, was Sie benötigen. Der Gong wird Sie um sieben Uhr zum Dinner rufen.“ Damit ließ er sie allein und schloss die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich.

„Nicht schlecht.“ Mrs Burnell befühlte den Samtbehang des Himmelbetts, bevor sie die Doppeltür zur Ankleide öffnete. „Und es sieht so aus, als hätte jemand bereits meine Kleidung ausgepackt.“ Sie strahlte übers ganze Gesicht. „Wie schön es ist, wieder Bedienstete zu haben, nachdem wir so lange auf uns selbst gestellt waren.“

Rosamund hatte sich ans Fenster gestellt und schaute auf die Grünflächen und den See hinaus. Das war es doch, wovon sie träumte, oder? Solch ein Heim? Und einen Ehemann mit Adelstitel? Der Duke war älter, als sie sich einen Heiratskandidaten für sich vorgestellt hatte, aber alles andere als unattraktiv. In seinen besten Jahren, würde ihre Mutter zweifellos sagen. Gewiss noch in einem Alter, um Kinder zu zeugen – was schließlich der Sinn einer Ehe war.

„Ich werde uns Tee bringen lassen.“ Ihre Mutter betätigte bereits den Klingelzug. „Nehmen die Engländer nicht normalerweise um diese Uhrzeit Kuchen zu sich? Ein süßes Stückchen käme mir gerade recht.“

Rosamund schenkte ihrer Mutter ein müdes Lächeln. „Ich werde mich eine Weile ausruhen.“

„Natürlich, Liebes. Erholt dich ein wenig. Ich werde nach dir sehen, wenn es Zeit zum Umziehen ist.“ Ihre Mutter griff nach ihrem Parfümfläschchen und gönnte sich einen Spritzer. „Vergiss nicht, du wirst die Rubine tragen – aber nicht mit dem dunklen Seidenkleid. Du musst frisch und jung aussehen. Das rosafarbene Kleid ist besser. Jungfräulicher.“

Rosamund biss die Zähne zusammen. Zu den Dingen, die sie heute Abend vortäuschen musste, gehörte zum Glück nicht ihre Unberührtheit.

KAPITEL6

Erleichtert ließ