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Warum sollte ein Mann seine Braut nach einer einzigen Nacht der Leidenschaft verlassen? Fünf Jahre nach ihrem Liebeskummer und ihrer Demütigung ist Sofia entschlossen, genau das herauszufinden … und ihren rechtmäßigen Platz an seiner Seite einzufordern, auch wenn das bedeutet, in die wilden Berge der Karpaten zu reisen und sich in einem halb verfallenen Schloss einzurichten. Während sie noch versucht, sich in der exzentrischen Familie des Grafen Roznovatu zurechtzufinden, glaubt Sofia, dass sie das steinige Herz ihres irrenden Ehemanns zum Schmelzen bringen kann. Constantin war ein Narr, als er glaubte, dass die Heirat mit Sofia ihn retten würde, obwohl seine Blutlinie verflucht ist. Nun hat sich die einzige Frau, die er wirklich liebt, in Gefahr begeben, denn die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit kriechen aus den Schatten. Der Reihe „Handbuch einer Lady“ der Autorin Emmanuelle de Maupassant : Wie bringt man einem Highlander die Liebe bei Wie bezaubert man einen Highlander zu Weihnachten Wie täuscht man einen Lord Wie gaukelt man eine Verlobung vor Wie man in der Südsee die Liebe findet Wie verführt man einen transsilvanischen Grafen Wie angelt man sich einen Duke Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.
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Handbuch einer Lady, Buch 6
Ins Deutsche übertragen von Corinna Vexborg
Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu
Dieser Roman erschien ursprünglich in englischer Sprache unter dem Titel „The Lady’s Guide to Tempting a Transylvanian Count“.
Copyright © 2022 Emmanuelle de Maupassant
Übersetzt von Corinna Vexborg
Redaktionelle Unterstützung: Carola Karth-Neu
Bucheinbanddesign von Chris Cocozza
Dark Castle Press : Keith Hall, Inverurie, Scotland, UK
www.emmanuelledemaupassant.com
Kontact : [email protected]
Bei diesem Roman handelt es sich um eine fiktive Geschichte. Die Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden auf fiktive Art und Weise integriert. Mit Ausnahme bekannter historischer Figuren und Orte ist jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Geschäftsbetrieben, Ereignissen oder Orten vollkommen zufällig.
Es dürfen keine Auszüge dieses Buches, die zum jetzigen Zeitpunkt bereits existieren oder zu einer späteren Zeit veröffentlicht werden, ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder auf elektronischem oder maschinellem Wege vervielfältigt werden, einschließlich in Informationsspeicherungs- und Datenabfragesystemen, mit Ausnahme kurzer Zitate, die Teil einer Kritik oder Buchrezension sind.
Die südlichen Berge der Karpaten, Siebenbürgen
Ende April 1886
Sofia betrachtete das baufällige Gasthaus mit einem flauen Gefühl im Magen. Eine Reihe von Fensterläden, die gegen den eisigen Wind geschlossen waren, klapperten an den losen Scharnieren. Die anderen waren zugenagelt worden, und das Dach sah aus, als würde es bald unter der meterhohen Schneelast zusammenbrechen.
In den entlegenen Gebieten der Karpaten gab es keine große Auswahl an Herbergen. Doch was hatte sich ihr Fahrer dabei gedacht, an einem so gottverlassenen Ort anzuhalten?
Innen war es noch schlimmer. Die Spinnweben waren nicht zu übersehen, und Sofia erkannte Mäusekot, wenn sie ihn sah. Aber es war warm – und da sie gerade sieben Stunden damit verbracht hatte, sich gegen die Kälte zu stemmen, würde sie das Beste daraus machen.
Die Passhöhe, deren Felswände mit stetig wachsenden Eiszapfen geschmückt waren, war steil und führte über einen schmalen Pfad hoch über einer Schlucht. Sofia hatte den ganzen Tag in Hochspannung verbracht und gebetet, dass sie nicht in den Tod stürzen würden, obwohl ihr Fahrer nichts von einer drohenden Gefahr zu ahnen schien.
Seine Hand auf ihrem Arm war fest, als er sie zu dem erstbesten grob behauenen Tisch führte. »Essen Sie. Trinken Sie etwas. Nehmen Sie was Heißes zu sich, he!« Codruț fletschte die Zähne, was wohl einem Lächeln ähneln sollte. Er sprach mit dem Wirt und eilte dann zur Tür, wobei er etwas davon murmelte, sich um die Pferde zu kümmern.
Als Sofia eintrat, war auf der anderen Seite des Raumes lautes Gelächter zu hören gewesen – die Männer waren mit irgendeinem Spiel beschäftigt. Jetzt drehten sich ein halbes Dutzend Köpfe in ihre Richtung und starrten sie unverhohlen an, und der Gastwirt musterte sie am auffälligsten.
Sofia nahm an, dass sie nicht viele Fremde beherbergten, und es musste ihnen seltsam erscheinen, dass eine Dame ohne Begleitung reiste, aber sie war bescheiden gekleidet und trug eines ihrer älteren Reisegewänder. Es gab nichts an ihrem Äußeren, was eine solch rüpelhafte Neugierde erregen konnte. Sie rutschte auf der harten Bank hin und her und hoffte, die Männer würden sich wieder ihren Würfeln zuwenden – oder was auch immer sie gerade beschäftigt hatte.
Als der Gastwirt mit einem Teller kam, wurde Sofia daran erinnert, wie hungrig sie war. Zuletzt hatte sie einen Frühstücksbrei gegessen, bevor sie das vorige Gasthaus verlassen hatte. Ein Eintopf wäre willkommen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wer diesen Eintopf zubereitet hatte, oder aus welchen Zutaten.
Der Wirt verbeugte sich einladend, zupfte an den Knöpfen seiner Weste und lächelte durch einen Schnurrbart, in dem noch Spuren von mehreren Abendessen sichtbar waren. »Ich bin Domnul Popescu. Willkommen.«
Obwohl auf dem Teller nur eine fettige Wurst, Hartkäse und ein eher unappetitliches Stück Brot lagen, nickte Sofia dankend. Sie war nicht in der Lage, wählerisch zu sein.
»Etwas Pflaumenschnaps, wenn Sie welchen haben.« Hoffnungsvoll blickte sie auf die Flaschen, die hinter der hölzernen Theke standen. Eine von ihnen musste doch Țuică enthalten. Die ganze Region war für dieses Getränk bekannt. Normalerweise trank sie keine Spirituosen, aber ihr Vater hatte den hiesigen Branntwein immer gelobt und gesagt, dass er sehr angenehm wärmen würde. Zumindest könnte es dazu beitragen, dass sie die zweifelhaft aussehende Wurst und den Käse hinunterbekäme.
Die Augen ihres Gastgebers funkelten und blickten auf das Täschchen, das Sofia in ihrem Schoß hielt. »Ich habe eine besondere Flasche.« Mit einer weiteren kleinen Verbeugung zog er sich zurück.
Sofia konnte fast sehen, wie sich der Mann die Hände rieb.
Nun, dann sollte es wohl so sein. Zweifellos erhielt Codruț eine Art Entlohnung dafür, dass er Reisende in dieses miserable Gasthaus brachte. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte bei der Wahl ihres Transportmittels mehr Sorgfalt walten lassen, aber sie wollte unbedingt weiterkommen.
Der erste Teil ihrer Reise in Begleitung von Marta war problemlos verlaufen: ein Zug von Bukarest nach Hermannstadt, dann eine Kutsche nach Sighișoara. Zu Sofias Entsetzen hatte ihr Dienstmädchen sie dort angefleht, in die Hauptstadt zurückzukehren.
Das war zwar nicht ausgeschlossen, aber in die Residenz des britischen Konsuls konnte sie auf keinen Fall zurückkehren. Das große Gebäude in der Strada Jules Michelet war mit der Stellung ihres Vaters verbunden, und sein Tod war bereits drei Monate her. Seine Vertretung war bereits mehr als großzügig gewesen und hatte ihr zu bleiben erlaubt, während sie ihre Pläne für die Zukunft schmiedete.
Ihre finanziellen Mittel reichten aus, um sich überall niederzulassen: in Paris, Wien, sogar in London – wenn sie ihr Einkommen nicht für Firlefanz vergeudete. Aber sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, von einer Stadt zur anderen zu reisen. Sie hatte keine Wurzeln, und das Reisen um seiner selbst willen hatte schon lange seinen Reiz verloren.
Es gab nur einen Ort, den Sofia als ihr rechtmäßiges Zuhause betrachten konnte, und das bedeutete, tiefer in das Herz der Karpaten zu fahren.
Sofia hatte Marta einen Teil ihrer Münzen gegeben und ein Empfehlungsschreiben sowie eine Liste der diplomatischen Residenzen in Bukarest verfasst, bei denen sich Marta um eine Stelle bewerben könnte. Das treue und ehrliche Dienstmädchen würde leicht Arbeit finden.
Sofia verdrängte ihre Angst davor, wie sie am Zielort empfangen werden würde, und engagierte Codruț. Am nächsten Morgen machten sie sich auf den Weg, und seitdem hatte sie vier Nächte in Herbergen verbracht, die, wie die Straßen, immer mehr verfallen waren.
Am schlimmsten aber war Codruț selbst, dessen Geruch ebenso ungenießbar war wie seine Angewohnheit, Kautabak auszuspucken. Und dann war da noch die Regelmäßigkeit, mit der er die Pferde an den Straßenrand lenkte, um sich zu erleichtern, ohne sich die Mühe zu machen, dafür vom Kutschbock herunterzusteigen!
Ach ja. Je eher sie ihr Ziel erreichte und sich von ihrem reizenden Fahrer verabschiedete, desto besser.
Als der Gastwirt wieder vorbeikam, sah Sofia zu ihrem Entsetzen, dass er nicht nur die Spezialflasche dabei hatte – für die sie mindestens das Dreifache des normalen Preises zahlen würde –, sondern zwei kleine Gläser.
Der tölpelhafte Mann ließ sich auf der anderen Seite des Tisches nieder, öffnete den Korken des Brandys und schenkte beiden einen großen Schluck ein. Er schenkte ihr ein gelbzahniges Lächeln und hob sein Glas, um einen Toast auszusprechen. »Solch ausgezeichnete Țuică muss man mit Freunden genießen.«
Sein Dialekt war eher ungewöhnlich, aber Sofias Rumänisch- und Deutschkenntnisse reichten aus, um zu verstehen, was er meinte.
»Es ist mir eine Ehre, eine Dame in meiner Taverne zu bedienen.« Mit einem Kippen seines Handgelenks verschwand der Inhalt in seinem Inneren, und er knallte das Glas auf den Tisch.
Die Leute am anderen Ende des Raumes schauten zu und schienen nichts Wichtigeres zu tun zu haben, als das Spektakel zu beobachten, das sie beim Probieren des Schnapses bot.
Sie nahm einen zaghaften Schluck.
»Sofort austrinken. Das ist der Brauch!« Die Augen des Gastwirts waren auf sie gerichtet.
Mit dem Gefühl, kaum etwas anderes tun zu können, füllte Sofia ihren Mund mit brennender Süße. Als der Brandy nach unten floss, hinterließ er eine Spur von Glut.
Sofia hielt sich die Brust und sah sich nach Wasser um, aber es gab keins – nur den Branntwein, von dem ihr Gastgeber gerade ein weiteres Glas einschenkte.
Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, war das wärmende Gefühl nicht unangenehm, aber Sofia hütete sich, ein zweites Glas zu trinken. »Einen Tee, wenn Sie welchen haben?«
»Tee?« Der Gastwirt runzelte die Stirn. »Es ist eine Beleidigung, etwas anderes als Țuică zu trinken.«
Sofia holte tief Luft. Die Gläser waren immerhin recht klein. Einer mehr würde nicht schaden, und wenn Codruț zurückkäme, würde sie ihn bitten, eine Flasche Wasser für sie zu besorgen, die sie mit auf ihr Zimmer nehmen könnte. Schließlich war es ein langer Tag gewesen.
Sie schluckte den Inhalt hinunter, nur um dann einem Hustenanfall zu erliegen. Nicht nur ihre Kehle, sondern jede Ader ihres Körpers stand in Flammen. In der Zwischenzeit schmatzte der Wirt zufrieden mit den Lippen, nachdem er sein Glas wieder geleert hatte.
»Noch einen.«
Diesmal schüttelte Sofia entschieden den Kopf, obwohl sich der Raum dadurch seltsam drehte.
Es war natürlich der Hunger. Da wurde einem immer schwindelig. Sie riss ein Stück vom Brot ab und versuchte zu kauen.
Wo war Codruț? Er sollte sich doch inzwischen um die Pferde gekümmert haben. Und würde er nicht sein Abendessen wollen?
Als sie sich ihre eigene Mahlzeit ansah, beschloss sie, dass sie das nicht hinunterbekommen würde.
»Ich sollte mich zurückziehen, wenn Sie so freundlich wären.« Sofia hielt sich an der Tischkante fest und wollte aufstehen, aber ihre Beine hatten kaum die Kraft, sie aufrecht zu halten. Die Strapazen des Tages forderten ihren Tribut.
Wenn Marta doch nur bei ihr geblieben wäre. Sofia hatte nicht gewusst, wie sehr sie die Gesellschaft ihres Dienstmädchens schätzte, bis sie dieser beraubt wurde. Ein Kloß stieg ihr in den Hals, aber sie schluckte ihn hinunter. Melancholische Gedanken kamen auf, wenn sie müde war, und wenn Sofia etwas gelernt hatte, dann, dass man standhaft bleiben musste, egal, was das Leben einem zuwarf.
In der Abgeschiedenheit ihres Zimmers brach Sofia manchmal in Tränen aus, aber es gab immer Hoffnung, dass der morgige Tag bessere Dinge bringen würde. Selbst wenn es einem das Herz brach, musste man entschlossen bleiben.
»Ihre Kammer, ja.« Der Wirt stieß sich vom Tisch ab und zog seine Hosen hoch. »Ich zeige es Ihnen. Alles sehr schön.«
Sofia warf einen Blick zur Tür. Zwar bewahrte sie die besten Juwelen und Münzen in ihrem Handtäschchen auf, doch ihre anderen Wertsachen und die Dinge, die sie über Nacht bei sich haben wollte, befanden sich in ihrer Reisetasche. Codruț trug die immer für sie herein.
»Kommen Sie.« Der Wirt winkte ihr zu. »Das Bett ist sehr bequem.« Seine pummeligen Finger schlossen sich um ihren Arm.
Instinktiv versteifte sie sich. »Ich komme zurecht, danke.«
Nach kurzem Zögern zog der Gastwirt seine Hand zurück, blieb aber in der Nähe stehen.
»Ich brauche nur …« Sofia blinzelte. »… meinen Fahrer. Sie sagen es ihm doch, oder? Sagen Sie meinem Fahrer, dass ich meine Reisetasche brauche?« Ihr Magen krampfte sich zusammen und drehte sich.
Domnul Popescu schwebte über ihr. »Keine Sorge, schöne Frau. Alles, was du brauchst, ist hier, und wir halten dich warm.« Kurz flackerte sein Blick dorthin, wo seine anderen Gäste saßen.
Sofias Blick war etwas verschwommen, aber die Art, wie die Männer sie ansahen, hatte etwas Wölfisches an sich. Außerdem hatte der Blick des Gastwirts eine primitive Grobheit, die jetzt auf Sofias Busen gerichtet war.
Ein neues Bewusstsein beschlich sie: dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
Sofias Vater hatte ihr immer gesagt, dass ihre eigensinnige Art sie in Schwierigkeiten bringen würde. Die meiste Zeit hatte das bedeutet, sich nicht von unpassenden Herren in die Gärten führen zu lassen oder zu viel Champagner zu trinken – aber ihre jetzige Situation übertraf alles, was sich ihr geliebter Papa hätte ausdenken können.
Mit der Schnapsflasche in der einen Hand umklammerte der Wirt sie oberhalb des Ellbogens und zerrte sie in den hinteren Teil der Taverne.
»Sie tun mir weh.« Sofia stolperte und schlug mit der Hüfte gegen die Kante eines Tisches.
Der Gastwirt gab nicht nach und sah sie nicht einmal an. Auch die Männer auf der anderen Seite des Raumes kamen ihr nicht zu Hilfe und kümmerten sich offensichtlich nicht um ihre Notlage.
Zu spät dachte sie daran, nach dem Messer zu greifen, das sie mit dem Abendessen erhalten hatte, obwohl sie bezweifelte, dass es scharf genug war, um von Nutzen zu sein.
»Halt! Lassen Sie mich los! Codruț, Hilfe!« War es der Schock, der ihre Stimme so dünn machte? Sie schwang ihr Täschchen, aber ihre Bemühungen blieben erfolglos.
Codruț! War das alles sein Werk? Sie hier zu lassen? Sie auszurauben? Ihre Reisetasche und die Koffer auf dem Dach des gemieteten Wagens enthielten alles, was sie besaß.
Sollte sie ermordet und in die Schlucht geworfen werden?
Keiner würde sie finden.
Aber Codruț hätte das jederzeit tun können. Warum hatte er gewartet und sie an diesen Ort gebracht?
Sofia jammerte vor Angst. Als Antwort drehte sich der Gastwirt um und riss sie am Arm, sodass sie gegen seine Brust stieß und von dem Gestank von Schweiß und Knoblauch überwältigt wurde.
Jeder Anflug von Unterwürfigkeit war verschwunden. »Mein Bruder wird auch mitkommen.« Der Gastwirt grinste. »Aber eher, um mir zu helfen, als dir.«
Sophias Schrei wurde durch die raue Hand, die ihren Mund bedeckte, unterbrochen.
In diesem Moment schwang die Tür des Gasthauses auf. Ein Wirbel von Schneeflocken wehte über den Boden, getragen von der Kälte des Abends, und eine verhüllte Gestalt trat auf die Schwelle.
Die Lampe, die von den obersten Dachsparren hing, schwang und warf einen Bogen aus Schatten und Licht über ein Gesicht, das in seiner Vollkommenheit sowohl gefährlich als auch schön war – als hätte der gefallene Engel selbst menschliche Gestalt angenommen und wäre gekommen, um die Seelen aller einzufordern, die sich an diesem ruchlosen Ort aufhielten.
Sein Blick reichte nicht über den ganzen Raum, doch schien er alles zu sehen und zu verstehen. Hochgewachsen, elegant und mit großer physischer Präsenz, stand er völlig still.
Vom Feuer erhellt, richtete sich der Blick auf Sofia, und die üblen Hände auf ihr schmolzen dahin.
Wimmernd knickte der Gastwirt in den Knien ein und warf sich auf den Boden. Auf der anderen Seite des Raumes duckten sich die anderen, ihre Angst war spürbar, ihre Gesichter verrieten das Schrumpfen ihrer Eingeweide. Einer bekreuzigte sich, seine schwache Stimme stieß ein wimmerndes Gebet aus.
Diese dunklen, gebieterischen Augen hielten Sofia gefangen, sein Blick sandte Schauer aus Hitze und Eis aus, die sie dazu brachten, sowohl fliehen und gleichzeitig in seine Arme laufen zu wollen.
Jede Linie seines gemeißelten Gesichts war ihr vertraut; dieser Mann, der sie zum Zittern brachte, der ihren Puls beschleunigte und ihr Herz in der Brust schmerzen ließ.
Kein Fremder, sondern ihr Ehemann.
Sofia rieb sich den Nacken. Sie hatte ungünstig gelegen, in der Taille gebeugt und mit der Wange auf den Kutschensitz gedrückt. Sie richtete sich auf und blinzelte in die Dunkelheit. Der Geruch von gut poliertem Leder verriet ihr, dass dies nicht die Equipage war, die sie gemietet hatte.
Leder und ein sanft gewürzter Duft, der Erinnerungen weckte, obwohl es schon fünf Jahre her war …
Er zog den Vorhang des Wagens zurück und schickte einen dünnen Silberstrahl zwischen sie. Grüne Augen musterten Sofia von der gegenüberliegenden Bank aus.
Es gab viele Dinge, die Sofia sagen wollte – Worte, die sie in endlosen Nächten zu sagen geübt hatte –, aber sie wollte nicht im Zorn beginnen. Es würde nur aufdecken, wie sehr er sie verletzt hatte.
»Trink.« Seine Stimme – mit dem für ihn typischen Akzent – war aristokratisch und verführerisch.
Sie nahm das angebotene Fläschchen an und nahm erst einen Schluck Wasser, dann einen langen Zug.
Sie befanden sich nicht mehr auf dem Bergpass, sondern auf tieferem Gelände. Schnee und Eis waren durch Wald ersetzt worden, der sich dicht an den Straßenrand drängte. Das Mondlicht drang kaum durch die dichten Tannen. Dennoch sah sie gelbe Nadelstiche, die sich in der Vision eines nächtlichen Wesens widerspiegelten. Dann waren sie verschwunden und wurden durch einen grauen Fellschopf ersetzt, der an ihnen vorbeirannte, bevor er sich löste und in der Tiefe verschwand.
Wie viele Stunden waren vergangen? Sie konnte sich an nichts anderes erinnern, als dass Constantin in der Taverne aufgetaucht war.
Er sah sie stirnrunzelnd an. »Das Telegramm, das du vor deiner Abreise aus Bukarest geschickt hast, ist gestern angekommen. Ich hatte gehofft, dich in Sighișoara abzufangen und zur Umkehr zu bewegen. Nur durch Zufall sind wir in diesem trostlosen Gasthaus gelandet.«
Sofia verbiss sich eine Erwiderung. Natürlich würde er sie umstimmen wollen, um sie zur Rückkehr in die Stadt zu bewegen.
»Du hast einen tollen Auftritt hingelegt.« Daran erinnerte sie sich – und daran, wie verängstigt sie gewesen war. Constantin war gekommen, als sie ihn brauchte. Ein Teil von ihr weigerte sich, dies dem Zufall zuzuschreiben.
Sein Ausdruck war undurchsichtig. »Sie wissen, wer ich bin – ein Roznovatu.«
»Sogar so weit weg vom Schloss?« Sofia konnte sich diese flapsige Bemerkung nicht verkneifen.
Natürlich würde man ihn kennen. Die Roznovatus herrschten über all diese Länder. Außerdem war Constantin kein Mann, den man vergaß.
Diese Augen und das dunkle Haar, das sich über den breiten Schultern kräuselte. Obwohl er nicht mehr kämpfte, behielt er die Haltung eines Kriegers bei. Es hieß, seine türkischen Gegner hätten bei seiner Annäherung ihre Schwerter fallen lassen und seien geflohen. Solche Geschichten wurden erzählt, weil die Menschen Helden brauchten – aber bei Constantin konnte man sie glauben …
Kein Wunder, dass sie ihren Kopf, ihr Herz und ihren Verstand verloren hatte. Sie hatte sich selbst davon überzeugt, verliebt zu sein.
Constantin lehnte sich zurück und streckte seine Beine vor sich aus, doch seine Aufmerksamkeit blieb auf sie gerichtet. »Diejenigen, die gefürchtet sind, sind immer bekannt. Sie nennen uns unheilig.«
Sofia verschluckte sich an ihrem nächsten Zug an der Wasserflasche. Wollte er sie erschrecken? Um sie von dem abzubringen, was sie erreichen wollte? »Das scheint kaum …«
Er unterbrach sie. »Manche sagen, wir seien jenseits von Gottes Wohlwollen. Andere meinen, wir hätten einen Pakt mit dem Teufel. Das ist bäuerlicher Aberglaube – aber nützlich, wenn man Gehorsam einfordern will.«
Sofia hatte an dem Tag, an dem er ihr den Ehering an den Finger gesteckt hatte, versprochen zu gehorchen, aber er hatte seinen Teil der Abmachung nicht eingehalten. Wenn er erwartete, dass sie jetzt gehorchen würde, würde er enttäuscht sein.
Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Täschchen und tupfte sich die Lippen ab.
Ihr Täschchen lag neben ihr! Und ihr Koffer – auf dem Boden!
Erleichterung und Dankbarkeit stellten sich sofort ein. »Der Rest meines Gepäcks …?«
»Oleg und ich mussten deinen Fahrer davon überzeugen, dass es klug wäre, sich davon zu trennen.« Er beugte sich vor, und sein Duft umhüllte sie: Sandelholz, Gewürze und Rauch.
Er sprach sanft. »Niemand hat dir etwas getan?«
»Mir geht es gut.« Sie war nicht so weit gereist, um törichten Gefühlen nachzugeben oder, Gott bewahre, um zu versuchen, seine Zuneigung zu ihr neu zu entfachen. Diese Hoffnungen hatten sich schon längst zerschlagen.
Doch für einen Moment löste der freundliche Ton der Frage, das leichte Nachgeben, einen Schwall warmer Gefühle aus, die sie zu ihm hinzogen.
Wenn er sie umarmen wollte, befürchtete sie, dass sie ihn gewähren lassen würde. Ihre Lippen erinnerten sich an die Küsse, die sie einst geteilt hatten.
Dennoch hatte sie durch die Nächte der Tränen viel gelernt. Sie brauchte Constantin, aber ihr Herz auszuschütten, war ein sicherer Weg in den Wahnsinn.
Sofia hob ihr Kinn und beschloss, sich zurückzuhalten. »Ich hätte die Situation selbst lösen können, aber ich bin dir natürlich dankbar.« Sie wandte ihren Blick ab. »Sie hätten nicht … das heißt … ich bin sicher, sie …«
Constantin gab einen spöttischen Laut von sich. »Diese Höhle von Halsabschneidern? Das Beste, was man sagen kann, ist, dass sie keine Reisenden mehr belästigen werden.«
Der Stahl in seiner Stimme machte Sofia Angst, weiter nachzufragen. Sie räusperte sich. »Du warst galant. Ich entschuldige mich für etwaige Unannehmlichkeiten …«
»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht kommen.«
Sofia biss die Zähne zusammen. Im Laufe der Jahre hatte es mehrere Briefe gegeben, aber keinen, der an sie selbst gerichtet gewesen war. Constantin hatte nur mit ihrem Vater korrespondiert, und aus diesen Briefen hatte sie von der Rückkehr ihres Mannes auf sein Familiengut nach einigen Jahren in Wien erfahren.
Ihr Vater hatte ihr nur die wichtigsten Details mitgeteilt. Nach seinem Tod hatte sie das mit Band verschnürte Bündel in aller Ruhe durchgesehen und mit Entsetzen festgestellt, dass Constantin kaum von ihr sprach. Stattdessen wurde hauptsächlich über wissenschaftliche Themen gesprochen – ihr Vater hatte ein amateurhaftes Interesse daran gehegt.
Wie ein roter Faden zog sich durch die Korrespondenz, dass Constantin darauf bestanden hatte, dass Sofia unter dem Dach ihres Vaters bleiben sollte. Jährlich wurde eine beträchtliche Summe eingezahlt. Damit sah ihr Bräutigam seine Pflichten erfüllt.
Diese herzlosen Briefe! Doch aus der Feder des Mannes, der versprochen hatte, sie zu lieben, bis nur der Tod sie scheiden würde.
Sie hatte jeden einzelnen Brief in die Flammen geworfen.
Sofia schluckte das Ziehen in ihrer Brust hinunter. Ihr Kummer war noch immer groß und reichte weit über den Tod ihres Vaters hinaus zurück. Sie würde sich jedoch auf die Sache konzentrieren, der sie sich jetzt ausgesetzt sah.
»Ich muss bei deiner Familie Schutz suchen. Das Schloss hat genügend Schlafgemächer, nehme ich an?«
»Das kannst du nicht!« Constantin fluchte vor sich hin.
»Und ich sage, ich werde es tun!« Sofia hob ihre eigene Stimme. »Ich erwarte nicht, dass du auf die Knie fällst und mir sagst, dass ich dir gefehlt hätte, aber ich verdiene es, dass man mich als Ehefrau würdig behandelt. Ich will nicht ignoriert werden!«
* * *
Er wurde wieder von der alten, unangreifbaren Anziehungskraft heimgesucht. Sie wütend zu sehen, verstärkte das nur.
Das änderte zwar nichts, aber da er sie nun in seinen Armen hatte, war er versucht, herauszufinden, wie es sich anfühlen würde, sie wieder zu küssen.
Im Laufe der Jahre war sie immer schöner geworden, auch wenn ihre Nase immer noch ausgeprägter war, als es der Mode entsprach. Sie war schon immer anders gewesen – oder »unbeholfen«, wie die grausamen Klatschtanten meinten – und sagte ihre Meinung, wo sie nicht gefragt war, hartnäckig und unverblümt.
Constantin hatte Entschlossenheit und einen wissbegierigen Geist gesehen. Sie war ein Original, und sie hatte ihn in ihren Bann gezogen.
Die heutige Sofia atmete schwer von ihrem kleinen Ausbruch, der ihr die Röte in die Wangen trieb. Der Puls schlug schnell in ihrer Kehle.
In all den Jahren hatte er nie eine andere in sein Bett genommen. In seiner Familie gab es genug Vorfälle dieser Art, um den Gedanken auf ewig zu verwerfen.
Vor Sofia hatte es eine Handvoll anderer gegeben, aber seitdem nicht mehr. Er kümmerte sich um seine eigenen Bedürfnisse, und es gab nur ein Gesicht, das er sich vorstellte, ein Paar Lippen, die er dort spüren wollte, wo seine Faust zerrte.
Sie hatten nur eine Nacht miteinander verbracht, in der er sie zärtlich genommen hatte, und dann noch zweimal, eher weniger zärtlich. Die Erinnerung daran hatte ihn in diesen fünf Jahren durch seine eigene dunkle Hölle getragen.
Als sie wieder sprach, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass du mich liebst, Constantin, aber ich möchte zu deiner Familie gehören, einen Platz haben, auf den ich mich verlassen kann. Ich muss dazugehören … irgendwo.«
Sie wollte dazugehören? Nicht zu ihm – das hatte sie nicht gesagt –, sondern zu der Dynastie, deren Name ihrer Meinung nach glorreich durch die Jahrhunderte hallte.
Die Ironie brachte ihn fast zum Lachen.
Roznovatu – ein Name, der einst mit Stolz erfüllt gewesen war, aber jetzt nicht mehr. Der Name war ihm zuwider, tief gesunken und nicht mehr zu retten.
Er war entkommen, fast. Sein Dienst in der Armee hatte ihn weit weg geführt, und in jenen blutigen Schlachten hatte er als einer gekämpft, der froh gewesen wäre, dort zu sterben, sein eigenes Leben in die Waagschale geworfen.
Erst die Begegnung mit Sofia hatte sein Denken verändert. Er hatte sie für seinen Neuanfang gehalten, aber sie war nur die Fortsetzung von allem, was verdorben war. Doch unter seinen Rippen war er auch nur ein Mann. Sein Bedürfnis, sich um sie zu kümmern, war mehr als eine Pflicht – und sie war so weit gekommen.
»Du kannst bleiben«, sagte er schließlich. »Aber nur so lange, bis alternative Vorkehrungen getroffen sind. Es gibt noch weitere Zweige der Familie – in Sorrent, Sankt Petersburg und Paris. Du wirst überall glücklicher sein als hier.«
Sie wollte protestieren, wandte sich aber stattdessen ab – zu müde, um sich ihm zu widersetzen, oder klug genug, um zu wissen, wann man einen Streit beiseitelegen sollte.
»Aber die Vorstellung, dass wir ein Bett teilen, kannst du vergessen«, fügte er hinzu. »Das würde die Dinge nur verkomplizieren.«
»Als ob ich dir dieses Privileg gönnen würde. Ich habe nicht die ganzen Jahre, die wir getrennt waren, damit verbracht, nur darauf zu warten, in deine Arme zu fallen.«
Trotz all des Ärgers, den sie ihm bereitete, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das war die Sofia, die er kannte: schnell mit ihrem Temperament und ihrer Zunge.
Eine subtile Veränderung des Lichts verriet ihm, dass sie aus dem Wald herauskamen und das Tal umfuhren, das im Schatten des Anwesens seiner Vorfahren versunken lag. Weit unter ihnen hatte sich der Nebel gelegt und verdeckte die Weiden und die in ihren Betten schlafenden Dorfbewohner. Nur die alte Kirchturmspitze war zu sehen, deren Glockenturm den Dunst durchbrach.
Der Wagen schlingerte, als sie die ansteigende Strecke nahmen. Die Luft wurde kristallener und die Bäume spärlicher – die Wurzeln schlängelten sich über den steinigen Boden und suchten zwischen den unwirtlichen Felsen nach Nahrung. Nach einer weiteren Biegung des Weges kam die Festung des Roznovatus in Sicht: aus lebendigem Granit erbaut, hoch aufsteigend, die Türme in den Himmel ragend, vom Felsen getragen.
Sofia beugte sich vor, und er fragte sich, was sie sah. Die hoch gelegenen Balkone und die gewölbten Fenster verliehen eine gewisse Eleganz, aber die Wände waren unerbittlich grau. Nur das Dach bildete einen Farbtupfer – blutdunkel, wo es sich gegen den Mond abzeichnete, und karmesinrot im schleichenden Licht der Morgendämmerung.
Als sie sich der äußeren Mauer näherten, öffneten sich die Tore, und sie durchquerten den kurzen äußeren Hof bis zum erhöhten Fallgitter des Schlosses und gelangten so in den Innenhof. Die Pferde wieherten, ihre Hufe hallten auf den Steinen wider.
Constantin sprang hinunter, drehte sich dann um und reichte Sofia die Hand, zu ungeduldig, um darauf zu warten, dass jemand die Stiege heranschleppte. Sie zögerte. Trotz all ihres Mutes musste es sie verängstigen, an diesen so abgelegenen Ort zu kommen, dessen Bewohner Fremde für sie waren.
Eine Tür wurde aufgestoßen. »Constantin!«
Die Erscheinung, die über die Pflastersteine flog, war mehr ein Gespenst als eine Frau, ihr ebenholzfarbenes Haar fiel wild um ihre Schultern. Die Röcke ihres Nachthemds wehten hinter ihr her, und ihr Morgenmantel fiel auf, als sie rannte.
»Tatiana! Was zum Teufel? Du solltest im Bett liegen.«
Sie warf sich in seine Arme und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. »Ich habe nach dir gesucht.« Ihre Schultern zitterten. »Es ist etwas Schreckliches passiert!«
In Sofia sträubte sich alles.
Tatiana, nicht wahr? Ihr Nachthemd rutschte von einer Schulter, und sie sah aus wie eine, die erst vor Kurzem gefallen war. Und ihre Lippen! Sofia hätte schwören können, dass sie geschminkt waren – genauso wie ihre Wangen.
Natürlich war sie mindestens zehn Jahre älter als Sofia. In diesem Alter griffen die Frauen manchmal zur Farbe, um die Ausstrahlung der Jugend nachzuahmen.
Constantin löste sich lange genug aus dem Griff der Frau, um Sofia hinunterzuheben, bevor er durch die großen Türen verschwand.
Obwohl Tatiana Sofia nur einen kurzen Blick zuwarf, blitzte in ihr ein unmissverständlicher Triumph auf, bevor sie herumwirbelte und ihm folgte.
Also wirklich! Sofia raffte ihre Röcke. Sie war der Meinung, dass sie, wenn etwas passiert war, auch nachsehen sollte, ob sie helfen könnte.
In der Eingangshalle warf eine einzelne Fackel Schatten auf die hohe, gewölbte Decke und die kahlen Steinwände. Die einhüllende Kühle war akut. Mehrere Türbögen führten in die Dunkelheit, aber das Geräusch von schnellen Schritten verriet Sofia, dass diejenigen, die vor ihr waren, die Treppe genommen hatten. Da sie nicht zurückbleiben wollte, eilte sie hinterher und verließ sich dabei auf den Anblick von Tatianas Nachthemd, das über ihr raschelte.
Im oberen Stockwerk angekommen, spähte Sofia den Gang hinunter. Weitere Fackeln warfen ihre dumpfe Flamme aus, und nicht weit davon entfernt versammelten sich diejenigen, die Sofia für Bedienstete des Schlosses hielt, die meisten in ihrer Nachtkleidung.
Sie bildeten ein Spalier, als Constantin sich näherte, und Tatiana und sie eilten ihm hinterher und betraten eine Kammer, in der mehrere Kerzen angezündet worden waren. Um das Bett herum waren die Vorhänge zurückgezogen, und Sofia unterdrückte einen Schrei angesichts dessen, was sie dort sah.
Der Bewohner des Zimmers lag auf dem Rücken, sein Haar war dicht und dunkel wie das von Constantin, aber seine Augen starrten auf den Baldachin aus dunklem Brokat über ihm. Unter seiner Nase war ein Rinnsal von Scharlachrot, das über seinen Mund lief.
Constantin drückte seine Finger gegen den Hals des Mannes.
Auf der anderen Seite stand eine Frau, die sich mit einem Taschentuch die Augen tupfte. Ihr von silbernen Fäden durchzogenes Haar hing ihr ordentlich über die Schulter des Morgenmantels. »Er ist gestorben – irgendwann in der Nacht, als alle schliefen. Ein friedliches Ende.«
Tatiana ballte die Fäuste. »Grigore hat den Tod um ein Vielfaches verdient, Mamă, aber ich glaube kaum, dass wir von einem friedlichen Ableben sprechen können.« Sie nahm die Ecke der Bettdecke und zog sie weg.
Sofia konnte ihr Keuchen nicht unterdrücken, denn die Laken waren scharlachrot getränkt.
Constantin fluchte laut. »Wer war der Letzte, der hier war?«
»Ich war es, Stăpânul.« Aus der Gruppe der Schaulustigen jenseits der Tür trat eine Frau hervor: eine Frau mit strengem Blick, das Haar zu einem festen Zopf geflochten.
Die Umstehenden drehten sich um, und die elegante Frau, die Tatiana Mamă genannt hatte, sah Sofia an und nickte kurz, um ihre Anwesenheit anzuerkennen.
»Doamnă Albescu?« Constantin richtete seinen herrischen Blick auf die andere Frau und forderte sie auf zu sprechen.
»Der Herr hatte gestern wieder einen seiner Anfälle und wurde von Kopfschmerzen geplagt, aber am frühen Abend ging es ihm gut genug, um Suppe zu essen. Ich habe ihm noch heiße Milch gebracht, bevor ich mich zurückgezogen habe.« Sie nickte in Richtung des Leichnams. »Ich habe vor einer Stunde hereingeschaut und ihn so vorgefunden.«
Tatianas Mutter runzelte die Stirn. »Könnte das Nasenbluten ihn getötet haben?«
»Hast du keine Augen im Kopf?« Ihre Tochter stemmte die Hände in die Hüften. »Sieh über sein Herz!«
Beide traten näher und schauten auf die Stelle, auf die Tatiana hinwies. Das Nachthemd war aufgeknöpft und enthüllte eine triefende Wunde.
»Er hat sich das Leben genommen!«, erklärte die Dienerin und machte das Kreuzzeichen auf ihrer Brust. »Er hat sich entschieden, sein Leiden zu beenden – und das der anderen.«
Die Anwesenden im Gang begannen zu murmeln.
»Es reicht!« Constantins Stimme erhob sich vor Wut. »Raus mit euch allen. Geht zu Bett oder an die Arbeit.«
Tatiana legte ihre Hand auf seinen Arm. »Die Wahrheit ist schwer zu ertragen, aber sieh dir den Nachttisch an. Dort liegt die Waffe.«
Constantin hob das Rasiermesser auf, das immer noch offen und dessen Klinge rot gefärbt war, und legte es vorsichtig wieder hin, sein Gesichtsausdruck war unleserlich.
Tatianas Mutter stieß einen kleinen Schluchzer aus und drückte das Taschentuch wieder an ihr Gesicht.
Sofia erschauderte. Was würde einen Menschen dazu veranlassen, sich auf diese Weise das Leben zu nehmen, indem er sich ins eigene Herz schnitt?
»Tante, Tatiana wird dich begleiten.« Constantin sprach jetzt leise. »Wir werden ihn vor der Dämmerung begraben.«
»Aber ein Arzt … oder ein Priester?« Sofia zog die Blicke aller Anwesenden auf sich.
Constantin schaute sie scharf an. »Beides ist nicht notwendig. Mein Bruder ist tot, und wenn ein Roznovatu stirbt, erledigen wir die Dinge auf unsere Art.«
Sofia unterdrückte den Drang, etwas zu erwidern. Warum sollte sie sich für einen Mann interessieren, den sie nie kennengelernt hatte? Sie war die Frau von Constantin, aber eine Fremde in diesem Haushalt. Ihre Meinung war irrelevant.
Ein Teil von ihr wollte aus dem Zimmer fliehen, ganz und gar fliehen, tun, was Constantin wünschte, und diesen Ort für immer verlassen. Er hatte deutlich gemacht, dass sie nicht willkommen war.
Und vom Tod begrüßt zu werden, noch bevor sie ihren Reisemantel abgelegt hatte! Sie war nicht abergläubisch, aber viele würden es als ein Zeichen dafür sehen, dass ihr Aufenthalt hier nicht glücklich sein würde.
Als Sofia den anderen Frauen aus dem Raum folgte, kam ihr in den Sinn, dass sie Grigores Namen aus dem Briefwechsel zwischen Constantin und ihrem Vater kannte. Er war nach dem Tod des Vaters – vor etwa zwei Jahren – zum Familienoberhaupt aufgestiegen.
Und jetzt? Constantin war nicht mehr nur ein jüngerer Sohn, sondern der wichtigste von allen, der nicht nur die Macht über die Bewohner der Burg, sondern auch über die umliegenden Ländereien innehatte: Sein Titel war der des Grafen Roznovatu.
Constantin beugte sich über seinen Bruder und berührte die Wange des Mannes. Die Geste war sanft, und sie war intim.
Sofia senkte den Blick. Wenn sie eine echte Ehefrau wäre, würde sie ihn in seinem Kummer trösten, aber Constantin hatte sich klar ausgedrückt. Er duldete ihre Anwesenheit, mehr nicht.
Hätte er sich nicht verpflichtet gefühlt, ihr entgegenzukommen, wäre er sicher hier gewesen – vielleicht hätte er bei Grigore gesessen. Etwas Scharfes brannte unter Sofias Rippen. Ohne sie hätte er vielleicht den Tod seines Bruders verhindern können.
* * *
Auf dem Gang drückte Tatianas Mutter Sofias Hand, war aber zu überwältigt, um sich zu unterhalten, und Tatiana hatte offensichtlich keine Lust zu verweilen. Die beiden kehrten in ihre Gemächer zurück und überließen Sofia der Fürsorge der Haushälterin und ihrer Tochter Olga.
Sie nahmen eine Wendeltreppe, und Sofia wurde in ein Zimmer geführt, das eilig hergerichtet worden zu sein schien. Durch die neuerliche Störung wurden Staubflocken aufgewirbelt.
Obwohl das Feuer noch nicht angezündet war, vermittelte die reiche Farbpalette des Raumes Wärme und Luxus. Die Farben der rostroten und goldenen Vorhänge um das Bett spiegelten sich in den Kissen des Kaminsessels und den schweren Vorhängen an den drei schmalen Fenstern des Raumes wider. Zahlreiche Teppiche bedeckten den Boden – alle mit türkischem Design.
Während Olga sich hinkniete, um sich um Anzündholz und Holzscheite zu kümmern, wurden Sofias Koffer und eine Schüssel mit heißem Wasser hereingebracht.
»Werden Sie frühstücken?«, fragte Doamnă Albescu.
Sofia blickte sehnsüchtig auf das Bett. Nach allem, was geschehen war, wünschte sie sich nur noch zu schlafen. »Etwas Leichtes, später, wenn ich darf.«
»Wie Sie wünschen.« Die Frau verlor keine Zeit und machte auf dem Absatz kehrt. »Olga wird Ihre Sachen auspacken. Wenn Sie noch etwas brauchen, wird sie sich darum kümmern.«
»Sie sind sehr freundlich.« Sofia zog ihre Handschuhe aus, löste ihren Mantel und legte ihn über den hochlehnigen Sessel an einer Seite des Kamins.
Die Worte der Albescu-Frau waren nicht unhöflich, aber ihr Verhalten war alles andere als respektvoll. Sofia war froh, als sie verschwand.
Das Dienstmädchen erhob sich, betrachtete die wachsenden Flammen mit Wohlwollen und näherte sich dann dem Koffer. »Der Schlüssel, Mylady?«
Sofia öffnete ihr Täschchen und gab den Schlüssel mit einem Lächeln an das Mädchen weiter. »Da drin ist ein schwarzes Kostüm, das du für mich aufhängen könntest. Der Rest meiner Kleidung kann warten.«
Olga nickte. »Ich werde gegen Mittag mit einem Tablett nach Ihnen sehen und ein paar Stunden vor Einbruch der Abenddämmerung zurückkehren, um Ihnen beim Anziehen zu helfen.«
Die Abenddämmerung? Ja, natürlich …
Sofia runzelte die Stirn und dachte an den Mann, der irgendwo unten im Schlafgemach lag – falls er nicht schon weggebracht worden war. Sie hatte noch nie gehört, dass eine Leiche so schnell beseitigt worden wäre. Es gab Länder, in denen kein Aufschub gewährt wurde, aber lag das nicht an der Hitze? Und wurden sie nicht eher verbrannt als begraben?
Sie wurde von der Erinnerung an die Beisetzung ihres Vaters auf dem Serban-Vodă-Friedhof heimgesucht. Der Frost war so heftig gewesen, dass sie für das Graben extra bezahlen musste. Obwohl ihre Zehen und Finger schmerzhaft betäubt waren, war sie stehen geblieben, bis die letzte Schaufel Erde ihn bedeckt hatte.
Der Gedanke an ihn allein, unter der Erde, hatte sie wochenlang verfolgt. Sie würde alles dafür geben, dass er zurückkäme, dass ihr Papa sie wieder in die Arme schließen würde.
»Olga, geht es immer so schnell mit … mit den Begräbnissen?«
Die Frau sah überrascht aus. »Eine Familientradition. Einige gehen in die unteren Ebenen der Krypta. Die Übrigen bleiben in der Kapelle.« Sie machte einen Knicks und ging.
Sofia starrte auf die geschlossene Tür. Sie legte ihre Hand einen Moment lang auf das dunkle Holz, bevor sie das Schloss drehte.
* * *
Die Kapelle befand sich weder im Hof noch auf dem angrenzenden Gelände, sondern unterhalb des Schlosses. In einer Prozession stiegen sie hinab und traten auf flache Steine. Constantin führte, während zwei Diener den verstorbenen Grafen, der in karmesinroten Samt gehüllt war, trugen.
Seine Tante folgte, unterstützt von ihrer Tochter, mit Sofia dahinter.
Hinter einer eisenbeschlagenen Tür war die Decke von gotischen Bögen gekrönt, die allerdings nicht sehr hoch waren. Nichts teilte den zentralen Teil des Atriums außer den Säulen, die das Dach trugen. Vermutlich befand sich weiter hinten in der Kammer ein Altar, aber es herrschte die Atmosphäre einer Gruft, dunkel und still, und die Luft war feucht und abgestanden.
Sofia wollte nicht an die Insassen der Sarkophage denken, die zwischen den Säulen standen, und auch nicht an die zerbröckelnden Gebeine, die in verwesendes Leinen gehüllt waren.
Durch ihre Fußsohlen kroch Kälte nach oben.
Mit seiner Laterne zündete Constantin ein Kohlenbecken an. Der tanzende Schatten betonte die Kanten seines Gesichts, und trotz des Flammenscheins wirkte er blass. Seine Augen glitzerten in diesem seltsamen, springenden Licht.
Außer Constantin, Tatiana und ihrer Mutter, der Baronin, waren keine weiteren Familienmitglieder anwesend – so hatte Olga es Sofia erzählt, während sie die Knöpfe am Hals ihres schwarzen Taftes schloss. Keiner außer Sigismund, dem Bruder von Constantins verstorbenem Vater, und da er schon sehr alt war, verließ er seine Kammer nicht.
Außer den Dienern, die den verstorbenen Grafen Grigore zu seinen Vorfahren trugen, war kein weiteres Personal zugelassen worden. Der Deckel stand seitlich des steinernen Sarkophags.
Sofias Blick schweifte zu den Menschen um sie herum. Schwarz war nicht Tatianas Farbe und ließ ihre Blässe völlig unnatürlich erscheinen, fast blutleer. Ihr Blick fiel auf Sofia, und das Aufblitzen in diesem Blick war alles andere als einladend.
Selbstbewusst richtete Sofia den Blick wieder auf den verhüllten Leichnam.
Sie war mit dem Wunsch gekommen, sich dieser Familie anzuschließen, aber sie war ein Eindringling. Niemand wollte sie hier haben, und der Mann, um den sie trauerte, hatte ihr nichts bedeutet.
Ein Seufzen war zu hören, als der Körper in die Höhe gehoben wurde. Sofia nahm an, dass es von einem der Männer kam, die unter dem Gewicht ihrer Last stöhnten, aber es schien nicht so zu sein, denn beide sprangen erschrocken auf. Sie verloren den Halt, und der Körper fiel mit einem dumpfen Schlag zu Boden. Der linke Unterarm fiel aus dem sich öffnenden Leichentuch heraus, und zu Sofias Entsetzen zuckten die Finger.
Tatiana keuchte und zerrte ihre Mutter zurück.
»Lieber Gott!«, rief die Baronin. »Er ist am Leben!«
Constantin beschimpfte die Männer, aber sie starrten ihn nur erschrocken an. Beide bekreuzigten sich.
»Strigoi!«, wimmerte der eine. »Este blestemul!«
»Sie haben recht!« Tatianas Augen waren wild. »Das ist der Fluch. Das Böse ist über uns!«
Constantin befahl den Männern, ihren Dienst wieder aufzunehmen, doch die beiden flohen und verschwanden die Treppe hinauf.
Sofia starrte Tatiana an. Solche Ausbrüche verurteilten Frauen als hysterisch. Sie hatte keine Zeit für solche Theatralik, aber sie konnte die Beweise auch nicht ignorieren. »Er hat sich bewegt, Constantin, und er hat gestöhnt. Hast du es nicht gehört?«
»Ich hörte nur das Geräusch von Luft, die aus den Lungen eines toten Mannes entweicht.« Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Aber seine Hand!« Tatiana klammerte sich an ihre Mutter.
»Gliedmaßen können noch lange nach dem Tod zucken. Es bedeutet nichts.« In Constantins Kiefer arbeitete ein Muskel, aber er zeigte kein anderes Zeichen der Beunruhigung.
»Ich sehe, dass ich tun muss, was andere nicht können.« Er bückte sich, steckte den Arm zurück in das Leichentuch und hob sich seinen Bruder auf die Schulter.
Es musste ihn große körperliche Anstrengung gekostet haben, aber er trug die Leiche zu dem offenen Sarg und ließ sie hineinfallen. Mit einem leisen Aufprall fand der Körper seinen letzten Platz.
»Jetzt der Deckel. Ich schaffe das nicht allein.« Constantin schaute zuerst zu Tatiana, doch da er keine Antwort erhielt, wandte er sich an Sofia.
Der Gedanke, näher zu kommen, war ihr zuwider, aber Sofia tat, was er verlangte. Sie nahm das Ende der Steinplatte, hob sie auf sein Kommando hin an, und irgendwie zerrten sie sie an ihren Platz. Die letzte Anstrengung gehörte ihm, denn Sofia war atemlos, ihre Seite schmerzte. Dann wurde die Belastung von ihr genommen, und es gab ein schabendes Geräusch, als die Abdeckung an ihren Platz geschoben wurde.
Constantin löschte das Feuer, und schweigend stiegen sie die Treppe hinauf.
Sofia verkroch sich unter der Bettdecke und war dankbar für die Wärmepfanne zwischen den Laken.
Das Dienstmädchen hatte Sofias Kleider ausgeschüttelt und aufgehängt und schürte nun das Feuer, damit die Glut bis tief in die Nacht hinein leuchtete.
Der Tag war so seltsam gewesen. Es war kaum verwunderlich, dass Constantin sich von ihr ferngehalten hatte, aber sie hatte gehofft, dass die Baronin und Tatiana einen Annäherungsversuch unternehmen würden. Allerdings war es nur natürlich, dass ihre Ankunft etwas nachrangig gegenüber einem plötzlichen und schockierenden Tod war.
Sofia konnte sich nicht vorstellen, wie sich die anderen Frauen fühlten – oder Constantin. Er hatte seinem Bruder doch sicher nahe gestanden.
Constantin hatte die Anweisung gegeben, dass sie das Abendessen in ihren Zimmern einnehmen würden, und dass er wünsche, dass Sofia bis auf Weiteres in ihrem Zimmer bleiben solle. Für den Moment hatte sie sich damit abgefunden, aber für die Zukunft hatte sie ihre eigenen Vorstellungen. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, an diesen trostlosen Ort zu reisen, nur um dann wieder weggeschickt zu werden.
Sofia hatte Bukarest mit der Absicht verlassen, Schloss Roznov zu ihrer Heimat zu machen, unabhängig davon, wie Constantin sie empfangen würde. Sie hätte kaum eine Chance, ihn davon zu überzeugen, dass es klug wäre, sie bleiben zu lassen, wenn es ihr nicht erlaubt wäre, mit ihm zu sprechen oder sich bei seiner Tante und seiner Cousine richtig vorzustellen.
Wie ungastlich Constantin auch sein mochte, seine Familie war hier, und sie war entschlossen, diese Familie auch zu ihrer zu machen. Vor allem wünschte sie sich, irgendwo hinzugehören, zu Menschen, denen sie irgendwann etwas bedeuten würde.
Es war klar, dass die Ausstattung des Schlosses noch verbessert werden konnte, und Sofia hatte Lust auf ein Projekt. Sie hatte die Residenz ihres Vaters in Bukarest auf den neuesten Stand gebracht, und ein Schloss konnte nicht so viel anders sein.
Das Erste, was sie in Angriff nehmen musste, war die Garderobe, die an ihr Zimmer angrenzte. Es zog so fürchterlich, dass man den Nachttopf fast vorzog. Über den Verbleib des Inhalts wollte sie lieber nicht nachdenken.
Und sie hatte erfahren, dass die Bediensteten das Wasser mehrere Stockwerke hochtragen mussten, um einen Kupferkübel zu füllen. Olga hatte ihr mitgeteilt, dass am Morgen ein Bad für sie vorbereitet würde und dass Daria und Alina ihr dabei helfen würden.
Sofia bemerkte die erschöpfte Miene der Frau. Sie war eindeutig überfordert, und das ging einfach nicht. Entweder brauchte das Schloss mehr Personal, oder es mussten praktische Maßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitsbelastung zu verringern.
In der Stadt waren die meisten Häuser mit Boilern ausgestattet, die bei Bedarf köstlich warmes Wasser lieferten, ganz zu schweigen von den neuesten Sanitäreinrichtungen. Es wäre nicht einfach, solche Dinge nach Roznovatu zu transportieren, aber man bezwang einen Berg nicht, indem man beim ersten Anzeichen eines steinigen Weges aufgab.
Und Sofia vermutete, dass sich die Küchen in demselben rückständigen Zustand befinden dürften. Es würde sie nicht wundern, wenn Fleisch hier immer noch am Spieß über einer offenen Feuerstelle gebraten würde.
Am Morgen, sobald sie gebadet und angezogen war, würde sie sich der Köchin und den anderen Anwesenden vorstellen und ein langes Gespräch mit der Haushälterin führen. Gemeinsam könnten sie sicher einen Plan ausarbeiten, um das Schloss in die Moderne zu bringen.
Zweifellos würden die Baronin und Tatiana sie für dreist halten, weil sie sich in die Führung des Haushalts einmischte, aber sie würden ihr bald dankbar sein, wenn sie den Nutzen einer kleinen Investition in die Einrichtungen sahen. Constantin würde vielleicht sogar erkennen, dass Sofia eine Bereicherung sein könnte, auch wenn er so etwas wahrscheinlich nie zugeben würde.
Ihre Träumerei wurde durch Olgas Annäherung unterbrochen. »Gibt es sonst noch etwas, Mylady? Wenn nicht, werde ich mich zurückziehen. Ich wache heute Abend über Lord Sigismund.«
»Nichts, danke.« Sofia trank schnell die Milch aus, die Olga mitgebracht hatte.
Als das Dienstmädchen die Tasse entgegennehmen wollte, bemerkte Sofia einen schmerzhaft aussehenden roten Fleck direkt über ihrem Handgelenk. »Oh Olga! Hast du dich verletzt?«
Sie zog schnell ihre Manschette hinunter. »Ein stechendes Insekt. Ich habe das Fenster in der Nacht einen Spalt offen gelassen.« Ihr Blick ging zu Sofias Fenster, obwohl sie das Schloss erst vor wenigen Minuten überprüft hatte.
»Zu dieser Jahreszeit?« Sofia konnte ihr Erstaunen kaum unterdrücken. Hielten diese Tiere nicht einen Winterschlaf, bis das warme Wetter kam, und versteckten sich unter Stämmen, Steinen und Laubstreu?
»Es ist fast Frühling«, antwortete Olga etwas schroff.
»Natürlich.« Sofia war nicht ganz überzeugt. »Aber Olga, ich muss fragen, ob es dir gut geht.«
Ihre Augenbrauen hoben sich. »Warum sollte das anders sein?«
Es war immer unangenehm, nach der Gesundheit anderer zu fragen. »Ich meinte nur, dass du anscheinend viele Aufgaben hast. Ist nicht eine Krankenschwester angestellt, um auf Lord Sigismund aufzupassen?«
»Es gab eine, aber sie und Graf Roznovatu – ich meine Graf Grigore – haben sich zerstritten. Meine Mutter hat jetzt die Aufgabe, mit meiner Hilfe. Wir hatten schon ein paar Mädchen aus dem Dorf, aber die bleiben nie lange …«
»Oh, ich verstehe«, sagte Sofia, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie es wirklich verstand.
Es konnte hier nicht viele Beschäftigungsmöglichkeiten geben, die besser waren als ein Angebot der Roznovatus. Eine Stelle im Schloss dürfte begehrt sein, und sich um einen älteren Mann zu kümmern, konnte nicht so schrecklich sein; er schlief wahrscheinlich die meiste Zeit des Tages. Obwohl Bettlägerige durchaus jähzornig sein konnten …
»Es muss einsam für ihn sein, in seinem Zimmer eingesperrt zu sein.« Sofia faltete die Steppdecke mit ihren Fingern. »Schade, dass er keine Frau oder Kinder hat, die ihm Gesellschaft leisten.«
Olga hatte zuvor zurückhaltend gesprochen, aber jetzt war ihr Ton ganz anders. »Aber er hat eine Frau, und zwar unter diesem Dach, obwohl ich nicht weiß, ob man sie wirklich eine Frau nennen sollte!« Sie schürzte ihre Lippen. »Was die Kinder angeht, möchte ich nicht sagen …«
»Ich bin sicher, Graf Roznovatu würde es nicht gerne hören, wenn du so sprichst, und die Baronin auch nicht.« Sofia empörte sich im Namen der Tante ihres Mannes.
Sie musste noch die Beziehungen zwischen allen Familienmitgliedern in Erfahrung bringen, aber sie nahm an, dass es keinen anderen Kandidaten geben konnte. Sigismund dürfte wohl kaum mit der Köchin verheiratet sein. In diesem Fall war es allerdings seltsam, dass die Baronin den Titel aus ihrer ersten Ehe weiterführte. Soweit sie wusste, hatte Sigismund keinen eigenen Titel – weder den eines Barons noch einen anderen.
Was auch immer die Vereinbarungen waren, es stand den Bediensteten sicher nicht zu, sich dazu zu äußern.
Das Dienstmädchen blinzelte und sah verwirrt und etwas zerknirscht aus. »Verzeihung, Mylady. Vielleicht bin ich müde. Bitte vergessen Sie, dass ich etwas gesagt habe.«
Olga machte Anstalten zu gehen, zögerte aber einen Moment und sah Sofia noch einmal an. »Der Master hat mir gesagt, ich solle heute Nacht die Tür abschließen und den Schlüssel einstecken, aber das scheint mir nicht richtig zu sein. Ich lasse den Schlüssel hier im Schloss, damit Sie ihn selbst umdrehen können, wenn ich weg bin.«
»Er hat dich gebeten, mich einzusperren?«
»Sagen Sie ihm nicht, dass ich es mir anders überlegt habe, ja?« Das Dienstmädchen kaute an ihrer Unterlippe.
»Nein, natürlich nicht.« Es gab viele Dinge, die Sofia mit Constantin besprechen wollte, aber sie wollte Olga nicht in Schwierigkeiten bringen.
Sofia schwang ihre Füße auf den Boden und eilte zur Tür, um den Schlüssel umzudrehen. Sie kroch zurück und vergrub sich wieder unter der Decke. Trotz des lodernden Feuers war es viel zu kühl, um herumzutrödeln.
Sie schloss ihre Augen. Morgen würde ein anstrengender Tag werden, und sie würde mit allen vorsichtig umgehen müssen, sonst würden sie sie auf einen Schlag hassen.
Ruhe war jetzt das Beste. Der Himmel wusste, dass Sofia sie brauchte. Doch die Minuten vergingen; aus welchem Grund auch immer, der Schlaf blieb ihr verwehrt.
Verflucht sei er!
Sie kannte den Grund genau, und es war ihre eigene Schuld, dass sie Constantin erlaubte, ihre Gedanken zu beschäftigen.
Sie war nicht die erste Frau, der der Himmel auf Erden versprochen worden war, und die dann, sobald sie den Ring am Finger trug, übergangen wurde. War das nicht der Lauf der Welt? Die Männer nahmen sich, was sie begehrten, und machten dann, was sie wollten, und hinterließen eine Spur der Enttäuschung.
Natürlich gab es auch Ausnahmen. Ihr eigener Vater war, soweit sie wusste, ein treuer und aufmerksamer Ehemann gewesen. Allerdings könnte Sofias Perspektive darauf verzerrt sein. Schließlich war ihre Mutter ihr ganzes Eheleben lang um die Welt gereist, um ihm zu folgen, und hatte nie den Komfort eines eigenen Heims gekannt. Als Kind hatte Sofia nie daran gedacht, die Mutter zu fragen, wie sie sich dabei fühlte, von einer Stadt in die nächste zu ziehen.
Die Realität war, dass Sofia nie über die Demütigung hinweggekommen war, am Morgen nach der wunderbarsten, aufregendsten und leidenschaftlichsten Nacht ihres Lebens verlassen worden zu sein …
Aufhören!
Sie hatte immer wieder über ihre Hochzeitsnacht und die darauf folgenden Ereignisse nachgedacht, ohne jemals verstehen zu können, warum der Mann, von dem sie glaubte, dass er sie liebte, sie verlassen hatte.
Erst nach dem Tod ihres Vaters hatte sie die Briefe Constantins gefunden, die ganz hinten im Schreibtisch ihres Vaters versteckt gewesen waren. Mit zitternden Fingern hatte sie jedes gefaltete Papier aus dem Umschlag gezogen, aber die Briefe sagten ihr nichts: flüchtige Zeilen, die darüber informierten, dass Constantin weiterhin in der Lage war, seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seiner Frau nachzukommen, die er in der Obhut ihres Vaters zurückgelassen hatte.
Die Summen, die für ihren Unterhalt hinterlegt wurden, waren großzügig, aber er sprach nicht über die Heirat und fragte auch nicht nach Neuigkeiten von Sofia selbst. Was die vielen Briefe anging, die sie geschrieben hatte – in Ermangelung einer anderen Adresse nach Schloss Roznov geschickt –, hatte sie keine Ahnung, ob Constantin sie erhalten hatte.
Hatte ihr Vater sie überhaupt abgeschickt?
Nicht, dass das etwas geändert hätte. Sie hoffte fast, dass diese tränenverschmierten Seiten den Mann, für den sie bestimmt gewesen waren, nie erreicht hatten.
Constantin hätte ihre überspannten Zeilen nicht lesen müssen, um zu wissen, dass er ihr das Herz gebrochen hatte. In der Zwischenzeit hatte sie kein einziger Brief von dem Mann erreicht, der ihr geschworen hatte, sie zu lieben, bis der Tod sie scheiden würde.
Was auch immer Constantin einmal für sie gewesen war, er war inzwischen ein Fremder. Alles, was sie miteinander geteilt und erhofft hatten, wäre vielleicht nie passiert – zumindest wünschte er es sich so. Das hatte er deutlich gemacht.
Was seine Gründe anging, so blieben sie ihr unbekannt, und vielleicht war das auch besser so. Wollte sie wirklich erfahren, in welcher Hinsicht sie sich als unzulänglich erwiesen hatte?
Sofia setzte sich auf, zündete die Lampe an ihrem Bett an und suchte ihr Taschentuch. Sie schnäuzte sich kräftig die Nase.
War es schwach von ihr, verstehen zu wollen? Wie verletzend oder trivial der Grund auch sein mochte, hatte sie es nicht verdient, die Wahrheit zu hören?
Und sobald sie es wusste? Was dann?
Sie hatte sich entschlossen, ihren rechtmäßigen Platz an der Seite ihres Mannes einzufordern, unabhängig davon, ob er sie dort haben wollte oder nicht, denn ihr standen Respekt, eine Position und ein Platz zu, an den sie gehören sollte. Sie glaubte nicht einen Moment lang, dass der Aufenthalt unter seinem Dach ein Wiederaufleben der Zuneigung bewirken würde.
Gott bewahre!
Sie würde sich nie wieder in eine solche Situation begeben – sich in die Macht eines Mannes begeben und zulassen, dass sie verletzt wurde. War einmal nicht genug gewesen?
Und doch konnte sie nicht umhin, sich Constantin auf den Knien vorzustellen, wie er sie um Verzeihung anflehte. Wie er sie anflehte zu bleiben, und zugab, dass er ein Narr gewesen war. Er würde ihr sagen, dass er sie die ganze Zeit über geliebt hatte.
Unter ihren Rippen nagte das alte, hohle Gefühl.
Der Mann, der so erbarmungslos gegangen war, würde so etwas nie sagen, und sie war die Närrin, weil sie auch nur einen Moment lang geglaubt hatte, dass ihre Anwesenheit hier etwas ändern würde.
Während die Bediensteten die Badewanne in Sofias Zimmer füllten, frühstückte sie einen mit Marmelade gesüßten Brei. Wenigstens war sie erleichtert, dass Olga Hilfe hatte.
Daria und Alina waren Cousinen der Köchin. Da sie selbst Familien im Dorf hatten, konnten sie nicht die ganze Woche auf der Burg sein, hatten sich aber bereit erklärt, bei der Wäsche und anderen Aufgaben zu helfen. Die Frauen sahen stärker aus als Olga und waren für die schwere Arbeit viel besser geeignet.
»So, fertig, Mylady.« Nachdem sie den letzten Eimer Wasser in die Badewanne geleert hatte, krempelte Daria ihre Ärmel hinunter.
Die andere – eine größere, kantigere Version ihrer Schwester – musterte Sofia mit unerschütterlichem Blick. »Frisches Blut«, erklärte sie. »Das ist es, was dieser Ort braucht.«
»Sei still! Es ist nicht an uns, zu …«, unterbrach sie die andere.
»Ich meine ja nur.« Alina verschränkte die Arme. »Ich wäre gar nicht gekommen, wenn unsere Mălina gewusst hätte, wohin sie sich wenden soll. Eine Heilige ist sie!«
»Du bekommst das Doppelte von dem, was dir zusteht – aber dafür, dass du arbeitest, und nicht, um hier herumzustehen und zu tratschen«, schnauzte Olga.
»Hört euch das an!« Alina sah aus, als wollte sie sich weiter streiten, aber dann schien sie es sich anders zu überlegen, und die beiden stürmten mit den leeren Eimern hinaus.
Olga kniete sich hin, um das Wasser zu prüfen. »Es tut mir leid, dass Sie das mit anhören mussten. Sie sollten nicht hier sein. Wenn jemand anders kommen könnte …« Die Röte ihrer Wange zeigte, wie unangenehm ihr der Austausch war. »Meine Mutter wird mit ihnen sprechen.«
Sofia rollte sich vom Bett. Alinas Tonfall war extrem unverschämt und völlig respektlos gewesen, aber ihre Offenheit hatte etwas, das Sofia sehr gefiel. Sie würde gern dabei sein, wenn Alina und Doamnă Albescu miteinander redeten.
»Alle müssen verunsichert sein.« Sofia hob ihr Nachthemd und tauchte einen Zeh ins Wasser. Es war nicht so heiß, wie sie es gewohnt war, aber es war ihr erstes Bad seit mehreren Tagen. Sie kletterte hinein und hob die Knie an, damit die Wärme ihre Schultern bedeckte.
Olga ließ ein Handtuch in Reichweite liegen und machte sich daran, das Bett aufzuräumen.
Sofia versuchte, lässig zu klingen, während sie sich einseifte. »Sich das Leben nehmen, und das auf eine solche Art und Weise! Etwas Schreckliches muss den Geist des verstorbenen Grafen befallen haben …«
»Das kann ich nicht sagen.« Es war offensichtlich, dass Olga ihre Gedanken nicht teilen wollte.
Sofia respektierte das. Zu viele Menschen in der Welt lebten vom Klatsch und Tratsch. Sie stützte ihren Kopf auf den Wannenrand. »Die anderen Damen – weißt du, ob sie schon angezogen sind?«
»Sie werden noch eine Weile schlafen und dann in aller Ruhe baden und so weiter. Normalerweise treffen sie sich zum Mittagessen …« Olga zögerte. »Oder sie kommen gar nicht erst herunter.«
Sofia gefiel die Vorstellung nicht. Sie war immer dazu angehalten worden, früh aufzustehen und sich nützlich zu machen – mit der Nadel zu hantieren oder Blumen zu arrangieren. Im Haushalt ihres Vaters gab es oft eine Soiree oder Ähnliches zu organisieren, ganz zu schweigen von den Einladungen, die es zu schreiben und zu beantworten galt.
In Bukarest hatte sie sogar gelegentlich in der Küche geholfen und die komplizierte Arbeit des Dekorierens der kleinen Petit Fours und Canapés, die ihre Köchin so geschickt zubereitet hatte, sehr genossen. Sie nahm an, dass die Damen von Schloss Roznov zu erhaben waren, um sich dazu herabzulassen, bei irgendeiner Arbeit zu helfen, die traditionell den Dienern zugewiesen wurde.
Es hörte sich an, als ob sie übermäßig gern herumlungerten, um nicht viel zu tun, aber sie würde kaum ihre Gunst gewinnen, wenn sie ihre Gewohnheiten kritisierte.
Es könnte sein, dass es für sie ohnehin nicht viel Unterhaltsames gab, mit dem sie sich beschäftigen könnten. Soweit sie sich an die Karte erinnerte, gab es außer den Bewohnern des Dorfes im unteren Tal keine weiteren Nachbarn.
Es gäbe Gelegenheiten für einfache Feste, die vom Schloss abgehalten wurden, aber diese kämen nicht oft genug vor, um die Aufmerksamkeit der Baronin und ihrer Tochter zu beanspruchen. Und mit dem Tod von Lord Grigore würde es im Haushalt wahrscheinlich düster werden.
Mit einem letzten Spritzer Wasser im Gesicht griff Sofia nach dem Handtuch.
Es war an der Zeit, dass sie den Ort besser kennenlernte, und Constantin konnte zum Teufel gehen, wenn er glaubte, dass sie die Absicht hatte, etwas anderes zu tun.
* * *
Obwohl die Küche weit von den öffentlichen Räumen des Schlosses entfernt lag, wurde Sofia vom Duft des Backwerks dorthin geführt. Die Küche war genau so, wie Sofia sie sich vorgestellt hatte: ein höhlenartiger Raum, in dem die Feuerstelle einen großen Teil einer Wand einnahm, mit Öfen auf beiden Seiten, die in das Mauerwerk eingelassen waren. Der Raum war ziemlich dunkel, da er nur ein Fenster hatte – näher an der Decke als am Boden -, aber er war einladend warm.
Über dem Tisch in der Mitte baumelten verschiedene Töpfe und Pfannen, während in der Ecke eine Reihe von Kaninchen darauf wartete, gehäutet und für den Topf vorbereitet zu werden. Das Dienstmädchen, das Sofia als Daria erkannte, schrubbte an einem langen hölzernen Waschbecken. Am anderen Ende saß Alina mit finsterer Miene über einem Haufen verklumpten Gemüses.
»Guten Morgen, allerseits.« Sofia zeigte ihr schönstes Lächeln. »Ach du meine Güte! Das riecht köstlich.«
Aus einem der Öfen holte die Köchin eine Pastete mit goldener Kruste heraus.
»Guten Morgen, Doamnă Vulpe, nicht wahr? Ich hoffe, ich störe Sie nicht.« Während Olga ihr die Haare hochgesteckt hatte, hatte Sofia nach den Namen der anderen Bediensteten gefragt, um sich zwanglos vorzustellen.
Doamnă Vulpe wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und beugte sich vor, um über den Tisch zu schielen. »Die neue Braut, ja?«
Meine Güte, die ist ja blind wie ein Maulwurf!,dachte Sofia.
»Wie wir gesagt haben, Cousine.« Daria wandte sich von ihrer Arbeit ab und machte einen kurzen Knicks in Sofias Richtung.
Wäscht sie Servietten an ihrem Ende des Waschbeckens, während ihre Schwester am anderen Ende Rüben – oder was auch immer das ist – schält? Sofia biss sich auf die Zunge. Das war ein Gespräch für einen anderen Tag!
»Ich bin die Frau von Lord Constantin, wenn auch nicht gerade frischgebacken.« Sofia runzelte die Stirn. Sie vermutete, dass sie das in gewisser Weise vielleicht doch war.
Die Köchin blinzelte erneut. »Und Sie sehen aus wie eine Roznovatu. Wie seine Mutter, mit diesem rabenschwarzen Haar.« Sie verschränkte ihre Arme unter einem üppigen Busen. »Gleiches findet Gleiches, und Blut findet Blut. Ich werde für Sie beten.«
»Wie bitte?« Sofia hatte es sehr wohl gehört, aber es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie es nicht getan hätte. Die Worte der Köchin hatten einen sauren Beigeschmack.
Was machte es schon aus, dass ihr Haar dunkel war? War das bei Tatiana nicht auch so, und bei ihrer Mutter wahrscheinlich auch. Diese Farbe war keine Seltenheit.
Sie wollte gerade eben das sagen, als sie bemerkte, dass Daria und Alina in ihrer Arbeit innegehalten hatten und offensichtlich darauf warteten, wie sie reagieren würde.