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Der vorliegende Band versammelt Rilkes schönste Texte über die Advents- und Weihnachtszeit
Seit seinen Kindertagen war Weihnachten für Rainer Maria Rilke das höchste und geheimnisvollste Fest des Jahres. Voller Erwartung und Vorfreude sah er »der einen Nacht der Herrlichkeit« entgegen – und er hat dieser Freude in Briefen, Gedichten und Gesprächen immer wieder Ausdruck verliehen.
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Seitenzahl: 82
Seit seinen Kindertagen war Weihnachten für Rainer Maria Rilke das höchste und geheimnisvollste Fest des Jahres. Voller Erwartung und Vorfreude sah er »der einen Nacht der Herrlichkeit« entgegen – und er hat dieser Freude in Briefen, Gedichten und Gesprächen immer wieder Ausdruck verliehen.
»Was schlug mir das Herz, vom Geburtstag an, über den St.-Nikolaus-Tag auf Weihnachten zu, und wie steigerte sich diese Erregtheit immer noch mehr, am 21ten, am 22ten, am 23ten, bis am … Nachmittag des 24ten … dann die Glocken, die Glockenspiele eindrangen, die dem Aufspringen der Türen zuvorflogen durch die Dämmerung des unvergleichlichen Wintertags.«
Der vorliegende Band versammelt Rilkes schönste Texte über die Advents- und Weihnachtszeit.
Rainer Maria RilkeWeihnachten naht
Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Hella Sieber-Rilke
eBook Insel Verlag Berlin 2024
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 5064.
© 2002, Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin
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Umschlaggestaltung: Burkhard Neie, Berlin
Umschlagillustration: Burkhard Neie, Berlin
ISBN 978-3-458-74938-7
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr
Wenn Weihnachten naht
Es treibt der Wind im Winterwalde
An Sidonie Nádherný von Borutin, 15. 12. 1907
Der Abend kommt von weit gegangen
An die Mutter, Vor Weihnachten 1923
Das Wunder der Weihnacht
Mechthild von Magdeburg: Wie das Kind gesehen ward
An die Mutter, 20. 12. 1903
An die Mutter, 20. 12. 1909
Geburt Christi
An die Mutter, 17. 12. 1920
An die Mutter, am letzten Adventssonntag 1921
An die Mutter, 18. 12. 1922
An die Mutter, 17. 12. 1924
An die Mutter, vor Weihnachten 1925
Verkündigung über den Hirten (Einer neigte sich der Kronenblonden)
An Marthe Hennebert, Weihnachten 1912
Verkündigung über den Hirten (Steht auf, ihr Männer. Männer dort am Feuer)
Erfüllte Wünsche
Weihnacht
Das Christkind
An die Mutter, 22. 12. 1900
An die Mutter, 21. 12. 1907
An Sidonie Nádherný von Borutin, 26. 12. 1907
An Ruth Rilke, 18. 12. 1910
An die Mutter, 19. 12. 1910
An Ruth Rilke, 22. 12. 1911
Weihnachts-Lied
An Else Hotop, 26. 12. 1918
An Katharina Kippenberg, 29. 12. 1918
Die Heilige Nacht feiern
Es gibt so wunderweiße Nächte
An Clara Rilke, 19. 12. 1906
An Sidonie Nádherný von Borutin, 30. 12. 1907
An Sidonie Nádherný von Borutin, 26. 12. 1913
An Dorothea von Ledebur, 15. 1. 1920
Weihnachten in Kriegsjahren
Vor Weihnachten 1914
An die Mutter, Weihnachten 1914
An die Mutter, 19. 12. 1915
An die Mutter, vor Weihnachten 1916
An die Mutter, 19. 12. 1917
An die Mutter, 2. Advent 1918
An die Mutter, 14. 12. 1919
Wenn Rosen zur Weihnacht blühen
An Ellen Key, 22. 12. 1903
An Lili Kanitz-Menar, 18. 12. 1906
An die Mutter, 19. 12. 1906
An Clara Rilke, 25. 12. 1906
An Sidonie Nádherný von Borutin, 19. 12. 1909
An Clara Rilke, 17. 12. 1910
An die Mutter, 21. 12. 1911
Heilige Drei Könige
An Margot Sizzo, 6. 1. 1922
Die Heiligen Drei Könige
Nachwort
Zu dieser Ausgabe
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da hörst Du alle Herzen gehn und schlagen
wie Uhren, welche Abendstunden sagen:
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da werden alle Kinderaugen groß,
als ob die Dinge wüchsen die sie schauen,
und mütterlicher werden alle Frauen
und alle Kinderaugen werden groß.
Da mußt du draußen gehn im weiten Land
willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte
als ob dein Sinn der Städte nie begehrte,
so mußt du draußen gehn im weiten Land.
Dort dämmern große Himmel über dir
die auf entfernten weißen Wäldern ruhen,
die Wege wachsen unter deinen Schuhen
und große Himmel dämmern über dir.
Und in den großen Himmeln steht ein Stern
ganz aufgeblüht zu selten großer Helle,
die Fernen nähern sich wie eine Welle
und in den großen Himmeln steht ein Stern.
Für Clara Rilke. Weihnachten 1901
Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
Aus: Advent. 1897
Wenn so ein Weihnachten herankam und zögerte und plötzlich da war, so nah vor dem Herzen, wie ein Berg an dem man nicht hinaufsehn kann, – welches Erleben erlebten wir da nicht? Welche Erwartung blieb außerhalb, welche Freude wurde uneröffnet zurückgelegt; und wieviel Schicksal war aufgelöst in alledem, wieviel von Traurigkeit und Tod tranken wir mit einem Tropfen Enttäuschung, der süß war wie alles andere und doch so anders in seiner Süße –.
Ich merke nun, wie sehr es in der Arbeit wiederkommen will, dieses Alles-in-Allem-sein, das die Kindheit war.
An Sidonie Nádherný von Borutin, 15. Dezember 1907 aus Oberneuland
Der Abend kommt von weit gegangen
durch den verschneiten, leisen Tann.
Dann preßt er seine Winterwangen
an alle Fenster lauschend an.
Und stille wird ein jedes Haus:
die Alten in den Sesseln sinnen,
die Mütter sind wie Königinnen,
die Kinder wollen nicht beginnen
mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen
nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,
und innen horchen sie hinaus.
Aus: Advent. 1898
Meine liebe gute Mama, unsere herzliche Sechs-Uhr-Tradition hat lauter frohe und treue Eigenschaften: aber ist es nicht eine der schönsten, die sie uns zugutekommen läßt, daß wir uns nicht allein, jedes Jahr, die alte Weihnachtsfreude schenken, gegenseitig, sondern, daß dieser zwischen uns vertrauliche Gebrauch auch noch die Weihnachts-Vor-Freude aufleben und dauern läßt, die vor der geschlossenen Tür verhaltene, die immer von so starker herzklopfender Bedeutung war! Denn indem jeder von uns, infolge der Entfernung, die unsere Briefe zu überwinden haben, genötigt wird, indem er schreibt, sich einige Tage vor dem Fest schon seine ganze heimliche Gegenwart vorzustellen, ja aus ihr heraus, das zu fühlen, was den Anderen: Dir! – die Sechsuhrstunde betonen und erfüllen soll, ist er unversehens in der großen reichen Vor-Freude drin und spricht mitten aus ihr. Von nirgends her ist ja die Freude erkennbar und ergreifbar als von der Vor-Freude aus. Also, meine liebe Mama, da bin ich, in ihr, in dieser wohlbekannten Vorfreude, die Freude sein wird, wenn Du dieses liest und mich, im Innern dieser Zeilen, in Deine Arme schließest. Aber laß mich noch eine Weile bei der Vorfreude bleiben. Die habt Ihr mich ja, Du und Papa, in einer unvergleichlichen Weise, gelehrt, mittels der Vorbereitungen und Überraschungen, die bei uns zu diesem Fest gehörten. Was schlug mir das Herz, vom Geburtstag an, über den St. Nikolaus-Tag auf Weihnachten zu, und wie steigerte sich diese seine Erregtheit immer noch mehr, am 21ten, am 22ten, am 23ten, bis am seltsam ausgesparten Nachmittag des 24ten, in seinem nicht mehr zu steigernden Sturm jene Wind-Stille eintrat, die im Menschlichen mit dem Zuviel beginnt, und in deren reine Atemlosigkeit dann die Glocken, die Glockenspiele eindrangen, die dem Aufspringen der Türen zuvorflogen durch die Dämmerung des unvergleichlichen Wintertags. Vielleicht bin ich deshalb, meine liebe Mama, ein solcher Rühmer der Freude geworden (sie dem Glück, auch noch dem, was die Menschen ein großes Glück nennen, unbedenklich vorziehend), weil Ihr mich zu so großer Vorfreude erzogen habt und an diesem einen Tag, in dem so viel Erfüllung geheimnisvoll zusammenkam, meinem Herzen zumutetet, in der Leistung der Vorfreude, ein Maß der Freude anzunehmen, das völlig unaussprechlich war. Die Freude selbst war es dann ja auch: unaussprechlich. Vielleicht schlug in sie etwas Verwirrung hinein, etwas Taumel fiel über sie her, etwas selige Müdigkeit beschlug sie … so daß man in ihr nicht mehr so klar, nicht mehr so rein leistend war, nicht mehr so unbeschränkt aktiv wie in dem engelhaften Wehen der Vor-Freude. Dort ging man, man stieg –, hier, in der Freude, war man über einen äußersten Rand gehalten und meinte nicht anders zeitweise, als zu fallen, weich und tief zu fallen. Denn, wer weiß, vielleicht ist das Leben so unendlich diskret, daß die Freude schon Einbildung ist: vielleicht ist ja das ganze Irdische, in seiner letzten Zusammenfassung, in der auch noch der größeste Schmerz, als eine Einzelheit, untergeht, nichts als eine einzige Vor-Freude – und die Freude, die uns hier überträfe, wartet anderswo.
Feiern wir, meine liebe gute Mama, heuer in diesem Sinn unser stilles gemeinsames Fest; lassen wir's, was die Geburt des Heilands ja auch war, das Fest der Vorfreude sein. Denn die Freude war die Erlösung, war die Auferstehung, war die Himmelfahrt: und siehe: diese Ereignisse und Offenbarungen der letzten Freude, der äußersten, übertrafen sogar Maria so sehr, daß sie ihr nur noch als ein seliger Schmerz faßbar waren.
An die Mutter. Vor Weihnachten 1923 aus Muzot
»In der Nacht als Gottes Sohn geboren wurde,
ward das Kind gesehen in armen Tüchern
eingewunden und mit Schnüren gebunden.
Das Kind lag allein auf dem harten Stroh
vor zwei Thieren. Da sprach ich zu der Mut-
ter: Eya, liebe FRAU, wie lange soll dein
liebes Kind so allein liegen? wann willst
du es auf deinen Schooß nehmen? Da
sprach Unsere FRAU, sie ließe ja ihr Kind
nie aus den Augen; sie reichte ihm ihre
Hände und sprach: Es soll diese sieben
Stunden unter Nacht und unter Tag
auf diesem Stroh liegen. Sein himmli-
scher Vater will es so. / Dem himlischen
Vater war sonderlich wohl damit:
das erkannte ich da. Ich bat das
Kind für die, die sich mir be-
fohlen hatten.«
(Schwester Mechthild von Magdeburg,Offenbarungen, Siebenter Theil, Cap. LX;Ende des XIII. oder Anfang des XIV. Jahrh.)
Zu Weihnachten 1908für Sidie von Nádherný.
Paris R. M. R.
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