Weihnachtsanektötchen – Spannende Geschichten aus dem Weserbergland - Nané Lénard - E-Book

Weihnachtsanektötchen – Spannende Geschichten aus dem Weserbergland E-Book

Nané Lénard

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Beschreibung

Spukt es auf Schloss Bückeburg? Und das ausgerechnet während des Weihnachtszaubers? Die Kommissare Hetzer und Kruse glauben nicht an einen Geist, obwohl es im Weserbergland derzeit ganz schön gespenstisch zugeht. Dieser Advent hat es wahrlich in sich: In der Hamelner Marktkirche werden die Proben für das Weihnachtsoratorium von einem ohrenbetäubenden Schrei gestört. Doch damit nicht genug. Auch das Eisangeln im Steinhuder Meer fordert ein Opfer. Ja, und selbst auf dem Land bleibt keine Zeit für Vorfreude, denn da liegt kurz vor dem Fest nicht nur Bauer Heini tot im Stall, sondern auch dessen Schweine. Alles höchst merkwürdig! Grund genug für die Kommissare, die mysteriösen Fälle schnell aufzuklären, damit das Weihnachtsfest gemütlich und besinnlich gefeiert werden kann.

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Für Oma Moni, die Weihnachten so sehr liebte.

Die Kurzgeschichten spielen hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieser Kurzgeschichten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2024 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEPub-Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8729-1

WeihnachtsanektötchenSpannende Geschichtenaus dem Weserberglandvon Nané Lénard

Die stille Botschaft

Weihnachten stand kurz bevor. Schnee fiel auf die Weiden und auf das Dach des alten Hofes im Schaumburger Land. In der Landwirtschaft war nach Ernte und Schlachtzeit etwas Ruhe eingekehrt. Man freute sich auf die besinnliche, stille Zeit.

Stille konnte etwas Wunderbares sein.

Auch der Rintelner Bauer Heinrich Schmöe galt als stiller Typ. Das änderte sich, als er tot war.

Allerdings geschah das nicht sofort, denn man fand ihn steif und kalt auf dem Stallboden, noch mit der Forke in der Hand. Sein eines Bein ragte bis zum Knie in den Schweinestall, in dem sich ein paar „Halbstarke“ tummelten. Sie schienen in der Nacht einen mächtigen Spaß daran gehabt zu haben, Heini den Gummistiefel auszuziehen. Doch das war wohl nicht so einfach gewesen, denn der Flunken hatte samt Wollsocke ziemlich fest im Schuh gesteckt. Aber Schweine besaßen gute Zähne. Es gelang ihnen, das dunkelgrüne Ding nach und nach abzubeißen und schließlich vom Fuß zu ziehen. Ein tolles Spielzeug hatten sie da erwischt. Man konnte daran zerren, es herumschmeißen und versuchen, einzelne Gummireste vor seinen Kumpels in Sicherheit zu bringen. Was für eine Freude im Schweinekoben! Niemand bemerkte das nächtliche Spektakel.

Als Hedwig am nächsten Morgen aufwachte und das Bett neben ihr leer war, vermutete sie, dass Heini schon in den Stall gegangen war. Damit hatte sie nicht ganz unrecht. Natürlich befand er sich dort. Er war nur zwischenzeitlich nie im Schlafzimmer gewesen. Kissen und Daunendecke lagen unberührt. Doch das war ihr ohne Brille nach über 30 Ehejahren gar nicht aufgefallen. Sie hätte ihn sogar dann kaum bemerkt, wenn er da gewesen wäre. Man sprach nur über das Nötigste.

Hedwig sah auf die Uhr. Es war mittlerweile nach sieben, aber immer noch stockdunkel. Mit einem Seufzer schwang sie ihre Beine aus dem Bett, streckte sich und klunterte sich an. Als sie die Vorhänge aufzog, bemerkte sie, dass die Scheibe zugefroren war. Fast überall hatten sie noch die alten Fenster von früher. Sie waren einfach verglast und bestanden aus zwei Teilen, in der Mitte ein Riegel. Jetzt öffnete sie das im Schlafzimmer und blickte in die weite, verschneite Landschaft. Ihre Atemzüge lösten sich nach kleinen Wolken im Nichts auf. Hoch oben stand der Mond. Er hatte einen weiten Hof. Klirrende Kälte suchte ihren Weg durch die geöffneten Flügel. Nach dem gestrigen Schneefall musste die Temperatur mächtig gesunken sein. Alles glitzerte: die Kristalle auf den Scheiben, die Oberfläche des kleinen Teiches und die Eiszapfen an den Giebeln. Es schien so, als stimmte sich die Natur auf das Weihnachtsfest ein. Für Hedwig bedeutete das vor allem viel Arbeit, denn die Kinder würden mit ihren Familien kommen. Sie seufzte, denn sie war müde. Nicht von zu wenig Schlaf, eher weil der Alltag anstrengend geworden war. Früher hatte sie Haus und Hof mit links bewältigt. Da war ihr alles leicht von der Hand gegangen.

In der Küche gab sie Holz in den alten Herd. Es war noch Glut darin. Ruckzuck brannte es wieder, und die Oberfläche, die im Nu schon heiß genug zum Aufbacken der Brötchen war, konnte bald auch das Kaffeewasser zum Kochen bringen. Hedwig deckte währenddessen den Tisch. Sie liebte den Küchenherd. Schon ihre Großmutter hatte darauf gekocht. Er brachte durch sein Knistern und seine Wärme Gemütlichkeit in den Raum. Hier hielt sie sich am liebsten auf. Noch immer nutzten sie die „gute Stube“, wie man sagte, nur wenn besonderer Besuch kam. Alle anderen saßen in der Eckbank der Wohnküche.

Inzwischen war es halb acht durch. Das Küchenfenster taute durch die Wärme langsam auf. Sie sah das Licht im Stall brennen. Heini würde sicher gleich zum Frühstück kommen.

Aber er kam nicht.

Hier stimmt etwas nicht, dachte Hedwig, als die Uhr achtmal schlug und der letzte Ton allmählich verklang. Immer war Heini zu den Nachrichten da gewesen. Allerspätestens hatte er um fünf vor acht in der Eckbank Platz genommen. Ein unheimliches Gefühl machte sich in ihr breit. Auch wenn er nie etwas gesagt hatte, war seine Anwesenheit doch mit Geräuschen verbunden gewesen. Seine Hände, die die Butter verstrichen, zum Beispiel, oder das Klappern der Tasse, wenn er sie auf den Tisch zurückstellte. Vertraute Laute, seit Jahrzehnten gehört, schufen auch eine Art von Geborgenheit, stellte sie fest. Jetzt fühlte sie sich alleingelassen in der Stille, als ob sie ahnte, dass er nie wiederkommen würde.

Hedwig wusste, dass sie nun aufstehen musste, um nach ihm zu sehen, aber ihre Beine waren schwer wie Blei. Sie starrte aus dem Fenster und war unfähig, sich zu bewegen. Nur die Augen wanderten zum Stall, wo immer noch das Licht brannte, während draußen lautlos Schnee auf Schnee fiel. Spuren gab es keine. Hatte es so viel geschneit, dass Heinis schon nicht mehr zu sehen waren?

Wie hilflos sie sich plötzlich fühlte und einsam. Niemand da, nach dem sie brüllen konnte. Es machte auch keinen Sinn, jemanden anzurufen, denn es war ja nichts passiert. Jedenfalls nicht, dass sie wusste. Heini war nur nicht zum Frühstück gekommen, so wie viele andere Menschen auch an diesem Morgen. Sich zu verspäten, war etwas Normales – für gewöhnlich. Das sagte sie sich, doch die schlimme Ahnung steckte ihr wie ein Kloß im Hals.

Irgendwann schaffte es Hedwig doch, sich aufzuraffen. Das Quieken der Ferkel hatte sie in die Realität zurückgeholt, weil es anders klang als sonst. Kläglich und elend. Genau so, wie sie sich fühlte. Sie zog sich ihre dicken Botten über die Selbstgestrickten, legte das Schultertuch um und schlurfte zum Stallgebäude hinüber – jeder Schritt eine Anstrengung. Arbeit und Alter hatten sie müde gemacht, die Ungewissheit lähmte zusätzlich.

Der Stall sah aus wie immer, nur stand das Oberlicht der Klöntür trotz der Minusgrade offen. Hedwig sah, dass es daraus dampfte, als sie näher kam. Die Schweine hatten sich wohl beruhigt, ganz im Gegensatz zu ihr. Um die Bäuerin herum lauerte die Kälte. Ein frostiger Morgen wollte soeben unter ihren roten Rock kriechen. Da öffnete sie schnell die Tür, um seiner eisigen Hand zu entfliehen. Doch ein Grauen jagte das nächste. Direkt vor ihr im Gang zwischen den Koben lag Heini und starrte sie an. Ein Blick, den sie nie wieder vergessen würde. Glasige, ferne Augen, Verwunderung und Schrecken lagen darin. Die rechte Hand hielt er nach oben mitsamt der Mistgabel ausgestreckt. Es wirkte so, als ob er in der Hoffnung auf Hilfe mit den Zinken nach ihr griffe. Das war zu viel für Hedwig. Sie schrie und floh. Dabei hatte sie weder die fehlenden Gliedmaßen noch die toten Ferkel bemerkt.

Wie lange sie anschließend teilnahmslos in der Küche gesessen hatte, konnte sie später nicht mehr sagen. Den Hausarzt, der erst gegen Mittag Zeit hatte, auf dem Hof vorbeizuschauen, erwartete im Stall ein Gruselkabinett. Denn da lag nicht nur Heini, dessen Bein bis oberhalb des Knies fehlte, sondern auch ein Haufen mittelgroßer Schweine, die ebenso tot waren wie er, wenn sie auch noch leicht dampften.

Ein betagter Bauer, dessen Fuß beim Sterben zufällig durch das Gatter gerutscht war, wäre erklärbar gewesen, fand Doktor Teichforst, aber dass sein Vieh solidarisch mit ihm aus dem Leben geschieden war? … das definitiv nicht! Hier schien etwas faul zu sein. Das war ein Fall für die Kripo.

Hedwig ahnte von all dem nichts. Sie lag auf der Eckbank und döste vor sich hin, nachdem ihr der Arzt eine Beruhigungsspritze gegeben hatte. Ihre Kinder waren auch verständigt worden, aber da sie alle weit weg wohnten, würde es dauern, bis sie vor Ort sein konnten. Hedwigs Muckefuck, Heinis Kaffee waren im Ausguss gelandet. Das war das Einzige, wozu Hedwig noch fähig gewesen war, bevor ihre Beine versagt hatten.

Hauptkommissar Wolf Hetzer und sein Kollege Peter Kruse glaubten ihren Augen nicht zu trauen, als sie den Stall betraten.

„Äh, nun ja“, sagte Peter nach einer Weile des schweigenden Staunens, während sie sich ein Bild machten und den Fundort auf sich wirken ließen, „das Bein ist wohl in den Schweinen?“

„Anzunehmen“, erwiderte Wolf, „aber ich fürchte, es ist ihnen nicht bekommen. Fragt sich nur, warum?“

„An den Käsemauken wird es wohl nicht gelegen haben“, witzelte Peter, der gar nicht zum Spaßen aufgelegt war. Auch wenn die Sache hier weitgehend unblutig war, ließ sie den Betrachter dennoch nicht unberührt.

Selbst die Rechtsmedizinerin Doktor Nadja Serafin, die schon einiges gesehen hatte, schüttelte mit dem Kopf.

„Oha!“, war ihr erstes Wort. Dann fasste sie Heini an. Nicht, um ihm den Puls zu fühlen. Das war nicht mehr nötig. Jeder sah, dass er tot war. Seine Brauen und die Nasenspitze waren gefroren. Nein, sie wollte ihn untersuchen, ihn in eine andere Lage bringen, aber das war schlicht unmöglich.

„Ausgeprägte Totenstarre?“, erkundigte sich Peter.

„Auch“, antwortete Nadja knapp und stieg über das Gatter, in dem die Schweine lagen. Jedes fasste sie an. „Die sind noch warm, einige mehr als die anderen“, erklärte sie, nachdem sie alle fünf befühlt hatte. „Der Mann ist steif und starr vom Frost. Er muss schon einige Zeit so liegen. Ich kann ihn hier nicht untersuchen.“

„Kannst du uns denn irgendetwas sagen?“, erkundigte sich Wolf Hetzer.

„Ja, er ist viel länger tot als die Schweine“, informierte Nadja sie. „Keine äußeren Verletzungen, außer dass ihm das Bein fehlt natürlich. Es sieht so aus, als ob er gekrampft hätte, aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen.“

„Vielleicht ein Virus?“, überlegte Peter laut. „Schweinegrippe, Schweinepest oder so? Er könnte seine Viecher angesteckt haben.“

Nadja verkniff sich ein Grinsen. „Theoretisch hätte er, wenn er selbst krank gewesen wäre, seine Schweine mit H1N1, also der Schweinegrippe, infizieren können. Schmuste er denn sehr intensiv mit seinen Ferkeln? Ich meine so etwas wie Küsschen mit Zunge?“

„Woher sollen wir das wissen?“, fragte Peter knapp, der sich auf den Arm genommen fühlte.

„Eine Übertragung mit was auch immer ist also ausgeschlossen?“, wollte Wolf wissen.

„Ja. Bei der Schweinepest auf jeden Fall“, stellte Nadja fest, „und wie gesagt, die Schweinegrippe hätte er an die fünf Paarhufer weitergeben können, aber es ist so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl. Und wenn doch, wären sie eher harmlos erkrankt.“

„Hast du eine Vermutung?“, hakte Wolf nach.

„Schon“, gab Nadja zu, „aber bevor ich nicht mehr weiß, möchte ich sie für mich behalten.“

„Wahrscheinlich denkst du, sie sind alle erfroren“, warf Peter noch in den Raum. „Die Schweine hatten einfach mehr Fett und haben deswegen länger durchgehalten.“

Nadja sah schmunzelnd auf seinen Bauch. „Irgendeinen Vorteil muss es ja haben.“

Nun schmollte Peter. Auch wenn sie verheiratet waren, musste sie ihn nicht immer wegen seiner Vorliebe für Fastfood aufziehen.

„Er hätte doch einfach ins Haus gehen können, als ihm kalt wurde“, widersprach Wolf der Theorie nach kurzem Grübeln.

„Nicht, wenn er gestürzt war, sich sein Bein im Gatter verklemmt hatte und er womöglich bewusstlos geworden war“, gab Peter zu bedenken.

„Hat denn keiner von euch was gerochen?“, wollte Nadja wissen. „Außer dem Erbrochenen, meine ich.“

„Bittermandel?“, kam es spontan von Peter.

„Alkohol?“, fiel Wolf ein. „Wir waren noch nicht so dicht an ihm dran, weil wir die Szene erst einen Moment lang auf uns wirken lassen wollten, und dann warst du auch schon da.“

„Geht mal näher hin und nehmt ein Näschen“, schlug Nadja vor und sah in zwei zweifelnde Gesichter. „Ist nix Schlimmes.“

Keiner von beiden wollte sich lumpen lassen, also beugten sie sich über Heini und schnüffelten. Zuerst drang nur Schweinemist in ihre Nasen und säuerlich der halb verdaute Eintopf gestern, aber es war noch etwas anderes im Hintergrund.

„Der Gestank kommt mir bekannt vor“, grübelte Peter laut, „aber ich komme nicht drauf.“

„Rieche ich Pfefferminze?“, fragte Wolf.

„Richtig!“, sagte Nadja.

„Vielleicht von einem Bollchen“, warf Peter ein, „oder von einem Kaugummi.“

Wolf lachte. „Na, hochwertiges Schweinefutter mit gesunden Kräutern wird er wahrscheinlich nicht in die Tröge geschüttet haben.“

„Hallo? Wir haben Frost!“, erwiderte Peter und tippte sich an die Stirn. „Da wächst so ein gesundes Zeug nicht.“

„Nicht frisch, du Schlaumeier, getrocknet, meine ich.“ Wolf verdrehte die Augen.

Nadja sah sich um und ging zu einem Verschlag, in dem große Säcke gelagert waren. Einer stand offen. Daran schnupperte sie.

„Nee, riecht nicht nach Minze das Futter“, informierte sie die beiden, „und ob er was gelutscht oder gekaut hat, wird mir sein Mageninhalt verraten, hoffe ich.“

Zum Leidwesen von Wolf und Peter bückte sie sich und versuchte, einen Teil des alten Eintopfs in eine Plastiktüte zu löffeln, aber das war nicht so einfach. Auch er war durchgefroren, sodass sie sich Teile abstechen musste.

„Ist der Veterinär schon verständigt?“, erkundigte sich Nadja anschließend.

„Sicher“, antwortete Wolf, „schließlich ist es höchst merkwürdig, dass es zusätzlich zum Bauern fünf Schweine dahingerafft hat.“

„Vor allem, weil dessen Frau noch lebt“, wandte Peter mit ernster Miene ein. „Einen kollektiven Selbstmord können wir also ausschließen.“

„Du bist doch ein Dämlack“, schimpfte Wolf und knuffte seinen Kollegen in die Seite.

Nadja verdrehte nur die Augen. „Ich will auch eins von den Ferkeln auf dem Tisch haben“, bestimmte sie. „Es ist mir egal, ob ihr es in euerem Kombi vorbeibringt oder ob der Veterinär eins bei mir ablädt.“

Peter lachte. „Lieb, dass du an mich denkst, aber auf diese Schnitzel würde sogar ich verzichten.“

„Ich meine das ernst“, sagte Nadja mit grummelndem Unterton, „denn ich habe ganz andere Möglichkeiten, die Todesursache zu untersuchen. Außerdem ist es wohl bekannt, dass das Schwein dem Menschen sehr ähnlich ist.“

„Machen wir“, versprach Wolf. „Ich weiß auch nicht, warum Peter heute Morgen einen Clown gefrühstückt hat. Möglicherweise hat die Kälte sein Hirn geschädigt.“

„Spaßbremsen“, zischte Peter leise. Für ihn hatte es sich bewährt, die Atmosphäre im Angesicht des Todes etwas aufzulockern. Er war halt so und meinte es nicht böse oder pietätlos. Das wussten sie doch.

Nun hieß es warten. Die Proben von Mensch, Tier und Fundort mussten ausgewertet werden. Sicher war nur, dass bei Heinis Ableben irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Doch alles, was normalerweise im Umfeld eines Toten noch untersucht werden konnte, kam hier nicht zum Tragen. Weder der Bauer noch seine Frau besaßen ein Mobiltelefon. Der Hof lag so abgelegen, dass sich seit Tagen überhaupt kein einziges Handy in die entsprechende Funkzelle eingeloggt hatte. Es war auch laut Hedwigs Aussage niemand zu Besuch gekommen. Eine Überprüfung der Konten erbrachte ebenfalls nichts. Alles war wie immer. Nur Heini und seine vierbeinigen Zöglinge waren tot.

Das Weihnachtsfest im Hause Schmöe stand unter keinem guten Stern. Obwohl Nadja alles gegeben hatte, damit Heini noch vor den Feiertagen unter die Erde kam, war eine Beerdigung an Heiligabend nichts Wünschenswertes. Beinahe wie gewohnt waren die Familien eingetroffen, aber es lag keine Fröhlichkeit in der Luft. Die Atmosphäre hatte etwas Bedrückendes. Man hatte die Kinder bei der übrigen Verwandtschaft untergebracht, und so lagen Schnee und Frost bleiern auf Dach und Seele.

Der einzige Vorteil war, dass diesmal niemand bedient wurde. Kein endloses Plätzchenbacken und Kochen für Hedwig, denn sie tat es einfach nicht, und es ging auch. Sie hatte sich ganz in sich zurückgezogen. Notgedrungen waren die Jungen zum Einkaufen gefahren. Was nun an komischem Kram im Kühlschrank stand, interessierte sie nicht. Sie hatte sowieso keinen Hunger, denn sie musste nachdenken. Das Grübeln fand einfach kein Ende. Selbst an Heinis Grab fragte sie sich noch, was wohl geschehen sein musste. Alles war nun sinnlos und leer geworden. Kein Lebenszeichen auf dem Hof, außer ihrem eigenen und dem einiger Mäuse vielleicht. Die Zukunft war düster. Allein konnte sie den Betrieb nicht bewirtschaften, das wusste sie, doch dass ihr der älteste Sohn gleich in der stillen Nacht einige bunte Prospekte wie ein Geschenk überreichen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Seniorenresidenz … Das Wort saß wie ein Stachel in ihrem Fleisch.

Hier auf dem Hof war sie geboren worden und aufgewachsen, ebenso wie ihre Mutter und Großmutter zuvor. Freiheit und Zwang hatten sich die Hand gegeben. Das eine bedingte eben das andere. Natur, Frischluft, viel Platz, unterschiedlichste Tiere – all das hatte sie gehabt und damit auch einen Haufen Arbeit. Hätte einer der Söhne das Gut übernommen, wäre alles leicht gewesen. Ein sanfter Übergang und Fortbestand der Landwirtschaft. Doch so hatten Heini und Hedwig die letzten Jahrzehnte alles selbst bewältigen müssen – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, ohne Urlaub oder Ruhestand. Nichtsdestotrotz war es ein Leben, das sie nicht missen wollte, und nun sollte sie in ein einziges kleines Zimmer, in einem Heim, also quasi in die Box eines Stalls mit anderen Alten, gesperrt werden. Diese Vorstellung machte ihr Angst. Es nahm ihr die Luft zum Atmen. Sie dachte an ihre Oma und an das verbotene Glas mit den Wurzeln. Aber was sollte aus dem Gehöft werden? Für Hedwig war es weit mehr als ein Familienerbe.

Der Heilige Abend ging vorbei. Schon am nächsten Morgen verabschiedeten sich die Söhne und Schwiegertöchter. Man müsse zurück zu den Kindern, hieß es, und sie solle sich die Sache mit der Residenz ruhig mal durch den Kopf gehen lassen. Doch das war das Letzte, was Hedwig tun würde.

In der Nacht zum zweiten Weihnachtsfeiertag klarte es auf. Die Temperaturen rutschten in den zweistelligen Minusbereich. Hedwig konnte nicht schlafen, obwohl sie sich vor Stunden auch noch Heinis Decke geholt hatte. Gegen vier Uhr entschloss sie sich, in die Küche zu gehen und den alten Herd zu entfachen.

Auch die Kommissare Hetzer und Kruse schliefen schlecht. Jemandem an Weihnachten mitteilen zu müssen, dass der Ehemann wahrscheinlich ermordet worden war, brachte keine Nachtruhe, aber es ließ sich nicht länger aufschieben. Der gesamte Hof musste endlich untersucht werden.

Hedwig, die nun erst am frühen Morgen auf der Küchenbank in einen tiefen Schlaf gefallen war, schreckte hoch, als es an der Tür klingelte. Noch leicht benommen erkannte sie die beiden Kommissare durch das Glas und öffnete.

„Guten Morgen und frohe Weihnachten“, begann Hauptkommissar Wolf Hetzer behutsam, „dürfen wir reinkommen?“

„Selbstverständlich“, erwiderte Hedwig und ging voran in die Küche. „Möchten Sie einen Kaffee?“