Weihnachtsliebe in den schottischen Highlands - Sandra Pulletz - E-Book
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Weihnachtsliebe in den schottischen Highlands E-Book

Sandra Pulletz

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Beschreibung

Laurella hat ein Jahr lang sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Freundes Erik gewartet. Doch nun muss sie feststellen, dass sie sich im Laufe der Fernbeziehung entfremdet haben. Erik ist äußerlich kaum wiederzuerkennen, noch dazu hat sich sein Verhalten drastisch verändert. Aber das ist noch nicht das Schlimmste: Mitgebracht hat er eine lebensgroße Puppe, der er einen Namen gegeben hat und die fortan gemeinsam mit ihnen leben soll.

Gedemütigt und enttäuscht begibt sich Laurella mit ihrer Mutter auf eine Weihnachtsrundreise durch Schottland. Dabei wäre sie lieber in die Berge gefahren. Nach den ersten Tagen beginnt Laurella sich bereits zu langweilen, doch dann begegnet sie Callan, dem ruhigen Whiskeyladenbesitzer von nebenan, der seit dem Tod seiner Eltern zurückgezogen lebt. Mit seiner unerschütterlichen Art und dem einen oder anderen Whiskey schleicht er sich ganz heimlich in Laurellas Herz.

Ihre Beziehung scheint nicht allen Dorfbewohnern zu gefallen, zudem benimmt sich Laurellas Mutter plötzlich sonderbar und scheint ein Geheimnis zu hüten. Was verbirgt sie? Und werden Laurella und Callan alle Hindernisse überwinden können?

Eine weihnachtliche Liebesgeschichte über Hoffnung, verloren geglaubte Liebe und Neuanfänge.

Jeder Teil der Magic-Christmas-Reihe kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sandra Pulletz

 

Weihnachtsliebe in den schottischen Highlands

 

Über das Buch:

 

Laurella hat ein Jahr lang sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Freundes Erik gewartet. Doch nun muss sie feststellen, dass sie sich im Laufe der Fernbeziehung entfremdet haben. Erik ist äußerlich kaum wiederzuerkennen, noch dazu hat sich sein Verhalten drastisch geändert. Aber das ist noch nicht das Schlimmste: Mitgebracht hat er eine lebensgroße Puppe, der er einen Namen gegeben hat und die fortan gemeinsam mit ihnen leben soll.

 

Gedemütigt und enttäuscht begibt sich Laurella mit ihrer Mutter auf eine Weihnachtsrundreise durch Schottland. Dabei wäre sie lieber in die Berge gefahren. Nach den ersten Tagen beginnt Laurella sich bereits zu langweilen, doch dann begegnet sie Callan, dem ruhigen Whiskeyladenbesitzer von nebenan, der seit dem Tod seiner Eltern zurückgezogen lebt. Mit seiner unerschütterlichen Art und dem einen oder anderen Whiskey schleicht er sich ganz heimlich in Laurellas Herz.

 

Ihre Beziehung scheint nicht allen Dorfbewohnern zu gefallen, zudem benimmt sich Laurellas Mutter plötzlich sonderbar und scheint ein Geheimnis zu hüten. Was verbirgt sie? Und werden Laurella und Callan alle Hindernisse überwinden können?

 

Eine weihnachtliche Liebesgeschichte über Hoffnung, verloren geglaubte Liebe und Neuanfänge.

 

Jeder Teil der Magic-Christmas-Reihe kann unabhängig von den anderen Teilen gelesen werden.

 

 

 

Die Autorin:

 

 

 

 

Sandra Pulletz lebt und schreibt in der Steiermark (Österreich). Die Autorin liebt romantische Settings und schreibt hauptsächlich humorvolle Liebesromane. Ein Happy-End ist in jeder Geschichte garantiert!

Wenn Sandra nicht gerade am Schreiben ist, experimentiert sie mit Gewürzen und Kräutern in der Küche, malt oder zeichnet gerne.

Sandra Pulletz

 

Weihnachtsliebe in den schottischen Highlands

Magic Christmas 5

 

Liebesroman

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Oktober © 2023 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Carolin Wenner

https://www.die-zeilenschleiferei.de/

 

Korrektorat: Heidemarie Rabe

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 438771716, Adobe Stock ID 281923508, Adobe Stock ID 316881867

 

 

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1

Laurella

 

Voller Vorfreude stand Laurella in der Empfangshalle am Flughafen und summte zu »Wonderful Christmastime« mit, das aus den Lautsprechern ertönte. Sie war glücklich, denn einerseits nahte die schönste Zeit des Jahres und andererseits würde sie in wenigen Minuten ihren geliebten Schatz Erik wiedersehen. Jetzt konnte sie es kaum mehr abwarten, ihn endlich in ihre Arme zu schließen, seine Wärme zu spüren und seinen markanten Aftershave-Duft wahrzunehmen. Ein Hauch Kardamom, scharfer Pfeffer und Zeder als Basisnote. Diese Zusammenstellung in Kombination mit seinem Eigenduft würde sie unter Tausenden erkennen.

Erik war fast ein Jahr in Japan gewesen, um dort eine einzigartige Technik-Fortbildung zu besuchen, die ihm seine Firma hier in Graz bezahlte. Ziel der Firma war es jedoch, überhaupt ganz mit dieser japanischen Firma zu fusionieren. Laut Erik hatte er nicht nur seine Fortbildung erfolgreich abgeschlossen, sondern es war ihm auch gelungen, die Fusionierung voranzutreiben. Ein Grund, heute Abend gleich doppelt zu feiern, seine Rückkehr und seinen Erfolg. Insgeheim hoffte Laurella, dass ihr Schatz vielleicht sogar noch einen Schritt weiterging und ihr einen Antrag machte. Immerhin waren Erik und sie nun seit zweieinhalb Jahren ein Paar. Mit fast sechsundzwanzig fand Laurella, sei die Zeit reif für den nächsten Schritt in ihrer Beziehung. Sie selbst stand mitten im Leben, hatte einen fabelhaften Partner und einen tollen Beruf als virtuelle Assistentin in Teilzeit. Fehlte also nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

Beiläufig warf sie einen Blick aufs Handy. In etwa fünf Minuten sollte Erik durch den Ausgang spazieren. Er hatte bereits eine Nachricht geschickt, dass er gut gelandet war. Es blieb also noch genügend Zeit, um rasch einen Post für ihren Arbeitgeber zu verfassen. Sie seufzte. Manchmal wünschte sie sich auch so ein aufregendes Leben, wie ihr junger Boss es hatte. Nils Bückling war ein berühmter Nachwuchsschauspieler, der in Deutschland Karriere machte. Die Daily-Soap, in der er aktuell mitspielte, hatte vor allem Teenager und junge Erwachsene als Zielgruppe. Nils liebte das Rampenlicht und seine Fans. Was er nicht leiden konnte, war sämtliche Organisationsarbeit auf seinen Social-Media-Kanälen. Diese Aufgabe sowie überhaupt sein ganzes Marketing hatte Laurella übernommen.

Laurella mochte ihren Job. Aktuell ließ er ihr noch genügend Zeit, um sich selbst zu entfalten und ihre Fühler auszustrecken. Denn so ganz im Klaren, wie ihre Zukunft aussehen würde, war sie sich nicht, das musste sie sich eingestehen. Es gab einfach zu viele Möglichkeiten. Ob Erik bald Nachwuchs wollte? Sie wäre jedenfalls bereit dazu. Aber wenn sie sich entschließen sollten, dass sie den Kinderwunsch noch einige Jahre hinausschieben wollten, würde sie noch eine zusätzliche Arbeit annehmen oder gar eine weitere Ausbildung machen. Im letzten Jahr hatte sie zumindest einige Onlinekurse absolviert, für die sie sich schon länger interessiert hatte. Unter anderem einen Fotografiekurs und einen Fotoshopkurs. Beides kam ihr in ihrem jetzigen Beruf ohnehin zugute.

Laurella hoffte jedenfalls auf baldige Klarheit, was ihre Zukunft betraf. Doch die lag nicht allein in ihrer Entscheidungsmacht, auch Erik musste das mitentscheiden. Ehe sie ihn gleich damit konfrontieren würde, kümmerte sie sich jedoch um ihre aktuelle Arbeit als VA und postete ein Bild mit dazu passendem Text. Ein Selfie von Nils Bückling mitsamt Weihnachtsmütze erschien auf der neuen Social-Media-Plattform »Faceup«. Dazu vorweihnachtliche Grüße. Für heute hatte Laurella ihre Arbeitsaufträge erfüllt und steckte das Handy ein. Den restlichen Nachmittag und Abend wollte sie Erik widmen.

In diesem Augenblick öffnete sich die weiße Schiebetür und ein Schwung Menschen strömte in die Empfangshalle des Flughafens. Sofort erspähte Laurella ihren Liebling. Ihr Herz pochte wie verrückt. Wie würde es sein, nach so vielen Monaten endlich wieder Seite an Seite zu leben? Immerhin mussten sie sich erst wieder in ihrer täglichen Routine zusammenfinden. Es konnte nur großartig werden, antwortete Laurella sich selbst und schob die aufkeimenden Bedenken beiseite.

»Erik!« Sie drängte sich zwischen den anderen Wartenden durch und fiel ihm um den Hals.

Ein freudiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Hey! Ich habe dich vermisst!« Er drückte sie an sich und küsste sie sanft.

Sie legte ihren Kopf an seinen Hals und sog einmal tief seinen Duft ein. Seltsam, von seinem Aftershave konnte sie gar nichts riechen. Aber wahrscheinlich lag es daran, dass er so lange unterwegs gewesen war.

Zwar hätte sich Laurella eine leidenschaftlichere Begrüßung gewünscht, seufzte aber trotzdem selig auf. »Es ist wundervoll, dass du wieder bei mir bist.« Sie musterte ihn und stellte erstaunt fest, dass er sich in Japan etwas gehen lassen hatte. Oder wirkte das nur im ersten Moment so? Nein! Eindeutig hatte er seine schwarzen Augenbrauen zu einem Wildwuchs verkommen lassen. Früher hatte er die immer beim Friseur stutzen lassen. Und der Vollbart war auch neu. Die Haare am Kopf lagen aber gut, sogar sein Nacken war ausrasiert. Vielleicht beschäftigten sich japanische Friseure einfach nicht mit Augenbrauen und Bärten. Die Japaner waren ohnehin ein seltsames Völkchen, so hatte das Laurella jedenfalls in den Telefonaten, die sie mit Erik geführt hatte, mitbekommen. Was sollten diese Überlegungen? Ihr Traummann war zurück an ihrer Seite und ihr gemeinsames Leben würde noch besser werden als die Zeit vor seiner Abwesenheit.

Gemeinsam schlenderten sie zum Auto, das am Parkplatz vor der Flughalle stand. Laurella bezahlte das Ticket und sah dabei zu, wie ihr Schatz seinen Koffer und ein längliches Gepäckstück im Kofferraum verstaute.

»Was ist da drin?« Neugierig deutete sie auf die Tasche. »Doch nicht etwa eine Leiche?« Sie gluckste, denn der Umriss erinnerte sie an diverse Filme, in denen Tote unauffällig verschwinden sollten.

Erik lachte auf. »Nicht doch! Das Gegenteil ist der Fall.« Schmunzelnd schaute er sie an, doch sie verstand nicht, was er damit meinte. Ein drängelnder und hupender Autofahrer lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie beeilten sich, vom Parkplatz wegzukommen.

Im Stadtverkehr war einiges los. Kein Wunder, immerhin war es spät am Nachmittag. Da fuhren viele in den Feierabend.

»Wahnsinn, wie anders es hier aussieht. Als wären wir in der tiefsten Provinz.«

»Ja?« Laurella schielte zu Erik, der ungläubig aus dem Fenster blickte. »Mir kommt es eher so vor, als wäre ganz Graz unterwegs.«

»Das kannst du eben mit Japan nicht vergleichen. Dort wuselt es so richtig, egal ob auf den Straßen oder in den Zügen. Alles voll!«, schwärmte er. Er klang überaus begeistert.

»Ich hoffe, du bist trotzdem froh, wieder zurück zu sein?« Zweifel schlichen sich in ihre Wiedersehensfreude.

»Natürlich.« Er legte seine Hand auf ihre, die sich auf dem Schalthebel befand. »So was, da ist ja schon die Weihnachtsbeleuchtung an!«

Sie nickte. »Das erste Adventswochenende steht vor der Tür. Ich kann es kaum abwarten, dieses Jahr Weihnachten mit dir gemeinsam zu feiern.«

Der restliche Heimweg erforderte volle Konzentration. In der Innenstadt zu fahren, bedeutete für Laurella die Hölle. Einmal falsch reagiert, schon konnte ein Unfall passieren. Die anderen Autofahrer brausten wie der Teufel durch die Straßen, ohne Rücksicht auf die übrigen Verkehrsteilnehmer. So musste Laurella immer wieder ausweichen, bremsen und vor allem vorausschauend fahren. Aber sie besaß eine gute Intuition. Genau die sagte ihr seit dem Wiedersehen mit Erik, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte. Sie hatte sich ein innigeres Gefühl der Wiedersehensfreude vorgestellt, fühlte sich ihm aber ein Stück entfremdet. Oder lag das bloß an der langen räumlichen Trennung?

Galant parkte sie den C1 in einer Lücke am Straßenrand und war wieder einmal froh, dass der Wagen so winzig war. »Perfekt!« Sie klatschte in die Hände und blickte zufrieden zu Erik, der am Gurt nestelte und sich abschnallte.

»Na endlich!« Mit einem Stöhnen öffnete er die Tür und stieg aus.

Laurella tat es ihm nach und holte sogar sein Gepäck aus dem Kofferraum.

»Vorsicht mit der Tasche!« Beinahe riss Erik ihr diese aus den Händen.

»Ist ja gut! Ich passe doch auf. Befindet sich etwa ein Schatz darin?« Sie kicherte.

»Ja«, antwortete Erik prompt.

Sie hob eine Augenbraue. »Du machst mich echt neugierig.« Zugleich hob sich ihre Laune ein Stückchen. Vielleicht hatte er längst seinen Hochzeitsanzug ausgesucht und transportierte ihn in dieser Tasche. Hatte sie doch recht und er würde ihr einen Antrag machen? Sofort kribbelte es in ihrem Magen.

Als die beiden in das winzige Apartment kamen, das Laurella seit Eriks Auslandsjahr allein bewohnte, ließ ihr Freund alles liegen und stehen und setzte sich auf das Sofa. »Endlich ist ausruhen angesagt!«

Laurella ging zu ihm hinüber. »Deine Heimreise war wohl anstrengend?« Zwar hatten sie während der Fahrt über den Flug und die Umsteigestationen gesprochen, aber Laurella war leicht verstört. Sie hoffte auf einen gemütlichen Abend zu zweit, aber wollte mehr erleben, als die Beine hochzulegen und womöglich dabei noch in die Glotze zu gucken. Hastig beugte sie sich zum Couchtisch und schob die Fernbedienung weit beiseite, sodass Erik überhaupt nicht auf die Idee kommen konnte, den Fernseher einzuschalten.

»Ich habe Hunger.« Auffordernd sah er sie an. Seine wilden Augenbrauen passten irgendwie zu seiner Dauernörgelei.

»Im Kühlschrank habe ich leckeres Fingerfood. Sandwiches, Chicken Wings und Würstchen im Schlafrock.« In ihrer Vorstellung feierten sie längst mit Sekt und Häppchen ihre Verlobung. Laurella hatte nicht daran gedacht, dass Erik nach so langer Heimreise bestimmt ein Loch im Magen haben würde. Wie dumm sie doch war. »Hat es unterwegs nichts gegeben?« Sie erinnerte sich, dass sie auf längeren Strecken immer ein warmes Menü im Flieger bekommen hatte. Allerdings lagen diese Reisen bereits einige Jahre zurück. Früher als Kind und Jugendliche war sie jeden Sommer mit ihren Eltern in den Urlaub geflogen.

»Nichts Gutes.« Angewidert verzog er den Mund.

»Okay. S-soll ich etwas kochen?« Fieberhaft überlegte sie, was sie aus den Zutaten, die sie zu Hause hatte, zubereiten konnte.

»Lass mal. Bestellen wir etwas.« Er zog sein Handy hervor. »Beim Japaner.«

Amüsiert lachte sie auf. »Hast du noch nicht genug von Sushi und Tofu?«

»Nein.« Mit ernstem Blick schaute er sie an. »Japanisches Essen ist in den meisten Fällen überaus gesund. Dein fettiges Fingerfood hingegen nicht. Das macht krank und dick.«

Laurella zog ihren Bauch ein, obwohl es da nicht viel gab, was sie verbergen konnte. Dennoch fühlte sie sich angegriffen. »Du schaust blass aus«, stellte Erik fest. »Am besten wir bestellen Algen und Sushi, beides besitzt viele Omega-3-Säuren. Gut für die Haut und das Wohlbefinden.« Schon tippte er auf seinem Handydisplay herum.

Nun war Laurella baff. »O-okay. K-können wir machen.« Was waren das für neue Töne von ihrem Freund? Seit wann war er so gesundheitsbewusst? So schmal, wie er aussah, musste er im vergangenen Jahr einige Kilos abgenommen haben. Vor seinem Auslandsjahr hatten sie viel Fast Food konsumiert. Erik war immer ganz verrückt darauf gewesen. Laurella hingegen hätte gern öfter frisch gekocht.

»Ich bestelle und gehe dann duschen. Der ganze Dreck klebt noch an mir. Schließlich bin ich seit einem Tag unterwegs.« Er stand auf und warf ihr ein Luftküsschen zu.

Laurella versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Bis jetzt lief das Wiedersehen anders als erwartet und das, obwohl sie alles so schön geplant hatte. Sie atmete tief durch. Gut, dann würde sie sich eben nach ihm richten. Fisch statt dem vorbereiteten Fingerfood, auf das sie sich schon gefreut hatte. Den romantischen Abend würde sie sich deshalb nicht verderben lassen.

Erik brauchte extrem lange im Bad. Führte er etwa eine Ganzkörper-Rasur durch? Oder zupfte er sich nur seine buschigen Augenbrauen? Letzteres wäre vielleicht gar keine so üble Idee. Mit in Form gebrachten Härchen würde Erik gleich viel freundlicher aussehen und sich hoffentlich auch so benehmen.

Eben deckte sie den Tisch, als es klingelte. Der Lieferbote brachte das Essen. »Das ging ja schnell!« Laurella bedankte sich, nahm die Tüten entgegen und steckte dem jungen Burschen ein kleines Trinkgeld zu.

Dann bewegte sie sich in die Küche und inspizierte die gelieferten Gerichte. Jede Menge Sushi war dabei. Gurke und Avocado stachen ihr ins Auge. Das würde sie essen, auf rohen Fisch stand sie nicht sonderlich. Erik hatte das wohl einfach inzwischen vergessen. Halb so schlimm, solange er zufrieden war, konnte sie sich arrangieren.

»Habe ich es läuten hören?« Gut gelaunt steuerte Erik auf sie zu und warf einen Blick auf das Essen, das sie soeben auf Tellern anrichtete. »Das schaut super aus!«

Laurella nickte, denn der Geruch des Algensalats bahnte sich seinen Weg in ihre Nase. Wie konnte das nur so stinken?

Schwungvoll drehte sie sich zu ihrem Schatz um und nahm ihn in die Arme. Sie brauchte dringend Ablenkung von dem Sushi-Kram und konnte es kaum abwarten, sich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen. Auffällig schnupperte sie an Eriks Hals, doch er trug ein anderes Aftershave als sonst.

»Was ist das?« Verblüfft drückte sie sich von ihm weg und rümpfte die Nase.

»Gefällt es dir? Habe ich in Japan entdeckt.«

Laurella nickte nur. Schon beim Abholen hatte sie den typischen Duft vermisst, sich aber gedacht, dass er aufgrund der langen Anreise verflogen wäre. Doch das neue Aftershave war gewöhnungsbedürftig. War das Moschus? Den Geruch mochte sie eigentlich nicht. Er erinnerte sie an alte Lederpantoffeln. Überhaupt war die ganze Situation nicht so wie gewünscht. Gerade fühlte sie sich von Erik ziemlich entfremdet. Ob sich das bald legte? War das Jahr getrennt zu lange für sie beide als Paar? Nicht doch! Sie brauchten nur eine kleine Eingewöhnungszeit.

Die beiden setzten sich an den Esstisch und aßen, wobei Laurella die labbrigen Teile hinunterwürgte. »Ich habe einige Wohnungen für uns herausgesucht und die ersten Besichtigungstermine ausgemacht.« Schon bevor Erik nach Japan gegangen war, hatten sie besprochen, sich nach seiner Rückkehr für eine größere Wohnung zu entscheiden. Das kleine Apartment war damals nur eine Notlösung gewesen, als sie zusammengezogen waren.

Schnell holte sie einen Ordner, in dem sie all ihre Rechercheaufgaben abgeheftet hatte. »Wir können die Objekte gemeinsam durchgehen und die jeweiligen Vor- und Nachteile besprechen.« Sie wollte in Sachen Zukunftsplanung schnell eine Lösung finden. Vielleicht verstand Erik den Wink mit dem Zaunpfahl und machte endlich Nägel mit Köpfen.

»Das ist gut!« Er nickte. »Zeig mal. Die Wohnung ist auf Dauer wirklich viel zu klein.«

Seine Worte freuten sie. Sie atmete tief durch und holte die Daten der ersten Immobilie heraus. »Direkt in der Innenstadt von Graz, hell, freundlich und mit einem Balkon«, schwärmte sie. Diese Wohnung hatte es ihr angetan.

»Klingt toll. Sie ist gar nicht weit von hier entfernt. Und wie viele Zimmer gibt es?«

»Vier.« Für einen Moment zitterte sie leicht. Sie musterte Erik genau. Wie würde er reagieren? »Einen Küchen-Wohnbereich, ein Schlafzimmer, ein Büro und … noch ein freies Zimmer, das wir nach unseren Bedürfnissen einrichten können.« Laurella blieb vage. Sie wollte Erik nicht mit ihren Planungen vor den Kopf stoßen, das mochte er nicht.

»Perfekt!« Er klatschte sogar leicht Beifall. »Du hast an alles gedacht. Der zusätzliche Raum kommt wie gerufen.«

Ein Kribbeln machte sich in Laurellas Bauch breit. Er dachte also gleich wie sie. Auf jeden Fall wollte sie auf Kinder vorbereitet sein, wenn es in der Zukunft dazu käme. »Wir sind das perfekte Traumpaar!«

»Finde ich auch. Ich glaube, es ist der ideale Zeitpunkt, um dir etwas zu zeigen.« Erik stand auf und holte die längliche Tasche, um die er schon die ganze Zeit besorgt war.

Laurella wurde warm. Gleich würde etwas Lebensveränderndes passieren. Nicht umsonst hütete Erik das Ding wie einen Augapfel. Ihr wurde ganz hibbelig zumute.

Erik kam mit der Tasche zurück zum Tisch und hielt ihren Blick fest.

»Du bist so eine offenherzige und sanfte Frau.«

Sie schmolz dahin.

»Ich danke dir für deine Güte, für deine Treue und für deine Ehrlichkeit mir gegenüber.« Mit einem verliebten Gesichtsausdruck schaute er sie weiterhin an.

Laurella war sprachlos. So viel Schmeichelei auf einmal. Damit hatte sie nicht gerechnet. Na gut, sie hatte es sich erhofft.

Doch Erik hörte nicht auf, sondern redete weiter. »Deshalb bin ich mir ganz sicher, nun das Richtige zu tun.«

Laurella konnte es nicht fassen. Ihr Schatz ging soeben vor ihr auf die Knie. Ein Traum wurde wahr! Der heiß ersehnte Antrag!

Doch was tat Erik jetzt? Statt ihre Hand zu nehmen, öffnete er den Zippverschluss der Tasche. Hatte er etwas Besonderes darin, das er für den Antrag benötigte? Den Ring! Laurella bekam eine Gänsehaut. Im vergangenen Jahr hatte sie oft genug die verrücktesten Heiratsanträge im Internet recherchiert. Von Flashmobs in der Öffentlichkeit bis hin zu einer Zeitungsanzeige war alles dabei gewesen.

Was in der Tasche zum Vorschein kam, ließ sie kurz schwindelig werden. Eine lebensgroße Puppe aus Silikon mit realistischem Gesicht, grellblonden Haaren und stechend blauen Augen. »Was i-ist das?«

Erik lächelte breit. »Das ist Mai.«

»Mai?« Laurella konnte sich keinen Reim darauf machen, was dieses Ding in ihrer Wohnung sollte. »Ein Geschenk deiner Firma in Japan?« Sie konnte nur raten.

Erik schüttelte den Kopf. »Wir haben uns in einer Mall kennengelernt. In Tokio.«

»Ihr beide?« Sie deutete verwirrt auf die Puppe und danach auf Erik.

»Es war Liebe auf den ersten Blick.«, säuselte er, fügte aber sofort hinzu. »Dich liebe ich natürlich auch. Also, was sagst du dazu?«

In Laurellas Kopf rotierten die Gedanken. Was um Himmels willen wollte er? »Zu ihr?«

»Zu Mai, ja. Findest du sie nicht auch bezaubernd?« Nun hatte er sie vollkommen ausgepackt und stand mit ihr Arm in Arm da.

Laurella wusste immer noch nicht, was diese Situation bedeuten sollte. »Sie … sieht nett aus.«

Das Strahlen in Eriks Gesicht nahm zu. »Ich wusste, du magst sie. Mai hat dich auch gern. Wir haben sehr oft über dich gesprochen. Die Tage in Tokio waren einsam … Wie gut, dass mir Mai über den Weg gelaufen ist. Und wie froh ich bin, dass du nichts dagegen hast, wenn wir ab sofort zu dritt leben werden.«

Laurella starrte ihn an. Hatte sie eben richtig gehört?

 

 

2

Callan

 

»Hey, Callan! Wie geht’s?«

»Hi Steve! Lang nicht mehr gesehen. Mir geht es recht gut.« Callan stoppte das Wischen über die Theke und musterte seinen Kumpel, der soeben in den Whisky-Verkaufsraum eingetreten war. Er war rundlicher geworden. »Siehst prima aus. Deine Frau bekocht dich wohl gut, was?« Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Oh ja! Heute gibt es Lasagne.« Steve strahlte und rieb sich über den Bauch. »Ich soll dich von meiner lieben Maisie übrigens schön grüßen.«

»Schick ihr meinen besten Dank. Und …« Er legte den Putzlappen beiseite, drehte sich um und schnappte sich gezielt eine Flasche seines besten Whiskys. »Ein echter MacLeod. Der ist für euch. Nachträglich als Hochzeitsgeschenk.« Er zwinkerte seinem Kumpel zu.

»Wow, ich danke dir. Das ist aber ein kostbarer Tropfen – aus eurer ehemaligen Destillerie.« Anerkennend nickte Steve. »Wir werden gleich heute Abend auf dich anstoßen! Oder noch besser, wieso kommst du nicht auf ein, zwei Gläschen vorbei?«

Callan winkte ab. »Bin schwer beschäftigt.« Er deutete mit der Hand um sich. »Der Laden, das Grundstück und das riesige Haus sind wirklich viel Arbeit.«

»Versteh ich! Lass dich bloß nicht unterkriegen!« Steve nickte zu ihm rüber. »Aber überarbeite dich nicht. Du schaust müde aus.«

»Ach was«, wiegelte Callan ab. »Gerade das Arbeiten tut gut. Da komme ich auf andere Gedanken.« Wobei das nicht so ganz stimmte. Eigentlich kreisten diese nämlich stets um sein doch mittlerweile recht trübes Leben. Der lockere, gut gelaunte Mensch von früher war er einfach nicht mehr. Nicht mehr seit …

»Du könntest es hier übrigens ruhig etwas stimmungsvoller gestalten«, meinte Steve. »Vielleicht würde dich das ablenken.«

»W-was?« Er schüttelte leicht den Kopf und konzentrierte sich wieder.

»Dein Laden ist der einzige in ganz Kiltemath, der noch nicht weihnachtlich dekoriert ist. Und das, obwohl wir Schotten doch schon Mitte November mit dem Weihnachtskram starten. Das weißt du doch!« Steve lachte laut. »Maisie hat schon vor Wochen die ersten Lichterketten aufgehängt. Bisschen früh, aber uns gefällt es. Spätestens jetzt vor dem ersten Advent solltest du auch in die Gänge kommen.«

»Du kennst mich doch. Mit Weihnachten habe ich es nicht so«, verteidigte er sich.

»Du sollst ja nicht für dich schmücken, sondern für deine Kunden. Vor den Festtagen haben viele ihre Spendierhosen an und wenn alles liebevoll gestaltet ist, dann kaufen sie viel eher etwas ein.« Er räusperte sich. »Aber was rede ich da. Dir fehlt einfach eine weibliche Hand, die sich um all das kümmert. Die Frauen verstehen meist etwas von dem Dekokram.«

»Nun, wie du weißt, habe ich aber keine Lady an meiner Seite.« Mittlerweile wünschte Callan, dass sich sein Kumpel verzog. Es kamen immer mehr unangenehme Themen zutage.

»Du musst ja nicht gleich heiraten, aber vielleicht kannst du jemanden zum Schmücken anstellen. Das wäre doch ein prima Studentenjob. Noch ist es dafür nicht zu spät. Im Dezember haben so einige bereits vorlesungsfrei. Soll ich mich im Ort umhören?«

Abwehrend hob Callan die Hände in die Luft. »Lass mal. Ich muss erst gründlich darüber nachdenken.«

Steve grunzte. »Bis du damit fertig bist, ist Weihnachten vorüber. Ich kenne dich doch. Grübelst dich zu Tode. Das tut dir nicht gut, mein Freund.«

Callan war baff über Steves Worte, auch wenn sie stimmten.

»Sei mir nicht böse, Callan. Aber ich will nur, dass es dir gut geht. Du bist noch jung und verdienst ein glückliches Leben.«

»Ist ja gut«, beschwichtigte Callan seinen Kumpel, der sich in Rage redete. »Ich denke die Tage über deine Vorschläge nach.«

»So gefällst du mir besser.« Steve lächelte. »Was die Deko angeht, hast du Glück, dass wir im Nachbarort diesen neuen Weihnachtsladen haben. Santas Art & Craft. Dort hilft man dir bestimmt weiter, wenn du schon keine weibliche Angestellte haben willst.«

»Ich kann mich ja mal umsehen.« Sein Magen drückte unangenehm. Er wollte dieses Gespräch nun wirklich beenden.

»Dann wünsche ich dir, dass du im Advent richtig viel Umsatz machst.« Steve winkte. »Ich muss los. Man sieht sich!«

»Und ob! Mach’s gut.« Callan setzte seine Arbeit fort und wischte den Verkaufstresen ab. Missmutig sah er sich dabei im Laden um. Zwar waren die Regale top, das Whisky-Sammelsurium auch nicht von schlechten Eltern, aber Steve hatte recht. Von Weihnachtsstimmung war keine Spur zu erkennen. Er musste dringend mehr verkaufen, der November war bisher ein schlechter Monat gewesen und der Schuldenberg wurde immer größer statt kleiner. Laut seufzte er auf. Manchmal würde er dem Leben hier im winzigen Kiltemath gern den Rücken kehren. Dabei war das nicht immer so gewesen. Seit seiner Geburt lebte er in dem Küstenort auf der schottischen Insel Skye. Seine Eltern hatten eine Whisky-Destillerie besessen und auf ihrem Hof hatte es reichlich zu tun gegeben. Mit Anfang zwanzig fand Callan sogar sein Liebesglück. Zumindest hatte er es so gedacht. Sanne stammte aus Holland und war als Au-pair zu einer Familie im Nachbardorf gekommen. Ihr Jahr in Schottland verging viel zu schnell und danach führten sie eine Fernbeziehung. Die Monate verflogen und als Callan seiner Freundin am Valentinstag einen Überraschungsantrag machen wollte, nahm das Schicksal seinen Lauf … Sanne hatte gebeichtet, sich in einen anderen verliebt zu haben.

Callan schüttelte sich. Die alten Erinnerungen wollte er gar nicht weiter aufflammen lassen. Sie schmerzten ihn zu sehr. Seither war er eingefleischter Single, wobei er sich eingestehen musste, dass er mittlerweile richtig einsam war. Doch weit und breit fand sich keine Frau fürs Leben.

Sein Blick fiel auf die Wanduhr, die neben dem Fenster angebracht war. Viertel vor sechs am Abend. Er könnte Feierabend machen und zusperren. Heute war wieder mal ein Tag gewesen, an dem nur wenig Kunden bei ihm eingekauft hatten. Ob sich das in den nächsten Wochen vor Weihnachten bessern würde? Wenn nicht …

Sein Handy klingelte. Er brauchte gar nicht erst auf das Display zu schauen, denn er erkannte bereits an der Melodie, wer ihn zu erreichen versuchte. Auf seine Schwester hatte er aber gerade keine Lust. Bestimmt rief sie wegen Weihnachten an. Dabei hatte er überhaupt noch keine Pläne geschmiedet, wann er denn zu Fia und ihrer Familie nach Muir of Od fahren würde. Seit er allein war, bestand sie darauf, dass er an den Feiertagen zu ihr kam.

Sie klingelte erneut durch und sendete wenige Sekunden danach eine Nachricht. »Ich weiß, dass du meinen Anruf ignorierst. Melde dich!«

Callan rollte mit den Augen, steckte das Handy in seine Hosentasche und nahm seine Jacke vom Haken an der Garderobe hinten im Büro. Er sperrte den Whisky-Laden zu und spazierte schnurstracks ins Pub.

 

 

3

Laurella

 

»Mai, du und ich – wir werden ein schönes Trio abgeben.« Zufrieden seufzte Erik auf.

Langsam sickerten die neuen Informationen in Laurellas Gehirn. »Das ist echt dein verdammter Ernst?« Sie starrte ihn an.

»Natürlich!« Er nickte. »Wann habe ich je Scherze gemacht?«

Da musste Laurella nicht lange überlegen. »Nie!« Erik war wirklich der unlustigste Mensch, den sie kannte.

»Eben.« Liebevoll küsste er die Wange der Puppe und strich ihr über das strohblonde Haar.

Bei dem Anblick überkam Laurella ein fürchterliches Gefühl und gleichzeitig bekam sie auf dem Kopf eine Gänsehaut. »Sag mal, haben die Japaner etwas in deinen grünen Tee gespritzt? Wieso bist du so seltsam geworden?«

»Ich bin seltsam?« Erik hob eine Augenbraue. »Du bist doch immer diejenige gewesen, die sich nicht anpassen wollte. Nie wolltest du sexy sein! Keine feminine Kleidung tragen, keine Stilettos, keine heißen Dessous. Stattdessen bist du ganz vernarrt in diese albernen Socken.« Angewidert zog er einen Mundwinkel nach unten.

Laurella konnte nicht anders, als auf ihre Socken zu schielen. Heute trug sie welche mit Micky-Maus-Figuren darauf. Recht unauffällig für ihren Geschmack, trotzdem liebte sie dieses Paar. Erik hatte recht, unbequeme hochhackige Schuhe hasste sie, und in sexy Klamotten kam sie sich albern vor. Dieser Typ Frau war sie einfach nicht. Doch dass Erik das so störte, hatte sie bis eben nicht gewusst.

»Also, wie sieht es aus mit uns dreien? Mit Mai würde ich sinnliche Liebesabenteuer verbringen und mit dir dafür zahlreiche Ausflüge machen und Freunde treffen sowie in sämtliche Restaurants der Stadt essen gehen.«

»Also sie für Sex.« Laurella zeigte auf das Silikongedöns, das ihr von Sekunde zu Sekunde unsympathischer wurde. »Und mich zum Herzeigen vor den anderen, damit sie dich nicht für einen Irren halten, weil du mehr Lust auf ein lebloses Spielzeug hast als auf mich?« Ihre Stimme wurde rau. Wut kochte in ihr hoch. Lange würde sie sich nicht mehr beherrschen können.

»Ach komm!« Beschwichtigend fuchtelte Erik mit der linken Hand in der Luft herum, denn mit der rechten hielt er das blonde Monster im Minikleid fest. »Bei uns lief doch sowieso nichts mehr im Bett.«

»Hast du vergessen, dass du ein Jahr weg gewesen bist?« Zornig stampfte sie auf.

»Du hättest mich ja mal besuchen können …« Er atmete tief ein und wieder aus. »Die Luft war doch schon vor meiner Reise raus. Was meinst du, warum ich keine Sekunde gezögert habe, als mir die Firma das Angebot gemacht hat? Ich hab dich aber trotzdem gern.«

»Ich … ich …« Laurella wusste nicht, was sie dazu erwidern sollte. Für sie hatte bis jetzt alles in ihrer Beziehung gepasst. Dass man nicht immer Lust auf körperliche Nähe verspürte, war doch klar. Bei jedem Paar gab es Auf und Ab. Mal lag der Fokus auf Intimität, mal auf seelischem Zusammenhalt, mal auf etwas ganz anderem.

»Ich denke, wenn wir unsere Liebe zu dritt ausleben, kann jeder seine Wünsche erfüllen. Du hast doch letztes Jahr ständig gejammert, dass du mehr erleben willst. Das können wir jetzt tun. Mit Mai werden meine tiefsten Sehnsüchte Wirklichkeit, somit bin ich dann umso motivierter, mit dir die Dinge zu machen, die dir wichtig sind.« Er lächelte breit und schien seinen Vorschlag tatsächlich für gut zu halten.

Laurella stand kopfschüttelnd da. »Sorry … ich glaube das gerade alles nicht! Du spinnst ja!«

»Das heißt, du möchtest nicht mit uns beiden leben? Vielleicht täte es dir gut, wenn du mit Mai ins Bett gehst. Sie ist wirklich der Hammer! Danach wirst du viel offener für alles sein. So war es auch bei mir. Tino, ein deutscher Kollege, der mittlerweile in Tokio lebt, hat mich auf den Geschmack gebracht. Weißt du, in Japan arbeiten die meisten so hart und ewig lang, da bleibt kaum Zeit für ein reales Beziehungsleben. Was boomt, sind Beziehungen mit so tollen Menschen wie Mai.«

»Sie ist kein Mensch, sie ist eine Puppe!« Nun war Laurella endgültig schockiert. »Außerdem hattest du die ganze Zeit eine Partnerin. Mich!«

»Aber du warst doch so weit weg … Na ja, was soll’s. Es hat sich alles so gefügt. Willst du nicht bei uns bleiben, so ist das okay. Nicht wahr?« Er wandte sich an seine Puppe, die weder einen Mucks machte noch sich bewegte.

»Gut, mir reicht es. Ich packe meine Sachen.« Mit einem Grollen drehte sich Laurella weg.

»Willst du dir das nicht noch einmal überlegen? Schlaf doch darüber. Das Bett ist bestimmt groß genug für uns drei.«

Laurella erwiderte darauf nichts, sondern ging schnurstracks zu Eriks Koffer, öffnete ihn und erstarrte. Er war voller Dessous und Damenkleidung. »Was zum Teufel ist das?«

Er kam ihr hinterher. »Vorsicht! Das sind alles Mais Sachen. Die waren teuer!«

»Hast du mir auch etwas gekauft?« Laurella fauchte. Bisher hatte Erik Shoppen immer verabscheut.

»Nein. Du ziehst nichts von dem an, was mir gefällt und Mai ist mir äußerst dankbar, wenn ich ihr etwas schenke.« Er klang eingeschnappt.

»Tja, dann ist es wohl echt besser, dass sich unsere Wege ab sofort trennen.« Hektisch griff sie das Gepäckstück, drehte es um und ließ alles auf den Boden fallen.

Erik sagte keinen Ton mehr und beschäftigte sich stattdessen mit seiner neuen Flamme. Laurella sah die beiden am Tisch sitzen. Erik hielt Mais Hand. Laurella beobachtete das Spektakel nur kurz. Die ganze Situation war ein Witz. Sie schüttelte erneut den Kopf, war sie im Kindergarten gelandet? Vor sich hin schimpfend stand sie auf, marschierte zu ihrem Schrank und riss die erstbesten Sachen heraus, die sie in die Finger bekam. Nach nur fünf Minuten war der Koffer voll. »Wenn ich wiederkomme, erwarte ich, dass du weg bist. Such dir eine eigene Unterkunft!«

»Darüber reden wir noch, immerhin zahle ich genauso viel Miete wie du. In der Zwischenzeit werde ich aber den freigewordenen Platz gleich für Mais hübsche Kleidung nutzen. Hier am Boden, wo du alles hingeworfen hast, wird sie nur unordentlich. Und dann werde ich weitersehen.« Er küsste die Hand der Puppe.

Angewidert verzog Laurella das Gesicht und schnappte sich ihre große Handtasche, in die sie ihren Laptop, einige Speichersticks und andere Habseligkeiten legte. Sie war froh, dass sie so eine Ordnungsliebhaberin war und nicht lange nach ihren Sachen suchen musste. Anschließend schlüpfte sie in ihre Jacke und drehte sich noch einmal zu Erik um, der sie überhaupt nicht beachtete.

»Ich bin weg! Ich wünsche dir und … deiner Puppe alles Gute.« Selbst beim Aussprechen dieser Worte kam sie sich albern vor.

»Sayonara.« Ein winziges Nicken unterstrich seinen Abschied.

Laurella ließ die Tür hinter sich zukrachen und stolperte in den Lift, mit dem sie drei Stockwerke nach unten fuhr. Als sie aus dem Wohnhaus trat, verharrte sie einen Augenblick. In der ganzen Aufregung hatte sie überhaupt nicht nachgedacht, wo sie hinsollte. Zu einer ihrer Freundinnen? Die hatten alle einen festen Partner und wollten bestimmt ihre Ruhe.

Sie wollte Rat bei ihrer lieben Cousine holen. Leonie hatte einfach immer einen Tipp parat. Doch die nahm den Anruf nicht entgegen.

Mit einem Mal ärgerte sie sich über sich selbst. Wieso war sie gegangen und hatte nicht Erik haushoch aus der Wohnung geworfen? Kurz erwog sie, umzudrehen und genau das zu tun, ließ es jedoch bleiben. Die Schockmomente vorhin hatten ausgereicht. Es war ihr unmöglich, in ihre Wohnung zu gehen und die ganzen Szenen noch einmal zu erleben. Laurella wollte einfach nur weg. Aber wohin?

Eigentlich blieb nur eine Möglichkeit … Sie wühlte in der Handtasche und zückte ihren Schlüsselbund.

Als sie mit ihrem C1 durch die Stadt brauste, musste sie höllisch aufpassen, sich anständig zu konzentrieren. Pausenlos schweiften ihre Gedanken ab, und das wurde mehr als einmal zur Gefahr für sie.

Plötzlich hupte das Auto hinter ihr. Laurella trat aufs Gaspedal. Die grüne Ampel hatte sie nicht bemerkt. Zum Glück war stadtauswärts nun weniger los und nach fünf Minuten auf der Autobahn fuhr sie bereits wieder ab und folgte der Landstraße zu dem beschaulichen Örtchen Sankt Florian. Es dauerte nur noch kurz, bis sie in die richtige Einfahrt abbog. Gemächlich tuckerte sie die schlecht asphaltierte Zufahrt entlang und atmete auf, als sie Licht im Einfamilienhaus vor sich erspähte.

Nachdem sie eingeparkt hatte, stieg Laurella aus und schlich unsicher auf den Hauseingang zu. Ehe sie überlegen konnte, wie sie ihr Auftauchen erklären sollte, wurde die alte Holztür geöffnet und wie immer knarrte sie dabei unangenehm laut.

Ihre Mutter steckte den Kopf heraus und legte die Stirn in Falten.

»Kind? Was tust du hier?« Erschrocken musterte Nora sie. »Ist etwas passiert?«

»Ja … nein …« Laurella war den Tränen nahe. »Erik ist ein Dummbeutel!« Sie schluchzte und fiel ihrer Mutter in die Arme. »Ach du liebe Güte!« Mitfühlend strich sie Laurella über den Rücken. »Das musste ja mal rauskommen.«

Laurella drückte sich von ihr weg. »Wie meinst du das?« Sie wischte eine Träne ab, die ihr aus dem Augenwinkel rollte.

»Komm erst einmal herein. Du zitterst ja! Es ist eiskalt draußen.« Ihre Mutter schob sie ins Haus und half ihr, sich aus der Jacke zu schälen.

Wie in Trance ließ sich Laurella in das Wohnzimmer führen und nahm auf dem Sofa Platz. Ihre Mama deckte sie zu, brachte eine Tasse und goss Tee aus der Kanne ein, die bereits auf dem Couchtisch stand. »Trink.«

Dann ließ sie sich neben Laurella nieder und nahm ihre eigene Tasse in die Hand. »Wieso hast du nicht angerufen?«

»Es … es ist alles so schnell gegangen, ich bin einfach los und direkt hierhergefahren.« Sie schniefte und nahm das Taschentuch entgegen, das ihre Mutter aus der Packung gezogen hatte, die auf dem Couchtisch stand.

»Jetzt erzähl einmal in Ruhe«, forderte sie ihre Tochter auf.

Das tat Laurella auch. Dazwischen schnäuzte sie sich immer wieder.

»Unfassbar!«, wetterte ihre Mutter. »Das ist wirklich ein starkes Stück, was sich dieser Widerling erlaubt hat. Sei froh, dass du den Kerl jetzt schon los bist und nicht erst in der Ehe darauf kommst, dass er ein Idiot ist.«

Für einen Moment erstarrte Laurella. »So wie du bei Papa?«

Ein langes Seufzen war die Antwort. »Das ist etwas ganz anderes gewesen, das weißt du doch! Nun lenk nicht vom Thema ab.«

»Tue ich doch gar nicht. Ich will nur verstehen, wieso Erik sich so seltsam verhält.«

»Erik ist ein Idiot, das sagte ich doch. Wie kann man nur eine Puppe einem Menschen vorziehen?«

»Unglaublich. Ja, das habe ich mir auch gedacht. Und ich war so blöd und habe ein Jahr sehnsüchtig auf ihn gewartet.« Ein langes Schluchzen folgte und mit einem Mal konnte sich Laurella nicht mehr beherrschen. Die Tränen flossen wie ein Sturzbach über ihre Wangen. So lange, bis sie keine mehr hatte und sich vollkommen leer fühlte.

Ihre Mama saß die ganze Zeit neben ihr, strich ihr über den Rücken und reichte ihr ab und an ein weiteres Taschentuch.

Als Laurellas Tränenfluss versiegte, seufzte sie laut. »Du armes Mäuschen, das hast du wirklich nicht verdient«, sagte sie einfühlsam. »Ich hole uns ein großes Glas Wasser. Du bist bestimmt ganz ausgetrocknet.«

Laurella nickte. Sie hatte keine Stimme mehr, oder fehlten ihr bloß die Worte?

Nach einigen Minuten kehrte ihre Mutter aus der Küche zurück. Sie brachte ein Tablett, welches sie auf dem Couchtisch abstellte. Laurella erspähte nicht nur das versprochene Wasser, sondern auch Cracker, Käsestückchen und eine Flasche Sekt mit zwei Gläsern. »Nach feiern ist mir eigentlich nicht zumute.«

Ihre Mutter schmunzelte. »Wer weiß … Stoßen wir darauf an, dass du den Blödmann los bist und ab sofort in ein neues Leben starten kannst.« Flink öffnete sie den Schaumwein und schenkte ihnen beiden ein. »Also dann! Prost!«

Laurella zögerte einen Moment, dann beschloss sie, ihrer Mutter recht zu geben. »In diesem Moment startet Laurella Zwei-Punkt-Null. Prost!«

Die Gläser klirrten und Laurella nahm einen großen Schluck. Das tat gut. Der Sekt rann prickelnd ihre Kehle hinab. Endlich spürte sie wieder so etwas wie Leben in sich.

»Wenn du neue Pläne schmiedest, werde ich mich dir anschließen. Was hältst du von einer Reise im Dezember? Ich habe den gesamten Monat frei, da Frau Merlein zu ihrer Tochter nach Salzburg fährt und meine Betreuung im Alltag dort nicht benötigt. Ihre Familie umsorgt sie.« Vergnügt blickte ihre Mutter sie an und wartete auf eine Antwort.

 

 

 

4

Callan

 

»Halò, a h-uile duine«, grüßte Callan alle Gäste, als er über die Türschwelle des Pubs trat und seinen Blick in die Runde schweifen ließ. Es war ziemlich voll, kein Wunder bei dem Wind draußen. Da suchte sich jeder gern einen gemütlichen Platz im Red Rose. Callan ging direkt zur Bar. Hier saß er am liebsten, denn so konnte er sich gut mit den anderen Gästen unterhalten, von denen er die meisten aus dem Dorf kannte. Chris und seine Frau Liv winkten ihm zu und auch Jack, der die größte Weide im Umfeld besaß, hob sein Glas in seine Richtung. Sein Kumpel Dusten stand bereits am Tresen und klopfte ihm freudig auf die Schulter, als er sich neben ihn stellte. »Hi Callan! Na, hast du den Laden dichtgemacht?«

Callan nickte. »War leider nicht viel los heute.«

»Und wenn du mehr Werbung machst? Die Menschen trinken doch gern Whisky. Da solltest du schon mehr Verkäufe generieren. Dein Angebot ist doch eins a.« Dusten schob sich seine Brille weiter die Nase rauf.

»Tja, ich habe keine Ahnung, was falsch läuft. Aber das Dorf ist bestens versorgt, wie mir scheint, und die paar Touristen, die hier Halt machen, haben meist schon bei einer Destillerie eingekauft, die sie davor besichtigt haben. Gibt in Schottland ja genug davon.« Sein Magen brannte. An seine Geldsorgen wollte er jetzt nicht denken.

»So wie es früher bei euch war, was? Zuerst gab’s eine Führung durch die MacLeod-Whisky-Destillerie und danach wurde noch fleißig im Shop eingekauft.« Er räusperte sich. »Echt schade um die Destillerie.«

»Mhm.« Callan fehlten die Worte. Es war ja nicht so, als würde er nicht selbst an die guten alten Zeiten denken.

Die Pubbesitzerin tauchte vor ihm auf und musterte ihn fragend. Prompt nutzte er die Gelegenheit und bestellte. »Ein Pint bitte!«

»Geht klar!« Myla lächelte ihm zu und machte sich an die Arbeit. Keine halbe Minute später stellte sie das volle Glas vor ihm ab.

»Ich danke dir.« Callan nickte ihr zu, nahm das Bier hoch und stieß mit Dusten an.

»Auf die Frauen!«, rief der vorlaut und lachte.

»Auf Myla«, stimmte ihm Callan zu. Er hatte noch immer die alten Erinnerungen an Sanne im Hinterkopf, die ihm vorhin die Laune vermiest hatten, und wollte nicht an irgendwelche potenziellen Partnerinnen denken. Myla hingegen schätzte er als bodenständige Frau und Pubbesitzerin. Was würde das Dorf nur ohne sie tun?

»Ihr seid mir zwei Charmeure!« Myla grinste übers ganze Gesicht und ließ die beiden in Ruhe, da soeben neue Gäste eingetreten waren und sich an einen der Tische weiter hinten setzten.

»Touristen!«, sagte Dusten verschwörerisch.

»Helfen mir nun auch nicht mehr, denn mein Laden ist zu.«

»Oh Mann, mein Lieber, du hörst dich echt verdrossen an. Ist alles okay bei dir?« Dusten betrachtete ihn mit einem prüfenden Blick.

Callan winkte ab. »Natürlich. Entschuldige, ich glaube, mir macht das herannahende Weihnachtsfest etwas zu schaffen.« Plötzlich fiel ihm seine Schwester ein und seine Kehle trocknete aus. Von ihm aus könnten die Feiertage ruhig ausfallen, aber er wusste genau, dass ihm das nicht vergönnt war. Nachdenklich trank er sein Bier aus, während Dusten ihn niederquatschte. Doch er nahm keinen einzigen Satz des Gesagten auf. Er dachte nur noch daran, wie er Weihnachten entkommen konnte, und verabschiedete sich recht bald, um den Heimweg anzutreten.

5

Laurella

 

»Eine Reise?« Laurella runzelte die Stirn. »Jetzt? Im Dezember? Wo willst du hin? Nach Dubai?«

Ihre Mama lachte auf. »Unsinn! Was soll ich denn dort? Ich habe weder Lust auf Wüste noch auf Kamelreiten oder einen Scheich.«

»Sondern?« Laurella war wirklich verblüfft. Ihre Mutter war noch nie weggefahren, seit sie sich vor drei Jahren hatte scheiden lassen. Dabei war sie mit ihren sechsundvierzig Jahren noch jung und knackig.

»Nun, ich habe da schon so eine Idee«, antwortete sie geheimnisvoll.

»Aber gerade der Dezember ist doch so wunderschön und heimelig hier bei uns in der Steiermark. Oder willst du in ein idyllisches Berghotel?« Schon immer hatte sie sich einen romantischen Urlaub im Schnee gewünscht. Aber doch nicht mit ihrer Mama!

»Kein Berghotel. Ich dachte an Schottland.« Sie lächelte verschmitzt.

»Wieso das denn?« Laurella schüttelte sich. »Dort ist es doch scheußlich um diese Jahreszeit! Nein, Mama, da musst du mal im Frühling hin, oder im Sommer. Von mir aus auch im Herbst. Aber ganz bestimmt nicht im Winter! Man hört ja jedes Jahr, dass über Großbritannien Stürme wüten. Und dann kommst du nirgendwo mehr weiter – oder gar wieder zurück nach Hause.« Fassungslos starrte sie ihre Mutter an. Wie ist sie denn auf so eine Idee gekommen?

Das Lächeln wich aus dem Gesicht ihrer Mutter. Enttäuscht blickte sie Laurella an. »Es war nur so ein Einfall …« Sie nahm sich einen Cracker und steckte ihn in den Mund.

Laurella stellte das Sektglas ab. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich jetzt gern duschen und dann in mein altes Zimmer gehen. Ich fühle mich nicht besonders.« Die Stimmung war ohnehin gekippt und Laurella konnte nicht wirklich an einen Urlaub denken. Ihr Kopf war mit Gedanken an Erik besetzt.

Zunächst wollte sie noch einmal versuchen, ihre Cousine zu erreichen. Leonie hatte es aktuell selbst nicht leicht und Laurella wollte nachfragen, wie es ihr auf Sylt erging. Vor Kurzem war sie dorthin gezogen. Diesmal ging Leonie ans Telefon. Das Gespräch tat Laurella richtig gut. Sie schwatzten etwa eine halbe Stunde lang. Am Ende fühlte sich Laurella sogar mindestens um fünf Kilo erleichtert, da sie ihren seelischen Ballast losgeworden war. Leonie hatte aufbauende Worte für sie gefunden. Alles würde sich wieder einrenken.

Doch kaum lag Laurella allein in ihrem Bett, kroch das Gefühl der Einsamkeit in ihr hoch. Die Zuversicht, die sie nach ihrem Telefonat verspürt hatte, schmolz dahin wie eine Schneeflocke im Frühling.

Die halbe Nacht lag Laurella wach und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Dafür kam sie am nächsten Tag gar nicht aus dem Bett. Ihre Beine waren schwer wie Blei und in ihrem Kopf pochte es stark. War sie etwa krank? Selbst wenn, es war ihr egal. Sie hatte keine Lust auf irgendetwas. Wieder wirbelten die Gedanken an Erik in ihrem Kopf herum. Seine Sinneswandlung war unverständlich.

Draußen war es tagsüber gar nicht richtig hell geworden. Ihre Mutter hatte einige Male bei ihr vorbeigeschaut und sich verabschiedet, da sie arbeiten gegangen war. Eine gefühlte Ewigkeit hatte Laurella ihre Gedanken schweifen lassen und auch ein wenig gedöst. Es musste bald wieder dämmern, dachte sie, nachdem sie die Uhrzeit auf ihrem Handy gesehen hatte. Eigentlich hatte sie bloß nachsehen wollen, ob Erik sich bei ihr gemeldet hatte. Dem war nicht so. Weder ein Anruf noch eine Nachricht. Sie hatte die winzige Hoffnung gehegt, dass Erik sich das alles noch einmal durch den Kopf hatte gehen lassen, und kapierte, dass er einen riesigen Fehler begangen hatte. Da lag sie wohl falsch.

Ein Klopfen störte ihre Gedanken. »Ja?«

Ihre Mutter betrat das Zimmer. »Ich bin vom Arbeiten zurück. Ist alles in Ordnung bei dir? Ich habe dir eine Hühnersuppe mitgebracht. Du brauchst etwas Warmes im Bauch. Seit du gestern angekommen bist, hast du nichts gegessen. Du musst ja am Verhungern sein.« Sachte stellte sie die dampfende Schüssel auf Laurellas Nachtkästchen ab.

Sofort stieg der Duft nach Kindheit in ihre Nase. »Mhh! Danke Mama. Ich werde gleich etwas davon essen.«

»Tu das. Und eine Flasche Wasser hole ich dir auch noch. Oder möchtest du lieber aufstehen und mit mir nach unten gehen? Wir könnten Fernsehen oder alte Fotoalben angucken. Oder Kartenspielen … Was immer du willst.«

»Nein danke. Ich möchte einfach nur hier liegen.« Und nicht daran denken, was morgen passiert … oder übermorgen … oder überhaupt irgendwann …

Die nächsten zwei Tage blieb Laurella im Bett liegen und suhlte sich in ihrem Leid. Ihre Mutter kümmerte sich um sie. Gemeinsam schauten sie ein paar Filme, aber ansonsten war Laurella zu nichts fähig.

Abends entschuldigte sich ihre Mutter.

»Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mich mit Mimi auf einen heißen Tee treffe? Ich hüpfe schnell rüber zu ihr, aber falls du etwas brauchst, kannst du mich anrufen.«

»Geh nur … ich komme allein klar.« Insgeheim war sie froh, sich wieder ihrer Trauer hingeben zu können.

Der nächste Tag kam viel zu früh. Ihr Handy klingelte und riss sie aus dem Schlaf.

Völlig verwirrt ging sie ran, ohne aufs Display zu sehen. Ihr Herz klopfte. War es Erik, um sich zu entschuldigen?

»Hey, wo steckst du?«, schnarrte jemand in den Hörer.

Im ersten Moment konnte Laurella die Stimme nicht zuordnen. Erik gehörte sie jedenfalls nicht, sodass ihre Laune gleich wieder sank.

»Wer ist da?«

»Wer da ist? Haha, du bist gut! Dein Arbeitgeber! Na, klingelt’s?« Jetzt klang er genervt.

»N-Nils?« Laurella saß nun senkrecht im Bett. So ein Mist! Wie hatte sie ihn vergessen können?

»Genau! Und wo steckst du? Bist du untergetaucht? Oder wo ist die versprochene Newsletter-Mail? Meine Fans warten darauf und machen mir die Hölle heiß! Ständig mailen mir Leute, ob sie denn das angekündigte Gewinnspiel verpasst hätten. Ich habe keine Zeit, ihnen zu antworten! Laurella! Was ist los?«

»Ich … ich … äh …« Sie hatte keinen Schimmer, was sie erwidern sollte. »Ich bin krank.« Das war nicht einmal gelogen. Immerhin fühlte sie sich scheußlich, und das nicht nur, weil sie ihren Job vor Kummer komplett vergessen hatte.

»Krank?« Nils war schon milder gestimmt als vor wenigen Augenblicken. »Wieso sagst du denn nichts? Dann hätte ich eben mal selbst was gepostet, haha.« Jetzt war er wieder das Lämmchen, das er sonst auch war.

»Sorry … ich war zu kaputt … ich verspreche, ich erledige heute alles.«

»Auf keinen Fall! Wenn überhaupt, dann nur das Nötigste. Vertröste die Fans mit dem Gewinnspiel auf nächste Woche und ich sponsere noch etwas dazu, das sie gewinnen können. Okay?«

»Ja, natürlich. Wenn du es so willst.«

»Yup! Also die nächsten Tage nur ab und an was posten, wenn es geht. Damit meine Fans wissen, dass ich noch lebe. Haha!« Er lachte.

»Alles klar. Ich gebe mir Mühe.« Es war schwer, klar denken zu können.

»Tu das und kurier dich aus, dann geht es wieder volle Fahrt voraus. Wünsch dir gute Besserung. Tschööö!« Schon legte er auf.

Laurella ließ sich auf ihr Kissen zurückfallen. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Im Stress der letzten Tage hatte sie nichts geschrieben. Kein Wunder, dass Nils’ Fans dachten, er sei verschollen. Genau für das regelmäßige Posten wurde sie bezahlt.

Sie beschloss, sofort eine Meldung abzugeben, und suchte auf ihrem Handy ein aktuelles Bild von Nils. Schnell tippte sie ein paar Sätze dazu und postete alles auf den diversen Social-Media-Kanälen. Um auf die ersten Kommentare zu antworten, die bereits aufploppten, hatte sie keine Energie mehr. Das würde sie verschieben. Heute war sie glücklich, dass sie so einen flexiblen Job hatte, bei dem es nichts ausmachte, wenn sie an manchen Tagen viel und an anderen wenig postete. Nur, gar nichts ging natürlich nicht. Meist arbeitete sie mehrere Stunden am Stück und bereitete unterschiedliche Blogbeiträge, Gewinnspiele und Social-Media-Posts vor. An anderen Tagen war sie mit dem Beantworten sämtlicher Kommentare unter den geposteten Beiträgen beschäftigt oder schrieb Mails. Eigentlich war das nur ein Teilzeitjob, aber er brachte genug ein, um davon leben zu können, zumindest vorübergehend. Um genau zu sein, wollte sie das eine Jahr, das Erik in Japan verbrachte, damit verbringen und sich danach erst völlig auf die Zukunft einstimmen, die unterschiedliche Szenarien hätte annehmen können. Sie hatte so viel geplant. Und nun? Jetzt lebte sie vorübergehend bei ihrer Mutter. Wie peinlich!

Sogleich stieg wieder die Enttäuschung über Erik in ihr hoch. Sie drückte ihr Gesicht in das Kissen und schrie laut auf. Als sie sich wieder beruhigt hatte, stand sie auf und beschloss, dass sie ab sofort keine einzige weitere Sekunde diesem Vollidioten nachtrauern würde. Die Umsetzung einer Laurella 2.0 war schwerer als gedacht, doch das Herumliegen half wenig. Sie musste ihre Taktik ändern. Es war an der Zeit, in ein neues Leben zu starten.

Um den Kopf richtig freizubekommen, machte sie einen Abendspaziergang. Ihre Mutter lebte auf dem Land, in Sankt Florian, nicht weit von Graz entfernt. Rund um den Ort gab es genügend Natur, sodass man sich als Mensch ganz klein vorkam. Das gefiel Laurella, obwohl es ziemlich kalt draußen war. Bald würde es schneien. Vielleicht gab es sogar weiße Weihnachten. Ihre Laune kippte augenblicklich. Das große Fest würde sie als Single verbringen.

Als sie zum Dorfplatz kam, tauchte der riesige Christbaum in ihrem Blickfeld auf, der jedes Jahr feierlich geschmückt und beleuchtet wurde. Er sah zauberhaft aus mit den zahlreichen Strohsternen und Lichterketten.

Auch die Adventsstände stachen ihr ins Auge. Gerade wurden sie bestückt und morgen wäre die feierliche Eröffnung. Laurella würde mit ihrer Mama zum Christkindlmarkt gehen, denn ein bisschen Weihnachtsstimmung konnte sie gut gebrauchen.

 

Als Laurella ihrer Mutter am nächsten Tag von den Plänen berichtete, war diese besonders gut gelaunt.

»Es freut mich, dass du dich wieder unter die Leute traust!«

Da ihre Mutter einen freien Tag hatte, waren sie beide bis zum Abend beschäftigt mit einkaufen, Kuchenbacken und Hausputz. Laurella war gerade alles recht, um sich von ihren Problemen abzulenken.

Als sie vorm Losgehen in die Jacke schlüpfte, ereilte sie ein Hauch von Vorfreude auf den Weihnachtsmarkt. Gemeinsam mit ihrer Mutter zog sie los. Unterwegs liefen sie vielen bekannten Leuten über den Weg und wurden freudig begrüßt. So war das nun mal auf dem Land. Jeder kannte jeden. Zu dem Adventsmarkt jedoch kamen auch viele Leute aus Graz oder von woanders her, weil er so viele niedliche Stände bot und besonders familiär war. Für die Kinder gab es reichlich Angebote, die man sonst selten fand. Gerade gingen sie an einem Mini-Streichelzoo vorbei, der gut besucht war. Auch ein Weihnachtsmann samt Helfer war zu finden. Die Kinder standen Schlange, um dem Mann mit Rauschebart ihre Wünsche zuzuflüstern.

An einem Punschstand trafen sie auf Bekannte ihrer Mutter und unterhielten sich, aber Laurella wusste nichts hinzuzufügen, da sie sich im Dorf nicht sonderlich gut auskannte. Schließlich war sie nicht hier aufgewachsen so wie ihre Mama. Nach der Scheidung war ihre Mutter in ihr altes Elternhaus zurückgezogen, das sie bis dahin vermietet hatte. Es beruhigte Laurella, dass ihre Mutter im Ort so lieb aufgenommen worden war. Ihre Familie hatte es früher nicht leicht gehabt, denn Tante Ingeborg hatte das Leben der Familie ganz schön auf den Kopf gestellt. Schwanger, jung geheiratet, verbockte Ehe und zu viel Alkohol.

Man konnte nur erahnen, wie oft die Familie von Laurellas Mutter das Stadtgespräch gewesen war. Und später Leonie. Bis sie kürzlich nach Sylt verschwand. Ein wenig wehmütig war Laurella darüber schon, denn nun war sie endlich einmal im Dorf, aber ihre Cousine nicht.

Laurella ließ ihre Mutter erzählen und drehte eine Runde. Wie immer bekam sie gute Laune, wenn sie von Stand zu Stand schlenderte. Es gab Kerzenbuden, Kunsthandwerksbuden und Essensbuden. Die Waffeln dufteten verführerisch. Vielleicht holte sie sich später eine. Plötzlich versperrte ihr ein rundlicher Mann im Weihnachtskostüm den Weg. »Hoppla!« Er grinste. »Genau dich habe ich gesucht, nicht wahr?« Über seine halbrunde Brille sah er sie an. Seine tiefblauen Augen funkelten schelmisch.

»Mich? Ich glaube eher nicht. Der Weihnachtsmann ist doch etwas für Kinder.« Sie schmunzelte.

»Nicht doch! Ich stehe jedem mit Rat und Tat zur Seite und manchmal erfülle ich auch Wünsche.« Ein Lachen machte sich auf seinem Gesicht breit.

»Na gut, ich wünsche mir einen Mann, der offen, ehrlich und treu ist und mich niemals gegen eine Puppe eintauschen würde. Wie stehen meine Chancen?«

»Ziemlich gut würde ich meinen. Überhaupt stehen die Sterne für dich hervorragend.« Er blinzelte ihr zu. »Großartiges steht dir bevor.«

»Danke für das Orakel.« Sie stülpte die Taschen ihrer Jacke um. »Leider habe ich meine Geldbörse nicht mit und kann nichts spenden.«

»Lass gut sein!« Der Weihnachtsmann winkte ab. »Vielleicht beim nächsten Mal, nicht wahr?« Mit einem lauten Lachen verschwand er in der Menge.

Laurella schlenderte zurück zu ihrer Mama, die noch immer am Plaudern war. Sie konnte dem Faden des Gesprächs nicht folgen und schaute sich um.

Das Treiben beim Adventsmarkt wurde bunter und im ersten Moment konnte Laurella gar nicht recht glauben, was ihre Augen erblickten. War das etwa Erik? Mit seiner Puppe? Ihr gefror das Herz. Das durfte nicht wahr sein!

Die beiden kamen direkt auf sie zu und Erik grüßte überschwänglich laut. »Hallo, Laurella. Nora!« Er nickte ihrer Mutter zu, die sich soeben umdrehte und ihn oder besser die Puppe mit offenem Mund anstarrte.

»Was tust du hier?«, zischte Laurella und hatte Mühe, sich zusammenzureißen. Wusste er nicht, wie peinlich diese Situation für sie war?

»Der Adventsmarkt hier im Dorf ist doch der Beste weit und breit, hast du immer gesagt. Deshalb will ich ihn mir ansehen.«

»Aber das ist kein Ort für … so was …« Sie deutete auf die Puppe.

»Was meinst du damit? Beleidigst du etwa meine Freundin?« Böse funkelte er Laurella an. Seine buschigen Augenbrauen wirkten heute wie die Borsten eines Stachelschweins. »Ich hätte echt nicht gedacht, dass du so engstirnig bist. Schande über dich!«

»Über mich?« Sie fauchte die Worte. »Sieh dich mal um! Die Leute zeigen auf dich und dieses … Ding.«

»Sag nicht Ding zu Mai! Sie ist meine Lebenspartnerin und wir beide werden uns jetzt einen gemütlichen Abend machen.« Mit einem Schwung drehte er sich um und verschwand mit der Puppe in der Menge.

Laurella und ihre Mutter blieben wie versteinert stehen. Auch die Bekannten starrten Erik an. »Was für ein irrer Typ!«, sagte jemand von der Seite. Danach folgten einige Lacher.

Am liebsten wäre Laurella im Erdboden versunken. So mancher von den Dorfbewohnern kannte Erik von diversen Festivitäten, an denen Laurella mit ihm in der Vergangenheit teilgenommen hatte oder zumindest vom Sehen. Nun wussten alle Bescheid, dass er sein Leben mit einer Puppe teilte, anstatt mit Laurella. Wie demütigend!

»Mama«, sagte sie. »Buch uns die Reise nach Schottland. Ich will nichts wie weg!«

»Eine hervorragende Idee! Bis wir wiederkehren, wird die Sache von eben vergessen sein.« Sie hakte sich bei ihrer Tochter unter und die beiden spazierten nach Hause. Auf den Adventsmarkt hatten sie keine Lust mehr.

Am sternenklaren Nachthimmel funkelte eine Sternschnuppe.

Laurella wünschte sich, dass sie ein neues Leben beginnen konnte, weit weg von ihren Problemen, Kummer und Sorgen. Ihr fehlte die Kraft, so weiterzumachen wie bisher. »Hast du das gesehen?«, flüsterte sie.

»Ja. Hoffentlich geht mein Wunsch in Erfüllung.« Ihre Mutter blickte sehnsuchtsvoll in den Himmel.

Laurella war zu neugierig, was sie sich gewünscht hatte, aber wusste genau, dass man dieses Geheimnis bewahren musste.

6

Callan

 

Callan starrte in den Sternenhimmel. Ein ungewöhnliches Schimmern breitete sich aus. Ehe er sich’s versah, war die Sternschnuppe verschwunden. Leise sprach er seinen Wunsch aus. »Ich wünsche mir, eine gute Lösung für Haus und Hof zu finden. Und ich will endlich wieder glücklich sein!« Er beendete seinen Wunsch mit einem tiefen Seufzen. Noch einmal blickte er auf das Himmelszelt und ging zu seinem Zuhause.

Im Dunkeln wirkte der Hof gespenstisch. Alles war wie leer gefegt und kein Mucks zu hören, außer ab und an ein Knarzen und Knacken von altem Geäst. Kein Wunder, dass er sich so einsam fühlte. Das gesamte Anwesen war ausgestorben. Nur Callan allein brachte mit seiner Gegenwart etwas Leben hinein. Eigentlich viel zu wenig, wenn er ehrlich war. Eine Schande! Früher war das gesamte Areal belebt gewesen. Das Elternhaus wurde von seinen Eltern, ihm, seiner Schwester und den Großeltern bewohnt. Manchmal lebte auch der eine oder andere Angestellte bei ihnen, da Platz genug war. Jetzt kam sich Callan wie ein Eindringling vor, als er die schwere Eingangstür aufschob und in das Vorzimmer trat. Wie schön wäre es, wenn er laut Hallo rufen könnte und ihm viele Stimmen antworteten.

Doch langsam musste er sich damit abfinden, dass das Haus nie mehr so voller Leben stecken würde wie einst. Das war einer von vielen Gründen, weshalb er es hier kaum noch aushielt. Einzig seiner Eltern willen verweilte er in Kiltemath. Er wusste, wie viel ihnen an dem Haus, der Destillerie und dem gesamten Anwesen gelegen hatte. Würde er wegziehen, würde die gesamte MacLeod-Geschichte ausgelöscht werden. Nichts in Kiltemath würde mehr an seine Familie erinnern. Das konnte er nicht ertragen. Oder war es bloß eine Frage der Zeit, bis seine Wunden heilten?

Eigentlich war sein Plan gewesen, etwas im Pub zu essen, doch Dustens Geplapper hatte ihn traurig gestimmt, sodass er vorzeitig gegangen war. Nun grummelte sein Magen. Kein Wunder, seit dem Snack, den er sich mittags in der Dorfbäckerei geholt hatte, hatte er nichts mehr gegessen. Wann war er zuletzt einkaufen gewesen? Letzte Woche. Viel benötigte er ohnehin nicht. Er lebte allein und aß des Öfteren auswärts, meist bei seiner Nachbarin Bree, da es sich kaum lohnte, für eine Person zu kochen. Früher, als alle im Haus herumschwirrten, war das anders gewesen. Ständig stand ein Topf auf dem Herd und man konnte zu jeder Zeit beherzt zugreifen. Am meisten Spaß hatte jedoch das gemeinsame Kochen bereitet. Es stand immer jemand zur Verfügung. Doch seit dem Brand in der Destillerie, bei dem seine Eltern und so mancher Angestellte ums Leben kamen, war nichts mehr wie davor. Callan schauderte es. Eine Gänsehaut breitete sich über seinem Rücken aus und das Bild des in Flammen stehenden Gebäudes entstand vor seinem inneren Auge. Dunkle Rauchwolken stiegen in den Himmel. Ein schwarzer Schleier setzte sich auf seine Lider. Er musste husten. Die Erinnerungen an dieses schreckliche Erlebnis brachten ihn zum Zittern. Sein Hunger war wie ausgelöscht. Das Feuer damals konnte man erst viel zu spät unter Kontrolle bringen. Der Preis dafür war der Härteste, den Callan bisher in seinem Leben hatte bezahlen müssen.

Er riss das Fenster in der Küche auf und schnappte gierig nach Luft. Im Moment war er nicht gerade in bester Verfassung. Hoffentlich gab es bald Besserung, auch wenn die schlimmste Zeit des Jahres noch bevorstand: Weihnachten.