"... weil Gott es so will" -  - E-Book

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Beschreibung

Die Aussicht, dass ihre Stimmen im Zuge des Synodalen Weges endlich in der Kirche gehört werden, hat innerhalb kürzester Zeit zu dieser eindrucksvollen Sammlung authentischer Lebenszeugnisse geführte. 150 Frauen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zeichnen in ihren persönlichen Berichten das erschütternde Bild einer ungeheuren Charismen-Verschwendung, die sich in der katholischen Kirche seit Jahrzehnten ereignet hat und immer weiter ereignet. Die hier geschilderten Berufungserfahrungen und der leidenschaftliche, geradezu verschwenderische "priesterliche" und diakonische Einsatz so vieler bekannter und unbekannter Frauen zeugen von großem Leidensdruck, aber auch von zunehmendem Unverständnis für das geltende Kirchenrecht, das Frauen nach wie vor von allen Weiheämtern ausschließt. Die Fülle der geschilderten Erfahrungen sind ein ernster, unüberhörbarer, theologisch wie pastoral gut begründeter Appell zu einem Neudenken von Kirche und einer Änderung des Amtsverständnisses. Nur so können Klerikalismus und Machtmissbrauch überwunden und die authentische Berufung von Frauen endlich Anerkennung finden und fruchtbar werden.

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„… weil Gott es so will“

„… weil Gott es so will“

Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin

Herausgegeben vonPhilippa Rath OSB

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Komposition auf Basis von © Thoom/shutterstock

Satz: Röser Media, Karlsruhe

ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-83153-9

ISBN Print 978-3-451-39153-8

Inhalt

ANSTATT EINES VORWORTS

Texte heiliger Frauen

PROLOG

Die ursprüngliche Bitte um persönliche Lebens- und Berufungszeugnisse

EINFÜHRUNG DER HERAUSGEBERIN

Welch eine Verschwendung von Charismen und Begabungen

DIE LEBENS- UND BERUFUNGSZEUGNISSE DER FRAUEN

Von A–Z

EPILOG

Drei exemplarische Stimmen von Männern

REGISTER DER TEXTE

DIE HERAUSGEBERIN

ANSTATT EINES VORWORTS

Texte heiliger Frauen

Teresa von Ávila (1515–1582)

Du, Herr meiner Seele, dir hat vor den Frauen nicht gegraut, als du durch diese Welt zogst, im Gegenteil, du hast sie immer mit großem Mitgefühl bevorzugt und hast bei ihnen genauso viel Liebe und mehr Glauben gefunden als bei den Männern, denn es war da deine heiligste Mutter, durch deren Verdienste – und weil wir ihr Gewand tragen – wir das verdienen, was wir wegen unserer Schuld nicht verdient haben. Reicht es denn nicht, Herr, dass die Welt uns eingepfercht und für unfähig hält, in der Öffentlichkeit auch nur irgendetwas für dich zu tun, was etwas wert wäre, oder es nur zu wagen, ein paar Wahrheiten auszusprechen, über die wir im Verborgenen weinen, als dass du eine so gerechte Bitte von uns nicht erhörtest? Das glaube ich nicht, Herr, bei deiner Güte und Gerechtigkeit, denn du bist ein gerechter Richter, und nicht wie die Richter dieser Welt, die Söhne Adams und schließlich lauter Männer sind und bei denen es keine Tugend einer Frau gibt, die sie nicht für verdächtig halten.

O ja, mein König, einmal muss es doch den Tag geben, an dem man alle erkennt. Ich spreche nicht für mich, denn meine Erbärmlichkeit hat die Welt schon erkannt, und ich bin froh, dass sie bekannt ist, sondern weil ich die Zeiten so sehe, dass es keinen Grund gibt, mutige und starke Seelen zu übergehen, und seien es die von Frauen.

(Weg der Vollkommenheit [CE] 4,1)

Thérèse von Lisieux (1873–1897)

Als sie sich 1897 bewusst war, dass sie Lungentuberkulose hatte, sagte sie: „Der liebe Gott ist im Begriff, mich in einem Alter zu sich zu nehmen, da ich noch nicht die Zeit gehabt hätte, Priester zu sein … Wenn ich hätte Priester werden können, hätte ich in diesem Juni die heiligen Weihen empfangen. Was tat also Gott? Damit ich nicht enttäuscht würde, ließ er mich krank werden. Auf diese Weise konnte ich nicht dabei sein, und ich sterbe, bevor ich mein Amt ausüben könnte.“ (Bericht der jüngeren Schwester Céline 1910 vor dem Diözesangericht des Bischofs von Bayeux und Lisieux, in: Bd I der Heilig- und Seligsprechungsakte von Thérèse von Lisieux)

Edith Stein (1891–1942)

Die neueste Zeit zeigt einen Wandel durch das starke Verlangen nach weiblichen Kräften für kirchlich-caritative Arbeit und Seelsorgshilfe. Von weiblicher Seite regen sich Bestrebungen, dieser Betätigung wieder den Charakter eines geweihten kirchlichen Amtes zu geben, und es mag wohl sein, dass diesem Verlangen eines Tages Gehör gegeben wird. Ob das dann der erste Schritt auf einem Weg wäre, der schließlich zum Priestertum der Frau führte, ist die Frage. Dogmatisch scheint mir nichts im Wege zu stehen, was es der Kirche verbieten könnte, eine solche bislang unerhörte Neuerung durchzuführen.

(Vortrag vor der Katholischen Akademikervereinigung in Aachen am 30. Oktober 1931, in: Edith Stein Gesamtausgabe 13, 77)

PROLOG

Die ursprüngliche Bitte um persönliche Lebens- und Berufungszeugnisse

Am 26. April 2020 sandte die Herausgeberin untenstehende Anfrage per E-Mail an zwölf Frauen. Bis Pfingsten, d. h. innerhalb von fünf Wochen, erreichten sie 150 Lebens- und Berufungszeugnisse. Sehr viele Frauen hätten gerne auch später noch – nach Redaktionsschluss – ihre Texte eingebracht. Die Anzahl hätte sich beliebig vergrößern lassen.

Liebe engagierte Frauen, denen wie mir das Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche am Herzen liegt!

Hiermit komme ich mit folgendem Anliegen auf Sie zu und möchte Sie um Ihre Mithilfe bitten. Hintergrund: Ich bin Delegierte beim Synodalen Weg und wurde als solche in das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ gewählt. Nun arbeite ich mit in einer Untergruppe, die sich mit der theologischen Argumentation im Blick auf die Teilhabe von Frauen am sakramentalen Ordo – Diakonat und weitere Ämter – befasst. Wichtige Stichworte sind in diesem Zusammenhang: neue Ämterstruktur – diakonische Kirche und diakonische Ämter sui generis – die pneumatologische Dimension der Kirche – charismenorientierte Zugänge zu Ämtern und Diensten u. v. m.

Ganz wichtig ist mir und anderen in diesem Zusammenhang das Thema Berufung. Deshalb bin ich auf der Suche nach persönlichen Lebenszeugnissen von Frauen, die sich in Vergangenheit und Gegenwart zum Diakoninnen- und zum Priesterinnenamt berufen fühlten und fühlen und ihre Berufung aus bekannten Gründen nicht leben konnten und können. Wären Sie wohl selber bereit, auf maximal einer Seite Ihre Berufungsgeschichte zu schildern und auch darüber zu berichten, für welche Alternative Sie sich dann warum entschieden haben? Auch darüber vielleicht, was die unerfüllte Sehnsucht in Ihnen bewirkt hat und vielleicht immer noch an Spuren in Ihnen hinterlässt? Und/oder würden Sie meine Mail an interessierte Frauen weitergeben?

Mein Ziel ist es dabei zunächst einmal, der „Männerkirche“, aber auch vielen Frauen, die das Thema „gleicher Zugang für alle zu Diensten und Ämtern der Kirche“ immer noch als „Machthunger aufmüpfiger Frauen“ diffamieren, vor Augen zu führen, welches Potential an Berufungen, an Geistkraft und an Charismen der Kirche und den Gläubigen über viele Jahrhunderte vorenthalten wurde und immer noch wird. Ich möchte zum Nachdenken anregen, ja, auch Erschütterung auslösen und ein Bewusstsein dafür erzeugen, wie überfällig eine Kursänderung und Erneuerung in dieser Frage ist.

Ich freue mich sehr, wenn Sie mitmachen. Gerne auch anonym, wenn Ihnen dies notwendig erscheint. Diskretion von meiner Seite sage ich Ihnen hier selbstverständlich zu.

Ihre Sr. Philippa Rath OSB

EINFÜHRUNG DER HERAUSGEBERIN

Welch eine Verschwendung von Charismen und Begabungen

„Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. Da stieg Simon Petrus hinauf und zog das Netz ans Land, das mit großen Fischen gefüllt war, hundertdreiundfünfzig Stück; und obwohl es so viele waren, riss das Netz nicht.“ (Joh 21,10–11)

Einblick

Der nachösterliche Bericht vom wunderbaren Fischfang im See von Tiberias erscheint wie ein Paradigma für das vorliegende Buch. Zunächst spiegelt die Zahl 153 eine verblüffende Parallele wider, denn es sind genau 153 Berufungs- und Lebenszeugnisse – 150 von Frauen und drei als Zeichen der Solidarität mit ihnen von Männern verfasst –, die hier gesammelt sind. Bloßer Zufall? Nur eine unbedeutende Zahl? Oder vielleicht doch ein leises, aber deutliches Zeichen, dass der Heilige Geist – Redaktionsschluss für die Textsammlung war ausgerechnet an Pfingsten – hier seine Hand mit im Spiel hat?

Was wäre gewesen, wenn Petrus nicht den Mut gehabt hätte, auf Jesu Weisung hin das Netz noch einmal auszuwerfen, diesmal auf der rechten Seite? Er wäre leer ausgegangen und vermutlich mutlos und resigniert von dannen gezogen. So aber bringt er einen überreichen Fang mit an Land, dieser Petrus, der Menschenfischer. Wie wäre es, wenn wir, wenn unsere Kirche, sich noch einmal auf einer ganz anderen Ebene von dieser Erfahrung des Petrus inspirieren lassen würde? Wie wäre es, wenn auch wir heute die Netze einmal in unbekannten Gewässern auswerfen würden, dort, wo allzu viele keinerlei Fang erwarten? Zum Beispiel bei den Frauen in der Kirche?

Rückblick

Als die deutschen katholischen Bischöfe im März 2019 einen „verbindlichen synodalen Weg“ zur Aufarbeitung und Aufklärung der Missbrauchsfälle beschlossen, da war die Frauenfrage zunächst für sie noch kein zentrales Thema. Man(n) wollte sich zunächst mit drei wesentlichen Themenbereichen beschäftigen: „Macht, Partizipation, Gewaltenteilung“, „Sexualmoral“ und „Priesterliche Lebensform“. Erst als das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) mit Vehemenz das Frauenthema auf die Agenda brachte und dabei leidenschaftlich von den Vertreterinnen der katholischen Frauenverbände und der Aktion Maria 2.0 unterstützt wurde, wendete sich das Blatt. Seither gibt es ein viertes Synodales Forum: „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“.

Schon sehr bald, bei der ersten Synodalen Vollversammlung im Februar 2020 und auch in den Vorbereitungspapieren für die Foren, zeigte sich, wie zentral die Frauenfrage werden würde. So zentral, dass inzwischen kaum noch jemand daran zweifelt, dass die Frage der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Ämtern und Diensten eine Überlebensfrage der Kirche werden könnte – oder bereits ist. Inzwischen spricht sogar der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, offen aus, was viele denken: „Die Thematik Frau in der Kirche ist die dringendste Zukunftsfrage, die wir haben … Wir werden nicht mehr warten können, dass Frauen zu gleichen Rechten kommen.“ (Interview im ARD-Morgenmagazin vom 4.3.2020)

Und die Frauen selbst? Viele erfahren eine wachsende Diskrepanz zwischen ihrem eigenen Selbstverständnis, ihrer Lebenswirklichkeit als Frau in einer modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts auf der einen und vielen kirchlichen Positionen auf der anderen Seite. Sie fühlen sich diskriminiert, ausgegrenzt, ihres Menschenrechts auf Gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit beraubt. Und vor allem: Viele fühlen sich nicht ernst genommen, ja missachtet in ihrer Berufung, erfahren, wie ihre Lebens- und Beruf(ung)smöglichkeiten eingeschränkt werden, empfinden dies als Unrecht, dem sie hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sind. Noch mehr aber erzürnt sie, dass diese Schieflage von vielen Amtsträgern nicht etwa als Missstand gesehen wird, den es zu beheben gilt, sondern dass die strukturelle Benachteiligung von Frauen nach wie vor mit längst widerlegten theologischen Argumenten gerechtfertigt und damit jeder Kritik entzogen wird.

In steter Regelmäßigkeit ist nun ein Aufschrei der (noch) engagierten Frauen in der Kirche zu hören. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB), der Hildegardisverein und Maria 2.0, Christiane Florins „Weiberaufstand“, Aufrufe und Statements von Frauenorden und -gemeinschaften, Aktivitäten und Initiativen neu entstandener Frauennetzwerke wie CWC (Catholic Women’s Council) oder „Ordensfrauen für Menschenwürde“ belegen es: Niemand sollte darauf hoffen, dass die Frauenfrage in den deutschsprachigen Ländern und auch weit darüber hinaus irgendwann wieder von der Tagesordnung verschwinden wird. Nicht, solange keine Reformen in den Blick genommen und Schritt für Schritt mehr Mitbeteiligung und Mitverantwortung von Frauen in der Kirche umgesetzt wird – und zwar nicht als Lückenbüßer, nicht als Almosen, sondern als verbrieftes Recht in Anerkennung ihrer gleichen Würde.

Wider alle Hoffnung glauben viele Frauen, dass Umdenken und Erneuerung möglich sind, dass es sich lohnt, neu zu denken und Kirche anders zu leben, Dienste und Ämter auf andere als klerikale Weise zu sehen und wahrzunehmen und anzuerkennen, wie viel an Seelsorge, an Diakonie, an gelebter Liebe und echter, auch priesterlicher Nachfolge schon heute von unendlich vielen Frauen getan wird. Um im Bild des Anfangs zu bleiben: Die Gewässer dieser Welt sind voll mit großen Fischen! Wir müssen nur den Mut haben, die Netze auch an unbekannten Stellen auszuwerfen – mit anderen Worten: dem Geist/der Geistkraft Raum zu geben. Denn er/ sie weht bekanntlich, wo er/sie will. Und wer sind schließlich wir, dass wir Gott vorschreiben wollten, wen er zu welchen Ämtern und Diensten in seiner Kirche beruft und welches Geschlecht diese Berufenen haben müssen?

Ausblick

Ursprünglich war es meine Absicht, ein paar wenige Berufungs- und Lebenszeugnisse von Frauen zu sammeln, die sich zum Diakoninnen- oder Priesterinnenamt berufen fühlten und fühlen, ihre Berufung aber nicht leben können, weil ihnen die Kirche und ihr Lehramt den Zugang zu diesen Ämtern verwehrt. Der fachtheologischen Arbeit im Synodalen Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ wollte ich damit – sozusagen als andere Autorität – die konkrete Lebenswirklichkeit von Frauen an die Seite stellen. Zudem hatte ich bereits bei den ersten Synodalen Treffen von verschiedener bischöflicher Seite gehört, „dass es doch in Wahrheit eigentlich wohl nur ganz wenige berufene Frauen gäbe“. Dem zu widersprechen und den Gegenbeweis anzutreten, war mein Ziel.

Dass aus ursprünglich 12 erwarteten Lebens- und Berufungszeugnissen innerhalb von nur fünf Wochen 150 wurden, hat mich überwältigt. So ist die Idee zu diesem Buch entstanden.

Was können diese authentischen und zutiefst berührenden Texte uns lehren?

Viel zu lang wurden die Frauen mundtot gemacht in der Kirche. Gehört werden, die eigene Berufung zur Sprache bringen können, die eigenen geistlichen Kompetenzen einbringen zu können, das war und ist für viele Frauen bis heute ein unerfüllter Wunsch. Oder wie es eine der Frauen so treffend ausdrückt: „Bleiben in dieser Kirche bedeutet für mich: aushalten, dass sie meine Berufung und die vieler anderer Frauen nicht wahrhaben, noch nicht einmal prüfen will, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Die Bandbreite der Texte – ihre Fülle und Breite aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, aus nord-, west-, ost- und süddeutschen Diözesen und vier Generationen umspannend – ist beeindruckend. Bei aller Vielfalt gibt es bestimmte Grundkonstanten, die an mehreren Stellen wiederkehren und in denen sich viele Leserinnen wiederfinden werden. Vor allem aber zeichnen die Zeugnisse das erschütternde Bild einer ungeheuren Ressourcen- und Charismen-Verschwendung, die sich seit Jahrzehnten in der Kirche ereignet hat und immer weiter ereignet. Wie oben bereits gesagt: Die Gewässer sind voll, nur werden die Netze offenbar noch immer an der falschen Seite ausgeworfen. Oder, wie eine der Frauen schreibt: „Den Begriff der verlorenen Generation/Generationen weite ich auf die Frauen unserer Kirche aus, auf die ab 1950 geborenen, gut ausgebildet, voller Engagement, Mut und Hoffnung, die ihre religiösen, intellektuellen und sozialen Talente in ihre Gemeinden einbringen wollten, in ihrem Wirken aber nur bedingt Anerkennung fanden und entmutigt wurden. Das sind rückblickend schon drei Generationen von Frauen, die für das Priesteramt verloren sind, deren tröstende Hände an Krankenbetten fehlten, deren Gebete, gute Predigten und Segnungen ihren von Gott bestimmten Gemeinden vorenthalten wurden.“

Der Schmerz und der Leidensdruck vieler Frauen ist groß. Eine von ihnen schreibt: „Ich merke, dass es krank ist und krank macht, wenn Lebensmöglichkeiten, ja Berufung, nicht gelebt werden kann.“ Viele leiden im Stillen, haben sich irgendwie arrangiert oder aber auch resigniert; manche haben im benachbarten Ausland, vor allem in der Schweiz, ihre Berufung leben und mehr Entfaltungsmöglichkeiten finden können; wieder andere haben sich nach langem inneren Ringen entschieden, die katholische Kirche zu verlassen, und in der alt-katholischen oder evangelischen Kirche ihren Platz gefunden; eine kleine Gruppe schließlich ist den Weg der „Weihe contra legem“ gegangen, hat für ihre Berufung die Exkommunikation auf sich genommen und leidet bis heute schwer unter diesem Ausschluss. Es ist leider wohl auch kein Zufall, dass 26 der 150 Lebenszeugnisse in diesem Buch mit „Anon.“ gezeichnet sind. All diese Frauen sehen sich gezwungen, unerkannt zu bleiben, weil sie um ihren Arbeitsplatz oder ihr Ansehen in der Gemeinde fürchten. Die meisten von ihnen arbeiten in Diensten der Kirche. Sie haben Angst vor Repressionen, vor Mobbing und Ausgrenzung. Auch das eine traurige Wirklichkeit in unserer Kirche.

Die Texte dieses Buches sind exemplarisch – sie stehen als Teil für das Ganze. Sie sind vielfältig, auch widersprüchlich, im besten Sinne katholisch, allumfassend und universal. Die Erfahrungen der Frauen sind nicht lokal oder regional, sondern stammen aus zahlreichen Ortskirchen. Ihr theologischer Ansatz ist nicht uniform, es kommen unterschiedliche Aspekte eines Amts- und Priesterverständnisses zum Ausdruck, verschiedene theologische Meinungen und Schulen, ganz unterschiedliche Modelle einer Kirche von morgen. Allen gemeinsam aber ist das Fundament auf der Heiligen Schrift, das Ernstnehmen und ein großer Respekt vor der Tradition, Kultur und Geschichte der katholischen Kirche und ein klares Bekenntnis zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils. Viele Beiträge atmen einen zutiefst ökumenischen Geist und ausnahmslos allen geht es um einen pastoralen Ansatz und eine pastorale Zukunftsperspektive.

Die Fülle der geschilderten Erfahrungen sind ein ernster, unüberhörbarer, theologisch gut begründeter Appell zu einem Neudenken von Kirche und einer Änderung des Amtsverständnisses. Wie Kirche ist, wie sie sein sollte und werden könnte, leuchtet an vielen Stellen auf. Wie auch der unüberhörbare Ruf, dem Geist zu vertrauen und unter seiner Führung gangbare Wege für eine Kirche des 21. Jahrhunderts zu finden. Die Zukunft ihrer Kirche liegt den Frauen am Herzen. Sie lieben ihre Kirche und leiden gleichzeitig an ihr. Sie möchten sie verantwortlich mitgestalten und vor allem in ihrer authentischen Berufung Anerkennung finden. Eine von ihnen schreibt: „Ich durfte die Kinder auf die Taufe und Erstkommunion vorbereiten, aber nicht selbst taufen und bei der Erstkommunionfeier nur Statistin sein. Ich durfte die Krankenkommunion zu den Menschen bringen, aber den Wunsch der alten Frau, bei mir die Beichte abzulegen, weil es sich von Frau zu Frau leichter sprechen ließe, musste ich abschlagen. Später in der Altenseelsorge habe ich die Menschen beim Sterben begleitet, aber ich durfte bei der Krankensalbung nur dem fremden Priester den Weg weisen, der im Eilschritt von Zimmer zu Zimmer hetzte. Ich habe gerne in Gottesdiensten zu den Menschen gesprochen und oft erlebt, wie die Worte von Gottes Zuwendung und Barmherzigkeit aus meinem Herzen quollen und die Menschen erreichten – aber sonntags predigen durfte ich nicht. Ich konnte besser leiten als mancher Vorgesetzter, aber die Leitungsfunktion oblag dem Priester.“

Viele der Lebens- und Berufungszeugnisse in diesem Buch deuten darauf hin, dass in der Breite der katholischen Gemeinden im deutschsprachigen Raum nicht nur ein Akzeptieren von geweihten Frauen möglich, sondern dies geradezu ein Desiderat ist. Dabei geht es den Gläubigen keineswegs um eine bloße „Anpassung an den Zeitgeist“, sondern um ehrliche Glaubensüberzeugungen, um gewonnene theologische Erkenntnisse und vor allem um konkrete geisterfüllte Erfahrungen mit engagierten Frauen in der Kirche, die heute bereits „diakonisch“ und „priesterlich“ wirken. Zu fragen wäre, ob dieser sensus fidelium (Glaubenssinn) heutiger Christinnen und Christen nicht wachsamer gehört, deutlicher zur Kenntnis genommen und mutiger in die Tat umgesetzt werden müsste. Nicht selten in der Geschichte der Kirche hat die vox populi schließlich heilige Frauen schon zu Zeiten anerkannt und verehrt, als diese von der Amtskirche noch lange ausgegrenzt und ignoriert wurden.

Die 150 Texte dieses Buches spiegeln wie in einem Brennglas – vergleichbar den 150 Psalmen des Alten Testaments – die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen in all ihren Höhen und Tiefen wider. Dass den Lebenszeugnissen der Frauen noch drei Texte von Männern hinzugefügt sind, hat eher symbolischen Charakter. Die Herausgeberin erreichte eine Vielzahl von Zuschriften von Männern – Klerikern und Laien –, die ausdrücklich ihre Solidarität mit den Frauen bekunden wollten und sich für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an allen Weiheämtern der Kirche engagieren. Ihre Stimmen sollten in diesem Buch wenigstens ansatzweise Gehör finden. Alles andere würde den Rahmen des Projektes sprengen. Wir danken den Autoren für ihren Zuspruch und ihre ermutigenden Statements.

An dieser Stelle ist es Zeit, den 150 Autorinnen dieses Buches selbst zu danken. Sie haben sich ansprechen lassen durch den Aufruf, ihr Lebens- und Berufungszeugnis aufzuschreiben, und sind diesem leidenschaftlich gefolgt. Viele haben meine (Mail-)Anfrage an andere weitergeleitet, so dass eine ganze Bewegung in Gang kam, die dieses Buch erst möglich machte. Mich haben die Texte tief beeindruckt und bewegt. Sie haben mir neue Blickwinkel und Perspektiven eröffnet und mich in meinem Engagement für die Frauen und für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche bestärkt. Sie haben mir gezeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen – auch dann, wenn vielleicht erst die kommenden Generationen die Früchte unseres Engagements ernten können. Diese oder ähnliche Erfahrungen wünsche ich auch allen Leserinnen und Lesern dieses Buches.

Nicht zuletzt danke ich meiner Äbtissin und meinen Mitschwestern für die wohlwollende Begleitung des Projektes, das sich scheinbar nahtlos einreiht in das unermüdliche Engagement unserer verstorbenen Schwester Marianna Schrader OSB für den Diakonat der Frau in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihre Hoffnung, dass das Konzil sich der Frauenfrage mutig zuwenden würde, ist unerfüllt geblieben. Nun ist es an uns, ihr Vermächtnis weiterzuführen.

Mein Dank gilt schließlich auch meiner langjährigen Weggefährtin Frau Maria Sybille Bienentreu, die mir bei der Zusammenstellung der Texte mit Rat und Tat zur Seite stand, sowie Herrn Clemens Carl und dem Verlag Herder für die sorgfältige Lektorierung und Drucklegung des Buches.

Abtei St. Hildegard am Fest der heiligen Hildegard,

dem 17. September 2020

Sr. Philippa Rath OSB

DIE LEBENS- UND BERUFUNGSZEUGNISSE DER FRAUEN

Von A–Z

1. „Es kam mir vor, als würden meine Worte gestohlen“ Je älter ich werde, desto drängender wird das Thema „Priesterin“ für mich als geistliches Thema. Es lautet: Bist du deiner Berufung gefolgt oder warst du zu bequem, zu ängstlich, zu …?

Es gibt bis in die Kindheit Erinnerungen, dass ich mich zur Priesterin berufen gefühlt habe. Mit meinem Bruder habe ich Messe gespielt; die Rollenverteilung war klar: Mein jüngerer Bruder war Messdiener, ich Pastor. Als er nach der Erstkommunion Messdiener wurde, mir diese Aufgabe aber verwehrt wurde, habe ich wie die Witwe im Gleichnis mehrere Jahre gekämpft, bis wir Mädchen den Dienst am Altar tun durften. Mit 13 war ich mir sicher, Theologie zu studieren. Als wir in der 10. Klasse auf der Klassenfahrt an einer Universität das Schild „Institut für Theologie“ sahen, wäre ich am liebsten sofort reingegangen, um das Studium zu beginnen. An meiner Liebe zu Theologie wesentlich beteiligt war ein Priester, der promovierter Kirchenhistoriker und Leiter des Lehrerseminars war. Als ich ihn in der Oberstufe mit der Frage nach dem Priestertum der Frau behelligte, meinte er: „In zwanzig Jahren spricht da niemand mehr drüber.“ Wie falsch er mit diesem Urteil lag! Das Theologiestudium habe ich zunächst noch im Glauben, dass die Verhältnisse sich ändern können, begonnen. Ich war Mitglied in einem Bewerberkreis. Bei den Veranstaltungen dort wurde von der Ausbildungsleitung immer wieder betont, dass die Pastoralreferent*innen keineswegs Ersatz für fehlende Priester seien, weil wir eine ganz andere Spiritualität hätten. Ich habe mich immer gefragt, wo genau der Unterschied ist. War er daran zu erkennen, dass ich freiwillig morgens vor der Vorlesung in den Gottesdienst ging, während die Priesteramtskandidaten über die verpflichtende Teilnahme an der Messe jammerten? War er daran zu erkennen, dass wir „Laien“ uns im Studium viel mehr engagierten und im Durchschnitt bessere Leistungen erbrachten als die Männer mit der anderen Spiritualität? Allmählich wuchs die Überzeugung, dass es sinnlos ist, darauf zu warten, dass Frauen zum Priestertum zugelassen werden, und ich habe die Berufung zum Priestertum ganz hinten/unten vergraben, versteckt, wie auch immer. Denn parallel kam das Leben mit Beziehung, Elternschaft, Nestbau ... All diese Aufgaben habe ich bewältigt, die Frage danach, wie mein Geschlecht und meine Berufung sich zueinander verhalten, trat zwar in den Hintergrund, meldete sich aber auf ganz unterschiedliche Weise immer wieder.

Evangelische Pastorinnen lösten nie etwas aus, solange sie Talar und Bäffchen trugen. Aber als ich eines Tages einer lutherischen Pfarrerin im Messgewand gegenüberstand, traf mich wie ein Blitz die Erkenntnis: So könnte es sein. Oft wurde ich gefragt, warum ich als Frau katholische Theologin bin. Evangelische Kolleg*innen boten mir mehr als einmal an: „Komm doch zu uns.“ Die Schwester einer Freundin, ebenfalls aus streng katholischem Elternhaus, konvertierte und ist seit 20 Jahren glücklich evangelische Pfarrerin. Es geht hier nicht darum, die Frage Priesterverständnis in den Kirchen der Reformation zu reflektieren. Es geht mir darum zu sehen, dass sie Menschen Heil zuspricht, wie es in der katholischen Kirche den Priestern vorbehalten ist. Für mich war die Konversion nie ernsthaft eine Frage. Die Mutter bleibt immer die Mutter, selbst wenn sie eine schlechte Mutter ist/war.

Immer wieder gibt es Situationen, in denen das Thema sich wieder meldet: Ich arbeite in der theologischen Erwachsenenbildung. Kurse schließe ich oft mit einer Wortgottesfeier ab. Wir hören das Wort der Schrift, wir teilen Brot und Wein, wir singen und beten gemeinsam. Nur eines tun wir nicht: die Worte, mit denen Jesus die Gemeinschaft derer, die ihm folgten, beauftragte, sich an ihn zu erinnern, sprechen. Die fehlen wie eine tiefe, schmerzhafte Wunde. Die Reaktion auf meine Weise, diese Feiern zu gestalten, ist oft so, dass die Teilnehmenden mir sagen, wie gut sie sich vorstellen können, wie es wäre, wenn es katholische Priesterinnen gäbe. Gibt es aber nicht. Noch nicht? – Ich bin Autorin in einer Predigtreihe. Eines Sonntags saß ich in der Bank und hörte überrascht eine Predigt, die ich gut kannte. Es kam mir vor, als würden meine Worte gestohlen. Nicht weil eine andere Person meine Predigt hielt – das ist meine Aufgabe –, sondern weil ich diese Predigt nicht halten dürfte. Bei einer Gelegenheit legte ein Priester ausgerechnet bei Mk 5,21–43 als Tageslesung meiner Gemeinde nicht das Evangelium aus, sondern ließ sich breit über seine Berufung aus und darüber, dass so etwas für Frauen völlig undenkbar ist. Spannend war zu sehen, dass im Anschluss nicht nur Frauen, alte und junge, sondern auch Männer entsetzt waren. Die Überlegung, wie dieser Sicht entgegengetreten werden muss, löste bei mir die Frage aus, ob ich bereit bin, mich zu meiner Berufung zu bekennen und so auch meine berufliche Position zu riskieren. Diese Gewissensfrage verstummt nicht mehr.

Andererseits frage ich mich angesichts der aktuellen Situation auch, ob ich in einer so kyriarchal strukturierten Gemeinschaft überhaupt ein Amt übernehmen will. Wir müssten unbedingt die Themen Amt und Priestertum völlig neu und zeitgemäß buchstabieren.

Manchmal denke ich, es gibt die Stimme der göttlichen Geistkraft in mir und es gibt eine satanische Stimme. Letztere sagt: Lass das, hat ja doch keinen Zweck, verlorene Energie ... Erstere sagt mir: Du kommst Deiner Berufung nicht nach! Schon länger habe ich ehrliche Gewissensbisse, dass ich mich nicht kämpferisch in die erste Reihe gestellt habe, sondern immer vorsichtig diplomatische Wege gesucht habe. Über Jahrzehnte wurden Argumente gesammelt und vorgebracht, aber das wichtigste Argument nennen wir viel zu selten:

Es geht um Berufung. Wer kann dem Heiligen Geist vorschreiben, dass er nur die Hälfte der Menschheit zu dieser Aufgabe berufen darf?

Anon.

2. „Ich bin Priesterin, die der Kirche dient und freudig das Reich Gottes verkündet“ Ich bin 79 Jahre alt, Kolumbianerin, und wurde von einer rebellischen Mutter, einer ehemaligen Ordensfrau und Missionsschwester aus dem Karmeliterorden, nach den Prinzipien und christlichen Werten des Glaubens erzogen. In meiner Kindheit habe ich mit meinen Brüdern Prozessionen abgehalten und „Messen“ gelesen. Die Mutter machte uns den Altar und die Ornamente aus Zeitungspapier; sie hat uns nie gelehrt, dass Frauen Randfiguren in der Kirche sind. In meiner Jugend und in meinem ganzen Leben habe ich mich im Dienst des Evangeliums engagiert. Von klein auf war ich Laienmissionarin unter Afros und Indianern in der von Bischof Gerardo Valencia Cano gegründeten UFEMI (Unión Seglar de Misioneras), dem ich einen Teil meiner Ausbildung verdanke, die ich in Höherer Katechese am Lateinamerikanischen Katechetischen Institut absolviert habe. Als Sekretärin des Bischofs war ich eine der drei Laiensekretärinnen der 2. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Medellín (1968).

Ich fühlte den Ruf erst, als ich in der Gemeinschaft die Notwendigkeit spürte und erlebte. Die Mutter einer Freundin lag im Sterben, und sie bat mich, ihr bei der Suche nach einem Priester für die Krankensalbung zu helfen. Ich fragte sie, ob sie in die Pfarrei gegangen sei, und sie sagte ja, aber dass der Priester gerade dabei war, an der Universität zu unterrichten. Und in der anderen Pfarrei? Sie antwortete: Der Priester sagte, es sei nicht seine Aufgabe, in diese Pfarrei zu gehen. An diesem Punkt begann ich stark zu spüren, dass die Verkündigung des Evangeliums nicht zwischen Grenzen oder Mauern gefangen sein kann. Von dem Moment an, bis heute, haben mich die Sorge und der Ruf nicht mehr verlassen.

Mit der Unterstützung meiner Schwester und Freundin Elfriede Harth, einer Deutschkolumbianerin, nahm ich Kontakt mit der Vereinigung römisch-katholischer Priesterinnen (Association of Roman Catholic Women Priests) auf. Es schien mir unmöglich. Könnte es eine andere Kirche, eine andere Sekte sein? Sie erklären mir, dass sie zur Kirche gehören, dass sie eine internationale Bewegung sind, und sie fragen mich, ob ich akzeptieren würde, exkommuniziert zu werden. Bis heute fühle ich mich nicht exkommuniziert. Vor kurzem ging ich in mein Dorf, um meine Taufurkunde zu holen, und ich gestehe, dass mir mein Herz aus meiner Brust springen wollte, während der Sekretär meinen Antrag vorbereitete. Es gab keine Randbemerkung, die auf eine Neuheit hindeutete. Ich bin nicht aus der Kirche ausgetreten, ich habe nicht auf meine Taufe verzichtet. Ich bin keine Unbekannte vor dem Episkopat und dem Klerus. Weder ich noch sonst eine der Priesterinnen, mit denen wir innerhalb der Kirche mit Mut und Diskretion zusammenarbeiten, wurde bislang belästigt.

Am 11. Dezember 2010 wurde ich zur Priesterin geweiht, und am 24. September 2015 wurde ich zur Bischöfin ernannt. Ich baue auf die Unterstützung der Laien, die sich zunehmend bewusst werden, dass sie diejenigen sind, die uns unterstützen und uns bitten, ihnen zu dienen. Ich fühle, dass ich dazu geweiht wurde, die Laien zu befähigen, durch die Verkündigung des Evangeliums der Kirche zu dienen und sie wiederaufzubauen. Ich fühle mich nicht dazu geweiht, mit dem männlichen Klerus in Konkurrenz zu treten. Ich bin eine Priesterin, die der Kirche dient, freudig das Reich Gottes verkündet, Sexismus, Marginalisierung und Ungleichheit ausmerzen will, die gegenwärtige Sünde, die der Kirche schadet.

Olga Lucía Álvarez Benjumea

3. „Zu groß war der Schmerz über die Unerfüllbarkeit der Berufung“ Ich bin mit 25 Jahren in ein Kloster eingetreten. Schon einige Zeit zuvor spürte ich die Berufung zu einem ehelosen Leben. In den ersten Jahren war ich natürlich mit dem Kennenlernen und Hineinwachsen in die Gemeinschaft und in diese Berufung beschäftigt. Das fordert den ganzen Menschen. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, in diesem Leben auch noch eine andere Berufung zur spüren. Vor allem nicht eine Berufung, die es – nach dem offiziellen Recht und der Lehre der Kirche – nicht geben kann. Ich bekam sehr bald den Dienst der Sakristanin. So war ich Mesnerin und ein bisschen auch Messdienerin in einem. In vielen Messen brachte ich das Brot zur Gabenbereitung nach vorne und übergab es dem Priester. Ich liebte den Dienst in der Sakristei – ganz besonders aber den Dienst während der Messe. Stellvertretend für alle brachte ich das Brot. Irgendwann – ich war etwa zwei Jahre im Kloster – spürte ich etwas, wusste aber nicht, was ich spüre. Ich spürte etwas, das ich gar nicht spüren „konnte“, das nicht sein konnte. Deshalb verstand ich auch nicht, was ich spürte.

Wir machten mit dem Kloster nicht lange danach einen mehrtägigen Pilgerweg zu Fuß, an dem auch Gäste teilnahmen. Eine langjährige Bekannte des Klosters und Theologin war dabei. Wir kamen auf dem Weg in ein persönliches Gespräch. Ich war erstaunt über ihr Vertrauen zu mir. Sie erzählte mir, dass sie schon seit Längerem die Berufung zur Priesterin in sich spürte. Das war das erste Mal, dass ich so etwas hörte. Dass ich hörte, dass eine Frau sich dazu berufen fühlt. Es platzte bald aus mir heraus: Ich fühle mich auch dazu berufen! Wir sprachen darüber, sie bestärkte mich. Ich war ganz überwältigt. Was für eine Begegnung. Für mich war es auch eine Fügung, eine Bestätigung dessen, was ich gar nicht hätte denken, geschweige denn aussprechen können. Ich spürte eine große Dankbarkeit Gott gegenüber – und gleichzeitig einen starken Schmerz und große Fragen. Was bedeutet diese Berufung, Gott? Was soll ich tun?

In dem Kloster waren Leitung und geistliche Begleitung leider nicht klar getrennt, so dass die Oberin für mich auch eine sehr persönliche Ansprechpartnerin war. Sie hatte eine hohe Autorität. Sie muss zu dieser Zeit irgendwo unterwegs gewesen sein – jedenfalls schrieb ich ihr von meiner Berufung. Sehr aufgeregt und gespannt, was sie sagen würde. Ich mochte sie gern und schätzte sie sehr hoch. Es kamen nur zwei Zeilen – ich weiß gar nicht mehr was. Es war unklar, unverständlich. Als sie wieder im Haus war, wartete ich immer, dass sie etwas dazu sagte. Aber es kam nie etwas. Und ich traute mich nicht, sie nochmal darauf anzusprechen! Ich versuchte, ihrem Schweigen irgendeinen Sinn zu geben, aber so recht gelang das nicht. Meine Novizenmeisterin reagierte offen. Das tat mir gut. In mehreren Gesprächen war die Berufung Thema. Aber sie wusste nicht, was sie damit machen sollte. Die fehlende Reaktion der Oberin blockierte mich zunehmend. Ich sprach bald nicht mehr über das Thema und wurde nicht mehr darauf angesprochen – auch nicht von der Novizenmeisterin, die meine offizielle geistliche Begleiterin war. Jahrelang sprach ich nicht darüber, und verdrängte es auch ein bisschen. Auch mit einer neuen Begleiterin – wieder einer Mitschwester – sprach ich die Berufung nicht an. Zu groß waren einerseits der Schmerz über die Unerfüllbarkeit der Berufung und andererseits die Verwirrung, dass die so geschätzte – und wahrscheinlich überschätzte – Oberin mich damit ignoriert hatte. – Eine geistliche Begleitung außerhalb der Gemeinschaft wäre für mich sehr wichtig gewesen!

Mittlerweile lebe ich nicht mehr im Kloster – und zwar nicht, weil ich die Berufung dazu nicht mehr gespürt hätte. Die Gründe waren ernsthaft, sollen aber hier nicht dargelegt werden. Ich habe einen geistlichen Begleiter gefunden, einen Jesuiten, der meine Priesterberufung ernst nimmt und mich darin bestärkt. Weiterhin lebe ich ehelos.

Eine Zeit lang – noch in den ersten Klosterjahren – war ich in der Ausbildung für Pastoralreferent*innen angemeldet, meldete mich aber bald davon ab. Einerseits wurde mir vom Kloster dazu geraten – der Beruf sei kaum mit dem Klosterleben vereinbar. Andererseits konnte ich mir damals zunächst schwer vorstellen, in jeder Messe nur neben dem Priester zu stehen oder in der Bank zu sitzen. Ich dachte, das würde ich schwer ertragen, weil die Sehnsucht so groß war. Vor allem die Sehnsucht, Eucharistie zu feiern. Brot und Wein darzubringen, die Einsetzungsworte zu sprechen. Das gebrochene Brot zu teilen. Jesu Gegenwart zu feiern.

Jahre später, nach meiner Promotion in Theologie, habe ich mich doch bewusst für die Gemeindeseelsorge entschieden – als Pastoralreferentin. Ich fühle mich in dem Beruf sehr wohl und „in meinem Element“. Schwer zu ertragen war es allerdings, zu Beginn des Berufslebens zur Priesterweihe meiner männlichen Kollegen eingeladen zu sein, mit denen ich viel Zeit verbracht hatte. Ich wollte hingehen und ging auch hin – aber es war sehr schmerzhaft. Auch dann, als der Erzbischof in seiner Predigt betonte, wie sehr es beim Priestersein um Berufung geht und dass Gott diese Männer ausgewählt hat. Das ist ja richtig, dachte ich. Ich konnte mich für meine Kollegen auch wirklich mitfreuen. Aber gibt es nicht auch andere, die Gott beruft? Nach dem Gottesdienst sprach mich ein bekannter ständiger Diakon – der aber nichts von meinem Wunsch wusste – an und sagte: „Willst nicht auch du sagen: ,Hier bin ich!‘?“ (wie es die werdenden Priester vor der Weihe tun). Darüber war ich sehr erstaunt, aber auch tief berührt.

Ich erfahre in meinem Beruf viel Freude. Aber dann kommt immer wieder auch der Schmerz, dass ich meine Berufung nicht voll leben kann. Ich kann nicht Eucharistie mit den Menschen feiern. Nicht die anderen Sakramente spenden. Die Sehnsucht danach ist nach wie vor da.

Dr. Monika Amlinger

4. „Du bist Priesterin des Höchsten Gottes“ Meine erste Gotteserfahrung – oder eben Nicht-Erfahrung – datiert in das Jahr 1964. Ich war gut zwei Jahre alt und sollte bei der Fronleichnamsprozession Blumen streuen: „Der liebe Gott kommt in einem kleinen goldenen Haus.“ Die dummen Erwachsenen machten dann dauernd in meinem Körbchen herum, als wenn ich nicht verstanden hätte, was streuen bedeutet. Aber ich habe nicht gesehen und also nicht gestreut. Fronleichnam ist für mich bis heute mein Lieblingsfest, weil Gott kommt.

Auch an die Liturgiereform – da war ich im Vorschulalter – kann ich mich gut erinnern: Auf einmal drehte der Priester sich um. Dann stand plötzlich ein Tisch vor dem Hochaltar. Wochen später kam er noch näher: In der Vierung wurde eine Altarinsel gebaut. Mein Gott kommt auf mich zu.

Mit sieben habe ich mit Gott gestritten: „Völlig unverhältnismäßig, Dir jetzt zu versprechen, aus Buße ins Kloster zu gehen. Hallo, ich bin erst sieben.“ Woher ich den Begriff Buße kannte? Keine Ahnung. Verlangt hat er es schließlich doch.

Ein wichtiges Datum war meine Erstkommunion. Neunjährig. Die Vorbereitung, klassenweise, durch den Pastor. An vieles Kostbare erinnere ich mich. Tabernakel habe ich mit ck geschrieben, dafür schäme ich mich heute noch. Einen Priester sollten wir malen mit grünem Messgewand. Ich greife zum grünen Filzstift und beginne mit dem Gabelkreuz. Grün auf Grün – Pech. So hat die Kasel nur einen roten Stab. Daneben Jungs als Messdiener. Natürlich.

1975, schon dreizehn, durfte ich endlich Messdienerin werden. In diesem Jahr hatten wir Abendmesse und Maiandacht mit sakramentalem Segen kombiniert, also mit Weihrauch, Segensvelum und allem Drum und Dran. Der Küster musste auf die Orgel. „Traust Du Dich?“ „Ja.“ Es war der 21. Mai. Fest des heiligen Hermann-Josef. Das ist der, der den Apfel zurückgebracht hat. Der Weg ist seitdem offen, zurück ins Paradies.

Meine Berufung ist Priesterin. Schon damals war klar: Von den drei Aspekten ist für mich der wichtigste die Liturgin. Andere pastorale Berufe schieden damit aus, der Eintritt bei den Benediktinerinnen folgerichtig. Bei der Einkleidung – ich wollte eigentlich gerne meinen Taufnamen Anna behalten – bekam ich den Namen Klara, der Frau, die die Eucharistie trägt (auch wenn ich weiß, dass zu ihren Lebzeiten die Monstranz noch gar nicht erfunden war). Das Namensgeheimnis durften wir selbst benennen: vom Heiligen Kreuz. Denn in der Liturgie der Priesterweihe heißt es: „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ Ich übe es.

Bei meiner Ewigen Profess, der Consecratio, war mir wichtig, dass ein Bischof, und nicht ein Abt, der Feier vorstand. Der Bischof, der auch die Priester weiht. Das Begleitwort ganz am Ende des Ritus, beim Aufsetzen der corona, des Kranzes, entspricht übrigens dem der Übergabe der Mitra an einen neuen Bischof. Die Überreichung des Stundenbuches ist ein Rest der Liturgie der Diakoninnenweihe und der mit der Aufnahme in den Klerikerstand verbundenen Brevierpflicht. (Es gibt Männer, die der Consecratio und ebenso der Äbtissinnenweihe ihre jahrhundertealte Begrifflichkeit absprechen und sie zu reinen Segensfeiern deklassieren.)

1992 habe ich bei einem mir bis heute unvergesslichen Wochenendkurs, der in die Tiefe führte, in meinem Herzen den sicheren Zuspruch erhalten: „Du bist Priesterin des Höchsten Gottes.“ Ja, das ist meine Berufung. Ich bin Priesterin des Höchsten Gottes. Keines kleinen, engen und beschränkten Gottes. Ich bin es, weil ich dazu gerufen bin. Kurz danach hat die alt-katholische Kirche beschlossen, Frauen zu Priesterinnen zu weihen. Jetzt kann es also nicht mehr lange dauern: in fünfzig Jahren ist auch die katholische Kirche so weit. (Sprich: in 26 Jahren, von heute aus gerechnet.) Damals habe ich meine Priorin gebeten, mein vor dem Eintritt begonnenes Theologiestudium abschließen zu dürfen; ich kann ja schließlich nicht erst mit über siebzig anfangen.

Es sind jetzt weit mehr als zwanzig Jahre her, dass mein Beichtvater bestätigend zu mir sagte: „Ich würde Dich jetzt weihen.“ Vor einigen Jahren habe ich im Traum meine Weihe erlebt. Natürlich kann ich als Liturgiewissenschaftlerin zwischen dem Akt der Handauflegung unter Gebet und den ausdeutenden Riten unterscheiden. Hier aber geschah Weihe durch das Überkleidetwerden mit einer weißen Kasel aus einem weichen fließenden Seidenlampas. Mit dunkelgrünem Gabelkreuz. Die Stoffqualität kann ich ganz genau beschreiben. Es fühlte sich gut und richtig an.

In den letzten Jahren scheint mich das Thema zunehmend zu bewegen. Auch die Wasserknappheit im ersten Dürresommer ist mir näher gegangen, als ich bei Tagesbewusstsein wahrgenommen hätte: Ich habe geträumt, ich dürfte zum ersten Mal konzelebrieren. Auf dem Schiff der Mülheimer Gottestracht. (Ich war früher nur bei der Domprozession, nie bei der Gottestracht.) Da stand ich also in meiner Kasel und habe auf das Schiff gewartet. Damit sich niemand an der Frau stört, wurde ein kariertes Geschirrtuch wie ein Skapulier vor die Kasel gehängt. Aber das Schiff kam nicht. Zu wenig Wasser. Herbe Enttäuschung.

Letzten Herbst: Aus der Wandmalerei einer Kapelle springt mir das Wort Sacerdota in die Augen. Eine Frau, die ich als Kind sehr bewundert habe, hat im Pfarrheim nach der Kindermesse Kekse und Tee verteilt. Die Plätzchenausteilende. Sacer dota ist die Schenkende, die Heiliges unter die Menschen bringt. Wie Elisabeth, der unter der Hand das ausgeteilte Brot zu Rosen wird.

Dann wieder im Traum. Endlich! Ich konzelebriere. Ich halte die goldene Schale in der Hand. Darin pralle grüne Ähren. Ob das gültig ist? Auch der Wein fehlt. Aber, sagt mein Traum, kein Problem: Konkomitanz. Ich will sprechen, aber vor Intensität stehen mit buchstäblich die Haare zu Berge. Davon wache ich auf (die Haare standen hoch).

Zuletzt jetzt in der Corona-Krise. Der Dogmatiker Achim Buckenmaier machte darauf aufmerksam, dass jüdische Familien bis heute zuhause Mahl feiern können. Das hat mich so bewegt, offensichtlich auch die Frage nach der Möglichkeit der Anknüpfung für Christen daran, dass ich nachts davon geträumt habe: Ich wurde von einer uralten jüdischen Frau, einer Rabbinerin, auf meine Rechtgläubigkeit geprüft. Ich muss bestanden haben, denn danach hat sie mir meinen „spirituellen Namen“ (ich habe selbst nicht so eine esoterische Sprache) zugesprochen. Sie sprach aber hebräisch und dazu ganz leise. Ich habe, noch im Traum, eine Eselsbrücke gebaut, um den Namen zu behalten: Du musst an Malachit denken, die Grünkraft der heiligen Hildegard. Hat auch funktioniert. Ich wusste es morgens noch. Sie hat mir den Namen der Priesterin des Höchsten Gottes zugesprochen, den Namen des Ur-Priesters Melchizedek (vgl. Gen 14,18) in seiner weiblichen Form: Malkatizedaqah.

Ich bin zur Priesterin berufen. Ich bin so nahe dran, wie es von mir aus geht. Ich bin Theologin und Liturgin, in Dienst genommen als Kantorin (der Dienst des Kantors/der Kantorin ist ein eminent theologischer; mittelalterliche Kantoren führten deshalb sogar einen Stab), zuzeiten als Hebdomadarin [= das Mitglied des Konventes, das während einer Woche beim Chorgebet den Vorbeterdienst wahrnimmt]. Ich kann nur noch warten. Ob aber Kirche noch ewig warten kann?

Sr. Dr. Klara Antons OSB

5. „Es ist krank und macht krank, Berufung nicht leben zu dürfen“ Seit ich mich erinnern kann – und wohl auch zuvor – spürte ich in mir eine besondere Offenheit des Herzens, des Verstandes und der Sinne für die Religion. Hineingeboren wurde ich als fünftes von sieben Kindern in eine „normal katholische“ Familie in Niederbayern. Die Atmosphäre in den Kirchenräumen, die biblischen Texte, die Heiligenlegenden und die „heiligen Rituale“ zogen mich an. Die Erstkommunion prägte sich tief in mich ein. Die erste Enttäuschung mit der Kirche war die Nichtzulassung als Ministrantin mit für mich schon damals fragwürdigen Argumenten des Pfarrers. Gott-sei-Dank erlebte ich dann eine sehr menschenfreundliche Spiritualität in der Jugendarbeit durch unseren Kaplan und unsere Gemeindereferentin. Nach dem Abitur schwankte ich zwischen dem Medizin- und dem Theologiestudium. Es waren persönliche Begegnungen und die Sehnsucht, diesen menschenfreundlichen Gott ganz zu erfahren und erfahrbar zu machen, die mich dann Diplom-Theologie studieren ließen. Da meine Eltern dagegen waren („Was willst du denn als Frau in der Kirche?“), studierte ich parallel mehr oder weniger pro forma auch Lehramt für Gymnasium (D/Frz). Unvergesslich eine Begegnung mit Prof. Josef Sayer während meines Freijahrs 1993 in Fribourg, in welchem er sagte: „Haben Sie noch etwas Geduld mit der Kirche. Spätestens im Jahr 2000 wird die Kirche auch Frauen zu Priestern weihen.“ Ich hatte Geduld und merkte doch während meiner Ausbildung zur Pastoralassistentin in der Erzdiözese München und Freising, dass die Kirchenleitung in Rom den Klerikalismus weiter pflegt und mich als Frau in meinen Gaben nicht ernst nimmt. Die Arbeit in der Gemeinde machte mir große Freude, doch merkte ich an entscheidenden Punkten, dass es weder mir noch den Menschen, die ich begleitete, entsprach, dass ich nicht die Sakramente spenden konnte, z. B. die Krankensalbung bei einem Menschen, den ich auf seinem letzten Lebensweg intensiv begleitete und der explizit wünschte, dass ich nicht den Pfarrer hole, sondern ihm selbst das Sakrament spende. Als dann 1994 durch Papst Johannes Paul II. die Klerikalisierung durch das Apostolische Schreiben Ordinatio sacerdotalis noch mehr vorangetrieben wurde, merkte ich, dass ich in Gefahr war zu verbittern. Weder theologisch noch spirituell verstand ich die Argumente, dass das Mann-Sein die notwendige Zugangsvoraussetzung sein soll für den priesterlichen Dienst. Um nicht in der Wut darüber zu verhärten, entschied ich mich gleichsam wie eine Pflanze, die nicht nach oben wachsen kann, die Wurzeln tiefer zu strecken, und trat in die Ordensgemeinschaft der Kleinen Schwestern Jesu ein. Das Leben an der Seite der Machtlosen, das geschwisterliche Miteinander im Orden, das Mich-dem-Aussetzen, der sich mir/uns aussetzt, ließ mich innerlich wachsen. Doch meinem priesterlichen Charisma entsprach das Ordenscharisma nicht, und so trat ich nach sieben Jahren am Ende der zeitlichen Gelübde im beiderseitigen Einvernehmen und in gegenseitiger Wertschätzung aus. So deutlich und brennend spürte ich die Nähe Gottes und das Berufensein zum priesterlichen Dienst.

Doch in einem Gespräch mit dem Personalreferenten der Erzdiözese München und Freising 2006 sagte man mir: „Liebend gerne würden wir Sie in den pastoralen Dienst nehmen und es gäbe so viele Gemeinden, die Sie dringend brauchen. Aber hat sich Ihre Einstellung zur Priesterfrage inzwischen verändert?“ Als ich antwortete, dass ich durch die Jahre in der Verborgenheit des kontemplativen Weges in der Unterschicht noch weniger verstehe, wie man das Priesteramt auf das männliche Geschlecht reduzieren könne, riet er mir, Lehrerin am Gymnasium zu werden. Dies tat ich dann auch, doch es ist nicht meine Berufung und es kostet mich viel Kraft, dies immer wieder innerlich zu merken. Äußerlich funktioniere ich und bin nach einem Zusatzstudium auch Schulpsychologin und engagiert als Notfallseelsorgerin und Pfarrgemeinderätin, aber innen drin mehren sich die Anzeichen einer Depression, sodass ich seit einem Jahr in einer ambulanten Psychotherapie bin. Ich gebe nicht einer Institution die Schuld, merke aber in dem Resonanzraum der Therapie einmal mehr, dass es krank ist und krank macht, mehr Lebensmöglichkeiten, ja Berufung nicht leben zu dürfen. An diesem Pfingstsonntag vertraue ich meinen Weg und den so zahlreicher „geistbegabter“ Frauen und Männer Gott an und bitte, dass die katholische Kirche sich endlich dem Reichtum im Priestertum öffnet, der auch in verheirateten Priestern und Frauen liegt: „Zum Wohle der Menschen und zur Verherrlichung Gottes.“

Barbara Audebert

6. „... damit hier eine hoffnungsvolle und sich gegenseitig stärkende Kirche entstehen kann“ Nach einer sehr positiven Erfahrung in der respektvollen und ermutigenden Zusammenarbeit mit einem englischen Jesuiten in einem Praxissemester im Ausland waren meine Erfahrungen in Deutschland danach andere. In der ersten Zeit meiner Berufsausübung als Gemeindereferentin habe ich mir die Frage, ob ich mich zur Priesterin berufen fühle, nicht gestellt. Dass das, was ich tat, etwas mit Priestertum zu tun hatte, ist mir erst allmählich aufgefallen: wenn ich z. B. den Eindruck hatte, dass das Tun von Priestern in Gottesdiensten, in Begegnungen und in Planungen den Menschen nicht gerecht wird, sie demütigt, statt ihnen Entfaltung zu ermöglichen. Priester-Sein an sich schien für sehr viele Inhaber des Amtes so wichtig, dass sie zu wirklichen Begegnungen gar nicht mehr fähig waren. Ich nahm Priester wahr, die sich häufig auf einer anderen, einer Ebene „über der der Menschen“ sahen, für die sie Verantwortung trugen. So erfuhren sie nur von wenigen Menschen, wie diese wirklich dachten, wie es ihnen wirklich ging. Sie erfuhren natürlich von manchen Menschen, die im Priester noch eine Bezugsperson sahen, Probleme und fühlten sich dann als die Seelsorger und sagten dies auch. Sie erfuhren aber nicht mehr das, was man nur in einem ebenbürtigen Gespräch erfährt. Unausgesprochen schien mir auf Seiten der Priester immer die Erwartung zu bestehen, Bewunderung und Verehrung zu erhalten. Wenn sie diese bekamen, wurde das für eine Begegnung gehalten.

Ich versuchte gegenzusteuern, Verletzungen zu heilen, die Gemeindemitgliedern zugefügt worden waren, Menschen aufmerksam und mit Respekt zu begegnen, sie ernst zu nehmen. Auf diese Weise sah ich mich immer mehr in der Rolle der Priesterin. Die Erfahrung, Priester scheinen nicht das zu tun, was sie tun sollten, also müssen wir es jetzt selber tun, wurde zu einer Berufungserfahrung. Eine solche Berufung galt allerdings nicht nur mir. Ich nahm auch die Menschen, mit denen ich täglich zu tun hatte, in ihrer priesterlichen Berufung wahr. Meine Aufgabe war es dann, sie in ihrer Berufung, sofern sie sie auch wahrnahmen und es wollten, zu unterstützen. Diese Unterstützung sehe ich als eine wesentlich priesterliche Aufgabe.

Doch diese Art zu arbeiten brachte mir immer wieder Anfeindungen von Priestern ein. Ich ginge meinen Hobbies nach, statt meine Arbeit zu machen, ich sei berufsunfähig, ließ man mich wissen. Einmal wurde mir verordnet, wochenlang genau zu notieren, was ich tat, um zu beweisen, dass ich überhaupt etwas tat.

In den Augen solcher Priester und ihrer Anhänger schien es meine Aufgabe als Gemeindereferentin zu sein, die erhöhte Position des Priesters zu bestätigen und seinen Ruf zu mehren. Eine Caritas-Sammlung zu organisieren, die zu einer Geldsumme führte, von der es sich lohnte, bei einer Versammlung zu berichten, war gut. Gemeindemitgliedern zum runden Geburtstag zu gratulieren und einen Gruß vom Pfarrer auszurichten auch. Bei all dem spielten die folgenden für mich wesentlichen Fragen keine Rolle: Was hat Gott mit uns hier vor? Wie will er unter uns sein? Welche Begabungen wollen die Menschen hier in die Kirche einbringen? Wie können wir Gemeindemitglieder darin unterstützen, sich ihres Glaubens bewusst zu werden, um ihn dann ihren Kindern weitergeben zu können? Wie können Menschen (auf nicht entwürdigende Weise) in Notlagen unterstützt werden? Wie können sie sich gegenseitig unterstützen? Wie können hier Strukturen entstehen, die Menschen helfen, Glauben und Leben zu verbinden? Wenn ich nachfragte, warum wir eine Sache taten, wurde das als unverschämt angesehen. Ein Priester meinte, ich würde ihn wie einen Schuljungen behandeln, denn nachdenken sollte ich nicht, infrage stellen auch nicht und schon gar nicht sagen, was ich denke.

Ich tat es dennoch, weil ich keine andere Möglichkeit sah, spirituell und nicht nur mechanisch zu arbeiten sowie die Menschen der Gemeinde und meine eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen. Dies führte zu vielen beglückenden Begegnungen, zu Entwicklungen, zu Gesprächen über Gott und die Welt, zum Aussprechen von bis dahin unausgesprochenen Erfahrungen durch viele Menschen, zur Entdeckung ihrer eigenen Begabungen, zu neuem Selbstbewusstsein und zu neuen eigenverantwortlichen Strukturen, neuen Gottesdiensten. Ich machte Erfahrungen, bei denen nicht alles glatt lief und ich sicher nicht immer alles richtig gemacht habe, Erfahrungen aber, die mir zeigten, dass wir grundsätzlich in der richtigen Richtung unterwegs waren. Sie führten allerdings zu sehr vielen Spannungen, zu Verdächtigungen durch Priester, zur Empörung von Gemeindemitgliedern, die in mir nur die Zuarbeiterin des Pfarrers sehen wollten, die dafür sorgt, dass alles so bleibt, wie es war.

Ich konnte dem, was hier zu tun war, nicht mehr ausweichen, ohne Menschen im Stich zu lasse. Im Versuch, gegen etwas zu steuern, das mir sinnlos erschien und auch menschlich wie strukturell destruktiv, sah ich mich also immer mehr selbst in der Rolle und in der Berufung zur Priesterin, immer mich selbst fragend, wo ich nicht im Wege stehen durfte, damit hier eine hoffnungsvolle und sich gegenseitig stärkende Kirche im Sinne Jesu entstehen kann.

Ist es mir auch jetzt nicht mehr möglich, in dieser Weise zu arbeiten, bleibt doch der Auftrag, nun in der Schule Kindern und Jugendlichen von Gott zu erzählen, der sie liebevoll wahrnimmt, und von einer Kirche, in der die Gemeinschaft, die gemeinsame Verantwortung und nicht die Hierarchie im Vordergrund steht. Sie erfahren, dass ihre Meinung im Unterricht gefragt ist und sie selbst in biblischen Texten finden können, was ihnen Kraft gibt.

Dr. Monica von Ballestrem

7. „Auf Augenhöhe mit den Männern dieser Kirche, weil Gott es so will“ Womit soll ich anfangen? Nachdem mein berufliches Leben in dieser katholischen Kirche bald zu Ende gehen wird und meine „Berufungsgeschichte“ in weite Vorzeit zurückreicht, fällt es mir schwer, in Kürze zu schreiben, was mich ein Leben lang bewegt und angetrieben hat: meine Berufung als Frau in dieser Kirche zu finden und zu leben, und zwar auf Augenhöhe mit den Männern dieser Kirche, weil Gott es so will. Auch jetzt wieder Herzklopfen im Rückblick auf Jahrzehnte, vor allem auf meine Lebensmitte.

Vor etwa 20 Jahren bin ich einem Priestermönch begegnet, der sich einen „Alltagsmystiker“ nannte und mich mit seinen Briefen nach und nach in seinen Bann zog, weil er in meinen Worten eine große „Logos-Affinität“ und Berufung sah.

Ich war seit 15 Jahren mit J. verheiratet, einem Bolivianer in Deutschland. Wir hatten drei Kinder, waren gute Eltern und liebten unsere Kinder sehr. Er ging seinem Beruf als Ingenieur nach. Ich nahm, nach einer Familienpause und viel Ehrenamt in der Kirchengemeinde (Frauengemeinschaft, Krabbelgruppe, Familiengottesdienste, Ökumenischer Arbeitskreis, 1-Welt-Arbeit, Kommunionhelferin, Katechetin …), zunächst als Religionslehrerin meine Arbeit wieder auf. Dabei fiel es nicht so auf, dass unsere Ehe für mich nicht unbedingt die Erfüllung war. Zwar hatte ich lange gezögert, dem Werben „meines“ Mannes nachzugeben, aber mit 28 Jahren schien für mich damals die Zeit gekommen, eine Entscheidung „für’s Leben“ zu fällen … wobei meine depressive Stimmung in den sogenannten Flitterwochen schon auch eine deutliche Sprache sprach. Es fühlte sich immer wieder falsch an zwischen uns. Aber ich schob die fehlende Nähe auf den Unterschied in unserer Herkunft und Mentalität. Da J. mein erster und einziger Mann war, hatte ich keine Vergleichsmöglichkeit zu anderen Beziehungen.

Eine erste „Berufungsgeschichte“ gab es für mich bei der Eröffnung des Jugendkonzils im August 1974 in Taizé. Mit einer Freundin und per Fahrrad war ich nach meinem Abitur dorthin gefahren. Die Wirkung, die das Erleben dieser weiten Kirche, der Communauté und von Frère Roger auf mich und meinen Glauben hatte, ist unbeschreiblich: „Gott zeltet in Taizé.“ Es ist noch heute meine spirituelle Heimat, in die es mich einmal jährlich zieht, meistens zu einer Schweigewoche. Wenn ich ein Mann gewesen wäre, hätte ich wohl Anschluss an diese Gemeinschaft gesucht. Die Suche nach einem entsprechenden Frauenorden blieb für mich ohne Ergebnis. Bei einem Abstecher in die Schweiz bin ich, nach einem kühlen Gespräch mit einer Ordensfrau, mitten in der Nacht in mein Auto gestiegen und davongefahren. Taizé war auch ausschlaggebend für meine Entscheidung, vom Staatsexamen zum Diplomstudium zu wechseln und in den Pastoralkurs zu gehen. Mein Theologiestudium hat mich wenig begeistert. Die Art und Weise, wie die Professoren ihren Stoff darlegten, sprach mich nicht an. Ich habe oft geschwänzt und nur für die Prüfungen gelernt. Anders meine Begeisterung für die Jugendarbeit, die ich seit dem 14. Lebensjahr in meinem Heimatdorf aufgebaut hatte und fortsetzte, oder auch meine engagierte Teilnahme an der „Stadtgruppe“ während des Studiums, in der es für uns Studentinnen wöchentlich die Möglichkeit gab, in einen spirituellen Austausch mit den Seminaristen und deren Regens zu kommen. Ich habe immer das tiefgehende, theologische Gespräch gesucht, bei dem ich meine eigenen Glaubens- und Gotteserfahrungen einbringen konnte. Dieser Austausch war für mich stets eine Lebensquelle und tiefe Freude.

Die Pastoralkurszeit sagte mir mehr zu, weil es darin Fächer wie Pastoralpsychologie, Predigtausbildung oder auch praktische Seelsorge bei „Schulendtagen“ gab. Ich hatte schon meine erste Stelle als Pastoralreferentin, als ich zum ersten Mal das Buch einer feministischen „Theologin“ in den Händen hielt: „Die perlmutterne Mönchin“. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass diese „Frauentheologie“ es gewesen wäre, die mich interessiert und die ich gerne studiert hätte. Ich bedauerte diese späte Einsicht und meine „Dummheit“ zutiefst.

Mit der ersten Schwangerschaft gab ich meinen geliebten Beruf als Pastoralreferentin auf und zog wegen der Arbeitsstelle meines Mannes in eine andere Diözese.

Mein Weg war gepflastert mit Priestern, die entweder alkoholkrank oder psychisch krank waren, mit ihrer Homosexualität nicht zurechtkamen oder im Konkubinat lebten oder – das Schlimmste – Kinder missbraucht haben. Wie furchtbar mich das ganz persönlich betraf, habe ich erst später im Rahmen meiner Scheidung erfahren. Mein Mann war schon lange zuvor bei uns ausgezogen. Ich blieb als Alleinerziehende mit den heranwachsenden Kindern zurück.

Zwischenzeitlich hatte ich eine Zusatzausbildung im Bereich Beratung begonnen und wieder eine Stelle als Pastoralreferentin angenommen.

Vielleicht war das eines der guten Ergebnisse der Krise meiner Lebensmitte und der „Liebesgeschichte“ mit dem Priestermönch, die vor allem eine innere Berufungsgeschichte zwischen meinem Gott und mir wurde. Immer ist es die Liebe, die uns zu Gott führen kann.

Das Drängen des Mannes „Jede Liebe muss leibhaftig sein!“ erzeugte in mir einen großen, inneren Zwiespalt bis hin zu dem Gedanken, nochmals ein Kind zur Welt bringen zu müssen.

„Kann eine Frau zwei Männer lieben?“ Diese Frage mutete ich meinem damaligen Ehemann zu. Ich blieb bei ihm und unseren Kindern und focht diesen Kampf in meinem Innersten aus … über Jahre … Es gab ja niemanden, dem ich diese verrückten Gedanken hätte zumuten können. Tausend Tagebuchseiten liegen oben auf dem Speicher … ich habe sie nicht mehr angesehen. Ich weiß nur, dass ich dieses Erleben im Nachhinein als „Geburt des göttlichen Kindes“ in meiner Lebensmitte bezeichnen kann. Eine schwere Geburt, und mein Kind war die Einsicht, berufen zu sein als „Priesterin“.

Im Gegenüber eines geliebten Menschen, bei mir dieser „Priestermönch“, entdecken wir – sagt die Psychologie – die ungelebten Seiten in uns selber, die gelebt werden möchten. Der mir versagte Weg zum Priestertum der Frau hat mich an den Rand gebracht und in die tiefsten Tiefen meines Unbewussten gestoßen. Das Amts- und Machtsystem unserer Kirche, der mir verwehrte Berufungsweg mit seiner Missachtung der Frau, letztendlich auch eine Missachtung des Mannes, hat mich nahe ans „Missbraucht-Werden“ – und ans darüber krank an Leib und Seele Werden – geführt. So nahe, wie ich es nie vermutet hätte. Vielleicht sogar mitten hinein. Denn dieser intensive Briefkontakt mit dem Priestermönch und alles, was er angestoßen hat, bedeutete den Anfang vom Ende meiner „Ehe“. Nach 33 Ehejahren habe ich die Scheidung eingereicht, zunächst weil ich Angst um meine Existenz haben musste. In diesem Zusammenhang hat mir J. in wenigen Sätzen entgegengeschleudert, was er sich wohl in all unseren gemeinsamen Jahren nicht getraut und wofür er sich geschämt hatte.

Er war damals in Bolivien, als 12-jähriger Junge vom Land, in einem katholischen Internat. Der Leiter, ein deutscher Priester, war homosexuell und hätte mit den Jungen „geduscht“. Dieser Satz fiel schon einmal nebenbei in unserer Ehe, ich hatte ihn aber in meiner Naivität über das, was möglich ist oder nicht, verdrängt. Es war dieser Priester, der „meinem“ Mann eine Lehrstelle in Deutschland vermittelt hatte, Jahre später mit ihm ein Doppelzimmer auf einer Romreise buchte, dann unser Trauzeuge wurde, uns zu sich ins Pfarrhaus einlud, zum Priesterjubiläum oder in die Seniorenresidenz, in der er untergebracht war … Bei meinem Ehemann gab es also eine Abhängigkeit durch Macht- und Kindesmissbrauch, die mir gegenüber nie ausgesprochen oder je therapeutisch bearbeitet wurde. Ich war entsetzt, auch über meine eigene Blindheit, und fühlte mich verwoben in die schlimmsten Missbrauchsgeschichten meiner Kirche … Die Scheidung, aufgrund meiner gut katholischen Erziehung ein schier undenkbarer Schritt, blieb der einzig wahrhaftige Weg. Ich wollte „meinen“ Mann freigeben … Auch das kann Liebe sein.

Das Bitterste für mich aber bleibt das psychische Leiden meiner Tochter: In ihrer Vorstellungswelt geht es um Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Was will sie mir und uns damit sagen? Das unschuldige Leiden eines Kindes ist es, das mir nachgeht, nicht meine eigenen schweren Erkrankungen, die es durchaus gab.

Kaum jemandem erzähle ich davon, auch nicht in meinen Gemeinden. Schon gar nicht meinen Dienstvorgesetzten, den Priestern der letzten Jahrzehnte, die in mir wohl nur eine gefährliche Konkurrentin sehen, die ihnen ihre Macht nehmen will. Mir scheint, es ist ihre eigene Schwäche, mit der sie mich kleinhalten oder rausmobben wollen. Aber: Es gibt mich noch in dieser katholischen Kirche! „Sólo Dios basta!“ sagt die große Teresa. Ein kontemplatives Leben und das innere Jesus-Gebet sind meine Stütze. Auch kfd- und KDFB-Frauen und zwei, drei Priester, denen ich vertrauen kann. Nicht zuletzt die Menschen in meinen Gemeinden, in der Frauenarbeit, im Beerdigungsdienst, in den Gemeindeteams. Mein Engagement in dieser Kirche lässt mich leiden, aber es hält mich auch am Leben. Gerne und bewusst trage ich meine Albe, das weiße Gewand, das an meine Taufe erinnert und daran, dass ich „Christus angezogen habe“ (vgl. Gal 3,27). Und ich spüre eine tiefe Freude, wenn einfache Menschen zu mir sagen: „Ich möchte von Ihnen beerdigt werden!“ oder auch „Heute waren Sie unsere Priesterin!“

Anon.

8. „Für mich ist Berufung nichts, was ich ‚habe‘“ Ich bin Jahrgang 1969, aufgewachsen in einer katholischen Familie, in Bindung an eine norddeutsche Diasporagemeinde mit fortschrittlich denkenden Pfarrern. Durch bis heute für mich ungeklärte Erfahrungen und Gefühle wollte ich nach der Erstkommunion und Erstbeichte nicht mehr zur Kirche gehen. Es war nie zu klären, ob es irgendeine Form von Missbrauch war oder was mich als 10-Jährige so sehr verstört hat, dass ich immer in der Kirche weinen musste und dann schon allein deswegen nicht mehr dort hingehen wollte. Sieben Jahre habe ich den Kontakt verweigert, was als Kind/ Jugendliche eine schwierige Sache in meiner Familie war. Aber Gott war bei allem auf seine Weise weiter da. Und dann gab es viele einzelne kleine Dinge, Fragen, Ereignisse und ich habe „Ja“ gesagt. Mit 17 war ich