Weisheit im Buschtaxi - Rainer Lienemann - E-Book

Weisheit im Buschtaxi E-Book

Rainer Lienemann

4,7

Beschreibung

"Ich trinke einen Tee im Café de Paris und beobachte die Leute. Am Nebentisch sitzen drei Russen. Nach einiger Zeit zahlen sie und verlassen das Lokal. Am Ausgang werden sie von den wartenden Bettlern angesprochen, angefasst und einem wird dabei die Brieftasche aus der Hose gezogen. Er merkt dies, ergreift die Hand des Diebes, nimmt das Portemonnaie und ruft laut nach der Polizei. Sofort ist auch ein Polizist da, packt mit der einen Hand den Bettler, mit der anderen das Portemonnaie, hält ein Taxi an, steigt mit dem Dieb ein, ruft noch "Commissariat!", und weg ist das Taxi mit Polizist, Dieb und Portemonnaie. Die Russen staunen." Als "Toubab" (Weißer) unterwegs im Senegal: Seine Reiseeindrücke und -erlebnisse auf einem Dutzend Senegalreisen beschreibt der Autor in kurzen, anschaulichen Porträts von Menschen, Orten und Situationen.

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"In den heißen Ländern brennt die Sonne freilich anders als bei uns. Die Leute werden ganz mahagonibraun, ja, in den allerheißesten Ländern brennen sie gar zu Mohren. Aber es war nur zu den heißen, wohin ein gelehrter Mann aus den kalten Ländern gekommen war. Der glaubte nun, dass er dort umherlaufen könne wie zu Hause; aber das gewöhnte er sich bald ab. (...)" H.C.Andersen, Der Schatten

Rainer Lienemann, Jahrgang 1950, läuft seit 1991 im Senegal und in angrenzenden Ländern herum, stellt in Lesungen seine Reiseerlebnisse dar und informiert auf der Internetseite www.bonjourtoubab.de über Land und Leute sowie deutsche Hilfsvereine im Senegal.

Kontakt: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Dakar

Ankunft I

Ankunft II

Tricks I

Deutsche Sandalen

Tricks II

Cheikhs Schneider

Tricks III

Das „Café de Paris“

Nadila

Mamadou: Der Vogelhändler

Unterwegs

Pompiers

Unterwegs I

Unterwegs II: Panne

Unterwegs nach Norden (über Farafenni)

Unterwegs nach Norden (über Banjul)

„Nur 2 bis 3 Stunden“

Weisheit im Buschtaxi

Verdacht

Mamadou: An der Grenze bei Seleti

Hier und dort

Casamance

Strandspaziergang in der Casamance

Mit Hund

Marsassoum

Tivaouane

Besuch beim Heiler

A very small price

Der Elefant von Mbissel

Fischen mit dem Wurfnetz

Eine traditionelle Hochzeit

Tabaski in Diakhao

Mamadou: Die Entschädigung

Bildkommentare

Hilfe, Hilfe!

Hilfe, Projekte! I

Hilfe, Projekte! II

Besuch beim Patenkind

Altbatterien

Mamadou: „Monsieur Projet“

Menschen

Cheikh Diop, Deutschlehrer

Lamine, Grundschullehrer

Père Joe

Rama, Barfrau

Malamin, Batiklehrer

Marie Ba muss heiraten

Matthieu

Eine Familie im Senegal

Mamadou: Bitte anrufen

Eindrücke

Toiletten

Parce que

Spiele

Strandkrebse

Alleinsein

Hospitation

Maison Impluvium

Verbuscht

Die letzte Dusche

Mamadou: Warten auf die nächste Gelegenheit

Erläuterungen

Literaturhinweise

Karte

Vorwort

Zum ersten Male reiste ich 1991 in den Senegal. Damals interessierte ich mich für afrikanischen Tanz und afrikanisches Trommeln und hatte in Deutschland einige entsprechende Workshops besucht.

Der senegalesische Tanzlehrer, bei dem ich mehrere Kurse mitgemacht hatte, bot zum Jahresende 1991 in seinem Heimatland einen weiteren Kurs an. Ich hatte mir ein halbes Jahr Auszeit an der Schule genommen und entschied mich dafür, diesen Kurs mitzumachen und zugleich das Land näher kennenzulernen.

Vor und besonders nach dem Tanz- und Trommelkurs reiste ich auf eigene Faust im Lande umher, lernte Menschen kennen, die Landschaft und etwas von der mir fremden Lebensweise. In den folgenden Jahren zog es mich immer wieder in den Senegal; einmal reiste ich über Mali, und von Gambia lernte ich auch etwas kennen. Wie ein Fieber erfasst mich spätestens nach zwei Jahren immer wieder der Wunsch, nach Afrika bzw. Senegal zu reisen, dem ich teils mit Freunden, teils allein etwa zwei Dutzend Mal nachgab. Zwischen einer Woche und zwei Monaten hielt ich mich an den unterschiedlichsten Orten auf, oft in Begleitung meines Freundes Cheikh Diop, eines senegalesischen Deutschlehrers. Ihn lernte ich auf der ersten Reise kennen und mit ihm verbindet mich seitdem eine herzliche Freundschaft. Ich verdanke ihm einen vertieften Zugang zu den Menschen und zur Kultur im Senegal. Merci, Cheikh! Dieses Buch möchte ich dir und unserer Freundschaft widmen. Dank an Irmelin Sansen und meine Liebste Marlies für die Durchsicht der Texte und die Aufdeckung von Fehlern und Ungereimtheiten. Vielen Dank an Thomas Uhlig für die Covergestaltung. Dank an Martin Hennig, dessen Erlebnisse ich hier mitverwenden durfte. Und Dank an Lamine, Ouleye, Matthieu und andere, die in vielen Gesprächen offen über sich und ihre Lebensumstände erzählt haben.

Die Texte entstanden in der Zeit von 1991 bis 2008, die älteren Texte sind in Einzelheiten heute vielleicht nicht mehr zutreffend (der Craft Market von Brikama z. B. ist in neue, unattraktive Gebäude am Ortsrand verlegt worden, das Café de Paris seit Ende der 90er Jahre verschwunden). Namen von Personen und Orten sind zum Teil geändert. Die mit Mamadou überschriebenen Texte geben aus der Sicht eines fiktiven Senegalesen wieder, was ich von verschiedenen Einheimischen erzählt bekommen habe und was sich eher in dieser Art direkter Rede oder Ich-Erzählweise wiedergeben lässt. Mit einem * versehene Begriffe werden am Ende des Buches erläutert. Einzelne der angegebenen Internetquellen sind nicht mehr aufzufinden; auf der Seite www.bonjourtoubab.de/weisheit.htm sind einige der Quellentexte zugänglich gemacht.

Dakar

Ankunft I

Dakar kann für den westlichen Reisenden anstrengend sein, besonders wenn er zum ersten Mal in Afrika ist und seine Erfahrungen in der trubeligen Hauptstadt auf eigene Faust machen will.

Es beginnt am Flughafen(1), wo Dutzende von engagierten Helfern den frisch Angekommenen in Empfang nehmen und ihm eine sehr günstige Fahrgelegenheit in die Stadt verschaffen wollen. Schon will dir jemand freundlich, aber bestimmt das Gepäck aus der Hand nehmen, und du musst hinterhergehen zu einem der wartenden Taxis, das dich zu einem überhöhten Preis zu deinem Ziel bringen wird. Dass du kein Kleingeld hast, vielleicht noch gar kein senegalesisches Geld, macht nichts, der Fahrer nimmt auch Euros an, leider kann er auf den Schein nicht passend herausgeben ... (2)

Besser ist es, man wird von Freunden am Flughafen abgeholt und verbringt auch die ersten Tage in Dakar in Begleitung. Dann bleiben dem Neuankömmling stressige und verwirrende Situationen erspart und er kann sich langsam auf die Eigenheiten der Menschen und die Besonderheiten der Hauptstadt einstellen. Meine ersten Erfahrungen habe ich als Alleinreisender bzw. in Begleitung eines weißen Freundes gemacht. Dadurch ergaben sich einige eigenartige Situationen, die, wie ich in Gesprächen mit anderen weißen Reisenden erfahren konnte, nicht untypisch für die Erlebnisse frisch aus Europa eingetroffener weißer (Einzel-) Reisender waren. Sie sind aber nur in diesem Sinne bezeichnend und sollen beim Leser kein schiefes Bild der Hauptstadt und ihrer Bewohner erzeugen; Dakar hat viele Gesichter, auch viele angenehme, wie ich nach und nach erleben konnte. –

Dem frisch Angekommenen in der westafrikanischen Metropole ist dies in der Regel anzusehen, die weiße Haut ist noch unberührt von der senegalesischen Sonne, das Verhalten zeigt eine gewisse Unsicherheit, die Bereitschaft, auf eine freundliche Anrede zu reagieren, ist noch ungebrochen. Das teilt sich denjenigen Senegalesen mit, die auf den Straßen des Zentrums ihren Lebensunterhalt im Kontakt mit den Weißen verdienen. Das sind vor allem die Bettler und die vielen Straßenhändler, die ihre unterschiedlichsten Waren geduldig immer wieder anbieten und sich so leicht nicht abschütteln lassen.

In den letzten Jahren hat sich viel getan in Dakar: die meisten der alten Autos sind verschwunden, doch Staus und Luftverschmutzung haben zugenommen. Es wird im gesamten Peripheriebereich viel gebaut, vor allem entlang der Strecke zum neuen Flughafen bei Diamnadio, der wohl bald in Betrieb genommen wird. Im Zentrum herrschen Glas und Stahl vor, in den Schaufenster die westlichen Waren. Insofern gleicht sich die Hauptstadt anderen Großstädten an, wird gesichtsloser und verliert Besonderheiten.

(1) Der Flughafen in Dakar liegt nach einem Ranking der US-Zeitschrift „Foreign Policy" auf Platz eins der fünf schlimmsten Flughäfen der Welt.

(2) Zwei treffende Beschreibungen von Ankunftserlebnissen weißer Reisender in Afrika findet man in den folgenden Romanen: Henning Mankell, Das Auge des Leoparden S.29-38 Richard Dooling, Grab des weißen Mannes S.62-64

Ankunft II

Eine ältere Schweizerin hat sich im Gästehaus von Karl und Rosi angemeldet, sie kommt am späten Abend mit dem Flieger an und soll von Karl abgeholt werden. Die Parkmöglichkeiten am Flughafen sind begrenzt, unübersichtlich und kostenpflichtig. Karl ist zudem spät dran, parkt irgendwo, ist 20 Schritte vom Auto weg, als er von einem Polizisten angehalten wird und diesen zur Zahlung des Strafgeldes kurz zur Brigade neben dem Flughafengebäude begleiten soll. Das zieht sich aber hin, das Flugzeug ist inzwischen gelandet; die Schweizerin, zum ersten Mal in Dakar, kommt aus dem Gepäck- und Zollbereich ins Freie und trifft auf eine Unzahl von hilfsbereiten Menschen, die sich um sie und ihr Gepäck bemühen. Sie kennt Karl nicht persönlich. Es gelingt zwei jungen Schwarzen, sich ihr als Abholkomitee des Gästehauses vorzustellen, sie in ihren Wagen zu verfrachten und loszufahren. Aus dem Wagen ruft sie gleich Rosi an, um ihr die Ankunft mitzuteilen. Rosi ist beunruhigt, erklärt nicht viel, sondern bittet sie dringend, sich an der nahen Tankstelle am Flughafen absetzen zu lassen und dort zu warten. Sie dirigiert per Handy ihren Mann dorthin, der inzwischen die Strafgebühr bezahlt hat und vergeblich am Flughafenausgang wartet.

Die Jungs begrüßen ihn freundlich mit "Hallo Karl!", denn diese wie andere Informationen haben sie im lockeren Gespräch mit der Schweizerin herausgefiltert. Sie bestehen auf der Weiterfahrt mit dem Fahrgast und geben erst nach, als Karl mit der Polizei droht.

Tricks I

Zwei junge Männer kommen von der anderen Straßenseite, etwa 30 Meter vor mir, auf mich zu. Auch ohne konzentriert darauf zu achten, bekomme ich mittlerweile mit, wenn sich hier in Dakar eine irgendwie unangenehme Situation anbahnt. Und wenn zwei junge Männer in einiger Entfernung die Straße wechseln, in meine Richtung kommen, einer ein Stück Papier auf der Hand mit einem Warenangebot, werde ich aufmerksam. Ich habe keine Lust meinerseits die Straße zu wechseln und erwarte den Lauf der Dinge, den ich zu kennen meine.

"Monsieur, bonjour, wie geht es Ihnen?" werde ich angesprochen. "Es geht", erwidere ich den üblichen Gruß ohne stehen zu bleiben, worauf die beiden, links und rechts von mir, in meine Richtung mitgehen. "Schauen Sie, ein schöner Armreif. Möchten Sie ihn nicht mal anprobieren?" Er hält mir das Papier hin, auf dem sich drei Armreifen befinden, aus Kupfer, mit eingearbeiteter Kaurimuschel, wie man sie oft hier sieht. "Nein danke", sage ich, und weiß, dass ich die Hemdtaschen zugeknöpft, nichts in den Hosentaschen und auch keine Armbanduhr oder Schmuck an mir habe. Denn der Trick beruht darauf, durch Ablenkung der Aufmerksamkeit, behinderte Sichtmöglichkeit und möglichst noch einen kleinen Rempler eine Situation zu schaffen, in der mit Geschick in die Taschen des Opfers gegriffen werden kann. So habe ich es mehrfach im Zentrum von Dakar erlebt.

Da werde ich auch schon von rechts ein wenig geschubst, "Pardon", murmelt der junge Mann, mit seinem Kollegen an der linken Seite bekomme ich Körperkontakt, spüre seine tastende Hand an meinem Körper, bin mit einem Schritt zurück außerhalb des Zugriffsbereichs und sage, es tue mir leid, ich hätte heute weder Geld noch sonst irgendetwas Interessantes bei mir. Die Jungen schauen etwas verdutzt, versuchen noch einmal, ihren Verkaufsvorwand anzubringen und sich mir zu nähern, ich zeige ihnen freundlich meine leeren Hosentaschen, sage auf Wolof, "amul xalis", hab' kein Geld, was sie zwar nicht glauben, aber mit einem Grinsen zur Kenntnis nehmen. "Kein Problem", meint der eine freundlich, dann wenden sie sich zögernd von mir ab. – Sich in einer solchen Situation zu empören, laut oder aggressiv zu werden, bringt nichts. Oft haben die Trickdiebe Kumpel in der Nähe, "Blitzableiter" gewissermaßen, die dann verständnisvoll und beschwichtigend eingreifen, die Klage des Opfers anhören, aber deutlich machen, es sei ja nichts Schlimmes passiert, man könne ja froh sein, die Jungs seien harmlos, die Polizei zu holen nütze nichts usw.

Als ich einem solchen "Blitzableiter" gegenüberstand und er mit den selben Worten wie ein anderer beim letzten Mal mich zu beruhigen versuchte, mir dabei auf den Arm klopfte, hatte ich den Eindruck, dass dies der geeignete Augenblick wäre, die echte Abzocke durchzuziehen ...

Bei meinem zweiten Aufenthalt in Dakar wurde ich innerhalb von zwei Tagen dreimal so oder ähnlich angegangen. Einmal hatte der freundliche junge Mann schon meine Armbanduhr in der Hand, die er nach meinem unsanften Zugriff wieder loslassen musste, ein anderes Mal waren einige Briefmarken die Beute, die ich in die nicht zugeknöpfte Brusttasche gesteckt hatte, der dritte Trick war eben jener mit den Armreifen auf einem Stück Papier.

Ich hielt mich danach zwei Wochen im Landesinneren auf, wo man als weißer Reisender solche Probleme überhaupt nicht hat. Vor der Rückkehr nach Dakar und in Erwartung ähnlicher Situationen hatte ich aus Spaß einen kleinen Zettel geschrieben mit der französischen Verwünschung "Dass Gott dir die Hand abhacke, du Dieb!" Darunter setzte ich die gefälschte Unterschrift des senegalesischen Oberheiligen Amadou Bamba, des Gründers der einflussreichen islamischen Bruderschaft der Mouriden. Da würde jemand einen gehörigen Schrecken bekommen! Was der wohl denken würde? Hoffentlich konnte er überhaupt lesen! Voller grimmiger Vorfreude und mit dieser Botschaft in der unverschlossenen Brusttasche gehe ich am nächsten Tag durch Dakar und warte ungeduldig auf einschlägige Annäherungen.

Was geschieht? Ich bleibe zwei Tage völlig unbehelligt, kein Trick- oder Taschendieb will etwas von mir wissen, selbst die üblichen dreisten Verkäufer sprechen mich viel seltener an. Ich flaniere abends lange durch die für die Kleinkriminellen idealen Seitengassen des Zentrums, will unbedingt meinen Zettel an den Mann bringen. Keine Chance, es ergibt sich diesmal nicht der Ansatz der erwünschten unerwünschten Begegnung. Schließlich gebe ich auf und setzte mich enttäuscht ins Café de Paris. Bei einem Bier zolle ich der Macht Amadou Bambas Respekt und nehme mir vor, diesen Zettel für die nächste Senegalreise sorgfältig aufzubewahren.

Deutsche Sandalen

Wieder hatte mich ein junger Mann angesprochen, wieder war ich auf ein Gesprächsangebot eingegangen in den anstrengenden ersten Tagen in Dakar. Die Skepsis, die sich nach einigen Begegnungen mit den zahlreichen, oft aufdringlichen Straßenhändlern gebildet hatte, wich einer Überraschung, da dieser junge Schwarze mir anscheinend nichts verkaufen wollte. Wir kamen über dies und das ins Gespräch. Welch schöne Sandalen ich hätte, meinte mein Begleiter nach kurzer Zeit. Ob ich ihm nicht das Paar verkaufen könne? Sein Vater sei Schuhmacher und brauche unbedingt ein Paar dieser hervorragenden deutschen Sandalen als Modell. Ich wisse ja gar nicht, wie gefragt die hier seien. Da war sie wieder, meine Skepsis, und er sah sie auf meinem Gesicht. Nein, wirklich, sein Vater würde mir für das Paar 70.-, nein, sogar 100.- Mark bieten. Es sei auch gar nicht weit zur Werkstatt seines Vaters, gleich hier um die Ecke ...

Je begeisterter er sprach, desto skeptischer wurde ich. Hundert Mark für diese abgelaufenen Sandalen, die gerade die Hälfte gekostet hatten, und das hier, wo 100.- Mark ein kleines Vermögen waren? Der Redefluss, mit dem der junge Mann auf meine Zurückhaltung reagierte, verstärkte diese nur noch. Verwundert und ungläubig nahm Mamadou, so hatte er sich zwischendurch vorgestellt, meine Weigerung auf, gleich jetzt mit ihm zur Quelle dieses unverhofften Reichtums zu gehen. Ich muss gestehen, dass ich einen Moment tatsächlich dachte, wie jetzt schnell 100.- Mark zu machen wären. Gleichzeitig konnte ich mir gut vorstellen, wie sich die Situation in der Werkstatt des Vaters ganz anders darstellen würde. Ich stellte mir lebhaft das Staunen des Vaters, aller Mitarbeiter und Anwesenden vor über dieses Missverständnis meinerseits, über meine plötzliche Weigerung, seine aus Elefantenhaut handgeschnitzten Sandalen mit Goldverzierung nicht mehr für den Spottpreis von 100.-Mark kaufen zu wollen, wie ich es doch eben noch seinem Sohn, der dazu eifrig mit dem Kopf nicken würde, zugesagt hätte. Und wie ich unter dem Druck der Situation wenn schon nicht die hässlichen Sandalen, dann ein anderes, kleineres, aber ebenso überteuertes Teil aus dem Angebot kaufen würde. Eigentlich war ich ganz sicher, dort gleich um die Ecke alles andere vorzufinden als einen auf deutsche Sandalenwracks wartenden senegalesischen Schuhmachermeister. In einer anderen als der etwas gestressten Stimmung heute hätte die Neugier gesiegt, doch so ließ ich einen ungläubig blickenden Mamadou an jener Ecke zurück, an der es für einen sandalentragenden Weißen so einfach gewesen wäre, hundert Mark zu verdienen ...

Tricks II

Ich biege um die Ecke der Hauptpost in Dakar, schlängle mich durch eine Gruppe junger Männer, die müßig herumstehen, und hoffe, dass das Wechseln der Travellerschecks in der Bank einigermaßen zügig verlaufen wird.

Da höre ich eine Stimme hinter mir: "Monsieur! S'il vous plaît!" Die üblichen Verkaufsangebote erwartend, reagiere ich nicht, doch dann ist der junge Mann neben mir und beginnt mir eifrig zu erklären, was eben, unbeachtet von mir, passiert sei.

Als ich nämlich durch die dicht stehende Gruppe gegangen sei, hätte ich ihn angestoßen und da sei seine Ampulle mit der Medizin heruntergefallen und zerbrochen. Er sei gerade von der Apotheke gekommen, wo er sich immer das Medikament holen müsse. Es sei Interferon, ein teures Medikament, und er brauche es täglich. Und jetzt sei die Ampulle kaputt; er zeigt mir auf seiner Handfläche einige kleine Scherben: kaputtes Glas. Ich bin völlig überrascht, weiß nicht gleich, was ich sagen soll, tatsächlich hatte ich beim Passieren der Gruppe eine leichte Berührung mit einem der Männer; es ist fast unmöglich, im Gedränge nicht gelegentlich jemanden anzustoßen. Es war kein Stoß, und dass etwas heruntergefallen ist, hatte ich nicht bemerkt.

Der etwas abgerissen wirkende Mann von wenig mehr als 20 Jahren klingt ernst und spricht mit einen leicht jammernden Ton. Zwei, drei seiner Kollegen nähern sich aus dem Hintergrund, stellen sich dazu und geben ihrem Freund moralische Rückendeckung. Dieser wird sicherer und etwas fordernder im Ton und meint, ich hätte das sicher nicht gemerkt, aber es sei mir nun mal passiert und da er das Medikament brauche, müsse er sich ein neues kaufen und ich müsse die Kosten jetzt ersetzen. Er holt mit der anderen Hand ein zerknülltes Papier aus der Hosentasche, es hat Ähnlichkeit mit einem Rezept, und tatsächlich lese das Wort "Interferon" darauf.

Ich fühle mich unbehaglich, weiß immer noch nicht, wie ich die Situation einschätzen soll, die durch das weitere Dazustoßen von Kollegen des Geschädigten in dieser Seitenstraße allmählich etwas Bedrohliches bekommt. Medikamente seien in Afrika teuer, er habe AIDS und müsse darum dies Interferon haben, die Ampulle habe 10.000 CFA* gekostet, das sei viel Geld. Und er hält mir noch einmal das Papier als Beweis hin. Einige seiner Kollegen nicken zustimmend mit den Köpfen. Immer mehr ähnelt die Situation einem Überfall. Ich stehe in einer Gruppe von sechs oder mehr Schwarzen, auch hinter mir steht jemand; an ein Ignorieren der Forderung und beiläufiges Weggehen ist nicht mehr zu denken. Es ist auch klar, dass sich der Wahrheitsgehalt der Geschichte jetzt nicht klären lässt. Nur einen Moment lang denke ich daran, auf einer Überprüfung der Sachlage zu bestehen, die Polizei hinzuzuziehen, lasse aber den Gedanken schnell fahren. Also bleibt nur eins, die Forderung grundsätzlich zu akzeptieren und über die Höhe in der üblichen Weise zu verhandeln.

Ich beteure noch einmal, dass ich von einem Zusammenstoß nichts bemerkt hätte, was aber, wie ich den Reaktionen entnehme, bei der Gruppe der Zeugen nicht gut ankommt, und sage, dass der Preis für das Medikament sehr hoch sei. Da scheint sich die Atmosphäre etwas zu entspannen; wenn über Geld geredet wird, läuft das Gespräch wohl in die richtige Richtung. Ja, das sei hier teuer, meint mein Gesprächspartner, er könne mir aber etwas entgegenkommen, ich hätte das ja nicht mit Absicht getan, daher fordere er nicht den ganzen Betrag und sei auch mit 8000 CFA einverstanden. Wir sind deutlich auf der Ebene des Verhandelns angekommen, Entspannung ist spürbar, die Gruppe lockert sich schon etwas auf.

Ich weiß, dass ich einen 5000er-Schein in der Tasche habe, mehr als den will ich nicht einsetzen und pokere weiter. 8000 CFA seien immer noch viel, ich wisse wirklich nicht, ob ich der Verursacher gewesen sei, und außerdem sei ich gerade auf dem Weg zur Bank, da ich kein Geld mehr habe. Ich würde ihm aber meine letzten 5000 CFA geben, weil ich sehe, dass er wirklich in eine Notlage geraten sei. Das sei aber alles, mehr könne ich nicht für ihn tun, und damit ziehe ich den 5000er-Schein aus der Tasche und zeige ihn dem Mann. Der Schein stimmt mein Gegenüber versöhnlich. Er zögert kurz, meint, es werde schon irgendwie gehen. Dann nimmt er das Geld, gibt mir noch mit einem freundlichen "Merci" die Hand und entfernt sich mit seinen Kollegen wieder Richtung Postgebäude.

Die Bank ist am Nachmittag aus unerfindlichen Gründen geschlossen; ich gehe ins Café und mache mir so einige Gedanken über die gerade durchlebte Situation. –

Ein knappes Jahr später finde ich in einem Reisebericht im Internet exakt die gleiche Situation beschrieben, sehe meine Skepsis bestätigt, aber kann nicht anders als den phantasievollen Trick anzuerkennen, mit dem der Spitzbube mich und andere Toubabs hereingelegt hat.

Cheikhs Schneider

Es klang wie ein Entgegenkommen, als der Tanzlehrer Cheikh ankündigte, der Schneider werde morgen kommen, der Hausschneider, der den Wünschen der deutschen Tanzkurs-Teilnehmer gemäß die gekauften Stoffe zu afrikanischen Gewändern vernähen werde. Da er im Haus arbeite, stehe er jederzeit fürs Maßnehmen oder für Nähwünsche zur Verfügung. Und dass er so frühzeitig bestellt sei – der Tanzkurs hatte vor drei Tagen begonnen –, verhindere Engpässe, die sonst kurz vor Neujahr auftreten könnten.

Cheikhs Angebot wurde besonders von den Frauen bereitwillig angenommen, und der auf dem Markt preiswert erstandene Stoff mit den eigenen Schnittvorstellungen dem Schneider vorgelegt. Dieser versprach, zur Zufriedenheit der Kunden auf deren Wünsche einzugehen, behielt sich kleinere zusätzliche Gestaltungen afrikanischer Art vor und ließ sich vor allem nicht auf einen Preis festlegen. "Sie werden zufrieden sein", war sein Spruch. Sein Verhalten war ungewöhnlich; jeder Tourist lernt im Senegal bald, dass bei allen etwas größeren Geschäften der Preis immer vorher ausgehandelt wird.

Der Schneider arbeitete schnell und tatsächlich zur Zufriedenheit der Kunden. Das Lob, die Begeisterung der bei der Anprobe Anwesenden – inklusive Schneider und schwarzen Hausmitbewohnern – trugen dazu bei, diese Zufriedenheit herzustellen. Da fiel es anfangs nicht auf, dass die Preise für die Näharbeiten gar nicht so niedrig waren. Gut, man hatte mitbekommen, dass er einmal die halbe Nacht gearbeitet hatte, und es gab hier und da hinzugefügte aufwändige Dekorationen.

Bald zeigte sich jedoch, dass die Preise stiegen; und auf die ersten zaghaften Nachfragen und Einwände hin verwies der Schneider auf die Kundin, die gerade zuvor für die gleiche oder ähnliche Arbeit eben diesen Preis bezahlt hatte. Da der Meister der Nadel sich hierbei recht bestimmt und unnachgiebig zeigte, nahmen die weißen Kunden dies hin und zahlten die täglich steigenden Preise. Eigenartigerweise brachten auch die Frauen, die sich über die hohen Preise besonders beklagt hatten, weiterhin Stoffe und Arbeitsaufträge zum Meister, der bald mit seinen Preisforderungen bei 10.000 CFA lag, eine Summe, "für die mein türkischer Nachbar zu Hause die Arbeit auch gemacht hätte", wie eine kritische Teilnehmerin anmerkte. Es wurde auch deutlich, dass die meisten Arbeiten relativ einfach und deshalb schnell zu erledigen waren.

In dieser Phase – die letzten Teilnehmer brachten ihre ersten Aufträge, die ersten Kunden warteten auf die Fertigstellung ihrer zweiten – kam es zu Einwänden, die bestimmter vorgetragen wurden und teils auch erfolgreich waren: zwei Teilnehmerinnen bekamen sogar etwas Geld zurück. Doch nicht ein Kunde traute sich, mit seinem Nähauftrag zu einem anderen Schneider zu gehen, von denen es am nahen Markt mehrere gab, und sei es nur des Preisvergleiches wegen. Bis zuletzt wurde der Schneider mit Aufträgen bedacht, wobei die weißen Kunden ängstlich auf die Preisangabe warteten.

Durch Insiderinformationen stellte sich unter der Hand dann folgendes heraus: Der Schneider arbeitete mit Cheikhs Nähmaschine in Cheikhs Haus für eine durch Cheikh vermittelte zahlungskräftige Kundschaft. Dafür musste er Cheikh 50% des Umsatzes abgeben. Eigene Vergleiche mit den Preisen der Schneider am Markt ergaben schließlich, dass Cheikhs Schneider um etwa 300% über dem für die entsprechenden Arbeiten üblichen Satz lag.

Tricks III

Ich trinke einen Tee im Café de Paris und beobachte die Leute. Am Nebentisch sitzen drei Russen. Nach einiger Zeit zahlen sie und verlassen das Lokal. Am Ausgang werden sie von den wartenden Bettlern angesprochen, angefasst und einem wird dabei die Brieftasche aus der Hose gezogen. Er merkt dies, ergreift die Hand des Diebes, nimmt das Portemonnaie und ruft laut nach der Polizei. Seltsamerweise ist auch sofort ein Polizist da, packt mit der einen Hand den Bettler, mit der anderen das Portemonnaie, hält ein Taxi an, steigt mit dem Dieb ein, ruft noch "Commissariat!", und weg ist das Taxi mit Polizist, Dieb und Portemonnaie. Die Russen staunen.

Das "Café de Paris"

Das "Café de Paris" an der Avenue Ponty ist, wie das "Café Ponty" gegenüber, seit Anfang des neuen Jahrtausends verschwunden. Moderne Glasfassaden, dahinter gehobene westliche Waren, sind heute dort, wo das "Café de Paris" mit der geschützten Terrasse auf dem Gehweg eine Oase der Ruhe vornehmlich für weiße Besucher war. In der Hektik der vielbesuchten Avenue Ponty mit ihren ambulanten Händlern, Bettlern, Ständen, Geschäften und dem dichten Verkehr bot dieses Relikt aus vergangenen Zeiten dem gestressten weißen Besucher der Metropole für eine kurze Zeit Zuflucht.

Wenn man drinnen an einem der Tische auf der Terrasse saß, brandete das afrikanische Leben gegen die halbdurchsichtigen, bewachsenen Terrassengitter und kam als aufmerksamkeitsheischender Zischlaut oder "Monsieur! Monsieur!"-Ruf einzelner Händler ans Ohr, den man leicht überhören konnte. Die Schwelle war eine unsichtbare Grenze, über die sich kaum ein schwarzer Händler traute. Wer als Senegalese den Schritt ins "Café de Paris" doch wagte, musste damit rechnen, zuerst von einem der drei hässlichen Dackel, dann vom schwarzen Waiter, zuletzt von der ältlichen Besitzerin des Cafés selbst böse angeblafft zu werden. Die rassistischen Hunde konnten schwarze Gäste von Schuhputzern, Bettlern etc. nicht unterscheiden und schleppten, eilig herbeihumpelnd, ihre dicken Bäuche auf zu kurzen Beinen den schwarzen Zielobjekten entgegen, die sie kurzatmig drei-, viermal verbellten, um sich nach getaner Pflicht wieder in die Hundeecke im Hintergrund des Cafés zurückzutrollen.

Das "Café de Paris" mochte ich als Ruheort, an dem sich nach den notwendigen und anstrengenden Erledigungen im quirligen Zentrum gut ein Kaffee trinken und einige Zeilen schreiben ließen. Auch für Beobachtungen sowohl der anwesenden Gäste als auch der Vorgänge auf der Straße war das Etablissement geeignet, dessen bizarrer Eigenart man anmerkte, dass es die in die Jahre gekommene Besitzerin nicht überleben würde.

Ich lasse mir im "Café de Paris" die Sandalen putzen für zuerst 1000 CFA, dann fast für 100, schließlich für 300. Die ausgezogenen Sandalen werden mit einer Politur behandelt, die ihnen einen immer dunkleren Farbton gibt. Irgendwie war das so nicht vereinbart ... Der junge Mann redet in einem fort, weist wiederholt auf die abgelaufenen Sohlen hin, die er wohl auch putzen will, wienert und wienert, ist ernsthaft bei der Sache, ein Fachmann, keine Frage. Dann lobt er seine Politur, von der er noch einmal etwas aufträgt, und hat ein weiteres Fläschchen parat, das er mir tatsächlich zu einem guten Preis verkaufen will.

Ein Leprakranker mit bizarr verkrüppelten Gliedern überquert auf Händen und Knien die verkehrsreiche Straße, um zu seinem kümmerlichen Rollstuhl zu gelangen.

Vier Bettelkinder vor dem "Café de Paris" in hellen Sackkutten mit Kapuzen wirken wie Mini-Mönche, wie heimatferne Teilnehmer eines verlorenen Kinderkreuzzuges.

Die mit dem Leben und besonders den Männern zutiefst unzufriedene Besitzerin des "Café de Paris" liebt nur ihren Papagei und ihre drei Dackel. Die dicklichen Tiere bewegen sich ungelenk, haben einen mürrischen Gesichtsausdruck, bellen böse jeden Schwarzen an, der hereinkommt, und ähneln so enorm ihrer Besitzerin.

Aus einem langsam vorbeifahrenden Kleinbus schaut eine junge Schwarze munter ins "Café de Paris" herüber; unsere Blicke begegnen sich, sie ruft: "He, Toubab, Reeperbahn!"

Der Bauchladenhändler bietet mir vom Bürgersteig her in das Café hinein eine Schachtel Marlboro an. Ich schaue zu ihm hinüber und schüttle deutlich den Kopf. Er steckt die Schachtel zurück, sucht aus der gleichen Reihe zögernd eine andere Marlboro-Schachtel heraus und hält sie mit der gleichen Geste erwartungsvoll zu mir hin. Würde ich rauchen, würde ich ihm die Schachtel abkaufen, die er speziell für mich ausgesucht hat.

"Messié! Cadeau!?" flüstern die Kinder durchs Terrassengitter. Schüttle ich den Kopf, versuchen sie es mit "Cent francs?", dann mit "Cinquante francs?", "Vingt francs?" Sie bleiben noch eine kurze Zeit stehen, geben mir die Gelegenheit, meine Meinung zu ändern und ziehen dann ab. Selbst am Strand gestern, mit nichts