Weit weg von zu Hause der Liebe so nah. - Benjamin Kelm - E-Book

Weit weg von zu Hause der Liebe so nah. E-Book

Benjamin Kelm

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Beschreibung

"Ich stelle mich einfach auf den Times Square und schreie: HERE I AM!" Diese poetische Erzählung basiert auf wahren Begebenheiten, die Benjamin Kelm in New York City erlebt hat. Alle Begegnungen, Ereignisse und Momente wurden intensiviert und verdichtet, sodass sich eine Geschichte erzählt, die sich wie eine rasante Achterbahnfahrt durch "die Stadt, die niemals schläft" anfühlt. Mit allen Höhen und Tiefen. Aller Freude und Aufregung. Und dem Mut, sich auf ein ungewisses Abenteuer einzulassen. Die einzige Gewissheit ist, dass er seinen Traum leben darf, der ihm jedoch einiges abverlangt. Neben einem Einbruch, distanzlosen alten Männern oder der Überforderung durch das Großstadtleben sind es vor allem die Einsamkeit und das damit einhergehende Heimweh, die ihm seelisch zu schaffen machen. Er ist dabei, sich zu verlieren. Doch wenn es auch die Stadt ist, die ihn an diesen Punkt bringt, ist es auch New York, das ihn wieder zu sich finden lässt ...

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Seitenzahl: 114

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Benjamin Kelm

Weit weg von zu Hause

der Liebe so nah.

Erzählung

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in Der Deutschen Nationalbibliografie: detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 für diese Ausgabe by

Edition: prosaoratio

Alle Rechte vorbehalten.

editionWort – Schillstraße 83 – 66113 Saarbrücken

www.editionwortverlag.de | [email protected]

© Texte by Benjamin Kelm

© Lektorat by Bernd Leidinger

© Korrektorat by Bernd Leidinger & Vanessa Wagner

© Fotos New York by Benjamin Kelm

© Foto Benjamin Kelm – S. 116 by Petra Simon

© Covergestaltung by Michael Braun

© Satz & Layout by Luca I. Leidinger

Hergestellt in Deutschland

Druck & Vertrieb: BoD – Books on Demand, Norderstedt

Gedruckt auf 90g-Qualitätspapier

Schrift: Georgia

ISBN: 978-3-936554-41-0 (Paperback)

ISBN: 978-3-936554-53-3 (E-Book)

Für meine Freunde in New York, ihr seid nie vergessen.

Times Square

Inhalt

Vorwort9

Anreise11

U-Bahn15

Traum, darf ich bitten?23

NYC-Komplettpaket27

Der Duft von Burgern41

Big-Apple-Bekanntschaften 43

Club der stillen Denker53

Alles nur kein Date57

Audrey Munson63

Times Square69

Die stärkste Kraft77

Dunkle Tage79

Wohlbehütetes Deckennest93

Night Walk97

Manhattan Bridge109

Mein Festivalsommer113

Benjamin Kelm117

Danksagung119

Wohnzimmerlesung121

Union Square

Vorwort

Ich kann es kaum glauben, aber „Weit weg von zu Hause der Liebe so nah.“ ist nun endlich fertig!

Eine ganze Weile hat nicht mehr viel gefehlt. Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich das Weiterschreiben und die Fertigstellung ein wenig hinausgezögert.

Ich wollte meine Zeit in New York nicht abschließen, sondern weiter in ihr verweilen. Dadurch, dass ich die Worte aufs Papier brachte, war es so, als ob ich noch dort wäre. Als ob ich noch durch die Avenues laufen, mit der U-Bahn von einem Stadtteil in den nächsten fahren oder in einem Café sitzen würde, um diese Stadt und seine Bewohner mit offenem Herzen zu erleben.

Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich die richtigen Worte finde, um meine Erlebnisse und Eindrücke so einfangen zu können, wie sie es verdient haben. Doch mit guter Musik, einem großen Stück Kuchen und einem leckeren Kaffee habe ich mich heute gewagt und …

... meine Erzählung zu Ende geschrieben.

Die Worte kamen.

Ich bin sehr glücklich und erleichtert.

Ich habe meine Zeit in New York einfangen können.

Meine emotionale Achterbahnfahrt, Begegnungen mit Menschen, skurrile Geschichten, prägende Momente sowie die wichtigsten Orte für mich.

Es ist für mich eine Art Liebesbrief an New York und an alle Menschen geworden, die auch in dunklen Zeiten nie den Glauben an sich und ihre Träume verlieren.

Benjamin

„Hallo, darf ich dich was fragen?“

Ich rechne schon bei dieser ersten Frage mit

dem Schlimmsten. Aber natürlich sage ich ja.

„Ja, klar. Was denn?“

„Was hast du denn an deinem Laptop geschrieben?“

„Das ist Ihre Frage?“

„Ja, genau.“

aus: Alles nur kein Date S. 57

Anreise

Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das.

Während ich mir diese Worte sage, klopfe ich mit meinem rechten Zeigefinger in einem gleichmäßigen Rhythmus auf einen Punkt oberhalb meines rechten Auges. Dann direkt daneben. Dann auf den leeren Tränensack darunter.

Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Mein takthaltender Finger wandert zu meiner vertikalen Rinne zwischen Mund und Nase, dann zu meinem kleinen Grübchen am Kinn. Er klopft und klopft und klopft.

Das Schlagzeugsolo wird am Oberkörper mit der linken Hand unterhalb des Schlüsselbeines unterstützt, findet seinen Höhepunkt dort, wo sich der BH-Träger unter meiner Achsel um meinen Körper spannen, wenn ich denn einen tragen würde, und endet in einem filigranen Percussion-Solo seitlich meiner Fingernägel der linken Hand. Nur der Ringfinger wird übersprungen. Der darf nicht mitspielen. Er ist zu unmusikalisch.

Und dabei wiederhole ich wie ein Mantra die Worte immer wieder: Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Ich kann das. Dann atme ich einmal tief ein. Ich atme einmal tief aus und drücke auf Replay, sodass der einprägsame Ohrwurm mit dem bestärkenden Titel „Ich kann das“ wieder von vorne beginnt.

Ein zweites und drittes Mal.

Doch dann habe ich von dem Song mit einem befreienden, leichten Seufzer erst einmal genug. Ich fühle mich etwas besser, da brauche ich dieses Lied erst einmal nicht mehr.

Ja, ich merke nun, wie ich mich etwas besser fühle.

Sehr schön.

Jetzt, wo ich meine Nervosität wieder etwas unter Kontrolle habe, kann ich es Ihnen auch sagen: Es ist wahnsinnig aufregend zum ersten Mal in New York zu sein!

Vor allem, wenn man allein anreist. Hierherzieht. Studieren wird. Schauspiel. Und das in einer 8-Millionen-Metropole, in der ich vorher noch nie war. Ich komme aus Saarbrücken, da ist diese Stadt an der Ostküste schon eine etwas andere Hausnummer.

Verstehen Sie, was ich meine? Ich rede schließlich von fucking New York City!

Die Stadt, die ich nur aus Filmen kannte. Die Stadt, die immer so unerreichbar schien. Selbst in meinen Träumen. Und jetzt bin ich hier und kann mir vorstellen, wie sich Marco Polo gefühlt haben muss, als er unbekanntes Land entdeckt hat.

Bei meinem Abenteuer möchte ich Sie allerdings auf jeden Fall gleich von Beginn an mitnehmen, deswegen erzähle ich Ihnen noch kurz, wie meine Ankunft war.

Sie müssen wissen, vom Frankfurter Flughafen bin ich 7,5 Stunden über den Atlantik geflogen. Im Flugzeug habe ich nicht viel geschlafen. Nicht nur, weil ein Kind ständig mit seinen Kartoffelstampfern von hinten in meinen Sitz trat und seine Mutter wohl darüber froh war, dass sie ausnahmsweise mal nicht der Punchingball war. Sondern auch, weil ich nicht realisieren konnte, dass ich mich wortwörtlich auf dem Weg zu neuen Ufern befand.

Auf dem neuen Kontinent angekommen, stand ich erst einmal noch zwei Stunden bei der Passkontrolle im JFK Flughafen an. Was für ein Spaß.

Wenn Sie nicht schon mal selbst dort waren, haben Sie keine Ahnung, wie warm und stickig es in dieser Halle ist. Und man darf ja dort gar nichts. Nichts essen, nichts trinken, nicht am Handy spielen, nicht auf die Uhr schauen, nicht einmal popeln, nichts! Schon bei der kleinsten Bewegung mit dem Arm wird man – Don’t Move! – ermahnt.

Nur Zentimeter für Zentimeter für Zentimeter für Zentimeter meinem Vordermann folgend, bewegte ich mich fort, bis ich schließlich irgendwann total erschöpft und dehydriert an einem der vierzig Schalter ankam. Ich hatte schon gehofft, dass ich von dieser netten Dame, die sich nur noch wenige Meter von mir entfernt befand, kontrolliert werden würde. Sie lächelte freundlich, sprach langsames Englisch, stellte kaum Fragen und drückte den Ankömmlingen dann gleich einen Einreisestempel in den Reisepass. Sie war definitiv meine Favoritin, hab ja alle Beamte lang genug heimlich beobachten können.

Ja, Pech gehabt.

Ich wurde natürlich kurz vorher abgefangen und zu einem kleinen, melonenförmigen, rosinenhäutigen, 108-jährigen Beamten geführt, der schwerhörig war und auch noch nuschelte. Herzlichen Glückwunsch.

„So, you are … Mr. Benjamin-Joachim Horst Kelm?“

„Yes, Sir.“

„What did you say?“

„Yes Sir!“

„Is this your first time here in the US?“

„Yes, Sir.“

„Do you think you are funny?“

Da musste ich meinen ganzen Mut zusammennehmen, über meinen Schatten springen und nachhaken, was er wirklich gefragt hat. Denn ich konnte mir schlecht vorstellen, dass er wissen wollte, ob ich lustig bin.

„Excuse me, Sir, can you say it again?“

„Do you have money?“

Das machte schon mehr Sinn.

„Yes, Sir.“

„How much do you have with you?“

„I have 50 Dollars –“, er unterbrach mich.

„You won’t get far with this young man.“

„I know. I also have a credit card –“

„Don’t interrupt me!“

Das tat ich zwar nicht, aber gut.

„Sorry, Sir, I …“

Und so ging das noch ewig weiter.

Zum Glück schaue ich genug amerikanische Serien, um zu verstehen, dass es Beamte generell lieben, wenn man sie „Sir“ nennt. Dann fühlen sie sich wichtig. Erhaben. Mächtig.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ob das eventuell so ein Ding ist, weil sie sonst von ihren Partnern zu Hause oder von ihren Affären im Büro wie unterwürfige Meerschweinchen behandelt werden, ganz nach dem Motto „Oh ja, füttere mich! Füttere mich! Nein, streichele mich nicht zu doll, Gebieterin. Nein. Oh nein. Oh ja, fass mein verfilztes Fell an! Fass mich an!“

Na ja, ist auch egal.

Auf jeden Fall erhielt ich den ersehnten Stempel und durfte dann endlich meine beiden Füße auf „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ setzen.

Und ich würde sagen, schauen wir nun mal, wie hieb- und stichfest dieses Versprechen ist. Auch, ob sie wirklich so unbegrenzt sind, wie es Amerikaner gerne mit breitem Lächeln der Welt verkaufen.

U-Bahn

Inzwischen sitze ich auf einer der harten und unbequemen Sitzplastikschalen in der U-Bahn. In der Linie R. Im hintersten Wagon. Seit ungefähr fünf Minuten und mir wurde schon einiges geboten!

Ich durfte fast eine kleine, süße Messerstecherei zwischen zwei Kaugummi kauenden, Leopardenshorts tragenden Damen miterleben, hätte fast einen schwarz-weißen Sneaker in Größe 45 von einem Breakdancer mitten in die Fresse bekommen, der sich hier, vor mir, an dieser Stange, gehangelt, gedreht, getanzt hat?! Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Und ein langhaariger, vollschlanker Mann hat sich neben mir weiträumig übergeben.

Das Schöne ist ja, dass mit jedem Bremsen und Wiederlosfahren, die stinkende, braune Masse mit keksteigartigen Bröckchen immer ein kleines Stückchen näher zu mir kommt. Wenn ich sie mir genauer anschaue, bin ich mir ziemlich sicher, dass es Pizza ist. Oder besser gesagt, war. Mit Salami und Peperoni. Viel Käse. Eigentlich ja ganz lecker!

Auf jeden Fall war all das in dieser kurzen Zeit ein kleines bisschen zu viel für mich und durch die ganze Aufregung und durch die Reise und sowieso und überhaupt, klopf ich mir gerade ein bisschen Mut.

Falls Sie sich gefragt haben, was ich denn da am Anfang gemacht habe. Kennen Sie das? Nein?!

Dann erkläre ich es Ihnen gerne kurz. Das nennt sich „Klopfakupressur“.

Davon habe ich auch erst von einer guten Freundin erfahren, die in London lebt. Sophie. Übrigens, sie hat einen wunderbaren YouTube-Kanal, den Sie abonnieren sollten, „The Puzzle of Healing“, und in einem Video ist eine Expertin für Klopfakupressur zu sehen, die es erklärt. Im Grunde kann man – um mein neues nerdiges Fachwissen einzubringen – damit Ängste oder negative Gefühle wegklopfen, die sich belastend auf die Seele oder den Körper auswirken. Dafür gibt es bestimmte Stellen im Gesicht, am Oberkörper und an den Händen. Da befinden sich die Anfangs- und Endpunkte der Hauptmeridiane, Bahnen, durch die die Lebensenergie fließt. Diese Bahnen sind blockiert und durchs Klopfen werden sie wieder frei.

Da sind scheinbar so klitzekleine Energie-Nierensteine drin. Das hat allerdings nicht die Expertin gesagt, sondern ich. So kann ich mir das besser bildlich vorstellen. Auch wenn ich für solche Sachen eigentlich immer sehr empfänglich bin, dachte ich erst, ja, schauen wir mal und habe dann nach kurzem Zögern zum Video mitgeklopft. Und ich muss sagen, dass ich mich danach gleich viel besser gefühlt habe! Ganz im Ernst!

Ich war mehr geerdet, mehr mit mir verbunden und habe mein Selbstvertrauen in mir gespürt, mit dem ich nicht immer so im Einklang bin. Wir sind definitiv nicht das Yin zum Yang oder das Yang zum Yin. Oder Bonny zu Clyde oder die Strümpfe zu den Socken. Ach, Sie wissen schon, was ich meine.

Ja, und immer, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mir etwas nicht zutraue oder mir etwas zu viel wird, klopfe ich. So einfach ist das.

Wollen Sie es auch mal versuchen?

Ja, gut! Dann lassen Sie uns gemeinsam eine Runde klopfen. Einfach mitmachen. Also wenn Sie möchten. Hier gilt: Alles kann, nix muss.

Sie können Ihren eigenen Satz dafür verwenden oder einfach unisono meinen Satz mitsprechen, den ich jetzt im Augenblick brauche: Ich bin mutig.

Etwas, was wir uns vielleicht alle viel öfter sagen sollten. Oder nicht? Dann lassen Sie uns beginnen. Und wenn Sie noch etwas visuelle Unterstützung brauchen, suchen Sie „The Puzzle of Healing Klopfakupressur“ auf YouTube. Zusammen mit Sophie und Ulrike habe ich es auch zum ersten Mal gemacht. Also das Klopfen. Was dachten Sie denn. Sollten Sie diesen Teil nicht einfach überspringen, was ich auch verstehen kann, und gerade wirklich klopfen, kann ich Ihnen mit voller Überzeugung sagen, dass Sie es sehr gut machen. Sie machen das richtig gut, ohne Witz! Glauben Sie nicht?

Wie wäre es denn, wenn Sie einfach mal mein Kompliment annehmen. Sollten Sie damit Probleme haben, können Sie zur Unterstützung auch den Satz „Ich darf Komplimente annehmen!“ klopfen.

So, ich lasse Sie kurz in Ruhe. Denn ich bin nun auch noch einmal kurz Travis Barker, Schlagzeuger der Band Blink-182, und bearbeite meinen Körper mit den mir gegebenen natürlichen Schlagstöcken: Ich bin mutig. Ich bin mutig. Ich bin mutig. Ich bin mutig. Ich brauche keine Angst zu haben, ich bin mutig. Ich bin mutig. Ich bin mutig. Ich bin …

Ich, ich bin … Ähm, Moment.

Moment. Kann das wirklich sein?!

Wäre ich nun in einem schlechten Film, würde ich mir vor Verwunderung kräftig die Augen reiben, aber ich bin in der Realität und nicht verrückt.

Oder doch?!

Keine Ahnung, ob man vom zu vielen Klopfen anfängt zu halluzinieren, aber das ist doch Hagrid aus Harry Potter. Das ist doch Hagrid, der gerade in die U-Bahn eingestiegen ist. Es kann nur Hagrid sein! Er ist riesengroß, hat einen vollen Rauschebart und dichtes Rauschehaar. Seine Kleidung ist in seinen Brauntönen wunderbar aufeinander abgestimmt und findet ihre modische Vollendung in einem langen Ledermantel. Er ist einfach eine Modeikone. Das war er schon immer und wird es immer bleiben.

Und jetzt ist er hier, um mich zu finden, um mir die Einladung zu überreichen, um mir zu sagen, dass ich gar nicht Schauspiel studieren werde, sondern Zauberei! Ich raste aus.

Alter, wie geil ist das denn bitte, ich wusste es doch, dass ich kein Muggle bin!

„Hagrid?! Haaagrid?! Ich bin hier!!!“

Er hört mich nicht, aber das ist egal, denn er singt zur Begrüßung lautstark ein Lied für mich: