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Written in dialog form, Gerhard Gottschalk's book provides surprising insights into the amazing world of bacteria. These microorganisms have changed the Earth more than any other life form and turned it into an inhabitable planet. Did you know, for example, that the human body contains more bacteria cells than human ones? Or that in each animal and plant cell the remains of former symbiotic bacteria maintain the metabolism? But bacteria also have their negative aspects: they cause illnesses and produce the strongest toxins known to mankind.
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Seitenzahl: 389
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Prolog
Kapitel 1: Winzig klein, aber von sagenhafter Aktivität
Kapitel 2: Bakterien sind Lebewesen wie du und ich
Kapitel 3: Mein Name ist LUCA
Kapitel 4: Vom Urknall bis zu LUCA
Kapitel 5: O2
Kapitel 6: Leben in kochendem Wasser
Kapitel 7: Leben im Toten Meer
Kapitel 8: Bakterien und Archaeen sind allüberall
Kapitel 9: Das System Mensch – Mikrobe
Kapitel 10: Ohne Bakterien kein Eiweiß
Kapitel 11: Alessandro Voltas und George Washingtons brennbare Luft
Kapitel 12: Bakterien als Klimamacher
Kapitel 13: Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen
Kapitel 14: Eine Staatsgründung unter Beteiligung von Clostridium acetobutylicum
Kapitel 15: Pulque und Biosprit
Kapitel 16: Alles Käse, alles Essig
Kapitel 17: Napoleons Siegesgärten
Kapitel 18: Das periodische System der Bioelemente
Kapitel 19: Bakteriensex
Kapitel 20: Bakterien mit grippalem Infekt
Kapitel 21: Aus Mikroorganismen gegen Mikroorganismen
Kapitel 22: Plasmide, Speerspitzen der Bakterien
Kapitel 23: Agrobacterium tumefaciens, ein Gen-Ingenieur par excellence
Kapitel 24: Über Eco R1 und PCR
Kapitel 25: Zwischenbakterielle Beziehungen
Kapitel 26: Vom Nomadenleben zum Dasein als Endosymbiont
Kapitel 27: Bakterien als Produktionsanlagen
Kapitel 28: Pflanzen, Tiere und Menschen als Nährstoffressourcen der Bakterien
Kapitel 29: Unglaubliche Mikroben
Kapitel 30: Im Zeitalter der „-omics“
Epilog
Anhang: Infoboxen
Infoboxen zu Kapitel 2
Infoboxen zu Kapitel 8
Infobox zu Kapitel 11
Infobox zu Kapitel 15
Ausgewählte Literatur
Stichwortverzeichnis
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Autor
Prof. Dr. Gerhard Gottschalk
Georg-August-Universität
Institut für Mikrobiologie
und Genetik
Grisebachstraße 8
37077 Göttingen
1. Nachdruck 2010
Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung.
Bibliografische Information
der Deutschen Nationalbibliothek
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© 2009 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
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Umschlaggestaltung Adam-Design, Weinheim
Satz TypoDesign Hecker, Leimen
Druck betz-druck GmbH, Darmstadt
Bindung Litges & Dopf GmbH, Heppenheim
Print ISBN: 978-3-527-32520-7
ePDF ISBN: 978-3-527-67171-7
ePub ISBN: 978-3-527-67172-4
Mobi ISBN: 978-3-527-67173-1
Vorwort
Unzählige Diskussionen haben mir immer wieder deutlich gemacht, dass Bakterien für die meisten Menschen ein Buch mit sieben Siegeln sind. Natürlich, sie sind unsichtbar, sie erzeugen Krankheiten, sie sind an allerlei neuartigen Produktionsprozessen beteiligt, sie lassen sich leicht gentechnisch verändern. Da bleibt man am besten auf Distanz. Es würde auch eines gewissen Aufwandes bedürfen, wollte man in die Geheimnisse dieser Organismengruppe eindringen. Jedoch, dieser Aufwand lohnt sich. Bakterien sind in ihrer Vielfalt, in ihren Aktivitäten, in ihren Leistungen faszinierend. Und was die Stoffumsetzungen anbetrifft, so beherrschen sie unseren Planeten.
Dieses Buch soll Interesse wecken; es ist kein Lehrbuch und kein Roman; es sind 30 Essays, die nur zum Teil aufeinander aufbauen. So weit wie irgendwie möglich wurde auf Formeln und Gleichungen verzichtet. Der Text wurde geschrieben mit Blick auf ein Gegenüber, das nicht Fachfrau oder Fachmann, jedoch interessiert ist und das auch hin und wieder Fragen stellt. Diese Form wurde gewählt, damit beim Schreiben die Bodenhaftung nicht verloren geht. Viele Kapitel erhalten Authentizität und Glanz durch Statements von Kolleginnen und Kollegen, wofür ich besonders dankbar bin. Ich empfinde es als eine große Ehre, dass sie die einzelnen Kapitel durchlasen und diese in so überzeugender und wertvoller Weise ergänzten; es sind dies für Kapitel 1: Frank Mayer, Stade, Stefan Hell, Göttingen, für Kapitel 3: Ralph Wolfe, Urbana, Il, für Kapitel 4: Manfred Eigen, Göttingen, für Kapitel 5: Joachim Reitner, Göttingen, für Kapitel 6: Karl-Otto Stetter und Reinhard Sterner, Regensburg, für Kapitel 7: Aharon Oren, Jerusalem, Antje Boetius, Bremen, für Kapitel 8: Karl-Heinz Schleifer und Wolfgang Ludwig, München, Volker Müller, Frankfurt/M., Dieter Oesterhelt, Martinsried, Andrew A. Benson, Santa Barbara, CA, für Kapitel 9: Holger Brüggemann, Berlin, Michael Blaut, Potsdam, für Kapitel 10: Oliver Einsle, Göttingen, Alfred Pühler, Bielefeld, für Kapitel 11: Douglas Eveleigh, New Brunswick, Rolf Thauer, Marburg, für Kapitel 13: Bärbel Friedrich, Berlin, für Kapitel 14: Hubert Bahl, Rostock und Peter Dürre, Ulm, für Kapitel 16: Hermann Sahm, Jülich, für Kapitel 17: Gijs Kuenen, Delft, für Kapitel 18: Jan Remmer Andreesen, Halle, Hans Günter Schlegel, Göttingen, für Kapitel 19: Timothy Palzkill, Houston, TX, Beate Averhoff, Frankfurt/M., für Kapitel 24: Werner Arber, Basel, für Kapitel 25: Peter Greenberg, Seattle, WA, Anne Kemmling, Göttingen, für Kapitel 26: Eugene Rosenberg, Tel Aviv, für Kapitel 27: Klaus Peter Koller, Frankfurt/M., Karl-H. Maurer, Düsseldorf, Gregory Whited, Stanford, CA, Alexander Steinbüchel, Münster, Garabed Antranikian, Hamburg, für Kapitel 28: Stefan Kaufmann, Berlin, Jörg Hacker, Berlin, Werner Goebel, Würzburg, Julia Vorholt, Zürich, Ulla Bonas, Halle, für Kapitel 29: Bernhard Schink, Konstanz, Friedrich Widdel, Bremen, Koki Horikoshi, Tokyo, und für Kapitel 30: Claire Fraser-Liggett, Baltimore, MD, Michael Hecker, Greifswald, Rolf Daniel, Göttingen, Ruth Schmitz-Streit, Kiel, und Wolfgang Streit, Hamburg.
Bei der Erstellung des Manuskripts half mir Frau Daniela Dreykluft, wofür ich sehr dankbar bin. Besonders hervorzuheben ist der Beitrag von Frau Anne Kemmling, die viele Zeichnungen und Abbildungen entwarf. Um einige Abbildungen machte sich auch Frau Dr. Petra Ehrenreich sehr verdient.
In diesem Buch werden Geschichten über Bakterien und über Entdeckungen erzählt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden erwähnt, die an bestimmten Entdeckungen beteiligt waren. Ihre Nennung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ausdrücklich bitte ich um Verständnis bei den Kolleginnen und Kollegen, die ich im Zusammenhang mit bestimmten Bakterienisolierungen oder Untersuchungen nicht auch namentlich erwähnt habe.
Ich danke dem Verlag Wiley-VCH, insbesondere Frau Claudia Grössl und den Herren Dr. Gregor Cicchetti und Dr. Andreas Sendtko für die konstruktive Zusammenarbeit in einer angenehmen Atmosphäre.
Göttingen, März 2009
Gerhard Gottschalk
Prolog
Bakterien, sie sind doch eine wahre Geißel der Menschheit. Pest und Cholera verursachen sie, und sie haben im Mittelalter die Menschheit stärker dezimiert als Kriege. Und noch heute quälen sie uns. Tuberkulose, Magen-Darm-Infektionen, Lungenentzündungen und viele weitere Erkrankungen rufen sie hervor. Sie verseuchen Wasser und Lebensmittel, nein, über Bakterien erfahre ich schon genug durch die „Waschzettel“, die Arzneimitteln beiliegen und durch die Presse.
Das ist eben nur die halbe Wahrheit, eigentlich ist es noch viel weniger als die halbe Wahrheit. Zugegeben, es gibt die Krankheitserreger; aber das ist nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der auf unserem Planeten existierenden Bakterienarten. Die meisten dieser Arten sind friedlich und nicht nur das. Ohne sie würde es auf der Erde gar kein Leben geben. Auch haben sie Einfluss auf unser Klima und sind in der Biotechnologie unersetzlich.
Ist das nicht übertrieben? Ich habe ja gehört, dass Bakterien bei Tankerunfällen Öl verzehren und in Kläranlagen Abfallstoffe beseitigen. Aber dass es ohne Bakterien kein Leben auf unserer Erde geben soll, das kann ich mir nicht vorstellen.
Ich will Sie überzeugen. Fangen wir mit der Kleinheit der Bakterien an. Zwar schreibt François de la Rochfoucauld (1613–1680): „Wer sich zu viel mit Kleinem abgibt, wird gewöhnlich unfähig zum Großen.“ Die Beschäftigung mit den Bakterien ist jedoch etwas Besonderes, sie lehrt uns, die Grundlagen der Lebensprozesse und die Stoffkreisläufe in der Natur zu verstehen. Diskussionen über Ökologie, Klimaveränderungen und die Nutzung nachwachsender Rohstoffe bleiben ohne Berücksichtigung mikrobieller Aktivität unvollständig.
Bakterien in verschiedenen Formen und Farben.
(Zeichnung: Anne Kemmling, Göttingen).
Es ist der größte Traum einer Bakterienzelle, zwei Bakterienzellen zu werden.
nach Francois Jacob
Hoher Besuch hatte sich im Göttinger Institut für Mikrobiologie angesagt, der Minister, wie ihn beeindrucken? Zunächst wollten wir ihm die Kleinheit der Bakterien verdeutlichen. Üblicherweise sagt man, dass die meisten etwa einen Mikrometer lang sind, dass tausend Bakterienzellen aneinandergereiht gerade einmal eine Kette von einem mm Länge ergeben.
Wir versuchten es anders: „Sehr geehrter Herr Minister, in diesem Reagenzglas befinden sich in ungefähr 6 ml Wasser etwa 6,5 Milliarden Bakterienzellen, also genau so viele Bakterienindividuen wie es Menschen auf der Erde gibt.“ Der Minister nahm das Reagenzglas in die Hand, hielt es gegen das Licht, er sah fast nichts, nur eine leichte Trübung. Denn eine Milliarde Bakterienzellen in 1 ml (1 Kubikzentimeter) oder 1000 Milliarden Zellen in einem Liter kann man praktisch nicht sehen! Ich zog ein DIN A3-Blatt hervor und sagte: „Hier sind zwei dieser Zellen!“ Auf dem Bild waren zwei Bakterienzellen zu sehen (Abb. 1), jede etwa 20 cm lang. Der Minister war beeindruckt, einerseits die Kleinheit der Bakterienzellen, die sie auch in großer Zahl beinahe unsichtbar macht, andererseits aber die enorme Leistungsfähigkeit der zur Verfügung stehenden Methoden zur Untersuchung der Bakterien, hier beispielhaft die Elektronenmikroskopie.
Abb. 1 6,5 Milliarden Bakterien in einem Reagenzglas, zwei davon im elektronenmikroskopischen Bild. Bei einer Zelle ist die Teilung in zwei bereits weit fortgeschritten. Geißeln (die langen Fäden) sind erkennbar; sie dienen der Fortbewegung. (Aufnahme: Frank Mayer und Anne Kemmling, Göttingen).
Elektronenmikroskopie? Ich kenne Lichtmikroskope aus meiner Schulzeit, aber wie funktioniert ein Elektronenmikroskop?
Lassen wir dazu Professor Frank Mayer zu Wort kommen, der viele Jahre lang hier am Institut tätig war:
„Das zur Abbildung nötige „Licht“ im Elektronenmikroskop ist der Elektronenstrahl. Er ist für das Auge unsichtbar, doch können die damit erzeugten Bilder fotografiert werden. Wegen der im Vergleich mit Licht viel kürzeren Wellenlänge können mit Elektronenstrahlen sehr viel kleinere Objektdetails – bis hinunter zu einzelnen Enzymmolekülen – abgebildet werden als mit Licht. Elektronen haben den Nachteil, dass sie sich nur im Hochvakuum ausbreiten. Biologische Objekte dürfen deshalb bei Einsatz konventioneller elektronenmikroskopischer Verfahren kein Wasser enthalten; es würde im Elektronenmikroskop sofort verdampfen und jede Abbildung unmöglich machen. Entzug von Wasser aus biologischen Objekten birgt jedoch ohne entsprechende Gegenmaßnahmen die Gefahr der Schädigung der Objektstrukturen. Moderne Verfahren erlauben allerdings die Vermeidung von Schäden durch Wasserentzug, und zwar dadurch, dass die Objekte vor der Untersuchung eiskristallfrei („amorph“) gefroren und im gefrorenen Zustand unter verschiedenen Betrachtungswinkeln im Elektronenmikroskop abgebildet werden.“
Ist es nicht faszinierend, dass mit Hilfe der Elektronenmikroskopie Objekte bis zu 100 000-fach vergrößert werden können? Selbst die Lichtmikroskopie mit ihren etwa 1000fachen Vergrößerungsmöglichkeiten ist erstaunlich. Man braucht nur den wunderbaren Text des Breslauer Pflanzenphysiologen Ferdinand Cohn (1828–1898) zu lesen:
„Könnte man einen Menschen unter einem solchen Linsensystem ganz überschauen, er würde so groß erscheinen wie der Mont Blanc oder gar Chimborasso. Aber selbst unter diesen kolossalen Vergrößerungen sehen die kleinsten Bakterien nicht viel größer aus als die Punkte und Kommas eines guten Drucks; von ihren inneren Theilen ist wenig oder gar nichts zu unterscheiden, und selbst die Existenz würde von den meisten verborgen bleiben, wenn sie nicht in unendlichen Mengen gesellig lebten.“ (Ferdinand Cohn, 1872)
Ferdinand Cohn hat ein wenig übertrieben, aber das kann jeder leicht nachrechnen; ein zwei-Meter-Mensch wäre bei 1000-facher Vergrößerung 2000 m groß, also noch ein Stück kleiner als die Zugspitze. Vielleicht ahnte Ferdinand Cohn aber auch, dass es mit der Lichtmikroskopie weitergehen würde. Durch die Erfindungen von Ernst Abbe (1840–1905) war die Lichtmikroskopie praktisch ausgereizt. Die Wellenlänge des sichtbaren Lichts bringt es mit sich, dass zwei Linien, die enger als 0,2 Mikrometer beieinander liegen, verschwimmen und in eine Linie übergehen. Dieses Gesetz hat Professor Stefan Hell (MPI für Biophysikalische Chemie Göttingen) mit einer genialen Idee überwunden; er entwickelte die STED-Mikroskopie (STED für Stimulated Emission Depletion, also stimulierte Emissions-Löschung). Sehr einfach ausgedrückt brennt er mit einem Laser die diffusen Randbereiche, die das Verschwimmen des Bildes hervorrufen, weg. Aus einem Tintenklecks auf Löschpapier wird ein scharfer Punkt. Stefan Hell berichtet über die erreichbare Auflösung und über die Bedeutung seiner Entdeckung:
„Mit dem Elektronenmikroskop kann man zwar 10-, 100- oder sogar 1 000-mal stärker vergrößern als mit einem Lichtmikroskop, aber man kann damit nicht das Innere von Bakterien dreidimensional darstellen – und lebende Bakterien schon gar nicht. Dafür sind die Elektronenstrahlen dann doch zu energetisch. Lebende Bakterien oder ganz allgemein lebende Zellen zu betrachten, geht nur mit Licht. Die STED Mikroskopie erlaubt nun feine Objektdetails, wie zum Beispiel Eiweißstoffe zu sehen, die bis zu 10-mal dichter gepackt sind, als das was bisher ein Lichtmikroskop noch handhaben konnte. Lange Zeit hat man gedacht, dass es ein Lichtmikroskop dieser Schärfe nicht geben könnte, da die Wellennatur des Lichts eine unüberwindbare Grenze zu setzen schien. Die STED-Mikroskopie macht sich aber zunutze, dass man heutzutage Zellbausteine mit sehr kleinen fluoreszierenden (leuchtenden) Markern markiert. Und die kann man an- und ausknipsen. Im STED-Mikroskop knipst man die leuchtenden Marker so geschickt an und aus, dass (zu) eng benachbarte Details getrennt erscheinen. In Zukunft wird man mit diesem und verwandten Verfahren fast so scharf auflösen können, wie mit einem Elektronenmikroskop und das in einer lebenden Zelle. Wir werden die Welt des Lebens auf kleinstem Raum besser verstehen und damit auch unseren eigenen Organismus.“
Den Unterschied zwischen STED- und Lichtmikroskopie verdeutlicht Abbildung 2. Mit dieser Technik werden atemberaubende Einblicke in die Welt der Bakterien möglich. Trotzdem macht die Vorstellung immer wieder Schwierigkeiten, dass klar aussehendes Wasser verseucht sein kann, dass in einem Kubikmeter Luft häufig 1000 Keime enthalten sind, Luft aber trotzdem zu den eher dünn besiedelten Lebensräumen gehört, dass unsere Haut dicht von Bakterienzellen besetzt ist und sich in einer Bakterienzelle, also auf kleinstem Raum Lebensprozesse von erstaunlicher Vielfalt abspielen. Und diese laufen mit atemberaubender Geschwindigkeit ab. So können sich manche Bakterienarten, wie etwa unser Darmbakterium Escherichia coli (abgekürzt E. coli), alle 20 Minuten teilen. Um es salopp auszudrücken, wenn eine Billion Bakterienzellen in meinem Darm mit mir ins Kino geht und dort unter optimalen Bedingungen wächst und sich teilt, dann kommen nach 80 Minuten mit mir sechzehn Billionen wieder aus dem Kino heraus.
Abb. 2 Aufnahme des Cytoskeletts. Fluoreszenz-markiertes Mikrotubulin einer Nierenzelle: oben durch Lichtmikroskopie, unten durch STED-Mikroskopie dargestellt. Der Gewinn an Schärfe wird deutlich. (B. Hein, K. L. Willig, S. W. Hell, Proc. Natl. Acad. Sci. 105, 14271–76 (2008), mit Genehmigung).
Gutes Beispiel, aber was ist die Ursache für diese schnelle Vermehrung?
Eine Ursache für die Befähigung der Bakterien zu solch einer hohen Stoffwechselaktivität ist das hohe Oberflächen/Volumen-Verhältnis. Ich versuche, das an einem Beispiel klar zu machen. Geben wir ein Stück Würfelzucker in eine Tasse Tee und parallel dazu die gleiche Menge Kristallzucker in eine zweite Tasse, dann beobachten wir, dass sich der Kristallzucker schneller auflöst. Denn das Oberflächen/Volumen-Verhältnis ist größer. Ein Stück Würfelzucker mit einer Kantenlänge von einem Zentimeter hat ein Oberflächen/Volumen-Verhältnis von 6 : 1, sechs Flächen à einen Quadratzentimeter zu einem Volumen von einem Kubikzentimeter. Würde dieser Würfel nun zerlegt werden in Bakterienwürfel mit einer Kantenlänge von einem Mikrometer, so entstünden aus dem Würfel 100 Millionen Kubikmikrometerwürfel mit einer Gesamtoberfläche von 60 000 Quadratzentimetern. Das Volumen bleibt ja konstant, das Oberflächen/Volumen-Verhältnis hat sich aber verzehntausendfacht.
Das hat Konsequenzen. Im Vergleich zu den Zellen höherer Organismen steht den Bakterien eine weit größere Zelloberfläche zur Verfügung, über die die Zufuhr der Nährstoffe, die Abgabe von Abfallstoffen erfolgt. Deshalb können Zellbestandteile schnell synthetisiert und die Voraussetzungen für schnelle Vermehrung geschaffen werden. So erreichen Bakterien die höchsten Vermehrungsraten überhaupt; der Rekord liegt bei etwa 12 Minuten. Also nach 12 Minuten entstehen aus einer Zelle zwei Zellen. Hier kann man allerdings nicht alle Bakterienarten über einen Kamm scheren. Die einen sind schnell, die anderen sind langsam, wobei zwischen der Teilung einer Zelle in zwei Zellen durchaus sechs Stunden oder auch mehrere Tage vergehen können. Leben Bakterien im Schlaraffenland wie etwa in Milch, süßen Säften oder auch Eiweißlösungen, so herrschen schnell wachsende Arten vor. An nährstoffknappen Standorten wie etwa in Ozeanen geht alles sehr viel langsamer zu.
Die Möglichkeit einer Bakterienzelle, sich alle 20 Minuten oder gar alle 12 Minuten zu teilen ist schon beeindruckend, können Sie diese Rasanz noch plastischer machen?
In der Tat eindrucksvoll, aber unrealistisch.
Natürlich unrealistisch, aber die Rechnung ist richtig, jedoch die Annahme einer alle 20 Minuten erfolgenden Zellteilung über einen Zeitraum von 48 Stunden ist falsch, weil eben nach wenigen Stunden die Ernährung der Zellen einfach zusammenbricht; das Wachstum verlangsamt sich zunächst und hört dann schließlich auf. Es ist so wie bei einem Riesenkürbis, der nach Erreichen einer kritischen Größe auch nicht mehr weiter wachsen kann, da die Zufuhr von Stoffen und der Abtransport von Schlacken nicht mehr funktioniert.
Ich habe einiges verstanden, aber wie vergleicht sich das ganze Zellgeschehen der Bakterien mit dem in uns?
Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst.
Johann Wolfgang von Goethe
Was aber ist mit den Viren?
Die gehören nicht zu den Lebewesen. Dafür fehlt ihnen Entscheidendes. Viren sehen aus wie winzige Golfbälle, und wie diese liegen sie einfach so herum oder sie fliegen durch die Lüfte. Nichts, aber auch gar nichts können sie ausrichten, solange sie auf sich gestellt sind. Erst nachdem sie in eine Wirtszelle eingedrungen sind, beginnen sie ihr teuflisches Werk.
Dagegen haben bakterielle Zellen viel Gemeinsames mit den tierischen und pflanzlichen Zellen. Natürlich kann man einen Einzeller wie unser Darmbakterium Escherichia coli nicht mit einer Eiche oder einem Elefanten vergleichen. Der Vergleich muss auf gleicher Augenhöhe erfolgen, also Bakterienzelle mit Eichenblattzelle und Elefantenzelle. Dann erkennt man die Gemeinsamkeiten. Schauen wir zunächst auf die Bestandteile:
Alle Zellen enthalten die Erbsubstanz DNA (Desoxyribonukleinsäure), wobei es allerdings einen qualitativen Unterschied gibt. In tierischen und pflanzlichen Zellen ist die Erbsubstanz im Kern lokalisiert; sie befindet sich in einem Kompartiment, welches von einer Membran umgeben ist (
Abb. 3a
). Pflanzen und Tiere werden daher zusammen als eukaryotische Organismen bezeichnet. Eine einfache eukaryotische Zelle, eine Hefezelle, ist schematisch in
Abbildung 3a
dargestellt. Bakterien sind hingegen prokaryotisch. Ihre Erbsubstanz schwimmt mehr oder weniger im Cytoplasma (
Abb. 3b
). Unter letzterem hat man sich einen dickflüssigen Brei vorzustellen, es ist der intrazelluläre Lebensraum mit vielen Proteinen, Nukleinsäuren, Vitaminen, Zellbausteinen wie den Aminosäuren und schließlich den Salzen.
Alle Zellen enthalten drei Sorten von RNA (Ribonukleinsäure). Die ribosomale RNA schnürt die so genannten ribosomalen Proteine zu den Ribosomen zusammen, das sind die Proteinsynthesefabriken in den Zellen. Die zweite Sorte ist die Messenger- oder Boten-RNA; sie überbringt die Botschaft von der DNA zu den Proteinsynthesefabriken. Von der DNA instruiert „erzählt“ sie also den Proteinsynthesefabriken, was als nächstes zu tun ist, welche Proteine zu synthetisieren sind. Denn nicht alle Proteine, die auf der DNA verschlüsselt sind, werden zu jeder Zeit gebraucht. Für die Aneinanderkettung der Aminosäuren zu Proteinen wird die dritte RNA-Sorte benötigt, die Transfer-RNA. Es gibt in jeder Zelle mehr als 20 verschiedene davon, diese sind jeweils spezifisch für eine der 20 verschiedenen Aminosäuren, die in den Proteinen vorkommen. Sie sind die Rangierloks, die die Aminosäuren nach dem Syntheseplan der Boten-DNA auf dem Rangierbahnhof der Ribosomen zur Verknüpfung, also zur Proteinsynthese bereitstellen.
In allen Zellen ist die gesamte Maschinerie von der Cytoplasmamembran umgeben (
Abb. 3c
). Sie ist elektrisch geladen (innen negativ, außen positiv) und enthält Kontrollstellen für den Stofftransport nach innen und nach außen. Zellen, insbesondere Bakterienzellen, sind eben keine Teebeutel, wo alles Mögliche durchkann. Der Transport über die Cytoplasmamembran steht unter strengster Kontrolle. Es besteht hohe Spezifität, zum Beispiel kommen Kaliumionen durch, aber nicht Natriumionen. Könnten wir das Cytoplasma eines im Ozean schwimmenden Bakteriums probieren (Menge etwa 1 µ
3
,1 Kubikmicrometer), so schmeckte es daher nicht salzig. Damit die Cytoplasmamembran ihre Aufgaben erfüllen kann, muss sie geladen sein. Sie gewährleistet dann, dass sich das Zellinnere, das Cytoplasma, in der Zusammensetzung seiner Bestandteile dramatisch vom Außenmedium unterscheiden kann. So entsteht der günstige Reaktionsraum für alle Lebensprozesse. Die Cytoplasmamembran mit ihren Funktionen ist eines der größten Wunder der Evolution. Wodurch sie ihren Ladungszustand erhält, wird in Kapitel 8 beschrieben.
Das sind die Zellbestandteile, wie aber entstehen aus einer Zelle zwei Zellen?
Dazu müssen wir natürlich die Lebensprozesse auf zellulärer Ebene betrachten. Welche sind es, wenn es zu einer Zellverdoppelung kommt? Was alle Zellen benötigen, ist erst einmal Energie. Hier ist das Zauberwort ATP, das ist die Abkürzung für Adenosin-5’-Triphosphat. ATP ist die Energiewährung aller Zellen auf unserem Globus. Alles wird damit beglichen, in uns zum Beispiel die Denk- oder die Muskelarbeit und in den Bakterien Wachstum und Vermehrung. Indem ATP seine Rolle als Energiequelle wahrnimmt, wird es zu ADP abgewertet, es verliert einen Phosphatrest und wird zu Adenosin-5’-Diphosphat. Diese Umwandlung setzt chemische Kräfte frei, die in energieaufwändige Reaktionen investiert werden können (siehe Anhang, Infobox 1).
Abb. 3 Die eukaryotische und die prokaryotische Zelle.
(a) Die eukaryotische Zelle enthält den Zellkern (im Zentrum) – er ist von einer Membran (mit Poren) umgeben – eine Vakuole (blau), das endoplasmatische Reticulum (grün), den Golgi-Apparat (violett), die Mitochondrien (gelb-orange), die Ribosomen (schwarz) und Cytoplasma. Umgeben ist sie von der Cytoplasmamembran und der Zellwand. Durchmesser der dargestellten Hefezelle: etwa 10 µm.b) In der prokaryotischen Zelle reduzieren sich die Bestandteile auf das ringförmige Chromosom (DNA), die Ribosomen und das Cytoplasma. Umgeben ist sie ebenfalls von der Cytoplasmamembran und der Zellwand. Die Bakterienzelle ist etwa 1 µm lang.c) Die Cytoplasmamembran besteht aus einer Phospholipid-Doppelschicht und ist in lebenden Organismen elektrisch geladen.(Aquarell und Gouache: Anne Kemmling, Göttingen).
Weiterhin müssen natürlich die Zellbestandteile synthetisiert werden. Es ist so, als würde man ein voll eingerichtetes Einfamilienhaus zu einem voll eingerichteten Zweifamilienhaus ausbauen; diese Ausstattung muss ja geschaffen werden, damit aus einer lebensfähigen Zelle zwei lebensfähige Zellen entstehen können. Wenn wir jetzt einmal von Bestandteilen der Cytoplasmamembran, der Zellwand und von Reservestoffen, die auch in Bakterienzellen anzutreffen sind, absehen, dann sind es die von ihrer Bedeutung her wirklich herausragenden Bestandteile, die schon erwähnt wurden, also die DNA, die drei Sorten von RNAs und die Proteine. Bevor wir in die Vermehrung dieser Bestandteile hineinblicken, soll die Bedeutung der Proteine beleuchtet werden.
Die meisten Proteine einer Zelle sind Enzyme. Es gibt Stützproteine wie beispielsweise das Collagen in höheren Organismen oder Kapselproteine in Bakterien, die die Bakterienzelle umhüllen, aber wie gesagt, es sind im wesentlichen Enzyme, die man auch als Biokatalysatoren bezeichnet. Ihre Namen enden fast durchgehend auf „ase“; daran kann man sie erkennen. Enzyme bestehen aus 20 verschiedenen Bausteinen, den so genannten 20 natürlichen Aminosäuren (siehe Anhang, Infobox 2). Diese Bausteine kommen in einem bestimmten Protein nicht nur jeweils einmal, sondern mehrmals vor, und die Proteine bestehen daher aus Aminosäureketten unterschiedlicher Länge. Häufig sind diese Ketten 100 bis 300 Bausteine lang. Durch die chemischen Eigenschaften der einzelnen Aminosäuren bedingt falten sich diese nun zu komplizierten Strukturen, die häufig noch Metallionen wie Magnesium oder Eisenionen aufnehmen. Jedes Enzym besitzt ein katalytisches Zentrum. Es ist der Ort des Geschehens, dort laufen die enzymkatalysierten Reaktionen ab. Die Vielfalt der Enzyme ist fantastisch. Allein unser Darmbakterium E. coli ist in der Lage, ungefähr 4000 verschiedene Enzyme zu synthetisieren. Sie alle warten an bestimmten Stellen des Stoffwechsels auf ihren Einsatz. Wenn wir jetzt gleich von DNA- oder RNA-Synthese sprechen, so sind es Enzyme, die diese Synthesen ermöglichen. Enzyme besitzen Spezifität; in das katalytische Zentrum passen eben nur die Reaktionspartner hinein, für deren Umsetzung ein bestimmtes Enzym „gebaut“ ist. Eine DNA-Polymerase verlängert DNA-Stränge, aber sie spaltet keine Fette, was die Aufgabe der Lipasen ist. Auch erhöhen die Enzyme die Umsatzgeschwindigkeiten, weil sie die Partner in eine optimale Position zueinander bringen. Ohne Enzyme gäbe es diese selbst nicht, aber auch keine DNA- oder RNA-Synthese, die jetzt zur Sprache kommen und illustriert werden soll (siehe Abb. 4).
Die genetische Information einer Bakterienzelle liegt im Allgemeinen in Form eines ringförmigen Chromosoms vor. Dieses besteht aus doppelsträngiger DNA. Die Doppelstränge werden, wie man sagt, durch Basenpaarung zusammengehalten. Dahinter verbirgt sich folgendes Prinzip, was ohne Übertreibung als das Geheimnis der Erhaltung und Weitergabe genetischer Information in der Natur bezeichnet werden kann. Die DNA besteht aus Desoxyribose, das ist ein Zucker, aus Phosphatbrücken, die die Desoxyribosemoleküle miteinander verbinden und vier chemischen Verbindungen, die an der Desoxyribose hängen und entweder Adenin, Guanin, Cytosin oder Thymin, kurz A, G, C oder T sein können. Die Chemie dieser vier Verbindungen, die man häufig auch als die vier Basen bezeichnet, bringt es mit sich, dass jeweils zwei eine hohe Affinität zueinander haben und, wenn sie die Gelegenheit dazu haben, sich miteinander paaren. Man spricht von Basenpaarung (siehe Anhang Infobox 4). Es sind die Paarungen AT und GC. Wenn man dieses weiß, dann kann man nachvollziehen, wie aus einem doppelsträngigen Chromosom zwei doppelsträngige Chromosomen werden; das ist ja die Voraussetzung dafür, dass aus einer Zelle zwei Zellen werden. Wir bezeichnen diesen Prozess als Replikation, man spricht auch von identischer Reduplikation; das ringförmige Chromosom muss korrekt repliziert werden, denn sonst könnte aus einer Bakterien-Zelle nicht eine zweite Bakterien-Zelle werden. Den Apparat, der dieses zustande bringt, nennt man auch die Replikationsfabrik. Diese besteht aus mehreren Enzymen, wovon ich hier nur die DNA-Polymerase und die Helicase nenne. Die Aufgabe im Falle von E. coli besteht darin, den 4 938 975 Basen langen DNA-Ring exakt zu replizieren und das in höchstens 20 Minuten (siehe Kap. 1). So groß ist das Chromosom des E. coli-Stammes 536, das in unserem Labor sequenziert wurde, eines Stammes, der an Blasenentzündungen beteiligt ist. Wir versuchen jetzt, das Prinzip der Replikation zu erfassen. Die Helicase schafft es, den Doppelstrang von einer bestimmten Stelle an, dem Replikationsstart, in Einzelstränge aufzudröseln. Diese Einzelstränge werden jetzt in zwei verschiedene Tore der Replikationsfabrik hineingezogen. Wenn man das Prinzip Basenpaarung verstanden hat, dann sind die nun folgenden Schritte einleuchtend. Die Bausteine, sie heißen dATP, dGTP, dCTP und dTTP, schwimmen im Cytoplasma und natürlich auch in der Fabrik herum. Wird jetzt ein Einzelstrang mit der Sequenz ATTCGGA verfügbar, dann paaren sich die Bausteine mit dieser Sequenz zu der Reihe dTTP dATP dATP dGTP dCTP dCTP dTTP, und die DNA-Polymerase braucht nur noch entlangzuschnurren und diese Bausteine miteinander zu verbinden; es entsteht das Fragment TAAGCCT. Es ist komplementär zu ATTCGGA. Was hier für sieben Bausteine beschrieben wurde, muss man sich nun im Falle von Stamm 536 4,9 Millionen mal so vorstellen, fertig ist das zweite Chromosom, und das in 20 Minuten. Es gibt hier noch ein kleines Problem, das mit der so genannten Polarität der DNA-Stränge zusammenhängt; es wird im Anhang in Infobox 6 erläutert.
Abb. 4 Die drei grundlegenden Prozesse der Weitergabe und Nutzung genetischer Information.(a) Replikation: Der Doppelstrang wird durch die Helicase in Einzelstränge zerlegt. Zu den so freigelegten Bausteinen gesellen sich über die Basenpaarung die Partner (dATP etc.) und die DNA-Polymerase verbindet diese miteinander (siehe auch Anhang, Infobox 6).(b) Transkription: Die RNA-Polymerase ist in der Lage, die Doppelhelix aufzuweiten und die Basenfolge eines Stranges in eine messenger-RNA umzuschreiben. Man spricht vom codogenen Strang, weil er den Code für die im nächsten Prozess zu synthetisierenden Proteine enthält.(c): Translation: Sobald m-RNA verfügbar wird, binden Ribosomen und beginnen mit der Proteinsynthese. Das Ribosom unmittelbar vor der RNA-Polymerase hat am längsten „gearbeitet“; es ist Schritt für Schritt an der m-RNA weitergerutscht, deshalb ist „sein“ Proteinfaden der längste. Jede der t-RNAs ist mit „ihrer“ Aminosäure verknüpft; sie erkennt ihren „Einsatz“ mit Hilfe eines Anticodons, einem Basentriplett, das komplementär zu dem Codon für die einzubauende Aminosäure ist. (Zeichnung: Anne Kemmling, Göttingen).
Natürlich benötigen wir für zwei Zellen auch mehr RNA-Moleküle. Die RNA enthält Ribose anstelle der Desoxyribose, und dann gibt es noch eine weitere Besonderheit. Die Base Thymin (T) ist durch ein Uracil, also ein U ersetzt. Dazu ist zu bemerken, dass sich T und U in Bezug auf ihre Neigung zur Basenpaarung mit A nicht sehr unterscheiden. Den Prozess der RNA-Synthese bezeichnet man als Transkription. Wie bei der Replikation liegt ihr das Prinzip Basenpaarung zugrunde. Auf der DNA gibt es Regionen, die die Information für die Synthese der ribosomalen RNAs und auch der Transfer-RNAs enthalten. Darüber hinaus sind die Messenger-RNAs zu synthetisieren, die die Boten für die Protein-Synthese durch die Ribosomen sind. Als Gen bezeichnen wir den Abschnitt der DNA, der die Information für die Synthese eines Proteins enthält. Er ist abgegrenzt durch einen Start- und einen Stoppbereich. Diese Signale werden von dem Apparat erkannt, so dass ein Gen exakter Größe den Ribosomen für die Synthese eines Proteins angeboten wird. Die Dynamik dieses Prozesses wird in Abbildung 4c dargestellt. Die Ribosomen haben eine große Vorliebe für Startsignale; sobald sie verfügbar werden, heften sie sich an und beginnen mit der Synthese der Aminosäurekette, am Stoppsignal fallen sie von der RNA ab und geben die synthetisierte Aminosäurekette frei, woraus durch Faltung wie beschrieben ein Enzym entsteht.
Wie vollzieht sich nun die Zellteilung?
Hierfür spielt ein Spezialprotein, das FtsZ-Protein eine wichtige Rolle. Es bildet in der Mitte der Mutterzelle eine Ringstruktur aus, die sich immer stärker zusammenzieht, so lange, bis sich die Membranen berühren und verschmelzen und so aus einer Zelle zwei Zellen werden (siehe Abb. 1). Es ist faszinierend, wie vorher durch noch wenig verstandene Kräfte dafür Sorge getragen wird, dass es zu einer Verteilung der lebenswichtigen Zellbestandteile, also von Chromosomen, RNAs, Ribosomen und Proteinen auf beide Zellen kommt.
Natürlich sind eukaryotische Zellen komplexer aufgebaut als prokaryotische.
Außer dem Zellkern gibt es weitere Kompartimente wie die Mitochondrien oder den Golgi-Apparat (Abb. 3a). Die Rolle von ATP und die Prozesse, die zur Synthese der Zellbausteine, also der 20 Aminosäuren und der Bestandteile von DNA und RNAs führen, sind durchaus vergleichbar. Das Geschehen im Zellkern ist jedoch weit komplexer als das, was sich um ein Bakterienchromosom herum abspielt. Die Anzahl der Basen auf den menschlichen Chromosomen ist 1000-mal so groß wie die auf dem E. coli-Chromosom. Diese Information reicht aus für die Synthese von etwa 100 000 Proteinen. Der zugrunde liegende genetische Code ist aber identisch mit dem in E. coli vorliegenden. Gravierende Unterschiede sehen wir, wenn wir die Lokalisation der Gene auf den menschlichen Chromosomen und dem E. coli-Chromosom miteinander vergleichen und auch die Messenger-RNAs. Auf dem E. coli-Chromosom folgt ein Gen nach dem anderen. Der zur Verfügung stehende „Platz“ ist optimal genutzt. Auf den menschlichen Chromosomen ist viel Platz zwischen den einzelnen Genen. Millionen von Basen reihen sich zwischen den Genen aneinander und niemand weiß bisher, was genau ihre Aufgabe ist. Entweder sind diese Bereiche einfach nur da oder sie sind in einer Sprache geschrieben, die wir einfach noch nicht erkannt haben. Auch präsentieren sich die eukaryotischen Gene nicht so wie die von E. coli in einem Stück. Zur Erinnerung, auf der E. coli-Messenger-RNA bedeuten 990 Basen ein Protein bestehend aus 330 Aminosäuren. In die Messenger-RNAs des Menschen sind Bereiche, so genannte Introns eingeschoben, die keinerlei Information für das zu bildende Protein besitzen. Sie müssen in einem Zwischenschritt, den man als Spleißen bezeichnet, herausgetrennt werden, bevor die Messenger-RNA wirklich als Matrize für die Proteinsynthese dienen kann.
Wenn man jetzt noch die Zelldifferenzierungsvorgänge hinzunimmt, die ja ein höheres Lebewesen ausmachen, dann werden die gewaltigen Unterschiede noch deutlicher. Trotzdem halte ich an meiner Aussage fest: Bakterien sind Lebewesen wie Du und ich.
Wir müssen wissen, wir werden wissen.
Grabinschrift David Hilberts, Stadtfriedhof Göttingen
Aber ich bitte Sie, das ist doch der Anfang eines Popsongs, in dem es um das Mädchen „from upstairs“ geht.
Diese Luca ist hier nicht gemeint. Hier geht es um den Last Universal Common Ancestor, also um das Lebewesen, das Mutter aller Lebewesen auf der Erde war.
Wer oder was war LUCA? Bevor wir zu dieser Frage kommen, müssen wir untersuchen, ob der Artbegriff so wie wir ihn von den Tieren und Pflanzen her kennen, auch auf Bakterien angewandt werden kann.
Nachdem auf Anregung von Frau Fanny Angelina Hesse 1884 das Geliermittel Agar-Agar zur Verfestigung von Nährlösungen in Robert Kochs Labor eingeführt worden war, konnten Bakterien auf Oberflächen, also wie auf der Oberfläche eines Puddings, sehr bequem gezüchtet werden. Sie bilden Kolonien, und es ließ sich leicht nachweisen, dass eine Kolonie von Escherichia coli, wenn man sie aufteilt und auf frischen Agar-Agar bringt, wiederum Kolonien von Escherichia coli ergibt (Abb. 5). Damit wurde klar, dass der Artbegriff auch auf Bakterien übertragen werden konnte. Also, aus Elefanten entstehen Elefanten, aus Eichen wieder Eichen und aus E. coli eben E. coli und nicht eine andere Bakterienart. Tausende von Bakterienarten wurden im Verlauf der letzten 120 Jahre isoliert und beschrieben. Jedoch die Stammesgeschichte der Bakterien blieb ein Buch mit sieben Siegeln. Natürlich hat man sich in vielen Laboratorien darum bemüht herauszubekommen, wer mit wem verwandt ist. Allein schon wegen der Notwendigkeit, pathogene Keime zu charakterisieren, mussten artspezifische Merkmale bestimmt und katalogisiert werden. Der eigentliche Durchbruch jedoch ist erst ein gutes Vierteljahrhundert alt.
Abb. 5 Kolonien eines Bakteriums auf Agar-Agar in einer Petrischale. Durch Ausstreichen einer winzigen Menge von Zellen erreicht man eine Vereinzelung; da, wo zu Wachstumsbeginn eine Bakterienzelle zu liegen kam, entwickelt sich eine runde Kolonie, ein Klon, denn alle Zellen dieser Kolonie stammen von der einen ab. Je nach Größe sind es 50 bis 500 Millionen Zellen, die die dargestellten Kolonien bilden. (Aufnahme: Anne Kemmling, Göttingen).
Ich habe eine Nachfrage zu Frau Hesse. Was ist Agar-Agar, und wie kam Frau Hesse auf die Idee, ihn als Verfestigungsmittel vorzuschlagen?
Fanny Eilshemius wurde 1850 in Laurel Hill, New Jersey (USA) als Tochter deutscher Emigranten geboren. Auf einer Europareise lernte sie den Arzt Walther Hesse kennen, den sie heiratete. Hesse hatte ein starkes Interesse an der Bakteriologie und versuchte, Bakterien auf verfestigter Gelatine zu züchten. Er war verzweifelt, dass diese sich so leicht verflüssigte. Da erinnerte sich Fanny an ein Rezept, das sie von holländischen Freunden aus Java hatte. Darin wurde Agar-Agar, ein Polymer aus Algen, als Verfestigungsmittel benutzt. 2%ige Lösungen von Agar-Agar erstarren unter 50 °C und verflüssigen sich erst wieder beim Kochen. Frau Hesse initiierte eine Revolution in der Kultivierung von Mikroorganismen. Auch heute sind Agar-Agar-Platten aus einem mikrobiologischen Labor nicht wegzudenken; jetzt aber zu dem erwähnten Durchbruch.
In den 1960er Jahren wurde von dem englischen Molekularbiologen Frederick Sanger ein Verfahren zur Sequenzierung von Nukleinsäuren ausgearbeitet. Sanger ersann eine wirklich elegante Methode, die ihm zusammen mit Walter Gilbert und Paul Berg den Nobelpreis eintrug (für Sanger war es der zweite, der erste siehe Kap. 27). Diese Methode erlaubt es, ein Nukleinsäurefragment schrittweise um eine Base zu verkürzen und dann jeweils die Natur der letzten Base zu bestimmen, also herauszufinden, ob es sich um ein T, C, G oder A handelt. Es setzte eine stürmische Entwicklung ein, die sich in unserer Zeit so enorm gesteigert hat, dass pro Tag ohne Übertreibung sicherlich eine Milliarde Basen in allen möglichen Nukleinsäuren durch Sequenzanalyse bestimmt wird. Damals ging aber alles noch sehr langsam. An der University of Illinois in Urbana (USA) arbeitete der Mikrobiologe Carl Woese; er ließ sich von den experimentellen Schwierigkeiten nicht entmutigen. Die Vision, die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Bakterien durch die Sequenzanalyse von Nukleinsäuren zu bestimmen spornte ihn immer wieder an. Er wählte die so genannte 16S-ribosomale RNA, die ja in allen Bakterien vorhanden sein muss, denn sie ist essenziell für den Bau der ribosomalen Proteinsynthesefabriken. 1977 war es so weit, und Carl Woese und seine Mitarbeiter publizierten die erste Arbeit über einen „Molecular Approach to Prokaryotic Systematics“. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Bakterienarten wurden also auf der Grundlage der Unterschiede in der Sequenz der 16S-rRNA geordnet. Nun bahnte sich langsam eine Sensation in der Mikrobiologie an, und ich schicke voraus, dass es einige Jahre brauchte, bis sie allgemeine Akzeptanz fand. Im Nachbarlabor von Carl Woese arbeitete Ralph Wolfe. Er forschte über Methanbakterien, und auf diesem Gebiet war und ist er einer der ganz Großen. Und wie es so ist in einer produktiven Department-Atmosphäre, man spricht über die Arbeiten, aber lassen wir es Professor Ralph Wolfe selbst berichten, wie es zu der erwähnten Sensation kam:
„Early in his career Woese had studied the ribosome and was convinced that this organelle was of very ancient origin, that it had the same function in all cells, and that variations in the nucleotide sequence in an RNA of the ribosome could reveal evidence of very ancient events in evolution. He chose the 16S-rRNA, and developed a similarity coefficient that could be used to compare the relatedness of two different organisms. By 1976 he had documented the 16S-rRNAs of 60 bacteria. The second line, the research program of Ralph Wolfe, concerned the biochemistry of methane formation by methanogenic bacteria, an area poorly studied because of the difficulties of cultivating the organisms. Techniques were developed for mass culture of cells on hydrogen and carbon dioxide, yielding kilogram quantities of cells. By 1976 the structure of two unusual coenzymes, coenzyme M and Factor 420 (a unique deazaflavin) and their enzymology had been elucidated. The conjunction occurred with an experiment designed to examine the 16S-rRNA of methanogens. The pressurized atmosphere technique proved ideal for containing the high level of injected radioactive phosphorus to label the rRNA of growing cells. The two-dimensional chromatograms of the labelled 16S-rRNA oligonucleotides from the first experiment were so different than anything previously seen, that Woese could only conclude that somehow the wrong RNA had been isolated. The experiment was carefully repeated, and this time with the same results: Woese declared, „Wolfe, these organisms are not bacteria!“ „Of course they are Carl; they look like bacteria“ „They are not related to anything I’ve seen.“ This experiment marked the birth of the Archaea!“
Das ist ein wichtiges Zeitzeugnis, die Erkenntnis, dass es neben Eukarya (Tiere, Pflanzen und Pilze) und Bacteria mit den Archaea eine dritte Domäne des Lebens auf unserem Planeten gibt. Zunächst beschreibt Ralph Wolfe, weshalb sein Kollege Carl Woese die 16S-ribosomale RNA auswählte. Sie war und ist in allen Mikroben vorhanden und Unterschiede in ihrer Sequenz sollten die Evolution widerspiegeln. 1976 hatte Woese bereits die 16S-rRNA von 60 Bakterienarten katalogisiert.
Dann beschreibt Wolfe seine eigene Forschung. Die methanbildenden Mikroorganismen sind schwierig im Labor zu züchten, da sie extrem sauerstoffempfindlich sind. Er züchtete sie in einer Atmosphäre von H2 und CO2 und zwar unter erhöhtem Gasdruck, damit die Mikroorganismen, die aus H2 und CO2 Methan produzieren, genügend Ausgangsgas zur Verfügung hatten (siehe Kap. 11). Kilogrammmengen von methanbildenden Organismen konnten so gewonnen und für die Untersuchung der Stoffwechselwege eingesetzt werden. Dabei gelang Ralph Wolfe die Entdeckung völlig neuartiger „Methanvitamine“, nämlich des Coenzyms-M und Faktors-420.
Für Woeses Untersuchungen wurden die Mikroorganismen in Gegenwart von radioaktivem Phosphat gezüchtet. Die 16S-rRNA enthielt dann in Gestalt der Phosphatbrücken Radioaktivität, Bruchstücke konnten isoliert, sequenziert und mit der 16S-rRNA anderer Organismen verglichen werden. Zu ihrer Überraschung sahen die Forscher dabei, dass es im Vergleich zur 16S-rRNA beispielsweise aus E. coli sehr große und nicht zu erklärende Unterschiede gab. Da waren Carl Woese und Ralph Wolfe erst einmal sprachlos. Bisher waren die Sequenzen aller untersuchten Bakterien in einer einheitlichen Sprache geschrieben, sagen wir in englisch mit eben gelegentlichen Tippfehlern, die ja dann Aufschluss darüber ergaben, wie groß die Distanz zwischen zwei Bakterienarten im Stammbaum ist. Jetzt aber entdeckten die Wissenschaftler große Auslassungen im Text und Teile, die quasi in einer anderen Sprache, sagen wir in Hebräisch geschrieben waren. Das war etwas völlig anderes, und das bestätigte sich, als eine zweite und eine dritte 16S-rRNA aus anderen Methanbakterienarten sequenziert wurde.
Abb. 6 Basensequenz der 16S-rRNA von Escherichia coli und Methanosarcina mazei. Der Darstellung liegt ein ClustalW-Alignment mit den Standardeinstellungen zugrunde (W. A. Larkin et al., Bioinformatics 23, 2947, 2007). Die Visualisierung erfolgte mit Jaliew im Standardfarbcode für Nucleotide (C. Clamp et al., Bioinformatics 20, 416, 2004). (Bearbeitung: Antje Wollherr, Göttingen). Die Lücken werden in die kürzere 16S-rRNA von M. mazei eingefügt, um maximale Sequenzübereinstimmung zu erreichen.
Können Sie den Unterschied noch durch einen weiteren Vergleich ein bisschen klarer machen?
Wir schauen (im Geiste) auf ein Mosaik, beispielsweise auf den Triumphzug des Dionysos in einem der erst 1962 entdeckten römischen Häuser in Paphos auf Zypern. Wie die 16S-rRNA besteht so ein Mosaik ebenfalls aus tausenden von Bausteinen. Ändert man etwas an den Ornamenten am Rande, dann wird das den Gesamteindruck nicht stören. So ist das auch mit den Veränderungen bei den 16S-rRNAs der Bakterien; man erkennt Trends, denn einmal sind drei Steinchen verändert, ein anderes Mal fünf, und daraus kann man Rückschlüsse auf den Verwandtschaftsgrad ziehen. Wäre jetzt aber Dionysos in dem Mosaik durch eine Bacchantin ersetzt, würde von der Anzahl und der Farbe her ein deutlich veränderter Satz von Steinchen benötigt. Die eine Figur aus der anderen abzuleiten wäre unmöglich, ein gemeinsamer Vorläufer müsste gesucht werden, ein Vorfahr wie eben LUCA.
Jetzt schauen wir auf die 16S-rRNA von Escherichia coli (1542 Bausteine) und Methanosarcina mazei (1474 Bausteine), dargestellt in Abbildung 6. Es gibt Regionen weitgehender Übereinstimmung der Sequenz, z. B. von 1502 bis zum Ende oder von 1410 bis 1430, von 1190 bis 1200 oder 310 bis 320. Dionysos und die Bacchantin liegen zwischen den Basen 410 und 640, da lässt sich die eine Sequenz aus der anderen praktisch nicht herleiten.
Carl Woese erkannte die epochale Bedeutung dieser Entdeckung. Im Falle der Methanbildner hatte er 16S-rRNA von Organismen sequenziert, die phylogenetisch betrachtet eigentlich mit den Bakterien nicht sehr viel zu tun haben. Zunächst wurden sie Archaebakterien genannt, dann aber wurde „Bakterien“ weggelassen; sie heißen jetzt Archaeen und deshalb spreche ich von hier ab auch nicht mehr von Methanbakterien oder methanbildenden Archaebakterien sondern von Methanoarchaeen.
Wie gesagt, Anfangs war der Widerstand vieler Mikrobiologen nicht gering. Aber es gab auch viel Unterstützung. In Deutschland waren es die Münchener Mikrobiologen bzw. Molekularbiologen Otto Kandler, Wolfram Zillig und Karl-Otto Stetter, die die Visionen Carl Woeses enthusiastisch übernahmen und mit ihren Entdeckungen weiter ausfüllten.
Abb. 7 Stammbaum der drei Domänen der lebenden Organismen. Im Urzeigersinn sind von links dargestellt Bacteria: Aquifex, Bacteroides, Cyanobakterien, Proteobakterien, Spirochaeten, Bacilli, grüne filamentöse Bakterien; Archaea: Pyrobaculum, Methanococcus, Methanosarcina, halophile Archaeen; Eukarya: Entamoeben, Schleimpilze, Mensch, Pilze, Pflanzen, Ciliaten, Trichomonaden, Diplomonaden. (Zeichnung: Anne Kemmling, Göttingen).
Wir machen jetzt einen Sprung von 1977 in die Gegenwart, und der Blick auf einen aktuellen Stammbaum. Abbildung 7 verdeutlicht, dass es ausgehend von LUCA einmal zur Domäne der Bacteria ging und zum anderen zur Domäne der Eukarya, von der sich in frühen Zeiten der Evolution die Domäne der Archaea abzweigte. Zu den Archaea gehören nicht nur die Methanbildner, sondern auch viele so genannte extremophile Mikroorganismen, die in Kapitel 6 vorgestellt werden.
Für den nicht mit der Evolution so Vertrauten ist es sicher schwer nachzuvollziehen, dass von den drei Domänen des Stammbaums aller Lebewesen auf unserem Planeten zwei den Mikroorganismen vorbehalten sind; alles weitere, Pflanzen, Pilze, Tiere und der Mensch drängelt sich sozusagen in einer Domäne. Man darf aber nicht vergessen, dass Bakterien und Archaeen während der biologischen Evolution auf der Erde die meiste Zeit unter sich waren. Man könnte sogar die Frage stellen, weshalb sie die Evolution zu höheren Organismen hin überhaupt zugelassen haben. Zunächst aber, wer war wohl LUCA? Man kann annehmen, dass es sich dabei um einen bakterienähnlichen Organismus handelte, der in Abwesenheit von Sauerstoff lebte. LUCA war ein Gärer, vielleicht auch ein Organismus, der Schwefel und Wasserstoff umsetzte! Wie es zu LUCA kam und zum Sauerstoff in unserer Atmosphäre ist Gegenstand der beiden nächsten Kapitel.
The question „what is life“ is precisely the question „what is evolution“.
Carl R. Woese
Der Urknall hat vor ca. 13,7 Milliarden Jahren stattgefunden. Günther Hasinger hat diesen unvorstellbar langen Zeitraum in ein Kalenderjahr zusammengepresst. Danach war in den ersten acht Monaten wie er sagt „im Himmel die Hölle los“. Am 5. Januar entstehen die ersten Sterne, chemische Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff bilden sich; im März erreichen die Quasare ihr Maximum, Planeten entstehen. Ab Anfang September, also 9,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall, gibt es unser Sonnensystem. Es dauert etwa einen Monat, 1,1 Milliarden Jahre, bis Leben auf unserem Planeten entsteht. Das war vor rund 3,5 Milliarden Jahren. Pflanzen und Wirbeltiere gibt es seit dem 19. Dezember, seit rund 500 Millionen Jahren, den Menschen seit dem 31. Dezember 20 Uhr und Jesus Christus wurde vor 4 Sekunden geboren. Übrigens wird die Erde am 12. Januar des darauf folgenden Urknalljahres so heiß, dass Leben nicht mehr möglich sein wird. Das hat aber nichts mit der menschengemachten globalen Erwärmung zu tun; Ursache ist vielmehr der beginnende Übergang der Sonne in einen roten Riesen. Der Zeitraum von heute bis zum 12. Januar entspricht übrigens 447 Millionen Jahren.
Die Fachleute sagen, dass unser Planet nach seiner Entstehung erst einmal eine halbe Milliarde Jahre lang von Kometen bombardiert wurde. Dieses Bombardement (vielleicht 1 Million Einschläge) war für alles, was danach kam, nicht unwichtig. Denn es hatte großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Erdatmosphäre, die durch Ausgasen des Erdmantels zunächst aus Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Wasserdampf bestand. In ihrer Zusammensetzung wurde sie nun stark durch die Gase verändert, die die Kometen mitbrachten. Insbesondere kamen Stickstoff und Ammoniak, und es kamen die Edelgase wie Argon und Helium hinzu. So hatte die Erdatmosphäre vor 4 Milliarden Jahren eine Zusammensetzung, die aber trotzdem von der jetzigen abwich. Der gravierende Unterschied war, dass der Sauerstoff fehlte; manche Wissenschaftler vermuten, dass es höchstens Spuren davon gab. Auch war die Atmosphäre schwefelwasserstoff- und ammoniakhaltig.
Wie können denn Kometen so viel Gas transportieren?
Sie tragen Eiskappen mit großen Mengen an eingeschlossenen Gasen mit sich. Die Eiskappe eines Kometen kann, wie Lunine schreibt, 1012