Wem gehört der deutsche Fußball? - Thorsten Poppe - E-Book

Wem gehört der deutsche Fußball? E-Book

Thorsten Poppe

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Beschreibung

Seit Jahren tobt im deutschen Fußball hinter den Kulissen ein Machtkampf: Fans wehren sich dabei gegen die endgültige Kommerzialisierung des Volksports Nr. 1 in Deutschland, gegen Vorverurteilung seitens der Sicherheitsbehörden und setzen sich proaktiv für die Berücksichtigung von Fan-Interessen ein. Denn der deutsche Fußball steht längst am Scheideweg: Endgültige Kommerzialisierung oder regulierter Wettbewerb? Im Zentrum dieser Entscheidung wird seit Jahren um die sogenannte "50plus1-Regel" gerungen. Auf der einen Seite stehen die Investoren, die die Regel begraben wollen, und auf der anderen Seite Mitglieder und Fans der eingetragenen Vereine, für die diese Regel das letzte Stoppschild für das Kommerzprodukt "Fußball" ist. Auch an anderer Stelle drohen dem deutschen Fußball weitere Konflikte. Zum einen fordern die Fans mehr Mitsprache bei den Entscheidungen der Vereine, des DFB und der DFL, zum anderen stehen einzelne Fangruppierungen in ständigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsbehörden, u.a. wegen der Datei "Gewalttäter Sport". Dieses Buch liefert auch auf der Basis von Gesprächen mit den Beteiligten Hintergründe zu den diversen Konflikten im deutschen Profi-Fußball und lotet Lösungsansätze aus. Inklusive Interviews mit Hajo Sommers (Rot-Weiß Oberhausen) und Martin Kind (Hannover 96)

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Poppe. Wem gehört der deutsche Fußball?

„2014 hat die DFL-Führung gesagt: Wenn der FC Bayern München 10 mal hintereinander Deutscher Meister wird, müssen wir das System grundlegend verändern!“

Markus Rejek, ehemaliger Geschäftsführer von Arminia Bielefeld am 3. Mai 2022 in der „Neuen Westfälischen“

Thorsten Poppe

Wem gehört derdeutsche Fußball?

Fans gegen Verbände, Polizei und Investoren

Arete Verlag Hildesheim

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2024 Arete Verlag Christian Becker, Elisabethgarten 31, 31135 Hildesheim

www.arete-verlag.de; E-Mail: [email protected]

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Dies gilt auch und insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und die Einspeicherung sowie Datenvorhaltung in elektronischen und digitalen Systemen.

Umschlagfoto: Imago/Eibner

Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten

Druck und Verarbeitung: CPI books, Leck

ISBN 978-3-96423-130-7 eISBN 978-3-96423-135-2

VORWORT

Seit Jahren tobt im deutschen Fußball hinter den Kulissen ein Machtkampf: Anhänger und Mitglieder von Bundesligaclubs wehren sich dabei gegen die immer weitergehende Kommerzialisierung des Volkssports Nr. 1 in Deutschland sowie gegen Vorverurteilungen seitens der Sicherheitsbehörden und setzen sich proaktiv für mehr Mitsprache und Berücksichtigung von Fan-Interessen ein. Der deutsche Fußball steht längst am Scheideweg und ringt um eine finale Richtungsentscheidung: endgültige Kommerzialisierung oder regulierter Wettbewerb?

Im Zentrum dieser Entscheidung wird seit Jahren um die sogenannte „50+1-Regel“ gerungen. Auf der einen Seite stehen die Investoren oder Mäzene, die die Regel begraben wollen. Auf der anderen Seite Mitglieder und Fans der eingetragenen Vereine, für die die Regel das letzte Stoppschild des Kommerzprodukts „Fußball“ ist. Denn die Regel gewährleistet, dass die Entscheidungsgewalt in den Händen des eingetragenen Vereins liegen muss. Daran stören sich die Geldgeber, die zwar investieren dürfen, aber über ihr „Investment“ offiziell nicht bestimmen können. Deshalb liegt die Entscheidung nun bei der obersten Wettbewerbsbehörde. Das Bundeskartellamt muss bewerten, ob in dem vereinsgeprägten Wettbewerb der Bundesliga eine solche „Wettbewerbseinschränkung“ erlaubt sein darf. Seit einer ersten, vorläufigen und positiven Einschätzung ringen Gegner und Befürworter umso heftiger.

Aber auch andere Stellen bergen großes Konfliktpotenzial. Zum einen gibt es seit Jahren die Diskussion um die über Fans geführte Polizeidatei „Gewalttäter Sport“. Recherchen belegen: Mehr als ein Viertel der darin aufgeführten Fußballanhänger sind nicht wegen eines Gewaltdelikts aufgenommen worden. Auch deshalb wollte die Ampel-Regierung die „DGS“ rechtlich überprüfen lassen. Doch dies ist auf Drängen der Polizei erst einmal ad acta gelegt worden – eine sensiblere Speicherungspraxis seitens der Polizei soll diesen Konflikt beruhigen.

Und grundsätzlich ringen die Anhänger bei den Verbänden um mehr Mitsprache. Denn Verbände berücksichtigen aus Sicht der Fans vor allem andere Interessensgruppen: Sponsoren, Politik, Sicherheitsbehörden usw. Die Fan-Initiativen bringen sich mit eigenen Konzepten

und Ideen ein und wollen, dass ihre Interessen gleichberechtigt beachtet werden.

Dieses Buch liefert Hintergründe zu den diversen Konflikten im deutschen Profi-Fußball, spricht mit den darin verwickelten Protagonistinnen und Protagonisten und steuert darüber hinaus Diskussions- und Lösungsansätze bei. Dabei werden auch Recherchen des Autors für „sport inside“ (WDR), „sportschau.de“, dem „Sport“ im „Deutschlandfunk“ oder „Der Spiegel“ berücksichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Der ewige Streit um die 50+1-Regel

Kapitel 2 Fans vs. Verbände

2.1 Kollektivstrafen: Der Umgang mit der Kurve

2.2 Zündstoff „Pyro“

2.3 Zerstörtes Vertrauen der Kurve: Die Taskforce „Zukunft Profifußball“

2.4 Wem gehört der Fußball – den Verbänden?

Kapitel 3 Einführung und Umgehung der 50+1-Regel

Kapitel 4 Interview mit Hajo Sommers, Vorstandsvorsitzender SC Rot-Weiß Oberhausen (Regionalliga West). Mai 2022

Kapitel 5 Fans vs. Polizei

5.1 Zankapfel Datei „Gewalttäter Sport“

5.2 Doppelt hält besser? Geheime Dateien über Fußballfans

5.3 Unter Beobachtung

5.4 Absurde Maßnahmen?

Kapitel 6 Unabhängige Überprüfung von 50+1

Kapitel 7 Fans vs. Investoren

7.1 Mehrfach-Beteiligungen in der Bundesliga

7.2 TV-Geldverteilung in der Bundesliga

7.3 Zukunftsmodell „Fans als Investoren“?

Kapitel 8 Interview Martin Kind (Investor und bis Mitte 2024 Geschäftsführer der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA) aus März 2024

Kapitel 9 Nachspiel und Upgrade für 50+1

Kapitel 10 Schlusswort: Wem gehört der Fußball?

Kapitel 1 Der ewige Streit um die 50+1-Regel

Fußball ist mehr als nur ein Spiel. Es ist ein Geschäft, in dem Clubs um Ruhm, Titel und natürlich auch um finanzielle Ressourcen kämpfen. Neben dem sportlichen Wettstreit auf dem Platz findet ein weiterer Wettbewerb abseits des Spielfelds statt: die Suche nach Sponsoren und ja – auch – Investoren. Externe Geldgeber sind für Profi-Clubs immens wichtig, da sie finanzielle Stabilität und die Möglichkeit für Investitionen in Spieler, Infrastruktur und Nachwuchs ermöglichen. In diesem Kampf um Ressourcen entsteht jedoch ein Ungleichgewicht, da finanzstarke Vereine und Investorengruppen einen klaren Vorteil gegenüber Clubs mit geringeren Mitteln haben. Die so genannte 50+1-Regel ist 1998 eingeführt worden, um ein solches Ungleichgewicht zu verhindern oder zumiondest zu minimieren, damit die Wettbewerbsintegrität erhalten bleiben kann.

Diese Regel besagt, dass die Mehrheit der Stimmrechte in einem Verein bei den Mitgliedern liegen muss. So sollen die sportlichen Interessen der Vereine vor den wirtschaftlichen Interessen der Investoren gewahrt werden. In der Debatte um die 50+1-Regel, die in den Satzungen von DFB und DFL verankert ist, wird auch immer wieder die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesligaclubs angeführt, die angeblich mit der Regel verloren gehe. Kritiker sehen die Regel als Wettbewerbsnachteil für deutsche Vereine im Vergleich zu internationalen Clubs, die keine vergleichbaren Beschränkungen haben. Befürworter argumentieren dagegen, dass sie die Tradition des Fußballs als Volkssport bewahrt und verhindert, dass Vereine zu Spielzeugen von reichen Investoren werden.

Die DFL hat 2018 diese Regel proaktiv von Deutschlands obersten Wettbewerbshütern, dem Bundeskartellamt, überprüfen lassen. Doch seitdem die Behörde grundsätzlich grünes Licht für die Regel erteilt und nur die Ausnahmen für die so genannten Werksvereine Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und damals auch noch die TSG 1899 Hoffenheim kritisiert hat, tobt der Kampf darum mehr denn je. Um diesen Kampf zu verstehen, ist es sinnvoll, sich das Beispiel Hannover 96 genauer anzuschauen. 96 ist ein Paradebeispiel dafür, wie die 50+1-Regel wirkt und wie sie einen Riegel vor zu viel Einfluss von Investoren schiebt.

Heute sind die Clubs in der Bundesliga mehrheitlich Kapitalgesellschaften; Aktiengesellschaften oder eine so genannte Kommanditgesellschaft auf Aktien, kurz KGaA.

Die 50+1-Regel besagt, dass auch in diesen Kapitalgesellschaften der Mutterverein das Sagen haben muss. Und eben nicht ein einzelner Investor wie bei Hannover 96 der Unternehmer Martin Kind. Das führt erst einmal zu einer komplizierten Struktur, nicht nur bei Hannover 96. Denn die Profis sind dort in eine GmbH & Co. KGaA, also eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, ausgegliedert. Deren Anteile gehören zu 100 Prozent Martin Kind und seiner Investoren-GmbH. Dennoch bestimmt der Mutterverein, als der Hannoversche Sportverein von 1896 e. V., weiter über die Belange des Clubs mit Hilfe der 50+1-Regel. Das schreibt die Satzung der DFL vor, die sie eins zu eins vom DFB übernommen hat. Auf der Webseite der DFL heißt es:

„Ist – wie im Fall vieler Bundesliga-Clubs – eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) Lizenznehmer, muss der Mutterverein (oder eine von ihm zu 100% beherrschte Tochter) die Stellung des Komplementärs in der KGaA haben, kann aber nach Maßgabe der DFL-Satzung die Kommanditanteile auch mehrheitlich an Dritte veräußern.“

Komplementär ist in einer Kommanditgesellschaft auf Aktien – also KGaA – der persönlich haftende Gesellschafter als Hauptverantwortlicher. Wenn zum Beispiel Schulden anfallen, muss die der Komplementär bezahlen – und das ist in dem Fall der Verein. Der Kommanditist dagegen haftet maximal mit dem Betrag, den er in die Gesellschaft investiert hat.

Vor diesem Hintergrund ist es also völlig legitim, einem Investor 100 Prozent der Anteile eines Clubs zu verkaufen. So lange der e. V. weiter das Sagen über die Geschäftsführung bzw. über das operative Geschäft hat. Und das geht eben mit einer solchen Konstruktion in der KGaA.

In der Saison 2023/24 besaßen neun (!) Bundesligisten einen oder mehrere Investoren. Erst kürzlich hat die Werder Bremen GmbH & Co KGaA18,5 Prozent ihrer Anteile für 38 Millionen Euro an ein regionales Bündnis aus acht Investoren veräußert. Mit diesem Engagement verfügt mittlerweile die Hälfte der Bundesliga über Anteilseigner. Viele davon sogar mit mehreren Geldgebern; Branchenprimus Bayern zum Beispiel mit Audi, Allianz und Adidas, die jeweils 8,33 Prozent an der FC Bayern München AG besitzen.

Auch der VfB Stuttgart hat sich erst kürzlich einen dritten Investor reingeholt und mit dem Autobauer Porsche vereinbart, für etwas mehr als 40 Millionen Euro 10,4 Prozent seiner Kapitalanteile zu veräußern. Porsche ist damit beim VfB der dritte externe Geldgeber nach Mercedes mit ebenfalls 10,4 Prozent und dem Sportartikelhersteller Jako mit einem Prozent. Dies zeige, so der VfB-Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle, dass sie damit zwei Weltmarken als Ankerinvestoren aus der gleichen Branche beim VfB Stuttgart hätten. Aber auch Borussia Dortmund (BVB) als börsennotierter Fußball-Club, die Frankfurter Eintracht mit regionalen Investoren und auch der FC Augsburg verfügen über entsprechende externe Geldgeber.

Der BVB ist dabei als einziger Bundesligist börsennotiert. Ähnlich wie der FC Bayern München, der als Aktiengesellschaft nicht an der Börse notiert ist, haben die Dortmunder ihre strategischen Partner als Investoren. Ausrüster Puma besitzt seit rund 10 Jahren fünf Prozent der Aktien, also an der ausgegliederten Lizenzspieler GmbH & Co. KGaA. Dafür sind etwas mehr als 20 Mio. Euro geflossen. Das Versicherungsunternehmen Signal Iduna, gleichzeitig Namensgeber des BVB-Stadions, hält rund sechs Prozent Anteile. Etwas mehr als acht Prozent der Kapitalanteile hält das Chemie-Unternehmen Evonik, größter Aktionär ist der Unternehmer und BVB-Fan Bernd Geske mit rund neun Prozent. Mit diesem Modell bindet der BVB wie die Bayern seine Partner langfristig. Denn neben den Anteilen kommen jährliche Sach- und Geldzuwendungen als Werbepartner. Puma wird dabei auf rund 30 Millionen Euro pro Saison geschätzt, die dafür seitens des Clubs eingenommen werden.

Dazu kommt das Konstrukt Rasenballsport Leipzig, der von einem Getränkehersteller gegründet worden ist. Dieser betreibt das so genannte Multi-Club-Ownership (MCO) und verfügt im internationalen Profi-Fußball mittlerweile über mehrere Profi-Clubs, die in einer Konzernstruktur geführt werden. Mit Bayer 04 Leverkusen und dem VfL Wolfsburg verbleiben noch die so genannten Werksvereine, die sich zu 100 Prozent im Besitz der dahinterstehenden Unternehmen befinden und damit eine Ausnahmeregelung nutzen, die die 50+1-Regel bisher gestattet: Wer mehr als 20 Jahre ununterbrochen und in erheblichem Maße den Fußball gefördert hat, kann ab dann den Verein offiziell als Eigentümer „übernehmen“.

Auch die TSG Hoffenheim und ihr Geldgeber, der Milliardär Dietmar Hopp, hatten bis vor kurzem zu diesen Ausnahmeclubs gehört. Doch im Zuge des vor dem Bundeskartellamt ausgehandelten Kompromisses – dazu später mehr – zur Neugestaltung der Regel hat die TSG bereits 2023 die Anteile von ihrem Geldgeber Hopp wieder übernommen. Sonst wären aktuell die Clubs mit Investoren in der Bundesliga in der Überzahl.

Sportlich jedenfalls wird die Bundesliga von Clubs mit externen Geldgebern dominiert. In der Saison 2023/24 waren der SC Freiburg, Union Berlin, Mainz 05, Darmstadt 98 und der 1. FC Heidenheim die letzten verbliebenen eingetragenen Vereine der Bundesliga ohne ausgegliederte Profiabteilung. Sie können mit ihrer gegenwärtigen Struktur auch keine Anteile verkaufen, dafür müssten die Profis erst in eine Kapitalgesellschaft überführt werden.

Der 1. FC Köln, der VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach sind diesen Schritt schon gegangen. Allerdings haben diese drei Clubs bisher noch keine Anteile veräußert. Es ist also grundsätzlich für die Bundesligaclubs auch unter der 50+1-Regel möglich, Anteile sogar bis zu 100 Prozent zu veräußern. Wenn also davon gesprochen wird, die Bundesligaclubs seien international nicht konkurrenzfähig, weil sie keine Investoren reinlassen dürfen, ist das schlichtweg falsch. Denn das ist auch mit 50+1 möglich.

Nur die genannten eingetragenen Vereine können keine Investoren beteiligen, sondern müssten wie der Rest der Erstligisten in einer ausgegliederten Kapitalgesellschaft agieren, die meisten in der Rechtsform der KGaA. So wie es bei Hannover 96 der Fall ist. Um die 50+1-Regel zu erfüllen, ist der Mutterverein der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, in der die Lizenzspieler untergebracht sind, weisungsbefugt gegenüber dem Geschäftsführer. Das ist bis 2024 gleichzeitig der Investor gewesen, nämlich Martin Kind. Und der sollte eigentlich unter Aufsicht des Muttervereins agieren, was aber ständig zu Konflikten geführt hat. Denn obwohl Kind alle Anteile der Profis bei 96 gehören, kann er wegen der 50+1-Regel als Investor nicht machen, was er will. Und als Geschäftsführer ist er dem Vorstand des eingetragenen Vereins weisungsgebunden. So zu mindestens die Theorie.

In der Praxis lautet der Vorwurf, dass sich Martin Kind als Geschäftsführer nicht an die Weisungen des Muttervereins gehalten habe, zum Beispiel bei der Abstimmung der DFL zu einem Investoreneinstieg Ende 2023. In diesem Fall hatte der Mutterverein seinen Geschäftsführer Martin Kind angewiesen mit „Nein“ zu stimmen. Ob sich Kind daran gehalten hat, ist unklar. Kind hat mit Verweis auf die geheime Abstimmung nicht öffentlich gemacht, wie er votiert hat. Da andere Vereinsvertreter ihr Abstimmungsverhalten öffentlich gemacht haben, liegt jedoch die Vermutung nahe, dass Kinds Stimme den Ausschlag gegeben haben könnte, und dadurch genau jene 24 Ja-Stimmen zusammengekommen sind, die für einen positiven Beschluss nötig waren. Und das bringt den Konflikt, der seit Einführung der Regel 1998 schwelt, zu einem neuen Höhepunkt. Denn dadurch hat sich das Bundeskartellamt gezwungen gesehen, einen bereits ausgehandelten Kompromiss zur endgültigen und offiziellen Genehmigung der Regel durch die Behörde wieder aufzuschnüren. Die Bundesliga befindet sich deshalb in einem echten Wirtschaftskrimi …

Kapitel 2 Fans vs. Verbände

2.1 Kollektivstrafen: Der Umgang mit der Kurve

Auch auf anderen Feldern führen die Fans mit dem DFB und der DFL harte Auseinandersetzungen. Dabei ist die Beziehung gerade zwischen Fans und DFB in den letzten Jahren von Spannungen und Konflikten geprägt. Es gibt verschiedene Gründe für diese Entwicklung: Fans kritisieren häufig Entscheidungen des DFB, wie z. B. Spielansetzungen oder den Umgang mit ihren Protesten. Zudem beanstanden die Anhänger oft mangelnde Kommunikation und Transparenz seitens des Verbandes. Sie fühlen sich nicht ernst genommen bzw. nicht in Entscheidungen mit eingebunden. Obwohl es mittlerweile vielfältige Austauschforen wie Arbeitsgruppen mit Fanvertretern gibt, die der Verband etabliert hat. Dennoch wird der DFB zunehmend als kommerziell ausgerichtetes Unternehmen wahrgenommen, das die Interessen der Fans nicht ausreichend berücksichtigt.

Diese Spannungen haben sich in verschiedenen Formen des Protests geäußert. Dazu gehören z. B. das Abbrennen von Pyrotechnik und Banner mit massiver Kritik am DFB. Aber auch neue Fanvereinigungen sind gegründet worden, die sich für die Interessen der Fans einsetzen. Dabei stehen die sogenannten Kollektivstrafen im Zentrum des Konflikts zwischen Ultras und dem DFB. Aus Fansicht werden hierbei für Verfehlungen einiger weniger Anhänger pauschal alle Fans bestraft. Das kann von Geldstrafen bis hin zu einer Auswärtsspielsperre gehen. Aktuell werden diese Kollektivstrafen nicht mehr angewendet, weil sie immer für große Proteste gesorgt haben. Und so manchen vorhandenen Graben in der Vergangenheit noch vertieft haben.

Die Kollektivstrafe gegen Borussia Dortmund-Anhänger bei Auswärtsspielen gegen die TSG Hoffenheim ist dabei ein Vorfall, der den Dialog zwischen Fans und DFB endgültig zum Erliegen gebracht hat. Seit Februar 2020 galt eine dreijährige Sperre für den Gästeblock bei Spielen zwischen Hoffenheim und dem BVB in Sinsheim. Diese Strafe ist aufgrund eines etwaigen Fehlverhaltens der BVB-Fans bei Auswärtsspielen in Hoffenheim verhängt worden, insbesondere wegen der Schmähgesänge gegen den Hoffenheim-Investor Dietmar Hopp. Die Sperre sollte ursprünglich bis zum Ende der Saison 2022/23 laufen, ist aber aufgrund der Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Geisterspielen de facto nicht angewandt worden. Im Sommer 2023 ist die Sperre nun endgültig ausgelaufen.

Die Spannungen zwischen den BVB-Fans und Dietmar Hopp gehen auf dessen Rolle als Investor und ehemaligen Eigentümer der TSG Hoffenheim zurück. Hopps Engagement wird von den Ultras als totale Kommerzialisierung des Fußballs gebrandmarkt, da die TSG mit der finanziellen Unterstützung des Milliardärs bis in die Bundesliga aufsteigen konnte. Da in Hoffenheim nur rund 2.000 Menschen leben, wäre ohne diese finanzielle Unterstützung ein Aufstieg in den Profi-Fußball nur schwer vorstellbar gewesen. Dies hat in der Vergangenheit zu zahlreichen Protesten und verunglimpfenden Gesängen gegen Dietmar Hopp bei Spielen gegen den BVB geführt. Der DFB reagierte darauf mit der Verhängung von Kollektivstrafen gegen die Dortmund-Fans, die von vielen als unverhältnismäßig angesehen wurden.

Datenschutz-Verfahren durch Fans initiiert

Zur Überwachung der Gästefans und zur Aufzeichnung der Schmähgesänge waren im Sinsheimer Stadion auch Richtmikrofone vom Stadionbetreiber installiert. Ein einmaliges Vorgehen in der Bundesliga, das dann sogar zu einem Datenschutzverfahren geführt hat. Die DFL schreibt in der Bundesliga lediglich Videoüberwachung vor, die der Polizei zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden muss.

Nicht vorgeschrieben sind dagegen Mikrofone, die Aufnahmen von Gesängen der Kurve machen. Den zuständigen Landesdatenschutz-Beauftragten aus Baden-Württemberg veranlasste dies zu einer Prüfung, nachdem betroffene Fans 2019 eine Beschwerde eingereicht hatten. Da es bisher kaum Datenschutz-Verfahren im deutschen Profi-Fußball gegeben hatte, musste der Landesdatenschutz-Beauftragte dieses Vorgehen des Sinsheimer Stadionbetreibers völlig neu bewerten. Am Ende gestattete er die Installation der Richtmikrofone und die Datenweitergabe. Datenschutzrechtlich sei das nicht zu beanstanden.

Wörtlich heißt es dazu im Tätigkeitsbericht 2019 des Landesdatenschutz-Beauftragten Baden-Württemberg:

„Nach Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe f der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) ist eine Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Hier kamen wir zum Ergebnis, dass der Verein berechtigt war, Bild- und Tonaufnahmen vom Stadiongeschehen herzustellen und von der Polizei die Namen derjenigen zu erheben, die gegen die Stadionordnung verstoßen hatten.“

Strafverfahren gegen zahlreiche Fans

Letztendlich ist es wegen der Schmähungen zu zahlreichen individuellen Verurteilungen von Fußballfans aufgrund der Anzeigen Dietmar Hopps gekommen – auch das bis dato ein einmaliger Vorgang im deutschen Fußball. Doch bei einigen Berufungsverfahren hat Dietmar Hopp am Ende Strafanträge zurückgezogen. Ein Entgegenkommen Dietmar Hopps an die angeklagten Fußballfans, so will es der ehemalige Hoffenheim-Eigentümer verstanden wissen. Diese Berufungsverfahren lagen seit 2019 in Heidelberg, nachdem vorher das Amtsgericht Sinsheim die Angeklagten zu Geldstrafen verurteilt hatte. Das Amtsgericht Sinsheim geht im Jahr 2019 von schätzungsweise 60 Verfahren gegen Fußballfans insgesamt aus, die dort wegen Schmähgesängen gegen den SAP-Gründer geführt worden seien. Sowohl dieses Vorgehen als auch die damit verbundene Kollektivstrafe hat den Kulturkampf in den Stadien der Bundesliga weiter aufgeheizt. Denn nach Bekanntwerden der Anzeigen gegen die Fans bzw. der Kollektivstrafen solidarisierten sich die Fankurven deutschlandweit mit den betroffenen Anhängern und riefen ähnliche Schmähgesänge in den Stadionkurven, auch wenn Hoffenheim gar nicht beteiligt war.

Die Südkurve in München reagierte ebenfalls mit einem Spruchband. Es lautete: „Alles beim Alten: Der DFB bricht sein Wort – Hopp bleibt ein Hurensohn.“

Auslöser für dieses Spruchband seien andauernde Wortbrüche des DFB gewesen, weil der Verband den Fanszenen 2017 zugesichert habe, dass es keine Kollektivstrafen mehr geben würde. Dennoch ist dann gegen die Dortmunder ein Auswärtsfahrverbot für Spiele in Sinsheim verhängt worden, weil sie wiederholt Dietmar Hopp beleidigt hätten. Deshalb seien die Sprüche und Grafiken der Dortmunder übernommen worden. Das Reizwort „Hurensohn“ werde nur deshalb zitiert, weil es beträchtlichen Anteil an der Dortmunder Strafe gehabt hätte.

Am Ende entschloss sich der DFB, die Strafen einzustellen. In einer Pressemitteilung des DFB vom 5. Juni 2020 heißt es: „Das schließt sämtliche Vereinsverfahren ein, beispielsweise wegen Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion, Zuschauerausschreitungen oder verbotener Banner. Grund: die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen für die Clubs.“

Der Verband nutzte die Corona-Pandemie, um ein für ihn brisantes Thema abzuschließen, obwohl zuvor deswegen noch von einem neuen Tiefpunkt im Fußball gesprochen worden war.

Pyro-Streit bis vor den Bundesgerichtshof

Kurze Zeit später bekommt der DFB allerdings Rückenwind in Sachen „Kollektivstrafen“. 2021 entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) höchstrichterlich, dass diese Verbandsstrafen rechtens seien. Der FC Carl Zeiss Jena aus der Regionalliga Nordost hatte dagegen geklagt, für etwas bestraft zu werden, was er nicht verursache und er alles Mögliche unternehme, um das Abbrennen von Bengalos im Stadion zu verhindern. Sogar Spürhunde seien eingesetzt worden, um Bengalos im Stadion aufzuspüren. Dazu patrouillierten Nachtwachen rund um das Stadion, damit nichts vorher im Stadion platziert werden könne.

Trotz dieser Bemühungen und Beteuerungen des FC Carl Zeiss Jena entschied der BGH, dass der Verein für die Vergehen seiner Fans haften muss. In seinem Urteil stellt der BGH klar, dass die Geldstrafen des DFB keine Strafen im eigentlichen Sinne darstellten, sondern präventive Maßnahmen seien. Diese seien auch ohne ein Verschulden des Vereins zulässig. Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass Fußballvereine eine „Garantenpflicht“ für die Sicherheit und Ordnung im Stadion haben. Sie müssen daher alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um das Abbrennen von Pyrotechnik zu verhindern. Der Vorsitzende Richter Thomas Koch erklärte das Urteil wie folgt:

„Wir sind nach eingehender Beratung zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dieser Geldstrafe nicht um eine Strafe oder strafähnliche Sanktion handelt, sondern um eine reine Präventivmaßnahme. Die auch ohne ein Verschulden des Vereins zulässig ist.“

Das Urteil des BGH hat weitreichende Folgen für den FC Carl Zeiss Jena und andere Fußballvereine. Die Vereine müssen ihre Bemühungen zur Eindämmung von Pyrotechnik weiter verstärken, um weitere Geldstrafen zu vermeiden. Der DFB hat sich durch das Urteil in seiner Auffassung bestätigt gesehen, dass diese Geldstrafen eine präventive Maßnahme seien, die einen ordnungsgemäßen Spielbetrieb gewährleisten würden. Doch das Urteil hat auch Kritik erfahren. Falls der DFB die Vereine zu einer Strafzahlung verurteilt, handele es sich dabei auch immer um eine so genannte verschuldensunabhängige Sanktion.

Der FC Carl Zeiss Jena hat deshalb darauf hingewiesen, dass selbst der DFB Pyrotechnik beim jährlichen Pokalendspiel in Berlin nicht verhindern könne. Aus Vereinssicht habe sich dieser nichts zu Schulden kommen lassen, werde aber für das Fehlverhalten einer Fangruppe bestraft, worunter dann auch Anhänger leiden, die völlig unschuldig seien.

„Kollektivstrafen wirken auf Fans, wie auf alle anderen Menschen auch. Es ist ein Gefühl von Willkür, und Fronten werden verhärtet“, kritisiert daraufhin im Deutschlandfunk Thomas Kessen von „Unsere Kurve“, in der sich Fans von Bundesliga bis Regionalliga zusammengeschlossen haben. Das Thema Kollektivstrafen sei sehr sensibel in den deutschen Stadionkurven, so Kessen weiter: „Falls der Typ neben mir ein Bengalo anmacht, warum muss ich mit dafür haften, wenn der einen Fehler begeht? Wenn ich im Supermarkt neben jemanden stehe, der sich gleichzeitig die Taschen vollmacht, und da was mitgehen lässt, dann bin ich ja auch nicht mitschuldig. Von daher ist das Gefühl der Willkür da schon sehr, sehr groß!“

Besondere Regeln im Verbandsrecht

Hier unterscheidet sich wieder einmal das besondere Verbandsrecht im Sport vom eigentlichen Rechtssystem, in dem nur jemand strafrechtlich belangt werden kann, dem eine konkrete Tat nachgewiesen wird. Da sich aber die Vereine unter dem Dach des DFB dem Verbandsrecht verpflichten, unterstehen sie besonderen Regeln. So hat der DFB in seiner Rechtsordnung festgelegt, dass die Vereine für das Verhalten ihrer Anhänger haften.

Der DFB betont daher in seiner Pressemitteilung, dass die DFB-Rechtsorgane auch laut dem BGH-Urteil von den Vereinen fordern können, einen störungsfreien Spielbetrieb sicherzustellen. Denn anders als der DFB hätten die Clubs Zugang zu ihren Anhängern.

Doch die Kollektivstrafen heizen den Konflikt zwischen Fanszenen und dem DFB weiter an. Dieses Problem ist mit der BGH-Entscheidung nicht gelöst, sondern besteht weiter. Das gilt gerade für den Einsatz von Pyrotechnik in den Stadien. Allein in der Saison 2019/20 hat der DFB Strafzahlungen von mehr als 2 Millionen Euro kassiert. Sobald es in der Kurve brennt, wird also sanktioniert.

Das Abrennen von pyrotechnischen Gegenständen kostet in der Bundesliga 1.000 Euro, in der 3. Liga ist es mit 350 Euro preiswerter. Zahlen müssen diese Strafen weiter die Vereine, wie der BGH bestätigt hat. Eine Lösung in diesem Konflikt ist jedenfalls nicht in Sicht, im Gegenteil.

2.2 Zündstoff „Pyro“

Der Einsatz von Pyrotechnik hat bisher den Großteil der Strafzahlungen in der Bundesliga verursacht. Auf der einen Seite steht das Verbot, auf der anderen Seite das dadurch erzeugte Stimmungsbild in den Stadien. Das führt mitunter zu erheblichem Zündstoff und zwar nicht nur im wörtlichen Sinne. Exemplarisch hierfür steht das rheinische Derby zwischen dem 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen in der Saison 2017/18. Es ist keine Stunde mehr Zeit bis zum Anpfiff, da entdecken Kameras, wie Gästefans auf dem Oberrang im Müngersdorfer Stadion Pyrotechnik in großen Mengen sortieren. Hilfesuchend wendet sich deshalb der Veranstaltungsleiter vom 1. FC Köln an den Einsatzleiter der Polizei, Volker Lange. Der Stand zu diesem Zeitpunkt: Kein Anpfiff wegen zu großer Sicherheitsbedenken. Denn falls die ganze Pyrotechnik gezündet würde, könnten nicht nur im Unterrang Zuschauer in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei der großen Masse an Feuerwerksfackeln befürchten die Verantwortlichen auch Rauchvergiftungen bei anderen Zuschauern.

„Für mich war jetzt ganz sachlich die Frage zu klären, was ist gefährlicher? 50.000 erwartungsfrohe Zuschauer nach Hause zu schicken, die dem Derby entgegenfieberten. Oder den Dialog mit den Leverkusener Ultras zu suchen!“, berichtet Volker Lange damals in einem Beitrag für den SPIEGEL.

Der stämmige Schutzmann leitet zu diesem Zeitpunkt seit über acht Jahren Einsätze im Kölner Stadion. „VL 110“, so Volker Langes Spitzname in der Kurve, geht in den Block, in dem die Pyrotechnik gesichtet worden ist, nicht ohne vorher Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Vorübergehend werden die Einlass-Tore für die Gästefans geschlossen, sodass die noch 1.000 draußen wartenden Bayer-Anhänger nicht ins Stadion kommen können. Dazu versammelt sich vor dem Block eine Hundertschaft Polizei. Die Zugangslöcher zu den Blöcken jedoch werden freigehalten, damit jeder abhauen kann, der will, und keine Panik ausbricht. Volker Lange geht dann in seiner blauen Polizeiuniform unbewaffnet in den Block. Er hat sich vorher über das Leverkusener Fanprojekt ankündigen lassen. Dementsprechend „herzlich“ wird er auch von den Ultras empfangen:

„Als sie sich ein wenig beruhigt hatten und ich zu Wort kam, erläuterte ich die Problematik, und setzte sie über unsere Maßnahmen in Kenntnis. Danach konnten wir über das eigentliche Problem sprechen. Ich schlug ihnen vor, nichts davon abzubrennen. Sodass wir das Spiel anpfeifen, und auch schleunigst wieder die Tore für die noch draußen wartenden Gästefans öffnen können. Dann gab ich ihnen fünf Minuten Zeit zu entscheiden, fertig.“

Er bringt die Ultras mit seinem Vorgehen auch deshalb in Bredouille, weil die besonders fanatischen Fußballfans grundsätzlich nicht mit der Polizei reden. Deshalb fühlen sie sich durch seine Aktion erst einmal diskreditiert. Doch nach fünf Minuten Bedenkzeit gehen die Leverkusener Ultras auf sein ungewöhnliches Angebot ein. So können ab 15:11 Uhr alle anderen Gäste-Anhänger noch ins Stadion, und das Spiel kann pünktlich angepfiffen werden. Zudem halten sich die Ultras während des Spiels an ihr Wort. Dieser Pakt zwischen Ultras und Polizei ist schon allein deshalb bemerkenswert, weil die Gräben zwischen den beiden Gruppen nicht tiefer sein können.

Anderes Bundesligastadion, andere Sitten. Ein halbes Jahr später stürmt die Dortmunder Polizei den Block der Gästefans von Hertha BSC, die hinter ihrem Banner Pyro zünden. Dafür heimst die Polizei harsche Kritik an ihrem Vorgehen, das letztendlich im Stadion zu einer gewalttätigen Eskalation führt, ein. Die Polizei Dortmund legt im Nachhinein dar, dass die von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ausgegebene „Null-Toleranz-Strategie“ umgesetzt worden sei. Weder die Vereine noch die Fanvertreter sind jedoch über die neue Polizeistrategie informiert gewesen, bei jeder Pyroaktion den Fanblock zu stürmen.

Pyrozonen als Kompromisslösung?

Den Pyro-Konflikt versuchen manche Vereine in Eigenregie zu entschärfen, aber sind dabei nicht wirklich zu einer Lösung gekommen. Werder Bremen hat zum Beispiel die so genannte kalte Pyro ausprobiert. Dort kam man aber zum Ergebnis, dass selbst diese immer noch zu gefährlich sei. Denn auch kalte Pyro entwickelt Hitzegrade zwischen 300 bis 500 Grad Celsius, so Präsident Hubertus Hess-Grunewald 2019 nach den Tests. Die für den Sport zuständigen Innenminister der Bundesländer haben einen etwaigen Einsatz dieser Fackeln von vornherein abgelehnt. Schon als die Diskussion darüber aufkam, ist sie seitens des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) erstickt worden: „Es gibt keine ‚kalte‘ Pyrotechnik. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden sind auch 200 oder 300 Grad heiße Fackeln brandgefährlich für jeden Stadionbesucher, denn sie können ebenso zu schweren Verletzungen führen. Deshalb sind sie auch zurecht verboten!“ (CDU Hessen vom 28.11.2018).

Eine Legalisierung hierzulande unter den jetzigen Voraussetzungen steht also nicht an. Vielmehr stellen die Innenminister der Länder härtere Strafen für das Abbrennen in Aussicht, um Pyro ganz aus den Stadien zu verdrängen. Schon in einem Beschluss aus Dezember 2019 heißt es:

„Die Innenministerkonferenz ist der Auffassung, dass Änderungen und Ergänzungen bei den §§ 40 und 41 des Sprengstoffgesetzes geeignet sind, (…) der tatsächlichen Gefährlichkeit des Umgangs mit Pyrotechnik Ausdruck zu verleihen.“

Diese Linie zieht sich in den Sitzungen der nachfolgenden Jahre so weiter durch, zuletzt Ende 2023. Die Innenministerkonferenz (IMK) hat sich hier in einem Beschluss nochmals klar gegen Pyrotechnik bei Fußballspielen ausgesprochen. Die Minister fordern, dass die Vereine mögliche Sanktionen wie beispielsweise Stadionverbote konsequent umsetzen. Ebenso sollen die Vereine eine effektive Kontrolle beim Einlass sicherstellen, um Pyrotechnik zu verhindern. Allerdings brennt es bei jedem DFB-Pokalfinale lichterloh, obwohl dort entsprechende Einlasskontrollen vom Verband durchgeführt werden.

Wie volatil das Abbrennen von Bengalos & Co. ist, davon zeugt der Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei. In der Saison 2018/19 sind nur 242 ordnungswidrige Verstöße im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Pyrotechnik festgestellt worden. Nach der Corona-Zeit hat sich das enorm gesteigert, in der Saison 2022/23 sind 2.575Verstöße nach dem Ordnungswidrigkeitsgesetz erfasst worden.

Die verhängten Strafgelder seitens des DFB haben sich dadurch in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. In der Spielzeit 2022/2023 sind vom Verband in fast 300 Verfahren Geldstrafen in Höhe von 7.369.400 Euro ausgesprochen worden. In der letzten vollständigen Saison vor Corona 2018/19 waren es noch 3.241.775 Euro. Der Hauptteil der Strafen betraf dabei das Abbrennen von Pyrotechnik.

Von der strikten Verbotslinie abweichenden Lösungsansätzen schieben Politik und Verband allerdings direkt einen Riegel vor. Als zum Beispiel der damalige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) Pyrozonen im Stadion vorschlägt, kassiert die Sportministerkonferenz diesen Vorstoß direkt wieder ein. Dabei gibt es in der amerikanischen Major League Soccer längst solche Zonen, z. B. bei Orlando City, mit der Intention das europäische Fußballgefühl so besser in die MLS zu transportieren. Auch in Österreich sind solche Zonen eingeführt worden. Der dortige Bundesliga-Vorstand Ebenbauer feierte das 2018 als Erfolgsmodell, weil die illegale Pyrotechnik-Nutzung zum Beispiel bei Rapid Wien um 90 Prozent zurückgegangen sei. Noch wichtiger: Laut Ebenbauer sei in den Stadien seit der Einführung dieser Zonen niemand mehr durch Pyrotechnik zu Schaden gekommen. Die Fans von Rapid durften seit 2010 pro Heimspiel 50 pyrotechnische Fackeln benutzen – unter den Bedingungen, dass sie in einem abgesperrten Bereich unten im Block gezündet werden und während des Brennens nach vorne gehalten werden.

Doch als eine neue Regierung mit Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ an die Macht kommt, werden diese Pyro-Zonen wieder einkassiert. Unabhängig davon, dass das illegale Abbrennen von Bengalos erheblich reduziert worden ist, war dies eine Kompromisslösung, die einen möglichen Lösungsweg für den schwelenden Konflikt hätte aufzeigen können.

Anders in Norwegen. Hier ist 2024 beschlossen worden, dass im Rahmen eines Pilotprojekts die Nutzung von Pyros in den ersten beiden Ligen zugelassen wird. Erreicht hat dies die norwegische Fanvereinigung „Norsk Supporterallianse“, die sich seit Jahren für eine Legalisierung von Pyrotechnik in den Stadien einsetzt.

„Ich denke, die Behörden müssen akzeptieren, dass Pyro ein Teil der Fußballkultur ist, und es nicht verschwinden wird“, sagt Anders Kjellevold in einem Interview mit der Sportschau. „Sie werden es nicht schaffen, das durch ein Verbot zu entfernen. Das ist unmöglich. Deshalb muss man überlegen, was man tun kann, um die Sicherheit zu verbessern!“

Besonders dabei ist eben, dass die norwegische Politik mitzieht. Für Norwegens Kulturministerin Lubna Jaffery sei Pyro „Teil der norwegischen Fankultur“. Deshalb werde man Leuchtfackeln, Rauchtöpfe und Co. unter bestimmten Voraussetzungen im norwegischen Profifußball ausprobieren.

Bis Ende der kommenden Saison 2025 ist in Norwegen nun das Abbrennen von Pyro in den Stadien der beiden obersten Ligen erlaubt. Allerdings unter strengen Auflagen. Denn die Fans müssen volljährig sein, vorab eine Schulung durchlaufen und völlig nüchtern beim Abbrennen der Pyro sein. Diese darf nur in extra markierten Bereichen mit einem Abstand von einem Meter zwischen den Anhängern überhaupt gezündet werden. Ziel der Maßnahme ist, die unerlaubte Nutzung von Pyrotechnik einzudämmen. Am Ende der Saison 2025 sollen dann die gemachten Erfahrungen bewertet werden.

Der norwegische Fanvertreter Anders Kjellevold empfiehlt dem deutschen Fußball ebenfalls, die Verbote aufzubrechen. Denn legale Pyro sei eine Maßnahme, um die Sicherheit zu verbessern und auch ein Stück weit den Konflikt zwischen Fans und Polizei zu beruhigen.

2.3 Zerstörtes Vertrauen der Kurve: Die Taskforce „Zukunft Profifußball“

Ob Kollektivstrafen oder Pyroverbot, die Fußballanhänger sehen sich ständig in der Defensive. Deshalb organisieren sie sich im Hintergrund und schließen sich zusammen, um in die Offensive gehen zu können. „In den Farben getrennt, in der Sache vereint“ kommen die aktiven Fanszenen dem organisierten Profi-Fußball im Sommer 2020 erstmals ein Stück weit zuvor.

Plötzlich gibt es ein breites Bündnis mit mehr als 2.000 Fanclubs und Fanorganisationen. Die Initiative „Unser Fußball“ zielt dabei auf die DFL und den DFB ab. Zum Online-Start der Kampagnenseite für einen nachhaltigeren und basisorientierten Profifußball Ende Juni 2020 haben bereits mehr als 1.000 Fanclubs von Vereinen aus allen Ligen, von der Bundesliga bis zur Regionalliga, diesen Aufruf unterzeichnet. Nur eine Woche später hat sich diese Zahl auf 2.000 verdoppelt. Hinzu kommen über 10.000 Einzelpersonen sowie alle großen, bundesweiten Fanverbände wie „Unsere Kurve“, „Pro Fans“ und das Bündnis Aktiver Fußballfans „B.A.F.F.“. Diese Entwicklung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem DFL und DFB nur sehr defensiv agieren können. Durch die Wiederaufnahme der Bundesliga mitten in der Corona-Pandemie ist die Sonderrolle des Fußballs in Deutschland unbestreitbar geworden. Einer der Initiatoren ist Manuel Gaber aus Freiburg. Der 27-jährige Co-Organisator von „Unser Fußball“ hat auch bei der Initiative „50+1 bleibt“ geholfen und fordert einen grundlegenden Wandel im Profifußball: