Wenn das Unfassbare geschieht - Sabine Morgan - E-Book

Wenn das Unfassbare geschieht E-Book

Sabine Morgan

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Beschreibung

Die Wahrscheinlichkeit, eine traumatische Erfahrung im Leben machen zu müssen, ist hoch: Die meisten Menschen werden mindestens einmal in ihrem Leben mit einem solchen Erlebnis konfrontiert. Einige können diese Erfahrungen bewältigen, viele jedoch drohen daran zu zerbrechen. Psychologische Hilfen werden oft erst (zu) spät eingeholt. Damit einher gehen nicht selten unerträgliche Leiden der Betroffenen, ihrer Angehörigen sowie des gesamten sozialen Umfelds. Der Ratgeber richtet sich an alle, die besser verstehen wollen, was traumatische Erlebnisse in der Welt der Betroffenen auslösen. Er leistet praktische Hilfe, indem er über das Thema kompetent und anschaulich aufklärt und alternative Wege des Umgangs mit Traumata aufzeigt.

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Inhalt

Cover

Titelei

1 Einleitung

1.1 Warum dieses Buch?

1.2 Traumata können verschiedene Ursachen haben

1.3 Seelische Verletzungen werden oft nicht ernst genommen.

1.4 Rechtzeitig fachliche Hilfe in Anspruch nehmen!

1.5 Wie fühlen sich Traumatisierte und die Menschen um sie herum?

1.6 Rat für Betroffene und die Menschen um sie herum

1.7 Erklärung und Anleitung zur (Selbst-)‌hilfe

1.8 Hinweise zu diesem Buch

1.8.1 Aufbau dieses Buches

1.8.2 Lesehilfe

1.8.3 Fachbegriffe und Fremdwörter

2 Ein Trauma – Was ist das?

2.1 Welche Ereignisse können zu einer Traumatisierung führen?

2.2 Welches sind die möglichen Folgen einer Traumatisierung?

2.2.1 Immer wiederkehrende Erinnerungen

2.2.2 Widerstands- und Risikofaktoren beeinflussen die Verarbeitung des Traumas

2.2.3 Am Trauma »hängen bleiben«

2.2.4 Verdrängung von Erinnerungen

2.3 Symptome einer Traumatisierung

2.3.1 Quälende Erinnerungen und Bilder

2.3.2 Wiedererleben des Traumas

2.3.3 Erinnerungsverlust

2.3.4 Vermeidung

2.3.5 Körperliche Reaktionen

2.3.6 Aggression und Reizbarkeit

2.3.7 Schreckhaftigkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit

2.3.8 Interesseverlust

2.3.9 Gefühl der Hoffnungslosigkeit

2.3.10 Übervorsichtigkeit und übertriebene Wachsamkeit

2.4 Symptome als Selbstheilungsversuch

2.5 Der »natürliche« Traumaverlauf

2.6 Erste Hilfe

2.6.1 In der Phase der akuten Traumatisierung

2.6.2 Nach der akuten Traumatisierungsphase

3 Wenn die Selbstheilungskräfte nicht ausreichen

3.1 Wann sind die Symptome der Heilung nicht mehr förderlich?

3.1.1 Ausbleiben der Erholungsphase

3.1.2 Keine Besserung der Symptome

3.1.3 Traumatische Erfahrungen in der Vergangenheit

3.2 Was tun, wenn die Selbstheilungskräfte nicht ausreichen?

3.3 Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater: eine Orientierungshilfe

3.3.1 Traumatherapeuten

3.3.2 Wo den geeigneten Therapeuten finden?

3.3.3 Wartezeiten: Geduld!

3.3.4 Es gibt keinen Röntgenblick

3.3.5 Psychotherapeutische Praxen

3.3.6 Die ersten Stunden beim Therapeuten: Ankommen und Diagnose

3.3.7 Die »Chemie« muss stimmen

3.3.8 Der Therapieantrag

3.4 Therapieziele

3.5 Was kann es erschweren, eine Traumatherapie in Anspruch zu nehmen?

3.5.1 Besonders gefährdete Berufsgruppen

3.5.2 Ich muss meine Probleme alleine lösen ...

3.5.3 Schuld- und Schamgefühle

3.5.4 Angst vor dem Darüber-Sprechen

3.5.5 Angst vor Stigmatisierung

3.6 Langfristige mögliche Folgen von Traumatisierungen

3.6.1 Vermeidung und Betäubung

3.6.2 Zwanghaftes »Sich-dem-Trauma-wieder-aussetzen«

3.6.3 Selbstzerstörerisches Verhalten

3.6.4 Depression

3.6.5 Angststörungen

3.6.6 Körperliche Symptome

3.6.7 Suizidalität

3.7 Die Diagnose durch den Hausarzt und: Helfen Medikamente bei einer durch ein Trauma ausgelösten Belastungsstörung?

3.8 Symptome und Kriterien einer Belastungsstörung

4 Unterstützung der Selbstheilungskräfte

4.1 Erste Organisation des Alltags

4.2 Instrumente zur ersten Selbsthilfe

4.2.1 Das innere Kind trösten

4.2.2 Fähigkeitenliste

4.2.3 Freudebiografie erstellen

4.2.4 Notfallkoffer packen

4.2.5 Zum Umgang mit Intrusionen

4.2.6 Übungen in Ruhe lesen und ausprobieren

4.2.7 Nebenwirkungen

4.2.8 Keine Atem- und Entspannungsübungen bei Selbstmordgedanken!

4.2.9 Herkunft und Reihenfolge der Übungen

5 Übungen

5.1 Übersicht

5.2 Übungsanleitungen

5.2.1 Innerer sicherer Ort

5.2.2 Innerer Garten

5.2.3 Baumübung

5.2.4 An Erfolge denken

5.2.5 Lichtstromübung

5.2.6 Inneres Team

5.2.7 Atemübung

5.2.8 Muskelentspannung

5.2.9 Gepäck ablegen

5.2.10 Achtsamkeit üben – Atmung spüren

5.2.11 Achtsamkeitsübung – Körperübung

5.2.12 Der innere Beobachter

5.2.13 Sinnlosigkeitsübung

5.2.14 Tresorübung

5.2.15 Bildschirmübung

5.2.16 Reglerübung

5.2.17 Gefühlen eine Gestalt geben

5.2.18 Gegenbilder aufbauen

5.3 Nachtrag zu den vorgeschlagenen Übungen

6 Anhang: Tabellen

7 Literatur

8 Glossar

Rat + Hilfe

Fundiertes Wissen für Betroffene, Eltern und Angehörige –Medizinische und psychologische Ratgeber bei Kohlhammer

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Ratgeber aus unserem Programm finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/rat+hilfe

Sabine Morgan

Wenn das Unfassbare geschieht

Vom Umgang mit seelischen Traumatisierungen

3., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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3., aktualisierte Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-031631-7

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-031632-4epub:ISBN 978-3-17-031633-1

1 Einleitung

1.1 Warum dieses Buch?

Auf unserer Welt geschieht immer wieder Unfassbares. Ereignisse, die von Menschen gemacht werden, wie Kriege, Terroranschläge, Amokläufe und Rachetaten sowie Regimes, die das eigene Volk verfolgen, lassen uns verstört zurück. Aber auch (Natur-)‌Katastrophen wie Erdbeben oder Hungersnöte versetzen die Welt in Angst und Schrecken.

Da die Anzahl der zumeist traumatisierten Flüchtenden aufgrund dieser Ereignisse ständig steigt, verzichte ich auf das Benennen einer Zahl, die morgen ohnehin überholt ist. Aber: Die Anzahl traumatisierter Geflüchteter ist erschreckend hoch und wird sich in den nächsten Jahren potenzieren, da die Lebensräume dieser Menschen aus unterschiedlichen Gründen keinen Bestand mehr haben werden.

Der Krieg in der Ukraine, der im Februar 2022 begann, ist uns gegenwärtig, doch haben auch vorherige Kriege Traumata hinterlassen. Erdbeben, wie das im Jahr 2023 in der Türkei und in Syrien stattgehabte, haben unendliches Leid hervorgebracht. Inzwischen ist es offenbar überall in der Welt verstanden worden: Künftige Traumata werden zu einem großen Teil auch durch den Klimawandel generiert. Erdbeben, Hurrikane, Überflutungen und Hungersnöte und vieles mehr werden fast zum Alltag gehören. Traumata hingegen gehören niemals zum Alltag. Die Auswirkungen auf die betroffenen Menschen sind schwer und belastend und bleibend, wenn keine therapeutische Hilfe zu teil werden kann.

Oft bleiben Einzelschicksale im Dunkeln. Kindesmissbrauch und Vergewaltigungen, Körperverletzungen und seelischer Terror in Partnerschaften und Familien sind traumatische Ereignisse von denen wir selten – und wenn, dann zumeist aus Zufall – erfahren. Schuld, Scham und Einstellungen wie »es kann nicht sein, was nicht sein darf« decken häufig den Schleier des Schweigens über diese versteckten Katastrophen.

1.2 Traumata können verschiedene Ursachen haben

Die meisten Menschen werden mindestens einmal in ihrem Leben mit einem traumatischen Erlebnis konfrontiert. Dies muss nicht heißen, dass wir ständig Gefahr laufen, Opfer eines Terroranschlags zu werden oder einer Geiselnahme anheim zu fallen. Auch ein schwerer Verkehrsunfall, Erlebnisse bei der Ausübung bestimmter Berufe, wie im Rettungsdienst oder bei der Feuerwehr, oder das knappe Entkommen aus einer lebensbedrohlichen Situation – alles dies sind traumatische Ereignisse. Nach einem solchen Erlebnis scheint nichts mehr so, wie es vorher war.

1.3 Seelische Verletzungen werden oft nicht ernst genommen.

Glücklicherweise sind wir Menschen zumeist dazu fähig, unser Leben auch nach harten Schlägen wieder aufzubauen. Manchmal gehen wir sogar gestärkt aus einem traumatischen Ereignis hervor und können eine neue positive Sicht der Welt entwickeln. Doch: Das gelingt nicht allen Menschen. Einige drohen an traumatischen Erfahrungen zu zerbrechen.

Manche Menschen nehmen die psychischen Folgen eines Traumas auch zu leicht. Gebrochene Knochen werden dem Fachmann wie selbstverständlich gezeigt. Bei physischen Verletzungen wird medizinische Hilfe in Anspruch genommen, ohne lange darüber nachzudenken. Die von außen nicht sichtbaren seelischen Wunden hingegen werden oftmals verharmlost – sich selbst und anderen gegenüber. Manche Menschen schämen sich auch dafür, nicht stark genug zu sein, und das Geschehene nicht fassen und meistern zu können.

1.4 Rechtzeitig fachliche Hilfe in Anspruch nehmen!

Oft suchen Menschen, denen Unfassbares widerfahren ist, erst dann Hilfe, wenn ihre individuellen Bewältigungsstrategien endgültig versagen. Erst wenn Mediziner oder Gutachter dies für notwendig erachten, oder Angehörige darauf drängen, dass nun endlich etwas passieren muss, wird gehandelt. Kurz: Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, wird fachliche Hilfe in Anspruch genommen. Dann aber sind die Symptome oft schon chronisch.

Deshalb gilt: Je früher psychotherapeutische Hilfe nach einem traumatischen Vorfall in Anspruch genommen wird, wenn dies notwendig erscheint, desto schneller kann eine Heilung bewirkt werden. Dadurch wird die Zeit des Leidens der Betroffenen, ihrer Angehörigen und ihres sozialen Umfeldes verkürzt.

1.5 Wie fühlen sich Traumatisierte und die Menschen um sie herum?

Traumatisierte Menschen verstehen sich häufig selbst nicht mehr und vermuten, dass die Symptome, unter denen sie leiden, ein Anzeichen dafür sind, dass sie ver-rückt werden. Da Ver-rückt-Sein mit der Angst vor Stigmatisierung verbunden ist, vermeiden Traumatisierte es daher häufig, mit Angehörigen oder anderen Menschen ihres Vertrauens darüber zu sprechen.

Sie trauen sich nicht, anderen zu erzählen, was ihnen passiert ist und wie es ihnen mit ihrem schrecklichen Erlebnis geht. Schuld- und Schamgefühle tragen ihren Teil dazu bei, den Leidtragenden im schlimmsten Fall in die Isolation zu treiben.

Menschen aus dem sozialen Umfeld von Traumatisierten beobachten an diesen häufig merk-würdige Verhaltensweisen. Aber: Wie damit umgehen, dass sich ein Mensch plötzlich so anders verhält? Was tun, wenn er sich vielleicht von uns zurückzieht, häufig aggressiv reagiert oder andere ungewohnte Verhaltensweisen an den Tag legt, ohne dass ein offen-sichtlicher Grund dafür vorliegt?

In den Fällen, in denen wir gar nicht wissen, dass etwas Unfassbares im Leben des anderen geschehen ist, beziehen wir das veränderte Verhalten möglicherweise auf uns selbst und ziehen uns ebenfalls zurück. Und in den Fällen, in denen wir wissen, dass etwas Schreckliches vorgefallen ist, wissen wir nicht, wie wir uns verhalten sollen. Im schlimmsten Falle vermuten wir, der Traumatisierte könnte ver-rückt werden.

Zusätzlich erschweren Berührungsängste mit einer Tabuzone unser Verhalten: Wie umgehen mit dem Leid des anderen (das uns möglicherweise auch noch an eigenes erinnert)? Wie umgehen mit möglichen Schuld- und Schamgefühlen?

1.6 Rat für Betroffene und die Menschen um sie herum

Dieser Ratgeber richtet sich sowohl an Betroffene wie an deren Angehörige, an Freunde und Bekannte, an Arbeitskollegen, Vorgesetzte und Untergebene und an alle Menschen, die mit Menschen zu tun haben. Er richtet sich an alle, die besser verstehen wollen, was traumatisierende Erlebnisse in der Welt der Betroffenen auslösen. Er ist aber auch an diejenigen adressiert, die mit-leiden. Denn: Direkt oder indirekt – betroffen sind wir bei der hohen Wahrscheinlichkeit, mit der traumatische Ereignisse uns selbst oder andere ereilen können, alle.

1.7 Erklärung und Anleitung zur (Selbst-)‌hilfe

Dieser Ratgeber erklärt, welche Reaktionen nach traumatischen Ereignissen auftreten können. Er soll helfen, diese Reaktionen bei sich selbst, aber auch bei anderen erkennen zu können. Während bestimmte Verhaltens- und Erlebnisweisen unmittelbar nach einem unfassbaren Erlebnis zunächst normal sind, gilt das nicht mehr, wenn diese auch Wochen, Monate oder Jahre später noch bestehen. Daher wird dargelegt, welche Reaktionen zu welchem Zeitpunkt normal und hilfreich sind und wozu sie dienen. Es wird aber auch gezeigt, wie die eigenen Selbstheilungskräfte unterstützt werden können und wann Hilfe in Anspruch genommen werden sollte.

Da in diesem Buch besonderes Augenmerk auf die Selbstheilungskräfte des Menschen gelegt wird, wird dargestellt, was dies für Kräfte sind und wie sie mobilisiert und genutzt werden können. Den Menschen, denen Unfassbares widerfahren ist, werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie selbst dazu beitragen können, seelische Wunden heilen zu lassen.

Aber auch für Angehörige, Freunde, Kollegen – kurz für alle Menschen, die mit Betroffenen umgehen, ist dieses Buch als Hilfestellung gedacht, um besser verstehen zu können, was durch eine traumatische Erfahrung alles ausgelöst werden kann und wie sie die Betroffenen unterstützen können. Manchmal besteht diese Hilfe zunächst darin, die eigenen Reaktionen besser zu verstehen. Denn traumatische Erfahrungen lösen nicht nur Gefühle und Reaktionen beim Traumatisierten aus, sondern natürlich auch bei denjenigen, die mit ihm umgehen. Und so wie ein Mensch, der einer unfassbaren Erfahrung ausgesetzt war, sich selbst oft nicht mehr versteht, verstehen diejenigen, die mit ihm umgehen, sich selbst häufig auch nicht mehr. Oft ist es so, dass wir erst unsere eigenen Reaktionen im Zusammenhang mit traumatischen Ereignissen verstehen lernen müssen. Erst dann können wir den Betroffenen Hilfestellung bei der Selbsthilfe leisten und sie entsprechend unterstützen.

1.8 Hinweise zu diesem Buch

1.8.1 Aufbau dieses Buches

Dieser Ratgeber leistet praktische Hilfe, indem zunächst erklärt wird, was ein Trauma überhaupt ist. Er thematisiert, wie Traumatisierungen sich in Form von verschiedenen Symptomen zeigen. Er hilft Betroffenen und denen, die mit ihnen umgehen, dabei, Tabus zu überwinden. Damit erleichtert er es auch, frühzeitig den Weg in die Beratung oder Therapie zu finden, falls dies notwendig erscheint. Weiter wird ein Überblick über die zur Verfügung stehende fachliche Hilfe und deren Arbeitsweise geboten. In ▸ Kap. 5 finden Sie Übungen, die bei der Bewältigung des Traumas helfen können und im Anhang (▸ Kap. 6) sind wichtige praktische Informationen und die Eckpunkte der professionellen Traumadiagnose zusammengefasst.

1.8.2 Lesehilfe

Es ist hilfreich, diesen Ratgeber – insbesondere wenn Sie selbst betroffen sind – langsam zu lesen und sich nicht zu überfordern. Nach traumatischen Erlebnissen ist die Konzentrationsfähigkeit häufig sehr herabgesetzt und man braucht oft länger, um zu verstehen, was gemeint ist. Lesen Sie daher einzelne Kapitel ruhig öfter und machen Sie Pausen beim Lesen. Vielleicht finden Sie eine Person Ihres Vertrauens, die das Buch mit Ihnen gemeinsam liest, sodass Sie nach der Lektüre über das sprechen können, was Sie gelesen haben und was Ihnen vielleicht unklar geblieben ist.

1.8.3 Fachbegriffe und Fremdwörter

In diesem Ratgeber wird auf Fremdworte so gut es geht verzichtet. Nur wenn mir dies hilfreich erscheint, werden Fachbegriffe eingeführt. Diese werden dann jedoch erklärt. Sollten Sie, verehrter Leser/verehrte Leserin, während der Lektüre die Bedeutung eines solchen Wortes wieder vergessen haben, so schlagen Sie einfach das Stichwortverzeichnis am Ende dieses Buches auf.

Das erste Fremdwort, das bereits aufgetaucht ist, ist das Wort Trauma. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt Wunde oder Verletzung. Die Mehrzahl des Wortes ist Traumata. Die Verletzungen, um die es in diesem Buch geht, sind seelischer Art. Die korrekte Bezeichnung für eine solche Verletzung der Seele ist eigentlich Psychotrauma, was gleichbedeutend ist mit seelischer Verletzung. Der Einfachheit halber und weil es sich so durchgesetzt hat, wird in diesem Buch das Wort Trauma für diese seelischen Wunden verwandt.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass es mir aufgrund unseres Sprachgebrauchs sehr umständlich erschien, das grammatikalische Geschlecht an allen Stellen zu differenzieren. Der Gebrauch des männlichen Artikels, für den ich mich entschieden habe, ist daher geschlechtsübergreifend zu bewerten.

2 Ein Trauma – Was ist das?

Traumatische Erfahrungen sind wesentliche Bestandteile des menschlichen Lebens und das wohl, seit es Menschen gibt. Als Trauma werden Erfahrungen bezeichnet, die so unfassbar sind, dass sie nur schwierig oder manchmal fast gar nicht in den bestehenden Erfahrungsschatz eingegliedert werden können.

Meistens sind unfassbare Erfahrungen mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen verbunden. Auch das Gefühl, die Kontrolle über die Situation und möglicherweise auch über uns selbst zu verlieren, ist häufig mit solchen Erfahrungen verbunden. Manchmal verlieren wir auch die Kontrolle über alles, was mit dem Ereignis zu tun hat. Die Kontrolle über das, was mit uns geschieht, zu verlieren, ist jedoch für uns (zumindest für uns westliche) Menschen besonders schlimm zu ertragen. Wenn ein Mensch Unfassbares erlebt und sich währenddessen intensiv gefürchtet, sich hilflos gefühlt hat oder von Entsetzen erfüllt war sprechen Kliniker von einer Traumatisierung.

Während des Erlebens eines traumatischen Ereignisses, z. B. wenn wir Opfer eines Verkehrsunfalls werden, sehen wir die Katastrophe manchmal noch auf uns zukommen. Unser Organismus wird dann in größte Alarmbereitschaft versetzt und bietet alle möglichen Schutzreflexe auf. Unsere Muskulatur ist z. B. aufs Äußerste gespannt. Wir mobilisieren dann ungeheure Kraftreserven. Unser Gehirn sucht krampfhaft nach Auswegen aus der bedrohlichen Situation. Diese Reaktionen unseres Körpers dienen schon seit jeher der Flucht oder dem Kampf. In traumatischen Situationen ist aber zumeist eine Flucht oder ein Kampf nicht möglich. Wir sind der traumatischen Situation im Allgemeinen macht- und hilflos ausgeliefert. Das bedeutet, dass alle Anstrengungen, die unser Körper »automatisch« unternimmt, ins Leere laufen.

Manchmal ist es so, dass wir uns aus einer solchen Situation heraus »beamen« – uns quasi von unserem Körper lösen. Dann sehen wir dem, was passiert, von außen zu, und schweben gleichsam über dem Geschehen. Einige Menschen erleben das Ereignis auch als unwirklich, so als erlebten sie nur einen bösen Traum, aus dem sie wieder erwachen werden. In einer traumatischen Situation erleben manche Menschen auch sich selbst als unwirklich. Diese Phänomene werden Dissoziation, im Sinne von »Unverbundenheit« oder »Trennung« genannt, weil der Betroffene quasi aus sich oder der Situation heraustritt. Bei schweren oder sich wiederholenden Traumatisierungen kommt dieses Phänomen relativ häufig vor.

Die Wahrnehmung während des Erlebens traumatischer Ereignisse ändert sich oftmals drastisch. So kann sich z. B. das Zeiterleben verändern, Sekunden können zu Minuten oder Stunden werden und umgekehrt.

Manchmal können wir uns nach erlebten Traumata gar nicht mehr erinnern, was passiert ist. Wir finden uns z. B. im Krankenhaus wieder und wissen nicht, wie wir dorthin gekommen sind. Häufiger ist es allerdings so, dass wir uns lediglich an die schlimmsten Augenblicke nicht mehr erinnern können. Dieses Phänomen heißt in der Fachsprache Amnesie. Das bedeutet einen teilweisen oder gänzlichen, zeitlich begrenzten oder dauernden Gedächtnisverlust. Wahrscheinlich ist die Amnesie ein Schutz für unsere Seele. Die schlimmsten Erfahrungen werden einfach vergraben.

Trotz der menschlichen Fähigkeit, zu überleben und sich anzupassen, können traumatische Erlebnisse das seelische, körperliche und soziale Gleichgewicht eines Menschen ganz erheblich verändern. Die Wahrnehmung der Welt ist plötzlich eine andere als vor dem Ereignis. In die alte Wirklichkeit zurückzukehren, scheint vielen Betroffenen nicht mehr möglich, denn alles erscheint anders als vorher. Vor allem das Gefühl der Sicherheit in dieser Welt ist zunächst verloren.

Aber wir verfügen über Selbstheilungskräfte, die auch nach unfassbaren Geschehnissen aktiviert werden. Doch genauso wie ein Knochenbruch Zeit braucht, um zu heilen, benötigt auch die Seele ihre Zeit, damit ihre Wunden geschlossen werden können.

Wie bereits angesprochen, fürchten Betroffene nach einer Traumatisierung manchmal, sie könnten ver-rückt werden, weil sie an sich selbst merk-würdige Reaktionen feststellen (auf die in den nächsten Kapiteln genauer eingegangen wird). Es ist aber vielmehr so, dass nicht der Betroffene ver-rückt ist, sondern die Situation. Daher sind traumatische Reaktionen zunächst ganz normale, grundsätzlich gesunde Antworten auf eine anormale, die Seele verletzende Erfahrung. Die Reaktionen, die wir nach traumatischen Ereignissen an den Tag legen, sind zum Großteil Selbstheilungsversuche des Körpers und der Seele und sollten auch als solche von uns gewürdigt werden.

2.1 Welche Ereignisse können zu einer Traumatisierung führen?

Viele Ereignisse können zu einer Traumatisierung führen und es gibt mehrere Möglichkeiten, wie Menschen eine Traumatisierung erfahren. Grundsätzlich können alle Ereignisse, die einen Menschen in seinem Denken und Fühlen geradezu überwältigen, zu einer Traumatisierung führen. Insbesondere Erlebnisse, die mit einer Lebensbedrohung einhergehen, sind als traumatisch zu bezeichnen. Es kann natürlich immer dann zu einer Traumatisierung kommen, wenn Menschen von dem Ereignis selbst betroffen sind. Wichtig ist es aber zu wissen, dass Traumata auch dann ausgelöst werden können, wenn Menschen Zeugen von belastenden Ereignissen werden, z. B. einem Autounfall oder einem Verbrechen.

Weiterhin können Traumata auch dadurch ausgelöst werden, dass wir von einem solchen Geschehnis erfahren, ohne unmittelbar Zeuge zu sein. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn es sich um nahestehende Personen handelt, z. B. Familienangehörige.