Wenn der Rebbe lacht - Kurt Fleischner - E-Book

Wenn der Rebbe lacht E-Book

Kurt Fleischner

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Beschreibung

Dass der Witz ein Schlüssel zum Unbewussten des Menschen ist, weiß man seit Sigmund Freud. Der jüdische Witz zeichnet sich darüber hinaus durch sein großes Maß an Selbstironie, seine Tiefsinnigkeit und eine geradezu traditionelle Fabulierkunst aus. Die 111 jüdischen Witze, die Kurt Fleischner, Psychologischer Berater, Supervisor und Lehrtrainer für Systemaufstellungen versammelt hat, sind nicht nur vergnüglich zu lesen. Fleischner demonstriert anhand jedes einzelnen Witzes, wie diese zur Illustration und zum Verständnis von psychologischen Problemen, blinden Flecken und Blockaden genutzt werden können. Die Witzesammlung ist somit nicht nur Inspiration und Ratgeber für therapeutisch Tätige, sondern wird bei jeder Leserin und jedem Leser für erhellenes Lachen sorgen.

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Seitenzahl: 187

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Copyright © 2024 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Buntspecht, Wien

Umschlagabbildung: © Rivka Gruzman/iStockphoto

ISBN 978-3-7117-2153-2

eISBN 978-3-7117-5521-6

Informationen über das aktuelle Programmdes Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

KURT FLEISCHNER

WENN DER REBBE LACHT

WIE DER JÜDISCHE WITZDIE PSYCHOTHERAPIE BEREICHERT

PICUS VERLAG WIEN

INHALT

VORWORT

1. TEIL: EINFÜHRUNG

Humor in Psychotherapie und Beratung

Judentum und Psychotherapie

Über die Eigenart des jüdischen Humors

Der Rabbi als Ratgeber

2. TEIL: 110 JÜDISCHE WITZE FÜR PSYCHOTHERAPIE UND BERATUNG

Von Berater:innen und Klient:innen: »Rebbe, gib mir eine Ejze …«

Die Opferrolle

Unterschiedliche Sichtweisen in der Psychotherapie

Psychoanalyse

1. Der Analytiker

2. Lust

3. Aggression

4. Mütter

Systemische Therapie

1. Lösungen zweiter Ordnung

2. Systemische Techniken und Sichtweisen

3. Kommunikation

4. Mehrgenerationenperspektive

Paartherapie – Paarberatung

1. Systemische Paartherapie

2. Kommunikationspsychologischer Ansatz

3. Imago-Therapie

4. Liebe im Alter

Analytische Psychologie nach C. G. Jung

Individualtherapie nach Alfred Adler

Reich’sche Körpertherapie

Humanistische Psychotherapie

Logotherapie

Transaktionsanalyse

Positive Psychologie

Hypnotherapie

Hypnosystemische Therapie

Provokative Psychotherapie

Energetische Psychotherapie

Mediation und Konfliktmanagement

Organisationsberatung

Schlussbemerkung

Literatur

Der Autor

VORWORT

Dieses Buch wendet sich an all jene, die sich für psychotherapeutische Themen interessieren oder einfach Lust verspüren, in die Psychologie des jüdischen Humors einzutauchen.

Vor allem aber richtet es sich an Psychotherapeut:innen und Berater:innen1 sowie an Personen, die sich in psychotherapeutischer Ausbildung befinden. Lehrenden, die in diesen Berufsfeldern tätig sind, bietet es Anregungen, um dem Thema Humor in der Ausbildung von Psychotherapeut:innen und Berater:innen mehr Platz einzuräumen. Es lädt seine Leser:innen zu einem Streifzug durch die Welt unterschiedlicher psychotherapeutischer Schulen ein und zeigt Möglichkeiten, wie Humor als Ressource in Therapie und Beratung genutzt werden kann.

Ich stamme aus einer Familie von Holocaustüberlebenden. Meine Großeltern und eine große Anzahl von Onkeln und Tanten sind von den Nationalsozialisten ermordet worden. Humor war für meinen Vater eine rettende Insel inmitten eines Meeres unausgesprochener Trauer. Die humorvollen Bemerkungen, die er zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von sich gab, waren, wie ich meine, ein Versuch, den Schmerz über den Verlust der Eltern und Geschwister zu verarbeiten und mit dem Nachklang der traumatischen Erfahrungen weiterzuleben. Im Zuge meiner sich über mehrere Jahrzehnte hinweg erstreckenden psychotherapeutischen Arbeit, in der ich mehr als zehntausend Menschen begleitet habe, war ich unzählige Male Zeuge davon, wie Klient:innen in Tränen ausbrachen, wenn sie mit schmerzhaften Aspekten der eigenen Lebensgeschichte in Verbindung kamen. Die Konfrontation mit Schmerz ist oft ein wichtiger Teil psychotherapeutischer Prozesse und hat eine entlastende und in vielen Fällen kathartische Wirkung. Humor in den psychotherapeutischen Prozess einzubringen, sollte keinesfalls den Versuch darstellen, schmerzhaften Gefühlen auszuweichen. Ich habe oft erlebt, dass eine mit Empathie und Respekt platzierte, humorvolle Bemerkung inmitten einer schmerzhaften Situation Klient:innen unterstützen konnte, den Blick von belastenden Gefühlen zu lösen. Viele Klient:innen sind unmittelbar nach einem derartigen, scheinbar nicht zum Ernst der Situation passenden Kommentar in schallendes Lachen ausgebrochen. Ein solcher Stimmungswechsel vollzieht sich oft in Bruchteilen von Sekunden, so, als wäre der Humor die Bruchlinie zwischen Schmerz und Lebendigkeit, und es wird dabei deutlich, wie nahe diese beiden Gefühlszustände beieinander liegen. Humor ermöglicht es, Distanz zu den eigenen Problemen einzunehmen und die in vielen Fällen unbewusst aufrechterhaltene problemhypnotische Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf belastende Gefühle zu lösen, sodass sich Möglichkeiten eröffnen, in einer neuen Weise auf sich selbst, die eigenen Probleme und die Welt zu blicken.

Es macht keinen Sinn, Witze auswendig zu lernen. Es ist vielmehr erforderlich, dass sich Therapeut:innen und Berater:innen wie ein Schwamm mit therapeutischen Geschichten, Metaphern und Witzen vollsaugen, sodass in einer bestimmten Situation der geeignete Witz herausquellen kann. An vielen Stellen dieses Buches sind Gedanken, psychotherapeutische Theorien oder Themenaspekte nur kurz angerissen, in den Fußnoten finden sich Hinweise auf weiterführende, vertiefende Literatur.

1In diesem Buch werden die Begriffe »Therapie« und »Beratung« meist synonym verwendet. Der Grund hierfür liegt darin, dass psychotherapeutische Sichtweisen und Methoden auch in Psychologischer Beratung, Sozialer Arbeit, Erziehungsberatung, Organisationsberatung und eine Reihe weiterer Anwendungsfelder Eingang gefunden haben.

1. TEILEINFÜHRUNG

HUMOR IN PSYCHOTHERAPIE UND BERATUNG

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war Humor in der Psychotherapie verpönt. Einer der Gründe hierfür war wahrscheinlich die Idee, man dürfe Klient:innen und deren Problem angesichts des erheblichen Leidensdrucks, der der Entscheidung vorangeht, sich in Beratung oder Therapie zu begeben, nicht anders als mit großem Ernst begegnen. Meist werden professionelle Berater:innen erst dann aufgesucht, wenn sich Versuche, Probleme ohne fremde Hilfe zu lösen, als erfolglos erwiesen haben. Einer der Gründe für die scheinbare Unlösbarkeit innerer Konflikte liegt darin, dass zum Teil nicht bewusste Persönlichkeitsanteile miteinander im Streit liegen, wobei eine dieser »inneren Stimmen« die Veränderung einer Situation oder eines Leidenszustands anstrebt, eine andere jedoch, aus unterschiedlichen Gründen, die aktuelle Situation aufrechterhalten möchte. Friedemann Schulz von Thun spricht in seinem Konzept des »Inneren Teams«2 davon, dass eine Vielzahl solcher innerer Stimmen oder Persönlichkeitsfacetten in uns wirken. Sie repräsentieren unterschiedliche, einander widersprechende Bedürfnisse und spiegeln einerseits Wünsche und andererseits Werte und Ansprüche wider, die wir in der Kindheit verinnerlicht haben. Psychische oder körperliche Symptome sind häufig der Ausdruck derartiger einander widersprechender innerer Bedürfnissituationen, ein Versuch der Seele, auf verborgene Wünsche und Sehnsüchte hinzuweisen, die sich nicht äußern können, weil sie als unmoralisch gelten oder in anderer Weise Haltungen widersprechen, die Klient:innen sich in der Kindheit oder im späteren Verlauf der Lebensgeschichte angeeignet haben, die der Familienloyalität entgegenwirken oder aus anderen Gründen Angst bereiten. Humor und Witz befassen sich häufig spielerisch mit solchen Wünschen und Ängsten. Sigmund Freud meinte, der Lustgewinn beruhe auf einer kurzzeitigen Lockerung von Verdrängung, ein vorbewusster Gedanke würde für einen Augenblick der unbewussten Bearbeitung überlassen und deren Ergebnis daraufhin von der bewussten Wahrnehmung erfasst. Freud meinte weiters: »Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen (…) ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zum Lustgewinn sind«.3

Während das Lachen im alltäglichen Leben vielfach die Funktion besitzt, Angstmachendes abzuwehren, kann es im Rahmen von Therapie- oder Beratungsprozessen dazu dienen, Klient:innen zu unterstützen, aus der sicheren Distanz der humorvollen Perspektive Anteile von Schmerz, Angst oder Unsicherheit wahrzunehmen und anzuerkennen. Die tiefgreifende Wirkung von Witzen ergibt sich aus der ihnen eigenen Verdichtung und Verschiebung und aus dem Umstand, dass sie nicht auf das kognitive Verstehen abzielen, sondern das Unbewusste anregen und, ähnlich wie in hypnotherapeutischen Verfahren üblich, nicht direkt aussprechen, was sie meinen, sondern es nur andeuten oder Metaphern bilden. Witze zeigen häufig in einer schamlosen Direktheit in die Richtung, in der sich die eigentliche Botschaft befindet, ohne diese explizit anzusprechen. Auf diese Weise thematisieren sie verbotene, aggressive, auto-aggressive oder sexuelle Fantasien, lösen sich von Tabus in der Beschreibung sozialer Dynamiken und helfen so, innere Spannung zu lösen. Witze zu erklären oder zu analysieren beraubt sie eines Teils ihrer Wirkung. Wenn ich in der Folge den Witzen, die ich in diesem Buch versammelt habe, dennoch Kommentare hinzufüge, stellt dies nicht den Versuch dar, ihnen eine Erklärung abzuringen oder sie gar zu entschlüsseln; vielmehr steht dahinter die Absicht, bestimmte, manchen Witzen innewohnende Aspekte mit psychotherapeutischem Wissen zu verknüpfen, um sie im therapeutischen oder beraterischen Kontext nutzbar zu machen.

Humor wirkt bis tief in die Körperstruktur hinein. Lachen erzeugt eine somatische, im Bereich des Fühlens beheimatete Reaktion, die eine unmittelbare positive physiologische Wirkung nach sich zieht, das Wohlbefinden fördert und die Gesundheit beeinflusst, indem es nachweislich den Kreislauf anregt, die Atemmuskulatur und die Lungenfunktion stärkt, die Verdauung unterstützt, Schmerzen lindert und das Immunsystem stimuliert. Lachen kann Verkrampfung und Spannung lösen und es ermöglicht uns, einen Moment lang unbeschwert auf Probleme zu blicken. Humor ist, zudem, eine wertvolle Ressource für Therapeut:innen. Eine Vielzahl jüdischer Witze macht die Person des Rabbis und seine Rolle als Berater zum Thema und befasst sich ironisch mit dessen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Sich selbst auf den Arm zu nehmen, zählt zu den schwierigsten Turnübungen. Wenn Berater:innen den eigenen Schwächen mit Humor begegnen, laufen sie weniger Gefahr, diese unbewusst abzuwehren und projektiv an ihren Klient:innen zu bekämpfen. Dies ist von besonderer Wichtigkeit, nur wenn Klient:innen spüren, dass sie nicht bewertet und ihre Schwächen nicht verurteilt werden, kann sich ein vertrauensvoller Raum öffnen, in dem sich tiefe, heilende Prozesse vollziehen können. Jüdische Witze nehmen auch oft, ohne abzuwerten, lösungsresistente Haltungen mancher Ratsuchenden in den Blick und bringen so implizite Hindernisse und problemerhaltende Muster, die Beratungsprozesse behindern, auf den Punkt. In der Ausbildung von Berater:innen und Psychotherapeut:innen geht es nicht ausschließlich um das Ansammeln von Fachwissen, sondern in einem besonderen Maß auch um die Fähigkeit, sich bestimmte Haltungen und eine Art Handlungsidentität anzueignen. Hier können Witze einen unschätzbaren Beitrag leisten, indem sie, jenseits des kognitiven Verstehens, innere Verständnisprozesse über in Therapie und Beratung auftauchende Muster und Dynamiken anregen.

2Vgl. Schulz von Thun (1988), S. 25–53.

3Freud (1992), S. 254.

JUDENTUM UND PSYCHOTHERAPIE

Vielleicht ist einer der Gründe dafür, warum die Geschichte der Psychotherapie von einer proportional so großen Anzahl jüdischer Therapeut:innen mitgeschrieben wurde, die Tradition des Nachdenkens über sich selbst und die Welt, der man im Judentum vielfach begegnet. Dazu gesellt sich eine jahrhundertealte Tradition der Beratung in der Figur und Rolle des Rabbis, der, in der Welt des jüdischen Schtetls, bei religiösen und spirituellen Dingen ebenso konsultiert wurde wie bei Problemen des alltäglichen Lebens. Was auch immer der Grund dafür sein mag, es fällt auf, dass eine beträchtliche Anzahl von Persönlichkeiten, die die Psychotherapie als Pioniere maßgeblich mitgestaltet haben, jüdischer Herkunft waren:

· Sigmund Freud (Begründer der Psychoanalyse);

· Alfred Adler (Begründer der Individualpsychologie);

· Viktor Frankl (Begründer der Logotherapie/Existenzanalyse);

· Abraham Maslow (Begründer der Humanistischen Psychologie);

· Frederick S. Perls (Mitbegründer der Gestalttherapie);

· Kurt Lewin (Begründer und Pionier der modernen, experimentellen Sozialpsychologie);

· Jacob Levy Moreno (Psychodrama, Gruppenpsychotherapie);

· Martin Seligman (Positive Psychologie);

· Erich Fromm (Psychoanalyse);

· Bruno Bettelheim (Kinder-Psychoanalyse);

· Donald Meichenbaum (Begründer der Kognitiven Verhaltenstherapie);

· Irvin Yalom (Existenzialistische Psychotherapie).

Diese Liste könnte um viele Namen erweitert werden, vor allem unter den Pionier:innen der Psychoanalyse findet sich eine große Anzahl jüdischer Therapeut:innen, etwa Sándor Ferenczi, Michael Balint, Anna Freud, Rudolf Ekstein, Otto F. Kernberg oder Ruth Cohn, die Begründerin der Themenzentrierten Interaktion. Auch Wilhelm Reich (Körpertherapie) und Erik Erikson (Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung) entstammen jüdischen Familien, waren in ihrer Kindheit jedoch nur wenig mit der jüdischen Kultur in Kontakt gekommen. Der folgende Witz weist auf den Beitrag von Juden zur Kultur- und Geistesgeschichte hin:

Eine Lehrerin fragt ihre Schüler:innen nach wichtigen Persönlichkeiten, die unsere Welt maßgeblich mitgestaltet haben. »Moses mit seinen zehn Geboten!«, ruft eines der Kinder. »Sehr richtig!«, meint die Lehrerin. »Wisst ihr noch einen?« »Jesus!«, ruft eine Schülerin. »Genau!«, sagt die Lehrerin. »Einstein!«, ruft der kleine Max. »Sehr gut, Max!«, sagt die Lehrerin. Da zeigt Moische in der letzten Reihe auf und fragt: »Darf man auch einen Nichtjuden nennen?«

ÜBER DIE EIGENART DES JÜDISCHEN HUMORS

Eine große Anzahl Kulturschaffender hat sich mit der Frage befasst, ob es so etwas wie den »jüdischen Humor« überhaupt gibt, und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Immerhin unterscheiden sich Juden in ihrer kulturellen und psychologischen Eigenart oft erheblich voneinander. Unter ihnen finden sich Orthodoxe, Atheisten und Agnostiker, Menschen mit höchst verschiedenen persönlichen Haltungen, unterschiedlichem Charakter und verschiedenartigen politischen Meinungen. In Israel pflegt man zu sagen: Wenn zwei Israelis eine politische Diskussion miteinander führen, gibt es zumindest drei Meinungen. Die Erzählung vom »reichen Juden« stimmt ebenso wenig wie die vom »schlauen Juden«, es gibt ebenso viele Menschen jüdischer Herkunft, die weder wohlhabend sind noch einen hohen Bildungsstand aufweisen. So sind auch jüdische Witze nicht immer tiefgründig. Ich kenne etliche, die aus meiner Sicht weder gehaltvoll noch besonders lustig sind. Der folgende Witz führt die Schwierigkeit vor Augen, allgemeine Aussagen darüber zu treffen, was jüdisch ist und was nicht.

Die Flucht vor den Nazis führt Aaron Grün nach Kaifeng in China. Dort gibt es seit Jahrhunderten eine autochthone jüdische Gemeinde. Es ist Freitagabend und Aaron fragt auf der Straße nach der Synagoge. Zwanzig Minuten später findet der er das Gebetshaus und tritt ein. Der Rabbi, der vorne am Pult steht, hat offenbar eben eine Predigt in chinesischer Sprache beendet und beginnt nun mit dem Vortrag liturgischer Melodien auf Hebräisch. Die Sitzreihen sind gefüllt mit asiatisch aussehenden Menschen, sie tragen Kippas oder Hüte und um ihre Schultern hängen Gebetsmäntel. Aaron nimmt Platz und öffnet sein Gebetbuch, da wendet sich ihm sein Sitznachbar zu und fragt: »Entschuldigen Sie bitte, was machen Sie hier?« »Ich bete.« »Aber warum hier?« »Na, ich bin Jude!« »Komisch, sieht man Ihnen gar nicht an …«

Man gerät schnell in den Sog generalisierender Zuschreibungen, wenn man versucht, Juden oder anderen sozialen oder ethnischen Gruppen bestimmte Merkmale oder Eigenschaften zuzuschreiben.

Zwei polnische Antisemiten treffen auf der Straße auf Moische. Sie möchten ihn provozieren. Einer von ihnen sagt: »Hast du schon gehört, Jude? Heute Nachmittag wird in Krakau ein jüdischer Dieb hingerichtet …« Moische antwortet: »Na und? Glaubst du, die Galgen sind nur für euch da?«

Gibt es Eigenschaften oder Haltungen, die man als »jüdisch« bezeichnen kann, ohne in Zuschreibungen zu verfallen? Was ist das »Jüdische« am jüdischen Humor? Ich habe für dieses Buch vor allem Witze ausgewählt, deren Eigenart oder Pointen typisch für eine Geisteshaltung oder Herangehensweise in der Betrachtung von Situationen und Problemen sind, die häufig im Judentum anzutreffen sind. In einigen Fällen war der Grund für die Auswahl lediglich die Tatsache, dass sie von Therapeuten handeln oder dass sie mir geeignet schienen, um Themen aufzugreifen, die regelmäßig in Therapie und Beratung auftauchen. Der jüdische Humor wird von vielen Autor:innen vorwiegend als historisch-soziologisches Phänomen beschrieben und man findet immer wieder den Hinweis darauf, dass er in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen entstanden ist und diese widerspiegelt. Charles Lewinsky meint, dass stabile Gesellschaften weitgehend humorlos sind und Humor vor allem in sozialen Umbruchsituationen entsteht.4 Auch Salcia Landmann vertritt die Ansicht, dass die Entstehung und Verbreitung jüdischer Witze eng mit den gesellschaftlichen Bedingungen verknüpft sei, in denen sie entstanden sind. Meiner Überzeugung nach ist es, um den jüdischen Humor in seiner Essenz zu verstehen, jedoch von ebensolcher Wichtigkeit, seine psychologische Dimension miteinzubeziehen.

In seiner Einleitung zu Sigmund Freuds »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« schreibt Peter Gay, Sigmund Freud sei der Ansicht gewesen, das jüdische Wesen sei eine undefinierbare, zeitlose Eigenschaft, die Jahrtausende überlebt habe.5 In einer Rede anlässlich seines siebzigsten Geburtstags vor den Mitgliedern der Loge B’nai B’rith erklärt Freud, dass seine Bindung zum Judentum wenig mit Religion oder Nationalstolz zu tun habe, und meint: »Es blieb genug anderes übrig, was die Anziehung des Judentums und der Juden unwiderstehlich macht, viele dunkle Gefühlsmächte, umso gewaltiger, je weniger sie sich in Worte fassen ließen, ebenso wie die klare Bewusstheit der inneren Identität, die Heimlichkeit der gleichen seelischen Konstruktion.«6 Der jüdische Humor ist eine der Ausdrucksformen dieser von Freud und anderen Autoren beschriebenen Wesensart. Martin Buber beschreibt als einen zentralen Aspekt der jüdischen Wesensart eine Form von psychologischer Qualität, die von tiefem messianischem Denken geprägt ist und ihre Identität in einem bedeutenden Maß aus der Idee bezieht, in einer unerlösten Welt zu leben. Diese Erlösungssehnsucht findet sich ebenso in den Werken Sigmund Freuds, die die Befreiung der Seele aus ihren Verstrickungen zum Inhalt haben, wie in den politisch-sozialen Lehren von Karl Marx. Die Vorstellung, in einer »unerlösten Welt« zu leben, bewirkt, so meint Buber, dass Juden sich selbst mitunter nicht ganz als Teil dieser Welt erleben und aufgrund eines solchen von Distanz geprägten Blickes auf die Welt in der Lage gewesen seien, immer wieder neue Sichtweisen und Erkenntnisse zu entwickeln und damit beachtliche Leistungen in Kunst und Wissenschaft hervorzubringen. Die psychologische Eigenart, in einer distanzierten Haltung auf die Welt zu blicken, spiegelt sich in der talmudischen Tradition des Nachdenkens über Gott und die Beschaffenheit der Welt und findet ihren Niederschlag auch in einer großen Anzahl jüdischer Witze. Der folgende innere Monolog eines Rabbis, der seine Brille verlegt hat – einer der meist erzählten jüdischen Witze – greift dieses Thema auf:

»Ich lege meine Brille doch immer auf den Tisch, aber ich kann sie dort nicht finden …«, murmelt er, »unterm Bett kann ich sie nicht entdecken, auf dem Kasten liegt sie ebenfalls nicht, wo kann sie nur sein? Füße hat sie nicht, also kann sie nicht fortgelaufen sein; wie also ist es möglich, dass ich sie nirgends finden kann? Moment …, wie kommt es, dass ich sehen kann, dass sie weder auf dem Tisch liegt noch unter dem Bett oder auf dem Kasten? Oh, natürlich …, weil sie auf meiner Nase sitzt!«

Gelacht wird hier, wie ich meine, nicht über die Zerstreutheit des Rabbis. Der Witz thematisiert den Umstand, dass sich der Rabbi – vielleicht stellvertretend für Aspekte des jüdischen Wesens überhaupt – mehr in der geistigen Welt beheimatet fühlt als in der materiellen und deshalb der eigenen Erkenntnisfähigkeit mehr vertraut als der eigenen Wahrnehmung. Er löst ein recht einfaches Problem auf eine komplizierte, wenig unmittelbare Weise: durch Nachdenken. Indem Juden über den Rabbi lachen, lachen sie auch über die eigene, mitunter ein wenig unbeholfene Art, sich in der Welt zu bewegen, und den Versuch, geistig aus ihr herauszutreten, um von außen auf sie zu blicken und sich darin zurechtzufinden. Dieses Pointen-Schema findet man – in einer solchen Häufigkeit und Färbung – wohl ausschließlich im jüdischen Witz. Auch der folgende Witz blickt mit einer Prise Selbstironie darauf, dass manche Juden sich im praktischen Leben mit einer gewissen Unbeholfenheit konfrontiert sehen:

Der Grün und der Blau sitzen im Speisewagen eines Zuges. Beide haben Gulasch bestellt und merken nach dem ersten Probieren, dass Salz fehlt. Grün greift zum Salzstreuer, muss jedoch feststellen, dass dessen Löcher verstopft sind. Er stellt ihn frustriert wieder auf den Tisch und macht sich schulterzuckend daran, sein Gulasch weiterzuessen. Ein Nichtjude, der ebenfalls Gulasch bestellt hatte, fragt höflich, ob er den Salzstreuer ausleihen dürfe. Als er bemerkt, dass die Löcher verstopft sind, nimmt er einen Zahnstocher, macht sie damit frei und würzt sein Gulasch nach. Daraufhin sagt Grün: »Ich mag die Gojim7 eigentlich nicht, aber man muss zugeben: Technisch sind sie uns überlegen …«

Im jüdischen Humor lassen sich häufig Aspekte der von Freud, Buber und anderen Autoren beschriebenen »jüdischen Eigenart« identifizieren. Wahrscheinlich erzählen Juden einander immer wieder die bereits unzählige Male gehörten und längst bekannten Witze, weil es ihnen Vergnügen bereitet, diesen Wesenszug zu vertiefen. »Mit jeder Wiederholung kommen sie in Kontakt mit der alten, kulturellen Identität der versunkenen Welt des Schtetls und ehren damit eine in weiten Teilen bereits nicht mehr existente Tradition und Kultur und halten damit etwas von ihr am Leben.«8 Im jüdischen Humor findet sich auch häufig der Niederschlag von über Jahrhunderte hinweg erlebten Erfahrungen der Verfolgung, Ausgrenzung und Auslöschung. Juden waren oft nicht in der Lage, sich körperlich gegen gewaltsame Angriffe zur Wehr zu setzen. So blieb ihnen mitunter als einzige Waffe der Humor.

Ein Kind wird tot im Wald aufgefunden. Die jüdische Gemeinde befürchtet ein Pogrom und verbarrikadiert sich im Gemeindehaus. Es klopft. Draußen steht Jossel, man traut sich nicht, die Tür zu öffnen. »Aber ich habe gute Nachricht …«, sagt Jossel, »es war ein jüdisches Kind …!«

Chajim Bloch meint, der jüdische Witz sei stark vom talmudischen Geist beeinflusst und er würde eine eigenartige Form von Humor verkörpern, in der Sanftmut, Verdruss, Freude, Traurigkeit, Ernst und Spaß miteinander kämpfen.9

In einem Dorf in Osteuropa kommt es immer wieder zu grässlichen Übergriffen, Pogromen und Erschießungen. Ein Jude flüchtet in ein Nachbardorf. Auf die Frage, wie die Menschen in seinem Dorf auf die Gewalt reagiert hätten, meint er: »Nachdem sie das letzte Mal gekommen waren, haben wir sämtliche hundertfünfzig Psalmen gebetet. Und alle Gemeindemitglieder haben gefastet, als wäre es der Versöhnungstag.« »Sehr gut!«, antwortet man ihm, »man darf sich nicht alles gefallen lassen, man muss sich wehren …«

Viktor E. Frankl berichtete in seinem 1946 erschienenen Buch »Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager« vom Lagerhumor der KZ-Häftlinge und meinte, dass er im Konzentrationslager ohne Humor physisch und psychisch zugrunde gegangen wäre. Es existieren sogar jüdische Witze über die Schoah.

Gott hört, dass zwei Juden einander Witze über die Schoah erzählen. Er sagt: »Ihr könnt euch doch nicht über die Schoah lustig machen!« Darauf sagt einer der Juden: »Sei mir bitte nicht böse, Gott, aber du kannst da nicht mitreden, du warst nicht da!«

Dass sich der jüdische Humor gelegentlich nicht nur gegen die Autorität des Rabbis richtet, sondern sogar gegen jene Gottes, ist der Ausdruck einer Haltung, die meint, Gott habe den Menschen mit Humor ausgestattet, weshalb es erlaubt sein müsse, sich über den Schöpfer der Welt lustig zu machen, er sei in seiner Unermesslichkeit groß genug, um darüber lachen zu können. Auch Rabbi Israel ben Elieser10 meinte, Gott freue sich über frohe Menschen, der Satan hingegen wolle traurige. Neben der spirituellen Komponente, die der Humor enthält, stellte er für Juden oft eine Strategie dar, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten, mit schwierigen Lebensumständen umzugehen und den eigenen Überlebenswillen zu stärken.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass in drei Tagen eine globale Überschwemmung stattfinden wird. Es gibt keine Möglichkeit mehr, die Welt zu retten.

Der französische Präsident meint in einer TV-Ansprache: »Franzosen! Ihr habt noch drei Tage Zeit, um Liebe zu machen. Nützt die Zeit, es ist eure letzte Chance!«

Der Papst verkündet: »Christen, ihr habt nur noch drei Tage Zeit. Nutzt diese Zeit dazu, um Vergebung zu beten!«

Der Rabbi versammelt die Gemeinde und meint: »Juden!! Wir haben nur noch drei Tage, um zu lernen, wie man unter Wasser überlebt!!!«

Der Gedanke, Humor sei ein Versuch, schwierige Lebenssituationen besser zu ertragen, findet sich auch in einem Ausspruch des jüdisch-österreichischen Kabarettisten Karl Farkas, der meinte: »Ein Conférencier ist ein Mann, der dem Publikum möglichst heiter zu erklären versucht, dass es heutzutage nichts zu lachen gibt.«11

Der jüdische Witz entstammt der Tradition des jüdischen Schtetls in Osteuropa. Er hat jedoch, vor allem in den USA und in Israel, zu neuen Ausdrucksformen gefunden. Man könnte die große Anzahl bekannter und erfolgreicher jüdischer Komiker in den USA und in Europa als einen Beleg dafür werten, dass Humor in der jüdischen Kultur über einen besonderen Stellenwert verfügt. Der österreichische Kolumnist und Autor Georg Markus meint, es sei nicht so, »dass es in der österreichischen Geschichte nur jüdische Humoristen gab. Ihr Anteil betrug höchstens neunzig bis fünfundneunzig Prozent.«12

Eine beachtliche Anzahl jüdischer Witze stellt das Witze-Erzählen selbst in den Mittelpunkt. Hier eine Kostprobe: