»Wenn du wüsstest, was ich weiß« - Charly Hübner - E-Book

»Wenn du wüsstest, was ich weiß« E-Book

Charly Hübner

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Beschreibung

Die Mauer ist gerade erst gefallen. Im mecklenburgischen Neustrelitz verlässt der 19-jährige Charly Hübner sein Elternhaus im Streit. Er findet Zuflucht am Theater und in der Literatur, liest wie besessen und landet nahezu unumgänglich bei den Jahrestagen von Uwe Johnson. Er taucht darin ein – und sehr lange nicht wieder auf.
40 Jahre nach Johnsons Tod und 90 nach dessen Geburt hat Charly Hübner Johnsons Großwerk als Hörbuch eingelesen. Wieder ist er vollkommen darin eingetaucht und war erstaunt, wie aktuell es nach wie vor ist – literarisch und politisch.

Eher durch Zufall landete die wuchtige Buchclubausgabe der Jahrestage in Charly Hübners neuem Zuhause. Ein dicker Wälzer, der trotz der manchmal sperrigen Sprache und verwinkelten Erzählweise einen so noch nie erlebten Sog auf den damaligen Teenager ausübte. Da erzählte jemand aus dem fernen Sehnsuchtsort New York und verband das wie selbstverständlich mit einer Familiensaga in Mecklenburg – Weltliteratur aus der Heimat quasi.
Aus dem Teenager von damals ist einer der beliebtesten Schauspieler des mehr oder weniger vereinten Deutschland geworden – während Johnson mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Zu Unrecht, findet Charly Hübner, denn die Lektüre dieses Autors, eines genauen Beobachters seiner Zeit, der wie kein anderer die Sprache und Denkweise der Menschen um ihn herum zu Papier gebracht hat, ist heute noch aktueller denn je.

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Seitenzahl: 123

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Cover

Titel

Charly Hübner

»Wenn du wüsstest, was ich weiß …«

Neun Versuche zu Uwe Johnson

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5433.

Originalausgabe © Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagfoto: Hans Techen

eISBN 978-3-518-77907-1

www.suhrkamp.de

Motto

»›There must be some way out of here‹said the joker to the thief›there’s too much confusion hereI can’t get no relief‹«

»All Along the Watchtower«, Bob Dylan, 1967

»Ich habe das Buch so geschrieben, als würden die Leute es so langsam lesen, wie ich es geschrieben habe.

Wir haben […] eine ganz besondere Form des Lesens heutzutage, die sehr hastig ist und sich eigentlich nur nach Signalen orientiert.«

Uwe Johnson, 1961

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Motto

Inhalt

1. Versuch

2. Versuch

3. Versuch

4. Versuch

5. Versuch

6. Versuch

7. Versuch

8. Versuch

9. Versuch

Zitatnachweise

Bibliografie

Abbildungsnachweis

Informationen zum Buch

1. Versuch

»Ein homerisches Gedächtnis hat dieser Mann.«

Max Frisch

Neulich, ich könnte auch jüngst, kürzlich oder letzthin schreiben, finde aber neulich in seiner unverschämten Schlichtheit einfach sehr schön, neulich also hörte ich mich in einem Gespräch mit zwei Autoren sagen: »Uwe Johnson ist eh der größte deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.«

Eine Übertreibung ohnegleichen.

Auslöser dieser frohen Botschaft war ein Gespräch über Literatur im Allgemeinen und im Zusammenspiel mit Film. Wir diskutierten die unterschiedlichen Erlebniswelten von Buch und Film und versuchten, einen Eindruck zu bekommen, was Literatur heute anders können müsse als im vordigitalen Zeitalter, ob Literatur und Film noch die Kraft hätten, in die Gesellschaft hinein zu wirken, oder ob beides vor allem dem Entertainment und dem Eskapismus dienen solle. Also ein Gespräch, wie man es ab und an in einer Drehbuchbesprechung führt, um zu verstehen, wie modern oder altmodisch man eigentlich selbst so drauf ist und was einen jeweils selbst so antreibt. Und als wir dann gerade anfingen, uns gegenseitig Autorinnen und Autoren vorzustellen, die wir als in jeder Hinsicht überragend und zeitlos empfinden, posaunte ich in die Runde eben den Satz: »Uwe Johnson ist eh der größte deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« – mit dem Beisatz – »wie Homer, Tolstoi und Proust für ihre Zeiten und Länder.«

Danach entstand eine nicht spannungslose Stille. Die Blicke der beiden Autoren froren ein. Ich konnte nicht erkennen, ob sie mir, wovon ich ehrlich gesagt ausging, sofort zustimmen würden oder ob sie mir mit einem Argument um die Ecke kommen wollten, das ich in jedem Fall beinhart würde auskontern können. Der von mir eingebrachte Autor war unantastbar und hielt jeder Attacke stand, da war ich mir ganz sicher.

Aber nichts von beidem geschah.

Die geschätzte Autorin wie ihr ebenso geschätzter Kollege starrten mich einfach nur an. In Sekundenschnelle versuchte ich, ihre Blicke als ratlos, erbost, erschrocken, bekümmert, genervt zu deuten, um dementsprechend angemessen darauf eingehen zu können – aber es brachte nichts, die Stille blieb einfach nur spannungsvoll.

Hatte ich sie düpiert?

Bin ich im Eifer über einen ihrer Sätze rübergeschrammt?

Sie sahen jedenfalls eher empört als bedröppelt aus.

Also begann ich eilig zu relativieren, dass ich a) natürlich nicht mal zwei Drittel aller deutschen Schriftstellerinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts kenne und ich mir, selbst wenn dem so wäre, b) einen Superlativ dieser Art selbstverständlich sparen solle, ja sparen müsse, weil es am Ende ja nicht darum gehen kann, dass unsereins auch noch anfängt, Literatur zu listen oder zu counten. Außerdem sei c) jede schriftstellerische Arbeit per Definition sowieso unique, und es komme d) ja grundsätzlich sehr dämlich daher, wenn man Äpfel mit Birnen, Kirschen oder Autos vergliche. Aber egal welche Formulierung des Relativierens oder der Zurücknahme dieser steilen These ich auch von mir gab, am Ende landete ich immer wieder in einer satzbaulichen Aber-Konstruktion, die Uwe Johnson doch über alles stellen wollte – stellen will.

Ich komme also nicht drum herum zu gestehen, dass etwas in mir diese überspannte Übertreibung als gerechtfertigt ansieht und sich darin auch sehr, sehr sicher ist.

Bewunderung ist etwas, dem ich eigentlich sehr zweifelnd gegenüberstehe. Ich empfinde sie sogar als eine Art Denkfaulheit. Hinter jedem Wunder steht doch in der Regel eine klare Konstruktion, die sich in ihrer Komplexität möglicherweise nicht leicht, aber doch mit Geduld und Neugier erfassen lässt. Im Falle Uwe Johnsons aber setzt in mir in der Regel der Fluchtimpuls Richtung Bewunderung ein, da ich es mit meinen interpretatorischen Fähigkeiten einfach nicht zusammenkriege, wie fein, schlau, brutal, episch, kompliziert, souverän, arrogant und empfindsam Johnson sein Erzählwerk komponierte und ausführte.

Nun hatte ich in den letzten Jahren die Gelegenheit, zwei seiner Romane, Das dritte Buch über Achim und Jahrestage, als Hörbuch einzulesen, was mich mehr oder weniger dazu zwang, diesen Fluchtimpuls zu überwinden und gemeinsam mit dem Regisseur Wolfgang Stockmann in das Johnson’sche Uhrwerk hineinzuschauen.

Ein Anfang war getan, und da es dann auch wirklich großen Spaß bereitete, sich im Sprachwerk Johnsons rumzutreiben, gibt es keinen Grund, jenseits der Auftragsarbeit damit aufzuhören. Und da gerade Zeit vorhanden ist und Uwe Johnson in diesem Jahr, 2024, seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert hätte, wäre er nicht vor vierzig Jahren verstorben, gibt es auch noch einen, ich nenne es mal, äußeren Anlass, sich seinem Werk zu widmen.

»Er holte die Geräte aus dem Schrank, schwenkte die Lampe über den Tisch und schaltete ein. Das Zimmer war an den Wänden entlang mit Bücherregalen Schränken Couch Sessel Kochnische bewohnbar, in der Mitte unter dem langen Fenster zur abendlichen nassen Straße hin stand der Tisch, Telefon neben Plattenspieler neben Tonbandgerät, die Schreibmaschine links vorn, der Stuhl konnte auf Rollen bewegt werden. Er schrieb.«

So beschreibt Uwe Johnson das Arbeitszimmer seiner hamburgischen Hauptfigur Karsch in Das dritte Buch über Achim. Hier in meiner provisorischen Uwe-Johnson-Bude sieht es ähnlich aus, nur gibt es noch einen Sessel und eine Couch zum Langmachen. Die Werkstatt eines Freundes, in die ich mich eingemietet habe, liegt in einem Altonaer Hinterhof mit Kopfsteinpflaster, früher wurden hier Fahrräder und Mopeds repariert. Die Zeit zeigt sich im Lauf des Tageslichts, welches durch zwei Dachfenster den Raum durchwandert, während bei aller äußeren Stille in den Lärm der Johnson-Welt hineingehorcht werden kann.

Auf meinem Schreibtisch stehen neben der Johnson-Werkausgabe manche Briefbände samt Interviewsammlungen plus einige biografische Schriften. Da sind die 800-Seiten-Biografie von Bernd Neumann, schlicht Uwe Johnson betitelt, das Buch Eine Reise zu Uwe Johnson, für das Frauke Meyer-Gosau seine Lebensorte besuchte, und die Monografien von Katja Leuchtenberger und Jürgen Grambow, die wissenschaftlich essenziell einen dichten Eindruck vom Leben und Wirken Uwe Johnsons vermitteln. Sie alle will ich einmal nennen, denn das sind Standardwerke, wenn man sich wirklich ausführlich mit dem Leben und dem Schaffen Uwe Johnsons befassen will, und sie werden für dieses Büchlein hier nützliche Quellen und Begleiter sein.

Aber ich bin weder Literaturwissenschaftler noch Biograf, eigentlich eben nur ein Fan, und so kann das hier nur ein kleiner Jubeltext werden, nennen wir es eine Hommage, die sich querfeldein ümmer de Nees lang im Johnson-Kosmos rumtreibt und die eine oder andere Perle ans Licht holen möchte. Mal schauen, was sich da in den Fächern, Kassetten und Büchern so alles versteckt!

Ich könnte nun an dieser Stelle zügig und zielstrebig in die Vollen gehen, den ersten Band der Jahrestage zur Hand nehmen und den Tagebucheintrag »26. Oktober 1967, ein Donnerstag« aufschlagen.

Gesine Cresspahl, die Hauptfigur, liest erst einmal wie an jeden Tag in diesem Roman die neuesten Nachrichten in der New York Times. Das nimmt den ersten Teil dieses Tagesberichts ein. Im zweiten Teil wird dann eine Szenerie geschildert, in der Gesines Vater Heinrich Cresspahl versucht, am 6. März 1933 sein neugeborenes Kind im Rathaus des mecklenburgischen Städtchens Jerichow anzumelden.

Am Tag zuvor war in Deutschland ein neuer Reichstag gewählt worden, und die Nationalsozialisten hatten diese Wahl mit 43 Prozent aller Stimmen gewonnen. Es waren noch am Abend allerorten mehr oder weniger rüde und gewaltvolle Szenen der Machtübernahme gefolgt, die den gesellschaftlichen Lauf der Dinge zum Stehen brachten – so auch in Jerichow. Es wird Heinrich Cresspahl an diesem 6. März folglich nicht gelingen, die kleine Gesine anzumelden, da der »alte« SPD-Bürgermeister Dr. Erdamer unfreiwillig abtreten muss und die »neuen« Volksvertreter der NSDAP das Amt erst noch antreten.

Wie Johnson diese welthistorische Zäsur, zu der dieser Machtwechsel ja wurde, auffächert, in den Perspektiven springend davon erzählt, wie wer was wann erkennt oder nicht erkennt, wie wer mit wem in welchem offiziellen und in welchem privaten Verhältnis steht, je nach Perspektive der handelnden Erzählfigur oder des betrachtenden Autors, das ist ausgebufft und schwer fassbar. Eine Montage, die sich, wenn man es in einem Satz zusammenfassen wollte, als hektisches Psychovideo beschreiben ließe. Es würde im Vorstellungskosmos der hier Lesenden vermutlich nichts weiter als hellgrauen Nebel oder geballten Klumbatsch auslösen, man hätte aber von dem tatsächlich erzählten Geschehen keinerlei Eindruck.

Und spätestens hier würde ich dann merken, dass ich doch etwas weiter ausholen muss, etwas sanfter in den Kosmos des Autors einsteigen sollte, den ich vor anderen Menschen so ungefragt über alles stelle.

Die Runde, in die ich die These »Uwe Johnson ist eh der größte Schriftsteller« etc. pp. hineinposaunt hatte, hatte sich zwischenzeitlich vergrößert, denn der Filmproduzent war hinzugekommen, der uns zu dieser Runde überhaupt erst eingeladen hatte. Er war sehr überrascht, uns in eifriger Debatte zu erleben, allerdings nicht über die Weihnachtsserie, die er produzieren wollte. Stattdessen bestand ein aufgebrachter Drehbuchautor sehr vehement darauf, dass Thomas Mann ja wohl in jeglicher Hinsicht literarisch das Maß aller Dinge im 20. Jahrhundert war, ist und bleiben würde. »Den Bogen von Tonio Kröger bis zum Felix Krull, um nur mal die Klammern zu nennen, den Bogen hat niemand gespannt und Uwe Johnson doch schon gleich mal gar nicht.« Aber er könne das auch nur vermuten, denn genau genommen hat er vor dreißig Jahren einmal angefangen, die Jahrestage zu lesen. »Ja das ist schon groß, aber viel zu chaotisch, viel zu viel.« Und er sei sich ziemlich sicher, dass Johnson sich in der Erzählung des deutschen Bürgertums und im Umgang mit Ironie dann doch hinter Thomas Mann einreihen müsse.

Daraufhin argumentierte die Autorin, sie finde die Debatte interessant, aber unnötig, weil sie das Werk eines Franz Kafka gar nicht in den gleichen Wettbewerb stellen möchte wie die Texte von Martin Walser, Christa Wolf oder Ingeborg Bachmann. Das sind doch völlig eigenständige Erzählwelten.

»Ich finde es eigentlich ganz geil, so was zu listen«, konterte der Filmproduzent, »da lerne ich auch noch gleich was über euch.« Aus dem Stand könne er sich aber nicht zwischen Brecht und Dürrenmatt entscheiden. »Beide visionär, beide universell! Was war denn euer Einstieg?«, fragte er.

»Ach es ging um Literatur im Allgemeinen, was sie können muss, ob sie noch wichtig ist«, sagte der Autor.

»Also, ob Fernsehen sie ersetzt, eben durch Serien usw.«, fügte die Autorin hinzu.

»Das ist ja mal klar«, antwortete der Produzent. »Literatur hatte ihre Zeit, im fernen 20. Jahrhundert. Da war natürlich viel mehr Schlagkraft und Bedeutung. Viel mehr Stadt- und Gesellschaftstalk. Das ist ja heute durch den Serienboom und Social Media anders. Das müssen wir alle einfach mal zur Kenntnis nehmen. Aber hat ja auch viel Gutes.«

So schwadronierte er dahin: über die Macht der Bilder, die die Macht der Sprache ersetzen würde, davon, dass man sicher von den großen Schriftstellern lernen könne, was subtile Unterhaltung sei, also von den Schlüsselreizen her, heute aber durch das Digitale und KI ja ein ganz anderer Twist in die Sache komme, da wisse man ja noch gar nicht, wo das hinführe, und da sei es doch letztlich gar nicht mehr wichtig, wer denn nun im 20. Jahrhundert der größte Schriftsteller gewesen sei. Ihm falle da ja auch noch Max Frisch ein, wie der von innen heraus geschrieben habe. »Hammer!« Ja, da lege er sich jetzt mal fest, für ihn sei Max Frisch der Größte, noch vor Brecht. Uwe Johnson kenne er zwar, habe den aber nie richtig gelesen, also genau genommen eigentlich gar nicht. »War ein Ossi, oder? Das ist wie mit Goethe oder Homer: wird bei jedem Umzug eingepackt, aber nie gelesen. Soll ja spitzenmäßig sein, meine Frau liebt den über alles, vor allem diesen Jahresbericht, wo er doch irgendwie so über ein Jahr Tagebuch führt.«

»Jahrestage!«, verbesserte ihn der Autor.

»Ah ja genau, Jahrestage. Gibt’s das nicht auch schon als Film.«

Alle nickten!

»Cool, den kann ich mir ja mal reinziehen!«

Zu meiner eigenen Überraschung legte ich still und unnachgiebig nach: »Alle großartig, alle sensationell, aber Uwe Johnson ist epochal. Das ist der Unterschied.«

»Epoche, Epoche, Hurra! Meinetwegen!« gab der Produzent zügig zurück. »Aber jetzt muss das pitch paper für die Weihnachtsserie raus, wir haben nur noch zwei Stunden, das ist deutlich wichtiger!«

2. Versuch

»da dachte ich, schlicht und streng anzufangen so: ...«

Uwe Johnson

So eröffnet Uwe Johnson Das dritte Buch über Achim, seinen dritten Roman. »da dachte ich, schlicht und streng anzufangen so: sie rief ihn an, innezuhalten mit einem Satzzeichen, und dann wie selbstverständlich hinzuzufügen: über die Grenze, damit du überrascht wirst und glaubst zu verstehen. Kleinmütig (nicht gern zeige ich Unsicherheit schon anfangs) kann ich nicht anders als ergänzen daß es im Deutschland der fünfziger Jahre eine Staatsgrenze gab; du siehst wie unbequem dieser zweite Satz steht neben dem ersten.«

Kein epischer Anlauf mittels einer Landschafts- oder Stadtbeschreibung, keine Schilderung einer krassen Tat, kein privater Moment in einem welthistorischen Augenblick, der in jedem Leseherz sofort ein persönliches Gefühl entstehen lässt, nein, der Beginn dieses Buches kommt, um es positiv zu beschreiben, hineingestolpert und wirft Fragen und Unklarheiten auf. Aber nicht in einer lässigen Weise, die mir souverän einen Fakt oder ein Problem beschreibt, dem ich dann spannungsgeladen folgen will, sondern unsouverän und verdruckst. Es ist nicht klar, wer zu wem spricht, also wer ist mit dem Du gemeint, ich vielleicht? Wer spricht dieses Du an? Und es ist schwer erkennbar, was diese Person der anderen erzählen will.

Ich finde diesen Anfang grandios.