Wenn es Nacht wird in der Hölle - Regina Shadow - E-Book

Wenn es Nacht wird in der Hölle E-Book

Regina Shadow

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Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Das Bild wirkte tatsächlich verändert. Aber es war mir nicht möglich, genau zu sagen, in was diese Veränderung bestand. Ich erinnerte mich an den verwirrenden Eindruck, den das Bild vor meinem Ausflug nach Aschbach auf mich gemacht hatte. Damals hatte ich alles einer Täuschung oder dem verwirrenden Spiel des Sonnenlichts zugeschrieben. Diesmal war der Eindruck stärker; sehr viel stärker. »Ich ... ich weiß nicht!«, murmelte ich leise. »Du siehst es also auch!«, meinte er grimmig. »Ich kann dir sagen, was es ist: Die Perspektive hat sich geändert! Es ist, als habe der Fotograf sich ein wenig gedreht. Der Ausschnitt des Waldes ist ein anderer! Da links ist noch der Rest zu sehen, der früher in der Bildmitte war!« »Du hast Recht!«, meine Stimme war noch leiser geworden, »wie ist das denn möglich! Hast du das Bild etwa ausgetauscht? Du machst doch häufiger Panorama-Fotoreihen!« »Nichts hab ich ausgetauscht!«, entgegnete er wütend.

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Moonlight Romance – 19 –

Wenn es Nacht wird in der Hölle

Niemals wird mir jemand glauben!

Regina Shadow

Das Bild wirkte tatsächlich verändert. Aber es war mir nicht möglich, genau zu sagen, in was diese Veränderung bestand. Ich erinnerte mich an den verwirrenden Eindruck, den das Bild vor meinem Ausflug nach Aschbach auf mich gemacht hatte. Damals hatte ich alles einer Täuschung oder dem verwirrenden Spiel des Sonnenlichts zugeschrieben. Diesmal war der Eindruck stärker; sehr viel stärker. »Ich ... ich weiß nicht!«, murmelte ich leise. »Du siehst es also auch!«, meinte er grimmig. »Ich kann dir sagen, was es ist: Die Perspektive hat sich geändert! Es ist, als habe der Fotograf sich ein wenig gedreht. Der Ausschnitt des Waldes ist ein anderer! Da links ist noch der Rest zu sehen, der früher in der Bildmitte war!« »Du hast Recht!«, meine Stimme war noch leiser geworden, »wie ist das denn möglich! Hast du das Bild etwa ausgetauscht? Du machst doch häufiger Panorama-Fotoreihen!« »Nichts hab ich ausgetauscht!«, entgegnete er wütend. »Das Bild ist nicht von mir. Von diesem Wald gibt es nur diese eine Aufnahme ...«, dann korrigierte er sich, »die Aufnahme, die bis gestern im Rahmen hing!« Ich starrte auf die Fotografie, die der, an die ich mich zu erinnern glaubte, unglaublich ähnelte. Der Blick auf den Wald hatte sich verändert, das war nicht zu leugnen. Ich sah ihn sprachlos an. Mir war nicht mehr nach Streit zumute, als ich sein Gesicht sah. Darin sah ich pure, nackte Angst.

Prolog:

Wie alles endet und beginnt:

Die Flammen schlugen in den dunklen Himmel. Funken tanzten durch die Schwärze der Nacht, wie verrückt gewordene Glühwürmchen. Es war ein schönes, aber unheimliches Bild. Das Haus war im grellen Rotorange des Feuers nur eine Silhouette. Ein Blitz zuckte und trennte alles in Licht und Schatten. Ein Schatten der Vergangenheit.

Ich stand alleine davor, in einiger Entfernung und spürte dennoch die Hitze in meinem Gesicht. Es fühlte sich an, als kräuselten sich meine Haare. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Ich wollte nichts davon an mich herankommen lassen: den Schmerz, den Verlust, die Angst und das Entsetzen.

Es prasselte und das Holz des Hauses brach, geschwärzt und verkohlt durch die Hitze des lodernden Feuers. Die Balken fielen in sich zusammen, wie Streichhölzer, wenn ihre Aufgabe erfüllt ist. Der herabströmende Regen war machtlos gegen die Flammen.

Der nahe Waldrand stand still und schwarz in der Nacht. Das Licht des Feuers erreichte ihn nicht. Nur ab und zu flog einer der unzähligen Funken in seine Richtung. Das Glimmen erlosch jedes Mal, bevor das falsche Glühwürmchen sein Ziel erreichte. Mir kam es vor, wie ein Zeichen, ein Symbol für mein Leben – und nicht nur für meines.

Das Prasseln und Krachen erzeugten eine bizarre und beängstigende Begleitmelodie in dieser letzten Nacht. Nach wie vor zuckten Blitze aus dem Himmel und fuhren in die glühenden, verkohlenden Trümmer, gerade so, als sei der Natur die Gewalt nicht groß genug; als müsse das, was dort lauerte aus der Welt geschafft werden: um jeden Preis.

Als das Haus in sich zusammenstürzte, glaubte ich noch immer, die schweren Schritte über mir hören zu können …

*

Psychologische Praxis Dr. Hansen: Anamnese

»Das ist die Geschichte, die Sie der Versicherung auf deren Nachfrage hin erzählt haben, Frau Griboim?«, erkundigte sich Dr. Hansen. Er legte die kopierten Blätter meiner Aussage auf den Tisch neben sich. »Sabine Griboim« stand darauf zu lesen. Der hagere Psychologe lehnte sich in seinem Sessel zurück, schob seinen Notizblock zur Seite und fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen. Ich fühlte mich unwohl. Das lag zum Teil an dieser Situation, aber eben nicht ausschließlich. Die Notwendigkeit, sich mit einem Psychologen zu unterhalten, gefiel mir nicht, doch die Versicherung hatte, nachdem ich meine schriftliche Stellungnahme eingereicht hatte, darauf bestanden. Angeblich, um den Wahrheitsgehalt besser einschätzen zu können.

Ich versuchte, eine Haarsträhne, die mir vor die Augen fiel, wegzuwischen. Das klappte einmal mehr nicht.

»Im Wesentlichen«, sagte ich zögernd. »Ich war ein wenig … zurückhaltend, was die genauen Einzelheiten angeht!«

»Aha!«, meinte Hansen und spielte mit seinem Kugelschreiber. »Ich hatte das vermutet. In der Anfrage ist von »Unklarheiten« die Rede.«

»Ich habe nicht gelogen«, sagte ich verstimmt und er schüttelte langsam den Kopf.

»Das wollte ich keineswegs andeuten. Wissen Sie, Frau Griboim …«, fuhr er fort und unterbrach sich, als ihm der Stift aus der Hand und zu Boden fiel. Er stand auf und bückte sich. »Es ist eher Ihre Körpersprache, Ihre Mimik, die mir sagen, dass Sie etwas … zurückhalten. Etwas, das Sie auf keinen Fall erzählen wollen.« Er setzte sich wieder und das Spiel mit dem Kugelschreiber begann von Neuem. Ich gab keine Antwort.

»Liege ich falsch, was das angeht?«, wollte er wissen. Da ich noch immer nicht reagierte, seufzte er. »Glauben Sie mir bitte: Nichts von dem, was Sie mir erzählen, dringt nach außen. Auch die Versicherung wird lediglich eine Einschätzung des Wahrheitsgehaltes bekommen – keine inhaltlichen Details und natürlich keine Diagnose. Auch wenn Ihrem Versicherer das lieber wäre.«

Er lehnte sich erneut zurück. »Bitte. Erzählen Sie mir die Geschichte von Anfang an. So wie Sie sie erlebt zu haben glauben! Vertrauen Sie mir!«

Ich entspannte mich ein wenig. »Das fällt mir schwer, muss ich zugeben. Der Satz »Vertrauen Sie mir« führt bei mir eher zum Gegenteil. Bisher hielten mich alle für verrückt!«

Ich versuchte, auf dem reichlich unbequemen Stuhl eine angenehme Sitzposition zu finden. Meine Größe machte das schwierig.

»Verrückt, wenn nicht sogar wahnsinnig!«

Dr. Hansen lächelte ein professionelles, aber freundliches Lächeln. »Ich nicht. Und mal ehrlich: Was sollte ich denn stattdessen sagen?«

Ich würde erst dann meinen Frieden finden, wenn ich darüber gesprochen hatte. Das wusste ich. So unheimlich und schrecklich die Einzelheiten auch waren. Ich wünschte mir, Serge hätte mich begleitet, auch wenn er von den Geschehnissen dieser Nacht nichts wusste.

»Das stimmt natürlich. Tut mir leid.«

Also begann ich zu erzählen …

*

Susanne Griboims Tagebuch:

September

Die Straße wurde immer schlechter. Ich blickte aus dem Fenster und sah rechts und links nichts als dunklen Wald. Nadelbäume, Tannen und Fichten standen drängten sich unangenehm eng aneinander und verwandelten einen freundlichen Tag in eine düstere Mischung aus Schatten und Dämmerung. Es rumpelte gewaltig, als der »Defender«, Serges Geländewagen, durch ein Schlagloch fuhr.

»Mein Gott, das ist keine Straße, das ist eine Zumutung. Ein Waldweg! Bist du sicher, dass du dich nicht verfahren hast?«, erkundigte ich mich ironisch und deutete auf das Navi. Serge hatte es ausgeschaltet. Mein Freund war eigenwillig, nicht nur, was technische Neuerungen anging. Auf meine Frage hin drehte er sich zu mir um und grinste. Das unglaublich dichte, strubbelige, schwarze Haar ähnelte einem Besen.

»Angst?«, fragte er. Fahrtwind fuhr durch das offen stehende Seitenfenster und zerstörte die letzten Reste einer Frisur. Die Haare auf seinem schmalen Kopf standen und lagen in alle Richtungen. Ein Besen, aber ein sehr derangierter!

»Nein. Das nicht. Aber ich habe keine Lust, hier im Nirgendwo aussteigen und nach dem Weg suchen zu müssen. Sieht ja nicht so aus, als ob man jemanden fragen könnte. Bist du sicher, dass du das Navi nicht einschalten willst?«

Sein Grinsen wurde breiter. Er machte keine Anstalten, meinem Vorschlag zu folgen.

»Weißt du was? Das würde überhaupt nichts nützen! Diese Straße erkennt dieser neumodische Kram nicht. Ich hab das beim ersten Mal ausprobiert – angeblich sind wir hier mitten im Wald!«

»Ach nein? Hältst du das da draußen für eine Stadt oder wenigstens ein Dorf?«

»Nein. Das ist Wildnis! Toll oder? Du kannst ganz beruhigt sein: Es gibt nur einen Weg. Wir können uns also gar nicht verirren.«

»Na, wenn du das sagst«, meinte ich und ließ mich in den Beifahrersitz zurücksinken. Die Sonne stand bereits recht tief und würde bald hinter der schwarzen Masse des Waldes verschwinden. Ich hoffte, wir würden unser Ziel zuvor erreichen. Serge hatte mir nichts verraten: nur eine Überraschung.

Irgendwo rechts von uns floss die Höll. Ein kleiner, aber sehr wilder Bach, der sich im Laufe vieler Hunderttausend Jahre in den harten Granit gefressen hatte. Über viele Stufen schoss das Wasser in eine Klamm. Zu beiden Seiten stiegen Felswände in die Höhe und bildeten schließlich eine Art Hochfläche. Bis dort wucherte der finstere Wald empor.

Wir waren vor etwa einer Stunde aufgebrochen und ein Wochenende lag vor uns, von dem ich nicht wusste, wie es ablaufen würde. Serge war niemand, der zu übertriebenen Versprechungen neigte, kein Dampfplauderer und ganz gewiss kein Angeber. Wenn er von einer Überraschung sprach, dann konnte ich mich auf eine solche gefasst machen. Männer reden nicht annähernd so viel wie Frauen. Das ist nicht neu oder überraschend, aber Serge war, was Schweigsamkeit angeht, eine eigene Kategorie.

Ich sehnte mich nach meinem eigenen Auto, einem alten, roten 2CV. Obwohl meine 1,80 Meter dort ebenfalls schwierig unterzubringen waren, hätte ich eine Fahrt damit vorgezogen: allein schon, weil ich dann die Fahrerin gewesen wäre. Als Beifahrerin war ich eine Katastrophe, das versicherte mir mein Herzblatt bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

»Wie lange wird das hier noch dauern?«, fragte ich. Er nahm den Blick nicht von der Straße. Eine kluge Entscheidung, denn aus ihr war mittlerweile wirklich ein Feldweg geworden. Nein, ein Waldweg.

»Nicht mehr lange. Wir sind bald am Aufstieg. Vielleicht zehn Minuten.«

»Aufstieg klingt vielversprechend. Müssen wir aussteigen und schieben?«

Er lachte. »Lustig. Aber nein. Es klingt schlimmer, als es ist. Im Winter könnte die Strecke allerdings ein Problem sein. Mit unserem Wagen allerdings nicht!«

Ich runzelte die Stirn.

»Winter? Warum Winter? Es ist gerade mal September …«

»Ganz ruhig. Du musst nicht ungeduldig werden. Wir sind bald da.«

Ich drehte den Kopf und deutete auf ein Dach, das ein wenig über die Spitzen des Waldes hinausragte. Dort schuf der Bachlauf einen breiten Einschnitt. Es war mit alten, moosbewachsenen Schindeln gedeckt; lediglich an der rechten Seite gab es wohl einen Anbau, dessen Dach aus Ziegeln bestand. Auch diese wirkten unglaublich alt.

»Was ist das dort?«, fragte ich. Das Gebäude, zumindest das, was ich davon sehen konnte, wirkte unangenehm auf mich.

»Das? Das ist die alte Asmodeusmühle. Die ist so etwas wie das Wahrzeichen hier. Sie ist uralt. Sie steht am Oberlauf der Höll. Ein Zeichen, dass wir fast da sind.«

»Soll das die Überraschung sein?«, fragte ich. »Eine alte, widerliche Mühle? Vielleicht sogar verfallen …?«

Er lachte. »Nein. Bestimmt nicht. Die Mühle geht uns … nichts an. Sie ist zwar alt, aber nicht verfallen. Ich denke, sie könnte sogar unter Denkmalschutz stehen. Hat irgendeine Rolle in der Vergangenheit gespielt, ich glaube, im Mittelalter. Naja: frühestes Mittelalter.«

»Dafür, dass sie uns nichts angeht, weißt du eine Menge darüber!«, murmelte ich. Seine merkwürdige Betonung, als er sagte, die Mühle ginge uns nichts an, war mir sofort aufgefallen. Mein Freund verschwieg mir etwas. Wenn ich seinen Tonfall richtig deutete, würde er dabei bleiben. Ich kannte ihn lange genug, um das zu wissen. Immerhin waren wir seit gut fünf Jahren das, was man landläufig ein »Paar« nannte. Kennengelernt hatten wir uns über den Beruf: Ich arbeitete in einer Werbeagentur, er war freier Fotograf. Serge besaß in Fachkreisen einen guten Ruf, größerer Erfolg war ihm aber versagt geblieben, bis vor etwa einem Jahr. Seitdem riss man sich auch in den Galerien um seine Bilder und die Ausstellungen jagten einander. Zuvor war er ein großer Junge gewesen: Hochgewachsen, das Haar immer unordentlich. Die schwarzen Fransen hingen ihm häufig über die strahlend blauen Augen, obwohl sie übermäßig lang nicht waren. Seit er jedoch Erfolg hatte, veränderte er sich – und das nicht unbedingt zum Guten. Nach außen war er noch immer derselbe; niemand hätte ihm Größenwahn oder Selbstüberschätzung vorgeworfen: auch ich nicht. Eher das Gegenteil war der Fall. Innerlich wurde er immer unsicherer, ängstlicher, neigte bisweilen sogar zu Albträumen und Panikattacken. Solche Dinge hatte ich bei ihm zuvor nie beobachtet und auf meine Frage hin gab er zu, dass er sich das alles nicht erklären konnte.

Auch während unserer Fahrt hierher hatte ich mehrfach das Gefühl gehabt, als zucke er innerlich zusammen. Gerade, als er von der Mühle sprach, schien er sich zu verkrampfen, als schmerze ihn irgendetwas.

Meine Vermutung war, dass er Schwierigkeiten hatte, mit dem plötzlichen Erfolg fertig zu werden. Jahrelang hatte die Menschheit seine Bilder ignoriert und nun nannte man sie »Kunst«. Er hatte mir nach Beendigung einer Vernissage gestanden, dass er einen Großteil der Ansichten, die Kritiker und Kunstbeflissene zu seiner Arbeit äußerten, bestenfalls für kompletten Blödsinn hielt. Serge mochte ein großer Junge sein, er wusste sehr gut, dass dieser Blödsinn ihm genug Geld einbrachte, um nun, nach vielen entbehrungsreichen Jahren, ein angenehmes Leben zu führen.

»Vielleicht ist es der Zwang, sich ständig verstellen zu müssen!«, dachte ich bei mir. »Er muss den Leuten nicht nur zuhören, er muss sie in ihrer Meinung bestärken. Das macht ihn auf Dauer ganz einfach fertig. Er ist kein geübter Lügner! Dazu kommt, dass der Kunst- und Kulturzirkus ein Selbstbewusstsein vor sich herträgt, wie es größer kaum sein könnte. Er hält so gut wie jeden, mit dem er es dort zu tun hat, für einen Idioten und darf es nicht zeigen.«

Die sonderbare Mühle blieb hinter uns zurück. Der Weg wurde steiler und bald darauf kämpfte sich unser Wagen eine Serpentine hinauf, dem Hochplateau entgegen. Unter uns war nun die schwarzgrüne Masse des Waldes wie ein finsteres Moospolster. Die tief stehende Sonne brachte längliche, nervös zitternde Schatten hervor und streute sie in die Umgebung. Die gekräuselte Oberfläche des Waldes schien zu leben.

»Da, links kannst du die Asmodeusmühle sehen!«, sagte er und deutete mit dem Kopf nach links.

Tatsächlich stand dort, an einem tiefen Einschnitt, den der Höllbach geschaffen hatte, ein längliches Bauwerk, das sich wie ein böses, lauerndes Tier zwischen die Bäume duckte; dunkel, verschwiegen, geheimnisvoll. Ich sah undeutlich ein großes Wasserrad.

»Was für eine Mühle ist das überhaupt?«, wollte ich wissen.

Serge schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Ich hatte immer angenommen, es sei eine alte Löffelschmiede, wie’s sie hier in der Gegend häufiger gibt. Aber dass stimmt wohl nicht. Es ist nicht leicht, etwas darüber herauszufinden. Irgendwie ­meiden die Einheimischen diesen Ort.«

»Eine Gespenstermühle?«, fragte ich ungläubig. »Ich meine, dies hier ist nicht unbedingt die Großstadt, aber ...«.

»Oh. Glaub’s nur!«, meinte er ernsthaft. »Das ist ein richtiges Tabu. Lokale Folklore in Reinkultur. Niemand sagt, was damit ist, aber alle werden still oder geben obskure Warnungen von sich. Ich hatte einige Schwierigkeiten deswegen!«

»Ah. Sagst du mir jetzt endlich …«, setzte ich an, aber er unterbrach mich sofort. »Nein. Tu ich nicht. Du wartest gefälligst. Ich hab mir solche Mühe gegeben, das mache ich mir nicht kaputt!«

»Na gut«, ich tat, als sei ich beleidigt, auch wenn er meine Verstellung natürlich durchschaute. Serge war ein kluger Junge und seine Sensibilität war bisweilen sogar unheimlich.

Durch einen breiten Einschnitt führte die Serpentine endlich auf die Hochfläche. Links und rechts schoben sich auch hier Tannen und Fichten in den heraufsteigenden Abend, allerdings wirkte es weniger unheimlich. Das lag eindeutig am rotgoldenen Sonnenuntergang, der das schwärzliche Grün des Waldes in warmes Licht tauchte.

»So. Wir sind fast da«, sagte Serge zufrieden.

Wir fuhren noch etwa zwei Minuten durch den Wald, dann trat die rechte Seite plötzlich zurück und gab den Blick frei auf einen sanft abfallenden Hang, der den Rand der Hochfläche bildete. Eine Wiese mit dichtem, dickem Gras zog sich vom Waldrand bis hin zu einem steilen Abbruch. Ich sah einen Bildstock, wie man sie überall hier in der Gegend finden konnte. Er war wohl sehr alt, aber nicht verfallen.

Der Weg war in einem weitaus besseren Zustand, als zuvor; beinahe gepflegt war er und das unruhige Rumpeln, das uns während beinahe der gesamten Fahrt begleitet hatte, verschwand.

»Sonderbar, nicht?«, meinte Serge. »Ich habe nicht herausfinden können, zu welcher Gemeinde diese Mühle gehört. Scheinbar ist niemand zuständig, aber der Weg ist in einem Zustand, als werde er ständig gepflegt.«

»Wieso interessiert dich die Gemarkung?«, wollte ich wissen. Was auch immer Serge an merkwürdigen Interessen manchmal auch pflegte: Lokale Geografie gehörte sicher nicht dazu. Langsam wurde ich unruhig.

Er lachte, ein bisschen zu laut, ein bisschen zu betont. »Wegen der Bürokratie natürlich. Kannst du dir vorstellen, dass es auf dieser Welt noch einen Fleck gibt, auf den die Verwaltung nicht ihre gierigen Finger gelegt hat? Grundsteuer, Einträge im Grundbuch, Erschließung des Grundstücks und solche Dinge … aber hier scheint tatsächlich niemand zuständig zu sein.«

Ich schwieg. Die Geschichte kam mir mehr und mehr vor, wie eine Posse.