Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Sarah Bosetti ist eine Frau, die ein Buch geschrieben hat, in dem es nicht um Frauen geht. Schließlich kann es nicht immer nur um Frauen gehen. Ab und zu muss es auch um schuppige Bankangestellte und Gebraucht-Toupets gehen, um Kurt Cobain und die Dorfältesten Berlins. Und um Ulf. Nein, in diesem Buch geht es nicht um jene viel besungenen kleinen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Es geht um die monströsen Kluften zwischen Michelinweibchen, knautschigen Omas und Sparkasseninsassen. Kluften, die sich mit Pfützen aus Selbstmitleid füllen, in denen Berliner Künstler ihr täglich Bad nehmen und nach ihrem täglich Brot angeln. Sarah Bosetti erzählt, was man tun kann, um sich in einer solchen Pfütze über Wasser zu halten und den Widrigkeiten des Großstadtlebens mit elegantem Hüftschwung auszuweichen. Als Begleiter stehen der Protagonistin eine satte Portion Ironie und ein Hund zur Seite. Und natürlich Ulf, der alles hat, was ein guter Mann braucht: überbordende Kreativität, bedingungslose Hingabe und einunddreißig Brusthaare. "Wenn ich eine Frau wäre" ist eine bissig-absurde Großstadtgeschichte, prall gefüllt mit Kloschüsselromantik und Selbstironie. Schnell, witzig und im Kern bitterböse. Also doch irgendwie ein bisschen wie eine Frau.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 103
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
SARAH BOSETTI
E-Book-Ausgabe Juli 2014
Erweiterte Neuausgabe
(Originalausgabe: Sprechstation Verlag, Berlin 2012)
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2014
www.satyr-verlag.de
Cover & Satz: Sarah Bosetti
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
ISBN: 978-3-944035-47-5
Vorspann
Eine Frage der Perspektive
Badewannen-Blues
Ein Leben ohne Ladyshave
Selbstmitleid
Nachts sind alle Toupets grau
Von Hunden und Pferden
Fliegenfischen
Peinlichkeiten der Pubertät
Aktion Mensch
Hölme
Second-Head-Toupets
Der Perverse
Beziehungsweise
Wenn ich eine Frau wäre
Die Dorfältesten Berlins
Haare sind nur totes Gewebe
Das Monster in meinem Bett
Fluch der Akribik
Der Zweitjob
Leicht wie zwei Federn
Kurt Kobain
Der Knautschgrad
Notaufnahme
Wenn du ein Mann wärst
Mein Perverser und ich
Von Mücken und Menschen
Mein Tag ist ein Arschloch
Fünfhundert Euro
Männer mit Möpsen
Eine Klischeegeschichte
Der Klumpen
Kilometaebene
Der Duft einer brechenden Rose
Abspann
Fade Out
Deleted Scenes
Für meinen Vater
Ich öffne die Tür und sehe Ulf. Er liegt in einer Blutlache auf dem Boden, die Kehle rot verklebt und ein Messer in der leblosen Hand. Mein Hund sitzt daneben und leckt das Blut auf.
»Davon kriegst du Blähungen«, sage ich. Der Hund wedelt mit dem Schwanz, hebt den Kopf, senkt ihn wieder und leckt weiter. Ich lege die Holzbretter ab, die ich unter dem Arm trage.
»Ich geh jetzt ins Bett«, sage ich. »Wenn du mitkommen willst, mach vorher die Sauerei weg, sonst schläft der Hund wieder in der Ketchup-Pfütze.«
»Das ist kein Ketchup«, sagt Ulf. Er steht auf und lässt rote Tropfen auf den Hund regnen, so dass dieser nun schwarz-weiß-rot gepunktet ist. »Das ist mit Mehl verdickter Johannisbeersaft.«
Ich lasse mich in einen Sessel fallen und lege die Füße hoch.
»Das hat mich die letzten drei Stunden gekostet«, sagt er. »Du könntest ruhig mal ein bisschen Respekt vor meiner Kunst zeigen.«
»Schön, dass du deinen Tag sinnvoll verbracht hast«, sage ich.
»Wieso, hast du deinen denn nicht sinnvoll verbracht?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich hab mich im Baumarkt verlaufen und mich dabei sehr männlich gefühlt«, sage ich. »Ist das sinnvoll?«
»Geht so«, antwortet Ulf und betrachtet die Bretter, die ich mitgebracht habe. Sehr vorsichtig stupst er eines mit den Zehen an. Wahrscheinlich würde er dazu gar einen langen Stock benutzen, wäre es nicht so inzestuös, ein Brett mit einem Stock anzustupsen.
»Nicht so zaghaft«, sage ich. »Ich bin sicher, ihr werdet gute Freunde.«
»Klar ist das gerade«, sagt Ulf und hält das schief abgesägte Brett hoch. »Das ist alles eine Frage der Perspektive.«
»Du meinst, nicht die Seite, die du gerade abgesägt hast, ist schief, sondern die anderen drei Seiten des Brettes?«, frage ich. »Die drei Seiten, die der freundliche Mann im Baumarkt für mich gesägt hat und die in einem perfekten rechten Winkel zueinander stehen? Ist es das, was du meinst?«
»Kluges Mädchen«, sagt Ulf und tätschelt mir großväterlich den Kopf. Wir sind gerade zusammengezogen, und nachdem ich aus alten Brettern einen perfekten Wohnzimmertisch von königlicher Erhabenheit und der Anmut eines Rehkitzes gezimmert habe, soll Ulf nun die vier vorgesägten Bretter aus dem Baumarkt zu einem Küchentisch verschrauben.
»Wieso hast du überhaupt noch an dem Brett herumgesägt?«, frage ich. »Die Länge stimmte doch.«
»Ich weiß auch nicht«, sagt Ulf. »Die Säge sah irgendwie traurig aus, als sie so unbenutzt dalag.«
Ulfs Empathie leblosen Dingen gegenüber als übertrieben zu bezeichnen, wäre vielleicht übertrieben. Aber seine Theorie, unbenutzte Nutzgegenstände verfielen in Depressionen, macht mir ein bisschen Angst. Manchmal stopft er ganze Brotpackungen in sich hinein, weil ihn der Toaster so herzerweichend angeschaut hat. Was, wenn mal ein unvorsichtiger Jagdliebhaber eine Schrotflinte in Ulfs Hände legt? Oder schlimmer noch, wenn ihm ein Partyveranstalter ein Karaokemikrofon vor den Mund hält? Oder wenn er beim nächsten Mal, wenn sein Blick auf die Säge fällt, kein passendes Brett zur Hand hat? Was, wenn er aus lauter Mitleid der unbenutzten Säge gegenüber meinem Hund die Beine absägt? Oder mir?
Ulfs schnipsende Finger vor meinem Gesicht holen mich wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Was denn?«, frage ich.
»Ich versteh das nicht«, sagt Ulf. Inzwischen hat er die Bretter verschraubt und den Tisch auf seine Beine gestellt. »Wieso wackelt das Ding denn jetzt?«
Ulf als unpraktisch veranlagt zu bezeichnen, wäre vielleicht unfair. Aber seine Fähigkeit, die Existenz ihn anspringender praktischer Probleme vollkommen zu verleugnen, lässt mich nicht selten beeindruckt zurück.
»Na, weil die drei Seiten von dem Brett da schief sind«, sage ich. »Die der Baumarktmann gesägt hat.«
»Stimmt, da war ja was«, sagt Ulf. Er geht zu den Bücherkisten, greift sich alle Coelho-Bücher, die wir jemals geschenkt bekommen haben, und verteilt sie so unter den Tischbeinen, dass der Tisch zwar ziemlich schräg, aber dafür ohne zu wackeln steht.
»Du könntest jetzt einen Spruch dazu bringen, dass die Dinger endlich auch mal zu was gut sind«, sage ich.
»Ach was«, sagt Ulf. »Wozu die offensichtliche Schönheit dieses Bildes mit billigen Sprüchen entwürdigen? Wollen wir essen?«
Also decken wir den Tisch. Aber alles, was wir auf unser neues Möbel stellen, rutscht zwar langsam, doch mit derselben Bestimmtheit, mit der Ulf diese Tatsache zu ignorieren versucht, zu einer Seite runter.
Anstatt die Coelho-Bücher unter den Tischbeinen neu zu ordnen, wie es die Fantasielosen unter uns vielleicht getan hätten, baut Ulf auf der Tischplatte eine komplizierte Konstruktion aus hervorstehenden Nägeln und dazwischen gespanntem Gummiband, das jegliches Geschirr am Herunterplumpsen hindern soll. Und so viel muss man ihm lassen: Es funktioniert. Zwar können wir fortan unsere Gläser nur noch zu zwei Dritteln füllen und sollten Gerichte mit allzu hohem Flüssigkeitsgehalt meiden, weil sonst das Essen von den Tellern tropft, aber was soll‘s. Wenn wir doch mal Lust auf Suppe bekommen, dann essen wir eben am Wohnzimmertisch, den ich übrigens gar nicht selbst gebaut habe, sondern mein Bruder. Mein Bruder kann nämlich alles bauen, königliche Erhabenheit und Rehkitzanmut garantiert. Doch das weiß Ulf nicht. Und ich zähle diese zu den wenigen Lügen, die gut sind, weil ihnen Gutes folgt. So hätte Ulf vielleicht niemals diese Tisch-Nagel-Gummiband-Coelho-Konstruktion gebaut, wenn ihn der durch meine vermeintliche Meisterleistung entstandene Erwartungsdruck nicht dazu gezwungen hätte. Und ich kann nicht guten Gewissens behaupten, unser neuer Esstisch würde nicht mein Leben bereichern. Außerdem wäre, wenn sie noch länger unbenutzt hätte herumliegen müssen, die Säge bestimmt depressiv geworden.
Ich liege in der Badewanne und denke über Badewannen nach.
»Badewannen sind wie Balkone«, sage ich. »Wer einen Whirlpool und einen fußballfeldgroßen Vorgarten besitzt, der ist reich. Wer eine Badewanne hat, der kann seine Mittelstandsfrustration immerhin noch im lauwarmen Badewasser ertränken.«
Ulf sitzt auf dem Klo, weil er nicht so lange anhalten kann, wie ich bade. Niemand kann so lange anhalten, wie ich bade, behauptet er. Da sich auf Klobrillen sitzende Männer aber meist zu unmännlich für weibliche Augen fühlen, hat Ulf mir verboten, in seine Richtung zu gucken. Also sehe ich nur vor meinem inneren Auge, wie er mit rotem Kopf auf der Klobrille hockt und versucht, nicht laut zu pupsen. Ich rede weiter, um ihm einen Klangteppich zu geben, unter den er seine peinlichen Geräusche kehren kann.
»Badewannen bieten gerade so viel Luxus, wie der Durchschnittsmittelstandsmitteleuropäer benötigt, um sich überdurchschnittlich zu fühlen«, sage ich. »Überdurchschnittlich erfolgreich. Überdurchschnittlich gesegnet mit materiellem Überfluss. Überdurchschnittlich talentiert als Schwimmer im Sumpf seiner Bequemlichkeiten«, sage ich. Immer wenn mein Wortschatz das sprachliche Pathos eines Groschenromans annimmt, weiß ich, dass sich das Badewasser der geschlechtsteilschrumpfenden Temperatur nähert. Das sollte mich nicht stören, schließlich gibt es da bei Frauen wenig, das zu schrumpfen sich lohnen würde, aber langsam wird mir kalt. Außerdem muss ich noch zur Bank. Ich will gerade aufstehen, als Ulf meinen Hund zu mir in die Wanne wirft.
»Was soll das denn jetzt?«, frage ich. Eigentlich gebe ich nur ein abstraktes Gurgeln von mir, denn ich habe einen halben Liter Badewasser und eine Hundepfote im Mund, aber ich bin sicher, Ulf hat mich verstanden.
»Der Hund sah irgendwie traurig aus, als er so unbenutzt dalag«, sagt er. Ich ziehe die Pfote meines Hundes aus meinem Rachen und trockne mich ab. Der Hund springt aus der Wanne und bleibt sofort zwischen Klo und Waschbecken stecken.
»Unser Badezimmer ist zu klein«, stellt Ulf mit Kennerblick auf den strampelnden Hund fest.
»Das werde ich in der Bank anmerken«, sage ich und ziehe meine Jeans an. »Ich bin sicher, es wird ihr Herz erweichen.«
Ulf schaut mich mitleidig an.
»Weißt du was, ich habe einen Plan«, sagt er. »Ab morgen organisieren wir Kunstperformances im öffentlichen Raum, deren erklärtes Ziel darin besteht, nicht als solche erkannt zu werden. Das wird uns jeden Tag viele Stunden kosten und ergibt überhaupt keinen Sinn, erfüllt also alle Kriterien einer geregelten Lohnarbeit.«
»Verdienen wir damit Geld?«, frage ich.
»Na ja, auf Umwegen«, sagt Ulf. »Wir könnten zum Beispiel alten Leuten auf der Straße ihre Toupets klauen und die Entrüstung in ihren Gesichtern zu einer Performance erklären. Davon machen wir dann Fotos und hängen sie in einsame Galerien, die niemals jemand betritt, außer wir geben dem Abend einen französischen Namen und den Gästen eine Menge französischen Weißwein aus. Und schon verdienen wir kein Geld mit unserer Kunst, und weil wir kein Geld mit unserer Kunst verdienen, eröffnen wir nebenher ein Geschäft für Gebrauchttoupets, das wir ›Second-Head-Toupets‹ nennen, weil wir Künstler sind und unsere Kreativität kaum im Zaum halten können.«
»Gute Geschäftsidee«, sage ich.
»Ich weiß«, sagt Ulf. »Aus uns wird noch was.«
»Tja, Frau Bosetti, das tut mir leid, Frau Bosetti, da kann ich Ihnen auch nicht helfen, Frau Bosetti«, sagt der Bankangestellte P. Immeldorn und wischt sich ein paar Schuppen von der Schulter. Ich verlasse die Filiale der Bank, deren Namen ich aus Rücksichtnahme nicht nenne und deren Logo fast so rot strahlt wie mein wutverzerrtes Gesicht. Ich hasse die Sparkasse. Und viel mehr noch hasse ich Sparkasseninsassen.
Mein erster Freund arbeitete dort. Er sprach mit meiner Mutter, als sei sie Sparkassenkundin, was zwar stimmte, von ihr aber nie als Vollzeitjob gedacht war.
»Ich würde, Frau Bosetti, Ihre Tochter, Frau Bosetti, gerne, Frau Bosetti, zum Tanz ausführen, Frau Bosetti«, sagte er, wenn er in Anzug und Krawatte vor der Tür stand, um mich abzuholen. Und als meine Mutter genug davon hatte, sich jedesmal das Lachen zu verkneifen, bis er endlich weg war, bot sie ihm das ›Du‹ an, woraufhin er jeden seiner Sätze sorgfältig so umformulierte, dass überhaupt keine Anrede mehr darin vorkam.
So sagte er am Frühstückstisch Dinge wie: »Wäre es wohl möglich, eine weitere Scheibe Brot den Weg auf meinen Teller finden zu lassen?« und wischte sich nervös seine Schuppen von der Schulter. Meine Mutter bot ihm aus Mitgefühl und aus Angst vor weiteren Lachanfällen wieder das ›Sie‹ an, was aber nur dazu führte, dass mein Freund mit einer Schamesröte im Gesicht, die dem Sparkassen-Logo in nichts nachstand, gänzlich verstummte. Die Corporate Identity-Abteilung seines Arbeitgebers hätte sich darüber sicher gefreut, aber meine Mutter musste nun sogar lachen, wenn mein Freund schwieg. Und so fand meine erste Beziehung ihr würdiges Ende und ich einen Grund, zu Hause auszuziehen, um sowohl zukünftige Freunde als auch meine Mutter vor derartigen Situationen zu bewahren.
Meinen Dispositionskredit von fünfhundert Euro solle ich bis nächsten Monat ausgleichen, hat Herr P. Immeldorn gesagt. Fünfhundert Euro, das seien nur hundertneun Päckchen Zigaretten, die ich nächsten Monat weniger rauchen müsse, hat Herr P. Immeldorn gesagt. Und dann hat er gelacht und mir eine Zigarette angeboten, weil er sich lustig fand, der Herr P. Immeldorn. Ich fand ihn nicht lustig und wollte auch keine Zigarette, weil ich nicht rauche. Das fand Herr P. Immeldorn erst recht lustig.
»Na, dann eben fünfhundert Tassen Kaffee«, sagte er und tippte mit einer kindlichen Begeisterung, die eigentlich nur Sechsjährigen zusteht, auf seinem Taschenrechner herum. »Oder dreiunddreißig Komma Periode drei Handyguthabenkarten. Oder dreiundsechzig Komma vier Packungen Kondome. Oder achtundachtzig Komma neun sechs Ladyshave-Ersatzklingen…«
Als ich endlich wieder auf der Straße stehe, klingt mir das Gelächter der versammelten Sparkasseninsassen noch immer in den Ohren. Ich will zurückgehen und Herrn P. Immeldorn zwingen, den Tabak aus hundertneun Päckchen Zigaretten in Fünfhunderteuroscheine zu drehen und Kette zu rauchen. Aber das tue ich natürlich nicht. Stattdessen gehe ich nach Hause und male mir aus, wie ich die Pimmeldornsche Hühnerbrust rupfe. Dann weine ich ein bisschen und mache mich daran, keine Zigaretten, keinen Kaffee, kein Handyguthaben, keine Kondome und keine Ladyshave-Ersatzklingen zu verbrauchen.