Wer bist du, Georg? - Ronald Lutter - E-Book

Wer bist du, Georg? E-Book

Ronald Lutter

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Beschreibung

Georg ist überzeugt: Das Christkind schläft und darum gibt es keine richtiges Weihnachten mehr. Er sucht es im Schneeland und im alten Wald. Er durchquert die Wüste, in der er mit dem Drachen kämpft, und er forscht nach dem Kind in der Stadt des immerwährenden Erfolges. Der mutige Junge muss viele Gefahren bestehen, bis ihm in Spiegelbildlabyrinth ein Licht aufgeht: Das größte Hindernis bei der Suche ist er selber.

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Inhaltsverzeichnis

I Georg, der Unzufriedene

II Im Schneeland

III Der alte Wald

IV Die Wüste

V Die Stadt

VI Das Spiegelbildlabyrinth

VII Die heilige Familie

VIII Der Weihnachtsprinz

Impressum

Wer bist du, Georg?

I Georg, der Unzufriedene

Streit

Rötliche Haare, grünbraune Augen, leicht abstehende Ohren, zahllose Sommersprossen und mit allem unzufrieden, so saß der 11-jährige Georg im Wohnzimmer und wartete sehnsüchtig auf Weihnachten. Irene, seine bildhübsche, schwarzhaarige Schwester, lag auf dem Sofa und klickte sich gelangweilt durch die Programme.

„Was hat das mit Weihnachten zu tun?“, wollte Georg wissen.

„Nichts“, antwortete ihm missmutig Irene.

„Und?“

„Kannst du es nicht ausmachen?“

„Nein.“ Sie setzte sich auf und zog ihre Beine an.

„Was ist denn mit deinen Freunden? Trefft ihr euch nicht mehr?“

Irene schüttelte den Kopf. „Was geht es dich an?“

„Müsst ihr immer streiten“, seufzte ihre Mutter und blickte ihren Ältesten streng an. „Ich hatte dich doch gebeten, die Küche aufzuräumen.“

„Stimmt, ja.“

„Jetzt ist es zu spät, ich habe es schon erledigt.“

„Auch gut“, meinte Georg und ließ sich zurück in den Sessel fallen.

„Du bist sowas von faul“, kommentierte Irene geringschätzig. Sie wandte ihren Blick schwerfällig ihrem Bruder zu.

„Bin ich nicht! Ich warte auf Weihnachten. Und immerhin habe ich Kekse gebacken.“

„Ja, leider“, seufzte seine Mutter. „Die Küche sah danach aus.“

Vielleicht hätte sich das Gespräch zum Besseren entwickelt, wenn nicht Georgs und Irenes Vater just in diesem Moment das Wohnzimmer betreten hätte. Seine Haare waren nass und er war ungehalten.

„Regnet es draußen?“, fragte Georg überrascht. Es war einige Tage kalt gewesen, aber nun hatte Tauwetter eingesetzt.

„Und ob. Alles klitschnass, die Blätter, der Weg.“ Georg sah schuldbewusst auf den grauen Teppich unter ihm.

„Weil man ja immer alles aufschieben muss, nicht wahr? Jetzt klebt das Zeug am Boden und du kannst es aufschaufeln!“

„Ach egal“, meinte Irene, „ab heute Abend soll es schneien und dann sieht es keiner.“

„Und die Rutschgefahr?“ Sie zuckte mit den Schultern. Es war nicht ihr Auftrag gewesen. Im Allgemeinen bekam sie keine. Es hatte eh keinen Sinn.

Georgs Vater schwieg einen Augenblick und sein Gesicht verdüsterte sich. „Jedenfalls“, verkündete er seinem Sohn, „dein neues Smartphone kannst du dir abschminken“.

„Was?“

„Ende der Diskussion“, entschied sein Vater und ging hinaus, um sich abzutrocknen.

‚Welche Diskussion?‘, fragte sich Georg und versank in trübe Gedanken.

Früher war es anders gewesen. Sie hatten in der Zeit vor Weihnachten öfters zusammengesessen vor dem Adventskranz, den Flammen zugeschaut und Kekse genascht. Manchmal hatten sie sogar gesungen oder ihre Mutter hatte eine Geschichte vorgelesen. Aber jetzt hatte keiner mehr Zeit und die Stimmung war mies. Warum bloß? Was war passiert? Unbedacht streifte er mit seiner Hand über den Beistelltisch und schob das Saftglas seiner Schwester hinunter. Ein Rest klebriger Brause sickerte durch den Teppich.

Seine Mutter drückte ihm einen nassen Lappen in die Hand und unterbrach ihn in seinen melancholischen Gedanken: „Hör mal, Georg. Wir geben uns viel Mühe, dafür es für euch ein schönes Fest wird, aber ein bisschen solltest du auch mithelfen, findest du nicht?“

„Ich wollte ja, aber ihr gebt einem ja keine Zeit!“

„Pff“, spottete Irene, „wenn wir auch dich warten wollten, wäre Weihnachten Ostern.“ Sie sah ihr Glas auf dem Fußboden und erklärte geringschätzig: „Du bist so ungeschickt.“

Da entlud sich aller Frust bei ihrem Bruder: „Du machst doch überhaupt nichts!“ Er war aufgesprungen, so wütend war er darüber.

„Gib nicht anderen die Schuld, ja“, ermahnte ihn seine Mutter. „Am besten, du gehst in dein Zimmer. Das zumindest könntest du mal aufräumen.“ Damit war für sie das Thema erledigt. Georg war zu perplex, um etwas zu erwidern, murmelte vor sich hin: „Dann sieh dir mal Irenes Zimmer an“, und verschwand enttäuscht in seinem Reich.

Er zog die Tür hinter sich zu, warf sich aufs Bett und fragte sich, was passiert sei. Alles kam ihm verkehrt vor. Seine Familie, das Leben, er selbst.

„Was ist bloß mit dem Christkind los?“, fragte er sich verstört. „Gibt es noch Weihnachten?“

Bereits die letzten Tage in der Schule waren ihm abnorm vorgekommen. Die Lehrerinnen bemühten sich zwar hier und da. In Englisch hatten sie eine ‚funny story‘ gelesen, die mit Weihnachten zu tun hatte; aber in Deutsch war es völlig untergegangen; für Mathe war es anscheinend egal, den Kunstlehrer interessierten andere Dinge; in Musik hatten sie ein modernes Weihnachtslied gesungen, das völlig unweihnachtlich geklungen hatte – es war zum Heulen.

Doch er war zu wütend dazu. Wie ungerecht war seine Familie, wiedermal. War er nicht der einzige, der ab und zu half? Sogar seiner Schwester, wie neulich, als er ihre Marionette repariert hatte. Dankbarkeit? Nie. Und wenn er, Georg, dann einmal etwas ablehnte, weil er sich auf Weihnachten freute und keine Puppen reparieren wollte oder abwaschen, dann machten sie ihm die Hölle heiß, ihm, der doch der Einzige war dem überhaupt etwas an Weihnachten lag! Nein, er wollte er nicht heulen. Bestimmt würde seine Schwester gleich hereinkommen. Besser er ging weg.

Er griff seine Jacke, öffnete leise die Tür, fand den Flur leer und schlüpfte hinaus auf die Straße.

Bei der Großmutter

Es schneite. Die Straßen waren belebt, es war spätnachmittags. Viele Leute eilten noch zum Einkaufen oder kamen bepackt davon zurück. Georg bemerkte eine ältere Nachbarin, die mit schweren Tüten ihren Weg im Halbdunkel über den schneenassen Bürgersteig suchte. ‚Hoffentlich rutscht sie nicht aus‘, dachte er flüchtig. ‚Sollte sie lieber nicht, so viel schleppen bei dem Schnee.‘ Er grüßte kurz und eilte weiter. Sie blickte ihm verwundert nach, aber das bemerkte Georg nicht, der gedankenlos weiterging.

An der nächsten Ecke, bei der alten Eiche, näherte sich ihm ein Straßenhund. Georg kannte ihn vom Sehen. Struppig, scheu, selten anhänglich lebte dieser seit dem Sommer in ihrem Viertel und niemand wusste, wo er schlief. Eigentlich mochte Georg ihn, streichelte ihn gern, hatte ihm auch manchmal etwas zu Fressen gegeben; doch jetzt ging er nur achtlos an ihm vorüber und hatte noch nicht mal ein freundliches Wort für ihn. Seine Laune war wirklich mies.

In der Nähe des Kiosks rannte er beinahe in ein Mädchen aus seiner Klasse. Er fragte sich, was sie bei dem schlechten Wetter hier draußen machte, aber das hätte sie ebenso gut ihn fragen können. Sie sah unglücklich aus unter ihrer weißen Pudelmütze und sie starrte abwesend auf den Schneematsch. Ihre roten Haare lugten als langer roter Zopf unter ihrer Mütze hervor. Schade, dass sie ihre Haare nie offen trug, dachte Georg unwillkürlich. Er mochte Lena, aber sie war schüchtern und er wusste wenig damit anzufangen. Er war den Streit und die Diskussionen mit seiner Schwester gewöhnt.

Jetzt, als sie dicht voreinander standen, blickte sie auf und ihr Gesicht erhellte sich. Georg wusste ganz gut, dass sie ihn mochte. „Hallo, Lena“, sagte er mit Mühe. „Hallo Georg!“ Erwartungsvoll sah sie ihn an. Vielleicht, normalerweise hätte er gefragt, „was ist los, wie geht es dir? Irgendetwas nicht o.k.?“ Aber nichts davon kam über seine Lippen. Er murmelte nur etwas wie „dummes Wetter, was“ und „muss weiter“ dann war er an ihr vorbei. Der frohe Schimmer in ihren Augen erlosch, aber das sah er schon nicht mehr.

Dann stand er vor dem Tor eines alten Einfamilienhauses, halb versteckt hinter Tannen, mit verwilderten Rosenstöcken im Vorgarten. Das Haus seiner Großmutter. Mehr unbewusst war er darauf zugesteuert. ‚Nun, da ich hier bin, kann ich auch klingeln.‘ Das Gartentor summte und er trat ein. Die Haustür stand einen Spalt offen, er schlüpfte hindurch und zog sich die Schuhe aus. Auf Strümpfen ging er leise über die alten, ehemals wertvollen Teppiche und klopfte an die Glastür zum Wohnzimmer.

„Nur herein“, klang die vertraute Stimme der Großmutter. Ihre Stube war dämmrig erleuchtet von einer alten Stehlampe und zwei dunkelroten Kerzen, die auf Messingständern flackerten und unruhige Schatten auf einen niedrigen, grünen Glastisch warfen. Seine Großmutter saß in ihrem abgeschabtem Sessel und schaltete den Fernseher aus. „Sieh an. Setzt dich, Georg.“

Ihr Enkel bezog seinen Stammplatz auf einem goldfarbenen, altmodischen Sofa auf der anderen Seite des Tisches und streichelte die bejahrte Katze, die neben ihm lag. Sie hob ihren Kopf und schnurrte. Endlich fühlte er sich daheim.

„Hol doch mal bitte das Fleisch für Tama aus dem Kühlschrank“, bat ihn die alte Dame. Georg stand auf und tat wie ihm geheißen.

„Und?“, fragte sie, als er sich wieder setzte.

„Was und?“

„Im Ganzen kann sie es nicht essen. Du musst es klein schneiden, wenn es dem Herrn nicht zu viel Mühe macht.“

„Ach so, klar.“ Er trug das Fleisch zurück in die Küche.

„Und füll auch ein wenig Wasser nach in das andere Schälchen!“, rief ihm seine Großmutter hinterher.

„Gern“, rief Georg zurück.

„Und wasch es vorher aus!“

„Das Wasserschälchen oder das für das Fleisch?“

„Beide natürlich“, antwortete sie ungehalten, denn unnötige Fragen konnte sie nicht leiden.

Gehorsam wusch Georg beide Schälchen. Sie waren ebenfalls alt und wirkten kostbar. Außen glänzten sie golden, innen waren sie mit Perlmutt belegt. Tama, die getigerte Katze, strich um seine Beine, erwartungsfroh.

„Gleich ist Bescherung“, meinte Georg freundlich, legte das Fleisch hinein und wollte es eben hinstellen, als seine Großmutter rief: „Zeig einmal!“

‚Was gibt es denn da zu zeigen‘, dachte Georg, doch brachte er das Schälchen gehorsam ins Wohnzimmer. „Das ist zu groß. Er kann nicht mehr so gut kauen. Und die Sehnen solltest du rausschneiden.“

‚Puh‘, dachte ihr Enkel und atmete hörbar aus.

„Ist dir das zu viel?“

„Nein, nein.“ Er tat wie ihm geheißen, servierte das wohl präparierte Katzenessen und setzte sich erleichtert wieder auf das Sofa. Jetzt konnte er endlich die vorweihnachtliche Stimmung genießen.

„Schön, die Kerzen“, sagte er und blickte gedankenvoll in ihr Licht.

„Ja, aber es sind die letzten. Du könntest mal eben einkaufen gehen. Die Zimtsterne müssten auch aus der Bäckerei geholt werden.“

„Muss das sein?“, fragte Georg unlustig.

„Muss nicht. Ich kann auch selber gehen.“

Es entstand eine unangenehme Pause.

„Pass aber auf“, meinte Georg, „es ist rutschig draußen.“

„Sehr mitfühlend von dir“, versetzte seine Oma.

Georgs Blick schweifte ziellos durch den Raum, über den grünen Glastisch und blieb an einer Art Armreif hängen, der rechts am Tischrand an der Seite seiner Großmutter lag. Er hatte zehn kleine Holzkugeln und ein kleines Kreuz aus Silber hing daran. Ohne zu überlegen, fragte er: „Was ist das? Kann ich das haben?“

Die alte Dame saß nachdenklich in ihrem Sessel und antwortete nicht. „Weil doch bald Weihnachten ist.“ Er hatte das sehr leise gesagt. Doch sie schwieg beharrlich. Tama hatte sein Fressen mittlerweile größtenteils unzerkaut hinuntergewürgt und sprang in ihren Schoß. Sie blickte auf.

„Du denkst zu viel an dich“, erklärte sie.

„Was meinst du damit?“ Georg war tatsächlich ratlos.

„An wen denkst du sonst?“ Seine Großmutter sah ihn ernst an. Georg überlegte eine Weile. „An das Christkind denke ich“, erwiderte er endlich. „Ich glaube, es ist gefangen, irgendwo. Deshalb wird es nicht mehr Weihnachten!“

„Dann musst du es wohl befreien, ja?“ Sie schien amüsiert, aber der Gedanke gefiel Georg. Er setzte sich gerade hin und erklärte: „Einer muss es tun.“ Und diese Idee bemächtigte sich seines Sinns.

„Und da bist du gerade der Richtige, ja.“ Sie lächelte, aber Georg wusste nicht, ob freundlich oder spöttisch und darum antwortete er nicht.

„Nimm es nur.“

„Was?“

„Du bist aber heute schwer von Begriff. Den Rosenkranz! Du wolltest ihn doch.“ Georg nickte und streckte seine Hand nach dem Armreif aus. „Aber verlier’ ihn nicht. Wäre schade.“

„Nein, bestimmt nicht!“

„Na, wir werden sehen.“

Die Audienz war beendet. „Nimm bitte noch den Müll mit, wenn du gehst.“

„Natürlich, ja“, antwortete ihr Enkel rasch und stand auf. Er drückte seiner Großmutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange, packte das Müllsäckchen und ging leise hinaus. Er spürte den Armreif mit den Kügelchen in seiner Tasche und freute sich. Vielleicht würde es doch noch Weihnachten!

Der Bettler

Der Schnee fiel in dichten Flocken, als er wieder ins Freie trat. Freudig reckte er den Kopf nach oben und versuchte eines der leichten Eiskristalle zu erhaschen. Ein leichter Wind trieb sie seitwärts. Schließlich gelang es ihm. Es schmolz in seinem Mund und schmeckte staubig. Sollte er wieder zurück nachhause gehen? Er fühlte in seiner Tasche eine Münze, die er seit gestern darin trug. Das Restgeld von einem Weihnachtsgeschenk für Silvia. Ein Malbuch.

Halb unbewusst trieb es zu den Geschäften, die um den Marktplatz lagen. Es musste ja nicht gleich der Supermarkt sein, aber im Kiosk gab es genauso Schokolade, das wäre ein Vorgeschmack auf Weihnachten. Und zu viel Schokolade auf einmal war ja auch nicht gesund, wie seine Mutter immer sagte. Es war höchste Zeit mit dem Training anzufangen.

Vor dem Eingang des kleinen Ladens stand ein Mann, der Zeitungen verkaufte. Unrasiert war er, trug eine sehr speckige Mütze, einen grauen Schal, eine alte Jacke, eine schmutzige Hose und abgetragene Schuhe. Trotzdem, seine Augen waren hell und lustig.

„Eine Zeitung gefällig, junger Mann?“, wandte er sich an ihn und lächelte breit, sodass man einen Goldzahn und einige fehlende Zähne sehen konnte.

„Nein, danke“, antwortete Georg rasch und tastete nach seiner Münze in der Tasche. „Ich habe die schon gelesen.“ Das stimmte ungefähr. Seine Mutter hatte vor ein paar Tagen dieses Straßenblatt gekauft und er hatte darin geblättert.

„Na dann, wie wäre es mit einer kleinen Spende?“ Das Lächeln wurde noch breiter. Georg schüttelte den Kopf. „Ich hab nicht so viel. Aber wenn ich wieder herauskomme, vielleicht.“ Der Zeitungsverkäufer nickte verständnisvoll.

Im Laden war es angenehm warm. Georg sah sich um. Es gab drei Sorten: Einen kleinen Riegel Schokolade für 1 Euro, die mochte er gern; dann eine Tafel mit ganzen Nüssen für 1,50 Euro, die kaufte er meistens, weil sie das beste Preis-Leistung-Verhältnis hatte, wie sein Vater gern sagte, und es gab Weihnachtsschokolade, etwas dicker als die Nussschokolade, obendrein in dunkelrotem Papier. Die hatte er noch nie probiert.

„Und Georg, was darf es für dich sein?“, fragte die Verkäuferin den jungen Bekannten.

„Die Weihnachtsschokolade, bitte“, sagte er ohne zu zögern.

„Bitte, macht zwei Euro.“ Georg fischte die Münze aus der Tasche und gab sie ihr.

„Guten Appetit und frohe Weihnachten.“

„Frohe Weihnachten!“, rief auch Georg und schob die Tür nach draußen auf.

„Und?“, fragte der Mann, der auf Georg plötzlich traurig und müde schien.

„Leider nichts übrig geblieben“, gestand der Junge. Er schämte sich ein bisschen. „Möchten Sie vielleicht ein Stück Schokolade?“ Das müde Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Mannes. „Nein“, und er zeigte auf seine schlechten Zähne. „Das ist nichts für mich.“

„Also dann“, meinte Georg unschlüssig und wollte ‚Frohe Weihnachten‘ wünschen, aber irgendwie gelang es ihm nicht. „Alles Gute“, murmelte er nur halbherzig. Der Mann nickte kurz und wandte sich von ihm ab.

Die gütige Frau

Georg ging zügig nach Hause. Er hatte Glück und gelangte unbemerkt in sein Zimmer. Er hörte seinen Vater in der Garage hantieren, Irene lauschte ihrer Lieblings-CD. Missmutig legte er die Weihnachtsschokolade auf den Schreibtisch. Warum musste der Zeitungsverkäufer gerade heute vor dem Kiosk sein? Stand er nicht sonst immer beim Supermarkt? Der Riegel hätte auch genügt. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Hoffentlich schmeckte sie überhaupt, die sogenannte Weihnachtsschokolade.

Er brach einen Riegel und stopfte ihn sich in den Mund. Es schmeckte süß, natürlich, und nach seltsamen Gewürzen, zimtig und noch irgendwas, was er nicht kannte. Nicht sein Fall, künstlich irgendwie und zu süß. Er dachte an den Schokoladenpudding vom Mittagessen. Der war lecker gewesen! Warum hatte er das Zeug überhaupt gekauft? Hätte er das Geld lieber dem Bettler gegeben. Georg war wütend auf sich und alles. In ihm rumorte es gewaltig und er hörte eine wütende Stimme, die alle anklagte:

Warum saßen sie nicht zusammen im Wohnzimmer und spielten? Warum backte seine Mutter nicht Kekse mit ihm? Warum schenkte sein Vater ihm nicht das Smartphone? Warum schenkte seine Schwester ihm nie etwas? Warum war alles so ungerecht und warum sollte er immer Schuld sein, immer nur er!

‚Warum verzichtest du nicht auf das, was dir doch nicht gefällt? Weshalb hilfst du nicht deinen Eltern im Haus? Wieso freust du dich nicht über das, was du hast?‘

Georg hielt inne. Es war nicht das Schreien, das aus seinem Inneren hervorbrach, ungestüm, ruhelos und ungerecht, sondern eine weiche Stimme, unbestimmt von weiter oben her, freundlich, lieblich, ruhig und ohne Vorwurf. Es war wie eine sanfte Welle, er hatte diese Stimme nie gehört und er lauschte auf sie. ‚Und du möchtest das Christkind befreien?‘

„Ja“, sagte er und wunderte sich, wie ruhig und bestimmt er es sagte. Da schien die Stimme zu lächeln und es klang wie Gesang, als sie ihn fragte: ‚Weißt du denn wie schwer und mühevoll das ist?‘

„Nein“, antwortete Georg wahrheitsgemäß.

Du kannst es lernen, sagte die freundliche Frau, deren Stimme in seinem Sinn zu leuchten schien. ‚Du sollst es lernen.Du magst sehen, was es bedeutet, zu dienen. Willst du das?‘

„Klar“, meinte Georg, obwohl er nicht wirklich verstand, worum es ging.

Bist du sicher?

„Ja, wenn es spannend ist.“ Wieder schien sie zu lächeln.

‚Das ist es. Du wirst sehen. Gott schütze dich, Prinz Georg.‘

Einen Augenblick war es ganz still in ihm, bis die heftige Stimme von unten tönte: „Quatsch, ist das alles. Iss die Schokolade, das gibt Kraft, das schmeckt wenigstens!“

„Schmeckt überhaupt nicht“, erwiderte Georg und legte sie in eine Schublade. Dann setzte er sich auf das Bett und überlegte. Was war das gewesen? Gesehen hatte er nichts, nur gehört, aber in ihm leuchtete es und es fühlte sich an wie dreimal Weihnachten, ungefähr.

Er zog er den kleinen Reif aus seiner Tasche, das Armband mit den 10 Kugeln dran und dem kleinen, silbernen Kreuz. ‚Was macht man eigentlich damit?‘, dachte er. Und da er es nicht wusste, streifte er es sich über das Handgelenk und drehte gedankenvoll an einer der Kugeln.

II Im Schneeland

Der Hirte

Kühl und trocken lag der Schnee wie Watte um seinen Körper. Auf dem Rücken liegend blinzelte Georg ins grelle Sonnenlicht. Im Schnee erstarrt waren die Bäume, Birken mochten es sein, über und über mit Schnee behangen. Es war so blendend und klar um ihn, dass es seinen Augen wehtat. Die kristallerstarrten Bäume warfen Schatten, die nicht schwarz, sondern dunkelblau waren. Es war völlig still. Er spürte keinen Lufthauch, er hörte keinen Vogel. Nichts. Nur Weiß und Licht und Blau.

Gregor fragte sich, ob er tot sei und fand es noch nicht mal schlimm. Er richtete sich aber sicherheitshalber auf, klopfte sich den Schnee von den Kleidern und schaute sich um: Er stand auf einem Hügel und schaute über ein weißes, welliges Land; aber erkannte keinen Weg, keine Markierung, nur das Sonnenlicht, das über der schier endlosen Schneefläche glitzerte, darin die Silhouette einzelner Bäume und in der Ferne schroffe Berge mit gezackten Gipfeln, die himmelhoch ragten.

Er besann sich eine Weile und kam doch zu keinem Entschluss. Jede Richtung erschien ihm gleich unbestimmt und resigniert ließ er sich rücklings zurück in den Schnee fallen. Das war alles nur ein Traum, gleich würde er aufwachen und dann wäre Weihnachten, ganz bestimmt.

Er ahnte dunkel, dass er nicht einschlafen dürfe, dass er einen Weg suchen musste, ganz egal in welcher Richtung, solange es noch Tag wäre. Doch fehlte ihm die Kraft, sich zu entschließen. Alles schien so gleich, so lichtvoll wie bedeutungslos. Er fühlte sich wohl, tief im Schnee und er schloss die Augen, hoffend wieder daheim zu sein, sobald er sie öffnete, in seinem Zimmer, auf seinem Bett. So schlief er ein.

Langsam kroch die Kälte in seinen kleinen Körper, doch er merkte es nicht. Von fern hörte er Glocken, der Klang schlich sich in sein Ohr und er lächelte selig. ‚Weihnachten, da muss ich wohl aufstehen und zur Kirche gehen‘.

Aber er stand nicht auf. Erst ein fremder Laut weckte ihn endlich aus seinem gefährlichen Schlaf und Träumen: Es schepperte. Schepperte neben ihm, schepperte hinter ihm und vor ihm und als er die Augen öffnete, sah er eine Herde von weißen Schafen durch den Schnee stapfen mit Glöckchen um den Hals. Sie glotzten ihn an, als ob sie ihm etwas sagen wollten, aber kein Bäh, kein Mäh kam aus ihren schwarzlippigen Mäulern. Ihre Wolle war dicht und weiß, ihre Köpfchen schwarz und ihre Knöchel und Beine dunkel gefleckt. Wie Gänse zogen sie einen Pfeil bildend ins Tal und ließen einen Weg zurück im gestapften Schnee. Georg schüttelte zum zweiten Mal den Schneestaub ab, mit ihm auch seine Schläfrigkeit und lief den schweigsamen Tieren hoffnungsvoll hinterher. Sie kümmerten sich nicht um ihn, zogen stur über Hügel und durch Täler allmählich tiefer.

Einige Male schien es Georg, als hörte er hinter sich ein scharrendes Geräusch, doch sobald er sich umdrehte, sah er nichts. Manchmal bildetet er sich ein, da wäre ein Sausen in der Luft wie Flügelschlagen; doch wenn er nach oben blickte, war da nichts. Das Licht wurde milder, die Sonne neigte sich den Hügelkuppen zu. Da fielen die Schafe in einen raschen Trab, sodass er sich anstrengen musste, Schritt zu halten. Sie hoben ihre Köpfchen und bähten laut den letzten, steilsten Hügel hinab.

Und unten glänzte ein See. An seinen flachen Ufern leuchteten vereinzelt oder in Gruppen Fichten auf, deren helles Grün, wie ein Hoffnungszeichen in der weißen Eintönigkeit erschien. Dazwischen lugte ein Häuschen hervor mit einer Koppel und einem Stall, dem die Schäfchen mit immer größerem Tempo entgegensprangen. Georg eilte ihnen nach, stürzte jedoch, überschlug sich und rollte und rutschte den letzten steilen Abhang hinunter, bis er unten, Kopf voran, in eine Schneeverwehung stieß, worin er halb vergraben zum Stillstand kam.

Während er überlegte, ob er noch ganz und heil war, hörte er ein plätscherndes Lachen, das wie von einem Mädchen klang:

„Willkommen im Schneetal. Hattest du es so eilig, zu mir zu kommen?“ Mühsam kämpfte Georg sich frei.

„Es geht. Sind das deine Schafe?“

„Oh ja! Gefallen sie dir?“

„Ich weiß nicht. Sie sind hübsch, aber eigenartig. Sie sehen einen so seltsam an. So menschlich irgendwie.“ Die fremde Frau, eigentlich noch ein Mädchen, deren Alter aber schwer zu bestimmen war, lächelte. „Sie sind alle meine Freunde.“ Georg schwieg. Dann kam er gleich zur Sache:

„Ich suche das Christkind. Ist es hier gefangen, zufällig oder so?“

Er kam sich ein bisschen albern vor.

Das schöne Mädchen lachte hell auf: „Das wäre schwer, das Christkind zu fangen! Was willst du von ihm?“

„Es befreien.“ Sie sah ihn nachdenklich an. „Vielleicht kann ich dir helfen. Bleib hier heute Nacht. Sei mein Gast. Und morgen – morgen habe ich eine kleine Aufgabe für dich.“

„Wenn es nicht zu lange dauert.“

„Das kommt auf dich an.“

„Und dann zeigst du mir den Weg zum Christkind?“

„Und mehr, wenn du willst. Dort drüben ist mein Haus.“

Georg betrachtete zwinkernd die winzige Hütte gegen das Abendlicht.

„Darin lebst du?“

„Ja.“

„Allein?“

„Du wirst sehen, oder auch nicht. Darf ich dir den Schnee abklopfen. Er schmilzt sonst im Haus und macht alles nass.“

„Danke, es passt schon“, beeilte sich Georg zu sagen und bürstete an sich herum, bis er halbwegs befreit war vom Schnee. „Wie heißt du?“

Sie lächelte unbestimmt, wandte sich um und ging leichten Schrittes auf ihre kleine Wohnstätte zu. Nachdenklich sah Georg ihr nach. Ihre schlanke Gestalt, die Haare, die ihr bis zu den Hüften gingen, rabenschwarz und glänzend, ihre strahlenden Augen, die vor Lebenslust blitzten, das Plätschern ihres Lachens, das wie ein Wildbach war. Sie schien ihm vertraut und doch fröstelte ihn.

Es war auch kalt geworden; die ersten Sterne blinkten am Himmel auf und der fast volle Mond lugte eben über den hohen Gipfel eines Berges, der sich am anderen Ufer des Sees erhob. Rasch folgte der junge Prinz seiner Gastgeberin. Ihr Haus war klein, wirklich ganz klein und Georg fragte sich, wo denn darin Platz für ihn sein könnte, wo es doch höchstens ein Zimmer geben konnte.

Das Haus

Das geheimnisvolle Mädchen öffnete ihm die Tür, er trat neugierig ein und saß nichts als einen großen, leeren Raum, in dessen Mitte eine Wendeltreppe nach oben führte. Das konnte doch unmöglich in das Häuschen passen! Und wieso gab es zwei Stockwerke?

„Mach’s dir bequem.“ Sie schleuderte ihre Schuhe vom Fuß in Richtung der kahlen Holzwand und als sie eben dagegen fallen mussten, war da ein niedlich geschnitztes Schuhregal, in dem ihre beiden Stiefel ordentlich nebeneinander fielen und standen, als würden sie nie etwas anderes tun. „Probier es einmal!“, forderte sie ihn auf. Dann sprang sie in den leeren Raum und landete auf einem herrlichen, weichen Sofa mit weißen Kissen, worauf sie sich behaglich ausstreckte. „Es gibt doch nichts Schöneres als ein Kaminfeuer, findest du nicht?“ Sie streckte bloß ihre Hände aus und gleich knisterten Flammen aus einer offenen Feuerstelle und verbreiteten wohliges Licht und Wärme.

Georg hatte seine Schuhe vorsichtig neben ihre gestellt und stand unschlüssig im riesigen Raum. „Setz dich oder willst du die ganze Nacht stehen?“, fragte das Mädchen belustigt und betrachtete ihren Gast neugierig. Sie war etwa gleich groß wie er, wirkte teils kindlich, teils wie eine erwachsene Frau und Georg fragte sich, wie alt sie wohl wäre.

Zögernd tat er, als wolle er sich setzen und eben, bevor er die Balance verlieren und hinfallen musste, spürte er ein Kissen unter seinem Hintern, das auf einem dreibeinigen Schemel lag. „Du bist aber bescheiden“, rief das Mädchen verwundert. „Es könnte auch ein Sessel sein. Hast du Hunger?“

„Ja“, gestand Georg und sah plötzlich drei Bratäpfel vor dem Feuer, aus denen der Saft träufelte, die süß und duftig waren, mit Nüssen überhäuft. Georg streckte die Hand danach aus, erwartend, dass da Tellerchen und ein Löffel erscheinen würden, aber nichts dergleichen geschah, sondern die Äpfel verschwanden und nur drei alte Kartoffeln lagen plötzlich neben dem Feuer und waren halb verkohlt. „Du bekommst sonst nichts“, erklärte das Mädchen schelmisch, „denn du wolltest es nicht, dass ich dir den Schnee abklopfe. Und wenn dir das nicht schmeckt, dann gehst du hungrig ins Bett.“

Georg ärgerte sich nicht wenig, aber verbiss sich eine unfreundliche Antwort und fragte sie wieder: „Wie heißt du?“

Aber sie antwortete nicht, sondern aß ihren Bratapfel und trank aus einem Becher, Georg wusste nicht, was. Er seufzte, streckte missmutig aber hungrig die Hand nach einer Kartoffel aus, hatte gleich vor sich ein Tischchen mit Teller und Gabel und Messer und als er die Kartoffel darauf legte, war es ein herrlicher Bratapfel und eine Kugel Vanilleeis lag auch daneben. Er staunte nicht schlecht, führte eine Gabelvoll an den Mund mit Rosinen und Nüssen. Es duftete herrlich und als er hinein biss, schmeckte es genau wie eine alte Kartoffel.

„Selber schuld“, rief das Mädchen vergnügt. „Warum willst du dir nicht helfen lassen?“

„Will ich schon. Wenn du mir hilfst, das Christkind zu finden?“

„Was willst du von ihm? Geld, Erfolg, Glück, langes Leben?“ Georg schüttelte den Kopf. „Ich will es befreien!“

„Wovon?“

„Das weiß ich nicht. Aber es gibt kein richtiges Weihnachten mehr. Die Menschen sind unzufrieden und traurig, wütend, gestresst und immer in Eile, in der Welt, woher ich bin. Bestimmt wird es hier gefangen gehalten!“

Das Mädchen lächelte sanft. „Es kommt ja erst. Hast du keine Geduld? Davon abgesehen“, sie schob das letzte Stück Bratapfel in ihren Mund, „ist das unmöglich. Das kann niemand, außer Prinz Georg.“

Georg war so erstaunt, dass er seine Kartoffel fallen ließ. Doch ehe er etwas sagen konnte, legte sie ihm die Hand auf die Schulter und sagte sanft: „Du bist müde und morgen gibt es viel zu tun. Du solltest schlafen. Dein Bett ist, wo du willst und wie du es willst. Nur eins musst du beachten: Hier unten darfst du tun, was dir gefällt, aber die Treppe darfst du nicht nach oben steigen.“

„Warum nicht?“

„Dort schlafe ich.“

„Na dann, gute Nacht.“

„Gute Nacht.“

Sie stieg anmutig die Treppe hinauf und ihr Gast blieb allein in dem großen Raum mit dem Kaminfeuer, das langsam niederbrannte. Eine alte Kartoffel vor ihm auf dem Teller, die ihn missmutig anzustarren schien.

Silbermond

Georg lag in einer Hängematte, was er sich schon immer gewünscht hatte und sah gedankenvoll in die rote Glut. Wie hieß sie bloß? Wenn er ihren Namen nur wüsste! Er wälzte sich hin und her und konnte nicht einschlafen. Schließlich schwang er sich aus seiner ungewohnten Schlafstätte und schlich zur Treppe. Was konnte schon passieren? Er wollte ja nur ihren Namen wissen, man stellt sich doch vor, wenn man jemanden über Nacht einlädt!

Als Georg die ersten Stufen betrat, flackerte das Feuer im Kamin erneut auf. Bei jeder Stufe, die er beschritt, schlugen die Flammen höher und sie knisterten drohend. Sein Herz pochte, aber die Neugier trieb ihn vorwärts. Auf halber Höhe sah er zwei Stofftierchen, sie sahen aus wie kleine Löwen und blickten einander an. ‚Süß‘, dachte Georg und stieg weiter hinauf. Von irgendwo hörte er ein Gähnen und er dachte: ‚Gut, sie schläft noch nicht.‘

Als er mit dem Fuß die Stufe der Stofflöwchen berührte, gab es ein Geräusch wie einen Peitschenknall und das Feuer züngelte so wild, dass er fürchtete, es würde die Möbel verbrennen; doch als er sich umsah, war der Raum leer. ‚Dann muss ich ja jetzt nach oben gehen‘, beruhigte er sich, zog das zweite Bein auf die Stufe und erschrak, als plötzlich das Haus von einem Brüllen erbebte. Im selben Moment wuchsen die Löwen und nahmen geschmeidige Gestalt an. Georg stürzte die Treppe hinunter, rief: „Es war nur aus Versehen, ich wollte nicht hinaufgehen!“ Doch die Löwen sprangen ihm nach und drängten ihn in eine Ecke. Die Rachen weit aufgerissen näherten sie sich ihm. Ihre Krallen glänzten im Feuerschein.

„Plüsch und Kuschel, Platz!“ Wie erstarrt hielten die Raubtiere inne. Das fremde Mädchen stand oben auf der Treppe in einem dunkelblauen Nachtgewand und schritt würdevoll abwärts. Georg wagte nicht sich zu rühren. Als sie bei ihm anlangte, striffen die Löwen wie Kätzchen um ihre Beine und surrten dabei zusammen, bis sie wieder bewegungslose Stofftiere waren.

„Was wolltest du?“, fragte sie erbost ihren neugierigen Gast.

„Ich, ich wollte nur deinen Namen wissen, sonst nichts. Ich konnte nicht schlafen und da dachte ich ...“

„Du kommst mal rauf und fragst“, beendete das Mädchen den Satz.

„Bist du eine Zauberin?“

Sie lächelte, halb freundlich, halb unheimlich. „Ich heiße Silbermond, wenn es dich so interessiert. Du kannst mich aber auch ‚Möndchen‘ nennen.“ Sie lachte und fasste ihn bei der Hand. „Wenn du bei mir bleiben willst, musst du dich an die Regeln halten. Sonst ist es gefährlich. Verstehst du?“

Sie wandte sich ab, winkte ihm freundlich und stieg stolzer noch als beim ersten Mal in ihr gehütetes Obergemach. Prinz Georg lag lange wach, ein wenig verängstigt und verwirrt, und schlief erst ein, als er sich in ein großes, weiches Bett gewünscht hatte, mit einem Baldachin voll von beruhigenden Sternen darin.

---ENDE DER LESEPROBE---